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kritik der wertkritik kritik der kritik der wertkritik herrschaft, befreiung ...

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9<br />

Position <strong>der</strong> radikalen Transformation überlebt, die<br />

gleichzeitig mit aller Kraft aus dem Kreislauf <strong>der</strong> gesellschaftlichen<br />

Produktion ausgeschlossen und an<br />

den Schauplätzen des politischen Diskurses verhöhnt<br />

wurde.<br />

Wenn sie sich auch in viele vereinzelte private<br />

und berufliche Erfahrungen verästelt hat, hat die<br />

Beschäftigung mit <strong>der</strong> Kindheit doch eine solche<br />

Kraft bewahrt, dass sie stets über den unmittelbaren<br />

Zusammenhang, aus dem sie jeweils hervorgeht,<br />

hinausweist. Ob es sich um das aktive Interesse an<br />

selbstverwalteten Kin<strong>der</strong>gärten, an <strong>der</strong> alternativen<br />

Jugendkultur handelt, o<strong>der</strong> um Fragen, die mit den<br />

Arbeitszeiten <strong>der</strong> Eltern zusammenhängen, um<br />

exemplarische Darstellungen und Gleichnisse bezüglich<br />

<strong>der</strong> Kindheit in Film und Literatur o<strong>der</strong> um<br />

die psychiatrische Arbeit von Marco Lombardo<br />

Radice, in jedem dieser Fälle (und natürlich in vielen<br />

weiteren) waren Fragen nach <strong>der</strong> Möglichkeit eines<br />

gelungenen Lebens, nach Freiheit und Glück<br />

deutlich vernehmbar. Alles an<strong>der</strong>e als gebrochen<br />

und aufgesplittert war hingegen <strong>der</strong> Zugang <strong>der</strong><br />

Frauenbewegung zum Thema <strong>der</strong> Kindheit: Angefangen<br />

vom Buch Dalla parte delle bambine (Auf<br />

<strong>der</strong> Seite <strong>der</strong> Mädchen) von Elena Belotti kann man<br />

sagen, dass dieses Thema zur Gänze das politische<br />

Projekt des Feminismus durchzieht.<br />

Nicht immer frei von Ambiguität (wie etwa <strong>der</strong><br />

mutwilligen Regression in ein früheres Stadium, um<br />

sich vor den Einschnitten <strong>der</strong> Geschichte zurückzuziehen,<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Sehnsucht nach einer illusorischen<br />

heilen Natur, nach einer an die Wiege erinnernden<br />

Sicherheit), hat die Reflexion über die Kindheit in<br />

den 80er Jahren dennoch kritische Energien angesammelt,<br />

die – wie das bei einer vollen Batterie <strong>der</strong><br />

Fall ist – nur darauf warten, sich in alle möglichen<br />

Zusammenhänge entladen zu können. Dabei handelt<br />

es sich allerdings um kritische Energien, die<br />

sich ausgehend vom Wissen um die eigene<br />

Prekarität und Verwundbarkeit entwickelt haben;<br />

vom Wissen um jenes Der-Welt-ausgeliefert-Sein, das<br />

in <strong>der</strong> noch nicht zusammengewachsenen<br />

Fontanelle auf dem Kopf des Neugeborenen einen<br />

sichtbaren Ausdruck findet. Es sind also Energien,<br />

die das Bewusstsein <strong>der</strong> Grenze nicht verdrängen,<br />

son<strong>der</strong>n eben daraus entstehen. Energien, die aus<br />

<strong>der</strong> „Enttäuschung“ gestärkt hervorgegangen sind.<br />

Es ist bekannt, dass Walter Benjamin niemals seinen<br />

Blick von <strong>der</strong> Kindheit abwandte. Und es ist<br />

ebenso bekannt, dass er erstaunlich früh die<br />

Wesenszüge <strong>der</strong> technischen Reproduzierbarkeit des<br />

Kunstwerks erkannte. Was jedoch bislang verborgen<br />

blieb, ist die enge Verbindung zwischen diesen beiden<br />

Fakten. Benjamin begriff die neuen Bedingungen <strong>der</strong><br />

Kulturproduktion (Fotografie, Radio, Kino, Genre-<br />

roman) deshalb so schnell, weil er sich den Zugang<br />

zur kindlichen Erfahrung niemals verstellte und aus<br />

diesem sogar Lehren hinsichtlich <strong>der</strong> grundlegenden<br />

Tendenzen seiner Zeit zog.<br />

Nur weil er sich lange mit dem kindlichen Spiel<br />

beschäftigt hatte – das durch die unerschöpfliche<br />

Wie<strong>der</strong>holung <strong>der</strong>selben Gesten und <strong>der</strong>selben<br />

sprachlichen Formeln gekennzeichnet ist –, war er<br />

imstande, die Bedeutung <strong>der</strong> massenhaft hergestellten<br />

Serialität zu begreifen, die heute nicht mehr nur<br />

die Kulturindustrie auszeichnet, son<strong>der</strong>n jeglichen<br />

Aspekt <strong>der</strong> unmittelbaren Erfahrung. In einer<br />

Rezension eines Buches über Spielzeug schreibt<br />

Benjamin einige Sätze, die in gewisser Hinsicht auch<br />

auf die BewohnerInnen <strong>der</strong> heutigen Metropolen<br />

bezogen sein könnten: „Endlich hätte eine solche<br />

Studie dem großen Gesetz nachzugehen, dass über<br />

allen einzelnen Regeln und Rhythmen die ganze<br />

Welt <strong>der</strong> Spiele regiert: dem Gesetze <strong>der</strong><br />

Wie<strong>der</strong>holung. Wir wissen, dass sie dem Kind die<br />

Seele des Spiels ist; dass nichts es mehr beglückt als<br />

„noch einmal“. [...] „Es ließe sich alles trefflich<br />

schlichten, / Könnte man die Sachen zweimal verrichten“,<br />

nach diesem Goetheschen Sprüchlein handelt<br />

das Kind. Nur gilt ihm: nicht zweimal, son<strong>der</strong>n<br />

immer wie<strong>der</strong>, hun<strong>der</strong>t- und tausendmal. Das ist<br />

nicht nur <strong>der</strong> Weg, durch Abstumpfung, mutwillige<br />

Beschwörung, Parodie, furchtbarer Urerfahrungen<br />

Herr zu werden, son<strong>der</strong>n auch Triumphe und Siege<br />

immer wie<strong>der</strong> durchzukosten.“ 2<br />

Das für die Kindheit typische Streben nach dem<br />

noch einmal setzt sich in <strong>der</strong> technisch reproduzierbaren<br />

Erfahrung fort. Schon diese Feststellung erlaubt<br />

es Benjamin nicht, in ein nostalgisches Nachtrauern<br />

zu verfallen: Insofern in <strong>der</strong> Reproduzierbarkeit<br />

ein tiefes Bedürfnis des menschlichen<br />

Wesens Befriedigung erlangt, ist es ihr gegenüber<br />

einfach nicht angebracht, verächtlich die Mundwinkel<br />

zu verziehen. Die entscheidende Frage lautet:<br />

Wie kommt es dazu, dass die Gesellschaft des<br />

entwickelten Kapitalismus ein Wesenselement <strong>der</strong><br />

Kindheit wie<strong>der</strong> aufnimmt? Was ist beiden gemeinsam?<br />

Das Fehlen fester Gewohnheiten, die die Praxis<br />

in bestimmte Bahnen lenken, um diese vor <strong>der</strong><br />

Zufälligkeit zu schützen: darin liegt die Antwort.<br />

Sowohl die Kin<strong>der</strong> als auch die BewohnerInnen <strong>der</strong><br />

Großstädte müssen ohne Traditionen und Orientierungshilfen<br />

auskommen. Bar jeden Schutzes in<br />

Form einer „Gewohnheit“, müssen sowohl die einen<br />

als auch die an<strong>der</strong>en auf die Wie<strong>der</strong>holung zurükkgreifen,<br />

um die Schocks des Unvorhergesehenen<br />

abzuschwächen und sich, so gut es geht, zu orientieren.<br />

Die spielerische Wie<strong>der</strong>holung <strong>der</strong> ersten<br />

Lebensjahre zeugt davon, dass es noch keine<br />

Paolo Virno Anmerkungen zur Grammatik <strong>der</strong> Multitude<br />

seite_54 grundrisse_16_2005

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