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Gyps fulvus - Nationalpark Berchtesgaden

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genden Geschwister gehackt. Waren die Kontrahenten<br />

kaum angeleuchtet, beschränkten sich die Angriffe<br />

auf das aufgerichtete, sich bewegende Jüngere.<br />

Duckte es sich, blieb es unbeachtet.<br />

d) Anwesenheit der Pflegeperson :<br />

Bei Hunger mäßigte sie die Aggressivität, blieb sonst<br />

ohne Einfluß.<br />

e) Geräusche (Händeklatschen, lautes Rufen, etc):<br />

\ Blieb ohne Einfluß.<br />

f) Heftige Bewegungen (Tücher-, Armschwenken):<br />

Es bewirkte ab dem 33. bis 35. Tag Ducken des Älteren.<br />

Dagegen greift der Jüngere ungehemmt an.<br />

Die »blinde« Aggressivität, bei der die Geierküken mit<br />

weit offenem Schnabel, sozusagen, »suchend« hacken<br />

und schnappen, nimmt ab dem 33. Tag ab. Unbewegte<br />

Attrappen werden dann kaum beachtet, Schläge immer<br />

gezielter gegen Schnabel und Kopf des Gegners geführt,<br />

es wird dann nicht mehr bis zur Erschöpfung drauflosgeschlagen.<br />

Ab dem 90. Tag verletzen sich aneinandergeratene<br />

Junge zwar an Kopf und Schnabel mehr<br />

oder minder stark, weichen sich aber aus. Bei Anhalten<br />

der Situation würde der Stärkere den Schwächeren vermutlich<br />

aus dem Horst drängen und zum Absturz bringen.<br />

In Kenntnis dieses Kain-Verhaltens können in Zoologischen<br />

Gärten Jungenverluste leicht vermieden werden:<br />

im Alpenzoo haben wir 2 Tage nach dem Schlüpfen des<br />

ersten Jungen das zweite Ei entfernt, im Brutschrank erbrütet<br />

und das Küken von Hand aufgezogen. Es empfiehlt<br />

sich, dieses in menschlicher Obhut zu belassen,<br />

bis sein Geschwister im elterlichen Horst auch nachts<br />

nicht mehr von einem der Altvögel gehudertwird, bei uns<br />

um den 45. Tag. Solange besteht auch keine Prägungsgefahr.<br />

Wir setzen »unseren« Geier zwischen dem 47.<br />

und 51. Tag in den Horst zu seinen Eltern zurück, unterteilen<br />

zuvor die Horstfläche mit einem massiven Balken<br />

(30 cm hoch). Er behindert die Altvögel nicht, erlaubt<br />

aber den Jungen vorerst nur ein Darübersehen. Bis sie<br />

ihn übersteigen können (ab dem ca. 110. Tag), sind sie<br />

nahezu flügge, ihre Aggressivität ist weitgehend abgeklungen.<br />

Die Eltern füttern ohne erkennbare Bevorzugung<br />

beide Jungen, die so unter natürlichen Bedingungen<br />

heranwachsen.<br />

Ein derart ausgeprägter, vom Nahrungsangebot unabhängiger<br />

Kainismus ist nur vom Schreiadler Aquila pomarina<br />

bekannt; die Jungen bekämpfen sich gleich nach<br />

dem Schlupf, wenige Tage später ist das Zweitgeschlüpfte<br />

verschwunden (Meyburg 1970, 1974). Bei anderen<br />

Greifvögeln und Eulen kann Kainismus durch<br />

Nahrungsmangel zustandekommen, erst die hungrigen<br />

Jungen verhalten sich gegeneinander aggressiv. Das<br />

ließ sich auch beim Steinadler-Paar des Alpenzoos beobachten:<br />

es zog bei reichlichem Nahrungsangebot seine<br />

Jungen ohne Schwierigkeiten auf, ohne daß es zu<br />

Streitigkeiten zwischen den beiden Jungadlern gekommen<br />

wäre.<br />

Das Zweit-Ei der Bartgeier ist also biologische Reserve.<br />

Meist wird sich auf Grund des Größenvorsprungs der ÄI­<br />

46<br />

tere durchsetzen. Da der Kainismus beim Zweitgeschlüpften<br />

ebenso ausgeprägt ist, dürfte er sich notfalls<br />

eines schwächlichen Erstgeschlüpften entledigen können.<br />

Für den Bartgeier mag der Selektionsvorteil darin<br />

liegen, ein lebensfähiges Junges, für das er auch ausreichend<br />

Nahrung herbeischaffen kann, sicher aufzuziehen.<br />

Literaturhinweise:<br />

GLUTZ v. BLOTZHEIM, U., BAUER, A., BEZEL, E. (1971): Handbuch<br />

der Vögel Mitteleuropas, 4, FrankfurtJMain.<br />

MEYBURG, B.-U. (1970): Zur Brutbiologie des Schreiadlers (Aquila<br />

pomarina). - Deutscher Falkenorden 1969: 32-66.<br />

MEYBURG, B.-U. (1974): Zur Brutbiologie und taxonomischen Steilung<br />

des Schreiadlers. - Der Falke 21 : 126-134, 166-171.<br />

PETERS, H.B. (1935): Beitrag zur Brutbiologie des Bartgeiers (Gypaetus<br />

barbatus). - Vögel ferner Länder 9,2-5: 1-15.<br />

PSENNER, H. (1971): Tiere der Alpen. Innsbruck: 79-82.<br />

PSENNER, H. (1976): Aus dem Alpenzoo Innsbruck - Haltung und<br />

Zucht des Bartgeiers (Gypaetus barbatus).-Zool. Garten N.F., Jena<br />

46 4/5: 293-304.<br />

SCHUMANN, A. (1929): Einige Bemerkungen über die Aufzucht junger<br />

in Gefangenschaft erbrüteter Bartgeier.-Zool. Garten N.F.1:<br />

32-35.<br />

THALER, E und PECHLANER, H. (1979): Volierenbrut und Handaufzucht<br />

beim Bartgeier (Gypaetus barbatus aureus): Beobachtungen<br />

aus dem Alpenzoo Innsbruck.-Gefiederte Welt 103,2:21-25.<br />

THALER, E. & PECHLANER H. (1980): Cainism in the Lammergeier<br />

or Bearded vulture at Innsbruck Alpenzoo. - International Zoo<br />

Yearbook 20: 278 - 280.<br />

WALTER, W. (1979): Geier alpin.-<strong>Nationalpark</strong> 23: 14-17.<br />

WALTER, W. (1981): Gänsegeier (<strong>Gyps</strong> <strong>fulvus</strong>) und Bartgeier (Gypaetus<br />

barbatus) - zwei Artenschutzprojekte der Frankfurter Zoologischen<br />

Gesellschaft und des World Wildlife Fund - <strong>Nationalpark</strong><br />

<strong>Berchtesgaden</strong> Forschungsberichte 3/1981<br />

Anschrift der Verfasserin:<br />

Dr. Ellen Thaler<br />

Alpenzoo Innsbruck<br />

Weiherburggasse 37<br />

A 6020 Innsbruck

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