30. Jahrgang Nummer 4/5 - 30.07.1989 - der Gruppe Arbeiterpolitik
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war es, kalt, und was taten die verfluchten Seki? Verkrochen<br />
sich in diesem Blockhaus, zwischen den Balken und <strong>der</strong><br />
Turbine und zündeten dort ein Feuer an. Die Silberlötung <strong>der</strong><br />
Flügel ging ab, und die Turbine kam auf den Mist. Hat drei<br />
Millionensiebenhun<strong>der</strong>ttausend gekostet. Da bemüh' dich<br />
ums Rentabilität~prinzip!.~~<br />
Die politische Konfrontation konnte in den Lagern klarer<br />
werden als »draußen«. Die verschiedenen Richtungen und<br />
Fraktionen organisieren sich: von den antikommunistischen<br />
Sozialrevolutionären, die von Irina Ginsburg, weil linientreue<br />
Kommunistin, nicht einmal eine Zigarette annehmen, über<br />
Trotzkisten, die Hungerstreiks organisieren, bis zu Stalinan-<br />
hängern, die für die Planerfüllung des Lagers eintreten. Gins-<br />
burg erzählt von einer Freundin, die aus ihrer Einzelzelle<br />
einen Brief an Stalin richtet, <strong>der</strong> mit den Worten begann<br />
~Stalin, meine goldene Sonne! Und wenn <strong>der</strong> Tod mich<br />
erwartet, will ich wie eine Blume sterben, auf dem Weg<br />
meiner Heimat vergehen.. .« »Schwarzu und »rosa« dicht<br />
nebeneinan<strong>der</strong>.<br />
Nach verbüßter Lagerhaft hält meistens Verbannung die<br />
politischen Häftlinge von den Zentren fern (eine Strafart, die<br />
jetzt beseitigt wird). Als Solschenizyn entlassen wird und am<br />
Verbannungsort eintrifft, stellt er überrascht fest, daß sein<br />
Leben und das vieler Bauern auch nicht besser ist als das im<br />
Lager.<br />
Zum Schluß sei noch einmal Kopelew zitiert mit seinem<br />
Versuch einer Zusammenfassung seiner Erfahrungen:<br />
»I. Millionen Menschen waren überzeugt, daß unser Land<br />
eine einsame, von Todfeinden belagerte Festung sei; daher<br />
hielten sie eine maximale Zentralisierung gepaart mit eiser-<br />
ner Disziplin für notwendig und berechtigt.<br />
2. Die Folgen des industriellen und kulturellen Aufbaus<br />
zeichneten sich auf dem Hintergrund <strong>der</strong> Weltwirtschafts-<br />
krise und des erstarkenden Faschismus beson<strong>der</strong>s deutlich<br />
26 Lew Kopelew. Verbietet die Verbote!. Hamburg 1977<br />
Zum 1. Mai '89 in Berlin:<br />
ab und dienten jenen als Argument, die behaupteten, alle<br />
Nöte und Entbehrungen seien nur zufällige Mängel o<strong>der</strong> die<br />
Folge von Sabotage, alle Errungenschaften hingegen das<br />
Ergebnis <strong>der</strong> genialen Führung durch die 'Koryphäe aller<br />
Wissenschaften'.<br />
3. Das allgemeine Vertrauen zur Presse und zum Staatsappa-<br />
rat - vor allem aber auch zum Staatssicherheitsdienst, zur<br />
Staatsanwaltschaft und zu den Gerichten - war so groß, daß<br />
die meisten Menschen ihre eigene Erfahrung und ihre eige-<br />
nen Zweifel selbst dann zurückdrängten, als Helden und<br />
Führer von gestern über Nacht zu Verrätern, Spionen, Fein-<br />
den des Volkes deklariert wurden, als die Geschichte hem-<br />
mungslos umgekrempelt wurde, als Stalin Heldentaten zuge-<br />
sprochen wurden, die er niemals begangen hatte, undseinen<br />
Gegnern Verbrechen, <strong>der</strong>en sie nicht schuldig waren. Das<br />
blinde Vertrauen wurde untermauert durch die Massenver-<br />
folgungen, die in den einen Angst und Furcht hervorriefen<br />
und in den an<strong>der</strong>en den Glauben bestärkten, daß die hinter-<br />
listigen Feinde allgegenwärtig seien und folglich jedes<br />
Schwanken, je<strong>der</strong> Zweifel an <strong>der</strong> Richtigkeit Stalinscher<br />
Worte und Taten, ja sogar eine zu milde Abrechnung mit<br />
Schwankenden und Zweifelnden eine direkte Unterstützung<br />
des Feindes bedeute.<br />
4. Während des Krieges und nach dem Krieg erfuhren alle,<br />
diese objektiven und subjektiven Voraussetzungen eine -<br />
sagen wir - natürliche wie auch künstlich geschaffene<br />
Bestätigung.. .P<br />
Kopelew ist <strong>der</strong> beste Zeuge für die wirkliche Entwicklung,<br />
die er selber miterlebte, denn er steht in politischem Gegen-<br />
satz zum Kommunismus. Aber er kann den gesellschaftli-<br />
chen Prozeß nicht erklären: das Auskämpfen <strong>der</strong> Klasseri,.ri-<br />
<strong>der</strong>sprüche im Innern <strong>der</strong> SU, <strong>der</strong> vom Imperialismus bela-<br />
gerten Festung. Die Säuberungen waren ein Prozeß, mit dem<br />
die auseinan<strong>der</strong>strebenden Kräfte im Innern des Landes, ja<br />
auch <strong>der</strong> Partei, mit Zwangsgewalt zusammengehalten wur-<br />
den - um dem Druck von außen standzuhalten.<br />
Fortsetzung folgt<br />
Der Kriminalisierung durch den Staat entgegentreten<br />
Wie schon die Auseinan<strong>der</strong>setzungen vor zwei Jahren,<br />
riefen die diesjährigen Straßenschlachten, die sich ein Teil<br />
<strong>der</strong> autonomen Bewegung und Kreuzberger Jugendliche mit<br />
<strong>der</strong> Polizei lieferten, ein breites Echo in den Medien und<br />
unter den Vertretern <strong>der</strong> Parteien hervor. Doch im Gegensatz<br />
zum 1. Mai 1987, wo sich in den Chor <strong>der</strong> Verurteilungen<br />
noch die Stimmen mischten, die für »Verständnis. warben<br />
und nach den Ursachen suchten, sind sich diesmal fast alle<br />
Kommentatoren in ihrer Distanzierung von <strong>der</strong> »Gewalt«<br />
einig - von den »Kriegsberichterstattern« <strong>der</strong> »BZ« bis hin<br />
zu Journalisten <strong>der</strong> .taz«. Nur über die Rolle <strong>der</strong> Senatspolitik<br />
ist ein heftiger Streit zwischen den Parteien entbrannt, mit<br />
umgekehrtem Vorzeichen.<br />
Am 2. Mai meldete die »BZ« in großer Aufmachung: »Berlin<br />
kapituliert vor dem Straßenterror!~ CDU und FDP schlugen<br />
in die gleiche Kerbe. Für sie war das rot-grüne »Chaos«,<br />
das sie während <strong>der</strong> Koalitionsverhandlungen an die Wand<br />
gemalt hatten, Realität geworden.<br />
Wie lächerlich und vor<strong>der</strong>gründig die Polemik von<br />
CDU/FDP ist, machen die Erfahrungen während ihrer - im<br />
Januar abgewählten - Koalition deutlich. Sie konnte durch<br />
Aufrüstung <strong>der</strong> Polizei und mit »Hau-drauf-Politik* ähnliche<br />
Auseinan<strong>der</strong>setzungen auch nicht verhin<strong>der</strong>n. »Und zwischen<br />
22 und 2 Uhr trat in dieser Nacht das Schlimmste ein,<br />
was überhaupt passieren konnte. Die Staatsgewalt, die Polizei,<br />
meldete sich aus dem Gebiet <strong>der</strong> Barrikaden, <strong>der</strong> Brände<br />
und Plün<strong>der</strong>ungen ab. Das Gewaltmonopol und die Ord-<br />
32<br />
nungskraft des Staates waren schlichtweg nicht mehr vor- ,<br />
handen. Das Wertesystem unserer Gesellschaft brach wie ein<br />
Kartenhaus zusammen.« (Originalton Oppositionsführer<br />
Walter Momper im Mai 1987 an den damaligen CDU-Innen-<br />
Senator Kewenig).<br />
Rot/Grün und <strong>der</strong> 1. Mai<br />
Die Vertreter <strong>der</strong> neuen SPDIAL-Koalition machen vor<br />
allem die linken Gegner des rot-grünen Bündnisses für die<br />
Auseinan<strong>der</strong>setzungen verantwortlich. Innensenator Pätzold<br />
erklärte vor <strong>der</strong> Presse, die Ausschreitungen seien ein gezielter<br />
Angriff auf diesen Senat, »mehr auf grün als auf rot..<br />
Christian Ströbele (AL) in einem Interview: »lm Unterschied<br />
zu den vergangenen Jahren ist an diesem I. Mai ganz<br />
bewußt versucht worden, den Staat und die Repräsentanten<br />
des Staates, also Rot-Grün, herauszufor<strong>der</strong>n, zu zeigen, daß<br />
dieser Senat keine Perspektive hat und grundsätzlich nichts<br />
an<strong>der</strong>es ist, als <strong>der</strong> Vorherige von CDU/FDP.« (taz vom 4.5.<br />
89).<br />
Wie kurz doch das Gedächtnis eines Repräsentanten werden<br />
kann: Für viele, die vor zwei Jahren im Stadtteil SO 36<br />
auf die Straße gingen, war es ein Protest gegen die Vertreter<br />
<strong>der</strong> herrschenden Ordnung und ihre politischen Gäste (z. B.<br />
Reagan-Besuch), die sich zur Jubelfeier des Westberliner<br />
Senats versammelt hatten. Den Beweis, daß Rot-Grün grundsätzlich<br />
etwas an<strong>der</strong>es ist als CDU/FDP, den Beweis hat <strong>der</strong><br />
neue Senat noch nicht geliefert.