EKD-Text 83 - Evangelische Kirche in Deutschland
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e<strong>in</strong>es anderen Menschen für schuldhaft hielt, sah sich vor die Frage gestellt, ob es<br />
Situationen gibt, <strong>in</strong> denen verantwortliches Handeln nur noch möglich ist, <strong>in</strong>dem<br />
man zur Schuldübernahme bereit ist. Bonhoeffer bejahte diese Frage und nahm die<br />
Konsequenz daraus auf sich. Diesen Schritt <strong>in</strong> die Schuldübernahme aus<br />
Verantwortung muss man im S<strong>in</strong>n haben, wenn man hört, dass Freiheit nicht dar<strong>in</strong><br />
besteht, im Möglichen zu schweben, sondern das Wirkliche tapfer zu ergreifen.<br />
Mit se<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> die Konspiration gegen Hitler begab Bonhoeffer sich weit aus<br />
dem B<strong>in</strong>nenbereich des christlichen Glaubens und der kirchlichen Tätigkeiten h<strong>in</strong>aus.<br />
Er trat h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> <strong>in</strong> das Inkognito der Verschwörung. Er übte sich <strong>in</strong> allen Künsten<br />
der Verstellung. Doch der Versuch, das Wirkliche tapfer zu ergreifen, führte <strong>in</strong> die<br />
Erfahrung des Scheiterns. Sie wurde für Bonhoeffer unwiderruflich manifest im<br />
Missl<strong>in</strong>gen des Attentats am 20. Juli 1944.<br />
Doch Bonhoeffer reagiert auf diesen Schock des Missl<strong>in</strong>gens nicht mit e<strong>in</strong>er<br />
Preisgabe der Freiheitshoffnung, sondern mit e<strong>in</strong>em weiteren Schritt des Lernens<br />
auf dem Weg der Freiheit. Denn es ist nicht <strong>in</strong>s Belieben gestellt, ob man sich der<br />
Freiheit verpflichtet weiß, die alle<strong>in</strong> jedem Menschen se<strong>in</strong>e Würde gibt und belässt.<br />
Den Weg der Freiheit zu gehen, ist vielmehr e<strong>in</strong>e unmittelbare Verpflichtung<br />
für den, der sich von Gottes Gebot und von se<strong>in</strong>em Glauben tragen lässt. Auch<br />
wenn die Tat der Freiheit missl<strong>in</strong>gt und der Kampf für die Freiheit abbricht, ist das<br />
Lernen der Freiheit doch nicht am Ende. In Vorwegnahme des eigenen Todes sagt<br />
Bonhoeffer deshalb <strong>in</strong> der Skizze zu se<strong>in</strong>em Freiheits-Gedicht: Was Freiheit ist,<br />
lernst du erst jenseits des Todes.<br />
Der Weg der Freiheit, so soll damit gesagt se<strong>in</strong>, hört nicht auf, wenn die<br />
Möglichkeiten der Tat an e<strong>in</strong> Ende kommen. Vielmehr stehen Leiden und Tod nicht<br />
im Gegensatz zur Freiheit, sondern bilden selbst Stationen auf dem Lernweg der<br />
Freiheit. Das Leiden ist e<strong>in</strong>e tägliche Erfahrung des Inhaftierten. Der Tod steht ihm<br />
vor Augen, seit die Hoffnung auf den Sturz des Diktators so bitter enttäuscht<br />
wurde. Nachdem die Möglichkeiten, der Freiheit im Handeln zu entsprechen, an<br />
e<strong>in</strong>e Grenze gekommen s<strong>in</strong>d, nimmt der Lernweg der Freiheit Züge der Mystik an.<br />
Angesichts der äußeren Unfreiheit, die zu beenden nicht mehr <strong>in</strong> der eigenen<br />
Macht steht, bietet nur die Freiheit e<strong>in</strong>e Zuflucht, die Gott gewährt, <strong>in</strong>dem er auf<br />
die Seite des Leidenden tritt und so e<strong>in</strong>e Zuversicht der Freiheit weckt, die über den<br />
Tod h<strong>in</strong>aus Bestand behält. Auch wer nicht im Möglichen schweben, sondern das<br />
Wirkliche tapfer ergreifen will, steht vor der Frage, wie es um die Freiheit steht,<br />
wenn unsere Möglichkeiten, die Wirklichkeit gestaltend zu verändern, an e<strong>in</strong> Ende<br />
gekommen s<strong>in</strong>d. Dass damit nicht die Freiheit e<strong>in</strong> Ende f<strong>in</strong>det, ist die Hoffnung, <strong>in</strong><br />
die Bonhoeffers Gedicht mündet.<br />
Freiheit, dich suchten wir lange <strong>in</strong> Zucht und <strong>in</strong> Tat und <strong>in</strong> Leiden.<br />
Sterbend erkennen wir nun im Angesicht Gottes dich selbst.<br />
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