Weiber, bei Schiller Herren <strong>und</strong>, selbst im Hexenbrodem, Damen; bei Bürger Brachfeld, aus dem der Duft der Erde steigt, bei Siller geeggtes Land, auf dem die Himmelssonne scheint; bei Bürger Shakespeare, bei Schiller Schiller.“ 75 26 G.A. Bürger-Archiv
Folgen der Schillerschen Rezension Die Reduzierung Bürgers auf seine Lenore in vielen Literaturgeschichten ist ein Resultat der Klassik <strong>und</strong> beruht letztlich auf der Rezension Schillers in der Jenaer Allgemeinen Literatur-Zeitung von 1791. Was war passiert? Ein junger Schriftsteller von einiger lokaler Berühmtheit, dem Drama zugeneigt, vertieft sich in die Philosophie <strong>und</strong> macht es sich zur Aufgabe, die verderbte Welt - die zerrissene Gesellschaft - zu einen, nicht durch einen realen Umsturz, sondern durch Lyrik zu retten. Wie diese Lyrik auszusehen hätte, formuliert er im Tone eines universell gültigen Gesetzes in einer Rezension über die Bürgersche Gedichtausgabe von 1789. Und er kommt, wen w<strong>und</strong>ert es, zu dem Resultat, dass der zur Zeit berühmteste Dichter nicht diesen Anforderungen genügt. Diese Rezension wurde später ganz unterschiedlich bewertet – für die einen ein unantastbares Regelwerk für die zukünftige Literatur, für andere eine verschlüsselte Selbstkritik auf Kosten Bürgers, wie für Julian Schmidt: „Wenn Fiesco, als er sein Weib umgebracht, ´viehisch um sich haut´ <strong>und</strong> ´mit frechem Zähneblöken gen Himmel´ den Wunsch ausspricht, ´den Weltbau Gottes zwischen den Zähnen zu haben <strong>und</strong> die ganze Natur in ein grinsen<strong>des</strong> Scheusal zu zerkratzen; bis sie aussehe, wie sein Schmerz;´ - wenn Verrina ´bei allen Schaudern der Ewigkeit´ ihm zuschwört, ´einen Strick wolle er drehen aus seinen eigenen Gedärmen <strong>und</strong> sich erdrosseln, daß seine fliehende Seele in gichtrischen Schaumblasen ihm zuspritzen solle´: - so empfindet man wohl, daß jene bittere Anklage gegen Bürger zugleich ein reuiges Bekenntniß enthält.“ 76 Zur Rezension selbst meint Schmidt: „Die Vorwürfe waren sehr aus der Oberfläche geschöpft, <strong>und</strong> was etwa davon gegründet sein mochte, traf Schiller´s eigne Gedichte doppelt <strong>und</strong> dreifach. Bürger's Talent war er in keiner Weise gerecht geworden: die Pfarrerstochter von Taubenhain, der wilde Jäger, Kaiser <strong>und</strong> Abt, die Kuh, das Lied von der Treue — sämmtliche Balladen aus der Zeit von 1781—1788, waren fast gar nicht, oder nur in Bezug auf den häßlichen Stoff erwähnt, da doch die künstlerische Behandlung das Höchste war, was die Deutschen überhaupt in diesem Fach geleistet haben..“ In seiner Tragischen Literaturgeschichte von 1948 empfindet Walter Muschg mit drastischen Worten die Rezension sogar als Mittel zum Zweck: „In der Kunst bedeutet dieses Vollkommenheitsbewußtsein unfruchtbare Erstarrung, auch wenn es nicht in pharisäischen Dünkel ausartet. Jeder seherische Dichter, der sich auf eine Offenbarung beruft, läuft Gefahr, auf die Dauer so zu versteinern. Deutschland, das Land <strong>des</strong> Theologenhochmuts <strong>und</strong> <strong>des</strong> Kirchenstreits, hat diesen Typus auch in der Literatur besonders erfolgreich am <strong>Werk</strong> gesehen. Alle Macht ist böse <strong>und</strong> entsteht durch Schuld. Auch die Machtstellung, die Goethe <strong>und</strong> Schiller für sich eroberten, machte davon keine Ausnahme. Nachdem sie sich einmal verstanden, erwies sich der priesterliche Schiller als der geniale Hüter <strong>und</strong> Mehrer ihres Reiches. Er hatte den strategischen Blick <strong>und</strong> die unermüdliche Freude am Kampf. Schon auf dem Weg zu Goethe war er vor keiner geistigen Gewalttat zurückgeschreckt. Eine der schlimmsten war die Rezension, mit der er Bürger, den Dichter der Lenore, als ein Goethe wohlgefälliges Opfer abschlachtete. Es war die eigene revolutionäre Vergangenheit, von der er sich mit diesem Meisterwerk an Scharfsinn <strong>und</strong> Bosheit lossagte, aber Bürger blieb dabei mit seiner Person <strong>und</strong> seinem Ruhm auf der Strecke. So gewaltsam ging es in Schillers ganzem <strong>Leben</strong> zu.“ 77 27 G.A. Bürger-Archiv