Wir sind kein Rosengarten - Ensuite
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Von Spiegeln und Menschen…<br />
■ Im Berner Hauptsitz der Mobiliar<br />
<strong>sind</strong> zurzeit überall im Haus Spiegel<br />
aufgestellt, in die die zentralen Werte<br />
des neuen Leitbilds der Versicherungsgesellschaft<br />
eingraviert <strong>sind</strong>: «Verlässlich,<br />
kompetent, erfolgreich, vorausschauend,<br />
kommunikativ» überlagern<br />
das Bild des sich spiegelnden Betrachters<br />
und führen ihm auf findige,<br />
aber nicht gerade subtile Weise vor<br />
Augen, welche Charaktereigenschaften<br />
der ideale Mobiliar-Mitarbeiter mit<br />
sich bringen sollte. Ganz frei von arbeitsmoralischen<br />
Fingerzeigen ist die<br />
aktuelle Ausstellung «Spiegel, Räume,<br />
Projektionen», bei deren Konzeption<br />
sich Liselotte <strong>Wir</strong>th Schnöller und Sylvia<br />
Mutti von der Idee des Spiegels<br />
als Träger des Leitbildes haben inspirieren<br />
lassen. Zu sehen <strong>sind</strong> Werke<br />
von vierzehn Künstlerinnen und<br />
Künstlern, die dem Besucher auf unterschiedliche<br />
Weise eine aktive Auseinandersetzung<br />
mit dem Exponat einerseits<br />
und sich selbst als Betrachter<br />
andererseits abverlangen. So bezieht<br />
Christian Megert durch den Gebrauch<br />
von Spiegeln den Ausstellungsraum<br />
und die Betrachter in seine Werke<br />
mit ein. Jedem, der in die «Spiegelquadrate»<br />
hineinblickt, offenbart sich<br />
ein ganz anderes, individuelles Bild<br />
– indem wir durch unser Spiegelbild<br />
selbst Bestandteil des Kunstwerks<br />
werden, verschwimmt die Grenze<br />
zwischen Bild und Betrachter. Ursula<br />
Mumenthaler gelingt es in ihren zwei<br />
Fotografien «Garage», unser Auge auf<br />
artensuite Mai 05 | 07<br />
ungewohnte Weise zu täuschen, indem<br />
sie das Prinzip des traditionellen<br />
Trompe-l’œils in sein Gegenteil verkehrt:<br />
Mit Malerei wird nicht Räumlichkeit,<br />
sondern zweidimensionale<br />
Fläche vorgegaukelt. Mumenthaler<br />
bemalt einen leeren Raum partiell,<br />
so dass sich im Blick durch die präzis<br />
platzierte Kamera geometrische<br />
Formen ergeben. <strong>Wir</strong> stehen vor den<br />
Fotografien und machen sofort den<br />
Raum der Garage aus, unsere Augen<br />
aber übersetzen die Raumbemalung<br />
in eine zweidimensionale Fläche, die<br />
sich über die eben noch konstatierte<br />
Räumlichkeit schiebt. <strong>Wir</strong> müssen unser<br />
Sehorgan geradezu zwingen, das<br />
zu sehen, was wirklich ist, nämlich<br />
einen mit Dispersion bemalten Raum.<br />
Mumenthalers Augentäuschungen<br />
<strong>sind</strong> in den Fotos angelegt, aber sie<br />
passieren in unseren Köpfen. Ein anderes<br />
Spiel mit dem Betrachter treibt<br />
Markus Rätz, indem er die Worte<br />
Todo und Nada in einer Skulptur so<br />
vereint, dass sie nie gleichzeitig gelesen<br />
werden können. Je nach Standpunkt<br />
können wir in dem Messingguss<br />
Alles (Todo) oder Nichts (Nada)<br />
sehen – der allmähliche Perspektivenwechsel<br />
verkehrt eine scheinbar<br />
fixe Position in ihr komplettes Gegenteil.<br />
Auch Philippe Hinderling bringt<br />
den Ausstellungsbesucher dazu, sich<br />
zu bewegen: «Benutzen Sie die Teller,<br />
um die MMS zu fangen», wird man<br />
beim Eintreten in einen mit Projektoren<br />
ausgestatteten Flur aufgefordert.<br />
Und tatsächlich: Folgen wir mit den<br />
weissen Papptellern den Lichtstrahlen<br />
der Projektoren, werden plötzlich<br />
Zeichnungen sichtbar – wir werden<br />
selbst zum Bildträger und damit wesentlicher<br />
Teil des Kunstwerks. Die<br />
kunstphilosophische Frage danach,<br />
ob ein Bild ohne Betrachter überhaupt<br />
existieren kann, wird in Hinderlings<br />
«Ballade MMS» in spielerischer Weise<br />
auf die Spitze getrieben. Ohne unsere<br />
aktive Bemühung, die Bilder einzufangen,<br />
bleiben diese in den Projektoren<br />
verborgen. Nicht lange suchen<br />
muss man nach Véronique Zussaus<br />
Werk «Les yeux aux ciel». Stolz und<br />
flügelschlagend scheint der Schwan<br />
die Betrachter verscheuchen zu wollen.<br />
Doch bei näherem Hinschauen<br />
erkennen wir in dem so lebendig wirkenden<br />
Geschöpf die blosse Projektion<br />
der Fotografie des ausgestopften<br />
Tieres. In diesem mehrstufigen Prozess<br />
der Übertragung von einem Medium<br />
ins nächste rückt der Schwan<br />
immer weiter vom lebendigen Tier<br />
weg, so weit, dass ausgelöst durch einen<br />
Bewegungsmelder die Projektion<br />
plötzlich verschwindet und nur noch<br />
der auf die Wand gemalte Schattenriss<br />
des Vogels übrig bleibt. Die Ausstellungsmacherinnen<br />
haben in «Spiegel,<br />
Räume, Projektionen» eine gute<br />
Auswahl von Werken getroffen und<br />
gewähren uns einen abwechslungsreichen<br />
Einblick in die umfangreiche<br />
Kunstsammlung der Mobiliar. (ms)<br />
Balthasar Burkhard, Rio<br />
Negro, 2002, Fotografi e auf<br />
Barytpapier auf Alu,<br />
125 x 250 cm.<br />
«Spiegel, Räume,Projektionen»<br />
Eingangshalle der<br />
Mobiliar, Bundesgasse<br />
35, Bern.<br />
Geöffnet Montag<br />
bis Freitag 08:00-<br />
18:00 h.<br />
Bis 11. Mai.<br />
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artensuite