EKD-Text 83 - Evangelische Kirche in Deutschland
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groß ist die Enttäuschung, wenn solches Aufsehen sogar mit dem Mittel der<br />
Irreführung und der Fälschung herbeigeführt wurde, wie wir das unlängst <strong>in</strong> Korea<br />
erlebt haben.<br />
Die an dieser Stelle notwendigen Warnungen hat der große Physiker und Philosoph<br />
Carl Friedrich von Weizsäcker schon vor Jahren ausgesprochen. Im<br />
Wissenschaftsglauben, so sagt er, treten vom Menschen gemachte Heilsvorstellungen<br />
an die Stelle sowohl des ewigen Gottes wie der unsterblichen Seele. Ich<br />
würde solche Heilsvorstellungen freilich gerade nicht als Säkularisate des christlichen<br />
Glaubens ansehen. Denn sie überführen nicht etwa Gehalte des christlichen<br />
Glaubens <strong>in</strong> Themen weltlicher Verständigung; sondern sie transformieren Themen<br />
weltlicher Verständigung <strong>in</strong> Heilsvorstellungen, deren (quasi-)religiöser Charakter<br />
freilich oft undurchschaut bleibt. Gerade auf e<strong>in</strong>en solchen Umgang mit der<br />
Wissenschaft ist der Satz Carl Friedrich von Weizsäckers gemünzt: Der Mensch, der<br />
ohne Religion zu se<strong>in</strong> me<strong>in</strong>t, pflegt e<strong>in</strong>er niedrigeren Religion zu verfallen.<br />
Was der christliche Glaube zur Klärung solcher Fragen beizutragen vermag, hat von<br />
Weizsäcker immer wieder an der Bergpredigt Jesu und <strong>in</strong>sbesondere an ihren<br />
Seligpreisungen verdeutlicht. Sie öffnen e<strong>in</strong>en geistigen Raum, <strong>in</strong> dem der Mensch<br />
davor bewahrt wird, an den Imperativen zu zerbrechen, vor die er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Leben<br />
gestellt wird. Solche Imperative, die unsere Verantwortung herausfordern, s<strong>in</strong>d<br />
gewiss notwendig. Aber sie werden gnadenlos, wenn ihnen nicht e<strong>in</strong> Indikativ zu<br />
Grunde liegt. Der Imperativ ist nur erlaubt, weil es die Wirklichkeit gibt: Selig s<strong>in</strong>d die<br />
Friedensmacher, denn sie werden Gottes Söhne heißen, selig s<strong>in</strong>d die nach dem Geist<br />
Verlangenden, denn ihrer ist das Reich der Himmel.<br />
Doch trotz der Bergpredigt und ihrer Seligpreisungen bewegen wir uns immer wieder<br />
<strong>in</strong> den Ambivalenzen unserer jeweiligen Gegenwart. Die Frage, wie die<br />
Handlungen, die wir jetzt vollziehen, sich zu der Wirklichkeit verhalten, die wir als<br />
die schlechth<strong>in</strong> gute anerkennen, kann erst vom Ende der Geschichte her <strong>in</strong> voller<br />
Transparenz beantwortet werden. Deshalb bleibt der Gedanke e<strong>in</strong>es Urteils über die<br />
Geschichte von ihrem Ende her – das me<strong>in</strong>t die Vorstellung vom Jüngsten Gericht<br />
– aus der Sicht des christlichen Glaubens unaufgebbar. Er ist auch deshalb vonnöten,<br />
weil er menschliches Handeln – <strong>in</strong> Politik, Wirtschaft oder Wissenschaft beispielsweise<br />
– davor bewahrt, schon jetzt vorwegnehmen zu wollen, was e<strong>in</strong>em letzten<br />
Urteil, also dem Gericht Gottes, vorbehalten ist.<br />
Nach christlichem Verständnis ist jeder Mensch zum Bild Gottes geschaffen; jeder<br />
ist durch Christus aus der Macht der Sünde und des Todes befreit; jeder ist zum<br />
aufrechten Gang berufen. Dar<strong>in</strong> ist der enge Zusammenhang von Freiheit und<br />
Verantwortung begründet, der den christlichen Glauben kennzeichnet. Freiheit im<br />
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