30. Jahrgang Nummer 4/5 - 30.07.1989 - der Gruppe Arbeiterpolitik
30. Jahrgang Nummer 4/5 - 30.07.1989 - der Gruppe Arbeiterpolitik
30. Jahrgang Nummer 4/5 - 30.07.1989 - der Gruppe Arbeiterpolitik
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
ganzen Klasse aus, »daß wir damals das gegessen haben, was<br />
wir heute den Schweinen geben.« Und das für eine Milliarde<br />
Menschen in einem immer noch schwer erschließbaren Land<br />
zu gewährleisten ist Anfang und Ende <strong>der</strong> chinesischen Kri-<br />
sen, nicht erst <strong>der</strong> heutigen. Mit dem Bürgerkrieg und de;.<br />
Revolution, die sich auf die breiten Bauernmassen stütze, vor<br />
allem aber seit dem Wegfall <strong>der</strong> sowjetischen Hilfe am Ende<br />
<strong>der</strong> 50er Jahre, haben die chinesischen Kommunisten ein<br />
geschichtliches Neuland betreten. Nur auf die wenigsten<br />
Erfahrungen an<strong>der</strong>er sozialistischer Län<strong>der</strong> konnten sie<br />
zurückgreifen.<br />
Die Härte <strong>der</strong> Probleme und die Schärfe <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>sprüche<br />
in <strong>der</strong> Gesellschaft haben von Anfang an auch die Harte und<br />
Formen <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzungen bestimmt. Von dem jahr-<br />
zehntelangen Bürgerkrieg mit seinen unzählbaren Opfern,<br />
über die Hungerkrisen <strong>der</strong> 50er und 60er Jahre, die Erfolge<br />
und Opfer <strong>der</strong> Kulturrevolution, ja auch die Hun<strong>der</strong>te von<br />
Toten, die 1976 <strong>der</strong> Massenprotest gegen die »Viererbande«<br />
in Peking kostete, - bis zum bitteren Ausgang <strong>der</strong> Protest-<br />
bewegung im Juni dieses Jahres dauert dieser Existenzkampf<br />
des chinesischen Volkes an.<br />
Die westliche Euphorie über die »Öffnung Chinas«,<br />
geschiirt von den (mittlerweile schon wie<strong>der</strong> gedämpften)<br />
Expansionsplänen des Kapitals, hat bei den Menschen hier-<br />
zulande eine wesentliche Tatsache verdeckt: daß die Refor-<br />
men in <strong>der</strong> Wirtschaft und die zeitweiligen ~Liberalisierun-<br />
gen« in Politik und Kultur eine Notlösung waren, die <strong>der</strong> noch<br />
immer alles beherrschenden Mangelwirtschaft entsprang.<br />
Eines <strong>der</strong> Grundgesetze je<strong>der</strong> Mangelwirtschaft, auch <strong>der</strong><br />
sozialistischen, lautet: Man kann das eine Loch nur stopfen,<br />
wenn man ein an<strong>der</strong>es aufreißt. In den verschiedenen Ent-<br />
wicklungsperioden des sozialistischen China mußten immer<br />
wie<strong>der</strong> neue Prioritäten durchgesetzt werden - um den Preis<br />
<strong>der</strong> Unterordnung an<strong>der</strong>er Interessen. Das Resultat ist, insge-<br />
samt gesehen, ein großer gesellschaftlicher Fortschritt, aber<br />
jedesmal mit einem hohen sozialen und politischen Preis.<br />
In den wirtschaftlichen Krisen, früher wie heute, treten die<br />
unterschiedlichen gesellschaftlichen Interessen <strong>der</strong> Klassen<br />
und Klassenteile (Arbeiter, Bauern, Kleinbürger) als Wi<strong>der</strong>-<br />
spruche und Gegensätze an die Oberfläche, die Klassen und<br />
Klassenteile for<strong>der</strong>n für sich Maßnahmen ein; unter den<br />
Bedingungen einer Mangelwirtschaft ist aber die För<strong>der</strong>ung<br />
des einen Interesses ohne das Opfer und - je nach Schärfe<br />
<strong>der</strong> Krise - Unterdrückung des an<strong>der</strong>en Einzelinteresses<br />
nicht möglich. Genau diese Logik, das Umschlagen einer<br />
Wirtschaftskrise in eine gesellschaftliche Krise, hat den<br />
Beginn <strong>der</strong> Reformära unter Deng Xiaoping und ihren wi<strong>der</strong>-<br />
sprüchlichen Verlauf bestimmt. (Darauf gehen wir ausführ-<br />
lich im folgenden Artikel ein.)<br />
Die Krise <strong>der</strong> kollektiven Landwirtschaft (die Volkskom-<br />
munen, die bis in die 70er Jahre eine notwendige und erfolg-<br />
reiche Produktionsform gewesen waren) führte nach 1976 zu<br />
den privatwirtschaftlichen Reformversuchen, die dann auch<br />
teilweise auf die Städte übertragen wurden. Diese Versuche<br />
sind aber nach unbestreitbaren Anfangserfolgen an die<br />
Grenzen <strong>der</strong> Privatwirtschaft unter den Bedingungen des<br />
Mangels geraten. Privatwirtschaft auf dem Lande und in den<br />
Städten, Krise <strong>der</strong> Staatswirtschaft und des Staatshaushaltes,<br />
sowie die ökonomische und propagandistische Offnung<br />
»nach Westen« haben die Interessengegensätze in den Städ-<br />
ten, auf dem Land und zwischen Stadt und Land zu einem<br />
explosiven Gemisch anwachsen lassen.<br />
Kolleginnen und Kollegen, die am Kontakt mit<br />
einer örtlichen <strong>Gruppe</strong> interessiert sind, bitten<br />
wir, sich an die Redaktionsadresse zu wenden.<br />
Es bedarf einer sehr gründlchen Untersuchung und Dis-<br />
kussion, wie die bisherige Reformperiode sich auf die politi-<br />
schen Auseinan<strong>der</strong>setzungen ausgewirkt hat. Nicht von <strong>der</strong><br />
Hand zu weisen ist, daß viele Losungen <strong>der</strong> Partei - gerade<br />
gegenüber den kleinbürgerlichen Intellektuellen - dazu<br />
beigetragen hab+, Illusionen in den privatwirtschaftlichen<br />
Weg und die ~Offnung nach Westen« zu schüren. Aber<br />
ebenso deutlich ist, daß auch innerhalb <strong>der</strong> Partei dagegen<br />
angesteuert wurde, was sich in den Kampagnen »gegen den<br />
Liberalismus« in den letzten Jahren gezeigt hat. (Ebenso die<br />
demonstrativen Hinrichtungen von Funktionären o<strong>der</strong> Bür-<br />
gern, die wegen Korruption verurteilt wurden.) Alles deutet<br />
darauf hin, daß sich die objektiven Wi<strong>der</strong>sprüche, die in <strong>der</strong><br />
ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklung angelegt<br />
waren, in <strong>der</strong> Kommunistischen Partei fortgesetzt haben, daß<br />
sie dort erst ausgekämpft werden mußten.<br />
Der studentische Protest beruhte auf den sozialen Eigeninteressen<br />
<strong>der</strong> Intellektuellen. Er nahm die Parteiführung dort<br />
beim Wort, wo sie in <strong>der</strong> Vergangenheit die Segnungen <strong>der</strong><br />
privatwirtschaftlichen, kapitalistischen Mechanismen verheißen<br />
hatte. Aus dem Wi<strong>der</strong>spruch heraus, von ihrer sozialen<br />
Lage her als technokratische Elite für diese Mechanismen<br />
ausersehen zu sein, aber zugleich unter zum Teil schlechter<br />
Bedingungen leben zu müssen (verglichen mit den städti-<br />
schen Lebensverhältnissen, auf dem Lande sieht es ganz<br />
an<strong>der</strong>s aus), schlug ihr Einzelprotest um in eine politische<br />
Bewegegung.<br />
3<br />
Deren Vorstellungen waren anfangs so allgemein, blieben<br />
an <strong>der</strong> Oberfläche <strong>der</strong> Probleme (die Korruption, die »Demokratie~),<br />
daß sich alles, was unzufrieden war, dahinter sammeln<br />
konnte - über die Intellektuellenkreise hinaus.<br />
Unübersehbar ist (und dies hat auch die bürgerliche Presse<br />
hierzulande nicht verschwiegen), daß sich - im Wechselspiel<br />
mit einer unentschlossen auftretenden Parteiführung<br />
- am Ende jene Kräfte in <strong>der</strong> Protestbewegung nachvorne<br />
arbeiteten, die den Kampf gegen die Partei und den sozialistischen<br />
Staat propagierten. Dem mußte die Partei, spätestens<br />
zu diesem Zeitpunkt, einen Riegel vorschieben. Die Form, in<br />
<strong>der</strong> dies geschah, wurde durch die vorhandenen Kräfte<br />
bestimmt - sowohl auf seiten <strong>der</strong> Protestbewegung, wo es zu<br />
keiner klaren politischen Trennung zwischen <strong>der</strong> Masse <strong>der</strong><br />
Studenten und den offen anti-sozialistischen Kräften kam, als<br />
auch auf seiten <strong>der</strong> Partei, in <strong>der</strong> <strong>der</strong> Richtungsstreit ausgetragen<br />
wurde, <strong>der</strong> dann die neue Führung hervorbrachte. 3 \ii<br />
Zur Krise in <strong>der</strong> Volksrepublik China .................. 1<br />
Zur Wirtschaftspolitik Chinas .......................... 4<br />
Die VR China und die imperialistischen Län<strong>der</strong> ....... 12<br />
NATO: »Je kürzer die Reichweite,<br />
desto toter die Deutschen« ............................. 13<br />
Jugoslawien: Der Balanceakt zwischen Ost und West<br />
geht zu Ende ........................................ 16<br />
SU-Serie IV: Die Massensäuberung .................... 24<br />
Zum 1. Mai '89 in Berlin ............................... 32<br />
Hamburg: Rache für Berlin ............................. 35<br />
Arbeiterkorrespondenzen<br />
Gorbatschow bei Hoesch-Dortmund ................... 37<br />
Salzgitter: Betriebsratsarbeit im VW-Werk ............ 39<br />
GEW Hamburg: Kampf um Arbeitszeitverkürzung<br />
abgeblasen ............................................. 4 1<br />
Hamburg: .Schulfrei« am 20. April .................... 43<br />
Herausgeber und verantwortlicher Redakteur:<br />
Aibeiferpolifik - - F. Lübbe . Herstellung und Vertrieb: GFSA-Gesell-<br />
Schaft zur För<strong>der</strong>ung des Studiums <strong>der</strong> Arbeiter-<br />
INFORMATIONSBRIEFE DER bewegung e.V.. ~ostfach 150247,2800 Bremen 15<br />
GRUPPE ARBElTERPOLlTlK Postscheck Hamburg 410077-205. BLZ20010020