Böcher, Michael / Töller, Annette - DVPW
Böcher, Michael / Töller, Annette - DVPW
Böcher, Michael / Töller, Annette - DVPW
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Weise einen „europäischen Impuls“ (<strong>Töller</strong> 2008) – die Umweltpolitik ist damit (unter<br />
Qualifikationen, die mit der Messmethode zusammenhängen) das am stärksten europäisierte<br />
Politikfeld überhaupt.<br />
Drittens: Auch die institutionellen Grundlagen der deutschen Umweltpolitik werden durch die<br />
europäische Politik deutlich verändert, man denke an das bereits erwähnte Klagerecht für Umweltver-<br />
bände. Aber auch die Föderalismusreform I mit der oben dargestellten Veränderung der umweltpoliti-<br />
schen Kompetenzen kann man jedenfalls auch als Auswirkung der Anforderungen des europäischen<br />
Umweltrechts interpretieren: Weil die Zersplitterung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern<br />
nach Regelungsfeldern immer wieder zu Schwierigkeiten bei der Umsetzung europäischen Rechts<br />
führte, war die Verbesserung der „Europatauglichkeit“ des deutschen Föderalismus ein immer wieder<br />
diskutiertes Anliegen, dem man – jedenfalls nach der Einschätzung von Eppler – mit einer<br />
Überwindung des sektoralisierten Ansatzes zumindest näher gekommen ist (Eppler 2010: 187f.).<br />
Dabei muss freilich beachtet werden, dass Europäisierung nicht eine unumstößliche Tatsache, sondern<br />
vielmehr eine (durchaus selektive) Analyseperspektive ist, die auf die Veränderung auf der Ebene der<br />
Mitgliedstaaten abhebt, während sie die Rolle ebendieser Mitgliedstaaten bei der Schaffung europä-<br />
ischen Rechts gerne ausblendet. 12<br />
Auch wenn diese institutionelle Entwicklung im europäischen Kontext alles in allem sicherlich auch<br />
der Sicherung der ökologischen Handlungsfähigkeit im europäischen Binnenmarkt dient, so wäre<br />
deren Interpretation als Reifungsprozess doch problematisch, denn für das Politikfeld Umweltpolitik<br />
stellen diese Entwicklungen erhebliche Restriktionen dar, die so weit gehen, dass man sich fragen<br />
muss, ob die Vorstellung des Politikfeldes Umweltpolitik als national zu definierende Einheit<br />
überhaupt noch eine realitätsangemessene Vorstellung ist.<br />
4. Reifung von Politikfeldern als brauchbares Konzept?<br />
Abschließend möchten wir nach der Diskussion der Faktoren Probleme, Policies, Akteure und<br />
Institutionen auf die konzeptionelle Ebene zurückkommen und über das Konzept der „Reifung“ von<br />
Politikfeldern reflektieren.<br />
Zunächst einmal erscheint uns die Herangehensweise, Politikfelder und ihre Entwicklung über längere<br />
Zeitverläufe zu betrachten, überfällig. Denn das Politikfeld ist der Kontext, in dem über gegenwärtige<br />
und zukünftige Policies entschieden wird. Und wenn dieser Kontext zum Zeitpunkt t 1 erkennbar und<br />
12<br />
Dabei werden die meisten europäischen Regelungen nicht von einer ‚regelungswütigen‘ Kommission,<br />
sondern von einzelnen Mitgliedstaaten initiiert. Mitgliedstaaten sind unterschiedlich gut darin, ihre<br />
umweltpolitischen Regelungsansätze nach Brüssel zu exportieren. Galt Deutschland noch in den frühen<br />
1980er Jahren als erfolgreich darin, seine emissionsorientierte und technikbezogene Luftreinhaltepolitik nach<br />
Brüssel zu exportieren (Héritier et al. 1994: 199ff.), gelang es in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren<br />
den Briten, ihren prozeduralen Regelungsansatz auf die europäische Ebene zu übertragen (Héritier et al.<br />
1994: 289ff.). Staaten, die in diesem „regulativen Wettbewerb“ Erfolg haben, können ihre eigene Industrie<br />
vor Anpassungskosten schützen und, sofern die Regulierung bestimmte Technologien erfordert, auch noch<br />
Wirtschaftsförderung für die eigene Umwelttechnologieindustrie betreiben (Héritier et al. 1994: 195).<br />
Allerdings sind solche eindeutigen Erfolge in einer EU mit 27 Mitgliedern nur noch schwer möglich.<br />
18