Zur Haftung für privatisierte Staatsbetriebe - Wolfgang Wiegand
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echt 1999 Heft 1 <strong>Wolfgang</strong> <strong>Wiegand</strong>/Jürg Wichtermann, <strong>Zur</strong> <strong>Haftung</strong> <strong>für</strong> <strong>privatisierte</strong> <strong>Staatsbetriebe</strong><br />
auch praktisch alle Kantone 47 mittlerweile eigene<br />
<strong>Haftung</strong>snormen erlassen. Dabei haben sie in der<br />
Regel die handelnden Organe bzw. das Personal<br />
als (direkte) <strong>Haftung</strong>ssubjekte aus der klägerischen<br />
Schusslinie genommen und an ihrer Stelle<br />
das Gemeinwesen selbst als <strong>Haftung</strong>ssubjekt<br />
eingesetzt. Zudem sehen die entsprechenden Erlasse<br />
regelmässig Kausalhaftungen vor. Es bleibt<br />
aber doch immerhin bemerkenswert, dass die<br />
subsidiäre Normierung staatlicher <strong>Haftung</strong> im Zivilrecht<br />
zu suchen ist. Gleichzeitig liegt hier auch<br />
der Ursprung der Tatsache, dass - wie in anderen<br />
Rechtsgebieten - auch im Staatshaftungsrecht<br />
ein ausgeprägter Föderalismus herrscht.<br />
c) Gewerbliche und nicht-gewerbliche<br />
Tätigkeiten des Staates<br />
Eine weitere und wesentliche (Abgrenzungs-)<br />
Frage im Umfeld der <strong>Haftung</strong> <strong>für</strong> bei der Erfüllung<br />
öffentlicher Aufgaben entstandene Schäden<br />
stellt sich vor allem deshalb, weil sich die Bestimmung<br />
des <strong>für</strong> die Beurteilung des konkreten<br />
Schadenereignisses einschlägigen Rechts im<br />
Wesentlichen an der Frage entscheidet, welchen<br />
Charakter die betreffende öffentliche Aufgabe<br />
aufweist. Rechtliche Ausgangslage da<strong>für</strong> bildet<br />
die in Art. 61 Absatz 2 OR angelegte Unterscheidung<br />
zwischen gewerblichen und nicht-gewerblichen<br />
amtlichen Tätigkeiten 48 . Das Bundesprivatrecht<br />
schränkt den Bereich des kantonalen (und<br />
kommunalen) Verantwortlichkeitsrechts insofern<br />
ein 49 , als es <strong>für</strong> die <strong>Haftung</strong> aus gewerblicherlätigkeit<br />
zwingend die Anwendung der zivilrechtlichen<br />
Regeln vorschreibt 50 . Nur die Verantwortlichkeit<br />
aus nicht-gewerblicher Tätigkeit darf, jedenfalls<br />
gemäss dem Gesetzeswortlaut, von den<br />
" 7 Die durch die Kantone erlassenen <strong>Haftung</strong>sregelungen <strong>für</strong> öffentlichrechtliche<br />
Rechtssubjekte sind öffentlichrechtlicher Natur.<br />
Art. 61 OR korreliert insofern mit Art. 59 Abs. 1 ZGB, wonach <strong>für</strong> die<br />
öffentlichrechtlichen Körperschaften und Anstalten das öffentliche<br />
Recht der Kantone (und des Bundes) grundsätzlich vorbehalten<br />
bleibt (BK-ßre/im, Art. 61 OR n.4; mit Differenzierungen BK-f?/emer,<br />
Art. 59 ZGB 117ff., insb. 122, 124, 131).<br />
"Art.61 OR trifft zwei Unterscheidungen: Auf einer ersten<br />
Ebene differenziert Abs. 1 zwischen amtlichen und privaten Verrichtungen.<br />
Amtlich sind alle Tätigkeiten, die in (funktionaler) Erfüllung<br />
einer öffentlichen Aufgabe unternommen werden. Damit wird<br />
die Privatsphäre der <strong>für</strong> das Gemeinwesen tätigen Personen abgegrenzt,<br />
nicht aber eine private Tätigkeitssphähre des Gemeinwesens<br />
ausgeschieden. Auf einer zweiten Ebene unterscheidet<br />
Abs. 2 zwischen gewerblichen und nicht-gewerblichen Verrichtungen<br />
(dazu sogleich im Text); vgl. Pirmin Bischof (Fn.37), 76ff.<br />
49 Vgl. Jost Gross (Fn.40), 102ff.<br />
50 Der generelle Verweis auf die <strong>Haftung</strong>svorschriften des Bundeszivilrechts<br />
(Art. 61 Abs. 2 OR: «(...] Bestimmungen dieses Abschnittes<br />
[...]») hat zur Konsequenz, dass die Konzeption von<br />
Art. 61 OR <strong>für</strong> den gewerblichen Bereich eine <strong>Haftung</strong> des Gemeinwesens<br />
als Geschäftsherr (Art. 55 OR) einschliesst, während <strong>für</strong><br />
den nicht-gewerblichen Teil nach dem Wortlaut von Art. 61 Abs. 1<br />
OR eine ausschliessliche Beamtenhaftung zulässt (vgl. auch Jost<br />
Gross [Fn. 40), 104).<br />
Kantonen abweichend normiert werden. Allerdings<br />
wird heute mehrheitlich vertreten, dass die<br />
privatrechtlichen <strong>Haftung</strong>sregeln nur einen Minimalstandard<br />
darstellen, den zu überschreiten den<br />
Gemeinwesen freigestellt sei 51 ' 62 .<br />
Für den Geschädigten bedeutet dies, dass er,<br />
will er seinen Anspruch gegen ein Gemeinwesen<br />
richten, zunächst zu prüfen hat, ob die schädigende<br />
Handlung in Erfüllung einer gewerblichen<br />
oder einer nicht-gewerblichen Tätigkeit erfolgt<br />
ist. Je nachdem hat er nach öffentlichrechtlichem<br />
<strong>Haftung</strong>srecht oder nach Bundeszivilrecht vorzugehen.<br />
Dieser Entscheid ist deshalb nicht einfach<br />
zu treffen, weil die Unterscheidung zwischen gewerblichem<br />
und nicht-gewerblichem 53 amtlichem<br />
Handeln ausserordentlich grosse Probleme<br />
bereitet. Es ist denn auch bis heute kaum<br />
gelungen, schlüssige Kriterien <strong>für</strong> eine Abgrenzung<br />
zu entwickeln 54 .<br />
Entsprechend zufällig und uneinheitlich zeigt<br />
sich die Kasuistik. Kein Kriterium ist jedenfalls die<br />
51 BK-Brehm, Art.61 N 49 m.H. Kantonale Verantwortlichkeitsnormen<br />
sind denn oft auch vorteilhafter <strong>für</strong> die Geschädigten, da<br />
sie auf das Erfordernis eines Verschuldens verzichten. Damit kann<br />
indessen unter Umständen eine wettbewerbsrechtlich nicht irrelevante<br />
Verzerrung entstehen, wenn ein Gemeinwesen eine öffentliche,<br />
gewerbliche Leistung in Konkurrenz zu Privaten erbringt, die<br />
Leistungserbringung durch das Gemeinwesen aber durch eine<br />
Kausalhaftung gewissermassen besser abgesichert ist als jene des<br />
Privaten.<br />
52 Der Bund wird in Art. 61 Abs. 2 OR konsequenterweise nicht erwähnt,<br />
da er ohnehin an «sein» Bundesrecht und damit allenfalls an<br />
Bundeszivilrecht gebunden ist. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang,<br />
dass die Eidgenossenschaft über ihre Kompetenz<br />
zum Erlass von Privatrecht im Prinzip auch beliebig die (privatrechtliche)<br />
<strong>Haftung</strong> <strong>für</strong> gewerbliche amtliche Verrichtungen regeln und<br />
insbesondere <strong>Haftung</strong>sbeschränkungen vorsehen kann, die über<br />
das OR hinausgehen.<br />
53 Teilweise wird als Gegensatz zu gewerblichen von hoheitlichen<br />
Tätigkeiten gesprochen (bspw. BK-ßrehm, Art.61 N14ff; Ulrich<br />
Häfelin/Georg Müller [Fn. 18], 446). Diese Abgrenzung ist - ebenfalls<br />
- unscharf, zumal auch gewerbliche Tätigkeiten hoheitlich<br />
(verstanden als <strong>für</strong> das Gemeinwesen aufgrund öffentlichen<br />
Rechts verbindlich anordnendes Tätigwerden eines Organs des<br />
Gemeinwesens) verrichtet werden können (z.B. Elektrizitätsversorgung)<br />
bzw. auch nicht-hoheitliches Handeln durchaus nicht<br />
zwingend gewerblich sein muss. Allerdings hat die Praxis, soweit<br />
sie im vorliegenden Zusammenhang zwischen gewerblichen und<br />
nicht-hoheitlichen Verrichtungen im Sinne von Art.61 OR unterscheidet,<br />
einen derart weiten Begriff der Hoheitlichkeit entwickelt,<br />
dass von seiner ursprünglichen Abgrenzungskraft nurmehr wenig<br />
übriggeblieben ist. Indessen leidet bereits der Begriff der Hoheitlichkeit<br />
selbst (wie jener der Gewerbsmässigkeit) an einer gewissen<br />
Konturlosigkeit. Als Kriterien der hoheitlichen Verwaltungstätigkeit<br />
werden etwa die Anwendung öffentlichen Rechts und/oder<br />
das Vorliegen eines Subordinationsverhältnisses genannt (Ulrich<br />
Häfelin/Georg Mü/fer [Fn. 18], 5f.). Gerrit Manssen (Privatrechtsgestaltung<br />
durch Hoheitsakt, Tübingen 1994, 19) bezeichnet als Hoheitsakte<br />
die staatlichen Rechtsakte, die auf öffentlichrechtlicher<br />
Grundlage beruhen. Da die Tätigkeiten der staatlichen Verwaltung<br />
- mit gewissen Ausnahmen - grundsätzlich immer auf öffentlichem<br />
Recht basieren, erscheint dieses Kriterium <strong>für</strong> sich allein wenig<br />
geeignet, den Bereich des hoheitlichen Handelns einzugrenzen;<br />
zu ergänzen wäre es mit dem Erfordernis einer gewissen Verbindlichkeit<br />
des staatlichen Handelns bzw. einer einseitigen Handlungs-<br />
oder Anordnungsbefugnis des Gemeinwesens im Rahmen<br />
seines Verhaltens.<br />
54 Jost Gross (Fn. 40), 107; Thomas Poledna, Haftpflicht von Staat<br />
und Beamten, SVZ 7996 57.