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FALSCHE PRIORITÄTEN - Stadtgespräche Rostock

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0.36 __ //// REZENSION<br />

Ich breche hier ab mit den Krisenschriften. Es sind übrigens<br />

mehr als drei, und die Krise wird in unterschiedlichen Lagern<br />

von rechts bis links mit einigen Unterscheidungen beschrieben<br />

als das, was sie ist: hemmend, deprimierend. Bitte, zur Lektüre:<br />

Arnulf Baring, Bürger auf die Barrikaden! Deutschland auf dem Weg<br />

zu einer westlichen DDR (FAZ, 19.11. 2002)<br />

Marion Gräfin Dönhoff, Zivilisiert den Kapitalismus. Zwölf Thesen gegen<br />

die Maßlosigkeit, München 2005<br />

Thomas Macho, „Das Leben ist ungerecht.“ Unruhe bewahren, St.<br />

Pölten 2010<br />

Christoph Twickel: Gentrifi Dingsbums oder eine<br />

Stadt für alle, Edition Nautilus: Hamburg 2010, 126<br />

Seiten<br />

Begeistert ging ich durch unser altes Berliner Quartier: Große<br />

Hamburger Straße, Sophien- und Auguststraße ... : Läden über<br />

Läden, Galerien, Kneipen vom Feinsten und Szenetreffs. „Was<br />

für eine Entwicklung!“, staunte ich mit offenem Mund. Eine<br />

junge <strong>Rostock</strong>er Politologin stoppte meinen Enthusiasmus mit<br />

einem einzigen Wort: „Gentrifikation“ und schenkte mir das<br />

hier angezeigte Buch.<br />

Der Begriff gilt immer noch als so frisch, dass auch meine neuen<br />

Wörterbücher nichts dazu sagen. Der Griff zum Vokabularium<br />

Englisch-Deutsch könnte helfen. Bis „gentry“ geht diese<br />

Hilfe: (niederer!) Adel, Sippschaft. Eine hilfsweise und vorläufige<br />

Interpretation sei gewagt: Veradelung, Veredelung, Versippung<br />

eines öffentlichen städtischen Raumes, der durch die angedeutete<br />

Tendenz, der Allgemeinheit aus den Händen genommen<br />

und sie aus ihren Wohnungen in diesem Raum herausgemietet<br />

wird. Das Ganze findet in Innenstädten und nahe bei<br />

ihnen statt. „Yuppisierung, Schickimickisierung, Lattemacchisierung.<br />

Wie immer man auch das Dingsbums nennen mag: Es<br />

ist eine Maschinerie, die die Teilhabe an der Stadt über Geld<br />

und Herkunft regelt.“ (Twickel, S. 5)<br />

Inzwischen gibt es auch ein „Manifest der empörten Ökonomen<br />

- Philippe Askenazy u.a., Manifeste d'èconomistes atterréres<br />

(www.freitag.de/kultur/1105-kommentar). Kein Ende abzusehen.<br />

Das alles ist Literatur. Auf die es ankommt und die ankommen<br />

werden sie nicht lesen. Vielleicht erscheint einmal ein Wort davon<br />

als Schrift an der Wand. Bis jetzt tanzen die Verhältnisse<br />

bei uns jedenfalls noch nicht. Sie sind erstarrt. In der CSU liest<br />

man gerade erst mit Verspätung „Adel im Untergang“. Und<br />

kann es nicht fassen. ¬<br />

Wer darf in der Stadt wohnen: WO?<br />

JENS LANGER<br />

Hamburg mit seinem Gängeviertel und anderen Quartieren<br />

schildert der Autor detailliert und illusionslos: Aussteiger, Alternative,<br />

Kreative, Maler, Musiker, Schreiber ziehen wegen Lage,<br />

Ästhetik und niedrigen Mieten in heruntergekommene<br />

Stadtviertel und machen sie für Besucher interessant. Auf diesem<br />

Weg werden die Immobilien wieder für den Markt attraktiv.<br />

„So platzieren die Kulturpolitiker in den meisten deutschen<br />

Metropolen ihre Fördermittel für freie Kulturobjekte mittlerweile<br />

so, dass die erwünschten Ausnahmezustände dort entstehen,<br />

wo die Standortentwicklung sie braucht.“ ( S. 63) Konsumierbarer<br />

Ausnahmezustand und hippe Prekarität - Twickels<br />

Namensgebungen - als Anschub für das Unternehmen Stadt!<br />

In Berlin gibt es (fast) noch das Tacheles, in Leipzig existieren<br />

Wächterhäuser, über Hamburg steht nahezu alles bei Twickel.<br />

Ich stand an einem Fluss in <strong>Rostock</strong> und wusste, warum mir<br />

die dichte Bebauung bis nahe ans Wasser unheimlich vorkommt:<br />

Auch die alten Quartiere ringsum werden sich im Sog<br />

der Modernisierung verändern. Gar nicht schlecht. Aber wer<br />

wohnt dann schließlich wo? ¬

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