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Münchner Stadtgespräche - Umweltinstitut München e.V.

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ten. Habermas I hatte noch die Krise des Kapitalismus<br />

zutreffend analysiert und die Position<br />

vertreten, dass BürgerInnen-Bewegungen<br />

nur so lange einen Spielraum eingeräumt bekommen,<br />

so lange die Machtfrage nicht ernsthaft<br />

gestellt wird. In dem Moment, in dem die<br />

BürgerInnen als außerparlamentarische Opposition<br />

die demokratische Herrschaft herausfordern,<br />

wurden ihnen noch immer die Mittel<br />

gekürzt resp. der Prozess für beendet erklärt.<br />

Die LA 21-Bewegung eignet sich sicherlich<br />

nicht dafür, auf sie alle in der Vergangenheit<br />

nicht sehr erfolgreichen emanzipativen und an<br />

Gerechtigkeits-Kriterien orientierten gesellschaftlichen<br />

Auseinandersetzungen „draufzusatteln“.<br />

So lange man nicht analysiert, warum<br />

die Gleichberechtigung der Geschlechter<br />

zwar grundgesetzlich festgeschrieben ist, aber<br />

dennoch massive Benachteiligungen der Frauen<br />

im Erwerbssektor nach sich zieht, warum<br />

der Umweltschutz orientiert an technologischen<br />

Regelungen so weit nur zugelassen<br />

wird, wie die Produktionskostenbelastung dieses<br />

ermöglicht und so lange Sozialverträglichkeitsprüfungen<br />

an dem mangelnden Mut zur<br />

Festlegung von Schwellenwerten scheitern,<br />

wird die Interessenskonstellation nicht deutlich,<br />

welche das Modernisierungsmodell eng<br />

an Prozesse der Nicht-Nachhaltigkeit koppelt.<br />

Also alles hoffnungslos? Für die Natur am wenigsten,<br />

denn diese wird die kurze Episode<br />

menschlicher Besiedelung – wenn auch<br />

bisweilen durch anthropogene Eingriffe stark<br />

verändert – mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />

überstehen; die größere Herausforderung ist,<br />

ob und wie die Menschheit in der Lage ist,<br />

eine für sie ausreichend gute Umwelt sicherzustellen,<br />

um auf der Erde (möglichst lange) zu<br />

überleben. Das geht – laut Brundtland-Bericht<br />

– nur dann, wenn die Ziele wirtschaftlicher<br />

und sozialer Entwicklung im Hinblick auf Dauerhaftigkeit<br />

definiert werden (dieser Teil wird<br />

beim Zitat der bekannten Definition gerne<br />

ausgelassen).<br />

4. Doch ein wenig Hoffnung?<br />

Dennoch besteht Hoffnung auf einen grundlegenden<br />

Wandel, die vor allem darin liegt, dass<br />

mit den LA 21-Aktivitäten neue Formen freiwilliger,<br />

am Stadtviertel orientierter zivilgesellschaftlicher<br />

Aktivitäten entstehen, dass Menschen<br />

politischer werden, Diskurse anregen und<br />

politische Standards setzen und einfordern, die<br />

insgesamt eine Kultur der außerparlamentarischen<br />

Kritik etablieren, der sich Kommunalpolitik<br />

langfristig nicht entziehen kann.<br />

Hierfür sind Städte die geeigneten Plattformen.<br />

Hier sind unterschiedliche Interessen eng<br />

beisammen, gibt es häufig widerstreitende Interessen<br />

um die Nutzung knapper Flächen, gibt<br />

es verschiedene Formen der Interessensartikulation<br />

und des politischen Kampfes. Das bedeutet,<br />

dass sich Meinungsbildung zuspitzen wird<br />

und muss, dass die Konflikte offen gelegt wer-<br />

den, ausgetragen und ausgehalten werden<br />

müssen – anders kommt man nicht zu einer<br />

selbstbewussten bürgerlichen Zivilgesellschaft.<br />

Auch nur so kann man sich in modernem<br />

politischem Sinn emanzipieren,<br />

wie es die Logik deliberativer Demokratie<br />

nahe legt.<br />

Die LA 21 ist also kein Handlungsfeld, in<br />

dem der Umweltschutz nennenswert verbessert<br />

werden kann, trägt auch kaum zu<br />

einer Überwindung der gesellschaftlichen<br />

Brüche bei (Armut-Reichtum, Integration)<br />

und wird wohl kaum eine neue Form der<br />

Regulation des Kapitalismus beitragen –<br />

aber sie kann die Köpfe verändern, die politische<br />

Kultur und damit diejenigen PolitikerInnen<br />

beeinflussen, die „im Namen der<br />

BürgerInnen“ reden und entscheiden. Das<br />

ist auch die subversive Idee: Wenn sich in<br />

allen Städten kleine Strukturen zivilgesellschaftlichen<br />

Selbstbewusstseins etablieren,<br />

dann kann es zu unumkehrbaren Prozessen<br />

führen. Ich plädiere also nicht gegen<br />

LA 21-Prozesse, sondern allenfalls gegen<br />

damit verbundene Illusionen – aber<br />

vielleicht sind diese (anfangs) auch ganz<br />

gut, denn so mancheR hätte sich nicht getraut<br />

teilzunehmen, wenn sie/er gewusst<br />

hätte, dass es um eine neue Demokratiekultur<br />

geht.<br />

* An dieser Stelle sei auf die feministischen Veröffentlichungen<br />

kritisch hingewiesen, die aufgrund<br />

der Tatsache, dass der durchschnittliche männliche<br />

Fußabdruck (oder Elemente daraus) größer als<br />

der der durchschnittlichen Frau ausfalle, schlussfolgern,<br />

dass Frauen „von Natur aus“ oder aus<br />

einem Verantwortungs-Kalkül heraus nachhaltiger<br />

seien. Hier fallen die Autorinnen auf die Erscheinungsformen<br />

herein und berücksichtigen nicht gesellschaftliche<br />

Positionen. Vergleicht man ähnliche<br />

Positionen, wobei die Frauen in den „höheren“<br />

deutlich unterrepräsentiert sind, dann verschwinden<br />

die Unterschiede zwischen den Geschlechtern rasch.<br />

Jens S. Dangschat<br />

Fotos: Andreas Bauer<br />

Der für diese Ausgabe der <strong>Münchner</strong> <strong>Stadtgespräche</strong><br />

modifizierte Text erschien erstmals auf<br />

www.nachhaltigkeit.at<br />

Der Autor<br />

Jens S. Dangschat ist Professor für Siedlungssoziologie<br />

und Demographie an der Technischen<br />

Universität Wien (Department Raumentwicklung,<br />

Infrastruktur- und Umweltplanung, Fachbereich<br />

Soziologie - ISRA). Forschungsgebiete:<br />

Stadt- und Regionalsoziologie, Soziale Ungleichheit,<br />

Segregation, Migration und Integration,<br />

nachhaltige Raumentwicklung, Raum- und Planungstheorien.<br />

<strong>Münchner</strong> <strong>Stadtgespräche</strong> Nr. 48/49 05/2008<br />

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