FOTO: TOM MAERCKER
0.35 __ //// REZENSIONEN Drei Lesezeichen. Empörung - Aufstand - K-Wort JENS LANGER Stéphan Hessel, Empört Euch! Aus dem Französischen von Michael Kogon, Ullstein: Berlin 2011 Eugen Kogon, der Vater des Übersetzers, hat dem Verfasser im KZ Buchenwald das Leben gerettet, indem er diesem zu einer neuen Identität verhalf. Nun bäumt sich der renommierte Diplomat ( Jg. 1917) noch einmal zu einem „energischen Gruß vom Grabesrand“ (DLF 9. 2.11, 9.33 Uhr) auf gegen die Gleichgültigkeit. Das sind nur 15 Seiten, mit allem Drum und Dran angereichert auf 32 Seiten. Die haben es in sich, „beherzt, aber nicht originell“, nennt Arno Orzessek das in seiner Besprechung. Genau, beherzte Menschen sind vonnöten, damit ein originales, authentisches Leben Land gewinnt und Zukunft. Der auch als Greis alerte Kämpfer aus dem französischen Widerstand weiß, dass es Aufregung allein nicht macht. Engagement muss die Folge sein - gegen den „Massenkonsum, die Verachtung der Schwächsten und der Kultur, den allgemeinen Gedächtnisschwund und die maßlose Konkurrenz aller gegen alle“. Er stellt sich z.B. auf die Seite der eingepferchten Palästinenser, war auch mit Diplomatenpass im Gazastreifen - wobei der Weg des Juden Hessel stets gewaltlos ist und frei von Antisemitismus. Hören die Leute die Signale? Ja, aber anderswo die Völker. Unsichtbares Komitee, Der kommende Aufstand, Nautilus-Verlag: Hamburg 2010 Die Verfasserschaft stellt man sich im Chiapaslook vor und liegt damit bestimmt falsch. Es gibt - auch schon 2009, z. Zt. der Abfassung - reichlich Aufstände, in den französischen Vorstädten und auf griechischen Straßen. Da kommt noch etwas, meint das unsichtbare Komitee. Viele Fragen, was zu tun sei, werden gestellt. Die viertletzte immerhin kann ich beantworten: „Was heißt es praktisch, die Macht lokal abzusetzen?“ Beim letzten Mal hab' ich das so gemacht: Am 3. Dezember abends fand ich einen Zettel des Dachdeckers Dirk Stolle auf meinem Schreibtisch: „Am 4.12. um 7.45 Uhr im Rathaus sein.“ Das passte zeitlich ganz schlecht. Ich bin aber früh hingegangen und habe mich mit meinen FreundInnen von der Bürgerinitiative getroffen. Wir sind pünktlich ins Rathaus gegangen, sprachen mit Machthabern und nahmen uns unseren Teil der Macht. Das hieß kontrollierte Verwaltungsstrukturen, Lizenz und Papier für die erste freie Zeitung in der DDR, den „Bürgerrat“. Das dauerte zum Glück nicht lange, die waren schon reif für die Machtteilung, und ich konnte noch pünktlich mit meiner Vorlesung beginnen. Wer's nicht für möglich hält, lese den Vorgang etwas ausführlicher: Christoph Links, Sybille Nitsche, Antje Taffelt, Das wunderbare Jahr der Anarchie. Von der Kraft des zivilen Ungehorsams 1989/90, Ch.- Links-Verlag: Berlin 2009 2. Auflage, S. 171-177. Die Sache hat allerdings einen Haken, und mit dem ist es wie mit den Birnen: Es gibt eine einzige Sekunde ihrer Reife, in der sie köstlich sind für den Verzehr. Es wird also nicht nur politisches Gefühl gebraucht, sondern auch pomologische Sensibilität. Alain Badiou, Wofür steht der Name Sarkozy? diaphanes: Zürich-Berlin 2008 Einzig auf einen glänzenden Aspekt dieses langen Essays soll verwiesen werden: Der französische Philosoph ( Jg. 1937) diskutiert ganz anders als im üblichen Pro und Contra über den Kommunismus. Er lässt uns staunen, welche Facettenvielfalt der Kommunismushypothese sich im Horizont ihrer romanischen Inkulturation ergibt. Das Original stammt bereits von 2007 und hat auch seit 2008 keinen deutschen Aufschrei verursacht. Die Autorin hieß ja nicht Gesine Lötzsch.