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Rufmord klassisch - Leben und Werk des Dichters Gottfried August ...

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heit der Form, nie die Ingredienzien, nur die Feinheit der Mischung. Wenn dieses wahr ist,<br />

wie kann der Verfasser auf den vorhergehenden Seiten von einer dem Dichter nothwendigen<br />

glücklichen Wahl <strong>des</strong> poetischen Stoffes reden, die sich nur an das halten soll, was dem<br />

Menschen als Menschen eigen ist? <strong>und</strong> wie kann er der Bürger´schen Muse ihren sinnlichen<br />

Charakter vorwerfen? Die Schönheit der Form kann sich ja auch am Speziellsten zeigen,<br />

<strong>und</strong> auch das Sinnliche läßt sich ´fein mischen´.<br />

Mit diesem Widerspruch der Ansichten hängt noch ein anderer Fehlgriff zusammen.<br />

Schiller rechnet zur Idealisirung <strong>des</strong> poetischen Stoffes auch das, daß das Individuelle <strong>und</strong><br />

Lokale zum Allgemeinen erhoben werde. Namentlich soll der lyrische Dichter keine Seltenheiten,<br />

keine streng individuelle Charaktere <strong>und</strong> Situationen darstellen; er darf eine gewisse<br />

Allgemeinheit in den Gemüthsbewegungen, die er schildert, nicht verlassen. Die späteren<br />

Bürger´schen Gedichte werden getadelt, weil sie großentheils Produkte einer solchen ganz<br />

eigenthümlichen Lage seien, deren Unideales, welches von ihr immer unzertrennlich sei,.<br />

den vollständigen <strong>und</strong> reinen Genuß sehr störe. Schiller verwechselt aber hier das Allgemeine<br />

mit dem ächt Menschlichen <strong>und</strong> Bedeutsamen, <strong>und</strong> das Gemeine <strong>und</strong> Unvollkommene<br />

mit dem Individuellen <strong>und</strong> Lokalen. Alles ächt Menschliche, alles Bedeutsame im Menschenleben<br />

ist nur dann wahrhaft poetisch, wenn es sich in die individuellsten Lagen hinein<br />

verzweigt. Die Lieder an Molly z.B. scheinen uns nicht mit Schiller unpoetisch empf<strong>und</strong>en!<br />

Welch eine tief erschütternde, verhängnißvolle Gemüthslage eines <strong>Dichters</strong>, an eine Gattin<br />

geb<strong>und</strong>en zu sein, die ihm gleichgültig ist, <strong>und</strong> ihre eigene Schwester unaussprechlich zu<br />

lieben <strong>und</strong> von ihr eben so geliebt zu werden, mit der sich zu verbinden, ihm konventionelle<br />

Gesetze nicht gestatten! Gerade durch dieses ganz bestimmte Verhältniß werden uns alle<br />

Lieder, die dasselbe offenbaren, interessanter, beziehungsreicher, wahrer <strong>und</strong> theurer. [...]<br />

Seither ist es hinreichend anerkannt, daß Schiller Bürgern einseitig beurtheilte. In dem Streben<br />

nach eigener Selbstveredlung leidenschaftlich begriffen, konnte er einem dem seinigen<br />

ganz unähnlichen Verdienst unmöglich Gerechtigkeit widerfahren lassen.“ 85<br />

Karl Grün wehrt sich 1844 insbesondere gegen den Schluß von der Person auf<br />

das <strong>Werk</strong>: „Die berühmte <strong>und</strong> berüchtigte Rezension der ´Bürger'schen Gedichte´ stand<br />

1791 in der Allgemeinen Literaturzeitung <strong>und</strong> war im Jahre vorher niedergeschrieben<br />

worden. Sie fällt also in die Zeit, in welcher Schiller den großartigen Reinigungsprozeß mit<br />

sich vornahm, sich durch ästhetische <strong>und</strong> philosophische Studien zu der idealen Höhe zu<br />

erheben, auf der ihm einzig der Odem ächter Kunst zu wehen schien. Von solch' hohem<br />

idealischem Standpunkte fiel ihm denn das Unkünstlerische, Platte in Bürger's Gedichten<br />

allzusehr auf, oder er vergaß wenigstens über diesen Mängeln, den tiefen, poetischen Fonds,<br />

das Bleibende in Bürger in das rechte Licht zu stellen. Die Kritik ist negativ, sie läßt blos<br />

fallen; das Lob, das sie ausspricht, sieht wie erzwungen aus <strong>und</strong> als ob es nur zur<br />

Beschönigung <strong>des</strong> wegwerfenden Urtheils ausgesprochen wäre. Dies ist der Mangel der<br />

ganzen Rezension; nicht das Negative ist falsch, sondern das Positive fehlt. [...] Die Spitze<br />

der Kritik, die man freilich nur dem reinen, hochsittlichen Schiller verzeihen kann, ist der<br />

Schluß ad hominem, ´daß der Geist, der sich in diesen Gedichten darstelle, kein gereifter,<br />

kein vollendeter Geist sei, daß seinen Produkten nur <strong>des</strong>halb die letzte Hand fehlen möchte,<br />

— weil sie ihm selbst fehle.´<br />

Diese Lizenz geht über die Befugniß jeglicher Kritik hinaus [...]. Die Person <strong>des</strong> <strong>Dichters</strong><br />

muß unantastbar bleiben.“ 86 Die härteste Kritk an der Rezension brachte jedoch Otto<br />

Harnack 1898 an. Er weist darauf hin, dass dieser sich damals in einer Schaffenskrise<br />

befand <strong>und</strong> unterstellt ihm sogar, dass er sich gar nicht mit Bürgers <strong>Werk</strong> ernsthaft<br />

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G.A. Bürger-Archiv

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