Böcher, Michael / Töller, Annette - DVPW

Reifung als taugliches Konzept
zur Konzeptualisierung langfristigen Wandels
von Politikfeldern?
Überlegungen anhand des Politikfeldes
Umweltpolitik
Michael Böcher und Annette Elisabeth Töller
mboeche@uni-goettingen.de
annette.toeller@FernUni-Hagen.de
Paper für das Panel
„Genese, Grenze(n) und Dynamik von Politikfeldern“
der Sektion Policy-Analyse und Verwaltungswissenschaft,
DVPW-Kongress, September 2012 in Tübingen

Inhalt
1. Einleitung ........................................................................................................................................ 3
2. Theoretischer Kontext: Reifungstheorien, Umweltpolitikforschung und Politikfeldanalyse .......... 5
3. Elemente einer Reifung des Politikfeldes Umweltpolitik ............................................................... 7
2
3.1 Probleme .................................................................................................................................. 7
3.2 Policies .................................................................................................................................... 8
3.3 Akteure .................................................................................................................................. 10
3.4 Institutionen ........................................................................................................................... 14
3.2.1 Institutionen als Rahmenbedingungen: nationaler Kontext ........................................... 15
3.2.2 Institutionen als Rahmenbedingungen: europäischer und internationaler Kontext ....... 17
4. Reifung von Politikfeldern als brauchbares Konzept? .................................................................. 18

1. Einleitung
Als Politikfeld gibt es Umweltpolitik in Deutschland seit rund 40 Jahren, auch wenn man für die
Entstehungszeit in den frühen 1970er Jahren sicher diskutieren kann, ob damals bereits alle
konstitutiven Elemente eines Politikfeldes (s.u.) vorhanden waren (Böcher/Töller 2012: S. 27ff.).
Die Politikfeldanalyse erklärt das Zustandekommen einer konkreten Policy oder befasst sich mit
spezifischem Policy-Wandel im Zeitverlauf (z.B. Capano/Howlett 2009; Blum/Schubert 2011). Sie hat
sich jedoch – mit wenigen Ausnahmen (z.B. Döhler/Manow 1997; Trampusch 2009) – bis vor kurzem
weder mit der Entstehung noch mit der Veränderung gesamter Politikfelder selbst über längere
Zeiträume hinweg befasst. Derzeit wächst das Interesse, darüber nachzudenken, was es bedeutet, wenn
Politikfelder „ausreifen“ (Noweski 2011) und daran, welche Konsequenzen es für die Analyse hat,
wenn lange als „neu“ oder „jung“ geltende Politikfelder wie Umweltpolitik „erwachsen“ werden
(Jacob/Jörgens 2011).
Um den Wandel ganzer Politikfelder zu untersuchen, sollte zunächst der Untersuchungsgegenstand,
das Politikfeld, definiert werden. Paradoxerweise 1 finden sich auch nach intensiver Suche in den
einschlägigen Lehr- und Handbüchern nur wenige Definitionen (so auch Massey/Huitema 2012: 4ff.)
dessen, was eigentlich ein Politikfeld ist. Für einige Autoren definiert sich das Politikfeld pragmatisch
durch sein „Label“, das sich meist durch die Zuständigkeit eines Ressorts ergibt 2 : Für Héritier
„… beziehen sich die Begriffe Politikfeld und sektorale Politik auf die Abgrenzung von Policies
nach nominellen Kategorien wie Beispielsweise Sozialpolitik, Verkehrspolitik, Bildungspolitik
etc…“ (Windhoff-Héritier 1987: 17).
Ähnliches, wenn auch etwas breiter angelegt, finden wir bei Pappi und König, die das Politikfeld
definieren als:
„ein inhaltlich abgegrenzter Bereich von Regelungen und Programmen, also von policies, wie sie
normalerweise organisatorisch im Zuständigkeitsbereich von Ministerien oder Parlamentsausschüssen
zusammengefasst sind“ (Pappi/König 1995: 111).
Eine – unseres Erachtens zielführendere – deutlich breitere Definition findet sich bei Grunow:
„Politikfelder sind durch das ‚besondere‘ Ensemble politisch vermittelter gesellschaftlicher
Anforderungen und Probleme, durch Interessenten und Entscheidungsträger [in der Fußnote wird
auf den Akteursbegriff verwiesen, MB/AET] als besondere Arrangements der Problemwahrnehmung
sowie der Strategie der Problembewältigung zu beschreiben.“ (Grunow 2003: 24)
Bei Trampusch findet sich zumindest eine implizite Definition, indem sie in ihrer Studie zur Transfor-
mation eines Politikfeldes (s.u.)
„die Entwicklung von Akteurskonstellationen, Interessenstrukturen und politischen Maßnahmen“
betrachtet (Trampusch 2009: 16).
1
Paradox ist das, weil es nicht gerade an Einführungen in die Politikfeldanalyse mangelt, die Autoren jedoch
häufig ihrem Untersuchungsgegenstand selbst keine Definition widmen.
2
Die Referenzen aus der amerikanischen Literatur erscheinen hier wenig hilfreich, das Politikfeld als solches
gibt es kaum, und die Subsysteme, die wir z.B. bei Howlett et al. 2006 finden, haben eher einen kleineren
Zuschnitt als Politikfelder.
3

Schließlich haben jüngst Massey und Huitema in einem Beitrag über die Entstehung des Politikfeldes
Klimaanpassungspolitik folgende Definition vorgestellt:
4
„… we may define a policy field as a unit of governing within the socio-political system of a
country where there exist three pillars […]: Substantive authority, institutional order, and
substantive expertise“ (Massey/Huitema 2012: 8).
Anknüpfend an diese Elemente definieren wir hier ein Politikfeld als eine spezifische auf Dauer
angelegte Konstellation sich aufeinander beziehender Probleme, Akteure, Institutionen und
Maßnahmen. Während wir also normalerweise in der Politikfeldanalyse die Maßnahmen (policies) als
abhängige Variable im Visier haben und ihr Zustandekommen anhand von Problemstrukturen,
Akteuren und Institutionen erklären (siehe Böcher/Töller 2012), geraten, wenn wir den Wandel von
ganzen Politikfeldern betrachten, beide, die Policy und die für ihr Zustandekommen relevanten
Faktoren, in unseren Untersuchungsfokus.
Die Analyse langfristigen Wandels ganzer Politikfelder ist bislang kaum Gegenstand von
Untersuchungen gewesen. Arbeiten, die Entwicklungsprozesse ergebnisoffen betrachten (also keine
bestimmte Art der Entwicklung erwarten), sind die eingangs angesprochenen Studien von Döhler und
Manow zum deutschen Gesundheitssystem (Döhler/Manow 1995, die allerdings vom Gesundheits-
sektor sprechen) und die Untersuchung von Trampusch zur Transformation des Politikfeldes
Sozialpolitik (Trampusch 2009). Mit einer bestimmten Art von Entwicklung befasst sich zum einen
der eher kursorisch angelegte Beitrag von Jacob und Jörgens zum „Erwachsenwerden“ der
Umweltpolitik (Jacob/Jörgens 2011) sowie – jenseits eines konkreten Politikfeldes – der Beitrag
Noweskis zu „ausreifenden Politikfeldern“ (Noweski 2011), der „Perspektiven einer Theorie“ (so der
Untertitel) allenfalls andeutet.
Der vorliegende Beitrag betrachtet das Politikfeld „Umweltpolitik“ aus einer solchen längerfristigen
Perspektive. In einem ersten Schritt (2.) wird die (überschaubare) Diskussion zu solchen langfristigen
Veränderungs- bzw. Reifungsprozessen rezipiert. Zudem werden auch in der Umweltpolitikforschung
zumindest latent vorhandene Entwicklungsideen identifiziert. In Kap. 3 wird dann anhand der
aufgezeigten vier Bestandteile des Politikfeldes: Probleme, Akteure, Institutionen und Maßnahmen
betrachtet, inwiefern „Reifung“ ein Konzept ist, das die in diesen Bestandteilen identifizierbaren
langfristigen Entwicklungen im Politikfeld Umweltpolitik erfassen kann.
Für uns manifestiert sich eine langfristige Veränderung des Politikfeldes Umweltpolitik als
Veränderung seiner Bestandteile. Auch wenn politikwissenschaftliche Forschung im Allgemeinen
danach strebt, Phänomene nicht nur zu beschreiben, sondern auch zu erklären (Reiter/Töller 2012), so
erscheint uns angesichts der Neuartigkeit des Ansatzes, die langfristige Veränderung eines ganzen
Politikfeldes zu betrachten, zunächst die präzise Beschreibung dieser Veränderung als ein wichtiger
wissenschaftlicher Schritt. Der Beitrag versteht sich daher als Anwendungstest für die Brauchbarkeit
des Konzepts einer „Reifung von Politikfeldern“, weshalb diese abschließend eingeschätzt werden soll
(4.).

2. Theoretischer Kontext: Reifungstheorien, Umweltpolitikforschung
5
und Politikfeldanalyse
Die Politikfeldanalyse ist in der Regel auf das eher kleinteilige Erklären des Zustandekommens von
Policies oder von Policy-Wandel gerichtet (Capano/Howlett 2009; Blum/Schubert 2011). Selbst wenn
solcher Wandel im Ausnahmefall einmal über einen längeren Zeitraum betrachtet wird, etwa über 20
oder 30 Jahre (z.B. in der Umweltpolitikforschung die Regulierung von Chemikalien, Jacob 1999,
oder die Regulierung der Getränkeverpackungsentsorgung, Töller 2012: 127ff.), geht es doch meist
um die Erklärung der Policy, etwa durch institutionelle Faktoren, Akteure, oder andere
Erklärungsfaktoren (z.B. auch Liefferink et al. 2009). Nur in wenigen Studien sind das ganze
Politikfeld und dessen langfristiger Wandel Gegenstand der Analyse. Eine solche liefern Manow und
Döhler (1995). Die Autoren betrachten das Politikfeld Gesundheitspolitik von den 1950er bis in die
1990er Jahre unter der Perspektive sektoralen Wandels und kritisieren dabei die limitierten
Sichtweisen der „Vernetzungsperspektive“ einerseits und der, wie sie schreiben „variablen-
orientierten“ Politikwissenschaft andererseits, „denn Faktoren wie Föderalismus, Verbändedominanz
und Koalitionsregierung unterliegen nicht nur historischen Wandlungsprozessen, sondern verändern
ihre Wirkungsrichtung auch durch Interaktionseffekte untereinander“ (Döhler/Manow 1995: 3).
Eine weitere Pionierstudie zum Wandel eines ganzen Politikfeldes hat Christine Trampusch über den
„erschöpften Sozialstaat“ als Studie zur „Transformation eines Politikfeldes“ (so der Untertitel)
angelegt. Trampusch legt dar, dass nur die längerfristige Betrachtung eines Politikfeldes es ermöglicht,
Kontinuität und Wandel zu identifizieren (Trampusch 2009: 13). Ausgehend von der plausiblen
Überlegung, dass zwar Policies in ihrem Zustandekommen von politischen Strukturen und Prozessen
beeinflusst werden, sie aber ihrerseits wiederum politische Strukturen und Prozesse verändern,
untersucht sie „die Entwicklung von Akteurskonstellationen, Interessenstrukturen und politischen
Maßnahmen in der bundesdeutschen Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik“ (Trampusch 2009: 16) über
einen Zeitraum von etwa 50 Jahren. Sie identifiziert eine aus dem Politikfeld selbst (Erschöpfung des
Sozialstaates als treibende Kraft, Trampusch 2009: 21f.) kommende Transformation mit dem Ergebnis
einer Entautonomisierung (17).
Wenngleich die politikwissenschaftliche Umweltpolitikforschung einen gewissen normativen Bias
aufweist, kann man sie doch zu Recht als Bestandteil der Politikfeldanalyse betrachten (Böcher/Töller
2012: 22ff.). Insofern ist sie normalerweise auf das Beschreiben und Erklären konkreter
Umweltpolitiken oder deren Wandel gerichtet, während langfristige Entwicklungen des Politikfeldes
„an sich“ normalerweise nicht im Fokus der Analyse stehen. In vielen Studien wird die Umweltpolitik
sogar immer noch – trotz ihres mittlerweile 40. Geburtstages - als „neues“ Politikfeld betrachtet
(Jacob/Jörgens 2011: 4 mit weiteren Verweisen).
Langfristige Wandlungsprozesse zu analysieren, ist aber noch etwas anderes, als – implizit oder
explizit – mit dem Konzept einer bestimmten Art des Wandels (z.B. Reifung) zu arbeiten. Implizite
Reifungstheorien sind in der Umweltpolitik nicht unüblich: Reifung wird hier häufig an den
verwendeten Instrumenten und einem Instrumentenwandel im Zeitverlauf festgemacht. Instrumente
werden dabei in Generationen (oder zumindest Wellen) eingeteilt. Reifung entspricht dann einer
beobachtbaren Ausdifferenzierung und größeren Variabilität der verwendeten umweltpolitischen

Instrumente oder gar der „Erfindung“ spezifischer Instrumente, die nur in der Umweltpolitik existieren
(z.B. Emissionshandel als umweltpolitisch „pragmatische“ Manifestierung der Coase’schen Verhand-
lungslösung, so Rahmeyer 1999: 21). Dabei werden z.B. die regulativen Instrumente als Instrumente
erster Generation, die Marktinstrumente als Instrumente zweiter Generation und die kooperativen
Instrumente als Instrumente dritter Generation bezeichnet (z.B. Croci 2005; Harrington et al. 2004;
Arnold 2011: 788), meist der Vorstellung folgend, diese Entwicklung stelle einen Fortschritt, eine
Evolution dar, bei der überlegene Instrumente andere ablösen und damit zur Ausreifung eines
Politikfeldes beitragen.
In einem Beitrag aus Anlass des 25jährigen Bestehens der Berliner Forschungsstelle Umweltpolitik an
der FU tragen Jacob und Jörgens, zwei anerkannte Experten im Politikfeld Umweltpolitik, eher
intuitiv zusammen, was das „in die Jahre Kommen“ der Umweltpolitik ausmachen könnte
(Jacob/Jörgens 2011: 4) und was das für die Umweltpolitikanalyse, aber auch für die praktische
Umweltpolitik bedeutetet.
Michael Noweski hingegen verlässt die Perspektive eines spezifischen Politikfeldes und befasst sich
innovativ mit verallgemeinerbaren Aussagen über Faktoren, die Reifung von Politikfeldern
ausmachen. Er greift dabei eine Reihe von – in Theorien oder der Empirie vorfindbaren – möglichen
Elementen einer Reifung auf, die sich u.a. auf die Veränderung von Konfliktstrukturen,
Akteurskonstellationen oder Regelungsintensitäten beziehen. Noweski verzichtet jedoch in seinem
Beitrag auf eine hier eigentlich zwingend notwendige Definition des Begriffs „Politikfeld“ und erklärt
auch nicht genau, was er selbst unter Reifung versteht. Auch können wir Noweski darin nicht folgen,
wenn er ausführt, dass seine „synoptische Theorie“ (angebrachter wäre wohl eher: Theorie-Synopse)
von „langfristigen Veränderungen bei der Polity ausgeht, Politics beobachtet und den Wandel von
Policies erklärt“ (Noweski 2011: 482). Trotz Einschränkungen halten wir Noweskis Anliegen, das
Konzept der Reifung für die Analyse der langfristigen Entwicklung von Politikfeldern fruchtbar zu
machen, für interessant und inspirierend und greifen es in Kapitel 3 auf.
Für uns definiert sich dabei das Politikfeld aus den oben bereits genannten miteinander interagieren-
den Elementen (Probleme, Akteure, Institutionen und Maßnahmen). Wir verstehen Reifung im Sinne
eines langfristigen Wandels, der bestimmte Elemente einer zunehmenden Verdichtung, Institutionali-
sierung und Verstetigung einzelner oder mehrerer Elemente beinhaltet. Allerdings sind damit für uns
weder Vorstellungen zwangsläufig linearer oder unumkehrbarer Entwicklungen oder positive
Konnotationen wie „Fortschritt“ verbunden. Analog zu ökonomischen Innovationstheorien (Produkt-
zyklen) kann Reifung und Institutionalisierung auch bedeuten, dass das „Produkt“ Umweltpolitik seine
größten Innovationen schon hinter sich hat und sich auf einem weniger innovations“freundlichen“
Niveau stabilisiert hat. Mit diesem Konzept der Reifung gehen wir im folgenden Kapitel an die
langfristigen Veränderungen heran, die wir (Böcher /Töller 2012) und andere (z.B. Jacob/Jörgens
2011) in der deutschen Umweltpolitik identifizieren können.
6

3. Elemente einer Reifung des Politikfeldes Umweltpolitik
3.1 Probleme
Konstitutiv für ein Politikfeld ist die Existenz spezifischer gegenüber anderen bereits existierenden
Politikfeldern abgrenzbarer Probleme. Vorstellbar ist, dass eine Reifung des Politikfeldes in einer
Ausdifferenzierung der zu bearbeitenden Problemlagen besteht. Denkbar ist auch, dass bestimmte
Problemlagen verschwinden, durch neue ersetzt werden, oder die scheinbar gelösten Probleme neue
Probleme erzeugen, an die zuvor nicht gedacht werden konnte.
In kaum einem anderen Politikfeld wird es so deutlich wie in der Umweltpolitik: Welche Probleme auf
die Agenda kommen, hat nicht nur (manchmal sogar kaum) mir objektiven Problemlagen (also z.B.
der wissenschaftlich entdeckten Gefährlichkeit von Produkten oder Prozessen) zu tun, sondern viel
damit, was gerade Gegenstand öffentlicher Diskussionen („Agenda Setting“) ist, zu aktuellen
Befindlichkeiten oder Ideologien passt oder mit gerade viel diskutierten Instrumenten angegangen
werden kann (Kingdon 1984; Böcher/Töller 2012: 193ff.). Anerkannt ist gerade in der Umweltpolitik-
forschung, dass solche Probleme, die einerseits mit dem menschlichen Sensorium erfahrbar und
andererseits mit regulativen Instrumenten gut bewältigbar sind (Belastung von Wasser und Luft),
bereits in der Frühphase der deutschen Umweltpolitik recht erfolgreich bearbeitet wurden.
Problemlagen verschwanden in ihrer Intensität, z.B. stellen vergiftete Flüsse oder Smog durch
Industrieabgase als wichtige umweltpolitische Probleme der 1970er Jahre heute keine mehr dar. Die
Diskussion um das „Waldsterben“ in den frühen 1980er Jahren ist ein schönes Beispiel für die
Bedeutung der Medien als Agenda-Setter, aber auch kultureller Orientierungen für die Definition von
Problemen. Abfallpolitik begann bereits in den 1980er Jahren, wichtig und gleichermaßen kontrovers
zu sein und sie ist es bis heute.
Bodenschutz und die Erhaltung der Biodiversität sind hingegen Themen, die erst relativ spät ins
politische Bewusstsein gelangten, auch, weil ihre Eigenschaften als persistente Umweltprobleme (oder
neuerdings „wicked problems“ genannt) ein deutlich komplexeres Vorgehen erfordern als die
Verbesserung der Qualität von Luft und Wasser. 3 Solche Probleme verlangen zudem die Koordination
verschiedener Politiken – Politikintegration könnte damit als aktueller Test für eine weitere „Reifung“
der Umweltpolitik aufgefasst werden.
Was also übrig bleibt, „sind einerseits sogenannte ‚wicked‘ oder ‚persistente‘ Probleme, deren
besondere Problemstruktur, verbunden mit der Existenz einflussreicher Vetospieler und komplexen
Verursacher/Nutznießer-Strukturen, die politische Lösungsstrategien von vornherein stark erschwe-
ren“ (Jacob/Jörgens 2011: 14): Klimaschutz und -anpassung, Erhaltung der Biodiversität, Flächen-
versiegelung etc. (z.B. Arnold 2011: 774). Umgekehrt hängen Thematisierung und tatsächliche
politische Bearbeitung umweltpolitischer Probleme auch vom Vorhandensein nicht nur geeigneter,
sondern auch politisch-ideologisch gerade passender Lösungen ab (Jacob/Jörgens 2011: 20;
Böcher/Töller 2012: 286ff.).
3
Das hat aber natürlich auch mit der Veränderung des umweltpolitischen Denkens zu tun, das sich auch von
sektoral-nachsorgend zu ganzheitlich-vorsorgend verändert hat.
7

In den vergangenen Jahren hat die Klimapolitik (Klimaschutz- und Klimaanpassungspolitik), deren
Problemlagen und Lösungen weit über die klassischer Umweltpolitik hinausgehen, in der
Umweltpolitik einen zentralen Platz eingenommen und damit andere Probleme auch verdrängt
(Böcher/Töller 2012: 40).
Die weiter unten gezeigte Verteilung der politischen Maßnahmen auf die verschiedenen Problemfelder
zeigt, welche Probleme wann für regelungsbedürftig und rechtlich regelungsfähig gehalten wurden.
Allerdings wurden gerade in den 1980er Jahren viele umweltpolitische Probleme, die zwar
regelungsbedürftig, aber nicht rechtlich regelungsfähig waren (z.B. weil die Verordnungsermäch-
tigung im Abfall- oder Chemikaliengesetz fehlte oder hohe Anforderungen an die Beweislast stellte,
oder weil das EG-Recht einer Produktregulierung im Wege stand), durch kooperative Instrumente
(Umweltvereinbarungen) in Angriff genommen (und zum Teil durchaus gelöst, siehe Töller 2012),
was in der Abbildung nicht gezeigt werden kann.
3.2 Policies
Als zentrales Element eines gereiften Politikfeldes kann ein gewisser, akkumulierter Bestand an
Regeln gelten. Noweski spricht in diesem Zusammenhang von Verrechtlichung (Noweski 2011: 489),
wobei gerade in der Umweltpolitik neben den rechtlich kodierten Regeln auch die freiwilligen Regeln
mit erfasst werden müssten (s.o.). Noweski schreibt hierzu: „Die fortgeschrittene Kodifizierung des
Regulierungssystems kann als Hinweis auf Reife betrachtet werden, denn sie ist Ausdruck der
Anerkennung gesellschaftlicher Relevanz durch den Staat sowie ein Zeichen struktureller
Verstetigung“ (Noweski 2011: 489).
In der Umweltpolitik gibt die Anzahl der Gesetze und Verordnungen aus dem Geschäftsbereich des
BMU einen ersten Hinweis auf diesen „akkumulierten Bestand an Regeln“. 2011 waren dies 259.
Tab. 1: Gesetze und Verordnungen aus dem Geschäftsbereich des BMU
Einträge Anzahl
Verordnungen 165
Gesetze 82
Anordnungen 7
Bekanntmachungen 4
Durchführungsbestimmung 1
Rechtsvorschriften Gesamt 259
Quelle: http://www.bmu.de/gesetze_verordnungen/alle_gesetze_verordnungen_bmu/doc/35501.php)
8

Abbildung 1: Die Entwicklung der Umweltgesetzgebung
Quelle: eigene Berechnungen nach:
http://www.bmu.de/gesetze_verordnungen/alle_gesetze_verordnungen_bmu/doc/35501.php
Betrachtet man die jährlich verabschiedeten umweltpolitischen Gesetze und Verordnungen in
Deutschland von 1969 bis 2011, so zeigt sich, dass hier – ebenso wie in anderen noch zu
diskutierenden Bereichen – keine einfache „je mehr Normen desto reifer“-Ratio aufgemacht werden
kann, denn nachvollziehbarerweise stellt sich – jenseits der Schwankung von Regelungsaktivitäten
innerhalb von und zwischen Legislaturperioden ab irgendeinem Punkt auch eine gewisse Sättigung
ein: Immer weniger Bereiche bleiben gänzlich unreguliert (Jacob/Jörgens 2011: 6), die Regulierungs-
dichte nimmt zu. In der Grafik zeigen dies z.B. die neu hinzugekommenen Bereiche Chemikalienrecht
und Erneuerbare Energien / Klimaschutz. Differenziert man die Gesetze nach ihren Regelungsfeldern,
so zeigt sich im Zeitverlauf eine deutliche Diversifizierung der Regelungsfelder, was vor allem
zusammenhängt mit der Definition neuer Probleme (s.u.). Dies zeigt die Grafik deutlich, da ab den
1990er Jahren der zuvor eindeutig dominierende Bereich „Immissionsschutz“ von anderen
Regelungsbereichen wie Abfallwirtschaft „eingeholt“ wird: die „weißen Flecken“ in der Grafik
(=Jahre, in denen in bestimmten Regelungsbereichen keine Gesetze oder Verordnungen erlassen
wurden) nehmen deutlich ab.
Allerdings kann man mit der Identifikation des legislativen Outputs anerkanntermaßen nur die
berühmte „Spitze des Eisbergs“ abbilden, da insbesondere in der Umweltpolitik ein erheblicher Teil
der Normsetzung durch untergesetzliche Normen (neben Rechtsverordnungen technische Anleitungen
9

etc.) erfolgt. Die zunehmende Verdichtung und Ausdifferenzierung von Regelungen lassen sich aber
auch anhand einzelner Gesetze verfolgen: So wurden auf der Basis des jeweils geltenden Abfall-
gesetzes (Varianten von 1972, 1986, 1994) seit Beginn der 1990er Jahre die verschiedensten
Verordnungen zur getrennten Sammlung und Entsorgung verschiedener Produktgruppen (Ver-
packungen, Batterien, Altautos, Elektroschrott) verabschiedet (Böcher/Töller 2012: 45f.).
Ob mit zunehmender Regulierungsmenge und -dichte allerdings tatsächlich eine kontinuierliche
„Ausweitung und Verschärfung des umweltpolitischen Regulierungsniveaus“ bedeutet, oder ob neben
Auf- nicht auch Abschwünge zu beobachten sind, ist in der Umweltpolitikforschung umstritten
(Jacob/Jörgens 2011 mit Referenzen). Mit dem Eintreten einer gewissen Sättigung der
Umweltregulierung verschiebt sich zudem der Fokus von der Formulierung neuer auf die
Novellierung, Umsetzung und Anwendung bestehender Politiken (Jacob/Jörgens 2011: 7f.), was dann
als schwierig erscheint, wenn mit der Zunahme an Regulierungsmenge und -dichte die administrativen
Kapazitäten zur Anwendung dieser Regeln auf der kommunalen Ebene nicht nur nicht aus- sondern
noch abgebaut werden (SRU 2007: 95ff.). Hinzu kommt, dass mit der Vielzahl der Maßnahmen die
Wahrscheinlichkeit dysfunktionaler Maßnahmen und sich gegenseitig behindernder Maßnahmen
zunimmt (Jacob/Jörgens 2011: 6). Damit würde eine Reifung ggf. eine stärkere Prioritätensetzung
erfordern, die, so Jacob/Jörgens, in anderen Politikfeldern längst erfolgt sei, in der Umweltpolitik
jedoch nicht (Jacob/Jörgens 2011: 6).
Als Reifungsprozess wird in Teilen der umweltpolitischen Literatur neben der kumulativen Zunahme
und der thematischen Diversifizierung der Regulierungstätigkeit auch die Veränderung der Nutzung
von Instrumenten diskutiert. Während der regulative, auf den Stand der besten verfügbaren Technik
setzende Regulierungsstil lange Zeit als Markenzeichen der deutschen Umweltpolitik galt (Rose-
Ackermann 1995; Lees 2007) und gerade ökonomischen Instrumenten (im internationalen Vergleich)
lange der Sprung von den Lehrbüchern in die politische Praxis verwehrt blieb (Böcher 2009), ist die
deutsche Umweltpolitik spätestens seit dem Einstieg in die ökologische Steuerreform 1999 durch eine
zunehmende Diversifizierung des tatsächlich eingesetzten Instrumentenkastens gekennzeichnet.
Allerdings kann es für derartige Reifung auch Hindernisse geben. Zwar sind sich Experten inzwischen
weitgehend einig, dass die sektoralen Umweltpolitiken an strukturelle Grenzen stoßen und daher
Politikintegration (so unrealistisch sie auch sein mag) erforderlich sei, aber gerade dort, wo (wie in
Deutschland) der Bestand an solchen sektoralen rechtlichen Regeln besonders ausgeprägt ist, sind (der
Logik der Pfadabhängigkeit folgend) die Barrieren für transsektorale Ansätze größer als anderswo
(Jacob/Jörgens 2011: 7). In den normativen Worten von Jacob/Jörgens: „Die Erfolge von gestern
werden dann schnell zu den Restriktionen von morgen“ (Jacob/Jörgens 2011: 7) oder aber analytisch
ausgesprochen: Schnelle Reifung mit einem gewissen Sättigungsgrad erschwert spätere weitere
Ausreifung bzw. die Logik der Pfadabhängigkeit behindert Policy-Wandel.
3.3 Akteure
Noweski führt aus, dass ein wichtiges Element der Reifung von Politikfeldern die Festigung von
Rollenerwartungen und die Routinisierung der Beziehungen zwischen Akteuren sei (Noweski 2011:
484). Dies gelte für staatliche Akteure ebenso wie für gesellschaftliche Akteure. Auch Jacob und
Jörgens konstatieren für die deutsche Umweltpolitik eine Routinisierung von Prozessen, die es
10

erlauben, organisatorische Unübersichtlichkeit zu strukturieren und damit Handlungskapazitäten zu
erhöhen (Jacob/Jörgens 2011: 9). Allerdings können Routinen und Routinehandeln auch die adäquate
Reaktion auf neue Probleme und die Entstehung innovativer Problemlösungen erschweren
(Jacob/Jörgens 2011: 9). Diese Bobachtung geht konform mit Forschungen zu Politikwandel, nach
denen politischer Wandel nicht durch Handeln in Routinen entsteht. Auch in der ökonomischen
Innovationsforschung sind es nicht die Routinehandelnden, die Wandel anstoßen, sondern innovative
„Entrepreneure“, Akteure, die nicht nach Routinen agieren (Schumpeter 1927). Reifung erlangt daher
eine Doppeldeutigkeit: Sie impliziert, dass ein Politikfeld etabliert ist, sich ein Zusammenspiel
zwischen Akteuren herausgebildet hat, Prozesse durch festgelegte Spielregeln ablaufen, ein Politikfeld
auch von anderen Akteuren wahrgenommen werden kann. Das kann im Vergleich zur
Entstehungsphase eines Politikfeldes ein Vorteil sein, da die Routinisierung der Akteursbeziehungen
auch gegenseitige Unsicherheiten in Bezug auf die Handlungserwartungen der anderen abbauen hilft –
Ganz im Sinne Axelrods können kooperative Entscheidungen entstehen, die dem Politikfeld und
seinen Problemlösungen zugutekommen. Zu viel Routine, also ein gewisser Grad der „Übersättigung“
an Reife kann ein Politikfeld jedoch auch immun gegenüber substanziellen Veränderungschancen
machen. Mit der Neuen Institutionenökonomik gesprochen: Im Zustand der Reife machen es sich die
Akteure innerhalb gewachsener institutioneller Arrangements bequem, genießen die ihnen dadurch
entstehenden „Auszahlungen“, infolgedessen es zu „Lock-In-Effekten“ (Erlei et al. 1999: 526) kommt
– da alle Akteure von einer eingespielten Routine profitieren, ist das gesamte Arrangement immun
gegenüber Veränderungen, z.B. in Form neuer Akteure, die Zugang suchen, oder politischen
Lösungen, die diese Routinen und die mit diesen verbundenen Vorteile für manche Akteure gefährden.
Kurz: Was die Akteure und ihre Interaktion angeht, kann „Reifung“ zu ambivalenten Folgen führen.
Bei der Betrachtung der Akteure wird der Staat als ein besonderer Akteur angesehen. Die
Institutionalisierung und Konsolidierung leistungsfähiger gouvernementaler Strukturen ist
bekanntermaßen ein langfristiger Prozess und kann als ein Element der Reifung eines Politikfeldes
verstanden werden (Noweski 2011: 485): „Im Verlauf der Ausreifung akkumuliert der Staat Expertise,
Geld und Legitimation…“. Organisatorische Spezialisierung und Aufbau von Expertise gelten danach
als Grundvoraussetzung für die Etablierung und von Politikfeldern.
In Deutschland gab es lange Zeit kein eigenständiges Bundes-Umweltministerium, das
Innenministerium war zunächst verantwortlich für umweltpolitische Fragen. Allerdings entstand mit
der Errichtung des Umweltbundesamtes 1974 ein wichtiger Akteur im Politikfeld Umweltschutz
(Döhler 2007: 151), was einen wichtigen Meilenstein der Etablierung der Umweltpolitik als
Politikfeld darstellte. Im UBA wurden der von Noweski beschriebene notwendige Aufbau und die
Akkumulation von Expertise betrieben: Das Umweltbundesamt wurde errichtet, damit es
wissenschaftsbasiert Ministerien (zunächst vor allem Innen-, seit 1986 dann Umweltministerium)
berät, als Vollzugsbehörde Gesetze vollzieht und umweltrelevante Informationen der Bevölkerung
bereitstellt (Böcher/Krott 2010). „Das UBA erlangte in der öffentlichen Wahrnehmung nicht nur den
Ruf, „die“ Umweltbehörde des Bundes zu sein, sondern konnte als Quasi-Monopolist für
umweltpolitische Expertise agieren (…)“ (Döhler 2007: 293). Parallel dazu kann am Beispiel der
deutschen Umweltpolitik beobachtet werden, wie aufgrund der Entstehung eines neuen Politikfeldes
das notwendige Wissen anhand wissenschaftspolitischer Interventionen aufgebaut werden sollte
(Küppers/Lundgreen/Weingart 1978). Aufbau und Akkumulation von Expertise können für die
11

deutsche Umweltpolitik als Faktor zu deren Etablierung (Reifung) beobachtet werden. Diese von
Noweski und anderen (z.B. Massey/Huitema 2012) betonte Akkumulierung von Wissensbeständen,
die als ein Element der Reifung von Politikfeldern gelten können, sehen wir bei den Akteuren
angesiedelt. Dazu gehören die Gründung umweltpolitisch relevanter Sachverständigengremien wie des
SRU 1971 und ,die Ausdifferenzierung wissenschaftlicher Bereiche (wie im Fall der Umweltpolitik
z.B. die Bindestrich-Disziplinen Umweltrecht, Umweltchemie, Umweltmedizin, Umweltsoziologie
etc.) und die Entstehung neuer privater und öffentlicher Umweltforschungseinrichtungen wie das
Wuppertal-Institut oder das Öko-Institut.
Die Einrichtung von Umweltministerien und spiegelbildlichen Parlamentsausschüssen (in Deutschland
1986) und damit die Entstehung zweier wichtiger korporativer Akteure können als wichtige Elemente
der weiteren Etablierung (Reifung) des Politikfeldes interpretiert werden. Allerdings gehört in
Deutschland die ambivalente Ausstattung des Bundesumweltministeriums mit Machtressourcen (v.a.
gegenüber anderen Ressorts wie dem Wirtschafts- und Finanzministerium) zu einer Grundkonstante
der Umweltpolitik. Das BMU ist gegenüber anderen Ministerien personell eher bescheiden
ausgestattet (Weidner/Jänicke 1998: 213), verfügt über keine Vetorechte, und neben dem BMU (bis
1986 das BMI) haben auch weitere Ministerien für umweltpolitisch relevante Teilaspekte die
Federführung. 4 Ende der 1970er Jahre musste sich das damals für Umweltpolitik zuständige
Innenministerium die Kompetenzen für die Chemikalienregulierung mit zwei weiteren Ressorts (dem
Bundesministerium für Arbeit und dem Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit)
teilen (Müller 1998: 41). Zwar erhielt das BMU 1990 die Federführung für die Klimapolitik, aber das
Wirtschaftsministerium blieb zuständig für die Energiepolitik, und auch einige andere Ministerien
behielten relevante Kompetenzen (vgl. Hartkopf/Bohne 1983: 145; Weidner/Jänicke 1998: 205;
Müller 1998: 42). Wenn es um die Einführung oder Veränderung von Steuern geht, spielt das
Finanzministerium und dessen Interesse an der Schaffung von Einnahmen für den Staatshaushalt eine
zentrale Rolle. Seit jeher nimmt das Umweltministerium eine v.a. gegenüber dem Wirtschafts-
ministerium inferiore Position ein (Müller-Brandeck-Bocquet 1996: 168; Pehle 1998: 60ff.; Dryzek et
al. 2002: 371). Die Konfliktlinie zwischen Wirtschafts- und Umweltministerium (vor der Einrichtung
des BMU auch zwischen Wirtschafts- und dem für Umweltfragen zuständigen Innenministerium)
einerseits und die Machtasymmetrien zwischen beiden andererseits bestimmen die deutsche
Umweltpolitik wie kein anderer Faktor (vgl. Pehle 1998; Wurster 2010: 256f.).
Dieses Grundmuster unterliegt gleichwohl gewissen Schwankungen im Zeitverlauf, die u.a. mit der
Person des/der Umweltministers/in zusammenhängen. So hatte Umweltpolitik unter Klaus Töpfer
Ende der 1980er Jahre noch eine relativ starke Position, die aber schon Anfang der 1990er Jahre zu
schwinden begann. Die Machtasymmetrien zwischen dem BMU und den anderen Ministerien
verschärften sich 1993 und 1994, als das Ministerium in besonderem Maße Haushaltskürzungen zu
spüren bekam (Müller-Brandeck-Bocquet 1996: 168), die man auch als Ausdruck ordnungspolitischer
Präferenzen interpretieren kann. Mit der Benennung der damals politisch unprofilierten Angela Merkel
zur Umweltministerin 1994 wurde die machtpolitische Inferiorität des BMU gegenüber dem BMWi
4 Wir beschränken uns hier auf das Verhältnis zwischen den Ministerien und gehen nicht auf die – ebenfalls
spannende – Frage des Verhältnisses zwischen politischer Führung des Ministeriums und Ministerialverwaltung
ein (siehe aber Smeddinck/Tils 2001: 297ff.).
12

esiegelt. Im Gegensatz dazu verschärfte sich der Konflikt zwischen BMU und BMWi tendenziell
unter der rot-grünen Koalition ab 1998. Sigmar Gabriel, der das BMU unter der großen Koalition
leitete, galt als relativ starker Umweltminister (Jänicke 2010). 5
Betrachtet man die organisatorische Spezialisierung als Voraussetzung für die Etablierung eines
Politikfeldes, so zeigt allerdings der Blick in die Bundesländer, dass dort zwar im Laufe der Zeit auch
Umweltministerien entstanden, diese jedoch inzwischen weitgehend wieder abgeschafft bzw. der
Umweltschutz mit sogenannten „Verursacherinteressen“ (z.B. Landwirtschaft oder Bau) gemeinsam in
einem Ressort untergebracht ist, was als einer starken Vertretung von Umweltinteressen eher
abträglich gilt (SRU 2007: 90).
Des Weiteren rechnet Noweski für die Ausreifung von Politikfeldern den Verbänden eine wichtige
Rolle zu, wenngleich seine Gleichung, je mehr Verbände existierten (ggf. in policy-koordinierender
Form), desto reifer sei das Politikfeld (Noweski 2011: 484), nicht gilt. In der Gesundheits- und
Sozialpolitik können in jüngerer Zeit eher ein Rückgang der Verbandsbeteiligung und eine
Autonomisierung staatlicher Akteure beobachtet werden, ohne dass dies die Reife der Politikfelder in
Frage stellen würde. Auch in der Umweltpolitik kann man beobachten, dass die in großem Maßstab
policy-koordinierende Rolle von Wirtschaftsverbänden, auf die sich Noweski bezieht, in Deutschland
ein Übergangsphänomen war, das seit Ende der 1990 Jahren kaum noch eine Rolle spielt (Töller 2012)
und daher nicht als Reifungsphänomen interpretiert werden sollte. Eine Wandlung, die man als
Reifungsprozess verstehen kann, lässt sich bei den Umweltverbänden beobachten. Grundsätzlich
verstehen sich Umweltverbände als „Korrektiv“ im umweltpolitischen Prozess (Hey 2008: 25) und
beteiligen sich traditionell durch Protest oder durch die Unterstützung gerichtlicher Verfahren (Roose
2009: 111). Allerdings hat Protest als Handlungsform in den letzten 20 Jahren an Bedeutung
abgenommen (Rucht 2007: 527), und die Protestformen haben sich deutlich gewandelt. Noch Ende der
1980er Jahre gingen Beobachter einhellig davon aus, dass angesichts asymmetrischer Organisations-
und Konfliktfähigkeit der Verbände den Wirtschaftsverbänden allenfalls von Seiten der
Gewerkschaften, nicht aber von Seiten der Umweltverbände etwas entgegen gesetzt werden könnte
(z.B. Rey 1990: 124, 136f.). Dies kann heute nicht mehr uneingeschränkt gelten. Zwar besteht immer
noch ein erhebliches Ungleichgewicht in der Ressourcenausstattung, was sich beispielsweise auswirkt,
wenn es darum geht, die eigenen Positionen fachlich zu untermauern (Pehle 1998: 174; 182f.). Aber
die Zugangsmöglichkeiten zu staatlichen Institutionen sind nicht mehr in demselben Maße disparat
wie noch in den 1990er Jahren (Knöpfel 1999: 107; Pehle 1998: 183ff.; Jänicke et al. 1999; von
Winter 2001: 218), und das Klima ist deutlich weniger konfliktiv. Manche Autoren sprechen in diesem
Zusammenhang sogar von „Gegnerfreiheit“, die Umweltverwaltung sei zum Bündnispartner der
Verbände geworden (Hey 2008: 28).
Eine neue, wichtige Machtressource erhielten die Umweltverbände Ende 2006, als ihnen (veranlasst
durch die europäische Richtlinie zur Öffentlichkeitsbeteiligung 2003/35) durch das Umwelt-
Rechtsbehelfsgesetz ein sogenanntes Verbandsklagerecht eingeräumt wurde. Waren bis dahin nur
5
Auch das Verhältnis zwischen der Exekutive und dem Parlament im Zeichen der zunehmenden Bedeutung
wissenschaftlicher Expertisen und ebensolcher Expertengremien wäre ein interessantes Thema
(Jacob/Jörgens 2011: 17f.), dem wir uns hier nicht weiter widmen können.
13

Naturschutzverbände berechtigt, bestimmte Verstöße gegen Naturschutzrecht vor Gericht geltend zu
machen, so erhielten nun alle vom UBA anerkannten Umweltverbände das Recht, z.B. behördliche
Genehmigungen für die Errichtung von Industrieanlagen, Anlagen zur Müllverbrennung oder
Energieerzeugung, große Tiermastbetriebe sowie für den Straßenbau durch Gerichte prüfen lassen,
und zwar unabhängig davon, ob sie selbst von der behördlichen Entscheidung betroffen sind (Alle-
weldt 2006; Koch 2007). Dieses Recht wurde durch eine EuGH-Entscheidung von 2011 noch gestärkt
(Böcher/Töller 2012: 131f.).
Gewandelt hat sich nicht nur die Macht der Umweltverbände, sondern auch ihr Verhalten. So verhal-
ten sich Umweltverbände heute nicht mehr ausschließlich konfrontativ gegenüber Wirtschaftsinteres-
sen, was u.a. auf eine „Auflösung alter Feindbilder“ zurückzuführen ist (Jacob/Jörgens 2001: 11),
manche Autoren sprechen auch von einer partiellen „Entradikalisierung“ der Umweltbewegung.
Aufgrund der prinzipiellen Anerkennung umweltpolitsicher Belange und der Expertise der
Umweltverbände ist es heute für diese lohnender, Ressourcen in Lobbying zu stecken (Roose 2009:
111). Dass die Umweltverbände dazu überhaupt in der Lage sind, ist auch auf einen „Professionalisie-
rungsschub“ in ihrer Arbeit zurückzuführen, der seinerseits auf dauerhaft wachsende Mitgliederzahlen
und damit gesicherte Ressourcen zurückzuführen ist (Roose 2009: 110). Damit einher geht allerdings
die Relativierung des einst konstitutiven Ehrenamtes (Hey 2008: 28). Insgesamt sind die „tiefen
ideologischen Gräben auch innerhalb des Feldes der Umweltinteressenvertretung […] weitgehend
verschwunden, es wird regelmäßig und in wechselnden Konstellationen kooperiert“ (Roose 2009: 111;
Wurster 2010: 226). Selbst Kooperationen mit Firmen sind nicht mehr grundsätzlich verpönt
(Jacob/Jörgens 2001).
Diese Entschärfung von Kontroversen zwischen verschiedenen Akteuren bezeichnet Noweski als ein
wichtiges Merkmal einer Reifung von Politikfeldern (Noweski 2011: 484). Es setze sich im Laufe der
Zeit die Erkenntnis durch, dass Verständigung auf Dauer vorteilhafter ist als Konfrontation (Noweski
2011: 485 mit Verweis auf Axelrod 1984). Das hat natürlich mit der – bei etablierten Politikfeldern
erwartbaren – Wiederholung von Interaktionen zu tun, die Kooperation klüger erscheinen lassen als
Konfrontation.
3.4 Institutionen
Die Bedeutung von Institutionen in Politikfeldern ist komplex und kann hier für das Politikfeld
Umweltpolitik nur selektiv angesprochen werden (siehe im Einzelnen Böcher/Töller 2012: 151ff).
Institutionen im Sinne von Regelsystemen sind nach unserer Einschätzung insbesondere die
Grundlage für das, was Massey und Huitema als einen von drei Pfeilern eines Politikfeldes betrachten:
„Authority“ im Sinne der Befugnis und der Fähigkeit, verbindliche Regeln zu setzen. Das zeigt sich
sowohl im nationalen Kontext, wo die föderale Kompetenzstruktur darüber entscheidet, auf welcher
Ebene (Bund oder Land) nach welchen Regeln welche umweltpolitischen Gesetze in welchem Rege-
14

lungsfeld verabschiedet werden dürfen, aber auch im europäischen und internationalen Kontext, denn
die deutsche Umweltgesetzgebung ist in starkem Maße europäisiert und internationalisiert. 6
3.2.1 Institutionen als Rahmenbedingungen: nationaler Kontext
Die Entwicklung der umweltpolitischen Kompetenzen im deutschen Föderalismus ist nur bedingt als
Reifungsprozess zu konzeptualisieren. Die Umweltpolitik ist ein Bereich, in dem – u.a. aufgrund
übergeordneter Regelungserwägungen – in den 1970er Jahren zunächst eine deutliche „Unitari-
sierung“ der Kompetenzen beim Bund stattgefunden hat: so wurden die Bereiche Luftreinhaltung,
Lärmbekämpfung und Abfallbeseitigung in den Kompetenzkatalog für die konkurrierende
Gesetzgebung (Art. 74 Nr. 24 GG) aufgenommen (Müller 1986: 83; Müller-Brandeck-Bocquet 1996:
123; Pehle 1998: 199). Die Folge war einerseits die weitgehende Begrenzung der Landeskompetenzen
in der Umweltpolitik auf Naturschutz und Landschaftspflege sowie Wasserschutz (hier hatte der Bund
nur die Kompetenz für die Rahmengesetzgebung nach Art. 75 Nr. 3 und 4 GG, siehe Volkery 2007)
und andererseits ein zunehmender Einfluss der Länder über den Bundesrat auf die Bundes-
gesetzgebung (siehe Müller-Brandeck-Bocquet 1996: 124ff.).
Während diese Zentralisierung der Kompetenzen der Etablierung des Politikfeldes insgesamt
zuträglich war (Wurster 2010: 255), führte die gerade erwähnte Konstellation, die Bestandteil der von
Scharpf so bezeichneten „Politikverflechtung“ ist (Scharpf 1985; Posse 1986), durch die Überlagerung
föderaler Konfliktlinien mit parteipolitischen Konfliktlinien zu einer Anfälligkeit der Entschei-
dungsfindung für Blockaden. Es gibt eine Reihe von Beispielen, etwa in der Abfallpolitik, in denen die
Beteiligung des Bundesrates durch Veto-Positionen zu jahrelangen Entscheidungsverzögerungen
geführt hat (Hoffmann 2011: 116; Töller 2012: 125ff.). Auch wenn dies nicht systematisch empirisch
untersucht worden ist, gehen die meisten Studien aber davon aus, dass es in der Umweltpolitik nicht
strukturell zu „Reformblockaden“ gekommen ist (Wurster 2010: 258). 7
Die Föderalismusreform I von 2006 gilt für die Umweltpolitik als Zäsur, denn sie hat die
Kompetenzordnung für die Umweltpolitik in bedeutender Weise geändert. 8 Der Kern dieser
Veränderung für die Umweltpolitik liegt in drei Bereichen:
Erstens wurde die Rahmengesetzgebung abgeschafft, und die bisher dort zugehörigen Materien
(Naturschutz, Landschaftspflege sowie Wasserhaushalt) wurden in die konkurrierende Gesetzgebung
aufgenommen. 9 Zweitens wurde die bisher geltende Erforderlichkeitsklausel 10 für die Bereiche
6
Auf den Einfluss internationaler (Umwelt-)Politik auf die deutsche Politik können wir im Rahmen dieses
Papiers nicht eingehen, siehe aber Böcher/Töller 2012: 171ff.
7
Diese Kompetenzlage hatte aber eine andere wichtige (und empirisch gesicherte) Auswirkung: sie ist die
Ursache für das immer noch stark nach einzelnen Umweltmedien (Luft, Wasser, Boden) sektoralisierte
deutsche Umweltrecht, zu dessen Integration das Umweltgesetzbuch beitragen sollte (Eppler 2010: 155).
Diese Kompetenzlage erschwert die Realisierung integrierter, sektorübergreifender Regulierungsansätze, wie
sie u.a. von der Europäischen Union (s.u.) verfolgt werden. Darüber hinaus erschwert die Sektoralisierung
grundsätzlich die Umsetzung europäischen Umweltrechts (Eppler 2010: 166ff.)
8
Zu den vorangegangenen Diskussionen für die Umweltpolitik siehe Eppler 2010: 169-180.
9
Konkurrierende Gesetzgebung bedeutet, dass die Länder Gesetze verabschieden dürfen, solange und soweit
der Bund von seiner Zuständigkeit keinen Gebrauch macht.
10
Danach steht dem Bund ein Gesetzgebungsrecht nur zu, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger
Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im
gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht (SRU 2006: 4).
15

Luftreinhaltung, Lärmbekämpfung sowie Naturschutz und Wasserhaushalt abgeschafft, für den
Bereich der Abfallwirtschaft wurde sie aufrechterhalten. Eine gravierende Veränderung bestand
zudem drittens darin, dass die Länder im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz seit
Januar 2010 das Recht haben, abweichende Regelungen zu beschließen (Abweichungsrecht, Mammen
2007), und zwar in den Bereichen Naturschutz und Landschaftspflege (ohne die Grundsätze des
Naturschutzes, Recht des Artenschutzes und Meeresschutzes) und für den Wasserhaushalt (mit
Ausnahme der Regelung zu stofflich- oder anlagenbezogenen Regelungen).
Diese neue Abweichungskompetenz der Länder wurde in der Literatur zunächst höchst kontrovers
diskutiert (siehe auch Eppler 2010: 178ff.). Während die einen hier Möglichkeiten einer
Verwirklichung des Subsidiaritätsprinzips und die Berücksichtigung einer „länderspezifischen Vielfalt
an Modellen“ (Koch/Krohn 2006) sowie eine Chance für föderalen Wettbewerb sahen (Mammen
2007: 379; skeptisch zum Wettbewerb: Benz et al. 2007: 125), fürchteten andere eine Zersplitterung
der Gesetzgebung und einen Wettlauf um die niedrigsten Umweltstandards, einen ökologischen „race
to the bottom“ (Ingerowski 2006; SRU 2006: 11ff.).
Da die Abweichungskompetenz erst ab Januar 2010 gelten sollte, war es eines der Ziele des geplanten
Umweltgesetzbuchs, zuvor einen sogenannten abweichungsfreien Kern für die Bereiche Naturschutz
und Wasserschutz bundesgesetzlich festzulegen. Nachdem das UGB im Februar 2009 scheiterte,
gelang es aber, diesen Kern in vier Gesetzen, die vor allem das Wasserrecht, das Naturschutzrecht und
das Strahlenschutzrecht novellierten, 2009 zu regeln. Damit galten zum ersten Mal bundesweite
Vollregeln zum Naturschutz- und Wasserrecht.
Insbesondere für den Naturschutz ist nach wie vor umstritten, ob durch die neue Kompetenzlage a) der
Naturschutz als solcher und b) die Position des Bundes im Naturschutz gestärkt oder geschwächt
worden ist (siehe z.B. SRU 2008a: 349f.). Hatte der Bund hier zuvor die Kompetenz, den Ländern
einen Rahmen vorzugeben, so hat der Bund nun zwar erstmals die Kompetenz, Vollregelungen zu
beschließen, aber von diesen durch Bundesrecht gesetzten Standards können die Länder gem. Art. 72
Abs. 2 Nr. 3 „durch Gesetz … abweichende Regelungen treffen“. Ausgenommen vom Abweichungs-
recht sind u.a. die allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes und das Recht des Artenschutzes. Was
allerdings unter diese allgemeinen Grundsätze fällt und was nicht, ist unter Experten umstritten.
Bislang ist offen, wie geneigt die Länder sein werden, in einzelnen Fragen, etwa beim Gebot des
Ausgleichs naturschutzrelevanter Eingriffe, abweichende Regelungen zu treffen, und ob diese
Regelungen dann zwingend beim ökologischen Schutzniveau „nach unten“ abweichen. Denkbar ist
auch, dass die Länder mit der Androhung solcher abweichender Gesetze Einfluss auf die
Bundesgesetzgebung nehmen (Lübbe-Wolff 2009: 53), womit zumindest das Ziel der „Entflechtung“
von Kompetenzen (dass also Kompetenzen entweder bei den Ländern oder beim Bund liegen und so
beide Ebenen unabhängig voneinander effektiv entscheiden können und die Zuständigkeit auch von
den Bürger/innen erkennbar ist) verfehlt würde (SRU 2008a: 350).
Zwar kann man die Kompetenzzentralisierung Anfang der 1970er Jahre als Schaffung von authority
auf der Bundesebene deuten, aber die Veränderung mit der ersten Föderalismusreform von 2005 mit
der Abschaffung der Rahmengesetzgebung und der Einführung des Abweichungsrechts der Länder
16

weist eher wieder in die gegenteilige Richtung. Alles in allem kann man also die Entwicklung der
umweltpolitischen Kompetenzen als eigenwillige Entwicklung, aber kaum als Reifung interpretieren.
3.2.2 Institutionen als Rahmenbedingungen: europäischer und internationaler Kontext
Die Internationalisierung und Europäisierung der Umweltpolitik wird heute von niemandem mehr
bestritten. Auch für Jacob/Jörgens ist dieses Phänomen ein wichtiges Element der Entwicklung des
Politikfeldes (Jacob/Jörgens 2011: 13).
Die Autorität deutscher (sowohl bundesstaatlicher als auch Landes-) Politik, Umweltpolitiken zu
verabschieden, ist bereits seit Beginn der deutschen Umweltpolitik, verstärkt jedoch seit Inkrafttreten
der Einheitlichen Europäischen Akte, deutlich eingeschränkt. Das liegt zum einen daran, dass die
Vertragsnormen zum Freien Warenverkehr nationalen Regelungen die den Effekt mengenmäßiger
Beschränkungen haben (z.B. Produktregulierungen), nur unter sehr engen Bedingungen erlauben, und
zum anderen daran, dass die EU seit 1987 in mehreren Schritten selber Kompetenzen zur
Verabschiedung umweltpolitischer Regulierung erhalten und diese auch genutzt hat (Lenschow 2010:
311). 11 Mit dem Transfer umweltpolitischer Regelungskompetenzen seit 1987 hat die Gemeinschaft
aber keine im Sinne der deutschen Verfassungslogik ausschließliche Kompetenz erhalten. Vielmehr
handelt es sich um konkurrierende Kompetenzen (Palme 1992: 44), die Mitgliedstaaten behalten das
Recht, dort, wo die Gemeinschaft nicht umfassend geregelt hat, selbst zu regeln, allerdings im Rahmen
der sonstigen Regelungen des Vertrags, und das meint insbesondere die Regelungen zum Binnenmarkt
(Krämer 1995: 100). Das macht auch der Vertrag von Lissabon deutlich, innerhalb dessen die Um-
weltpolitik (geregelt in den Art. 191-193 AEUV ) in die Kategorie der geteilten Zuständigkeit fällt
(Art. 4 AEUV).
Wo die Gemeinschaft die ihr übertragenen Kompetenzen wahrnimmt, entsteht supranationales Recht,
das entweder (im Fall von Richtlinien) die Mitgliedstaaten zur Umsetzung in nationales Recht
verpflichtet, oder aber (im Fall von Verordnungen) in den Mitgliedstaaten direkt anwendbar ist. Auch
das europäische Vertragsrecht kann zum Teil direkte Wirkung entfalten. Auf jeden Fall aber genießt
europäisches Recht Vorrang vor nationalem Recht (Burley/Mattli 1993; Hofmann 2008). Prinzipiell
gilt die Implementation europäischen Umweltrechts als besonders kritisch, weil die Union hier auf die
Mitgliedstaaten angewiesen ist (Lenschow 2010: 313, 322ff.). Unter allen Vertragsverletzungs-
verfahren entfallen die meisten auf das Umweltressort (Lenschow 2010: 322).
Diese gerade grob skizzierten institutionellen Rahmenbedingungen haben für das Politikfeld
Umweltpolitik in Deutschland drei wesentliche Folgen (Töller 2012: 256):
Erstens: Viele Arten nationaler Regulierung (v.a. Produktregulierung) sind gar nicht mehr oder nur mit
Schwierigkeiten möglich (man denke an das jahrelang schwelende und 2004 zum Abschluss gekom-
mene Verfahren gegen die Verpackungsverordnung vor dem EuGH; Töller 2012: 277f.).
Zweitens ist die verbleibende nationale Umweltgesetzgebung in hohem Maße europäischen Vorgaben
unterworfen: um die 80% aller Umweltgesetze auf der Bundesebene haben auf die eine oder andere
11
Aber auch zuvor und fortlaufend wurden und werden umweltpolitische Maßnahmen, auch auf die
Kompetenznorm für den Binnenmarkt gestützt (z.B. Geradin 1993: 166ff.; Vogel et al. 2005: 248),
beschlossen.
17

Weise einen „europäischen Impuls“ (Töller 2008) – die Umweltpolitik ist damit (unter
Qualifikationen, die mit der Messmethode zusammenhängen) das am stärksten europäisierte
Politikfeld überhaupt.
Drittens: Auch die institutionellen Grundlagen der deutschen Umweltpolitik werden durch die
europäische Politik deutlich verändert, man denke an das bereits erwähnte Klagerecht für Umweltver-
bände. Aber auch die Föderalismusreform I mit der oben dargestellten Veränderung der umweltpoliti-
schen Kompetenzen kann man jedenfalls auch als Auswirkung der Anforderungen des europäischen
Umweltrechts interpretieren: Weil die Zersplitterung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern
nach Regelungsfeldern immer wieder zu Schwierigkeiten bei der Umsetzung europäischen Rechts
führte, war die Verbesserung der „Europatauglichkeit“ des deutschen Föderalismus ein immer wieder
diskutiertes Anliegen, dem man – jedenfalls nach der Einschätzung von Eppler – mit einer
Überwindung des sektoralisierten Ansatzes zumindest näher gekommen ist (Eppler 2010: 187f.).
Dabei muss freilich beachtet werden, dass Europäisierung nicht eine unumstößliche Tatsache, sondern
vielmehr eine (durchaus selektive) Analyseperspektive ist, die auf die Veränderung auf der Ebene der
Mitgliedstaaten abhebt, während sie die Rolle ebendieser Mitgliedstaaten bei der Schaffung europä-
ischen Rechts gerne ausblendet. 12
Auch wenn diese institutionelle Entwicklung im europäischen Kontext alles in allem sicherlich auch
der Sicherung der ökologischen Handlungsfähigkeit im europäischen Binnenmarkt dient, so wäre
deren Interpretation als Reifungsprozess doch problematisch, denn für das Politikfeld Umweltpolitik
stellen diese Entwicklungen erhebliche Restriktionen dar, die so weit gehen, dass man sich fragen
muss, ob die Vorstellung des Politikfeldes Umweltpolitik als national zu definierende Einheit
überhaupt noch eine realitätsangemessene Vorstellung ist.
4. Reifung von Politikfeldern als brauchbares Konzept?
Abschließend möchten wir nach der Diskussion der Faktoren Probleme, Policies, Akteure und
Institutionen auf die konzeptionelle Ebene zurückkommen und über das Konzept der „Reifung“ von
Politikfeldern reflektieren.
Zunächst einmal erscheint uns die Herangehensweise, Politikfelder und ihre Entwicklung über längere
Zeitverläufe zu betrachten, überfällig. Denn das Politikfeld ist der Kontext, in dem über gegenwärtige
und zukünftige Policies entschieden wird. Und wenn dieser Kontext zum Zeitpunkt t 1 erkennbar und
12
Dabei werden die meisten europäischen Regelungen nicht von einer ‚regelungswütigen‘ Kommission,
sondern von einzelnen Mitgliedstaaten initiiert. Mitgliedstaaten sind unterschiedlich gut darin, ihre
umweltpolitischen Regelungsansätze nach Brüssel zu exportieren. Galt Deutschland noch in den frühen
1980er Jahren als erfolgreich darin, seine emissionsorientierte und technikbezogene Luftreinhaltepolitik nach
Brüssel zu exportieren (Héritier et al. 1994: 199ff.), gelang es in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren
den Briten, ihren prozeduralen Regelungsansatz auf die europäische Ebene zu übertragen (Héritier et al.
1994: 289ff.). Staaten, die in diesem „regulativen Wettbewerb“ Erfolg haben, können ihre eigene Industrie
vor Anpassungskosten schützen und, sofern die Regulierung bestimmte Technologien erfordert, auch noch
Wirtschaftsförderung für die eigene Umwelttechnologieindustrie betreiben (Héritier et al. 1994: 195).
Allerdings sind solche eindeutigen Erfolge in einer EU mit 27 Mitgliedern nur noch schwer möglich.
18

strukturell bedingt anders ist, als zum Zeitpunkt t 0 und dies (zumindest teilweise) vorhersagbare
Effekte auf zukünftige politische Prozesse und ihre Ergebnisse hat (so auch Döhler/Manow 1995: 60),
dann ist das eine für die Politikfeldanalyse insgesamt (und nicht zuletzt für ihre Prognosefähigkeit)
relevante Übung.
Allerdings erscheint es uns doch fraglich, inwiefern das Konzept der Reifung hilfreich ist, um solche
langfristigen Wandlungsprozesse adäquat zu beschreiben: Oder: muss man oder sollte man
Phänomene, die wir in diesem Papier vorgestellt haben, unbedingt als „Reifung“ beschreiben?
Erstens ist u.E. bei der Übertragung von Konzepten, die aus der Naturwissenschaft oder zumindest aus
der Natur kommen, auf das Soziale immer Vorsicht geboten (siehe z.B. unsere Überlegungen zur
Übertragung des Konzepts der Diffusion, Böcher/Töller 2007; ebenso zum Konzept der Evolution:
Arnold 2011: 785ff.). Reifung ist in der Natur ein Prozess, der sich vollzieht, sofern bestimmte
Bedingungen gegeben sind, der dann unumkehrbar ist und üblicherweise gefolgt wird von Prozessen
des Verfalls. Daher ist bei der Übertragung jedenfalls deutlich zu machen, in welcher Hinsicht das
Konzept sich im Kontext des Sozialen unterscheidet (siehe Definition, weiter unten). Oder aber es
müsste ausgeführt werden, dass Reifung eben auch in eine Sackgasse führen kann und sich dann
politische Verfallsprozesse ankündigen. In den wenigen Studien, die bislang vorliegen, erscheint
Reifung normativ unterlegt – Reifung ist etwas Gutes, wenn ein Politikfeld gereift ist, gibt es zwar
möglicherweise andere Probleme, die zu lösen sind, aber Reifung per se beinhaltet keine negativen
Entwicklungen. Wir haben jedoch oben gezeigt, dass Reifung, mit der eine starke Routinisierung
einhergeht, auch negative Folgen enthält: Möglicherweise kann im gereiften Politikfeld auf neuartige
Probleme nicht mehr adäquat reagiert werden, da innovative Lösungen keinen Raum finden. Ein
Beispiel stellt die Agrarpolitik dar: diese kann sicherlich als „gereiftes“ Politikfeld mit einem
eingespielten Set an Routinen, Akteuren, Problemen, Policies und Institutionen gelten. Dennoch
gelang es in diesem gereiften Politikfeld zunächst nicht, mit neuen Herausforderungen wie BSE
adäquat umzugehen. Das Veränderungspotenzial eines gereiften Politikfeldes scheint gering, was
Auswirkungen auf die Problemlösungsfähigkeit des Staates hat.
Zweitens ergeben sich u.E. fundamentale konzeptionelle Probleme mit der Anwendung des Konzepts
der Reifung in der Politikfeldanalyse. Die Ausführungen in diesem Beitrag haben deutlich gemacht,
dass
19
� eine mögliche Reifung von Politikfeldern nicht alleine an der Länge ihrer Existenz in Jahren
zu messen wäre
� Reifung einen ambivalenten Charakter in Bezug auf Innovationsfähigkeit und Wandel besitzt,
� nicht relativ beliebig jede Veränderung als Reifung interpretiert werden kann (das liefe dann
ggf. auf ein „concept stretching“ hinaus), andererseits aber
� einfache „je mehr-desto“-Relationen nicht als zielführend erscheinen;
� es im von uns betrachteten Politikfeld Entwicklungen gibt, die man als interessante, ggf. auch
eigenwillige oder (normativ betrachtet) problematische Entwicklungen betrachten kann, (wie
z.B. die Reduzierung von Handlungsbefugnissen oder die Abnahme der institutionellen
Spezialisierung), die aber selbst bei der breitesten Interpretation nicht als Reifung zu
interpretieren sind.

Wenn also das Konzept der Reifung mehr sein will als eine deskriptive Metapher (die jede Art der
Veränderung als Bestandteil einer tieferen Reifungslogik interpretiert), nämlich ein Konzept, dass
zutreffen kann oder nicht, dann müssen (für das zunächst deskriptive Ansinnen) die notwendigen
Bedingungen einer Reifung präzisiert werden:
� Müssen sich z.B. Probleme nur verändern oder auch ausdifferenzieren, kann ein Politikfeld, in
dem die Problemstrukturen im Wesentlichen stabil geblieben sind, gereift sein?
� Ist Befriedung von Kontroversen eine notwendige Bedingung, oder können auch dauerhaft
konflikthafte Politikfelder als gereift betrachtet werden?
� Müssen Reifungsprozesse in allen Bestandteilen des Politikfeldes (Akteure, Probleme,
Institutionen etc.) vorkommen, oder gibt es ggf. notwendige Bedingungen?
� Wie vertragen sich insbesondere eigenwillige institutionelle Entwicklungen mit dem Konzept
der Reifung?
Drittens beinhaltet das bislang entwickelte Konzept einer Reifung ein ziemlich ungeklärtes
Verständnis von Kausalität, also von Ursache und Wirkungen. Während bei Noweski die Rede von
Indikatoren einer Reifung ist (d.h. die Reifung ist etwas Tieferliegendes, das wir durch Indikatoren
„messen“, also erfahrbar machen können) 13 , kann unseres Erachtens die Reifung (wenn sie denn
stattgefunden hat) eben in der Veränderung dieser Bestandteile des Politikfeldes bestehen, weshalb wir
hier von Elementen einer Reifung sprechen. Die kausalen Triebkräfte der Reifung erscheinen uns im
Großen und Ganzen auch deutlich weniger interessant als die erwartbaren Effekte der Reifung von
Politikfeldern.
Allerdings erscheint es uns aus den gerade genannten Gründen insgesamt fraglich, ob das Konzept der
Reifung geeignet ist, die ja offenbar doch recht kontingente Entwicklung von Politikfeldern adäquat zu
erfassen.
Unproblematischer erscheint hingegen die Frage nach der Etablierung eines Politikfeldes: Wenn eine
Reihe von Bedingungen gegeben sind, kann eine Politikfeld als etabliert gelten. Möglich ist es auch,
wie Jacob und Jörgens dies tun, relativ unbelastet von Ideen der Vervollständigung einfach vom
Altern eines Politikfeldes zu sprechen (Jacob/Jörgens 2011: 4) – wie auch beim Menschen impliziert
Alter keineswegs notwendigerweise Reifung. Will man aber Entwicklungen darüber hinaus
kategorisierend charakterisieren, so könnte die Arbeit mit Entwicklungsstadien oder -szenarien
sinnvoll sein.
Eine mögliche Option diskutieren Jacob und Jörgens: So kann man sich fragen, ob es in der
Umweltpolitik dabei bleibt, dass sie sich – wie andere Politikfelder auch – etabliert, oder ob sie
vielmehr das Potential hat, andere Politiken zu transformieren, indem Umweltfragen sich auch in
andere Politikfelder „drängen“ (Jacob/Jörgens 2011: 22). Ansätze sehen diese etwa in der
zunehmenden Relevanz der Umweltfreundlichkeit von Produkten für den Wettbewerb oder in der
13
Misslich ist, dass Noweski eingangs und im Titel seines Beitrags von einer „Theorie“ spricht und damit einen
Anspruch formuliert, den sein Beitrag nicht leisten kann. Denn letztlich bietet er (durchaus inspirierend)
verschiedene, doch eher beschreibende Perspektiven auf Reifungsprozesse und -elemente an. Insofern
„landet“ er am Ende seines Beitrags selbst – u.E. korrekt – beim Terminus der Ausreifungsheuristik
(Noweski 2011: 490).
20

Etablierung der Grünen und dem Mitgliederzulauf der Umweltverbände (ebd.). Allerdings scheint eine
Welt, in der systematisch alle Entscheidungen, so auch hinsichtlich des Staatshaushaltes, auf ihre
Umweltauswirkungen überprüft werden (Jacob/Jörgens 2011: 23), noch in weiter Ferne. Nach unserer
Einschätzung sind Ansätze zu einer „Transformation“ anderer Politikfelder allenfalls in der
Klimapolitik zu beobachten, die eben im Kern einfach mehr als ein umweltpolitisches Sub-Politikfeld
ist und zum Beispiel deutliche Charakteristika von Wirtschaftspolitik und Forschungspolitik aufweist.
Zudem lässt sich beobachten, wie andere Politikfelder, wie z.B. die Entwicklungszusammenarbeit, im
Zeichen der Klimapolitik, neues Gewicht erhalten (Jacob/Jörgens 2011: 27).
Möglicherweise ist es aber auch aufgrund methodischer Schwierigkeiten unangebracht, langfristige
Entwicklungen in Politikfeldern unter bestimmte übergeordnete Entwicklungslogiken (so auch
Enthierarchisierung, Zunahme kooperativer Staatstätigkeit oder Privatisierung vs. Rekommunalisie-
rung, siehe Döhler/Manow 1995: 3; Röber 2009) zu stellen. Denn solche Entwicklungen in Politikfel-
dern verlaufen möglicherweise eigenwillig und widersprüchlich, und sind allenfalls durch langfristige
Beobachtung über Jahrzehnte hinweg adäquat zu erfassen. Uns erscheint es daher angemessener, mit
dem Begriff der „Etablierung eines Politikfeldes“ oder schlicht mit dem „Altern“ eines Politikfeldes
zu operieren.
21

Literatur
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