Rufmord klassisch - Leben und Werk des Dichters Gottfried August ...
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Beimischungen zu befreien; seine Muse sei oft zu gemein sinnlich <strong>und</strong> seine Schönheit trete<br />
nur einher als üppige Jugend, als volle Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> sinnliches Wohlleben; selten sei ein<br />
Gedicht gesäubert <strong>und</strong> die schlimme Region <strong>des</strong> Wüsten bleibe nicht unbetreten.“ 81 Auch<br />
<strong>August</strong> Friedrich Christian Vilmar folgt dem Schillerschen Ansatz <strong>und</strong> setzt Person<br />
<strong>und</strong> <strong>Werk</strong> gleich: „Bekanntlich sind Bürgers Gedichte vielfach mit seinen, fast vom<br />
Anfange an in sich zerrütteten <strong>Leben</strong> verflochten, <strong>und</strong> die große Mehrzahl derselben ist ein<br />
getreuer Abdruck einer eben so unedlen als unschönen Wirklichkeit.“ 82 Allerdings weist er<br />
auch auf Bürgers erstaunliche Wirkung hin: „Bürger hat zu den populärsten Dichtern<br />
gehört, welche unsere gesamte Literaturgeschichte aufweisen kann - seine Lenore durchflog<br />
in einem Augenblicke ganz Deutschland <strong>und</strong> wurde, was nicht stark genug hervorgehoben<br />
werden kann, im Kreiße <strong>des</strong> Volkes eben so wol gelesen <strong>und</strong> gesungen wie im Kreiße der<br />
Gebildeten, <strong>und</strong> thut in beiden Kreißen noch jetzt, nach siebenzig Jahren, ihre Wirkung.“ 83<br />
Eine der vielen kritischen Stimmen zu Schillers Rezension ist die von Franz<br />
Horn. Er formuliert 1824: „Sie ist bekanntlich von Schiller: aber nicht von dem großartig<br />
kühnen, der die Räuber schuf <strong>und</strong> den herrlichen Posa, der, frei gesinnt, einer dumpf engen<br />
Inquisitionswelt muthig geistreich gegenüber steht, nicht von dem herrlichen Dichter <strong>des</strong><br />
Toggenburg <strong>und</strong> <strong>des</strong> Tell, sondern von jenem Schiller, der in metaphysischer Uebertreibung,<br />
seinen eignen herrlich kühnen Genius für einige Jahre in die Kantische Schule schickte, wo<br />
er sich mit der Formenlehre zerarbeiten mußte, <strong>und</strong>, weil es ihm selbst so schwer geworden<br />
war, nun auch andere veranlassen wollte, sich auf ähnliche Weise zu zähmen. Wohl darf es<br />
uns seltsam, ja fast komisch erscheinen, daß Bürger durch eine Recension, die in der That<br />
nicht viel mehr enthält als einige abgerissenen Gedanken über Objektivität <strong>und</strong> Idealität der<br />
Poesie, sich so tief verletzt fühlen konnte. Leider aber imponierte ihm das metaphysische<br />
Gewand, worein sie gekleidet ist, gar sehr, <strong>und</strong> er konnte in der Geschwindigkeit für seine<br />
allzuheftige Antikritik kein gleiches Prunkkleid finden, das in ruhigen St<strong>und</strong>en doch so<br />
leicht aufzutreiben ist.“ 84 Und Horn fährt fort: „Die beste Kritik der Bürgerschen Gedichte<br />
ist, wie mich dünkt, von dem deutschen Volke selbst gemacht worden, indem es manche<br />
derselben sich in das Gemüth tief hineingeschrieben <strong>und</strong> glücklich auswendig gelernt hat.“<br />
Eine kritische Auseinandersetzung mit der Rezension ist im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert kaum<br />
zu finden, es bleibt bei nicht näher begründeter Zustimmung oder Ablehnung. Eine<br />
Ausnahme bilden die Kenner von Schillers <strong>Werk</strong> <strong>und</strong> seiner Entwicklung, insbesondere<br />
Karl Hoffmeister, Karl Grün <strong>und</strong> Otto Harnack. Hoffmeister schreibt 1838 in<br />
seinem <strong>Werk</strong> Schillers <strong>Leben</strong>. Geistesentwickelung <strong>und</strong> <strong>Werk</strong>e im Zusammenhang:<br />
„Schiller, welcher im April 1789 in Weimar Bürger's persönliche Bekanntschaft machte,<br />
hatte ihn im <strong>Leben</strong> so, wie in seinen Gedichten gef<strong>und</strong>en: bieder, populär, aber auch zuweilen<br />
platt; ´vom Platten aber ist der Idealist ein geschworner Feind´. Unser Kunstrichter behauptet<br />
nun: Bürger's Produkten fehle deßwegen die letzte Hand, weil - sie ihm selbst fehle,<br />
er könne deßwegen seinen Gegenstand nicht idealisiren, weil das Ideal von Vollkommenheit<br />
sich in seiner eigenen Seele nicht verwirklicht habe.<br />
Dieser ideenreichen Beurtheilung fügte ihr Verfasser eilf Jahre später, als er sie in den<br />
vierten Band der Sammlung seiner kleinen prosaischen Schriften einrückte, die Anmerkung<br />
bei, daß er auch jetzt seine Meinung nicht andern könne, aber sie mit bündigeren Beweisen<br />
unterstützen würde, denn sein Gefühl sei richtiger gewesen, als sein Räsonnement. In den<br />
allgemeinen Behauptungen scheint er besonders in Folgendem gefehlt zu haben.<br />
Den verfeinerten Kunstsinn, heißt es, befriedigt nie die Materie, sondern nur die Schön-<br />
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G.A. Bürger-Archiv