16.01.2013 Aufrufe

Rufmord klassisch - Leben und Werk des Dichters Gottfried August ...

Rufmord klassisch - Leben und Werk des Dichters Gottfried August ...

Rufmord klassisch - Leben und Werk des Dichters Gottfried August ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

auseinandersetzen wollte. Für Harnack gilt: „Sich auf den Standpunkt <strong>des</strong> Autors zu<br />

versetzen, ist die erste Bedingung gerechter Kritik“. Zudem hält er Schillers Idealisierung<br />

für eine unmögliche Theorie weil sie das Ende jeder Lyrik wäre. Und auch gegen<br />

Schillers Endurteil legt er Widerspruch ein: „Während sich Schiller so entschlossen von<br />

der Dichtkunst zurückzog - so entschlossen, daß er selbst zu poetischen Stammbucheinträgen<br />

in dieser Zeit ältere Verse, zurückgebliebene Strophen der Künstler verwandte - ließ<br />

er ein strenges Gericht über einen anderen Dichter ergehen, der nicht solche Selbstzensur<br />

übte. Bei Schillers Rezension über Bürgers Gedichte bewährt sich mutatis mutandis der<br />

Spruch Goethes:<br />

Wer Euch am strengsten kritisiert,<br />

Ein Dilettant, der sich registriert.<br />

Zwar kein Dilettant kritisiert hier, wohl aber ein Dichter, der sich aufs entschiedenste ´resigniert´<br />

hatte. Wenn Bürger für unmöglich hielt, daß Schiller diese Rezension verfaßt habe,<br />

weil er damit seine eigenen Gedichte verdammt haben würde, so entging ihm gänzlich, daß<br />

Schiller gerade das aus vollster Seele wollte <strong>und</strong> tat; in Bürger stieß er den eigenen alten<br />

Menschen von sich. Es ist klar, daß unter solchen Umständen die Rezension sich nicht durch<br />

Billigkeit auszeichnen konnte. Sich auf den Standpunkt <strong>des</strong> Autors zu versetzen, ist die erste<br />

Bedingung gerechter Kritik; sie verweigern ist nur gestattet, wenn man glaubt, das <strong>Werk</strong><br />

von vornherein als ´unter aller Kritik´ betrachten zu dürfen. Diese Meinung lag auch der<br />

Schillerschen Rezension tatsächlich zugr<strong>und</strong>e, <strong>und</strong> eben darum konnten auch alle einzelnen<br />

Lobsprüche, mit denen nicht gekargt war, den vernichtenden Eindruck nicht aufheben. Talent<br />

in verschiedener Hinsicht wurde Bürger zuerkannt; aber ein Talent, das mutwillig durch<br />

die unerzogene Persönlichkeit <strong>des</strong> <strong>Dichters</strong> verschleudert <strong>und</strong> vergeudet war. Und nicht nur<br />

in einzelnen Plattheiten <strong>und</strong> Schlüpfrigkeiten fand Schiller diesen Verderb <strong>des</strong> Talents, sondern<br />

in der Ungezähmtheit, mit der sich die maßlose, den Dichter zerrüttende Leidenschaft<br />

in seine Dichtung hineindrängte, die künstlerische Idealisierung von sich wies <strong>und</strong> <strong>des</strong>halb<br />

auch die äußere Formvollendung unmöglich machte.<br />

In diesem Urteil über Bürgers Person <strong>und</strong> Leistung ist viel Wahres; ja das meiste ist wahr,<br />

<strong>und</strong> doch setzte sich Schiller mit dieser Rezension im ganzen ins Unrecht. Zunächst war die<br />

Theorie, die er zugr<strong>und</strong>e legte <strong>und</strong> verfocht, eine unmögliche; seine Lehre von der Idealisierung,<br />

wie sie hier ausgesprochen, würde tatsächlich die lyrische Dichtung töten. Wenn verlangt<br />

wird, daß die Dichtkunst die Sitte, den Charakter, die ganze Weisheit ihrer Zeit geläutert<br />

<strong>und</strong> veredelt in ihrem Spiegel sammeln solle, daß der Dichter der aufgeklärte verfeinerte<br />

Wortführer der Volksgefühle ein solle, der die Geheimnisse <strong>des</strong> Denkens in leicht zu entziffernder<br />

Bildersprache dem Kindersinn zu erraten gebe, - so meint man eher, daß von einem<br />

Verkünder populärer Philosophie nach Art [Christian] Garves oder [Johann Jacob] Engels<br />

die Rede sei, als von einem lyrischen Dichter. Es war eben Schillern damals die selbständige<br />

Bedeutung <strong>des</strong> Ästhetischen noch nicht aufgegangen. Er selbst hat später ein klares<br />

Bewußtsein dieses Mangels gehabt, wenn er nur an dem Endurteil über Bürger festhielt, die<br />

´Beweise´ aber, die er dafür angeführt, preisgab. Wir jedoch müssen auch gegen das<br />

Endurteil Einspruch erheben. Waren auch die Vorwürfe meist berechtigt, so fehlte das<br />

Bewußtsein der eigentümlichen dichterischen Kraft Bürgers. Bürger war nicht nur<br />

talentvoll, sondern in ihm lebte ein Funke genialen Feuers. Und er hatte das Recht, trotz<br />

aller Mängel seiner Ausbildung, ein Urteil zu fordern, das von der Achtung vor dieser<br />

31<br />

G.A. Bürger-Archiv

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!