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Wir sind kein Rosengarten - Ensuite

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literatur<br />

FILOSOFENECKE<br />

Von Alther&Zingg<br />

«SO BLÖDSINNIG SIND<br />

INDES NUR WENIGE,<br />

DASS MAN IHNEN NICHT<br />

IDEEN BEIBRINGEN<br />

KÖNNTE.» Max Stirner 1845<br />

■ Ein richtiger Filosof scheitert. An den Dingen.<br />

An sich selbst. An seinen Ideen. Ein richtiger Filosof<br />

scheitert an der Unverständlichkeit seiner<br />

Schriften. Erst Jahre später vielleicht... Postum<br />

die Anerkennung, versteht sich. Ein richtiger<br />

Filosof scheitert am Alkohol. An der bedingten<br />

Erklärbarkeit von allem und jedem. An der Wahrheit<br />

ohnehin. Andere werden publiziert, gelesen,<br />

diskutiert, medial verteufelt glorifi ziert – und<br />

also zu Lebzeiten berühmt. Eine besonders zynische<br />

Art des Scheiterns. Das <strong>sind</strong> die wenigen.<br />

Die Allermeisten bleiben unerkannt. Filosofi nnen<br />

sowieso (der Thesaurus macht auf nie gehört).<br />

Ist ihnen das Schicksal günstig gesinnt, erkennen<br />

sie ihr Glück: Wie gut, dass niemand weiss...<br />

Filosof sein ist eine Idee. Mehr nicht. Das gilt<br />

auch für die konsequenten Materialisten unter<br />

ihnen. Sie alle <strong>sind</strong> auf die Idee von der besseren<br />

Welt gekommen. Diesseits – Jenseits? Eine<br />

Nuance bloss. ‹Mir geht nichts über Mich› – so<br />

heisst die bessere Welt bei Stirner. Das radikale<br />

Individuum kommt nicht auf Ideen. Die Ideen<br />

kommen auch nicht zu ihm. Das radikale Individuum<br />

ist die Idee selbst. Die Realität also. Ich bin<br />

mir die Realität. Von der Gesellschaft schlimmstenfalls<br />

auf Ideen gebracht: ‹Pfaffen, Wissenschafter,<br />

Musiker, Filosofen, Kommunisten› – sie<br />

alle stehen auf Stirners Liste der Ideenbringer.<br />

Auch ‹Schulmeister und Bärenführer›. Nichts<br />

haben sie verstanden. Nichts vom Individuum.<br />

‹Die Dressur wird allgemeiner und umfassender›<br />

– dies Stirners Prognose. So weit so ‹blödsinnig›,<br />

so weit so sinnvoll. Nur: Aufklärer, Nachdenker,<br />

Individualisten, Anarchisten – sie verfallen samt<br />

und sonders dem gleichen Irrtum: Sie gehen vom<br />

mündigen Menschen aus. Dem selbst verantwortlichen<br />

Individuum. Eingebettet im – immerhin kritisier-<br />

und wandelbaren – Axiom der Vernunft als<br />

letzter Religion, was bei Stirner notwendig zur<br />

gesamt-gesellschaftliche Vernünftigkeit führt.<br />

Der Gesetzlose ist ihm höchste Ausprägung des<br />

verantwortungsvollen Menschen. Weit davon<br />

entfernt, andere auf Ideen bringen zu wollen.<br />

Bringen Sie am 30. Mai um 19 Uhr doch ein<br />

paar Ideen, Ihre Stimme oder sonst ein Instrument<br />

ins Tonus Musiklabor an der Kramgasse 10<br />

mit.<br />

14<br />

LITERATUR<br />

der gotthelfhandel - ein plädo<br />

literatur, die etwas zu sagen h<br />

Interview von Anne-Sophie Scholl<br />

■ Eine der unbestechlichsten und mutigsten<br />

Stimmen in der Schweiz der ersten Hälfte des 20.<br />

Jahrhunderts war der Berner C. A. Loosli. Lange<br />

zu Unrecht verkannt, lässt ihn die im Rotpunktverlag<br />

entstehende 7-bändige Werkausgabe in der<br />

ganzen Breite seines publizistischen Engagements<br />

zu Wort kommen. Zwei Bände liegen vor. An den<br />

Solothurner Literaturtagen wird die Vernissage<br />

des neusten Bandes gefeiert: Das Buch «Gotthelfhandel»<br />

zeigt C. A. Loosli als Schriftsteller, der sich<br />

kompromisslos für seinen Beruf stark macht. Ein<br />

Gespräch mit Fredi Lerch, dem Mitherausgeber der<br />

entstehenden C. A. Loosli-Werkausgabe.<br />

Der letzte Band der Werkausgabe wird 2009<br />

zum fünfzigsten Todestag von C. A. Loosli erscheinen.<br />

Wieso soll man C. A. Loosli heute noch<br />

lesen?<br />

Das Werk von C. A. Loosli gibt einen unglaublich<br />

breiten und kompetenten Einblick, wie die Schweiz<br />

zwischen 1900 und 1950 funktioniert hat. Es ist ein<br />

Einblick, der viel umfassender ist als die meisten<br />

anderen schriftstellerischen Einblicke, weil Looslis<br />

Texte viel mehr von den effektiven politischen,<br />

juristischen und gesellschaftlichen Strukturen in<br />

dem Land vermitteln. Dieses Land hatte Aspekte,<br />

wie etwa das Verdingkinderwesen oder die Administrativjustiz,<br />

die äusserst schlimm gewesen<br />

<strong>sind</strong>. Seine Kritik führt Loosli scharf und teilweise<br />

kann man sie heute ebenso scharf immer noch<br />

führen – etwa, wenn Loosli über den «lächerlich<br />

gekrümmten internationalen Trinkgeldbuckel» seiner<br />

Miteidgenossen von Leder zieht. Das Land hat<br />

aber auch Qualitäten, die auch Loosli verteidigt,<br />

etwa die demokratische Struktur und die kulturellkreative<br />

Kleinräumigkeit. Um zu wissen, warum die<br />

Schweiz heute funktioniert, wie sie funktioniert,<br />

muss man vielleicht wirklich einmal Loosli lesen.<br />

Zwei erste Bände der entstehenden Werkausgabe<br />

<strong>sind</strong> letzten Herbst erschienen, jetzt wird<br />

ein weiterer Band greifbar. Wie ist dieser dritte<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 53 | Mai 07

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