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12 Einfache mechanische Systeme - THEP Mainz

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folgen. Das ist genau dann der Fall, wenn die dualen Vektoren Zµ und Xµ zueinander proportional<br />

sind. Die Zwangsbedingung bestimmt also unmittelbar die Richtung der Zwangskraft. Beides<br />

zusammen impliziert<br />

Zµ = −Λ Xµ Xν ˙q ν , (<strong>12</strong>.74)<br />

wobei Λ wieder irgendeine große positive Zahl ist. Sie hat in diesem Fall die Bedeutung einer Reibungskonstanten.<br />

Das Vorzeichen ergibt sich aus der Forderung, dass die von der Reibungskraft<br />

erbrachte Leistung negativ sein muss, wenn sich das System in eine verbotene Richtung bewegt.<br />

Das ist genau dann der Fall, wenn Λ > 0 ist, denn dann ist immer Zµ ˙q µ ≤ 0, und das Gleichheitszeichen<br />

gilt nur dann, wenn Xµ ˙q µ = 0 ist, die Bewegung also in eine erlaubte Richtung<br />

erfolgt.<br />

Liegen mehrere Zwangsbedingungen vor, so können wir analog den Ansatz machen, dass die<br />

Reibungskraft irgendeine lineare Funktion der verbotenen Geschwindigkeiten X k µ ˙q µ ist. Außerdem<br />

muss sie eine Linearkombination der dualen Vektoren X k µ sein, denn nur dann verschwindet<br />

die erbrachte Leistung für erlaubte Geschwindigkeiten. Das ergibt<br />

Zµ = − �<br />

k,l<br />

Λkl X k µ X l ν ˙q ν . (<strong>12</strong>.75)<br />

Die K×K-Matrix Λkl muss wieder positiv sein, damit die von der Reibungskraft erbrachte Leistung<br />

Zµ ˙q µ immer negativ ist, wenn eine Bewegung in eine verbotene Richtung erfolgt.<br />

Der Rest des Argumentes ist genau dasselbe wie zuvor für die holonomen Zwangsbedingungen.<br />

Wir bilden jetzt den Grenzwert, in dem die Einträge der Matrix Λkl, oder zumindest ihre<br />

Eigenwerte unendlich groß werden. Dann wird das System gezwungen, nur noch Bewegungen in<br />

erlaubte Richtungen auszuführen, weil Bewegungen in verbotene Richtungen unendlich schnell<br />

exponentiell abgebremst werden. Der Ausdruck X l ν ˙q ν in (<strong>12</strong>.75) geht dann gegen Null, und zwar<br />

so, dass die Zwangskraft Zµ endlich bleibt.<br />

Nach dem Grenzübergang wissen nur noch, dass Zµ eine Linearkombination der dualen Vektoren<br />

X k µ ist. Die Koeffizienten kennen aber nicht. Wir schreiben dafür wieder<br />

Zµ = − �<br />

λk X k µ. (<strong>12</strong>.76)<br />

k<br />

Die dualen Vektorfelder X k µ spielen hier offenbar dieselbe Rolle wie in (<strong>12</strong>.7) die Gradienten<br />

∂C k /∂q µ der holonomen Zwangsbedingungen. Die Analogie hatten wir schon weiter oben hergestellt.<br />

Wenn X k µ die Gradienten von skalaren Funktionen C µ sind, dann sind die Zwangsbedingungen<br />

X k µ ˙q µ nur scheinbar anholonom, und das System verhält sich ansonsten wir eines<br />

mit holonomen Zwangsbedingungen. Daher steht auch in (<strong>12</strong>.76) der bekannte Ausdruck für die<br />

Zwangskraft.<br />

Ebenfalls ganz analog zu den holonomen Zwangsbedingungen sind die Lagrange-<br />

Multiplikatoren λk wieder unbekannte Funktionen der Zeit. Sie ergeben sich erst aus den Be-<br />

56<br />

wegungsgleichungen<br />

d<br />

dt<br />

∂T ∂T<br />

µ −<br />

∂ ˙q<br />

∂q µ = Fµ − �<br />

λk X k µ, X k µ ˙q µ = 0. (<strong>12</strong>.77)<br />

k<br />

Anders als im Falle der holonomen Zwangsbedingungen lassen sich diese Gleichungen allerdings<br />

nicht aus einer erweiterten Lagrange-Funktion ableiten, auch wenn die dynamischen Kräfte Fµ<br />

Potenzialkräfte sind. Der Grund dafür ist, dass es sich bei den Zwangskräften um Reibungskräfte<br />

handelt, und diese lassen sich nicht aus einer Lagrange-Funktion ableiten.<br />

Zusammenfassend ergibt sich daraus die folgende allgemeine Strategie zum Aufstellen der<br />

Bewegungsgleichungen für ein <strong>mechanische</strong>s System mit Zwangsbedingungen. Zuerst lösen wir<br />

die holonomen Zwangsbedingungen, indem wir vom erweiterten Konfigurationsraum � Q zu einem<br />

reduzierten Konfigurationsraum Q übergehen. Sind die holonomen Zwangsbedingungen<br />

zeitabhängig, so ist dieser Raum zu jeder Zeit t ein anderer Unterraum Qt von � Q. Die Dimension<br />

dieses Raumes ist die Anzahl der Freiheitsgrade des System.<br />

In jedem Fall können wir auf Q bzw. Qt ein Koordinatensystem {q µ } einführen, und die Energiefunktionen<br />

T und V, bzw. die Komponenten Fµ der dynamischen Kräfte als Funktionen der<br />

Koordinaten q µ , der zugehörigen Geschwindigkeiten ˙q µ und der Zeit t darstellen. Dann müssen<br />

wir nur noch die anholonomen Zwangsbedingung in die Bewegungsgleichungen einbauen, indem<br />

wir für jede solche Zwangsbedingung X k = X k µ ˙q µ = 0 einen Lagrange-Multiplikator λk<br />

einführen, und eine entsprechende Zwangskraft λk X k µ zu den Bewegungsgleichungen (<strong>12</strong>.77)<br />

hinzufügen.<br />

Zusammen mit den Zwangsbedingungen selbst ergibt sich dann ein System von Differenzialgleichungen<br />

für die Funktionen q µ (t) und λk(t). Jedoch gehen die Multiplikatoren nur linear in<br />

diese Gleichungen ein, so dass wir sie leicht eliminieren können, indem wir solche Linearkombinationen<br />

der Bewegungsgleichungen bilden, in denen sie verschwinden. Wir werden das gleich<br />

an einem Beispiel zeigen. Solange wir nicht an den Zwangskräften interessiert sind, müssen wir<br />

nur die Bewegungsgleichungen für die Koordinatenfunktionen q µ (t) lösen.<br />

Aufgabe <strong>12</strong>.27 Ein N-Teilchen-System unterliege K holonomen und K ′ anholonomen Zwangsbedingungen.<br />

Man zeige, dass die Lösungen der Bewegungsgleichungen dann von 6 N −2 K−K ′<br />

unabhängigen Parametern abhängen. Es müssen also 6 N − 2 K − K ′ Anfangsbedingungen festgelegt<br />

werden.<br />

Das rollende Rad<br />

Als anschauliches Beispiel für ein System mit anholonomen Zwangsbedingungen betrachten wir<br />

nun noch einmal das Rad aus Abbildung <strong>12</strong>.3. Seine Achse soll jetzt aber nicht fixiert sein, sondern<br />

es soll auf einer ebenen Fläche rollen. Es könnte sich zum Beispiel um eine rollende Münze<br />

auf einem Tisch handeln. Um das prinzipielle Vorgehen zuerst an einem sehr einfachen Fall zu<br />

erläutern, soll die Achse des Rades zwar im Raum beweglich, aber fest ausgerichtet sein. Sie soll<br />

wie in Abbildung <strong>12</strong>.3(a) stets in Richtung der x-Achse zeigen.

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