FALSCHE PRIORITÄTEN - Stadtgespräche Rostock
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0.18 __ //// THEATERKRISE<br />
Die Szene wendet sich bewusst allen Seiten zu. Das ist auch<br />
schon alt, aber in Zeiten, in denen selbst die Oberammergauer<br />
Passionsspiele, für die sich früher die zur Statisterie<br />
geborene Dorfjugend die Haare wachsen lassen und nicht<br />
zum Militär einberufen werden durfte, in kleinen Häppchen<br />
von Starregisseuren inszeniert werden und im Saale<br />
stattfinden, werden solche Signale wieder verstanden. Kein<br />
x-tes Haus, das wie ein Schiff aussehen soll, weil das Nachwenderostock<br />
von solchen inzwischen schon voll ist. Keine<br />
Elbphilharmonie, aber nicht, weil sie zu viel kostet (und<br />
sich damit prima als theaterbauliches Schreckgespenst für<br />
Kassenwarte eignet), sondern weil die falschen Leute hineingehen<br />
würden. In Westberlin steht das ehemalige Theater<br />
der Freien Volksbühne, heute Haus der Berliner Festspiele;<br />
von außen würde man es nicht für ein Theater halten,<br />
aber auf der Bühne toben Jelinek-Texte und Bearbeitungen<br />
der Pekingoper für die reifere europäische Jugend<br />
und gleichzeitig was für ein Spaß, durch die Glastür auf den<br />
Ein anonymer Leserbriefschreiber beklagte unlängst „[…] die<br />
einseitigen Diskussionen um die abrupte, aber richtigerweise<br />
konsequente Schließung des VTR. […] Jeder einzelne Vorstellungstag<br />
hätte zu einer Katastrophe führen können, eine achtlos<br />
weggeworfene Kippe, ein technischer Defekt o.ä. Wenn<br />
Menschen verletzt würden oder gar ums Leben gekommen wären,<br />
ja dann hieße es: Warum haben die Verantwortlichen nicht<br />
gehandelt, um das zu verhindern, sie haben es doch lange genug<br />
gewusst! Jetzt hat der Staatsanwalt das Wort, jetzt müssen<br />
Köpfe rollen!“ Ganz so einfach ist es aber nicht.<br />
Als Begründung für die überraschende Schließung wurde in<br />
der Presse das aktuelle Brandschutzgutachten genannt. Wer<br />
aber auch nur kurz in das Brandschutzkonzept (Konzept, nicht<br />
nur Gutachten!) vom 21.9.10 (!) hineinschaut, wird eines Besseren<br />
belehrt. Der Verfasser des Konzeptes stellt zunächst fest,<br />
dass die bisherigen Umbauten (1975) „unter Berücksichtigung<br />
der damals rechtskräftigen baulichen Regelwerke“ erfolgten.<br />
„In den Jahren 1996 bis 2009 fanden wiederkehrende Prüfungen<br />
statt, in deren Verlauf Abweichungen von heute gültigen<br />
Regelwerken … festgestellt wurden. In Verbindung mit der letzten<br />
wiederkehrenden Prüfung (September 2009) wurden die<br />
Betreiber des Volkstheaters <strong>Rostock</strong> von der Abteilung Bauordnung<br />
des Bauamtes der Hansestadt <strong>Rostock</strong> darauf hingewiesen,<br />
dass aufgrund der festgestellten Mängel gegen die weitere<br />
Nutzung des Gebäudekomplexes im jetzigen baulichen<br />
Rasen zu treten, und was für ein Zuschauerraum, an dem<br />
die ergonomischen Sitze noch das am wenigsten Bemerkenswerte<br />
sind – und dem Gesamtkonzept lag, wohlgemerkt,<br />
ein bürgerlicher Impetus zugrunde … Den Architekten<br />
wird schon etwas einfallen.<br />
Ansonsten wird man einfach feststellen, dass die Situation mit<br />
dem jahrzehntelang verschleppten Neubau einfach oberpeinlich<br />
ist, auch international (darauf könnte übrigens bei Gelegenheit<br />
auch wieder einmal hingewiesen werden), und zum<br />
Stadtjubiläum natürlich irgendwie ein neues Theater haben.<br />
Aber man könnte jetzt die besten Tugenden einer Bürgerinitiative<br />
nutzen (klares Ziel, Laienverstand, Heterogenität, Neugier,<br />
Kollektivismus – oder sind sie das nicht?), eines zu bauen, über<br />
das man vorher nachgedacht hat und das man dann auch hinterher<br />
immer verteidigen wird. ¬<br />
Theater um das Große Haus<br />
G.H.P.<br />
Zustand erheblich brandschutztechnische Bedenken bestehen<br />
und dass ein weiterer sicherer Betrieb als Versammlungsstätte<br />
gegenwärtig als nicht gewährleistet angesehen wird“ (Ebd. Anmerkenswert<br />
auch: Erst nach der Theater-GmbH-Gründung<br />
wurde „der Betreiber“, also die GmbH, von der Stadtverwaltung<br />
auf Brandschutzmängel hingewiesen. Die bestanden zwar<br />
auch schon vorher, aber dann hätte ja die Stadtverwaltung sich<br />
selbst darauf hinweisen müssen).<br />
Das Brandschutzkonzept geht in 18 Punkten detailliert auf alle<br />
notwendigen Maßnahmen ein, die teilweise bauliche Veränderungen<br />
notwendig machen, teils aber auch durch rein organisatorische<br />
Maßnahmen (wie z.B. Rauchverbot) realisiert werden<br />
können.<br />
Den Ausführungen des Brandschutzsachverständigen ist nicht<br />
zu entnehmen, warum das Große Haus per Dekret über Nacht<br />
geschlossen werden musste. Das Brandschutzkonzept datiert<br />
vom 21. September 2010. Zwischen Schließung und Konzeptvorlage<br />
liegen also vier Monate, in denen angeblich oder<br />
wirklich Menschenleben gefährdet wurden. Mehr noch: Bereits<br />
im September 2009, also vor 16 Monaten, wurde „ein weiterer<br />
sicherer Betrieb als nicht gewährleistet angesehen“. Warum<br />
erst jetzt die abrupte Schließung? Um uns Bürgern das<br />
leicht irreal anmutende Stadthafenkonzept (Tunnel und Fußgängerbrücke<br />
mit potentiellem Theaterneubau) verkaufen zu<br />
können? Oder warum sonst?