EKD-Text 83 - Evangelische Kirche in Deutschland
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Bonhoeffers Gedicht ist ebenso befremdlich wie bemerkenswert. Denn ebenso<br />
befremdlich wie die Verb<strong>in</strong>dung von Freiheit und Ehre, auf die wir schon zu sprechen<br />
kamen, ist die Verb<strong>in</strong>dung von Freiheit und Zucht. Selbstdiszipl<strong>in</strong> würden wir<br />
heute eher dazu sagen. Aber im Verhältnis zur Freiheit würden wir <strong>in</strong> solcher<br />
Selbstdiszipl<strong>in</strong> doch im günstigsten Fall e<strong>in</strong>e Sekundärtugend sehen. Dass aber der<br />
Gebrauch der Freiheit überhaupt Tugenden voraussetzt, dass er an die Übung der<br />
Selbstdiszipl<strong>in</strong> gebunden ist, dass Selbstbeherrschung die Freiheit nicht e<strong>in</strong>schränkt,<br />
sondern ihren Gebrauch möglich macht, das alles kl<strong>in</strong>gt zunächst altmodisch<br />
und überholt. Es fällt uns schwer e<strong>in</strong>zusehen, dass große Vorbilder des<br />
Widerstands um der Freiheit willen sich an derart altmodische Vorstellungen gehalten<br />
haben.<br />
Aber vielleicht steckt <strong>in</strong> dieser Verknüpfung von Freiheit und Zucht, von Freiheit<br />
und Selbstbeherrschung sogar e<strong>in</strong>e Wahrheit, die es neu zu entdecken gilt. Wenn<br />
Freiheit nicht nur die Lizenz zum Lebensgenuss erteilen, sondern e<strong>in</strong>e auf Dauer<br />
verlässliche Lebensform darstellen soll, dann schließt diese Lebensform auch die<br />
Bereitschaft zum Verzicht e<strong>in</strong>. Wer se<strong>in</strong>e Freiheitsmöglichkeiten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er bestimmten<br />
Weise gebrauchen will, kann das nur, wenn er auf andere Möglichkeiten, diese<br />
Freiheit auszuleben, verzichtet. Das steht h<strong>in</strong>ter Bonhoeffers auf uns vor allem<br />
wegen ihrer Ausschließlichkeit zunächst so fremd wirkenden Worten: Niemand<br />
erfährt das Geheimnis der Freiheit, es sei denn durch Zucht.<br />
Leichter nachvollziehbar ist der nächste Schritt auf dem Lernweg der Freiheit, den<br />
Bonhoeffer beschreibt: der Schritt der Tat. In der ausgearbeiteten Form des<br />
Gedichts hat die mit Tat überschriebene Strophe folgenden Wortlaut:<br />
Nicht das Beliebige, sondern das Rechte tun und wagen,<br />
nicht im Möglichen schweben, sondern das Wirkliche tapfer ergreifen,<br />
nicht <strong>in</strong> der Flucht der Gedanken, alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> der Tat ist die Freiheit.<br />
Tritt aus ängstlichem Zögern heraus <strong>in</strong> den Sturm des Geschehens<br />
nur von Gottes Gebot und de<strong>in</strong>em Glauben getragen,<br />
und die Freiheit wird de<strong>in</strong>en Geist jauchzend umfangen.<br />
Auch diese Station der Tat spitzt Bonhoeffer durch die Formulierung e<strong>in</strong>es<br />
Ausschließlichkeitsanspruchs <strong>in</strong> schroffer Weise zu: Nicht <strong>in</strong> der Flucht der<br />
Gedanken, alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> der Tat ist die Freiheit. Tat bedeutet dabei, so ergibt sich aus<br />
anderen <strong>Text</strong>en Bonhoeffers, nicht e<strong>in</strong> beliebiges Tun, sondern dasjenige Tun, das<br />
der Zukunft zugewandt und an der Frage orientiert ist, wie e<strong>in</strong>e künftige Generation<br />
leben kann. Es war genau diese Frage, die Bonhoeffer, den Pazifisten, <strong>in</strong> den<br />
Widerstand gegen Hitler führte. Dadurch war er, wenn auch nur <strong>in</strong>direkt, an Überlegungen<br />
zur gewaltsamen Beseitigung des Diktators beteiligt. Er, der jede Tötung<br />
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