Böcher, Michael / Töller, Annette - DVPW
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Luftreinhaltung, Lärmbekämpfung sowie Naturschutz und Wasserhaushalt abgeschafft, für den<br />
Bereich der Abfallwirtschaft wurde sie aufrechterhalten. Eine gravierende Veränderung bestand<br />
zudem drittens darin, dass die Länder im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz seit<br />
Januar 2010 das Recht haben, abweichende Regelungen zu beschließen (Abweichungsrecht, Mammen<br />
2007), und zwar in den Bereichen Naturschutz und Landschaftspflege (ohne die Grundsätze des<br />
Naturschutzes, Recht des Artenschutzes und Meeresschutzes) und für den Wasserhaushalt (mit<br />
Ausnahme der Regelung zu stofflich- oder anlagenbezogenen Regelungen).<br />
Diese neue Abweichungskompetenz der Länder wurde in der Literatur zunächst höchst kontrovers<br />
diskutiert (siehe auch Eppler 2010: 178ff.). Während die einen hier Möglichkeiten einer<br />
Verwirklichung des Subsidiaritätsprinzips und die Berücksichtigung einer „länderspezifischen Vielfalt<br />
an Modellen“ (Koch/Krohn 2006) sowie eine Chance für föderalen Wettbewerb sahen (Mammen<br />
2007: 379; skeptisch zum Wettbewerb: Benz et al. 2007: 125), fürchteten andere eine Zersplitterung<br />
der Gesetzgebung und einen Wettlauf um die niedrigsten Umweltstandards, einen ökologischen „race<br />
to the bottom“ (Ingerowski 2006; SRU 2006: 11ff.).<br />
Da die Abweichungskompetenz erst ab Januar 2010 gelten sollte, war es eines der Ziele des geplanten<br />
Umweltgesetzbuchs, zuvor einen sogenannten abweichungsfreien Kern für die Bereiche Naturschutz<br />
und Wasserschutz bundesgesetzlich festzulegen. Nachdem das UGB im Februar 2009 scheiterte,<br />
gelang es aber, diesen Kern in vier Gesetzen, die vor allem das Wasserrecht, das Naturschutzrecht und<br />
das Strahlenschutzrecht novellierten, 2009 zu regeln. Damit galten zum ersten Mal bundesweite<br />
Vollregeln zum Naturschutz- und Wasserrecht.<br />
Insbesondere für den Naturschutz ist nach wie vor umstritten, ob durch die neue Kompetenzlage a) der<br />
Naturschutz als solcher und b) die Position des Bundes im Naturschutz gestärkt oder geschwächt<br />
worden ist (siehe z.B. SRU 2008a: 349f.). Hatte der Bund hier zuvor die Kompetenz, den Ländern<br />
einen Rahmen vorzugeben, so hat der Bund nun zwar erstmals die Kompetenz, Vollregelungen zu<br />
beschließen, aber von diesen durch Bundesrecht gesetzten Standards können die Länder gem. Art. 72<br />
Abs. 2 Nr. 3 „durch Gesetz … abweichende Regelungen treffen“. Ausgenommen vom Abweichungs-<br />
recht sind u.a. die allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes und das Recht des Artenschutzes. Was<br />
allerdings unter diese allgemeinen Grundsätze fällt und was nicht, ist unter Experten umstritten.<br />
Bislang ist offen, wie geneigt die Länder sein werden, in einzelnen Fragen, etwa beim Gebot des<br />
Ausgleichs naturschutzrelevanter Eingriffe, abweichende Regelungen zu treffen, und ob diese<br />
Regelungen dann zwingend beim ökologischen Schutzniveau „nach unten“ abweichen. Denkbar ist<br />
auch, dass die Länder mit der Androhung solcher abweichender Gesetze Einfluss auf die<br />
Bundesgesetzgebung nehmen (Lübbe-Wolff 2009: 53), womit zumindest das Ziel der „Entflechtung“<br />
von Kompetenzen (dass also Kompetenzen entweder bei den Ländern oder beim Bund liegen und so<br />
beide Ebenen unabhängig voneinander effektiv entscheiden können und die Zuständigkeit auch von<br />
den Bürger/innen erkennbar ist) verfehlt würde (SRU 2008a: 350).<br />
Zwar kann man die Kompetenzzentralisierung Anfang der 1970er Jahre als Schaffung von authority<br />
auf der Bundesebene deuten, aber die Veränderung mit der ersten Föderalismusreform von 2005 mit<br />
der Abschaffung der Rahmengesetzgebung und der Einführung des Abweichungsrechts der Länder<br />
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