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Fachtagung 2010 - BQM

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Dokumentation der <strong>Fachtagung</strong> und Preisverleihung<br />

Vielfalt in ausbildung und arbeit<br />

7. Juni <strong>2010</strong> im Rathaus der Freien und Hansestadt Hamburg<br />

Das Projekt <strong>BQM</strong> wird aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) im Ziel „Regionale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung“, Förderperiode 2007 - 2013, und<br />

von der Freien und Hansestadt Hamburg finanziert.


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

Impressum<br />

Titel Dokumentation der <strong>Fachtagung</strong> „Vielfalt in Ausbildung und Arbeit“ –<br />

7. Juni <strong>2010</strong> im Hamburger Rathaus<br />

Herausgeber KWB – Koordinierungsstelle Weiterbildung und Beschäftigung e. V.<br />

Haus der Wirtschaft<br />

Kapstadtring 10<br />

22297 Hamburg<br />

Tel. 040 637855-00<br />

Fax 040 637855-99<br />

www.kwb.de<br />

info@kwb.de<br />

Projekt <strong>BQM</strong> – Beratungs- und Koordinierungsstellezur beruflichen<br />

Qualifizierung von jungen Migrantinnen und Migranten<br />

www.bqm-hamburg.de<br />

Fotos © Jörg Müller<br />

Redaktion Funda Erler<br />

Lektorat Monika Ehmke<br />

eralp@kwb.de, ehmke@kwb.de<br />

2


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

Inhalt<br />

Vorwort 5<br />

Tagungsprogramm 7<br />

Begrüßung Christa Goetsch – Zweite Bürgermeisterin der Freien und<br />

Hansestadt Hamburg 8<br />

Anmoderation Hansjörg Lüttke – Geschäftsführender Vorstand KWB e. V. 13<br />

Keynote I<br />

Dr. Thomas Liebig – OECD 16<br />

Preisverleihung<br />

Grußwort Uli Wachholtz – Präsident UVNord Vereinigung der Unternehmensverbände<br />

in Hamburg und Schleswig-Holstein e. V. 26<br />

Laudationes <strong>BQM</strong>-Vertreter/-innen 30<br />

Keynote II<br />

Monika Rühl – Leiterin Change Management und Diversity, Deutsche Lufthansa AG 36<br />

Podiumsdiskussion<br />

„Regionales Übergangsmanagement und Migration“ 45<br />

Thematische Foren<br />

Forum 1 „Eine glückliche Beziehung“<br />

Partnerschaften zwischen Schulen und Unternehmen 49<br />

Forum 2 „Gute Besserung und Alhamdulillah“<br />

Interkulturelle Öffnung im Gesundheitsbereich 58<br />

Forum 3 „Den Abschluss im Gepäck“<br />

Zur Anerkennung im Ausland erworbener Abschlüsse 67<br />

3


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

Forum 4 „Wissen wie es weitergeht“<br />

Interkulturell sensible Beratung in Schule, Berufsorientierung und<br />

Arbeitsvermittlung 74<br />

Forum 5 „Starke Tandems“<br />

Mentoring in Öffentlicher Verwaltung und Privatwirtschaft als Beitrag 80<br />

zur Chancengleichheit<br />

Zusammenfassung und Ausblick 92<br />

Danksagung 94<br />

4


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

Christa Goetsch – Zweite Bürgermeisterin der Freien und<br />

Hansestadt Hamburg<br />

„Exzellente Fachkräfte tragen ent-<br />

scheidend zu wirtschaftlichem Wohlstand<br />

und gesellschaftlicher Entwicklung bei. Wir<br />

brauchen in Deutschland gut ausgebildete<br />

junge Leute, die die Herausforderungen in<br />

Wirtschaft, Gewerbe, Handwerk und<br />

Handel meistern können. Es gilt deshalb<br />

alle Talente zu fördern, Vorbehalte zu<br />

überwinden und Jugendliche mit<br />

Migrationshintergrund einzuladen, ihre<br />

Arbeitskraft und ihren Erfahrungsschatz in<br />

Unternehmen einzubringen.“<br />

„Migrantinnen und Migranten besitzen<br />

Kompetenzen, die sehr wertvoll sind:<br />

Mehrsprachigkeit und Kenntnis der ver-<br />

schiedenen Kulturen. Hamburg braucht<br />

diese Talente. Deshalb möchten wir allen<br />

Jugendlichen gute Chancen in Bildung und<br />

Ausbildung ermöglichen. Entscheidend ist,<br />

ihre individuellen Fähigkeiten zu erkennen<br />

und alles zu tun, damit sie diese in Beruf<br />

und Arbeit einbringen können.“<br />

Ole von Beust – Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt<br />

Hamburg<br />

5


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

Vorwort<br />

Die zum sechsten Mal stattfindende Preis-<br />

verleihung und <strong>Fachtagung</strong> „Vielfalt in<br />

Ausbildung und Arbeit“ machte <strong>2010</strong><br />

innovative Praxisbeispiele der gelungenen<br />

beruflichen Integration einem breiten<br />

Fachpublikum sichtbar. Sie ermöglichte<br />

den Teilnehmer/-innen sich über Good<br />

Practices im Bereich Diversity<br />

Management auszutauschen, migrations-<br />

spezifische Themen zu diskutieren und<br />

innovative Ansätze in der Förderung von<br />

Auszubildenden mit Migrationshintergrund<br />

kennenzulernen.<br />

In einer feierlichen Zeremonie wurden<br />

Unternehmen ausgezeichnet, die sich vor-<br />

bildlich für Jugendliche mit Migrations-<br />

hintergrund einsetzen.<br />

Die diesjährigen Preisträger sind:<br />

• Kühne + Nagel (AG & Co.) KG,<br />

• Auto Wichert GmbH Ulzburger<br />

Straße und<br />

• Haar & Cosmetic by Mister No.<br />

Die Veranstaltung ist Teil des „Aktions-<br />

plans zur Bildungs- und Ausbildungs-<br />

förderung junger Menschen mit<br />

Migrationshintergrund“ und wird von der<br />

<strong>BQM</strong> gemeinsam mit der Vereinigung der<br />

Unternehmensverbände in Hamburg und<br />

Schleswig-Holstein e. V. (UVNord) durch-<br />

geführt.<br />

Zweite Bürgermeisterin Christa Goetsch mit den<br />

Preisträgern <strong>2010</strong><br />

6


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

Tagungsprogramm<br />

09:30 – 10:00 Ankunft und Begrüßungskaffee<br />

10:00 – 10:15 Begrüßung und Eröffnungsrede<br />

Christa Goetsch – Zweite Bürgermeisterin der Freien und Hansestadt Hamburg<br />

10:15 – 10:20 Anmoderation<br />

10:20 – 10:40 Keynote 1<br />

Hansjörg Lüttke – Geschäftsführender Vorstand KWB e. V.<br />

Dr. Thomas Liebig – OECD<br />

10:40 – 11:05 Preisverleihung<br />

11:05 – 11:20 Keynote 1I<br />

Uli Wachholtz – Präsident UVNord – Vereinigung der Unternehmensverbände in Hamburg<br />

und Schleswig-Holstein e. V.<br />

Monika Rühl – Leiterin Change Management und Diversity, Deutsche Lufthansa AG<br />

11:20 – 11:30 Musikalisches Intermezzo<br />

�����������������<br />

11:30 – 12:30 Podiumsdiskussion<br />

Karl Gernandt – Delegierter des Verwaltungsrates Kühne + Nagel<br />

International AG<br />

Mely Kiyak – Freie Journalistin und Autorin<br />

Dr. Thomas Liebig – OECD<br />

12:30 – 14:00 Mittagspause<br />

Monika Rühl – Leiterin Change Management und Diversity, Lufthansa<br />

Mark Terkessidis – Freier Autor und Journalist<br />

Moderation: Julia-Niharika Sen – NDR<br />

14:00 – 16:00 Thematische Foren<br />

7


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation<br />

Begrüßung Christa Goetsch -<br />

Zweite Bürgermeisterin der Freien und<br />

Hansestadt Hamburg<br />

Sehr geehrter Herr Wachholtz,<br />

sehr geehrter Herr Dr. Liebig,<br />

sehr geehrter Herr Lüttke,<br />

meine sehr verehrten Damen und Herren,<br />

ich darf Sie ganz herzlich hier im Rathaus<br />

im Namen des Senats der Freien und<br />

Hansestadt begrüßen und freue mich, dass<br />

heute wieder dieser wunderbare Preis<br />

„Vielfalt in Ausbildung und Arbeit“ ver-<br />

liehen wird.<br />

Im Aktionsplan zur „Bildungs- und Aus-<br />

bildungsförderung junger Menschen mit<br />

Migrationshintergrund“, der 2006 vom<br />

Ersten Bürgermeister gestartet wurde,<br />

ziehen alle an einem Strang: private und<br />

öffentliche Unternehmen, die Arbeits-<br />

agentur und die team.arbeit.hamburg, die<br />

<strong>BQM</strong>, der Unternehmensverband Nord,<br />

Gewerkschaften, die Handels- und die<br />

Handwerkskammer und Behörden.<br />

Das ist schon ein beachtlicher Zu-<br />

sammenschluss, den man nicht oft genug<br />

hervorheben kann. Unser gemeinsames<br />

Ziel war und ist es, auf die Potenziale und<br />

Chancen aufmerksam zu machen, die wir<br />

in Hamburg, in den vielen jungen<br />

Menschen mit Migrationshintergrund, mit<br />

Einwanderungsgeschichte, haben.<br />

Begrüßungsrede von der Zweiten Bürgermeisterin<br />

Christa Goetsch<br />

Wir wollen alle gemeinsam die Ausgangs-<br />

bedingungen für diese Jugendlichen ver-<br />

bessern, damit sie ihr Können in Schule<br />

und in der Berufsausbildung voll entfalten<br />

können. Wenn sie zeigen können, was in<br />

ihnen steckt, wenn sie merken, dass ihnen<br />

jemand etwas zutraut und ihre Leistungen<br />

anerkennt, wachsen diese Jugendlichen oft<br />

regelrecht über sich hinaus und sind<br />

dadurch wieder Vorbilder für andere. Ich<br />

glaube dieser Bewusstseinswandel ist das,<br />

was wir dringend brauchen:<br />

8


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

Denn es gilt heute, – auch vor dem<br />

Hintergrund der demografischen Ent-<br />

wicklung – umso mehr: Hamburg braucht<br />

alle Talente!<br />

In der ersten Phase des Aktionsplans ging<br />

es darum, möglichst viele Ausbildungs-<br />

plätze für Jugendliche mit Migrations-<br />

hintergrund bereitzustellen. Mittlerweile<br />

haben wir die Ziele wesentlich aus-<br />

geweitet.<br />

Einen besonderen Schwerpunkt bilden<br />

Partnerschaften zwischen Schulen und<br />

Unternehmen. Diese Partnerschaften<br />

unterstützen viele Jugendliche sehr erfolg-<br />

reich, den Übergang von Schule in die<br />

Ausbildung oder das Studium gut zu<br />

meistern. Es gibt mittlerweile ein wunder-<br />

bares, sehr anschauliches Handbuch, das<br />

ich allen interessierten Schulen und<br />

Unternehmen, allen „Anfängern“ und<br />

„Fortgeschrittenen“ dieser Partner-<br />

schaften nur wärmstens empfehlen kann!<br />

Zahlreiche Praxisbeispiele zeigen hier, wie<br />

solche Partnerschaften aufgebaut und gut<br />

geführt werden können.<br />

Ein weiterer Schwerpunkt des aktuellen<br />

Aktionsplans ist die interkulturelle Eltern-<br />

arbeit. Eltern werden als Multiplikator/-<br />

innen geschult, um andere Eltern in einer<br />

Art Schneeballsystem für die Chancen<br />

dualer Ausbildung zu sensibilisieren. Die<br />

Zusammenarbeit, das Vertrauen zwischen<br />

Elternhaus und Schule ist eine ganz<br />

wichtige Basis für den Erfolg der Kinder<br />

und Jugendlichen, das kann ich als ehe-<br />

malige Lehrerin nur bestätigen.<br />

Auch die Workshops, in denen<br />

Hamburger/-innen mit Migrationshinter-<br />

grund, die in Schule oder Beruf erfolgreich<br />

sind, als Vorbilder fungieren und<br />

Schülerinnen und Schüler motivieren und<br />

stärken, laufen weiterhin sehr erfolgreich.<br />

Und zukünftig sollen auch – diesen Bereich<br />

finde ich persönlich sehr wichtig - jugend-<br />

liche und erwachsene Flüchtlinge im<br />

Rahmen unseres Aktionsplanes in ver-<br />

schiedene Projekten integriert und beruf-<br />

lich qualifiziert werden, um auch bei einer<br />

eventuellen Rückkehr in ihr Heimatland<br />

etwas mitzunehmen. Man muss es so deut-<br />

lich sagen: Es ist ein Drama der letzten<br />

Jahrzehnte, dass junge Leute nicht nur<br />

über Monate, sondern über Jahre hier sind<br />

und nichts lernen dürfen und nicht aus-<br />

gebildet werden dürfen.<br />

9


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

Sechs Jahre ist es nun her, dass die <strong>BQM</strong>,<br />

gemeinsam mit den Unternehmensver-<br />

bänden Hamburg und Schleswig-Holstein<br />

(UVNord) diesen Förderpreis das erste<br />

Mal engagierten Unternehmen verliehen<br />

hat. Die Unternehmen, die sich inter-<br />

kulturell geöffnet haben, geben den<br />

Jugendlichen die Chance, ihre Potenziale<br />

voll zu entfalten und selbstbewusst und<br />

gestärkt mit einer beruflichen Qualifikation<br />

ihren eigenen Weg zu gehen. Und davon<br />

profitieren nicht nur die Jugendlichen und<br />

ihre Familien, sondern wir alle. Denn der<br />

Zugang zum Arbeitsmarkt und die Teil-<br />

nahme am Erwerbsleben sind wesentliche<br />

Voraussetzungen einer gerechten und<br />

stabilen Gesellschaft. Der Arbeitsplatz als<br />

Ort sozialer Beziehungen ermöglicht<br />

leichter Kontakte zu Menschen der Auf-<br />

nahmegesellschaft zu knüpfen. Die An-<br />

erkennung beruflicher Leistungen ver-<br />

mittelt auch Wertschätzung und das Ge-<br />

fühl, gebraucht zu werden. Und das ist für<br />

jeden Menschen wichtig!<br />

Jugendliche sind unsere Zukunft. Das ist ja<br />

ein Slogan, den jeder und jede mal gern in<br />

den Mund nimmt. Ich glaube aber, dass es<br />

in der Realität hier in Hamburg wirklich in<br />

den letzten Jahren Schritt für Schritt ge-<br />

lungen ist und weiter gelingen wird und<br />

auch gelingen muss, Ausbildungsplätze zu<br />

geben, Arbeitsplätze zu schaffen und sich<br />

auf ganz persönliche Weise für die Gesell-<br />

schaft einzusetzen. Alles, was wir als Ge-<br />

sellschaft für die Bildung und Ausbildung<br />

unserer Kinder und Jugendlichen tun, ist<br />

wichtig für unsere gemeinsame Zukunft.<br />

Und es ist auch etwas, was den sozialen<br />

Frieden bewahrt. Das ist nicht zu unter-<br />

schätzen.<br />

An dieser Stelle möchte ich ganz be-<br />

sonders denen danken, die das Aus-<br />

bildungsnetzwerk so erfolgreich machen.<br />

Ohne diese Zusammenarbeit, die Ko-<br />

operation der verschiedenen Träger, der<br />

Behörden, der Migrantenorganisationen,<br />

der Unternehmen wäre das alles nicht<br />

möglich gewesen. Und ich habe aus der<br />

Erfahrung der letzten zwei Jahren auch<br />

gesehen, was sich für eine Kultur des Mit-<br />

einanders durch diese Initiative entwickelt<br />

hat. Und das ist so viel.<br />

Die <strong>BQM</strong> macht es uns möglich, einmal im<br />

Jahr in diesen wunderschönen Räumen<br />

dieses Thema auch umfangreich zu dis-<br />

kutieren. Ich sage der <strong>BQM</strong> ganz be-<br />

sonders herzlichen Dank.<br />

10


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

Trotz vieler Erfolge, die wir in Hamburg in<br />

den vergangenen Jahren erreicht haben,<br />

dürfen wir uns nicht zurücklehnen.<br />

Obwohl inzwischen viele Unternehmen<br />

erkannt haben, dass Auszubildende und<br />

Mitarbeiter mit einer Einwanderungs-<br />

geschichte auf dem internationalen Markt<br />

ein großer Vorteil sind und obwohl sich<br />

schon viele Unternehmen interkulturell<br />

ausrichten, werden immer noch Jugend-<br />

liche mit Migrationshintergrund dis-<br />

kriminiert. Sie werden benachteiligt, weil<br />

sie Serkan, Gül oder Fatih heißen, wie die<br />

jüngste Studie aus Konstanz belegt hat.<br />

Und das dürfen wir nicht hinnehmen. Wir<br />

müssen alles in unserer Macht stehende<br />

tun, um diese Jugendlichen zu unter-<br />

stützen. Zum einen um ihrer selbst willen,<br />

denn so geht man einfach nicht mit<br />

Menschen um, aber auch für alle anderen.<br />

Denn, ich betone es noch einmal, keine<br />

Gesellschaft kann es sich leisten,<br />

die Fähigkeiten seiner Jugendlichen zu ver-<br />

geuden. Keine Gesellschaft kann es sich<br />

leisten, auch nur ein Kind aufzugeben.<br />

Ganz im Gegenteil: Wir müssen uns noch<br />

mehr anstrengen, kritisch zu schauen, was<br />

in unseren Schulen, in Unternehmen oder<br />

im Stadtteil verbessert werden muss.<br />

Wir sind in einem großen Kooperations-<br />

netz und Aktionsbündnis dabei, den Über-<br />

gang von der Schule in den Beruf zu ver-<br />

bessern. Die Berufs- und Studien-<br />

orientierung wird verstärkt, die Stadtteil-<br />

schulen arbeiten verbindlich und<br />

systematisch mit den beruflichen Schulen<br />

zusammen. Und vor allem auch für die<br />

sogenannten Risikoschüler/-innen – ein<br />

ganz fürchterlicher Begriff, weil die<br />

Schüler/-innen ja selbst das Risiken haben,<br />

keine berufliche Perspektive zu finden –<br />

gerade für sie werden die Programme<br />

kontinuierlich aufgebaut.<br />

Aus diesem Grund haben Senat und<br />

Bürgerschaft beschlossen, 500 Plätze an<br />

Produktionsschulen - in jedem Bezirk<br />

mindestens eine - einzurichten.<br />

Damit soll gerade für Jugendliche mit<br />

schlechten Startchancen, zu denen leider<br />

immer noch viele Jugendliche mit<br />

Migrationshintergrund zählen, der Über-<br />

gang in Ausbildung verbessert werden.<br />

Und nicht nur die Schulen, auch die<br />

Unternehmen sind in der Pflicht. Jede<br />

Ausbilderin und jeder Ausbilder muss<br />

schauen, wie der eine oder andere angeb-<br />

11


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

lich nicht „ausbildungsfähige“ Jugendliche<br />

doch ausgebildet werden kann. Denn es ist<br />

leicht zu beklagen, nicht genügend Fach-<br />

kräfte zu haben. Das bringt uns aber nicht<br />

weiter. Die Lösung ist, dass jeder seinen<br />

Beitrag leistet, damit uns niemand verloren<br />

geht. Sowohl die Jugendlichen als auch die<br />

Politik und die Unternehmen sind hier in<br />

der Pflicht.<br />

Wir haben uns als Senat dieser Aufgabe<br />

angenommen und wollen im Bereich der<br />

Integration und Chancengleichheit vorbild-<br />

lich sein. Wir haben zum Beispiel auch den<br />

Anteil junger Menschen mit Migrations-<br />

hintergrund, die die Freie und Hansestadt<br />

Hamburg und ihre Firmen als Arbeitgeber<br />

ausbilden, steigern können. Inzwischen<br />

liegt er bei ca. 15 Prozent. Aber unser Ziel<br />

ist es 20 Prozent zu erreichen.<br />

Unsere Hamburger Bildungsoffensive, die<br />

Schulreform, die ja auch in aller Munde ist,<br />

hat das Ziel, von unten mit einem starken<br />

Fundament die Kinder schon früher zu<br />

fördern. Mit kleineren Klassen, mit mehr<br />

Lehrern und vor allem mit besser aus-<br />

gebildeten Lehrern, um den Kindern früh<br />

schon die Möglichkeit zu geben, sich zu<br />

entwickeln und nicht erst zu reparieren,<br />

wenn das berühmte Kind in den Brunnen<br />

gefallen ist.<br />

Wir sind überzeugt, wir können es<br />

schaffen, dass sich Unternehmen langfristig<br />

nicht mehr, über „nicht ausbildungsfähige<br />

Jugendliche“ beklagen müssen. Und dann<br />

haben Ali, Natalja und Zorana die Chance,<br />

ihren Weg zu finden. Und dann wird unser<br />

Schulsystem wirklich gerechter und<br />

leistungsstärker sein.<br />

Also in diesem Sinne, denke ich, dass wir<br />

alle unseren Beitrag leisten – die Stadt und<br />

der Staat auf der einen Seite, die Unter-<br />

nehmen und die jungen Leute und ihre<br />

Familien auf der anderen Seite. Keiner darf<br />

sagen, „mir doch egal“ oder „Ausbildung<br />

interessiert mich nicht“. Alle müssen mit-<br />

machen, ich bin überzeugt, dass das der<br />

Weg ist. Lassen Sie uns dranbleiben und<br />

nicht aufgeben. Und ich darf an dieser<br />

Stelle schon im Vorwege allen Preisträgern<br />

herzlich gratulieren: Sie sind die Vorbilder!<br />

Ich wünsche uns nun eine interessante<br />

Veranstaltung. Vielen Dank.<br />

12


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

Begrüßung Hansjörg Lüttke –<br />

Geschäftsführender Vorstand KWB e. V.<br />

Verehrte Frau Bürgermeisterin, meine<br />

sehr geehrten Damen und Herren Ab-<br />

geordnete der Hamburgischen Bürger-<br />

schaft und Vertreter des konsularischen<br />

Corps, verehrter Herr Wachholtz, liebe<br />

Ehrengäste, meine Damen und Herren,<br />

liebe Kolleginnen und Kollegen,<br />

es ist für mich eine ganz besondere<br />

Freude, Sie heute auf unserer <strong>Fachtagung</strong><br />

und Preisverleihung „Vielfalt in Ausbildung<br />

und Arbeit“, die – wie Sie bereits sagten,<br />

Frau Bürgermeisterin – zum insgesamt<br />

sechsten Mal und zum dritten Mal hier im<br />

Rathaus stattfindet, zu begrüßen. Frau<br />

Goetsch, Sie haben die Leistungen der<br />

<strong>BQM</strong>, sie haben auch die Leistungen, die<br />

auf Initiative der <strong>BQM</strong> von der Hamburger<br />

Wirtschaft, von den Hamburger Ver-<br />

bündeten der <strong>BQM</strong> erbracht wurden,<br />

schon so hinreichend, so exzellent dar-<br />

gestellt, dass ich jetzt in der glücklichen<br />

Lage war, mein Manuskript um die Hälfte<br />

zu streichen. Bessere PR kann man nicht<br />

haben, vielen Dank. Ich möchte aber<br />

trotzdem einige Aspekte noch hervor-<br />

heben, die, glaube ich, hervorhebenswert<br />

sind.<br />

Anmoderation von Hansjörg Lüttke – Geschäftsführender<br />

Vorstand der KWB e. V.<br />

Die <strong>BQM</strong> hat eine Vielzahl von An-<br />

geboten, wie Sie sie angedeutet hatten,<br />

und in der letzten Zeit haben sich die An-<br />

gebote vor allem auch sehr stark<br />

konzentriert auf die Arbeit mit Eltern von<br />

Jugendlichen mit Migrationshintergrund.<br />

Wir haben hier ein außerordentliches<br />

Engagement vieler ehrenamtlich tätiger<br />

Eltern für die Ausbildung von Jugendlichen<br />

im Rahmen ihrer täglichen Arbeit, die so<br />

in dieser Form nicht wahrgenommen wird.<br />

Wir werden diese Arbeit von Eltern am<br />

29.6. hier im Rathaus an gleicher Stelle<br />

besonders prämieren. Und wir werden<br />

diese Arbeit auch entsprechend würdigen.<br />

Und ich bin ganz besonders glücklich<br />

darüber, dass Sie, liebe Bürgermeisterin,<br />

auch diese Prämierung, diese Hervor-<br />

hebung der Leistungen, vornehmen<br />

13


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

werden. Das besondere Engagement der<br />

Eltern mit Zuwanderungsgeschichte haben<br />

wir auch in einer Broschüre dokumentiert,<br />

die auf Initiative der Arbeitsgemeinschaft<br />

selbstständiger Migranten gemeinsam mit<br />

der <strong>BQM</strong> entstand. Wir würden uns<br />

freuen, wenn Sie zur Verbreitung der<br />

Broschüre beitragen und auch zu unserer<br />

Veranstaltung am 29.6. kommen. Es lohnt<br />

sich wirklich.<br />

Meine Damen und Herren, wir werden<br />

heute Nachmittag in einem Workshop<br />

auch über die Frage der Anerkennung aus-<br />

ländischer Abschlüsse diskutieren. Gerade<br />

die Anerkennung von im Heimatland er-<br />

worbenen Abschlüssen ist für viele Zu-<br />

wanderer insbesondere auch eine Frage<br />

der Wertschätzung einer einmal er-<br />

brachten Leistung und ihrer Person, wie<br />

ich in vielen Gesprächen und Diskussionen<br />

gerade in den letzten Monaten erfahren<br />

habe. Ich würde mir wünschen, dass wir es<br />

besonders unter diesem Aspekt in Zukunft<br />

leichter machen mit der Anerkennung von<br />

Abschlüssen, die im Ausland erworben<br />

wurden.<br />

Ohne finanzielle Förderung aus Mitteln der<br />

Behörde für Schule und Berufsbildung, der<br />

Behörde für Wirtschaft und Arbeit sowie<br />

des Europäischen Sozialfonds wäre die<br />

Arbeit der <strong>BQM</strong> nicht möglich.<br />

Im Namen aller, die von der Förderung<br />

profitiert haben und noch profitieren<br />

werden, darf ich mich dafür herzlichst be-<br />

danken und gleichzeitig zusichern, weiter-<br />

hin alle Kraft in die erfolgreiche Um-<br />

setzung unser Zielsetzungen zu stecken.<br />

Ein großer Dank geht auch an alle Ver-<br />

bündeten: Betriebe, Träger, Institutionen,<br />

öffentlichen Einrichtungen und Multi-<br />

plikatoren für die Kooperationsbereit-<br />

schaft, die erfolgreiche Zusammenarbeit<br />

und den inspirierenden Austausch.<br />

Die tägliche Arbeit der <strong>BQM</strong> zeigt er-<br />

freulicherweise, und Sie haben darauf eben<br />

auch schon hingewiesen Frau Goetsch,<br />

dass sich immer mehr Unternehmen und<br />

der Öffentliche Dienst für die berufliche<br />

Zukunft von Jugendlichen mit Migrations-<br />

hintergrund einsetzen und deren be-<br />

sondere Potenziale nutzen.<br />

Engagement und hervorragende Arbeit<br />

sollen sich natürlich auch auszahlen und<br />

entsprechende Würdigung finden. Deshalb<br />

werden wir gleich drei Hamburger Unter-<br />

nehmen auszeichnen, die Vorbildliches in<br />

beruflichen Integration von Jugendlichen<br />

14


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

mit Migrationshintergrund geleistet haben.<br />

Das Preisgeld, das ausgelobte, ist eher eine<br />

Anerkennungsprämie, ist zweckgebunden<br />

für Ausbildungsprojekte bestimmt. Wir<br />

hoffen ganz stark, dass den Preisträgern<br />

nachgeeifert wird und werden besonderes<br />

Engagement auch im nächsten Jahr wieder<br />

würdigen. Sie dürfen sich schon jetzt bei<br />

uns bewerben. Nur Mut!<br />

Sie dürfen sich aber auch an uns wenden,<br />

wenn Sie noch unbesetzte Ausbildungs-<br />

plätze haben. Der doppelte Abiturienten-<br />

jahrgang kommt ja so nicht in den Unter-<br />

nehmen an, wie ich gelesen habe. Wenden<br />

Sie sich also an uns, wenn Sie noch un-<br />

besetzte Ausbildungsplätze haben.<br />

Wir haben die Möglichkeit, Ihnen passende<br />

Jugendliche zu vermitteln und zwar mit<br />

unserer Ausbildungsagentur Hanseaten<br />

bilden aus. Die Kolleginnen würden sich<br />

freuen, wenn sie ihre Dienstleistungen<br />

Ihnen zur Verfügung stellen könnten.<br />

Ich bin froh und glücklich, dass wir sowohl<br />

in den Foren am Nachmittag, die in be-<br />

währter Form von Moderatorinnen und<br />

Moderatoren aus der Hamburger Ver-<br />

waltung und der <strong>BQM</strong> geleitet werden, als<br />

auch in den Keynotes des heutigen Vor-<br />

mittags und in der Podiumsdiskussion<br />

hochrangige Expertinnen und Experten<br />

gewinnen konnten.<br />

Ihnen allen herzlichen Dank, dass Sie die<br />

Tagung mit Ihren Beiträgen aus unter-<br />

schiedlichen Perspektiven bereichern und<br />

sicherlich zu einer lebhaften und in-<br />

spirierenden Auseinandersetzung mit der<br />

Thematik „Vielfalt in Ausbildung und<br />

Arbeit“ beitragen.<br />

Vielen Dank natürlich auch an alle<br />

Kolleginnen und Kollegen aus der KWB<br />

für ihr wieder einmal sehr engagiertes und<br />

professionelles Arbeiten in der Vor-<br />

bereitung und der Durchführung dieser<br />

Tagung.<br />

Meine Damen und Herren, ich wünsche<br />

Ihnen einen kurzweiligen, einen erkennt-<br />

nisreichen Tag und freue mich jetzt ganz<br />

besonders, den Staffelstab an Julia Sen<br />

übergeben zu können, die sie wieder<br />

exzellent durch den Vormittag führen<br />

wird. Und ich bedanke mich noch einmal<br />

ganz, ganz herzlich, dass Sie wieder dabei<br />

sind. Hoffe natürlich auch auf nächstes<br />

Jahr, aber erstmal haben wir jetzt den<br />

heutigen Vormittag vor uns.<br />

Frau Sen.<br />

15


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

Keynote Dr. Thomas Liebig –<br />

OECD International Migration Division<br />

Directorate for Employment, Labour<br />

and Social Affairs OECD 2<br />

Sehr geehrte Damen und Herren, sehr<br />

geehrte Frau Bürgermeisterin Goetsch,<br />

sehr geehrter Herr Lüttke,<br />

Herr Wachholtz,<br />

herzlichen Dank für die freundliche Ein-<br />

ladung nach Hamburg. Ich freue mich<br />

wieder hier zu sein. Besonders erfreut es<br />

mich, dass so viele Unternehmensver-<br />

treter zu dieser Tagung gekommen sind,<br />

die von der <strong>BQM</strong> gemeinsam mit dem<br />

UVNord durchgeführt wird. Mit dem<br />

Fokus auf Berufsausbildung und Be-<br />

schäftigung machen sie deutlich, dass zu-<br />

nächst einmal das Finden einer Aus-<br />

bildungsstelle und darüber hinaus dann der<br />

Zugang zur Beschäftigung der Schlüssel zur<br />

Integration ist und das ist eine Ansicht, die<br />

wir teilen. Ich bin mir ganz sicher, dass<br />

vieles von dem, was im vergangenen Jahr<br />

diskutiert worden ist – nicht nur in<br />

Deutschland, sondern auch anderswo –<br />

unter den Titeln „Segregation“, also räum-<br />

liche Abschottung, „Parallelgesellschaften“,<br />

„Integrationsverweigerung“ bis hin zur<br />

Ganzkörperverschleierung – eigentlich<br />

kein Thema wäre in der öffentlichen<br />

Debatte, wenn Jugendliche mit Migrations-<br />

hintergrund und die Zuwandere selbst<br />

auch so gut in den Arbeitsmarkt integriert<br />

wären wie Personen ohne Migrations-<br />

hintergrund.<br />

Keynote: Dr. Thomas Liebig - OECD International Migration<br />

Division Directorate for Employment, Labour and Social Affairs<br />

OECD 2<br />

Dass bei der heutigen Tagung die Unter-<br />

nehmen ein Stück weit im Mittelpunkt<br />

stehen, begrüßen wir als OECD ganz be-<br />

sonders, denn wenn der Arbeitsmarkt der<br />

Schlüssel zur Integration ist, dann sind es<br />

die Unternehmen, die diesen Schlüssel in<br />

der Hand haben und letztendlich herum-<br />

drehen, damit die Tür dann geöffnet ist.<br />

Denn sie sind es ja, die die Arbeitsmarkt-<br />

integration letztendlich leisten, indem sie<br />

Zuwanderern und deren Kindern eine<br />

Beschäftigung geben.<br />

Vor vier Jahren hatte ich schon einmal die<br />

Gelegenheit hier vorzutragen. Damals war<br />

16


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

der Rahmen noch etwas kleiner. Es freut<br />

mich, dass das Thema auch rein optisch an<br />

Gewicht gewinnt. Einige Ergebnisse<br />

unserer OECD-Studie zur Arbeitsmarkt-<br />

integration von Zuwanderern und deren<br />

Kindern in Deutschland hatte ich vor-<br />

gestellt. Heute möchte ich Ihnen darlegen,<br />

was wir im Rahmen unseres Projekts, das<br />

ich leite, in den letzten vier Jahren hinzu-<br />

gelernt haben, gerade im Hinblick auf die<br />

Integration der Kinder von Zuwanderern.<br />

Bei uns druckfrisch ist gerade eine<br />

Publikation zu dem Thema „Equal<br />

Opportunities – the labour market<br />

integration of the children of immigrants“.<br />

Die wird morgen erscheinen. Die Ergeb-<br />

nisse haben wir schon teilweise im letzten<br />

Jahr in einer Vorabveröffentlichung<br />

präsentiert. Die möchte ich auch gern<br />

heute nochmal mit Ihnen teilen.<br />

Es gibt viele Gründe, warum Personen, die<br />

als Erwachsene zugewandert sind, häufig<br />

Schwierigkeiten haben, eine angemessene<br />

Arbeitsstelle zu finden. Herr Lüttke hat es<br />

erwähnt: Beispielsweise die Anerkennung<br />

ausländischer Abschlüsse ist ein ganz<br />

großes Thema, nicht nur in Deutschland.<br />

Das Anerkennungsgesetz ist ja hier in<br />

Vorbereitung , das ist auch dringend not-<br />

wendig. Wobei auch hier darf man<br />

vielleicht nicht allzu viel erwarten. Denn<br />

auch hier sind es wiederum die Arbeit-<br />

geber, die dann diesen anerkannten oder<br />

auch nicht anerkannten Abschluss letzt-<br />

endlich als gleichwertig anerkennen<br />

müssen, indem sie sagen: „Ich sage ja, das<br />

akzeptiere ich, und ich stelle die Person<br />

ein.“ Und da kann auch das beste Gesetz<br />

natürlich nicht viel bringen, wenn diese<br />

Bereitschaft fehlt.<br />

Wenn Zuwanderer als Erwachsene zu-<br />

gewandert sind, sind ihre Abschlüsse aus<br />

einem anderen Bildungssystem eventuell<br />

schwierig vergleichbar. Möglicherweise<br />

haben sie auch bereits erste Erfahrungen<br />

in ganz anderen Arbeitsmarktkontexten<br />

gewonnen. Und das ist dann sehr, sehr<br />

schwierig für die Unternehmen, einzu-<br />

schätzen, wie sie diese Qualifikationen, die<br />

aus dem Ausland stammen, häufig in einer<br />

ganz anderen Sprache erworben worden<br />

sind, dann letztendlich einzuschätzen<br />

haben. Das ist bei den Kindern von Zu-<br />

wanderern natürlich nicht mehr der Fall.<br />

Deshalb sind wir der Meinung, dass die<br />

Kinder von Zuwanderern und deren<br />

Arbeitsmarktergebnisse eigentlich wirklich<br />

der Lackmustest für die Integration sind.<br />

17


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

Um gut und dauerhaft in den Arbeitsmarkt<br />

integriert zu sein, ist Bildung eine Grund-<br />

voraussetzung. Eine Zahl aus der PISA-<br />

Studie möchte ich mal nennen. Die PISA-<br />

Studie wird ja bei uns immer wieder sehr,<br />

sehr stark in den Vordergrund gehoben.<br />

Wir freuen uns auch, dass unser Arbeits-<br />

marktbereich hier Erwähnung findet. Also<br />

hier eine Zahl, die für mich die Lage in<br />

Deutschland am besten zusammenfasst:<br />

V.l.n.r.: Christa Goetsch (Zweite Bürgermeisterin), Uli<br />

Wachholtz (UV Nord), Hansjörg Lüttke (KWB e. V.)<br />

Julia-Niharika Sen (NDR), Karl Gernandt (Kühne + Nagel)<br />

Rund 50 Prozent der Kinder in PISA-Alter,<br />

also 15 Jahre, mit Migrationshintergrund,<br />

haben eine Mutter, die maximal eine<br />

Grundschulausbildung oder in vielen Fällen<br />

gar keine Schulausbildung hat. Bei den<br />

Kindern ohne Migrationshintergrund ist es<br />

gerade mal bei zwei Prozent der Fall. Also,<br />

wenn sie solche gravierenden Unter-<br />

schiede haben, dann stellt sich die Frage,<br />

inwiefern kann ich denn die Bildungs-<br />

ergebnisse überhaupt fair vergleichen. Das<br />

ist im Übrigen eine Diskussion, die wir<br />

gerade auch führen. Wir analysieren ja<br />

gerade auch die PISA 2009 Ergebnisse und<br />

da wird es auch wieder eine spezielle<br />

Studie – das kann ich hier gleich an-<br />

kündigen – zu den Nachkommen von Zu-<br />

wanderern geben, die sich vielleicht noch<br />

mal ganz systematisch auf die Ergebnisse<br />

der PISA-Studien in diesem Bereich<br />

konzentriert.<br />

Genauso bedeutend wie die klassische<br />

Schulausbildung – also von der Grund-<br />

schule über die weiterführende Schule bis<br />

hin zur Berufsausbildung – ist der vor-<br />

schulische Bereich. Wir wissen, dass ein<br />

großer Teil des Bildungsnachteils – das<br />

hängt von den Ländern ab – bereits beim<br />

Eintritt in die Grundschule besteht. Wir<br />

wissen aus Studien aus Frankreich und<br />

anderen Ländern, wo diese Forschung<br />

schon bereits sehr fortgeschritten ist, dass<br />

das Alter von drei bis vier eigentlich das<br />

zentrale Alter ist. Wenn in diesem Alter<br />

die Kinder in einer vorschulischen Ein-<br />

richtung sind, dann haben sie Kontakt mit<br />

der Sprache und dann haben sie auch<br />

wesentlich bessere Bildungsergebnisse.<br />

Also das Alter von drei bis vier Jahren ist<br />

eigentlich das Alter, in dem der beste Er-<br />

trag zu erwarten ist. Erstens kostet es<br />

18


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

nicht ganz so viel wie später in der Schule<br />

möglicherweise und zum Zweiten hat es<br />

den besten Bildungsertrag in der langen<br />

Frist. Leider ist es gerade so, das hier in<br />

Deutschland gerade in diesem Alter natür-<br />

lich noch die stärkste Lücke klafft<br />

zwischen Kindern mit und ohne<br />

Migrationshintergrund. Investitionen ver-<br />

sprechen gerade hier den besten Ertrag.<br />

Natürlich ist es da immer auch so, wenn<br />

Sie Frau Goetsch, heute etwas hier ein-<br />

führen in Hamburg, dann hat vielleicht<br />

nicht mal ihre Nachfolgerin, sondern der<br />

Übernächste letztendlich den Ertrag von<br />

dieser Investition.<br />

Gerade weil Bildung eine zentrale Heraus-<br />

forderung ist, ist es natürlich umso<br />

wichtiger, dass diejenigen Jugendlichen, die<br />

in Bildung investiert haben, die erfolgreich<br />

sind im Schulsystem – und von denen gibt<br />

es ja eine ganze Menge – auch dann letzt-<br />

endlich die Entlohnung, die Belohnung<br />

dafür im Arbeitsmarkt finden, indem sie<br />

eine angemessene Beschäftigung finden.<br />

Wir haben im vergangenen Jahr – das ist<br />

die Studie, die wir morgen in Buchform<br />

herausbringen – in 15 OECD-Ländern die<br />

Integration nach Bildungsniveau getrennt<br />

untersucht – der Kinder von Zu-<br />

wanderern verglichen mit Kindern ohne<br />

Zuwanderungshintergrund. Und für<br />

Deutschland hatten wir den besonders<br />

alarmierenden Befund, dass es gerade die<br />

hoch qualifizierten Kinder mit Migrations-<br />

hintergrund sind, die im Vergleich zu ihren<br />

gleich qualifizierten Altersgenossen die<br />

größten Schwierigkeiten haben, eine an-<br />

gemessene Arbeitsstelle zu finden. Und<br />

das ist ja nun eine Gruppe, bei der wir<br />

hier kaum beispielsweise mit Sprach-<br />

problemen argumentieren können, wenn<br />

die Personen einen höheren Abschluss<br />

haben. Was also kann dann diese<br />

Schwierigkeiten erklären?<br />

Drei Faktoren spielen offensichtlich eine<br />

ganz zentrale Rolle. Zum Ersten sind es<br />

Netzwerke. In Deutschland – wie auch in<br />

vielen anderen OECD Ländern – wird<br />

rund ein Drittel aller Stellen über persön-<br />

liche Kontakte besetzt. Bei Klein- und<br />

Mittelunternehmen sind es sogar noch<br />

etwas mehr. Und wenn wir jetzt den Be-<br />

griff Kontakt noch etwas weiter fassen und<br />

auch einfache Hinweise wie beispielsweise<br />

„Bewirb dich mal dort, da ist ein<br />

interessanter Arbeitgeber“ oder „Ich habe<br />

gehört, die haben Ausbildungsplätze“, also<br />

solche einfachen Hinweise von Bekannten<br />

mit hinzunehmen, dann glaube ich<br />

kommen wir dazu, dass über die Hälfte<br />

19


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

der Stellenbesetzungen, die in irgendeiner<br />

Weise mit persönlichen Kontakten ver-<br />

bunden sind; und das ist natürlich gerade<br />

auch bei Ausbildungsplätzen der Fall, weil<br />

da die Kinder, die Jugendlichen häufig<br />

wenig Ahnung haben, wo sie sich da zu-<br />

nächst einmal melden sollen. Und diese<br />

Kontakte werden über die Eltern vielfach<br />

vermittelt oder Bekannte von Eltern. Und<br />

hier sind natürlich Kinder von Migranten<br />

in einem strukturellen Nachteil, weil ihnen<br />

die Eltern diese Kontakte nicht vermitteln<br />

können. Sogenannte Mentorenprogramme<br />

sind ein Ansatz, der immer häufiger auf-<br />

tritt in den OECD-Ländern, um das zu<br />

korrigieren. Das gibt es sowohl für die<br />

Zuwanderer als auch deren Kinder. Die<br />

Person bekommt einen Mentor, der in<br />

dem Fachbereich, der vielleicht in Frage<br />

kommt, Erfahrungen hat, der weiß, wer<br />

ein interessanter Arbeitgeber ist, und auch<br />

seine persönlichen Kontakte bereitstellt.<br />

Und natürlich müssen die Unternehmen<br />

auch versuchen, auf die Jugendlichen mit<br />

Migrationshintergrund stärker zuzugehen,<br />

indem sie ihre Rekrutierungskanäle di-<br />

versifizieren. Eben weg vielleicht von<br />

persönlichen Kontakten, mehr in Zu-<br />

sammenarbeit mit den Schulen und hier<br />

beispielsweise sich auch bei der <strong>BQM</strong> zu<br />

melden, dass hier noch Stellen frei sind.<br />

Hier gibt es ganz interessante Ansätze,<br />

beispielsweise aus dem flämischen Teil<br />

Belgiens, wo der Arbeitsmarktdienst<br />

spezielle Diversitätsberater den Unter-<br />

nehmen zu Verfügung gestellt hat, um zu<br />

gucken: „Wie könnt ihr euch denn, di-<br />

versifizieren? Können wir dabei euch<br />

helfen?“ Und wenn sie dann einen Plan<br />

aufgestellt haben, dann gab es noch kleine<br />

Finanzprämien, um diesen vor allem<br />

kleinen und mittelständischen Unter-<br />

nehmen, wo das Problem am größten ist,<br />

dabei zu helfen, sich zu diversifizieren.<br />

Der zweite zentrale Faktor ist das Wissen<br />

über die Funktionsweise des Arbeits-<br />

marktes. Wie schreibe ich einen Lebens-<br />

lauf? Was muss rein in eine Bewerbung?<br />

Wie wird das Motivationsschreiben ver-<br />

fasst? Wie stelle ich mich in einem Inter-<br />

view vor? Das ist ein sehr weites Feld. Ich<br />

möchte Ihnen nur ein kleines Beispiel aus<br />

meinem persönlichen Umfeld nennen. Ich<br />

weiß nicht, wie es hier in Hamburg ist,<br />

aber wer sich in meiner Heimat bewirbt<br />

und nicht in seinem Lebenslauf unter<br />

außerschulisches Engagement weder die<br />

Feuerwehr noch den Sportverein noch<br />

den Musikverein erwähnt, der macht sich<br />

20


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

schon fast der Integrationsverweigerung<br />

verdächtig. In anderen Ländern ist es voll-<br />

kommen unüblich, solche Dinge, die<br />

eigentlich mit der Bewerbung nichts direkt<br />

zu tun haben, überhaupt im Lebenslauf zu<br />

erwähnen. Das ist sehr stark kulturell ver-<br />

bunden und da brauchen wir gar nicht so<br />

weit zu gehen. Selbst in der Schweiz oder<br />

in Frankreich, zwei Länder, die ich jetzt<br />

relativ gut kenne, selbst da merken sie<br />

riesen Unterschiede, in der Art und Weise<br />

wie eine Bewerbung verfasst wird. Und<br />

wenn sie dann von noch wesentlich<br />

weiteren Hintergründen kommen und<br />

auch vielleicht die Eltern ihnen dieses<br />

Wissen nicht zur Verfügung stellen<br />

können, haben sie natürlich ganz, ganz<br />

große Schwierigkeiten, hier sich richtig zu<br />

verkaufen. Weil das Wissen um das, was<br />

es für eine erfolgreiche Bewerbung<br />

braucht, wird eben sehr, sehr stark auch<br />

über das Elternhaus vermittelt. Hier also<br />

wiederum ein struktureller Nachteil.<br />

Hier sind also die Schulen in Zusammen-<br />

arbeit mit den Arbeitsämtern gefragt, das<br />

systematisch als zentralen Bestandteil des<br />

Lehrplans zu vermitteln. Das wird ja zum<br />

Teil auch bereits gemacht.<br />

Und natürlich können auch hier die<br />

Mentoren wiederum sehr, sehr viel leisten,<br />

weil sie dieses Wissen letztendlich auch<br />

den Jugendlichen vermitteln können.<br />

Der dritte Faktor – auch heute bereits<br />

schon mehrfach angesprochen worden,<br />

von Ihnen Frau Bürgermeisterin beispiels-<br />

weise – ist die Diskriminierung. Und das<br />

ist der Bereich, der mich persönlich in den<br />

letzten vier Jahren am stärksten über-<br />

rascht hat. Als wir unsere Länderstudie<br />

vor fünf Jahren zu Deutschland zum ersten<br />

Mal durchgeführt haben, da hieß es immer<br />

Bildung, Bildung, Bildung. Und Dis-<br />

kriminierung wurde auch nicht so als<br />

Problem wahrgenommen. Im Übrigen<br />

noch nicht mal von den Zuwanderern<br />

damals in den Gesprächen, die wir geführt<br />

hatten mit den Zuwanderern selbst und<br />

den verschiedenen Assoziationen, die hier<br />

tätig sind. Ich habe das dann auch so in<br />

den Bericht übernommen: Ja, also Dis-<br />

kriminierung wird nicht so als Problem<br />

wahrgenommen. Es gibt auch keine Studie<br />

dazu. Im Übrigen ist hier nach wie vor<br />

eine große Forschungslücke hier in<br />

Deutschland. Die Studie aus Konstanz<br />

zeigt eigentlich eher auf, unter welchen<br />

Voraussetzung keine Diskriminierung be-<br />

steht als unter welchen Voraussetzungen<br />

Diskriminierung besteht.<br />

21


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

Wir wissen aber aus Frankreich und<br />

Schweden, dass Jugendliche mit<br />

Migrationshintergrund mit gleicher Quali-<br />

fikation drei- bis viermal mehr Be-<br />

werbungen schreiben müssen wie ein<br />

gleichqualifizierter Jugendlicher ohne<br />

Migrationshintergrund bis sie zu einem<br />

Bewerbungsgespräch eingeladen werden.<br />

Und wie kann man diese Diskriminierung<br />

feststellen? Mittels fiktiver, aber an sich<br />

gleichwertiger Bewerbungen wird das<br />

nachgewiesen. Der Name ist dann einmal<br />

Mohammed und ein andermal beispiels-<br />

weise in Frankreich Jean-Pierre. Einmal ist<br />

es die Universität Bordeaux und einmal ist<br />

es die Universität Toulouse. Und dann<br />

sind es letztendlich gleichwertige Lebens-<br />

läufe. Und dann kann man das, wenn man<br />

das mit ein paar Tausend Leuten macht,<br />

letztendlich eindeutig nachweisen. Drei bis<br />

vier mal so viele Bewerbungen. Bei ge-<br />

wissen Berufsfeldern und gewissen<br />

Kombinationen, also gerade bei Be-<br />

werbern mit nordafrikanischen Namen,<br />

teilweise so gar bis zu 15 mal so viele<br />

Bewerbungen. Diskriminierung ist also ein<br />

wesentlich stärkerer Faktor als häufig<br />

vermutet. Wenn Sie sich den Bericht der<br />

Antidiskriminierungsstelle des Bundes an-<br />

schauen, wie viele Fälle da an Dis-<br />

kriminierung zur Sprache kommen, das ist<br />

ja nur die Spitze des Eisberges.<br />

Diskriminierung ist ja nicht nur ein<br />

Problem, bei dem sich die Jugendlichen<br />

noch viel mehr anstrengen müssen, um<br />

letztendlich eine Ausbildungsstelle zu<br />

finden. Im Übrigen, wenn wir mal davon<br />

ausgehen, dass es in Deutschland ungefähr<br />

so ähnlich ist wie in den anderen Ländern,<br />

also drei bis viermal so viele, dann müsste<br />

die Arbeitslosigkeit nicht doppelt so hoch<br />

sein wie sie ungefähr so ist in Deutschland,<br />

sondern müsste sie drei bis viermal so<br />

hoch sein. Das heißt, die Jugendlichen<br />

kompensieren das bereits, indem sie viel<br />

mehr Bewerbungen schreiben. Das ist also<br />

eine Leistung, die bereits erbracht wird<br />

und die es vielleicht auch anzuerkennen<br />

gilt. Und wenn sie dann keinen Erfolg<br />

haben, dann führt es zu Frustration und<br />

natürlich auch zur einer innerlichen Ent-<br />

fernung vom Empfangsland. Und das ist<br />

22


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

natürlich ein ganz problematischer<br />

Prozess.<br />

Ganz wichtig ist dabei, die Diskriminierung<br />

zu trennen von Rassismus. Das wird häufig<br />

vermengt in der öffentlichen Debatte. Dis-<br />

kriminierung beruht häufig nicht auf<br />

rassistischen Einstellung, sondern auf Vor-<br />

urteilen, auf Unkenntnis. Und das ist<br />

natürlich keinesfalls das gleiche. Auch hier<br />

wiederum ganz interessante Studien aus<br />

Schweden. Dort wissen, dass Zuwanderer,<br />

die die schwedische Staatsangehörigkeit<br />

angenommen haben, oder die ihren<br />

Namen von Ali auf Sören geändert haben,<br />

dann auf einmal wesentlich bessere<br />

Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben.<br />

Und diese Chancen können nur durch den<br />

Wechsel erklärt werden. Sie hatten vor-<br />

her die gleichen Integrationsleistungen und<br />

in dem Moment, in dem der Wechsel<br />

erfolgte, gingen die Chancen rapide berg-<br />

auf. Das ist natürlich eine Diskriminierung,<br />

ganz klar: Der Sören wird gegenüber dem<br />

Ali bevorzugt. Aber es ist kein Rassismus,<br />

denn die Herkunft hat sich ja nicht ver-<br />

ändert, in dem Ali seinen Namen in Sören<br />

geändert hat. Aber offensichtlich hat sich<br />

in der Wahrnehmung der Unternehmen<br />

etwas geändert: die Personen sind in der<br />

Wahrnehmung offensichtlich vertrauter<br />

mit dem Land und dadurch möglicher-<br />

weise produktiver, haben weniger Sprach-<br />

probleme oder was auch immer. Und<br />

dadurch sind die Unternehmen dann auch<br />

auf einmal bereit, diese Person einzu-<br />

stellen. Sie haben also diesen Wechsel der<br />

Staatsangehörigkeit – übrigens gerade im<br />

hoch qualifizierten Bereich sehr, sehr,<br />

wichtig, die Staatsangehörigkeit – oder des<br />

Namens als Signal für Integration inter-<br />

pretiert. Und Integration heisst in diesem<br />

Sinne bessere Produktivität im Arbeits-<br />

markt, denn das ist das, was die Unter-<br />

nehmen letztendlich interessiert. Es ist<br />

deshalb auch nicht verwunderlich, dass die<br />

Studien in der Regel zeigen, dass es die<br />

Klein- und Mittelunternehmungen sind, die<br />

besonders stark diskriminieren. Denn die<br />

können es sich einfach nicht erlauben, Un-<br />

kenntnis über die Qualität der Bewerber<br />

zu haben. Wenn sie ein oder zwei un-<br />

produktive Leute in ihrem Betrieb haben,<br />

kann es für ein Unternehmen lebens-<br />

bedrohlich sein. Wenn also Arbeitgeber<br />

hauptsächlich Vorurteile haben und Un-<br />

sicherheit besteht, dann ist auch klar, wie<br />

man die Jugendlichen mit Migrations-<br />

hintergrund am besten in den Arbeits-<br />

markt integrieren kann, nämlich in dem<br />

man beide Seiten zusammenführt . In dem<br />

23


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

man den Arbeitgebern eine Chancen gibt,<br />

diese Vorurteile abzubauen und gleich-<br />

zeitig den Jugendlichen eine Chance gibt,<br />

sich zu beweisen. Beispielsweise über<br />

Firmenmessen einfach in Kontakt bringen,<br />

über Praktika und so weiter. Aber auch<br />

Aufklärung und Vorbilder – und damit sind<br />

wir wieder bei der heutigen Veranstaltung<br />

– können natürlich helfen, Vorurteile ab-<br />

zubauen und zu zeigen, wie breit eigentlich<br />

die Zuwanderer und deren Kinder<br />

mittlerweile hier in Deutschland auch<br />

integriert sind und wie viele sehr, sehr<br />

gute Beispiele es mittlerweile schon gibt.<br />

Auch der Öffentliche Dienst hat hier<br />

natürlich eine ganz zentrale Funktion, denn<br />

wenn sie es schaffen, dass die Kinder mit<br />

Migrationshintergrund im Öffentlichen<br />

Dienst gut integriert sind, dann ist natür-<br />

lich die Visibilität von Zuwanderung im<br />

Alltagsleben auch für Personen, die sonst<br />

wenig mit Zuwanderern Kontakt haben,<br />

viel, viel stärker. Wenn sie auf der Finanz-<br />

verwaltung mal einem Zuwander als Sach-<br />

bearbeiter am Schalter begegnen, dann<br />

ändert sich natürlich auf der Kundenseite<br />

auch etwas. Deswegen ist es sehr, sehr<br />

wichtig, dass die Migranten auch in der<br />

Breite des Öffentlichen Dienstes viel<br />

stärker sind. Deshalb hat es uns natürlich<br />

besonders gefreut, dass hier in Hamburg<br />

Herr von Beust einen Schwerpunkt<br />

gesetzt hat, denn das ist gerade für uns ein<br />

ganz, ganz wichtiger Bereich. Und auch da<br />

ein Bereich, wo Deutschland noch ein sehr<br />

großes Nachholpotenzial hat im inter-<br />

nationalen Vergleich . Es gibt nur zwei<br />

Länder, in denen die Kinder mit<br />

Migrationshintergrund deutlich unter-<br />

repräsentiert sind im öffentlichen Dienst.<br />

Das sind Deutschland und Frankreich und<br />

deshalb ist es besonders schön, dass hier<br />

Hamburg sehr, sehr viel getan hat. Bei<br />

allen Diskussionen über Probleme und<br />

Benachteiligungen dürfen wir nicht ver-<br />

gessen, dass die überwiegende Mehrzahl<br />

der Jugendlichen mit Migrationshinter-<br />

grund gut integriert ist. Und ich glaube, es<br />

ist immer ganz wichtig, auch darauf hinzu-<br />

weisen, dass es sehr, sehr viele erfolg-<br />

reiche Beispiele gibt. Und wenn wir die<br />

Kinder mit Migrationshintergrund als Ein-<br />

heit betrachten, sind natürlich Lücken da,<br />

aber es sieht doch relativ gut aus. Das<br />

Glas ist mehr voll als leer. Und es ist ganz<br />

wichtig, darauf hinzuweisen, damit die<br />

Vorurteile abgebaut werden können. Aber<br />

natürlich steckt noch viel mehr Potenzial<br />

in den Kindern von Zuwanderern. Ich<br />

24


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

glaube die häutige Veranstaltung trägt dazu<br />

bei, dieses ein Stückchen besser zu nutzen.<br />

Vielen Dank.<br />

25


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

Preisverleihung<br />

Vorwort Uli Wachholtz –<br />

Präsident UVNord Vereinigung der<br />

Unternehmensverbände in Hamburg<br />

und Schleswig-Holstein e. V.<br />

Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin,<br />

Sehr geehrte Frau Rühl<br />

Sehr geehrter Herr Dr. Liebig,<br />

und sehr geehrter Herr Lüttke,<br />

meine sehr geehrten Damen und Herren,<br />

ich möchte Sie auch im Namen von<br />

UVNord ganz herzlich begrüßen. Die<br />

Bürgermeisterin erwähnte es bereits: Zum<br />

sechsten Mal veranstalten wir gemeinsam<br />

mit der <strong>BQM</strong> diese Tagung, um über<br />

Jugendliche mit Migrationshintergrund zu<br />

sprechen. Über die Probleme, mit denen<br />

sie auf dem Ausbildungsmarkt konfrontiert<br />

sind, über die Verantwortung von Gesell-<br />

schaft, Politik und Wirtschaft, aber auch<br />

über das Potenzial dieser Zielgruppe. Wir<br />

haben gesprochen über ihre Talente, ihre<br />

Sprachkenntnisse, ihre interkulturelle<br />

Kompetenz, also über all das, was gerade<br />

in einer so international ausgerichteten<br />

Region wie Hamburg für den wirtschaft-<br />

lichen und beruflichen Erfolg von Be-<br />

deutung ist. Und ja, wir haben viel dazu<br />

gelernt in den vergangenen Jahren. Wir<br />

haben uns geöffnet als Gesellschaft und als<br />

Unternehmen. Und auch die Politik hat<br />

viel dazu gelernt, wenn es darum geht,<br />

Jugendliche mit Migrationshintergrund als<br />

einen wichtigen Teil von uns zu begreifen.<br />

Uli Wachholtz – Präsiden UVNord<br />

Aber wir alle wissen auch ganz genau, dass<br />

noch viel mehr geschehen kann und vor<br />

allem viel mehr geschehen muss, damit wir<br />

von Chancengleichheit für Jugendliche mit<br />

Migrationshintergrund als Normalzustand<br />

bekommen. Deshalb möchte ich mich bei<br />

Ihnen, meine sehr geehrten Damen und<br />

Herren, herzlich dafür bedanken, dass Sie<br />

auch in diesem Jahr so zahlreich er-<br />

schienen sind. Das zeigt, dass sie das<br />

Potenzial dieser Jugendlichen sehen und<br />

dass Sie sich für junge Menschen<br />

engagieren und sie auf diesem Weg unter-<br />

stützen.<br />

26


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

Und das wird auch weiterhin nötig sein.<br />

Denn über das Begreifen der gesellschaft-<br />

lichen Chancen hinaus, sind wir mit einem<br />

zunehmendem Fachkräftemangel<br />

konfrontiert. Und dieser Druck wird, das<br />

wissen Sie, noch zunehmen. Einerseits gibt<br />

es viele Jugendliche, die es schwer haben,<br />

einen Ausbildungsplatz zu bekommen.<br />

Andererseits gibt es viele Unternehmen,<br />

die ihre Ausbildungsplätze nicht besetzen<br />

können. Das muss sich in unser aller<br />

Interesse ändern. Und deshalb möchten<br />

wir, dass noch mehr Hamburger Unter-<br />

nehmen in Ihrem Engagement bestärkt<br />

werden, Jugendliche mit Migrationshinter-<br />

grund auszubilden.<br />

UVNord hat gemeinsam mit der <strong>BQM</strong><br />

auch in diesem Jahr den Förderpreis Viel-<br />

falt in Ausbildung und Arbeit aus-<br />

gelobt. Und es ist eine besondere Ehre,<br />

dass die Zweite Bürgermeisterin den Preis<br />

persönlich überreichen wird. Dafür vielen<br />

Dank Ihnen, sehr geehrte Frau Bürger-<br />

meisterin Goetsch.<br />

Mein Dank gilt aber auch der Jury, denn<br />

für sie war es wahrlich keine leichte Auf-<br />

gabe unter den zahlreichen vorbildlichen<br />

Bewerbungen drei Preisträger auszu-<br />

wählen.<br />

Deshalb möchte ich an dieser Stelle<br />

betonen: Die ausgewählten Preisträger<br />

stehen mit Ihrem Einsatz stellvertretend<br />

für viele weitere Konzepte, die bei der<br />

<strong>BQM</strong> eingereicht wurden. Allen Betrieben,<br />

die sich beworben haben, egal ob groß<br />

oder klein, gebührt Dank und die An-<br />

erkennung. Ihr Engagement gibt wichtige<br />

Impulse für eine verbesserte berufliche<br />

Integration und soll vor allem andere zum<br />

Nachahmen anregen.<br />

Bevor unsere Laudator/-innen der <strong>BQM</strong><br />

die Preisträger im Einzelnen vorstellen,<br />

möchte ich nun diejenigen Unternehmen<br />

lobend erwähnen, die Jugendliche mit<br />

Migrationshintergrund ebenfalls mit<br />

großem Engagement beruflich integrieren<br />

und die sich hier beworben haben. Das<br />

sind:<br />

• Aurubis AG<br />

• Iwan Budnikowsky GmbH & Co. KG<br />

• Çelik Döner und Fleischgroßhandel<br />

GmbH<br />

• Der Haarlekin<br />

• DHL Freight GmbH<br />

• E.On Hanse AG – Standort Aus-<br />

schläger Elbdeich<br />

• Globetrotter Ausrüstung/Denart &<br />

Lechhart GmbH<br />

27


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

• HCCR Hamburger Container- und<br />

Chassis-Reparatur-Gesellschaft<br />

• Heinz-Sander-Bau-GmbH<br />

• Oliver Bayer SG Stellingen e. K.<br />

• Randstad Deutschland<br />

• UniCredit Bank AG<br />

• Vaino Hair Connection GmbH<br />

Außerdem sei allen Unternehmen gedankt,<br />

die den Aktionsplan des Senats zur<br />

Bildungs- und Ausbildungsförderung junger<br />

Menschen mit Migrationshintergrund ge-<br />

meinsam mit dem Unternehmensverband<br />

Nord und der <strong>BQM</strong> tatkräftig unter-<br />

stützen.<br />

Ich freue mich, dass in den vergangenen<br />

Jahren viel im Bereich beruflicher Quali-<br />

fizierung und Integration von Jugendlichen<br />

mit Migrationshintergrund getan wurde.<br />

Mehr als 2.000 von ihnen konnten in Aus-<br />

bildung vermittelt werden, mehr als 120<br />

Unternehmen arbeiten inzwischen mit der<br />

<strong>BQM</strong> zusammen und haben sich für diese<br />

Ziel- und Mitarbeitergruppe geöffnet. Es<br />

ist deutlich geworden, dass wir die jungen<br />

Menschen mit unterschiedlichen Er-<br />

fahrungshintergründen und inter-<br />

kulturellen Kompetenzen brauchen.<br />

In diesem Zusammenhang appelliere ich an<br />

die Politik und Verwaltung, das<br />

Engagement für Integration und Diversity<br />

Management auch zukünftig ganz oben auf<br />

die Agenda zu setzen. Es ist schön zu<br />

wissen, dass inzwischen rund 17 Prozent<br />

der Auszubildenden in der Verwaltung<br />

einen Migrationshintergrund haben. Ich<br />

hoffe, dass wir im nächsten Jahr schon die<br />

Zielmarke von 20 Prozent erreicht haben<br />

werden, und zwar nicht nur in der Ver-<br />

waltung sondern möglichst auch in vielen,<br />

vielen Hamburger Unternehmen.<br />

Zum Schluss möchte ich auch in diesem<br />

Jahr betonen, dass jedes Unternehmen,<br />

das sich für junge Menschen mit<br />

Migrationshintergrund stark macht, An-<br />

erkennung verdient und ich darf Sie bitten,<br />

dieses mit einem Applaus zu würdigen.<br />

28


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

Meine Damen und Herren,<br />

ich darf Ihnen nun die diesjährigen Preis-<br />

träger vorstellen. Dies sind:<br />

• Kühne + Nagel (AG & CO.) KG in der<br />

Kategorie der Großunternehmen<br />

• Auto Wichert in der Ulzburger Straße<br />

in der Kategorie Kleinunternehmen<br />

• Haar und Cosmetik by Mister No in<br />

der Kategorie Kleinstunternehmen<br />

Die Laudator/-innen der <strong>BQM</strong> werden die<br />

Preisträger mit Ihrem besonderen<br />

Engagement gleich vorstellen. Vorher<br />

möchte ich aber meine ganz besondere<br />

Anerkennung der Iwan Budnikowsky<br />

GmbH & Co. KG aussprechen.<br />

Budnikowsky hat in einer hervorragenden<br />

Bewerbung deutlich gemacht, dass es sein<br />

Engagement für Jugendliche mit<br />

Migrationshintergrund seit 2005, als das<br />

Unternehmen den Preis „Vielfalt in Aus-<br />

bildung“ gewann, deutlich ausgeweitet hat.<br />

So wurde die Quote der Auszubildenden<br />

mit Migrationshintergrund seit 2005 von<br />

21 Prozent auf 34 Prozent erhöht.<br />

Budnikowsky hat außerdem gemeinsam<br />

mit der <strong>BQM</strong> ein interkulturelles Ein-<br />

stellungsverfahren entwickelt und dieses<br />

auch umgesetzt. Ich denke, dass kann für<br />

uns alle vorbildlich sein! Machen Sie weiter<br />

so, wir freuen uns auf Ihre Bewerbung im<br />

kommenden Jahr.<br />

Ich gratuliere nun den Gewinnern und<br />

hoffe, dass wir uns alle im kommenden<br />

Jahr wieder sehen, wenn andere Unter-<br />

nehmen für ihr Engagement für Vielfalt in<br />

Ausbildung und Arbeit ausgezeichnet<br />

werden.<br />

Vielen Dank.<br />

29


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

Preisverleihung: Laudatio<br />

Kühne + Nagel (AG & Co.) KG<br />

Elisabeth Wazinski und<br />

Dr. Alexei Medvedev –<br />

KWB e. V. / <strong>BQM</strong><br />

Elizabeth Wazinski: Sehr geehrte<br />

Damen und Herren, liebe Kolleginnen und<br />

Kollegen,<br />

wir freuen uns, Ihnen den Preisträger in<br />

der Kategorie Großunternehmen des<br />

Förderpreises „Vielfalt in Ausbildung<br />

<strong>2010</strong>“ vorzustellen, die Kühne + Nagel<br />

(AG & Co.) KG.<br />

Dr. Alexei Medvedev: Kühne + Nagel<br />

feiert in diesem Jahr sein 120-jähriges Be-<br />

stehen. Das Traditionsunternehmen be-<br />

schäftigt mittlerweile ca. 55.000 Mit-<br />

arbeiter an 900 Standorten in mehr als<br />

100 Ländern. Mit 1.273 Mitarbeitern und<br />

71 Auszubildenden in Hamburg ist das<br />

Unternehmen ein wichtiger Arbeitgeber<br />

und Ausbilder für unsere Stadt.<br />

Elizabeth Wazinski: Ein Viertel der<br />

Auszubildenden des Unternehmens hat<br />

einen Migrationshintergrund und sie<br />

werden ausgebildet zu Kaufleuten für<br />

Spedition und Logistikdienstleistungen,<br />

Fachkräften für Lagerlogistik und Fach-<br />

informatik. Außerdem bietet das Unter-<br />

nehmen ein duales Studium im Bereich<br />

Logistik an. Bei der Azubi-Auswahl geht<br />

der Ausbildungsleiter Michel Rothgaenger<br />

auch unkonventionelle Wege: nicht die<br />

Zeugnisnoten sind allein ausschlaggebend,<br />

Jugendliche können auch mit Persönlich-<br />

keit und Engagement überzeugen. Sein<br />

Glaube an die Potenziale junger Menschen<br />

mit Migrationshintergrund ist nicht nur ein<br />

Lippenbekenntnis.<br />

Laudatores Elisabeth Wazinski und Dr. Alexei Medvedev (<strong>BQM</strong>)<br />

Dr. Alexei Medvedev : Kühne + Nagel<br />

hat eine beeindruckend geringe Ab-<br />

brecherquote in der Ausbildung, und um<br />

diesen Trend fortzuführen, setzt man auch<br />

auf einen guten Kontakt zu den Eltern.<br />

Eltern werden zu Beginn des Ausbildungs-<br />

jahres zu einem Elternabend in das Unter-<br />

nehmen eingeladen und erhalten einen<br />

30


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

detaillierten und plastischen Einblick in den<br />

Ablauf der Ausbildung.<br />

Elisabeth Wazinski: Gerade für<br />

migrantische Eltern, die die duale Aus-<br />

bildung als Konzept weniger gut kennen,<br />

sondern eher studienorientiert sind, ist<br />

das eine optimale Herangehensweise.<br />

Darüber hinaus ist Kühne + Nagel einer<br />

der Mitbegründer des von der <strong>BQM</strong> ins<br />

Leben gerufenen Arbeitskreises „Betrieb-<br />

liche Elternarbeit“, in dem weitere neue<br />

Formate der Elternkooperation entwickelt<br />

werden.<br />

Dr. Alexei Medvedev: Zur Ehrung<br />

dieses Engagements dürfen wir nun bitten<br />

Dirk Blesius – Mitglied der Geschäfts-<br />

leitung, Leiter Personal und Qualitäts-<br />

management, Michel Rothgaenger – Aus-<br />

bildungsleiter Hamburg und die Auszu-<br />

bildenden Anna Bartholomaiou und Jawad<br />

Zargarpur.<br />

Verleihung des Förderpreises (v.l.n.r.): Uli Wachholtz, Elisabeth<br />

Wazinski Christa Goetsch, Jawad Zargarpur, Anna<br />

Bartholomaiou, Michel Rothgaenger, Dirk Blesius, Dr. Alexei<br />

Medvedev<br />

31


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

Preisverleihung: Laudatio<br />

Auto Wichert GmbH,<br />

Ulzburger Straße<br />

Hülya Eralp –<br />

KWB e. V. / <strong>BQM</strong><br />

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe<br />

Kolleginnen und Kollegen,<br />

ich begrüße Sie herzlich und freue mich,<br />

Ihnen den Gewinner des Förderpreises<br />

„Vielfalt in Ausbildung <strong>2010</strong>“ in der Kate-<br />

gorie Kleinunternehmen vorstellen zu<br />

dürfen. Gewonnen hat der Automobil-<br />

handel und Reparaturbetrieb der Auto<br />

Wichert GmbH in der Ulzburger Straße.<br />

Die Gruppe der Auto Wichert GmbH<br />

besteht aus 11 Betrieben, mit 650 Mit-<br />

arbeitern und 127 Auszubildenden. Einer<br />

dieser Betriebe – Auto Wichert,<br />

Ulzburger Straße, hat sich für den Förder-<br />

preis „Vielfalt in Ausbildung <strong>2010</strong>„ be-<br />

worben.<br />

Die Werkstatt beschäftigt 27 Mitarbeiter/-<br />

innen und bildet 10 Jugendliche aus. 4<br />

dieser Auszubildenden haben einen<br />

Migrationshintergrund. Also eine<br />

beindruckende Quote von 40 Prozent!<br />

Der Werkstattleiter Martin Peetz hat sich<br />

immer mehr Vielfalt zum Ziel gesetzt. Bei<br />

der Besetzung der Ausbildungsplätze<br />

achtet er deshalb darauf, Aspekte wie<br />

„gender“ und unterschiedliche soziale /<br />

ethnische Herkunft zu berücksichtigen.<br />

Herr Peetz gibt auch schwächeren<br />

Schülern durch Langzeitpraktika eine<br />

Chance und führt Partnerschaften mit<br />

zwei Schulen. Darüber hinaus hat er einige<br />

Teile des interkulturellen Einstellungsver-<br />

fahrens der <strong>BQM</strong> in sein Auswahltest ein-<br />

fließen lassen.<br />

Laudator Hülya Eralp (<strong>BQM</strong>)<br />

Herr Peetz nimmt an Fortbildungen zu den<br />

Themen „Diversity Management, inter-<br />

kulturelle Kommunikation u. ä teil, weil<br />

für ihn die Zufriedenheit der Mitarbeiter/-<br />

innen sowie Kunden oberste Priorität hat.<br />

Nicht nur dies, er will alle begeistern und<br />

mit Rat und Tat allen kompetent zur Seite<br />

stehen.<br />

Auf der Homepage der Firma Auto<br />

Wichert kann man folgendes lesen:<br />

32


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

„Unser Appetit auf Auszeichnungen ist so<br />

unstillbar groß, dass Sie sich auch künftig<br />

auf unseren ausgezeichneten Einsatz für<br />

Sie verlassen können.<br />

Den unstillbar großen Appetit auf Aus-<br />

zeichnungen des Unternehmens möchten<br />

wir heute entgegen kommen.<br />

Zur Ehrung des Engagements darf ich nun<br />

auf die Bühne bitten: Werkstattleiter<br />

Ulzburger Straße – Herrn Martin Peetz,<br />

Serviceleiter der Betriebe Ulzburger<br />

Straße und Audi Stockflethweg – Herrn<br />

Oliver Ladwig, Vertreter Werbeagentur<br />

Inconn für die Auto Wichert GmbH -<br />

Herr Anan Pinitvetchagan und die Auszu-<br />

bildenden Frau Christiane Köroglu und<br />

Herrn Ali Djisar.<br />

Verleihung des Förderpreises (v.l.n.r.): Christa Goetsch, Oliver<br />

Ladwig, Anan Pinitvetchagan, Christiane Köroglu, Martin Peetz,<br />

Hülya Eralp, Uli Wachholtz<br />

33


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

Preisverleihung: Laudatio<br />

Haar und Cosmetik by<br />

Mister No<br />

Dr. Rita Panesar –<br />

KWB e. V. / <strong>BQM</strong><br />

Sehr geehrte Damen und Herren,<br />

man muss kein großes Unternehmen<br />

führen, um sich interkulturell zu öffnen<br />

oder sich für Jugendliche mit Migrations-<br />

hintergrund einzusetzen.<br />

Ich freue mich Ihnen als dritten Preisträger<br />

ein Unternehmen vorstellen zu dürfen, das<br />

zu den Kleinstunternehmen gehört:<br />

Haar und Cosmetic by Mister No.<br />

Das Unternehmen besteht aus 3 Mit-<br />

arbeiter/-innen und zwei Auszubildenden.<br />

Einer dieser Azubis hat Migrationshinter-<br />

grund. Eine Quote also von 50 Prozent!<br />

Das Unternehmen kooperiert sehr eng<br />

mit zwei Schulen, der Schule Hegholt in<br />

Bramfeld und der Integrierten Gesamt-<br />

schule in Barsbüttel, nach den Sommer-<br />

ferien kommen wegen des großen Erfolgs<br />

noch weitere Schulen hinzu. Vielleicht<br />

auch wegen des genialen Projekttitels.<br />

„Friseur und Schule nur für Coole!“<br />

�����������������������������������������<br />

des Friseursalons, hat ein innovatives<br />

Konzept erarbeitet: Er hat Unterrichts-<br />

module entwickelt, die gerade auch lern-<br />

schwache Schülerinnen und Schüler auf die<br />

Anforderungen der Berufswelt vor-<br />

bereiten: Einmal in der Woche kommen<br />

sie in seinen Salon und lernen dort<br />

praktische Grundlagen des Friseurhand-<br />

werks. Ein besonderer Erfolg: Der<br />

praktische Unterricht wird zum Teil sogar<br />

als Wahlpflichtkurs benotet und durch ein<br />

Zertifikat der Handwerkskammer be-<br />

scheinigt. Für Schüler/-innen mit<br />

schwierigen Startbedingungen eine ganz<br />

wichtige Unterstützung in der beruflichen<br />

Orientierung und ein hervorragendes Bei-<br />

spiel für die Kooperation von Schulen und<br />

Unternehmen!<br />

Laudator Dr. Rita Panesar (<strong>BQM</strong>)<br />

Motiviert ist das Team und insbesondere<br />

��������takar, nicht zuletzt durch eigene<br />

Erfahrungen. Der Leiter des Friseursalons<br />

kam mit 9 Jahren aus der Türkei nach<br />

Deutschland und hatte damals auch über<br />

34


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

ein Praktikum seine Liebe zum Friseur-<br />

beruf entdeckt. Längst ist er Meister und<br />

hat sich als Fachkosmetiker und Visagist<br />

weitergebildet. Das in seiner persönlichen<br />

Lebensgeschichte generierte Know How<br />

möchte er als Vorbild anderen Jugend-<br />

lichen mit Migrationshintergrund zu Gute<br />

kommen lassen. Ihnen und ihren Eltern<br />

zeigen: Es ist möglich, seinen Platz und<br />

seine Aufgabe hier zu finden und eine<br />

Ausbildung im Handwerk bietet da sehr<br />

große Chancen.<br />

Kunden schätzen nicht nur das<br />

Engagement des Friseursalons, sondern<br />

vor allem die handwerklich sehr ge-<br />

schickten Mitarbeiter. So heißt es in einer<br />

Bewertung aus dem Internet: „ Es ist ein<br />

Wohlfühltempel, die Zeit, die man dort<br />

verbringt, genießt man einfach nur als<br />

KÖNIG KUNDE!“<br />

��������������������������������������������<br />

�������������������������������f die<br />

Bühne sowie die Azubis Fatih Arslan und<br />

Suayip Azizoğlu.<br />

���������������������������������������������������������������<br />

����������, Suayip Azizoğlu, Fatih Arslan, Christa Goetsch,<br />

Dr. Rita Panesar, Uli Wachholtz<br />

35


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

Keynote Monika Rühl –<br />

Leiterin Change Management und<br />

Diversity, Deutsche Lufthansa AG<br />

Sehr gehrte Frau Bürgermeisterin,<br />

sehr geehrter Herr Lüttke,<br />

sehr geehrter Herr Wachholtz,<br />

liebe Ehrengäste, liebe Preisträger und<br />

Preisträgerinnen und sehr geehrte Damen<br />

und Herren,<br />

ich möchte ihnen ganz kurz etwas über<br />

das, was wir unter Diversity verstehen,<br />

was wir machen und was wir uns davon<br />

versprechen, erzählen. Ob das für Sie ge-<br />

eignet ist, ähnlich zu betreiben, das<br />

müssen sie dann selber entscheiden. Ich<br />

kenne ihre spezifische Unternehmens-<br />

situation nicht. Alleine die Definition für<br />

Diversity ist so unterschiedlich von<br />

Unternehmen zu Unternehmen und hängt<br />

natürlich immer ganz stark von dem<br />

Unternehmensziel, von der Unter-<br />

nehmensstrategie ab. Und da sind wir<br />

dann gleich bei unserer Definition. Wir<br />

haben die Situation, dass wir viele Airlines<br />

inzwischen unter dem Dach haben, also<br />

nicht nur eine Swiss, sondern auch eine<br />

Air Dolomiti, eine German Wings und<br />

natürlich die Lufthansa Cityline und so<br />

weiter. Das heißt, wir haben schon mal<br />

ganz verschiedene Produkte, ganz ver-<br />

schiedene Airlines. Wir haben auch von<br />

einem super Premium First-Class Produkt<br />

bis zur Low Cost Airline, die sich vor allen<br />

Dingen natürlich im Bereich German<br />

Wings abspielt, auch sehr viele ver-<br />

schiedene Produkte und damit auch sehr<br />

viele verschiedene Märkte. Die Märkte<br />

beziehen sich auch auf unser interna-<br />

tonales Geschäft, also an den ver-<br />

schiedenen Standorten. Und wir haben<br />

dann natürlich mit den verschiedenen<br />

Standorten auch die verschiedenen so-<br />

genannten Hubs.<br />

Keynote: Monika Rühl, Leiterin Change Management und<br />

Diversity, Deutsche Lufthansa AG<br />

Die Multi-Hub, die Multi-Brands, Multi-<br />

Airlines und die Multi-Products. Aufgrund<br />

der Marktvielfalt ergibt sich natürlich dann<br />

auch eine Kundenvielfalt. Und weil wir<br />

eine Kundenvielfalt haben und glauben,<br />

dass wir unsere Kunden nur damit zu-<br />

36


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

frieden stellen können, dass wir ihre Be-<br />

dürfnisse so gut wie möglich treffen – wir<br />

sind ein Dienstleistungsunternehmen –<br />

haben wir die Mitarbeitervielfalt. Das ist<br />

kein neues Thema. Das Thema Diversity<br />

Management unter dem Heading, das gibt<br />

es seit 2001, aber die Inhalte, die sind<br />

nicht neu. Lufthansa ist seit 1955, seit dem<br />

das Unternehmen nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg wieder gestartet ist, sehr inter-<br />

national ausgerichtet. Und wir haben<br />

natürlich schon immer Frauen, Männer<br />

und Mitarbeiter unterschiedlicher Alters-<br />

strukturen gehabt.<br />

Welche Dimensionen fassen wir unter<br />

dem Dach von Diversity Management und<br />

Diversity zusammen? Das sind auch die<br />

Dimensionen, die im Jahr 2006 im AGG<br />

definiert wurden. Nämlich Geschlecht,<br />

Alter, Herkunft. Bei uns spielt Nationalität<br />

eine größere Rolle als Rasse oder Ethnie,<br />

weil wir nach Rasse oder Ethnie nicht<br />

zählen. Allenfalls in Amerika können sie<br />

danach fragen, in Deutschland nicht. In<br />

Amerika können sie interessanter Weise<br />

wieder nicht nach Nationalitäten fragen,<br />

dort geben sie den Pass nicht ab. Ganz<br />

unterschiedliche kulturelle Approaches.<br />

Das ist das Thema Menschen mit Be-<br />

hinderungen und das Thema sexuelle<br />

Identität. Also die acht Dimensionen.<br />

Warum setzen wir uns damit auseinander?<br />

Es ist für uns keine Sozialromantik,<br />

sondern ein ganz klares Thema des Wett-<br />

bewerbsvorteils, der Produktivität, der<br />

Nutzung der vorhandenen Ressourcen.<br />

Eine Kultur, eine Unternehmenskultur, die<br />

erwartet, dass sich alle an die Mainstream-<br />

kultur – und das ist bei uns im Arbeits-<br />

bereich in Mitteleuropa immer noch<br />

männlich, mittelalt und mitteleuropäisch<br />

von der Abkunft her – die von den<br />

Menschen das erwartet, wird all die<br />

Menschen, die abweichen von dieser so-<br />

genannten Mainstreamkultur dazu bringen,<br />

dass sie sich anpassen und ihre Kraft in<br />

diesen Anpassungsaufwand zu investieren,<br />

anstatt in die Arbeit zu investieren. Und<br />

wir sagen, dass wir das nicht wollen, wir<br />

möchten Produktivität. Wir müssen<br />

Produktivitätsreserven mobilisieren. Wir<br />

haben aber auch gerade was unser<br />

Produkt und unser Geschäft angeht einen<br />

ganz, ganz großen Vorteil, wenn wir eben<br />

unterschiedliche Perspektiven auf eine<br />

Herausforderung haben. Und wenn nicht<br />

alle das selbe sagen, weil sie womöglich<br />

auch noch den selben Abschluss an der<br />

selben Hochschule, womöglich in einem<br />

37


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

ähnlichen Zeitraum absolviert haben.<br />

Nein, aus der Vielfalt, aus der Breite, aus<br />

der Buntheit kriegen wir eben ganz, ganz<br />

unterschied-liche Problemlösungsansätze.<br />

Und das halten wir für einen sehr großen<br />

Vorteil für das Unternehmen und deshalb<br />

ist Diversity Management bei uns auch ein<br />

wichtiges Thema und wird auch weiterhin<br />

betrieben.<br />

Ganz kurz zwei, drei allgemeine Zahlen.<br />

Also, wir haben im letzten Jahr 22<br />

Milliarden Umsatz gemacht. Wir haben<br />

400 Konzerngesellschaften. Das heißt wir<br />

sind sowohl Kleinstunternehmer als auch<br />

Kleinunternehmer als auch mittel-<br />

ständisches Unternehmen, und wenn Sie<br />

die Lufthansa Passage Fluggeschäft<br />

nehmen, dann sind wir natürlich auch<br />

Großunternehmen. Also 400 Unter-<br />

nehmen unter dem Konzerndach der<br />

Deutschen Lufthansa. Wir fliegen auch<br />

genau so viele Orte an, 400 Zielorte in<br />

100 Ländern und wir haben über 500 Flug-<br />

zeuge in der Zwischenzeit. Das kommt<br />

natürlich vor allen Dingen durch unsere<br />

sogenannten Acquisitions, also durch die<br />

Neuzugänge von verschiedenen Fluggesell-<br />

schaften und bis zu der großen Krise sind<br />

wir natürlich auch in Deutschland noch<br />

sehr stark gewachsen. Das ist im Augen-<br />

blick gerade etwas reduziert. Mitarbeiter<br />

wie gesagt 117.521, von denen 55,1 Pro-<br />

zent in Deutschland arbeiten und von<br />

denen – das nehme ich schon mal vorweg<br />

– haben 11,3 Prozent keinen deutschen<br />

Pass. Wir haben aber garantiert ganz viele<br />

Menschen, die einen anderen kulturellen<br />

Hintergrund haben als einen deutschen<br />

Hintergrund. Die dann vielleicht zwei<br />

Pässe haben oder sogar einen deutschen<br />

Pass haben, wenn sie hier geboren sind.<br />

Die zählen wir nicht, die erfassen wir<br />

nicht. Da das für uns kein neues Thema ist<br />

und wir nicht bei der Stunde Null an-<br />

fangen, sondern das ein langer Prozess ist,<br />

gehen wir jetzt auch nicht rum und fragen<br />

alle Mitarbeiter, ob sie Migrationshinter-<br />

grund haben. Was ist ein Migrations-<br />

hintergrund? Ist ein Migrationshintergrund<br />

nur ein solcher Wanderungshintergrund<br />

aus einem wirtschaftlich nicht ganz so<br />

potenten Land wie der Bundesrepublik<br />

Deutschland? Unser Vorstandsvor-<br />

sitzender ist Österreicher, also wir haben<br />

25 Prozent Ausländeranteil im Vorstand.<br />

Ist das ein Migrationshintergrund? Würden<br />

wir wahrscheinlich jetzt alle mit den<br />

Definitionen, die wir so im Hinterkopf<br />

haben, wahrscheinlich eher nein sagen.<br />

38


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

Warum ist das Thema sinnvoll? Sie haben<br />

eine ganze Reihe neben wirtschaftlichen<br />

Kriterien, auf die ich gleich auch noch zu<br />

sprechen komme, eine ganze Reihe an<br />

Auslösern. Sie können natürlich sagen<br />

rechtliche Gründe. AGG wäre in Deutsch-<br />

land ein Grund. Grundgesetz hat einige<br />

Vorschriften, BGB hat Vorschriften und so<br />

weiter. Das wäre ein sogenannter<br />

Compliance-Ansatz. Sie können auch die<br />

Nachhaltigkeitsindizes nennen – und dort<br />

gelistet zu sein, ist für Lufthansa sehr, sehr<br />

wichtig, weil wir darüber auch eben<br />

Kapital beschaffen. Die wichtigsten sind für<br />

uns der Dow-Jones-Index und der<br />

FTSE4Good. Die fragen immer stärker<br />

nach nicht Diskriminierungsthemen, also<br />

Pro-Aktiv dann Gestaltungsthemen Di-<br />

versity Management Themen. Wir können<br />

sagen, dass wenn wir nur darauf reagieren<br />

würden, wäre das auch wieder ein<br />

Compliance-Ansatz, aber auch das wäre<br />

legitim, wenn man das betreiben würde.<br />

Natürlich der demografische Wandel,<br />

natürlich die Globalisierung, natürlich die<br />

weiter zunehmende Individualisierung. Das<br />

sind auch alles wichtige Faktoren. Und<br />

dann natürlich als verantwortungsvoll<br />

handelndes Unternehmen, das ganze<br />

Thema Wirtschaftsethik oder Nachhaltig-<br />

keit, Sustainability. Das sind für uns auch<br />

ganz wichtige Themen. Beim Thema<br />

wirtschaftliche Gründe – und last not least<br />

wir sind ein Wirtschaftsunternehmen – ist<br />

natürlich das Thema Produktivitäts-<br />

reserven, das habe ich schon ganz kurz<br />

angesprochen. Die Heterogenität der<br />

Märkte sind für uns ganz wichtige Gründe.<br />

Wenn man miteinander arbeitet, und da<br />

sind wir jetzt beim Thema Diversity<br />

Management – eine Vielfalt zu betrachten<br />

ist ein statischer Ansatz. Da zählt man, wie<br />

viel Frauen hat man, wie ist das Durch-<br />

schnittsalter und wie viele Ausländer hat<br />

man im Unternehmen. Wichtiger ist dann<br />

aber, diese Vielfalt zu managen. Und dafür<br />

muss jeder Mensch die Differenzierungs-<br />

kriterien kennen, jeder Mitarbeiter im<br />

Unternehmen. Nämlich Kultur, die<br />

kulturellen Unterschiede. Sie haben die<br />

drei verschiedenen Kulturtypen im Unter-<br />

nehmen. Lineare, reaktive, multiaktive<br />

Kulturen. Die Deutschen sind sehr<br />

arbeitsbezogene, lineare Kulturmenschen.<br />

Die Spanier und die ganzen Latinos sind<br />

dann eher multiaktive, sehr aktive und<br />

nicht so sehr nach Plänen arbeitende und<br />

nicht so pünktlich, personenbezogene<br />

Kulturen, während die linearen Kulturen<br />

39


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

eher nicht personenbezogen sind. Und<br />

reaktive Kulturen wären alle die<br />

asiatischen Kulturen, die sehr indirekt,<br />

sehr personenbezogen zwar sind, aber<br />

sehr wage auch in den Zusagen sind und<br />

sehr auf Beziehungen aufbauend arbeiten,<br />

weshalb ja Geschäfte in asiatischen<br />

Ländern auch wesentlich länger dauern.<br />

Dann kann man die zweite Dimension<br />

Alter drauf packen. Das ist das zweite<br />

Unterscheidungsmerkmal. Und die dritte<br />

Dimension – man glaubt es nicht – ist<br />

Männlein und Weiblein. Das sind zwei<br />

verschiedene Kulturen, nicht besser und<br />

schlechter, sondern einfach noch unter-<br />

schiedliche Kulturen, so dass jeder einen<br />

Punkt – ich bin Mathematikerin, deshalb<br />

darf ich das sagen – jeder einen Punkt im<br />

dreidimensionalen Raum darstellt und sich<br />

selber als Null setzt und immer, bei jeder<br />

Kommunikation meint, der andere ist auch<br />

da und da geht das Missverständnis in aller<br />

Regel schon los. Deshalb schulen wir auch<br />

sehr viel interkulturelle Kompetenz, wir<br />

schulen natürlich auch das Gender-Thema.<br />

Und es ist uns sehr, sehr wichtig, dass wir<br />

möglichst missverständnisfrei miteinander<br />

kommunizieren – auch da natürlich mit<br />

dem Fernziel, dass wir möglichst produktiv<br />

arbeiten.<br />

Aus Mitarbeiterperspektive ist es natürlich<br />

ganz klar, dass Mitarbeiter mit einer Di-<br />

versität oder einem Diversitätsfaktor<br />

Respekt erwarten, dass sie gleich be-<br />

handelt werden wollen, wie andere Mit-<br />

arbeiter auch. Es gibt auch keine guten<br />

Gründe, das anders zu handhaben. Und<br />

das wirkt sich dann natürlich positiv auch<br />

auf ihre Motivation aus. Wobei wir dann<br />

wieder beim Thema der Produktivität sind.<br />

Insgesamt zielen wir auf Inklusion und ich<br />

sagte es ja schon, dass wir seit 55 eigent-<br />

lich schon sehr international sind und auch<br />

sehr heterogene Mitarbeiterstrukturen<br />

haben, weshalb wir uns da nicht relativ<br />

neu auf die Reise machen. Der Herr Laue,<br />

unser Personalvorstand, hat unser ganzes<br />

Ziel mal genannt: Wertschöpfung durch<br />

Wertschätzung. Und da haben sie den<br />

sozialpolitischen Aspekt dabei, was die<br />

Mitarbeiter erwartet. Und sie haben auf<br />

der anderen Seite die Unternehmens-<br />

betrachtung, die kollektive Betrachtung auf<br />

der Unternehmensseite.<br />

Vielleicht noch ein paar Zahlen. Von den<br />

117.000 Mitarbeitern sind 45 Prozent<br />

Frauen. Dann haben wir zwei Führungs-<br />

begriffe, einmal Vorgesetztenfunktion.<br />

40


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

Dazu gehören auch Meister, Teamleiter,<br />

Gruppenleiter, auch die Kapitäne, alle<br />

möglichen anderen Funktionen, Purser in<br />

der Kabine zum Beispiel. Da beträgt der<br />

Frauenanteil 41,5 Prozent. Da sind wir<br />

sehr dicht bei den 45 Prozent. Dann die<br />

Leitenden, das sind die oberen 830<br />

Führungskräfte des Unternehmens. Da ist<br />

der Frauenanteil wie in jedem guten<br />

anderen deutschen Unternehmen auch<br />

eben nur bei 14,7 Prozent. Wir sind ein<br />

bisschen besser als der bundesdeutsche<br />

Durchschnitt, aber eben auch noch nicht<br />

so furchtbar weit. Und auch das Cockpit<br />

scheint noch immer eine Männerdomäne<br />

zu sein. 4,7 Prozent aller Piloten sind<br />

weiblich. Der Altersdurchschnitt ist 40,3<br />

Jahre. Wir sind ein bisschen jünger als der<br />

bundesdeutsche Durchschnitt. Das liegt<br />

sehr stark uns unseren operativen Auf-<br />

gaben, wo wir eben doch meistens sehr<br />

jung einstellen. Wir haben insgesamt 149<br />

Nationalitäten im Unternehmen. Ich sagte<br />

bereits, dass wir Migrationshintergründe<br />

leider nicht messen. Und in Deutschland<br />

sind es immerhin noch 117 Nationalitäten,<br />

von solchen Mitarbeitern, die wie gesagt<br />

keinen deutschen Pass haben. 11,4 Prozent<br />

haben in Deutschland keine deutsche<br />

Staatsangehörigkeit. 3,3 Prozent eine Be-<br />

hinderung. Und 27 Prozent unserer Mit-<br />

arbeit insgesamt weltweit haben Teilzeit<br />

und davon sind 28 Prozent Männer. Teil-<br />

zeit ist bei uns immer ein Tool gewesen,<br />

mit dem wir unsere Kapazitäts-<br />

schwankungen wunderbar austarieren<br />

können. Und das haben wir Anfang der<br />

90’er Jahre, als es uns mal sehr schlecht<br />

ging, dann massiv erhöht. Und es haben<br />

auch sehr viele hoch qualifizierte Männer<br />

ohne Angabe von Gründen Teilzeit ge-<br />

nommen. Und seit dem ist bei uns Teilzeit<br />

neutralisiert, also nicht mehr nur für<br />

Wahrnehmung von Erziehungspflichten,<br />

sondern eben auch für uns ein<br />

Flexibilisierungstool.<br />

Ich könnte Ihnen jetzt zu jedem Feld einige<br />

Maßnahmen ausführen, mache ich jetzt<br />

aber nicht, bisschen mit Blick auf die Zeit.<br />

Wir haben natürlich interkulturelle<br />

Trainings, fast alle Sprachen können Sie bei<br />

uns lernen. Sie können auch Deutsch für<br />

nicht Muttersprachler bei Lufthansa in der<br />

Freizeit lernen. Die interkulturellen<br />

Trainings sind für Führungskräfte ver-<br />

pflichtend, für Flugbegleiter verpflichtend<br />

und für alle Mitarbeiter in der freiwilligen<br />

Weiterbildung im Angebot und da auch<br />

wieder in der Freizeit. Das ganze Ent-<br />

41


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

sendungsgeschäft, also Entsendung ins<br />

Ausland, Entsendung aus dem Ausland<br />

hierher und die Drittlandentsendungen,<br />

also die Rotation im Ausland, tragen auch<br />

dazu bei, dieses kulturelle Verständnis zu<br />

vergrößern und durch den Kontakt mit<br />

den jeweiligen Kulturen eben ein größeres<br />

Verständnis zu entwicklen, was wiederum<br />

auch unseren Sprachen zugute kommt.<br />

Ganz wichtig ist unser E-Recruiting, was<br />

wir nun auch schon fast zehn Jahre be-<br />

treiben. www.belufthansa.com. Das ist ein<br />

neutrales Auswahlsystem. Aufgrund der<br />

Diversität des Unternehmens glauben Sie<br />

mir hoffentlich, dass wir nicht be-<br />

nachteiligen nach irgend welchen<br />

Dimensionen. Dieses E-Recruiting ist<br />

natürlich ein Verfahren, mit denen Sie<br />

noch weitere Möglichkeiten haben, neutral<br />

heranzugehen. Natürlich gibt der Be-<br />

werber, die Bewerberin Namen ein, natür-<br />

lich gibt man auch ein Alter ein, weil wir<br />

bei einigen Berufen Altersgrenzen haben<br />

müssen. Aber bis zum Online-Test ist alles<br />

elektronisch. Da sieht sie noch keiner, da<br />

guckt sich auch keiner Namen an. Die<br />

Namen kommen dann erst in Sicht, wenn<br />

Sie es bis zum Auswahlgespräch geschafft<br />

haben. Das sind dann noch ungefähr – je<br />

nach Beruf – höchstens noch zehn Pro-<br />

zent, wie gesagt, je nach Berufsgruppe,<br />

wofür die Bewerbungen sind. Also absolut<br />

neutral. Es gibt Bestrebungen – ich weiß<br />

jetzt nicht, wo die kommen, die BDA hat<br />

uns das neulich vorgelegt.<br />

V.l.n.r.: Christa Goetsch, Uli Wachholtz<br />

Aus der OECD-Studie, die man in Frank-<br />

reich durchgeführt hat, hat man erfahren,<br />

dass die Bewerbungen erfolgreicher sind,<br />

wenn die Namen neutral sind, oder gar<br />

keine Namen da sind. Wenn Sie Vielfalt so<br />

positiv leben und wenn Sie sagen, aus der<br />

Vielfalt haben Sie eine Gestaltungschance,<br />

aus der Vielfalt haben Sie eine Lösungs-<br />

kompetenz für die Herausforderung des<br />

Unternehmens – wir hatten vor wenigen<br />

Jahren noch 80 Prozent deutsche Mit-<br />

arbeiter, heute sind wir auf 55 Prozent<br />

runter. Das heißt die Internationalität, die<br />

interkulturelle Kompetenz und auch in den<br />

Backoffices von administrativen Tätig-<br />

keiten sind enorm gestiegen. Auch die<br />

42


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

sprachlichen Kompetenzen sind gestiegen.<br />

Das heißt, wir wollen ausdrücklich Vielfalt<br />

im Unternehmen haben. Und wenn Sie es<br />

jetzt neutralisieren, dann haben Sie gar<br />

nicht mehr die Chance, das zu steuern,<br />

wenn Sie es denn steuern können.<br />

Deshalb glaube ich, dass unser neutrales<br />

Auswahlverfahren für unser Unternehmen<br />

– das mag bei Ihnen anders sein – einfach<br />

der bessere Weg ist.<br />

Darüber hinaus starten wir jetzt gerade<br />

eine Kooperation mit der Boston<br />

Consulting Group. Die machen ein<br />

weiteres CSR-Projekt. Die haben das<br />

Business at School eingeführt – eine Ko-<br />

operation von Schule und Wirtschaft. Im<br />

11. beziehungsweise 12. Schuljahr, um<br />

Brücken zwischen diesen beiden Lebens-<br />

bereichen zu bauen. Und die haben ein<br />

neues Produkt, das nennt sich Joblinge.<br />

Das gibt es seit zwei Jahren, ist in<br />

München angefangen, und die gehen jetzt<br />

auch deutschlandweit. Und das soll Haupt-<br />

schülern, meistens mit Migrationshinter-<br />

grund, nicht nur, dazu verhelfen, dass sie<br />

ausbildungsfähig gemacht werden und dass<br />

sie den Ausbildungsplatz wirklich durch-<br />

führen können. Denn wenn man sich das<br />

genauer betrachtet aus Unternehmens-<br />

perspektive, dann haben sie oftmals nicht<br />

die Chance, die Sorge, die Pflege oder den<br />

zeitlichen Aufwand zu investieren, den<br />

vielleicht jemand braucht, der nicht das<br />

Ausbildungsniveau hat, den Sie aber gern<br />

ausbilden würden. In dieser Kombination<br />

nimmt diese Begleitung einerseits BCG<br />

wahr und zum anderen eben auch<br />

Mentoren, die diese Schüler eben noch<br />

parallel erhalten. Ein wunderbares zweites<br />

Produkt von dem Unternehmen, und wie<br />

gesagt, wir steigen ein. Und soweit ich<br />

gehört habe, fangen die in Hamburg<br />

demnächst auch irgendwann ein. Genauen<br />

Zeitpunkt kann ich Ihnen aber noch nicht<br />

nennen, aber das finden Sie sicher bei der<br />

BCG auf der Homepage.<br />

Ja, welche Erfahrungen haben wir gemacht<br />

mit dem Thema Diversity und Unter-<br />

nehmenserfolg. Also, Diversity ist im<br />

Unternehmen verankert. Es ist intern gar<br />

nicht mehr so ein riesen Thema. Die<br />

einzelnen Dimensionen schon, also<br />

Geschlecht: Frauen in Führungspositionen,<br />

mehr Frauen in die Technik. Das sind<br />

Themen, die tauchen immer mal wieder<br />

auf. Oder auch Demografie Management,<br />

ein ganz, ganz wichtiges Thema. Das über-<br />

geordnete Thema scheint verankert zu<br />

43


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

sein. Wir haben allerdings auch eine Philo-<br />

sophie der Dezentralität, so dass das vor<br />

Ort nach den Bedürfnissen in den<br />

jeweiligen Konzerngesellschaften in Ab-<br />

hängigkeit von den auch rechtlichen Ge-<br />

gebenheiten der jeweiligen Länder um-<br />

gesetzt wird, und wir sozusagen allenfalls<br />

Steuerungsimpulse geben, falls das ge-<br />

wünscht wird.<br />

Ein Highlight wäre sicherlich, dass wir das<br />

Cross-Mentoring-Programm, das unter-<br />

nehmensübergreifende Mentoring für<br />

Frauen 1998 initiiert haben, damals mit<br />

drei anderen Unternehmen. Das läuft jetzt<br />

in der zwölften Generation mit weiteren<br />

Unternehmen. Wir machen inzwischen<br />

Mentoring-Programme eben auch für viele<br />

andere Zielgruppen. Das ist etwas, das<br />

sich gut verankert hat, und was wir als<br />

wunderbares Highlight sehen würden.<br />

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.<br />

44


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

Musikalisches Intermezzo<br />

Orhan �������- Saz<br />

Podiumsdiskussion<br />

Podiumsdiskussion (v.l.n.r.): Mark Terkessidis, Monika Rühl,<br />

Julia-Niharika Sen, Karl Gernandt, Mely Kiyak, Dr. Thomas<br />

Liebig<br />

Die Moderatorin Julia Sen stieg mit einer<br />

sehr persönlichen Frage in die Diskussion<br />

ein und bat die Podiumsteilnehmer/-innen,<br />

ihre eigenen Gedanken zum Thema Dis-<br />

kriminierung bzw. eigene Dis-<br />

kriminierungserlebnisse zu schildern.<br />

Während Karl Gernandt, Delegierter des<br />

Verwaltungsrates Kühne + Nagel Inter-<br />

national AG, beschrieb, wie er als<br />

Diplomatenkind in Lateinamerika aufwuchs<br />

und sich dann nach der Rückkehr nach<br />

Deutschland in einen deutschen Freundes-<br />

kreis integrieren musste, beschrieb Mark<br />

Terkessidis, wie Taxifahrer ihm, als in<br />

Deutschland aufgewachsener Akademiker<br />

Komplimente für sein gutes Deutsch<br />

machten.<br />

Deutlich wurde, dass jedem die Möglich-<br />

keit gegeben ist, sich auf der Basis eigener<br />

Erfahrungen in die Situation Jugendlicher<br />

mit Migrationshintergrund einzufühlen, die<br />

auf der Suche nach einer Ausbildungsstelle<br />

etwa an den Hürden fehlender Netz-<br />

werke, geringem Bewusstseins hinsichtlich<br />

45


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

eigener Potenziale oder Vorurteile der<br />

Personalverantwortlichen scheitern.<br />

Die Probleme sind offensichtlich und<br />

dennoch kann es Situationen geben, so die<br />

These von Mark Terkessidis, in denen es<br />

nicht hilfreich ist, die Gruppe der<br />

Migranten als Extragruppe zu konstruieren<br />

und damit quasi auszusondern. Für ihn<br />

müsste die Zeit, in denen Migranten als<br />

„defizitäre Wesen“ behandelt werden, bei<br />

denen man etwa durch Sprachkurse am<br />

Nachmittag kompensatorisch tätig werden<br />

sollte, längst vorbei sein: „Wir müssen den<br />

Bildungsbereich reformieren, nicht eine<br />

bestimmte Gruppe“, so seine These seines<br />

jüngsten Buches „Interkultur“.<br />

Karl Gernandt, Kühne + Nagel, wider-<br />

sprach insofern, als dass er es für wichtig<br />

hielt, durch Veranstaltungen wie die Fach-<br />

tagung eine Gruppe sichtbar zu machen,<br />

die sonst vielleicht übersehen wird. Im<br />

Moment seien wir in einer Übergangs-<br />

phase, in der es Sondermaßnahmen be-<br />

dürfe. Mark Terkessidis antwortet mit<br />

einem starken Appell an die Institutionen:<br />

In England etwa gäbe es Englisch als<br />

Zweitsprache im Regelunterricht, dort sei<br />

die individuelle Ansprache bereits fester<br />

Bestandteil. Statt von Normkindern auszu-<br />

gehen müssten sich auch deutsche Schulen<br />

stärker auf die Vielfalt ihrer Schüler/-<br />

innenschaft einstellen.<br />

Mely Kiyak bestätigte die Wahrnehmung,<br />

dass wir von der „Vielfalt als Normalität“<br />

noch weit entfernt seien, dass es noch<br />

einige Schritte zur Verwirklichung dieser<br />

positiven Utopie zu gehen gäbe.<br />

Mely Kiyak, Autorin und freie Journalistin<br />

Es sei eben nicht so, dass sich Menschen<br />

mit Migrationshintergrund automatisch in<br />

alle gesellschaftlichen Bereiche gleicher-<br />

maßen „ergössen“, wenn die Türen ge-<br />

öffnet würden, sondern eher am unteren<br />

Ende der sozialen Skala anzutreffen seien.<br />

In der Judikative, exekutive, den Be-<br />

reichen, die die Gesellschaft maßgeblich<br />

prägen, gäbe es nach wie vor sehr wenige<br />

Migranten. Einige Firmen holten zwar aus<br />

utilitaristischen Motiven Migranten in ihr<br />

Unternehmen, aber es sei eben keine<br />

Selbstverständlichkeit, Migranten überall<br />

46


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

anzutreffen. Die Frage, was Institutionen<br />

eigentlich tun müssten, um sich inter-<br />

kulturell zu öffnen, sei noch relativ neu. In<br />

deutschen Tageszeitungen hätten nur<br />

1 Prozent der Redakteure Migrations-<br />

hintergrund, ergänzte Terkessidis.<br />

Mark Terkessidis –Autor und freier Journalist<br />

Herr Gernandt verwies darauf, dass die<br />

Luftfahrtbranche sowie die Logistik-<br />

branche als international arbeitende<br />

Branchen ohnehin auf eine International<br />

denkende Mitarbeiterschaft angewiesen<br />

seien. Dazu gehöre auch, Arbeitsgruppen<br />

in unterschiedlichen Sprachen zuzulassen<br />

und nicht die Unternehmenssprache<br />

Englisch zu verordnen.<br />

Monika Rühl, Leiterin Change Management und Diversity,<br />

Lufthansa<br />

Frau Rühl ergänzte, dass die Deutsche<br />

Lufthansa Flugbegleiter aus den Ländern<br />

einsetzen, in die die Maschinen fliegen -<br />

um kulturelle Missverständnisse zu ver-<br />

meiden und den Passagieren eine mög-<br />

lichst vertraute Form des Services und der<br />

Zuwendung zukommen zu lassen. Mely<br />

Kiyak forderte daraufhin, Migranten auch<br />

dort einzustellen, wo es nicht um Sprache<br />

und Kultur ginge und fragte provokativ,<br />

„ob der Migrationshintergrund immer<br />

etwas nützen müsse“.<br />

Karl Gernandt, Delegierter des Verwaltungsrates Kühne +<br />

Nagel International AG<br />

47


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

Im weiteren Teil der Diskussion ging es<br />

um konkrete Tools, die Unternehmen<br />

anwenden können, um sich interkulturell<br />

zu öffnen. Die Deutsche Lufthansa arbeitet<br />

etwa mit einem neutralen Bewerbungs-<br />

verfahren, dass Frau Rühl ausführlich be-<br />

schrieb. Die ersten Bewerbungsschritte<br />

laufen entsprechend formalisierten Ver-<br />

fahren online, erst nach der Überwindung<br />

mehrerer, die fachlicher Qualifikation<br />

messender Hürden, käme es zu einem<br />

persönlichen Gespräch. Karl Gernandt<br />

ergänzte weitere sinnvolle Strategien, etwa<br />

das vielfältige Kantinenessen, das eine<br />

Wertschätzung gegenüber den unter-<br />

schiedlichen Lebensgewohnheiten der Mit-<br />

arbeiter zum Ausdruck brächte, sowie die<br />

interkulturelle Elternarbeit, mit der sich<br />

Ausbildungsabbrüche vermeiden ließen.<br />

Zudem setze das Unternehmen bei Aus-<br />

zubildenden auf Toleranz, Offenheit in der<br />

Kommunikation und charakterliche Stärke.<br />

Schulnoten seien nicht das einzige aus-<br />

schlaggebende Moment.<br />

Abschließend bat Julia Sen die Podiums-<br />

teilnehmer/-innen zu einer Position in der<br />

heiß diskutierten Hamburger Schulreform.<br />

So richtig konkret wollte sich keiner der<br />

Teilnehmer positionieren. Herr<br />

Terkessidis verwies auf sehr gute Er-<br />

fahrungen mit dem sechsjährigen ge-<br />

meinsamen Lernen in Berlin und Frau<br />

Kiyak schilderte sehr eindrücklich, wie sie<br />

am Übergang von der Grundschule in eine<br />

weiterführende Schule trotz bester Schul-<br />

noten auf eine Hauptschule geschickt<br />

werden sollte. Ihr Lehrer begründete das<br />

den Eltern gegenüber mit den Worten:<br />

„Tun sie es ihr doch nicht an, sie wird<br />

doch ohnehin heiraten“. Da sich die Eltern<br />

durchsetzen konnten, war sie die erste<br />

„Gastarbeitertochter“, die in ihrem<br />

Herkunftsort auf das Gymnasium geschickt<br />

wurde. Herr Dr. Liebig, Frau Rühl und<br />

Herr Gernandt verwiesen auf die Not-<br />

wendigkeit, die Lehrkräfte zu<br />

sensibilisieren, den Unterricht qualitativ zu<br />

verbessern und auch für die Eliten etwas<br />

zu tun. Die Veränderung des Schulsystems<br />

alleine würde die Probleme nicht be-<br />

seitigen.<br />

Zwei Statements aus dem Publikum, in<br />

denen unter anderem auf positive Er-<br />

fahrungen in anderen europäischen<br />

Ländern verwiesen wurde, ergänzten die<br />

Podiumsdiskussion. Frau Sen dankte allen<br />

Anwesenden und lud zum Mittagsbuffet im<br />

Restaurant Parlament.<br />

48


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

Forum I<br />

Eine glückliche Beziehung<br />

Partnerschaften zwischen Schulen<br />

und Unternehmen<br />

Moderation:<br />

Dr. Alfred Lumpe – Behörde für Schule und<br />

Berufsbildung / Amt für Schule, Hamburg<br />

Jörg Matern – Landesarbeitsgemeinschaft<br />

SCHULEWIRTSCHAFT, Berlin/Brandenburg<br />

Yvonne Kohlmann – Bundesarbeitsgemein-<br />

schaft SCHULEWIRTSCHAFT, Berlin<br />

Für Jugendliche hängt es von vielen<br />

Faktoren ab, ob sie den Übergang von der<br />

Schule in den Beruf schaffen. Schlechte<br />

Noten, Fehlstunden im Abschlusszeugnis<br />

oder auch mangelnde Kenntnisse über die<br />

Ausbildungsmöglichkeiten gehören dazu.<br />

Bei Jugendlichen mit Migrationshinter-<br />

grund spielen noch andere Gründe eine<br />

Rolle. Viele fühlen sich nicht erwünscht in<br />

deutschen Unternehmen, weil sie in ihrem<br />

Alltag Diskriminierung erfahren haben.<br />

Andere denken möglichwerweise „Warum<br />

soll man mir einen Ausbildungsplatz geben,<br />

wenn deutsche Jugendliche sich auch be-<br />

werben“. Sie sind unsicher oder zögerlich.<br />

Partnerschaften zwischen Schulen und<br />

Unternehmen können solche Ängste ab-<br />

bauen. Sie tragen wesentlich dazu bei,<br />

Hürden und Vorbehalte, wie sie auf beiden<br />

Seiten existieren, zu überwinden und Ver-<br />

trauen zu schaffen. Sie ermöglichen<br />

Jugendlichen, Kontakte zu Ausbildungsver-<br />

antwortlichen zu knüpfen, Praktika anzu-<br />

bahnen, Unternehmenskulturen kennenzu-<br />

lernen und sich Netzwerke zu erschließen.<br />

Im Forum wurden Erfolgsfaktoren und<br />

Praxisbeispiele von zwei Partnerschaften<br />

dargestellt, Unterstützungsnetzwerke be-<br />

kannt gemacht und Materialien wie das<br />

praxisorientierte Handbuch „Partner-<br />

schaften zwischen Schulen und Unter-<br />

nehmen“ vorgestellt.<br />

V.l.n.r.: Hülya Eralp, Yvonne Kohlmann, Jörg Mattern, Dr. Alfred<br />

Lumpe, Doris Wenzel-O´Connor<br />

49


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

Impulsreferat I<br />

Hülya Eralp – Referentin KWB e. V. /<br />

<strong>BQM</strong>, Hamburg<br />

In ihrem Eingangsreferat thematisierte<br />

Hülya Eralp die Bedeutung nachhaltiger<br />

Partnerschaften zwischen Schulen und<br />

Unternehmen speziell für Jugendliche mit<br />

Migrationshintergrund. Beginnend<br />

definierte Hülya Eralp dem Plenum<br />

Personen mit Migrationshintergrund nach<br />

dem Statistischen Bundesamt: Personen,<br />

die eine ausländische Staatsangehörigkeit<br />

besitzen, die die deutsche Staats-<br />

angehörigkeit durch Einbürgerung er-<br />

hielten oder bei denen mindestens ein<br />

Elternteil nicht in Deutschland geboren ist.<br />

Damit ist klar, so Hülya Eralp, dass die<br />

Gruppe der Jugendlichen mit Migrations-<br />

hintergrund in Deutschland sehr hetero-<br />

gen ist.<br />

Für Jugendliche mit Migrationshintergrund<br />

bestimmen verschiedene Faktoren, ob sie<br />

den Übergang von der Schule in den Beruf<br />

nahtlos schaffen. Mögliche Hindernisse<br />

sind zum Beispiel mangelnde Kenntnisse<br />

über die Vielfalt der Berufsbilder und Aus-<br />

bildungsmöglichkeiten oder unrealistische<br />

Vorstellungen über ihre beruflichen<br />

Möglichkeiten. Aber auch schlechte Schul-<br />

noten und/oder unentschuldigte Fehl-<br />

stunden im Abschlusszeugnis sowie Un-<br />

sicherheiten, Ängste und Vorbehalte durch<br />

Diskriminierungserfahrungen tragen zu<br />

dieser Situation bei. Darüber hinaus fehlt<br />

es den Jugendlichen mit Migrationshinter-<br />

grund oftmals an Unternehmenskontakten<br />

sowie an Unterstützung der Eltern in der<br />

Berufsorientierung aufgrund deren Un-<br />

kenntnis über das Berufsbildungssystem in<br />

Deutschland.<br />

Nach wie vor gibt es Vorbehalte und Vor-<br />

urteile gegenüber Jugendlichen mit<br />

Migrationshintergrund in Unternehmen.<br />

Dies beweisen jüngste Studien der Uni-<br />

versität Konstanz, des BiBB und der<br />

OECD. Viele Unternehmen haben ihre<br />

Strukturen häufig noch nicht auf die viel-<br />

fältigen Kunden- und Mitarbeiter-<br />

strukturen ausgerichtet. Das heißt, sie<br />

haben keine kultursensiblen Einstellungs-<br />

verfahren und sehen das Potenzial inter-<br />

50


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

kultureller Kompetenzen nicht. Hier be-<br />

steht viel Handlungsbedarf.<br />

Anschließend wies Hülya Eralp auf die er-<br />

fahrungsgemäßen Vorteile hin, die nach-<br />

haltige Partnerschaften für die Jugend-<br />

lichen mit Migrationshintergrund mit sich<br />

bringen. Hürden und Vorbehalte, wie sie<br />

auf beiden Seiten existieren, werden<br />

überwunden und Vertrauen wird ge-<br />

schaffen. Jugendlichen knüpfen Kontakte<br />

zu Ausbildungsverantwortlichen und<br />

können auf diese Weise Praktika an-<br />

bahnen. Des Weiteren lernen sie Unter-<br />

nehmenskulturen kennen und erschließen<br />

sich neue Netzwerke. Durch Praktika<br />

können die Jugendlichen in Unternehmen<br />

ihre eigenen Stärken entdecken und<br />

soziale Kompetenzen weiterentwickeln.<br />

Zudem lernen sie die Vielfalt der Berufe<br />

und Anforderungsprofile kennen. Über<br />

den Dialog mit ihren Eltern tragen die<br />

Jugendlichen dann dazu bei, dass auch die<br />

Mütter und Väter mehr über die beruf-<br />

liche Möglichkeiten in Deutschland er-<br />

fahren.<br />

Beide Seiten profitieren von einer guten<br />

und partnerschaftlichen Zusammenarbeit.<br />

Für Unternehmen ist es natürlich ebenso<br />

von Vorteil, wenn sie bereits in den<br />

Schulen die Nachwuchskräfte von morgen<br />

kennenlernen und sie über Möglichkeiten<br />

aufklären, die ihr Betrieb ihnen bietet, so<br />

Hülya Eralp.<br />

Impulsreferat II<br />

Doris Wenzel-O‘Connor – Geschäfts-<br />

führerin der Landesarbeitsgemein-<br />

schaft SCHULEWIRTSCHAFT<br />

Hamburg<br />

Im Anschluss stellte Doris Wenzel-<br />

O’Connor dem Plenum die vor über 50<br />

Jahren gegründete Landesarbeitsgemein-<br />

schaft SCHULEWIRTSCHAFT vor. Sie<br />

organisiert und fördert die Zusammen-<br />

arbeit zwischen Schule und Wirtschaft.<br />

Zielsetzung ist hierbei die Stärkung einer<br />

ökonomischen Grundbildung, die optimale<br />

Gestaltung der Berufsorientierung von<br />

Schülerinnen und Schülern für den<br />

reibungslosen Übergang von Schule in<br />

Ausbildung oder Studium sowie die<br />

Initiierung auf Dauer angelegter Partner-<br />

schaften zwischen Schule und Unter-<br />

nehmen mit Hilfe unterschiedlicher<br />

Instrumente.<br />

Seit den 90er Jahren haben die Partner-<br />

schaften zwischen Schulen und Unter-<br />

nehmen an besonderer Bedeutung ge-<br />

wonnen. Da insbesondere Jugendliche mit<br />

Migrationshintergrund von diesen Partner-<br />

51


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

schaften profitieren, so Doris Wenzel-<br />

O’Connor, setzt sich die Hansestadt<br />

Hamburg im Rahmen des „Aktionsplans<br />

zur Bildungs- und Ausbildungsförderung<br />

junger Menschen mit Migrationshinter-<br />

grund“ für die Gründung weiterer guter<br />

Partnerschaften ein. Gerade mittlere und<br />

kleinere Unternehmen sind stärker einzu-<br />

binden, um die Integration weiter voranzu-<br />

treiben.<br />

Um dieses Ziel zu fördern, haben die Be-<br />

hörde für Schule und Berufsbildung, die<br />

<strong>BQM</strong>, die Handwerkskammer Hamburg,<br />

das Landesinstitut für Lehrerbildung und<br />

Schulentwicklung, die Senatskanzlei sowie<br />

die gegründete Landesarbeitsgemeinschaft<br />

SCHULEWIRTSCHAFT gemeinsam ein<br />

Handbuch mit dem Titel „Partnerschaften<br />

zwischen Schulen und Unternehmen“<br />

herausgegeben. Doris Wenzel-O’Connor<br />

erläuterte, dass das Handbuch den ver-<br />

schiedenen Akteuren aus Schule und<br />

Unternehmen, aber auch Schülerinnen und<br />

Schülern sowie Ihren Eltern Anregungen<br />

und viele praktische Tipps für eine nach-<br />

haltige Zusammenarbeit gibt und dazu<br />

ermuntern soll, derartige Partnerschaften<br />

einzugehen. Darüber hinaus wird im<br />

Handbuch beschrieben, wie Schulen als<br />

auch Unternehmen von einer ge-<br />

meinsamen Zusammenarbeit profitieren<br />

und es werden wichtige Informationen zur<br />

Planung und Umsetzung einer erfolg-<br />

reichen Kooperation aufgezeigt, wobei<br />

hier die „Beziehungspflege“ ein not-<br />

wendiger Bestandteil ist. Ebenso beinhaltet<br />

das Handbuch praktische Beispiele für<br />

Einsteiger, Fortgeschrittene und Profis und<br />

zeigt auf, wie facettenreich derartige<br />

Partnerschaften sein können. Dabei<br />

kommt es nicht auf das Engagement<br />

Einzelner an, sondern auf die Verankerung<br />

in den jeweiligen Institutionen.<br />

Doris Wenzel-O’Connor erwähnte noch<br />

einmal die Wichtigkeit der Themen<br />

Partnerschaften, Integration und Berufs-<br />

orientierung und dass die Stadtstaaten<br />

Bremen, Berlin und Hamburg vor ähn-<br />

lichen Herausforderungen stehen. Es muss<br />

stärker als bisher gelingen, die Potenziale<br />

Jugendlicher mit Migrationshintergrund<br />

besser zu erkennen und zu fördern, ihre<br />

Kompetenzen stärker zu nutzen und sie<br />

52


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

besser als bisher beruflich zu integrieren.<br />

Denn der Arbeitsmarkt ist der Schlüssel<br />

zur Integration.<br />

Best Practice –Beispiel I<br />

Norbert Giesen – Siemens AG, Be-<br />

reich Professional Education, Berlin<br />

Norbert Heinrich – Moses-<br />

Mendelssohn-Schule, Berlin<br />

Katrin Thierfeld – Netzwerk Berufs-<br />

praxis, Berlin<br />

Norbert Giesen, Norbert Heinrich und<br />

Katrin Thierfeld präsentierten im An-<br />

schluss Ihre gemeinsame Zusammenarbeit<br />

bestehend aus der Kooperation des<br />

Unternehmens Siemens, der Moses-<br />

Mendelssohn-Schule sowie dem Netzwerk<br />

Berufspraxis Berlin. Dabei betonte Herr<br />

Giesen von der Firma Siemens, dass die<br />

Basis einer guten Zusammenarbeit immer<br />

eine Win-Win Situationen von Seiten des<br />

Unternehmens als auch von Seiten der<br />

Schule sein sollte.<br />

Die Siemens AG stellt deutschlandweit<br />

etwa 250 benachteiligte Auszubildende<br />

ein, davon allein 40 Altbewerber als auch<br />

junge Menschen mit Migrationshintergrund<br />

in Berlin. Ein Teil dieser Plätze wird von<br />

Schülerinnen und Schülern der Moses-<br />

Mendelssohn-Schule besetzt und ein<br />

enormer Vorteil dieser Zusammenarbeit<br />

ist, dass man sich durch die Rücksprache<br />

mit den Lehrerinnen und Lehrer ein um-<br />

fangreiches und genaueres Bild über die<br />

Bewerber machen kann. Der dritte Ko-<br />

operationspartner, das Netzwerk Berufs-<br />

praxis Berlin, unterstützt zusätzlich in<br />

Form von vorheriger Berufsorientierung.<br />

So können sich die Schülerinnen und<br />

Schüler im Vorwege in praktischen<br />

Berufserprobungen in derzeit 27 ver-<br />

schiedenen handwerklichen Berufen aus-<br />

probieren. Das Netzwerk Berufspraxis<br />

Berlin kann als professionelle Einrichtung<br />

über Berufsmöglichkeiten informieren, das<br />

Kennenlernen verschiedener Ausbildungs-<br />

zentren ermöglichen und organisiert<br />

Feriencamps und Talentförderungs-<br />

programme. Durch die Teilnahme am<br />

Netzwerk Berufspraxis<br />

• erfahren die Schülerinnen und Schüler<br />

Interessantes über die Handwerks-<br />

berufe,<br />

• wissen die Schülerinnen und Schüler<br />

besser, wo ihre Stärken und<br />

Schwächen liegen,<br />

• erhalten die Schülerinnen und Schüler<br />

Selbständigkeit,<br />

53


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

• erlernen die Schülerinnen und Schüler<br />

den selbstsicheren Umgang mit<br />

fremden Menschen,<br />

• erlernen die Schülerinnen und Schüler,<br />

worauf es bei der Bewerbung an-<br />

kommt,<br />

• erkennen die Schülerinnen und<br />

Schüler, in welchen Fächern sie sich<br />

verbessern müssen,<br />

• wissen die die Schülerinnen und<br />

Schüler, wie wichtig das vorherige<br />

Informieren über Beruf ist.<br />

Die Aufteilung der praktischen Zu-<br />

sammenarbeit zwischen den Ko-<br />

operationspartner ist wie folgt:<br />

Netzwerk Berufspraxis Berlin<br />

• stellt Kontakte zu Lehrern her,<br />

• organisiert „handverlesene Schüler-<br />

gruppen“,<br />

• vermittelt den Schule Auswahl-<br />

kriterien,<br />

• Einbindung berufskundlicher Elemente<br />

•<br />

in die Schulentwicklung.<br />

Siemens Professional Education<br />

• Organisation von Infoveranstaltungen<br />

mit berufsgruppenorientierten Be-<br />

werbern,<br />

• informiert über regelmäßige Aus-<br />

bildungsaktivitäten,<br />

• führt Onlinebewerbungsverfahren mit<br />

den Schüler/-innen im Beisein der<br />

Lehrer durch,<br />

• führt Lehrerfortbildungen durch.<br />

Moses-Mendelssohn-Schule<br />

• bindet Siemens und Netzwerk Berufs-<br />

praxis in das Gesamtkonzept Berufs-<br />

orientierung ein,<br />

• Einrichtung einer AG „Schule-Beruf“,<br />

• entsendet „handverlesene“ Schüler-<br />

gruppen mit ihren Lehrern,<br />

• Projektdurchführungen und<br />

Präsentationserarbeitung,<br />

• stellt Lehrerinnen und Lehrer für<br />

Fortbildungen frei.<br />

Norbert Heinrich berichtete, dass ein<br />

regelmäßiger Informationsaustausch<br />

zwischen den Kooperationspartnern statt-<br />

findet und betonte, dass nie außer Acht<br />

gelassen werden soll, dass der Schüler<br />

bzw. die Schülerin im Vordergrund steht.<br />

Als Resultat dieser glücklichen Beziehung<br />

konnten nicht nur positive Praxis-<br />

erfahrungen und Übergänge in Ausbildung<br />

beobachtet werden, sondern auch die<br />

Verbesserung der Kompetenzen Team-<br />

54


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

fähigkeit, Präsentationsfähigkeit und<br />

Kommunikationsfähigkeit.<br />

Best-Practice-Beispiel II<br />

Gerd Menkens – Schulzentrum an der<br />

Koblenzer Straße, Bremen<br />

Frederike Steinhaus - Schulzentrum<br />

an der Koblenzer Straße, Bremen<br />

Ursula Brunhorn – DB Fahrzeug-<br />

instandhaltung GmbH, Werk Bremen<br />

Die zweite Partnerschaft zwischen Schule<br />

und Unternehmen, bestehend aus dem<br />

Schulzentrum an der Koblenzer Straße in<br />

Bremen und der DB Fahrzeuginstand-<br />

haltung GmbH Werk Bremen, wurde von<br />

Gerd Menkens, Frederike Steinhaus und<br />

Ursula Brunhorn vorgestellt. Das Schul-<br />

zentrum an der Koblenzer Straße befindet<br />

sich in einem multikulturellen Stadtteil, so<br />

dass die Schüler einen Migrationshinter-<br />

grund von insgesamt 80 Prozent auf-<br />

weisen. Gesellschaftliche und schulische<br />

Herausforderungen seien vor allem, so<br />

Herr Menkens, eine mangelnde<br />

Orientierung und fehlende gesellschaft-<br />

liche Vorbilder für die Jugendlichen, die zu<br />

starke Orientierung, auf eine weiter-<br />

führende Schule zu gehen, trotz<br />

mangelnder Kompetenzen vor allem in<br />

Deutsch und Mathematik der Jugendlichen<br />

sowie die geringe Akzeptanz von Aus-<br />

bildungsberufen im Bereich Produktion<br />

und Gewerbe.<br />

Um diesen Problemen entgegenzuwirken<br />

arbeitet das Schulzentrum an der<br />

Koblenzer Straße mit Führungskräften aus<br />

der Wirtschaft zusammen und gewinnt<br />

diese als Kooperationspartner. So wurde<br />

eine Schülerfirma gegründet, wo die<br />

Schülerinnen und Schüler in sechs Ab-<br />

teilungen Tätigkeiten des Arbeitslebens<br />

kennenlernen, eine Kooperation mit der<br />

Handelskammer hergestellt sowie die<br />

Gründung eines Beirates aus Mitgliedern<br />

von namhaften wie der DB Fahrzeug-<br />

instandhaltung GmbH. Auf Schülerebene<br />

ermöglichen die DB Fahrzeuginstand-<br />

haltung GmbH und das Schulzentrum<br />

folgende Projekte für eine gezielte<br />

Orientierung:<br />

• Projekt „Mobilität im Alltag“ – Jahr-<br />

gangsprojekt, bei dem die Schülerinnen<br />

und Schüler den Betrieb erkunden,<br />

• Bewerbungstrainingstage<br />

(Bewerbungsmappencheck, Simulation<br />

eines Assessment Centers, Erprobung<br />

von Bewerbungsgesprächen in der 9.<br />

Klasse),<br />

• Girls’Day,<br />

• Metallwerkstatt,<br />

55


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

• Praktikum,<br />

• Anit-Gewalt-Projekt (DB Azubis mit<br />

einer Schulklasse).<br />

Auf der Leitungsebene tauschen sich in<br />

regelmäßigen Treffen Lehrer und<br />

Personalverantwortliche kritisch über die<br />

Themen Veränderungen, Strukturen, Ge-<br />

meinsamkeiten (z. B. Mitarbeiter-<br />

motivation), critical friends aus und<br />

arbeiten ständig an der Intensivierung der<br />

guten Zusammenarbeit.<br />

Diskussion<br />

In der anschließenden Diskussion kamen<br />

vor allem Fragen auf, wie eine Ko-<br />

operationen genau zustande kommt – vor<br />

allem Partnerschaften zwischen Schulen<br />

und kleineren Betrieben. Für Schulen er-<br />

scheint es schwierig, Unternehmen zu<br />

gewinnen, da sie den Unternehmen nichts<br />

zurückgeben können. Daraufhin betonte<br />

Herr Giessen von Siemens noch einmal,<br />

dass der Schlüssel einer guten Zusammen-<br />

arbeit vor allem engagierte Lehrer sind,<br />

eine Vertrauensperson für das Unter-<br />

nehmen, die sich für die Kooperation ver-<br />

antwortlich fühlt, als Ansprechpartner zur<br />

Verfügung steht und beispielsweise E-Mails<br />

beantwortet. Darüber hinaus müssten<br />

große Unternehmen unterstützen und<br />

über ihre Kontakte die kleinen Betriebe in<br />

ihre Arbeit einbeziehen.<br />

Frau Eralp berichtete, dass <strong>BQM</strong> bereits<br />

erfolgreich große Unternehmen mit<br />

Schulen zusammengebracht hat, aber<br />

gerade kleinere Unternehmen Mittler be-<br />

nötigen. Zum einen kann hier das Hand-<br />

buch „Partnerschaften zwischen Schulen<br />

und Unternehmen“ helfen, aber auch die<br />

Kontaktaufnahme gegründete Landes-<br />

arbeitsgemeinschaft SCHULEWIRT-<br />

SCHAFT, die beratend allen Unternehmen<br />

zur Seite steht. So können sehr gute Ko-<br />

operationen auch in kleinen Schritten ent-<br />

stehen. Es gibt viele Möglichkeiten. Oft<br />

suchen Schulen nach großen Namen, aber<br />

auch kleinere Betriebe können gute<br />

Partner sein, so eine Podiumsteilnehmerin.<br />

In diesem Zusammenhang wurde ebenso<br />

darauf aufmerksam gemacht, dass ein<br />

wichtiger Kooperationspartner oft ver-<br />

nachlässigt würde: die Eltern. Sie müssen<br />

in die Berufsorientierung einbezogen<br />

werden, da sie einen starken Einfluss auf<br />

die Entwicklung und Berufsorientierung<br />

ihrer Kinder nehmen.<br />

Im Schlusswort fasste Dr. Lumpe zu-<br />

sammen, dass die Eltern unbedingt von<br />

beiden Kooperationspartnern eingebunden<br />

werden müssen. Sie müssen aufgeklärt<br />

56


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

werden, da sie oft nicht über das nötige<br />

Wissen verfügen. Darüber hinaus muss in<br />

einer guten Zusammenarbeit von Schule<br />

und Unternehmen Vertrauen bestehen<br />

und ein roter zielorientierter Faden er-<br />

kennbar sein.<br />

57


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

FORUM 2 Gesundheitsprojekte für Migranten/- RAUM: 151<br />

Gute Besserung und Alhamdulillah<br />

Interkulturelle Öffnung im Gesund-<br />

heitsbereich<br />

Moderation:<br />

Staatsrat Dr. Michael Voges – Behörde für<br />

Soziales, Familie, Gesundheit und Vebraucher-<br />

schutz<br />

Dr. Rita Panesar – KWB e. V. / <strong>BQM</strong><br />

Eine erfolgreiche Integration ist auch<br />

davon abhängig, ob Menschen mit<br />

Migrationshintergrund adäquate Zu-<br />

gangsmöglichkeiten zum deutschen<br />

Gesundheitssystem erhalten. Jugendliche,<br />

die über Mehrsprachigkeit, inter-<br />

kulturelle Kompetenzen und Einfühlungs-<br />

vermögen verfügen, können als Ärzte,<br />

Pfleger oder Gesundheitsmanager für die<br />

emotionalen Herausforderungen von<br />

Migration sensibilisieren, Diagnosen<br />

übersetzen, unterschiedliche Vor-<br />

stellungen von „Schweigepflicht“ er-<br />

klären, oder durch den oftmals nur<br />

schwer verständlichen Dschungel von<br />

Krankenkassen- und Abrechnungs-<br />

systemen führen. In dem Forum wurden<br />

erfolgreiche Ausbildungsmodelle und<br />

innen vorgestellt. Im Zentrum stand die<br />

Frage, welche Ansätze und Strukturen<br />

geeignet sind, um den Gesundheits-<br />

bereich interkulturell zu öffnen und<br />

interkulturelle Kompetenzen von Auszu-<br />

bildenden und Praktizierenden adäquat<br />

zu wertschätzen.<br />

V.l.n.r.: Dr. Rita Panesar, Dr. Michael Voges, Matthias<br />

Wetzlaff-Eggebert, Stéphanie Berrut<br />

Impulsreferat 1<br />

Dr. Rita Panesar – Referentin<br />

KWB e. V. / <strong>BQM</strong>, Hamburg<br />

Bei ihrem Engagement, die Chancen von<br />

Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu<br />

verbessern, ist die <strong>BQM</strong> in den ver-<br />

gangenen Jahren immer wieder auf den<br />

Gesundheitsbereich gestoßen. Frau Dr.<br />

Rita Panesar nannte in ihren einleitenden<br />

Worten die Gründe, dieser Thematik ein<br />

Forum zu widmen:<br />

58


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

1. Der Gesundheitsbereich bietet zahl-<br />

reiche Ausbildungsmöglichkeiten für<br />

Jugendliche mit Migrationshintergrund,<br />

2. der Erfolg von Auszubildenden hängt<br />

auch davon ab, wie gesund sie sind,<br />

wie sie sich in Gesundheitsversorgung<br />

und Familienplanungsfragen auskennen<br />

und<br />

3. der Gesundheitsbereich wird in den<br />

kommenden Jahren auf qualifizierte<br />

Fachkräfte angewiesen sein und muss<br />

dementsprechend Anstrengungen zur<br />

interkulturellen Öffnung unternehmen.<br />

Impulsreferat II<br />

Staatsrat Dr. Michael Voges – Be-<br />

hörde für Soziales, Familie, Gesundheit<br />

und Vebraucherschutz, Hamburg<br />

Herr Staatsrat Dr. Voges betonte in seiner<br />

Begrüßung, wie wichtig es sei, dass nicht<br />

gesunde Menschen mit Migrations-<br />

hintergrund in ihrer ohnehin hoch-<br />

sensiblen Situation von interkulturell<br />

sensiblem Personal betreut werden. Mehr-<br />

sprachigkeit und ein eigener Migrations-<br />

hintergrund seien dabei von Vorteil. Ein<br />

Fokus sollte deshalb auf der Ausbildung<br />

von Jugendlichen mit Migrationshinter-<br />

grund in diesem Bereich liegen.<br />

Expertenrunde<br />

Frau Dr. Christine Tuschinsky gab einen<br />

Überblick über Motivation, Strategien und<br />

Themenfelder der „interkulturellen<br />

Öffnung“ im Gesundheitsbereich. Sie<br />

nutzte dabei ihre langjährige Erfahrung aus<br />

interkulturellen Fortbildungen für Unter-<br />

nehmen sowie für das Fachpersonal des<br />

öffentlichen Dienstes, der Gesundheitsver-<br />

sorgung, der Kranken- und Altenpflege<br />

und der sozialen Arbeit in Hamburg.<br />

Zunächst definierte sie den Begriff „inter-<br />

kulturelle Öffnung“ als eine (sozialpolitisch<br />

begründete) Strategie in Organisationen,<br />

die Menschen aller kulturellen Hinter-<br />

gründe eine gleichberechtigte Teilhabe<br />

ermöglicht und damit integrativ wirkt.<br />

Durch entsprechende Personal-,<br />

Organisations- und Arbeitsstrukturen und<br />

Produkte schließt sie die Vielfalt innerhalb<br />

59


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

(Mitarbeiterschaft) und außerhalb<br />

(Klientel) der Organisation ein.<br />

Frau Dr. Tuschinsky beschrieb zunächst,<br />

was Organisationen im Gesundheits-<br />

bereich zur interkulturellen Öffnung<br />

motiviert:<br />

• Effektivere und angenehmere Arbeit in<br />

(interkulturellen) Teams,<br />

• Gewinnung von Fachkräften,<br />

• adäquate Kundenorientierung in einer<br />

von Migration geprägten Gesellschaft,<br />

• eine integrationspolitische Perspektive,<br />

• Gewinnung von ausländischen Kunden,<br />

• Entwicklung von speziellen, an kulturell<br />

vielfältigen Kundengruppen<br />

orientierten Produkten,<br />

• Bearbeitung kommunikativer Probleme<br />

mit der Klientel,<br />

• Kenntnis von interkulturellen<br />

Aspekten in der Gesundheitsver-<br />

sorgung,<br />

• Kenntnis von medizinethnologischen<br />

Aspekten.<br />

Daraufhin zeigte sie mögliche Strategien<br />

zur interkulturellen Öffnung auf:<br />

NI<br />

T<br />

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Dr. Christine Tuschinsky<br />

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T<br />

Mögliche Strategien interkultureller Öffnung<br />

– je nach Motivation und Zielen<br />

� Leitbilder in Gesundheitsämtern, Kliniken, Krankenkassen,<br />

Arztpraxen, Institutionen der Pflege, usw., die interkulturelle<br />

Öffnung strukturell verankern<br />

� Etablierung interkulturell orientierter Organisationsstrukturen<br />

� Einbezug und Förderung der personellen interkulturellen<br />

Ressourcen der medizinisch, therapeutisch, pflegerisch und<br />

verwaltend Tätigen<br />

� Einstellung von Menschen mit Migrationshintergrund auf<br />

allen beruflichen Ebenen<br />

� Anerkennung von im Ausland erworbenen beruflichen<br />

Qualifikationen bzw. gezielte Nachqualifizierung<br />

� Mehrsprachigkeit und Einsatz von DolmetscherInnen<br />

� Interkulturelle Fortbildungen aller MitarbeiterInnen<br />

� Regelhafter Einbezug interkultureller Themen in die<br />

Ausbildungen<br />

Frau Dr. Tuschinsky machte deutlich, dass<br />

die interkulturelle Öffnung des Gesund-<br />

heitsbereiches in großen Städten wie<br />

Hamburg besonders relevant sei: hier<br />

hätten aktuell 26 Prozent der Bevölkerung<br />

einen Migrationshintergrund haben und die<br />

Quote bei den Heranwachsenden im Alter<br />

zwischen 6 und 18 Jahren liege bei<br />

45 Prozent.<br />

Die nach wie vor existierenden kulturellen<br />

Unterschiede sind z. B. zu finden in einer<br />

Vielfalt (ethno-)medizinischer Traditionen,<br />

in unterschiedlichen Kommunikationsstilen<br />

und Sprachen sowie unterschiedlichem<br />

Krankheitsverhalte. Während es in einigen<br />

Kulturen etwa üblich sei, sich im Krank-<br />

heitsfall alleine zurückzuziehen, genössen<br />

es andere, im Kreise ihrer Familie Zeit zu<br />

verbringen. Dies könnte zu Konflikten<br />

etwa im Krankenhaus führen. Der Kultur-<br />

begriff sei jedoch nicht an Nationalitäten<br />

gekoppelt. Alleine in Deutschland gäbe es<br />

60


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

schon sehr unterschiedliche medizinische<br />

Kulturen:<br />

NI<br />

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Dr. Christine Tuschinsky<br />

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T<br />

Blick auf die kulturell plurale medizinische<br />

Gesundheitsbereich in Deutschland<br />

Anthroposophie<br />

Homöopathie<br />

Allgemeine<br />

Gesundheitsversorgung<br />

�im sozialstaatlichen Auftrag<br />

�an eine medizinische Schule<br />

gebunden (Schul- /Biomedizin)<br />

�weitgehend an gesetzliche<br />

Krankenkassen gebunden<br />

„Importierte“<br />

medizinische<br />

Verfahren<br />

chines./ayurved.<br />

u.a.<br />

Naturheilkunde<br />

Frau Stéphanie Berrut, Diplom-<br />

Laiensektor<br />

+ als esoterisch<br />

ausgegrenzte<br />

Ansätze<br />

Psychologin und systemische Therapeutin,<br />

zeigte am Beispiel von pro familia Bonn<br />

wie migrationssensible Öffnung aussehen<br />

kann. Sie arbeitet dort als Partnerschafts-<br />

und Sexualberaterin sowie Leiterin des<br />

Angebots „Gesundheitsförderung für<br />

Migrant/-innen“.<br />

Pro familia e. V. ist eine Institution für<br />

Familienplanung, Sexualpädagogik und<br />

Sexualberatung, die sich seit 1952 in den<br />

Bereichen Sexualpädagogik, soziale Be-<br />

ratung, psychologische Begleitung junger<br />

Familien und Schwangerschafts-<br />

konfliktberatung tätig ist. Diese Angebote<br />

werden von Migrant/-innen wie folgt<br />

wahrgenommen:<br />

• Paar- und Sexualberatung: ¼<br />

• Psychosoziale Schwangerenberatung:<br />

⅓<br />

• Schwangerschaftskonfliktberatung: ¾<br />

• Begleitung durch Familienhebammen:<br />

½<br />

• Sexualpädagogik: fast ½<br />

• Kinderwunschberatung: ⅓<br />

Der Anteil der Migranten/-innen ist ge-<br />

messen am Gesamtanteil der Bonner Be-<br />

völkerung, von der ca. 30 Prozent einen<br />

Migrationshintergrund haben, vergleichs-<br />

weise hoch. Insbesondere die<br />

Problematiken der Vereinbarkeit von Aus-<br />

bildung, Beruf und Familie sowie die wahr-<br />

genommene Perspektivlosigkeit werden<br />

immer wieder von jugendlichen Migrant/-<br />

innen thematisiert. Ein spezielles Angebot<br />

von pro familia Bonn ist deshalb die<br />

„Gesundheitsförderung für MigrantInnen“.<br />

Allgemein, so machte Frau Berrut deutlich,<br />

können zwischen Beratungsangeboten und<br />

Zielgruppen sprachliche, kulturelle und<br />

andere mit der Migrationserfahrung ver-<br />

bundene Barrieren liegen z. B. Dis-<br />

kriminierung.<br />

Eine Analyse dieser Barrieren liefert An-<br />

satzpunkte für den Handlungsbedarf im<br />

Rahmen einer migrationssensiblen<br />

Öffnung. pro familia Bonn hat zahlreiche<br />

Ansatzpunkte zu der Frage gefunden, wie<br />

61


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

Angebote so gestaltet werden können,<br />

dass sich alle Menschen in ihrer Diversität<br />

von ihnen angesprochen fühlen.<br />

Zunächst gilt es, aktiv auf Menschen mit<br />

Migrationshintergrund zuzugehen. Fremd-<br />

sprachige Beratung kann bei pro familia<br />

Bonn bereits in mehreren Sprachen an-<br />

geboten werden und auch der<br />

Dolmetscher-Pool der Stadt Bonn wird<br />

genutzt. Material und Hinweisschilder<br />

innerhalb der Räumlichkeiten sind mehr-<br />

sprachig und es wird darauf geachtet, dass<br />

die Beratungsstelle ansprechend und zum<br />

Wohlfühlen gestaltet ist.<br />

Sprachliche Barrieren<br />

• Zurechtfinden in den Räumlichkeiten<br />

Kulturelle und andere Barrieren<br />

• Einstellung von Menschen mit Migrationshintergrund<br />

• Fortbildungen<br />

- FGC Landesverband ‘08<br />

- Sexualpädagogik ‘06, ‘10<br />

• Schulung in interkultureller<br />

Kompetenz -<br />

Anmeldung ‘03<br />

- Gesamtteam ‘08<br />

► Top-Down-Prozess!<br />

Bei pro familia wird zudem in einem Top-<br />

Down-Prozess darauf geachtet, Menschen<br />

mit Migrationshintergrund einzustellen,<br />

und für das Personal Schulungen zum Er-<br />

lernen interkultureller Kompetenz durch-<br />

zuführen, die zu mehr Geduld, Toleranz<br />

und Haltungsänderungen führen.<br />

Im letzten Referat gab Herr Matthias<br />

Wetzlaff-Eggebert vom Ethno-<br />

Medizinischen Zentrum e. V. aus<br />

Hannover Einblick in das MiMi-Projekt,<br />

kurz für „Mit Migranten für Migranten“.<br />

Das Projekt ist ein Beitrag zur inter-<br />

kulturellen Gesundheitsförderung und zur<br />

interkulturellen Öffnung der<br />

Organisationen im Gesundheitswesen.<br />

Obwohl Migranten/-innen nicht häufiger<br />

krank sind als Deutsche, so gibt es doch<br />

migrationsspezifische Probleme (z. B.<br />

genetische Erkrankungen wie<br />

Sichelzellenanämie), bestimmte an-<br />

steckende Krankheiten wie Tuberkulose,<br />

wenn sie im Ursprungsland weit verbreitet<br />

waren) und Gesundheitsrisiken (z. B.<br />

Rauchen, Übergewicht).<br />

62


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

Im Krankheitsfall kann es dann zu einer<br />

Unter- und Fehlversorgung aus folgenden<br />

Gründen kommen:<br />

• Sprachbarrieren,<br />

• kulturelle Hintergründe / Einstellungen,<br />

• Belastungsfaktoren in der Migration,<br />

• komplizierter Aufbau des deutschen<br />

Gesundheitswesens,<br />

• Angebote sind auf die Mehrheitsgesell-<br />

schaft ausgerichtet,<br />

• Misstrauen,<br />

An diesem Punkt setzt MiMi an.<br />

Dazu werden bereits erfolgreich<br />

integrierte und engagierte Migrant/-innen,<br />

die über sehr gute Deutschkenntnisse und<br />

ein hohes Bildungsniveau verfügen, zu<br />

interkulturellen Gesundheitslotsen aus-<br />

gebildet und führen dann selbstständig<br />

Informationsveranstaltungen durch, in dem<br />

sie ihre Landsleute in deren jeweiligen<br />

Lebensräumen aufsuchen und<br />

Informationen zu Gesundheitsförderung<br />

und Prävention kultursensibel und in der<br />

jeweiligen Muttersprache vermitteln.<br />

Die Erfolge sprechen für sich: MiMi wurde<br />

bereits mehrfach ausgezeichnet und ist<br />

heute an 51 Standorten in Deutschland,<br />

unter anderem auch in Hamburg, aktiv.<br />

Über 1.000 Mediator/-innen haben seit<br />

2004 in 2.500 (evaluierten) Informations-<br />

veranstaltungen mehr als 32.000 Migrant/-<br />

innen aus 132 Herkunftsländern erreicht.<br />

Und MiMi erreicht noch mehr: Durch die<br />

Zusammenarbeit von Migrant/-innen und<br />

Experten aus den Bereichen Gesundheit<br />

und Soziales zu den Themen Gesundheits-<br />

förderung und Integration werde der<br />

gegenseitige Austausch gefördert sowie<br />

Barrieren ab- und Netzwerke aufgebaut<br />

(lokal, landesweit, bundesweit). Zusätzlich<br />

wird dadurch die Chancengleichheit von<br />

63


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

Migranten/-innen gefördert durch<br />

Empowerment zur Selbst- und Mit-<br />

bestimmung (gesellschaftliche Teilhabe,<br />

Einfluss in der Politik) und Prävention (Zu-<br />

gang zu Informationen und Diensten,<br />

Schutz gegen Diskriminierung).<br />

Diskussion<br />

Staatsrat Dr. Voges zeigte sich sehr an-<br />

getan von den bereits vorhandenen<br />

Projekten und dem Engagement in diesem<br />

Bereich, fragte sich jedoch, wie man<br />

herausfinden kann, ob die Zielgruppe in<br />

ausreichendem Maße erreicht wird. Herr<br />

Wetzlaff-Eggebert verwies dazu auf die<br />

Feedbackbögen aus den von den<br />

Mediator/-nnen durchgeführten Infover-<br />

anstaltungen, die zeigen, dass über<br />

80 Prozent der Teilnehmer/-innen die er-<br />

haltenen Informationen als für sich neu<br />

bewertet hatten. Frau Berrut verwies auf<br />

360 Frauen mit Migrationshintergrund, die<br />

pro Jahr von pro familia Bonn erfolgreich<br />

intensiv beraten werden konnten und den<br />

regen Austausch von 10 - 25 Frauen pro<br />

Veranstaltung, auch wenn diese Zahlen<br />

objektiv nur einen kleinen Anteil der Be-<br />

völkerung mit Migrationshintergrund aus-<br />

machen.<br />

Frau Robben von MiMi Hamburg hatte im<br />

Laufe des Projekts Erfolgsstrategien in der<br />

Erreichung der Zielgruppe ausgemacht. So<br />

werden gezielt Lebensräume der Migrant/-<br />

innen aufgesucht, um Informationen zu<br />

verbreiten z. B. auf Stadtteilfesten,<br />

Wochenmärkten oder beim Friseur.<br />

Wiederkehrende muttersprachliche Ge-<br />

sprächsgruppen zu Gesundheitsthemen<br />

haben sich dabei als geeignet und kosten-<br />

günstig erwiesen. Aber auch Themen wie<br />

„kultursensible Pflege“, Pflegegeld, Pflege-<br />

stufe etc. werden verstärkt nachgefragt.<br />

Frau Dr. Tuschinsky lobte ebenfalls die<br />

vielen bereits bestehenden erfolgreichen<br />

Projekte, machte in dem Zusammenhang<br />

jedoch nochmals aufmerksam auf den<br />

Unterschied zwischen einzelnen Projekten<br />

und der interkulturellen Öffnung von<br />

Regelinstitutionen, die sich als schwieriger<br />

und langwieriger herausstellt. Hinzu<br />

komme, dass jede Institution den Begriff<br />

der interkulturellen Öffnung für sich selbst<br />

64


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

definieren und den Weg zur Änderung der<br />

Haltung bestimmen müsste.<br />

Frau Dr. Panesar fragte, wie die inter-<br />

kulturelle Öffnung zu bewerkstelligen sei<br />

und ob man auf Widerstände stieße. Aus<br />

eigener Erfahrung erzählte Frau Berrut,<br />

dass bei der Frage, ob man eine/-n<br />

Migranten/-in einstellt, Reibung vor-<br />

programmiert sei. Diese führe im besten<br />

Fall zu einem organisationalen Lernen, im<br />

schlechtesten Fall zum Scheitern der<br />

interkulturellen Öffnung. In der Stadt<br />

Hamburg laufe dieser Prozess bisher recht<br />

erfolgreich, so eine Mitarbeiterin der<br />

Personalabteilung der Stadt Hamburg. Mit<br />

der Kampagne „Wir sind Hamburg! Bist<br />

Du dabei?“, strebe die Stadt die Erhöhung<br />

des Anteils Auszubildender mit<br />

Migrationshintergrund auf 20 Prozent bis<br />

2011 an.<br />

Staatsrat Dr. Voges fragte nach Hebeln,<br />

die es im Regelsystem gibt bzw. geben<br />

sollte, um die interkulturelle Öffnung in<br />

Krankenhäusern und Arztpraxen voran-<br />

treiben zu können. Eine Forumsteil-<br />

nehmerin wünschte für den Gesundheits-<br />

bereich einen von der Stadt finanzierten<br />

Dolmetscher-Pool, wie er in Groß-<br />

britannien üblich ist und wie er hierzu-<br />

lande bereits bei Gerichten und Behörden<br />

genutzt wird. Frau Wessel-Neb, Fachab-<br />

teilung Gesundheitsberichterstattung und<br />

Gesundheitsförderung in der Behörde für<br />

Soziales, Familie, Gesundheit und Ver-<br />

braucherschutz, Hamburg, merkte an, dass<br />

sich das Bewusstsein in diesem Bereich in<br />

Krankenhäusern sehr wohl bereits zum<br />

Positiven verändert hat. Vielerorts sei man<br />

bereits zu der Erkenntnis gekommen, dass<br />

eine gute Kommunikation zwischen Arzt<br />

und Patient mit Migrationshintergrund<br />

sehr wichtig sei und langfristig sogar zu<br />

Einsparungen führe, da Missverständnisse<br />

und somit mögliche Fehlbehandlungen<br />

vermieden würden. Einige Krankenhäuser,<br />

wie z. B. das Universitätskrankenhaus<br />

Eppendorf, arbeiten daher bereits mit<br />

Dolmetschern zusammen. Frau Berrut<br />

merkte an, dass es hervorragende Check-<br />

listen zur interkulturellen Öffnung im<br />

Gesundheitsbereich gäbe (s. Links).<br />

Als Antwort auf den demografischen<br />

Wandel und der damit anstehenden<br />

Pflegebedürftigkeit bei immer mehr<br />

Migranten/-innen nannten Forumsteil-<br />

nehmer/-innen z. B. das Krankenhaus<br />

Tabea, das eine Einrichtung für türkische<br />

Senior/-innen betreibe. Außerdem wurde<br />

die Planung einer interkulturellen Pflege-<br />

65


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

einrichtung im Rahmen der internationalen<br />

Bauausstellung www.iba-hamburg.de ge-<br />

nannt. In Billstedt gebe es ein Projekt, bei<br />

dem Jugendliche mit Migrations-<br />

hintergrund die Möglichkeit einer an-<br />

erkannten, begleiteten Ausbildung im Be-<br />

reich der Altenpflege, mit dem Schwer-<br />

punkt kultursensible Pflege, erhielten. Frau<br />

Berrut verwies auf den Newsletter von<br />

IKoM mit vielen nützlichen Infos:<br />

http://www.aktioncourage.org/IKoM<br />

Ebenso gebe es das Forum für<br />

kultursensible Altenhilfe:<br />

http://www.kultursensible-altenhilfe.de/<br />

In ihrem Schlusswort wünschte sich Frau<br />

Berrut mehr Lust auf Menschen mit<br />

anderem Hintergrund und die Nutzung<br />

von interkulturellen Fortbildungen, um<br />

Haltungen und Einstellungen zu ändern.<br />

Frau Dr. Tuschinsky wünschte sich für die<br />

Ausbildung im Pflegebereich, das inter-<br />

kulturelle Kompetenz nicht wie bisher nur<br />

freiwillig, sondern verpflichtend erlernt<br />

werden sollte. Menschen mit Migrations-<br />

hintergrund, so Herr Wetzlaff-Eggebert<br />

schließlich, haben nicht nur Probleme,<br />

sondern bringen die Lösung auch gleich<br />

mit.<br />

Staatsrat Dr. Voges würdigte abschließend,<br />

dass bereits viel auf den Weg gebracht<br />

worden sei, es aber auch noch viel zu tun<br />

gäbe, insbesondere in der Änderung der<br />

Regelsysteme und dass dabei die Frage der<br />

Finanzierung eine entscheidende sei. Die<br />

Ausbildung im Gesundheits- und Pflege-<br />

bereich sei ein wichtiger Schlüssel, bei<br />

dem interkulturelle Kompetenz und<br />

Kommunikation integriert werden sollte.<br />

Weiterführende Links<br />

Gesundheitsförderung für MigrantInnen (pro<br />

familia Bonn):<br />

http://www.profamilia.de/getpic/5291.pdf<br />

MiMi Hannover: www.ethno-medizinischeszentrum.de/<br />

MiMi Hamburg: http://www.mimi-hamburg.de/<br />

Pflege im Quartier! Hamburg-Billstedt:<br />

http://www.biwaq.de/nn_343982/DE/Projekte/Proj<br />

ekte/576__Jumbo.html<br />

Forum für eine kultursensible Altenhilfe:<br />

www.kultursensible-altenhilfe.de<br />

Informations- und Kontaktstelle für die Arbeit mit<br />

älteren Migratinnen und Migraten (IKOM):<br />

www.ikom-bund.de (Newsletter empfehlenswert)<br />

Checkliste: Interkulturelle soziale Arbeit:<br />

http://www.ida-nrw.de/projekte-interkulturellnrw/such_ja/12down_1/pdf/hinz_rom.pdf<br />

Migrationsgerechte Prävention und Gesundheitsförderung<br />

in der Schweiz:<br />

http://www.bag.admin.ch/themen/gesundheitspolitik<br />

/07685/07695/index.html?lang=de<br />

66


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

FORUM 3<br />

Den Abschluss im Gepäck<br />

Zur Anerkennung im Ausland er-<br />

worbener Abschlüsse<br />

Moderation:<br />

Rainer Schulz – Hamburger Institut für<br />

Berufliche Bildung (HIBB), Hamburg<br />

Dr. Alexei Medvedev – KWB e. V. / <strong>BQM</strong><br />

Eine mangelnde Anerkennung im Ausland<br />

erworbener Abschlüsse stellt heute für<br />

Migrantinnen und Migranten die zentrale<br />

Hürde zur Integration da. Statt als<br />

Akademiker/-in arbeiten zu können oder<br />

bisher absolvierte Ausbildungs- und<br />

Studienjahre anerkannt zu bekommen,<br />

arbeiten viele von ihnen in niedrig quali-<br />

fizierten Berufen und können ihr mit-<br />

gebrachtes Potenzial als Fachkraft nicht<br />

entfalten. Auf der anderen Seite fehlen<br />

Unternehmen qualifizierte Mitarbeiter.<br />

Um deren Ressourcen nutzen zu können<br />

brauchen Arbeitgeber eine Einschätzung<br />

mitgebrachter Qualifikationen und<br />

Zeugnisse. Bundesweit wie auch in<br />

Hamburg gibt es daher zahlreiche<br />

Initiativen zur Anerkennung im Ausland<br />

erworbener Abschlüsse. Nach wie vor<br />

sind jedoch zahlreiche Fragen ungeklärt:<br />

Wie kann sichergestellt werden, dass alle<br />

Migrant/-innen Zugang zu Anerkennungs-<br />

verfahren bekommen? Wie können<br />

Kompetenzen festgestellt werden? Wie<br />

können Maßnahmen beruflicher Weiter-<br />

qualifizierung gestaltet werden? Das<br />

Forum bietet die Möglichkeit diese und<br />

andere Fragen mit ausgesuchten<br />

Expertinnen und Experten zu dis-<br />

kutieren.<br />

V.l.n.r.:<br />

Impulsvortrag I<br />

Katharina Koch, Bundesamt für<br />

Migration und Flüchtlinge (BAMF),<br />

Nürnberg<br />

Frau Koch berichtete als Referentin des<br />

Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge<br />

in Nürnberg über den Stand der Arbeit<br />

des Bundesamtes zum Thema An-<br />

erkennung ausländischer Qualifikationen<br />

67


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

sowie Anpassungsqualifizierung. Zunächst<br />

zeigte sie aber auf, welche Faktoren die<br />

zentralen Barrieren für Migranten/-innen<br />

bei der Arbeitsmarktintegration darstellen:<br />

Dazu gehören zum einen eine erschwerte<br />

Informationssuche, die sich durch eine<br />

Vielzahl von verschiedenen, zu wenig mit-<br />

einander vernetzten Beratungsstellen als<br />

unübersichtlich darstellt und von Frau<br />

Koch als „Anerkennungsdschungel“ be-<br />

zeichnet wurde. Zudem kritisierte sie die<br />

mangelnde Transparenz der An-<br />

erkennungsverfahren. So sei für die<br />

Migranten/-innen kaum zu recherchieren,<br />

welche Unterlagen einzureichen seien,<br />

welche Kriterien bei der Entscheidungs-<br />

findung gelten bzw. wie die Erfolgsaus-<br />

sichten der Antragsteller/innen aussehen.<br />

Dies könne zu einer Verzögerung im<br />

Prozess führen, da häufig fehlende<br />

Dokumente nachgereicht werden<br />

müssten. Als dritten Faktor führte Frau<br />

Koch auf, dass für unreglementierte Be-<br />

rufe wie beispielsweise Künstler/-in oder<br />

Unternehmensberater/-in Bewertungs-<br />

grundlagen fehlten, was häufig automatisch<br />

zu einer Ablehnung im Rekrutierungs-<br />

prozess führe. Schließlich seien die ver-<br />

schiedenen Angebote noch immer zu<br />

wenig miteinander verzahnt, wie z. B. das<br />

eigentliche Anerkennungsverfahren mit<br />

einer ggf. erforderlichen Anpassungsquali-<br />

fizierung. An deutschen Universitäten sei<br />

der individuelle Qualifizierungsbedarf für<br />

die Aufnahme eines Studiums meist Ver-<br />

handlungssache und nicht einheitlich ge-<br />

regelt.<br />

Anschließend stellte Frau Koch die<br />

Initiativen des Bundesamtes, der Bundes-<br />

regierung sowie der Bundesländer zum<br />

Thema Anerkennung ausländischer Quali-<br />

fizierungen vor, wie beispielsweise das<br />

Eckpunktepapier der Bundesregierung<br />

vom 9. Dezember 2009. Als bereits<br />

konkret festgelegte Ziele des Eckpunkte-<br />

papiers nannte Frau Koch die folgenden<br />

Punkte:<br />

1) Anspruch aller Migranten/-innen un-<br />

geachtet ihrer Herkunft auf ein An-<br />

erkennungsverfahren,<br />

2) Entwicklung von Bewertungsverfahren<br />

auch für unreglementierte Berufe,<br />

3) Ausweitung von Kompetenzfest-<br />

stellungsverfahren,<br />

4) bundesweite Vereinheitlichung der<br />

angewandten Kriterien,<br />

5) Begrenzung der Verfahrensdauer auf<br />

maximal 6 Monate,<br />

6) Aufbau einer Datenbank der betrieb-<br />

lichen Bildung.<br />

68


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

Daneben gibt es eine Reihe von Zielen, die<br />

bezüglich ihrer Umsetzung noch nicht<br />

konkretisiert worden sind. Dazu zählt,<br />

dass Migranten/-innen auch schon aus dem<br />

Ausland Informationen über das An-<br />

erkennungsverfahren gewinnen können,<br />

Erstanlaufstellen zur Beratung von Zu-<br />

wanderern/-innen eingerichtet werden<br />

sowie das Angebot zur Anpassungs- und<br />

Weiterqualifizierung ausgeweitet wird.<br />

Außerdem sei eine statistische Daten-<br />

erfassung in gebündelter Form anzu-<br />

streben.<br />

Frau Koch ging dann auf die aktuellen<br />

untergesetzlichen Aktivitäten des Bundes-<br />

amtes ein. So laufen derzeit zwei Modell-<br />

projekte in München und im Saarland, wo<br />

Servicestellen zur Beratung von<br />

Migranten/-innen sowie zum Schnitt-<br />

stellenmanagement zwischen den ver-<br />

schiedenen Stellen eingerichtet wurden.<br />

Ein weiteres Modellprojekt in Regensburg<br />

zur einheitlichen universitären Einstufung<br />

von Anpassungsqualifizierungen wird<br />

voraussichtlich in ein bis zwei Jahren ab-<br />

geschlossen sein. Außerdem wird zurzeit<br />

ein Konzept zur Kompetenzfeststellung<br />

entwickelt, dessen Veröffentlichung noch<br />

für den Sommer <strong>2010</strong> geplant sei.<br />

Impulsvortrag II<br />

Farzaneh Vagdy-Voß, Agentur zur<br />

Förderung der Bildungs- und Berufs-<br />

zugänge für Flüchtlinge und<br />

Migranten/-innen in Schleswig-Holstein<br />

(access), Kiel<br />

Frau Vagdy-Voß referierte als Leiterin des<br />

Projekts access des Flüchtlingsrates<br />

Schleswig-Holstein über Heraus-<br />

forderungen bei der Anerkennung von<br />

ausländischen Abschlüssen aus Sicht der<br />

betroffenen Migranten/-innen und sprach<br />

Empfehlungen zur Verbesserung der<br />

Situation aus.<br />

Auch sie betonte, dass die Informations-<br />

lage über Zuständigkeiten und Kriterien<br />

einer Anerkennung zu unübersichtlich und<br />

wenig transparent seien. Nicht nur<br />

Migranten/-innen seien hiervon mitunter<br />

überfordert, sondern auch manche Be-<br />

rater/-innen hätten keinen Überblick<br />

mehr. Zudem würden Migranten/-innen je<br />

69


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

nach Herkunftsland unterschiedlich be-<br />

handelt, was häufig als wenig gerecht<br />

empfunden wird. Die Schwierigkeiten<br />

vieler Migranten/-innen entstehen ihr zu-<br />

folge auch nicht erst im Zuge der An-<br />

erkennung von beruflichen<br />

Qualifikationen, sondern bereits bei der<br />

Anerkennung schulischer Abschlüsse.<br />

Bei der Zusammenfassung der gesetzlichen<br />

Grundlagen bezog sich Frau Vagdy-Voss<br />

auf das Bundesvertriebenengesetz, die EU-<br />

Richtlinie 2005/36/EG, die Lissaboner An-<br />

erkennungskonvention für Hochschul-<br />

abschlüsse sowie das bereits von Frau<br />

Koch erwähnte Eckpunktepapier des<br />

Bundeskabinetts vom Dezember 2009.<br />

Die Referentin sprach eine Reihe von<br />

Empfehlungen aus, die die allgemeine Lage<br />

der Migranten/-innen in Bezug auf die An-<br />

erkennung von ausländischen<br />

Qualifikationen verbessern könnte. So<br />

forderte sie einen Rechtsanspruch aller<br />

Migranten/-innen nicht nur auf ein An-<br />

erkennungsverfahren, sondern auch auf<br />

eine Anpassungs- bzw. Nachqualifizierung.<br />

Zudem schlug Frau Vagdy-Voss vor, zu-<br />

sätzlich zu den bislang bestehenden An-<br />

erkennungsinstrumenten informelle Gut-<br />

achten bzw. Einstufungen für alle<br />

Migrantengruppen einzusetzen. Auch<br />

müssten die Berater gezielter im Hinblick<br />

auf ihre Aufgabe geschult werden, um das<br />

Beratungsangebot zu verbessern, was auch<br />

durch das vermehrte Einbeziehen von<br />

Arbeitgebern gelingen könnte. Zudem sei<br />

es sehr wichtig, die Beratung auch in ver-<br />

schiedenen Sprachen anzubieten. All diese<br />

Maßnahmen erforderten selbstverständlich<br />

ein höheres Ausmaß an personeller und<br />

finanzieller Ausstattung. Frau Vagdy-Voss<br />

hob abschließend noch einmal hervor, dass<br />

trotz des neuen Gesetzes die Situation in<br />

Deutschland noch nicht vollkommen zu-<br />

friedenstellend sei, da das Recht auf ein<br />

Anerkennungsverfahren noch lange kein<br />

Recht auf Anerkennung bedeutet.<br />

Impulsvortrag III<br />

Wolfgang Völker, Diakonie Hamburg,<br />

Fachbereich Migration und Existenz-<br />

sicherung<br />

Anschließend sprach auch Wolfgang<br />

Völker von der Diakonie Hamburg einige<br />

Empfehlungen und Zielsetzungen aus, was<br />

aus seiner Sicht bezüglich der An-<br />

erkennung von ausländischen<br />

Qualifikationen getan werden sollte. Für<br />

Herrn Völker sollte das hauptsächliche<br />

Motiv für ein verbessertes Anpassungsver-<br />

fahren nicht primär im Fachkräftemangel<br />

70


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

begründet liegen, denn für ihn ist dies eher<br />

unter dem Aspekt der Gleichbehandlung<br />

aller Menschen zu betrachten.<br />

Auch für ihn sei von großer Bedeutung,<br />

dass für jede/-n Migrant/-in rechtliche<br />

Klarheit über den Anspruch auf ein An-<br />

erkennungsverfahren besteht und alle Zu-<br />

wanderer/-innen eine gleiche Chance auf<br />

Anerkennung bekommen. Dies würde<br />

auch viele Verwaltungsverfahren er-<br />

leichtern. Herausfordernd sei an dieser<br />

Stelle das föderale System in Deutschland,<br />

das ein einheitliches Verfahren erschwere.<br />

Auch wies er noch einmal auf die Be-<br />

deutung von Weiterbildungsmöglichkeiten<br />

hin, die in verschiedenen Formen wie etwa<br />

durch Praktika, „Training on the job“ oder<br />

als Vorbereitung auf externe Prüfungen<br />

denkbar sind. Dazu sei eine Analyse über<br />

Ausmaß und Art des Bedarfs an Quali-<br />

fizierungsmaßnahmen erforderlich. Fraglich<br />

bleibt, laut Herrn Völker, an dieser Stelle<br />

jedoch die Art der Finanzierung eines<br />

solchen Angebotes, insbesondere in<br />

Zeiten von Sparprogrammen der Bundes-<br />

regierung auch im arbeitspolitischen Be-<br />

reich. Auch Kompetenzfeststellungsver-<br />

fahren sollten in einheitlicher Form<br />

implementiert werden. Dabei gibt es zwei<br />

mögliche Arten von Kompetenzfest-<br />

stellungsverfahren: Zum einen kann eine<br />

Prüfung anhand von berufsfachlichen<br />

Kenntnissen erfolgen. Zum anderen ist es<br />

aber auch möglich, vorhandene<br />

Kompetenzen durch praktische Arbeit<br />

gegenüber einer zertifizierten, über-<br />

geordneten Stelle nachzuweisen. Hierbei<br />

sei es sehr wichtig, dass die Antragsteller/-<br />

innen gut auf das Verfahren und dessen<br />

Verlauf vorbereitet werden. Neben der<br />

Umsetzung des Anerkennungsverfahrens<br />

sei es von großer Bedeutung, dass dieses<br />

kontrolliert wird und wichtige Kennzahlen<br />

in regelmäßigen Abständen ausgewertet<br />

werden.<br />

Herr Völker wies darauf hin, dass ab<br />

Herbst <strong>2010</strong> unter der Trägerschaft der<br />

Diakonie eine zentrale, durch den ESF<br />

geförderte Anlaufstelle zur Anerkennung<br />

von ausländischen Qualifikationen ein-<br />

gerichtet werden soll.<br />

Eine Workshopteilnehmerin brachte<br />

daraufhin die Frage auf, was eine Anlauf-<br />

stelle leisten könnte, ohne dass ein ver-<br />

71


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

bindliches Gesetz beschlossen sei. Frau<br />

Koch betonte in diesem Zusammenhang,<br />

dass betroffene Personen, ihrer Meinung<br />

nach, nicht auf einen solchen Gesetz-<br />

beschluss warten, sondern schon jetzt<br />

aktiv nach Lösungswegen für ihre eigene<br />

Situation suchen sollten. Das Gesetz<br />

würde nicht für alle Antragsteller/-innen<br />

eine zwangsläufige Verbesserung mit sich<br />

bringen, möglicherweise könnten die Be-<br />

scheide zukünftig sogar häufiger negativ<br />

ausfallen.<br />

Diskussion<br />

Im Anschluss an die Vorträge der<br />

Experten/-innen wurden im Rahmen der<br />

Diskussion die Fragen thematisiert, welche<br />

Erfahrungen die Teilnehmer/-innen bislang<br />

in ihrem Umfeld mit Anerkennungs-<br />

verfahren gemacht haben, ob ein Ansturm<br />

auf das Anerkennungsverfahren erwartet<br />

wird und wie ein Erwartungsmanagement<br />

aussehen könnte.<br />

Frau Koch erwartet eine relativ große<br />

Nachfrage nach Anerkennungsverfahren,<br />

dies würde schon der hohe Bedarf an Be-<br />

ratung zur Thematik zeigen. Sie glaubt<br />

jedoch, dass der überwiegende Teil der<br />

Antragstellenden Akademiker/-innen sein<br />

würden.<br />

Eine Mitarbeiterin der Bundesagentur für<br />

Arbeit hält die Einrichtung von Beratungs-<br />

stellen für sinnvoll, da sie einen hohen<br />

Bedarf an Information zur Thematik er-<br />

fahren habe. Ein türkischer Lehrer merkte<br />

an, dass seiner Meinung nach bei den<br />

Lehrern/-innen nicht nur die Anerkennung<br />

von Abschlüssen thematisiert werden<br />

sollte, sondern auch die unterschiedliche<br />

Besoldung zwischen deutschen und aus-<br />

ländischen Lehrkräften angeglichen<br />

werden sollte. Dies sei in anderen Bundes-<br />

ländern bereits teilweise erfolgt. Auch<br />

Frau Vagdy-Voss unterstrich die Not-<br />

wendigkeit von einheitlichen Regelungen in<br />

diesem Punkt.<br />

Dr. Thomas Liebig (OECD) relativierte die<br />

Erwartungen, die Migranten/-innen an ein<br />

Verfahren haben könnten. So führte er<br />

eine Studie an, laut der mit vielen aus-<br />

ländischen Abschlüssen tatsächlich<br />

geringere Kompetenzen verbunden seien.<br />

Zudem vermutete er keinen großen An-<br />

sturm auf Anerkennungsverfahren.<br />

Dieser Position schloss sich auch Frau<br />

Vagdy-Voss an. So sei aus ihrer Sicht kein<br />

sehr großer Ansturm auf das An-<br />

erkennungsverfahren zu erwarten, da eine<br />

Anerkennung auch vom hiesigen Arbeits-<br />

markt abhängig sei. Viele Berufs-<br />

qualifikationen aus dem Ausland seien in<br />

72


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

Deutschland nicht einsetzbar. Dazu<br />

komme, dass der Zeitraum zwischen<br />

einem möglichen Antrag und dem Ab-<br />

schluss bei bestimmten Bevölkerungs-<br />

gruppen wie etwa Flüchtlingen, teilweise<br />

sehr lang sein würde.<br />

Eine Teilnehmerin merkte an, dass für<br />

viele Migranten ein häufiges Problem die<br />

mangelnde Beherrschung der Berufsfach-<br />

sprache darstelle. In den Jobcentern<br />

würden die Migranten zu wenig in Bezug<br />

darauf vorbereitet werden. Auf diese<br />

Weise ginge oftmals zu viel wertvolle Zeit<br />

und damit Fachwissen verloren.<br />

Ein weiterer Diskussionspunkt war die<br />

noch nicht immer zufriedenstellende Ko-<br />

operation mit den Kammern bzw. der<br />

Wirtschaft. Es wurde herausgestellt, dass<br />

diese noch verbessert werden müsste und<br />

Kammern häufig zu sehr an ihren<br />

Standards festhielten. Eine Workshopteil-<br />

nehmerin regte hierbei an, man müsse<br />

auch vermehrt Teilqualifikationen an-<br />

erkennen.<br />

Eine Mitarbeiterin der Bundesagentur für<br />

Arbeit berichtete aus ihrer eigenen Er-<br />

fahrung, dass für viele Arbeitgeber bei der<br />

Personalrekrutierung nicht der Abschluss<br />

der Bewerber/-innen, sondern deren<br />

Persönlichkeit sowie die Deutschkennt-<br />

nisse ausschlaggebend seien. Dies wurde<br />

von Dr. Alexei Medvedev aus seiner beruf-<br />

lichen Erfahrung bestätigt.<br />

Die Moderatoren bedankten sich und ver-<br />

abschiedeten die Teilnehmer/-innen des<br />

Forums.<br />

73


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

FORUM 4<br />

Wissen wie es weitergeht -<br />

Interkulturell sensible Beratung in<br />

Schule, Berufsorientierung und<br />

Arbeitsvermittlung<br />

Moderation:<br />

Peter Daschner – Direktor des Landes-<br />

instituts für Lehrerbildung und Schulent-<br />

wicklung<br />

Elisabeth Wazinski – KWB e. V. / <strong>BQM</strong><br />

Um Schülerinnen und Schüler adäquat<br />

auf das Berufsleben vorzubereiten, wird<br />

derzeit bereits ab Klasse 7 mit der<br />

Berufsorientierung begonnen. Kontakte<br />

zu Unternehmen, Praxistage und<br />

Projekte ermöglichen Schülern, in ver-<br />

schiedene Bereiche hinein zu<br />

schnuppern. Viele Jugendliche nehmen<br />

auch nach der Schule Angebote der<br />

beruflichen Orientierung in Anspruch.<br />

Eine ganz wesentliche Aufgabe kommt<br />

dabei den Beratern/-innen zu – sei es in<br />

Schule, in Ausbildungsagenturen oder bei<br />

Trägern. Gefragt sind Menschen, die<br />

Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft<br />

Mut machen und Unterstützung bieten,<br />

sich selbst und ihre besonderen<br />

Potenziale zu entdecken. Pädagogen/-<br />

innen innerhalb und außerhalb der Schule<br />

sind heute Moderator/-innen, die<br />

Gruppen anregen und in Austausch<br />

bringen, Räume für Forschungen und<br />

Expeditionen zur Verfügung stellen und<br />

motivieren, lernbereit und kreativ auf<br />

Menschen mit anderen Vorstellungen<br />

von „Normalität“ zuzugehen. Im Forum<br />

wird danach gefragt, wie Akteure am<br />

Übergang Schule - Beruf ausgebildet sein<br />

müssen, um schülerzentriert und inter-<br />

kulturell sensibel beraten und begleiten<br />

zu können.<br />

V. l. n. r.: Elisabeth Wazinski, Peter Daschner, Rolf Steil, Rolf<br />

Deutschmann, Javier Carnicer, Hatice Akkermann<br />

Impulsvortrag I<br />

Javier Carnicer – Universität Hamburg<br />

In seinem Vortrag thematisierte Javier<br />

Carnicer die Bildungskarrieren und die<br />

adoleszenten Ablösungsprozesse von<br />

jungen Menschen mit Migrationshinter-<br />

grund mit dem Ziel, Denkanstöße für eine<br />

interkulturell sensible Beratung zu liefern.<br />

74


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

Er berief sich in seinen Ausführungen auf<br />

sein Forschungsprojekt, das auf den Er-<br />

gebnissen biografischer Interviews von<br />

jungen Männern mit türkischem<br />

Migrationshintergrund und deren Eltern<br />

basiert.<br />

Zunächst erläuterte er die Chancen,<br />

Herausforderungen und Erwartungen, die<br />

in unserer Gesellschaft mit der<br />

Adoleszenz verbunden sind. Aufgrund der<br />

Kultur, aber vor allem auch aufgrund<br />

sozialer und ökonomischer Bedingungen,<br />

sind die Möglichkeiten adoleszenter<br />

Bildungsprozesse unterschiedlich, so<br />

Carnicer. Besonders junge Männer<br />

niedriger Bildungsschichten und gerade<br />

solche mit Migrationshintergrund ver-<br />

lassen häufig die Schule bereits im Alter<br />

von 16 Jahren, um eine Ausbildung zu<br />

beginnen. Somit haben sie eine kürzere<br />

Adoleszenz als Jugendliche, die bis zu<br />

einem höheren Alter in der Schule ver-<br />

bleiben.<br />

Gerade Eltern von Jugendlichen mit<br />

Migrationshintergrund haben allerdings<br />

häufig hohe Erwartungen an die Schullauf-<br />

bahn ihrer Kinder, zeigen die Unter-<br />

suchungen Carnicers, und projizieren die<br />

Erwartungen und Wünsche, die sie mit<br />

ihrer Migration verbinden auf ihre Kinder.<br />

Sie möchten, dass ihre Kinder durch eine<br />

erfolgreiche Bildungskarriere ihre erlebten<br />

negativen Erfahrungen und Enttäuschungen<br />

kompensieren und somit die Migration zu<br />

einem erfolgreichen Abschluss führen.<br />

Zum Abschluss seines Vortrags machte<br />

Carnicer noch einmal deutlich, wie eng die<br />

Adoleszenz und die schulischen und beruf-<br />

lichen Wege junger Menschen mit<br />

Migrationshintergrund von den Er-<br />

wartungen und der Migrationsgeschichte<br />

der Eltern beeinflusst werden, weshalb die<br />

Jugendlichen nicht nur ihren eigenen Weg<br />

finden müssen. So plädierte er dafür,<br />

dieses Wissen in eine interkulturell<br />

sensible Beratung einzubeziehen. Das be-<br />

deutet konkret, sich nicht nur auf die<br />

Berufswahl und –vermittlung zu be-<br />

schränken, sondern auch die durch die<br />

Migration bedingte soziale und öko-<br />

nomische Situation zu berücksichtigen.<br />

Außerdem hält er eine frühe Intervention<br />

und die Einbindung der Familie in den Be-<br />

ratungsprozess für sinnvoll.<br />

Impulsvortrag II<br />

Hatice Akkerman – AIZAN, Hamburg<br />

Im Anschlussreferat berichtete Hatice<br />

Akkerman aus ihrer praktischen Erfahrung<br />

als Übergangsmanagerin bei AIZAN an<br />

75


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

einer beruflichen Schule. Sie arbeitet mit<br />

benachteiligten Jugendlichen zusammen<br />

von denen ca. 60 Prozent einen<br />

Migrationshintergrund haben.<br />

Nachdem sie ihren Vortrag mit einem<br />

Negativbeispiel in Bezug auf Sonder-<br />

behandlung von jungen Menschen mit<br />

Migrationshintergrund begann, leitete sie<br />

daraus ab, dass interkulturelle Arbeit nicht<br />

nur einen bestimmten Personenkreis in<br />

der Gesellschaft als Zielgruppe hat.<br />

Vielmehr gälten interkulturellen Ansätze<br />

der gesamten Gesellschaft, da alle Unter-<br />

schiede relevant sind (Geschlecht, Milieu,<br />

Bildung).<br />

Aus diesem Grund formulierte sie die<br />

Handlungsmaxime ihrer Arbeit wie folgt:<br />

Die Kompetenzen von Jugendlichen mit<br />

und ohne Migrationshintergrund sollten<br />

gleich erfasst werden. Dazu hat Hatice<br />

Akkerman ein Interview entwickelt, in<br />

dem sie den Jugendlichen zwar „kultur-<br />

spezifische“ Fragen stellt, dabei aber<br />

keinen Unterschied macht zwischen<br />

Jugendlichen mit und ohne Migrations-<br />

hintergrund. So sei beispielsweise auch die<br />

Frage, ob die Jugendlichen ihre Eltern zu<br />

Behördengängen begleiten, nicht nur für<br />

junge Menschen mit Migrationshintergrund<br />

relevant, denn es ginge vielmehr darum,<br />

das Individuum in den Blick zu nehmen<br />

und die Jugendlichen nicht auf ihren<br />

kulturellen Hintergrund zu reduzieren.<br />

Laut Akkerman sollten die Berater und die<br />

Ratsuchenden ein Team bilden mit dem<br />

Ziel, gemeinsam ein Problem zu lösen.<br />

So warnte sie weiterhin vor kulturspezi-<br />

fischem Wissen und Zuweisungen:<br />

dadurch würde eine Bestätigung oder<br />

sogar Verstärkung von Vorurteilen ent-<br />

stehen wie zum Beispiel die Annahme:<br />

„Die Türken verstehen die Türken.“ Ak-<br />

kerman formulierte ihre Devise, ein<br />

offenes Angebot für alle zu schaffen, da<br />

jeder einzelne Fall ein Recht darauf hat,<br />

Einzelfall sein zu können.<br />

Impulsvortrag III<br />

Rolf Deutschmann – Behörde für<br />

Schule und Berufsbildung, Hamburg<br />

Rolf Deutschmann schilderte in seinem<br />

Beitrag das Konzept für die Schulreform<br />

und die damit einhergehenden Ver-<br />

änderungen. Als zentrales Anliegen, auf<br />

76


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

der die Schulreform basiert, nannte er die<br />

Förderung aller Talente. So sind die<br />

Hauptziele der Schulreform längeres ge-<br />

meinsames Lernen, ein gerechteres Schul-<br />

system, eine Erhöhung der Bildungs-<br />

beteiligung, die Hebung des Bildungs-<br />

niveaus sowie Ausbildungs- und Studien-<br />

reife für alle Schulabgänger.<br />

Anschließend erläuterte er die vier Säulen<br />

der neuen Schulreform, die zu mehr<br />

Bildungsgerechtigkeit beitragen sollen. Die<br />

erste Säule besagt, dass die Schulstruktur<br />

verändert wird, so dass es ab dem Schul-<br />

jahr <strong>2010</strong>/11 eine sechsjährige Primar-<br />

schule statt einer vierjährigen Grundschule<br />

für alle Schüler geben soll. So werde das<br />

längere gemeinsame Lernen gefördert und<br />

gerade Kinder mit Migrationshintergrund<br />

profitierten von dieser Neuerung. Des<br />

Weiteren sieht das Konzept neue Unter-<br />

richtsskripte vor, die zur Förderung des<br />

individualisierten Lernens Beitragen sollen.<br />

An den Lehrerfortbildungen soll sich<br />

sowohl in qualitativer als auch in<br />

quantitativer Hinsicht etwas ändern. Nicht<br />

zuletzt werden die Rahmenbedingungen<br />

verbessert, was mit kleineren Klassen,<br />

mehr Ganztagsschulen sowie Beratungs-<br />

und Unterstützungsstrukturen einhergeht.<br />

Ziel seien außerdem mehr Kooperationen<br />

mit außerschulischen Einrichtungen und<br />

eine Vernetzung der Schulen unter-<br />

einander, was, laut Daschner, eine hoch-<br />

präventive Wirkung erziele.<br />

Als fünfte Säule der neuen Schulreform<br />

nannte er die Reform des Übergangs-<br />

systems Schule-Beruf. Eine individuelle<br />

Beratung sowie eine nachhaltige Berufs-<br />

und Studienorientierung an allen weiter-<br />

führenden Hamburger Schulen sollen<br />

direkte Übergänge und Anschlüsse in ein<br />

Studium oder eine duale Ausbildung für<br />

Schulabgänger garantieren. In diesem Zu-<br />

sammenhang sprach Daschner von einer<br />

interkulturell sensiblen Berufs- und<br />

Studienorientierung, die nicht nur für<br />

Jugendliche mit Migrationshintergrund zur<br />

Verfügung stehen soll. Weiterhin soll das<br />

Lernen an außerschulischen Lernorten<br />

integriert werden, Kooperationen mit<br />

berufsbildenden Schulen und Betrieben<br />

werden im Unterrichtskonzept integriert.<br />

Die Schulreform verbindet sich so mit der<br />

Reform des Übergangsmanagements<br />

Schule – Beruf.<br />

77


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

Impulsvortrag IV<br />

Rolf Steil – Agentur für Arbeit,<br />

Hamburg<br />

In seinem Eingangsstatement thematisierte<br />

Rolf Steil die interkulturelle Ausrichtung<br />

der Agentur für Arbeit und die damit ein-<br />

hergehenden Maßnahmen und Heraus-<br />

forderungen. Der Vortrag begann mit der<br />

provokativen These, wie und ob inter-<br />

kulturell sensible Beratung mit der<br />

Agentur für Arbeit zusammen passten. In<br />

den folgenden Ausführungen erklärte er,<br />

weshalb das der Fall sei und stellte das<br />

Leitbild der Agentur für Arbeit vor: Erfolg<br />

durch Vielfalt.<br />

Im Anschluss erläuterte er die Umsetzung<br />

des Konzeptes, das unter anderem auch<br />

auf kultureller Vielfalt bei den Be-<br />

schäftigten der Agentur für Arbeit basiert.<br />

Außerdem wird die interkulturelle<br />

Öffnung der Arbeitsagentur als Leitungs-<br />

aufgabe angesehen und wahrgenommen.<br />

Die interkulturelle Kompetenz bei<br />

Arbeitsberatern und –vermittlern spielt<br />

dabei eine besonders wichtige Rolle, so<br />

Steil. Folgende Punkte fasste er als be-<br />

achtenswert zusammen:<br />

1. Im Umgang mit den Kunden sind<br />

personelle Kompetenzen wie bei-<br />

spielsweise kultursensible Empathie<br />

und Vorurteilsfreiheit von zentraler<br />

Bedeutung. Des Weiteren erfordert<br />

die Beratung unterschiedlichster<br />

Kunden eine besondere Sensibilität im<br />

Umgang mit den eigenen sowie den<br />

fremden kulturellen Prägungen.<br />

2. Neben den personellen Kompetenzen<br />

erfordert eine interkulturell sensible<br />

Beratung auch Aktivitäts- und Um-<br />

setzungskompetenz, wozu die<br />

Handlungsfähigkeit in verschiedenen<br />

kulturellen Situationen zählt. Rolf Steil<br />

betonte weiterhin, dass die ver-<br />

schiedenen kulturellen Hintergründe<br />

bei den Handlungen berücksichtigt<br />

werden müssen, so dass eine<br />

konstruktive Interaktion stattfinden<br />

kann.<br />

3. Dies setzt außerdem Kommunikations-<br />

fähigkeit in den verschiedenen<br />

kulturellen Situationen voraus. Aber<br />

auch die Fach- und Methoden-<br />

kompetenz sind im Beratungsprozess<br />

78


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

von Bedeutung. Im Vergleich zu Frau<br />

Akkerman hielt er das kulturbezogene<br />

Wissen als Voraussetzung für selbst-<br />

organisiertes Handeln von Bedeutung.<br />

Zudem seien seit vier Jahren An-<br />

sprechpartner für Migranten in jeder<br />

Geschäftsstelle implementiert.<br />

79


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

FORUM 5<br />

Starke Tandems<br />

Mentoring in öffentlicher Ver-<br />

waltung und Privatwirtschaft als<br />

Beitrag zur Chancengleichheit<br />

Moderation:<br />

Petra Lotzkat – Geschäftsführerin des<br />

Zentrum für Aus- und Fortbildung, Hamburg,<br />

Senat der Freien und Hansestadt Hamburg –<br />

Personalamt<br />

Funda Erler – KWB e. V. / <strong>BQM</strong><br />

Mentoring hat sich als wirkungsvolles<br />

Instrument der Personalentwicklung er-<br />

wiesen. Zahlreiche öffentliche wie<br />

private Unternehmen nutzen es, um ihre<br />

Mitarbeiterschaft auf allen Ebenen viel-<br />

fältig aufzustellen und somit den ver-<br />

änderten Kundenstrukturen gerecht zu<br />

werden. Erfolgreiche Mentoringprojekte,<br />

bei denen erfahrene Mitarbeiter/-innen<br />

ihre Mentees „an die Hand nehmen“,<br />

diese begleiten und aus dem Job heraus<br />

beraten, tragen zu einer stärkeren<br />

Durchlässigkeit und einer höheren Mit-<br />

arbeiterzufriedenheit im Unternehmen<br />

bei. Mentees berichten von Karriere-<br />

schritten, die sie ohne die Netzwerke<br />

ihrer Mentoren so nicht gemacht hätten.<br />

Jugendliche mit Migrationshintergrund,<br />

so zeigen die Erfahrungen und Ergebnisse<br />

von Mentoringprojekten, profitieren in<br />

besonderem Maße von einer<br />

individuellen Begleitung. Im Forum<br />

wurden Beispiele erfolgreicher<br />

Mentoringprozesse präsentiert und dis-<br />

kutiert.<br />

V. l. n. r.: Funda Erler, Petra Lotzkat, Marion Wartumjahn, Karin<br />

Detert, Stefan Knoll<br />

Impulsreferat 1:<br />

Stefan Knoll – Deutsche Bank Privat-<br />

und Geschäftskunden AG für die<br />

Region Hamburg und Schleswig-<br />

Holstein<br />

Als erster Referent stellte Stefan Knoll,<br />

Vorsitzender der Geschäftsleitung der<br />

Deutschen Bank Region<br />

Hamburg/Schleswig-Holstein, drei ver-<br />

schiedene unternehmensinterne<br />

Mentoring-Programme vor, die sich<br />

80


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

thematisch in zwei Bereiche unterteilen<br />

lassen.<br />

1. Mentoring und Cross-Mentoring für<br />

weibliche Nachwuchskräfte,<br />

2. Mentoring für Studenten/-innen der<br />

Hamburger School of Business.<br />

Für die weiblichen Nachwuchskräfte bietet<br />

die Deutsch Bank zum einen ein<br />

Divisionen übergreifendes Programm<br />

im Unternehmen an, das 2004 gegründet<br />

wurde und bei dem potenzialstarke Mit-<br />

arbeiterinnen gefördert werden. Dabei<br />

schließen sich jährlich mehr als 50<br />

Tandems zusammen, deren Mentees und<br />

Metoren/-innen in unterschiedlichen Fach-<br />

bereichen im Unternehmen tätig sind und<br />

somit in keinem direkten Arbeitsverhältnis<br />

zueinander stehen. Ziel des Programms ist<br />

es, die Mentees auf erste Führungsauf-<br />

gaben vorzubereiten. Unter dem Motto<br />

„One Bank – One Team“ führt die<br />

Deutsche Bank das Programm unter Be-<br />

teiligung aller Bereiche durch.<br />

Auch das Cross-Mentoring Programm<br />

richtet sich an potenzialstarke weibliche<br />

Nachwuchsführungskräfte. 1998 ins Leben<br />

gerufen, befindet sich das Cross-<br />

Mentoring bereits im elften Durchlauf. Im<br />

Gegensatz zum Divisionen über-<br />

greifenden Programm, finden hier<br />

Mentees und Mentoren/-innen zusammen,<br />

die aus unterschiedlichen Unternehmen<br />

kommen. An dem branchenübergreifenden<br />

Networking beteiligen sich unter anderem<br />

Unternehmen wie die Lufthansa, Bosch,<br />

Fraport und HP. Ziel ist es, sich durch das<br />

Gegenüberstellen verschiedener Unter-<br />

nehmenskulturen von der internen Be-<br />

trachtung zu lösen und gesamtwirtschaft-<br />

liches Denken und Handeln zu fördern.<br />

Zwölf Frauen nehmen an dem Cross-<br />

Mentoring teil. Die weiblichen Führungs-<br />

kräfte von morgen durchlaufen das<br />

Programm jeweils ein Jahr lang.<br />

Am Mentoren-Programm für<br />

Studenten/-innen der Hamburg<br />

School of Business Administration<br />

(HSBA) nehmen jährlich acht Studenten/-<br />

innen teil, die das duale Studium bei der<br />

Deutschen Bank absolvieren. Die<br />

Deutsche Bank rief das Mentoring-Projekt<br />

zwei Jahre nach Gründung der HSBA im<br />

Jahr 2004 ins Leben, da sich die Ab-<br />

solventen/-innen trotz des dualen<br />

Studiums bei der Deutschen Bank und<br />

einer qualitativ hochwertigen Ausbildung<br />

nur bedingt mit dem Unternehmen identi-<br />

fizierten und so kurz nach dem Studium<br />

das Unternehmen verließen. Die<br />

81


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

Studenten/-innen der HSBA durchlaufen<br />

das Programm zwei Jahre.<br />

Das Programm für die Studenten/-innen<br />

• unterstützt die jungen Erwachsenen<br />

bereits zu Beginn des Studiums dabei,<br />

ein eigenes Netzwerk aufzubauen,<br />

• sich beruflich zu orientieren,<br />

• integriert und bindet die Nachwuchs-<br />

kräfte an die Private and Business<br />

Clients (PBC),<br />

• vermittelt die Werte der Bank sowie<br />

die strategischen Zusammenhänge.<br />

Die Mentor/-innen des Programms sind<br />

• neutrale Bezugspersonen für die<br />

Studenten/-innen,<br />

• zusätzliche Ansprechpartner/-innen<br />

für Belange, die sich in der Praxis<br />

ergeben und<br />

• Ratgeber/-innen für den weiteren<br />

Karriereweg des Mentees und<br />

stellen in diesem Kontext ihren<br />

eigenen Karriereweg vor.<br />

Es findet somit ein Austausch zwischen<br />

Mentee und Mentor/-in statt, der sich bis<br />

hin zur Vermittlung von Kontakten im<br />

PBC Bereich erstreckt.<br />

Die Personalabteilung setzt die Tandems<br />

aus Mentee und Mentor/-in zusammen und<br />

berücksichtigt dabei, dass beide Seiten<br />

nicht in der gleichen Abteilung tätig waren,<br />

sind und in absehbarer Zeit auch nicht sein<br />

werden. Mentee und Mentor/-in können<br />

nach der Tandembildung aufgrund persön-<br />

licher Differenzen noch Einspruch ein-<br />

legen. Wie das Mentoren-Programm im<br />

Detail abläuft, welche Inhalte zur Dis-<br />

kussion stehen und in welcher Frequenz<br />

Treffen zwischen Mentee und Mentor/-in<br />

stattfinden, entscheidet jedes Paar selber.<br />

Mentees, die dieses Mentoren-Programm<br />

durchlaufen möchten, sollten für An-<br />

regungen und Feedback offen sein, das<br />

Mentoring aktiv mitgestalten und den ent-<br />

stehenden Mehrwert durch das Programm<br />

für sich nutzen. Sie haben die Möglichkeit,<br />

ein besseres Verständnis für<br />

organisatorische Zusammenhänge zu be-<br />

kommen, Deutsche Bank-spezifische Spiel-<br />

regeln zu erfahren und Ideen für die<br />

82


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

eigene berufliche Laufbahn zu entwickeln<br />

sowie zu konkretisieren.<br />

Themen des Programms sollten sein:<br />

• Personalführung,<br />

• Ansprüche an die Führung von Mit-<br />

arbeitern/-innen,<br />

• Führungsgrundsätze,<br />

• Vermittlung der Unternehmenskultur.<br />

Grundsätzlich gilt:<br />

Ein vertrauensvolles Miteinander von<br />

Mentee und Mentor/-in ist Grundvoraus-<br />

setzung eines funktionierenden und<br />

effizienten Mentoring-Teams. Die<br />

Mentoren/-innen durchlaufen keine<br />

spezielle Ausbildung, um sich für diese<br />

Aufgabe zu qualifizieren, sondern füllen die<br />

Inhalte mit persönlichen Erfahrungen aus<br />

dem Berufsalltag.<br />

Impulsreferat II:<br />

Marion Wartumjan – Regionale<br />

Servicestelle Hamburg der„Aktion zu-<br />

sammen wachsen“<br />

Marion Wartumjan stellte Mentoring-<br />

Projekte vor, welche die Integration von<br />

Menschen mit Migrationshintergrund<br />

voranbringen soll. Das Projekt nimmt<br />

Bürger mit in die Verantwortung und<br />

bietet ihnen die Möglichkeit für Mit-<br />

menschen – in diesem Fall für Jugendliche<br />

mit Migrationshintergrund – Engagement<br />

zu zeigen. Ziel der „Aktion zusammen<br />

wachsen“ ist es, Integration als gesamt-<br />

gesellschaftliche Aufgabe zu verstehen und<br />

Chancengleichheit von Migranten/-innen<br />

zu erreichen. Die Aktion nutzt das bürger-<br />

schaftliche Engagement in Form von<br />

Patenschaften zur Stärkung von<br />

Integration.<br />

Um den Erfolg der Aktion zu sichern und<br />

immer mehr Patenschaften voranzu-<br />

treiben, unterstützt die Initiative unter-<br />

schiedliche Patenschaftsprojekte und kann<br />

so<br />

• die Vorteile der vielfältigen<br />

Projektlandschaft bündeln,<br />

83


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

• auf Bestehendem aufsetzen und<br />

Lücken schließen,<br />

• Evaluation sowie kontinuierliche<br />

Verbesserung gewährleisten.<br />

Zur Vernetzung regionaler Projekte und<br />

um solche Patenschaftsprojekte trans-<br />

parent zu gestalten, existieren mittlerweile<br />

fünf Servicestellen der „Aktion zusammen<br />

wachsen“ auf bundesweiter Ebene:<br />

• Hamburg – Träger: Konsortium um<br />

die Hamburger Stiftung für Migration,<br />

• Metropolregion Rhein-Neckar –<br />

Träger: Der Paritätische Heidelberg<br />

(Freiwilligenbörse),<br />

• Berlin – Träger: Bundesarbeitsgemein-<br />

schaft/Landesarbeitsgemeinschaft der<br />

Freiwilligenagenturen,<br />

• Regierungsbezirk Düsseldorf – Träger:<br />

RAA NRW,<br />

• Nürnberg – Träger: Zentrum aktiver<br />

Bürger.<br />

Regionale Servicestelle Hamburg der<br />

„Aktion zusammen wachsen“<br />

Die Servicestelle Hamburg<br />

• bündelt Informationen und Er-<br />

fahrungen rund um Patenschaften und<br />

stellt diese für Patenschaftsprojekte<br />

und strategische Partner bereit,<br />

• unterstützt den fachlichen Austausch<br />

zwischen den Projekten und fördert<br />

deren fachliche Qualifizierung,<br />

• regt Kooperationen zwischen Paten-<br />

schaftsprojekten untereinander an,<br />

• vermittelt praktisches Wissen durch<br />

ein jährliches Veranstaltungsprogramm,<br />

• erhebt laufend Bedarf und berück-<br />

sichtigt diesen bei der Umsetzung des<br />

regionalen Aktionsplans,<br />

• wirbt zusätzliche Mittel für die Arbeit<br />

ein und betreibt eine intensive<br />

Öffentlichkeitsarbeit.<br />

Derzeit nehmen in Hamburg etwa 40<br />

Projekte an der „Aktion zusammen<br />

wachsen“ teil. Diese sind teils ehrenamt-<br />

lich organisiert und teils mit öffentlichen<br />

Fördergeldern finanziert.<br />

Beispiel 1: Lotsenprogramm der<br />

Elbstation – Erfahrungen stiften,<br />

Migration als Stärke fördern! –<br />

Elbstation/MPC Capital Stiftung<br />

Projekt: Ehrenamtliche Lotsen/-innen, Mit-<br />

arbeiter/-innen der MPC Capital Gruppe<br />

und anderer Hamburger Unternehmen,<br />

übernehmen ein Schuljahr lang eine Paten-<br />

84


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

schaft für einen Jugendlichen der<br />

Elbstation.<br />

Ziel: Das Projekt ermöglicht Jugendlichen<br />

durch die Patenschaft einen Zugang zu<br />

guter Bildung und Ausbildung. Das Lotsen-<br />

programm ermöglicht es den Jungen und<br />

Mädchen, ihre Potenziale zu fördern und<br />

ihr Engagement sowie ihre Leistungs-<br />

bereitschaft zu wecken.<br />

Treffen: Die Lotsen/-innen treffen sich mit<br />

ihrem Lotsenkind in der Elbstation und<br />

lesen gemeinsam, schreiben Bewerbungen<br />

oder unternehmen beispielsweise einen<br />

Ausflug zu einem Reiterhof und ähnliches.<br />

Lotsenkind: Bei den Lotsenkindern handelt<br />

es sich in der Regel um bildungs-<br />

benachteiligte Jugendliche der Klassen-<br />

stufen sieben bis neun an ausgewählten<br />

Hamburger Schulen.<br />

Lotsen/-innen: Bei den Lotsen/-innen<br />

handelt es sich um Mitarbeiter/-innen bei<br />

spielsweise der MPC Capital Gruppe und<br />

anderer Hamburger Unternehmen bzw.<br />

Institutionen.<br />

Zugewinn: Das Projekt verfolgt das Ziel,<br />

Migration als Stärke glaubwürdig zu ver-<br />

mitteln. Die Lotsen/-innen haben teilweise<br />

selber einen Migrationshintergrund.<br />

Beispiel 2: Azubi-Stammtisch der<br />

Arbeitsgemeinschaft selbstständiger<br />

Migranten e. V.<br />

Projekt: Azubis treffen sich ein Mal im<br />

Monat und helfen sich gegenseitig bei<br />

Problemen und Angelegenheiten, die die<br />

berufliche Ausbildung betreffen.<br />

Ziel: Das Projekt bietet eine Plattform zur<br />

gegenseitigen Unterstützung und zum ge-<br />

meinsamen Lernen in Fragen der beruf-<br />

lichen Ausbildung, von Politik und Gesell-<br />

schaft.<br />

Charakter: Austauschmöglichkeiten und<br />

Seminare des Azubi-Stammtisches finden<br />

in den Räumlichkeiten der Arbeitsgemein-<br />

schaft selbstständiger Migranten e. V. statt.<br />

Aber auch andere Hamburger Bildungs-<br />

stätten stellen Räume zur Verfügung und<br />

bieten ihre Unterstützung an.<br />

Jugendliche: Bei den Jugendlichen, die an<br />

dem Azubi-Stammtisch teilnehmen,<br />

handelt es sich um junge Erwachsene vor,<br />

in und nach der beruflichen Ausbildung.<br />

Mentor/-innen: Auch die Mentoren/-innen<br />

sind Auszubildende, die Erfahrungen mit<br />

85


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

anderen Azubis teilen möchten und<br />

können.<br />

Zugewinn: Jugendliche stärken sich gegen-<br />

seitig in der beruflichen Entwicklung.<br />

Beispiel 3: Interkulturelles<br />

Mentoringprojekt „Neue Wege in<br />

den Beruf – Mentoring für junge<br />

Frauen mit Zuwanderungs<br />

geschichte“ in NWR<br />

Projekt: Das interkulturelle Mentoring-<br />

Projekt begleitet und fördert junge Frauen<br />

mit guten schulischen Leistungen ein Jahr<br />

lang.<br />

Ziele: Jungen Frauen eröffnen sich auf-<br />

grund des Mentoring-Programms im An-<br />

schluss an die Schulausbildung attraktive<br />

berufliche Möglichkeiten, die ihren<br />

Qualifikationen entsprechen. Charakter:<br />

Das Wichtigste ist, dass die Chemie<br />

stimmt, um Vertrauen aufzubauen.<br />

Jugendliche: Das Programm ist für<br />

jungeFrauen mit Zuwanderungsgeschichte<br />

der Klassen neun bis zwölf konzipiert.<br />

Mentor/-innen: Bei den Mentor/-innen<br />

handelt es sich um engagierte Frauen mit<br />

guten Netzwerken.<br />

Zugewinn: Das Projekt macht das Motto<br />

„Leistung lohnt sich und wird anerkannt“<br />

erfahrbar.<br />

Von den Patenschaften zwischen ein-<br />

heimischen Paten und jugendlichen<br />

„Patenkindern“ mit Zuwanderungs-<br />

geschichte können beide Seiten profitieren<br />

und ihre Potenziale entfalten. In Hamburg<br />

gibt es weit mehr als 1.000 Patenschaften.<br />

Allein die Lesehelfer zählen etwa 500<br />

ehrenamtliche Mentoren/-innen.<br />

Impulsreferat III<br />

Karin Detert – Fachbereich Personal<br />

und Organisation der Stadt Osnabrück<br />

Karin Detert stellte im Forum das Projekt<br />

„Starke Teams – I.Q.-Mentoring im<br />

Unternehmen Stadt“ vor und be-<br />

richtete über Erfahrungen und Erkennt-<br />

nisse aus der Stadtverwaltung im Kontext<br />

des Projektes. I.Q. steht für inter-<br />

kulturelle Qualität, was einen gegen-<br />

seitigen Lernprozess widerspiegelt. Ihr<br />

Vortrag begann mit der Wiedergabe eines<br />

kurzen Überblicks zum Konzern Stadt –<br />

einem Unternehmen mit vielschichtigen<br />

bürger- und kundenorientierten An-<br />

geboten.<br />

86


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

Hintergrund der interkulturellen Öffnung<br />

sei die gesellschaftliche Entwicklung durch<br />

• den demografischen Wandel im<br />

Kontext einer immer älter<br />

werdenden Bevölkerung,<br />

• den Anstieg des Anteils von<br />

Menschen mit Migrationshinter-<br />

grund auf ein Drittel der Gesamt-<br />

bevölkerung<br />

• die Erhöhung des Anteils weib-<br />

licher Erwerbstätiger.<br />

Die daraus resultierenden Auswirkungen<br />

auf den Arbeitgeber und Dienstleister<br />

Osnabrück lassen sich wie folgt definieren:<br />

• Verknappung von qualifizierten Fach-<br />

kräften, geringere Wettbewerbsfähig-<br />

keit; Rekrutierungsprobleme,<br />

• veränderte Anforderungen an Dienst-<br />

leister/-innen aufgrund der Hetero-<br />

genität der unterschiedlichen Kunden-<br />

segmente,<br />

• Anpassungen der Unternehmens-<br />

strategie sind notwendig.<br />

Mit dem Projekt verfolgt die Stadt Osna-<br />

brück folgende Ziele:<br />

• Die Attraktivität des Arbeitgebers<br />

Stadt Osnabrück steigern: die mono-<br />

kulturell orientierte Unternehmens-<br />

kultur verändern.<br />

• Das Unternehmen Stadt auf inter-<br />

kulturelle Arbeits- und Service-<br />

situationen vorbereiten und<br />

kompetent machen: interkulturelle<br />

Potenziale in der Organisation nutzen.<br />

• Qualifizierte Fachkräfte gewinnen: ver-<br />

stärkt Potenziale von Frauen und<br />

Migranten/-innen für die Stadt er-<br />

schließen.<br />

Detert erklärte, dass die Herausforderung<br />

bei der Initiierung des Projektes darin be-<br />

steht, langjährige Mitarbeiter/-innen (ohne<br />

Migrationshintergrund) davon zu über-<br />

zeugen, interkulturelle Kompetenzen an-<br />

zunehmen und zu nutzen. Personalent-<br />

wicklungsstrategien und die Konzeption<br />

eines Mentoring-Programmes waren die<br />

ersten Schritte in Richtung I.Q.-Mentoring.<br />

Das Besondere an diesem Projekt ist, dass<br />

beide Seiten Potenziale und „Schätze“ in<br />

die Zusammenarbeit mitbringen, ver-<br />

borgene Ressourcen nutzen und eine<br />

gegenseitige Qualifizierung von Mit-<br />

arbeitern/-innen mit und ohne Migrations-<br />

hintergrund stattfinden kann.<br />

87


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

Folgende langfristige Ziele des I.Q.-<br />

Metoring definierten die Initiatoren zu<br />

Beginn des Projektes:<br />

• Integration und Erhöhung des An-<br />

teils von Migranten/-innen bei der<br />

Stadtverwaltung Osnabrück,<br />

• Erhöhung der interkulturellen<br />

Kompetenzen der Mitarbeiter/-<br />

innen der Stadtverwaltung,<br />

• Verbesserung der Qualität von<br />

interkulturellen Servicesituationen,<br />

• Schaffung von Rahmenbedingungen,<br />

die es Migranten/-innen ermög-<br />

lichen, in der Zukunft verstärkt<br />

Führungspositionen zu über-<br />

nehmen (z. B. Kooperation mit der<br />

Fachhochschule Osnabrück),<br />

• Vorbildfunktion der Stadt Osna-<br />

brück als Friedenskulturstadt nach<br />

innen und nach außen durch ein<br />

solches Programm.<br />

Folgende kurzfristige Ziele des I.Q.-<br />

Metoring definierten die Initiatoren zu<br />

Beginn des Projektes :<br />

• Frühzeitige Förderung und Integration<br />

von Migranten/-innen in der Stadtver-<br />

waltung Osnabrück,<br />

• Unterstützung der Migranten/-innen in<br />

der selbstbewussten Wahrnehmung<br />

und Einbringung ihres kulturellen<br />

Wissens,<br />

• systematische Weiterentwicklung der<br />

Führungsqualitäten und inter-<br />

kulturellen Kompetenzen der<br />

Mentoren/-innen,<br />

• praxisnahe Vorbereitung von<br />

Migranten/-innen auf berufliche An-<br />

forderungen und gegebenenfalls<br />

spätere Führungspositionen.<br />

2002/2003 ging das Projekt an den Start<br />

und der erste Durchgang brachte<br />

Mentoren/-innen und Mentees zusammen.<br />

Dabei kamen erste Herausforderungen<br />

und Widerstände ans Tageslicht.<br />

Migranten/-innen wollten nicht als solche<br />

„erkannt und gesehen“ werden, wollten<br />

nicht auffallen und erkannten ihre be-<br />

sonderen Kompetenzen nicht an. Mit-<br />

arbeiter/-innen und Vorgesetzte erkannten<br />

die Notwendigkeit und den Nutzen des<br />

Projektes nicht und konnten nicht nach-<br />

vollziehen, worin die Schwierigkeiten der<br />

Anpassung überhaupt liegen sollen. Ein<br />

weiteres Problem bestand darin, die<br />

Qualifizierungsangebote in Arbeitszeit und<br />

Dienstpläne zu integrieren. Spätere<br />

Durchläufe gestalteten sich einfacher und<br />

es meldeten sich immer mehr freiwillige<br />

Mentoren/-innen.<br />

88


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

Wie erreicht die Stadt Osnabrück<br />

ihre angestrebten Zielen?<br />

Die Stadt wählt Mitarbeiter/-innen mit<br />

Migrationserfahrungen als Mentees aus –<br />

unter Berücksichtigung ihrer beruflichen<br />

Entwicklung, Persönlichkeitsentwicklung<br />

sowie der Lebens- und Berufszielplanung.<br />

Erfahrene Mitarbeiter/-innen wählt sie als<br />

Mentor/-innen aus, um die inter-<br />

kulturellen Kompetenzen zu verbessern.<br />

Das entstandene Tandem bleibt für zehn<br />

bis zwölf Monate bestehen. Weitere<br />

Inhalte resultieren aus Bedarfsanalysen und<br />

der persönlichen Zielbestimmung des<br />

Mentees.<br />

Methodische Bausteine<br />

• Regelmäßige Treffen von Mentee und<br />

Metor/-in,<br />

• Shadowing,<br />

• Workshops zu Projektmanagement,<br />

Präsentationsfähigkeit, interkulturelles<br />

Management etc.,<br />

• Leitfäden und Checklisten,<br />

• Kommunikationsforum der Mentees,<br />

• Konkrete Aufgaben für die Mentees in<br />

der Praxis,<br />

• kollegiale Supervision der Mentor/-<br />

innen,<br />

• Coaching der Mentor/-innen,<br />

• Informelle interkulturelle Events wie<br />

beispielsweise eine Weihnachtsfeier,<br />

• Auftakt- und Abschlussveranstaltung:<br />

nach außen und nach innen,<br />

• Informationsmanagement in der Stadt,<br />

• Mentoren/-innen bekommen Unter-<br />

stützung dabei, Mentor/-innen zu sein.<br />

Erkenntnisse, Ergebnisse, Ent-<br />

wicklung bei den Mentees:<br />

• Selbstsicherheit im Beruf und im Um-<br />

gang mit Kunden/-innen,<br />

• Verbesserung der beruflichen Fähig-<br />

keiten,<br />

• Bessere Orientierung innerhalb des<br />

Unternehmens,<br />

• Wissenserwerb über kulturelle Unter-<br />

schiede und Gemeinsamkeiten.<br />

Erkenntnisse, Ergebnisse, Ent-<br />

wicklung bei den Mentoren/-innen:<br />

• Verbesserung von Kunden-, Beratungs-<br />

und Führungssituationen durch inter-<br />

kulturelle Kompetenzentwicklung,<br />

• höhere Kompetenz im Umfang mit<br />

Menschen aus anderen Kulturen,<br />

• Verständnis für Lebensumstände von<br />

Kollegen/-innen mit einem Migrations-<br />

hintergrund,<br />

89


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

• Multiplikatorenfunktion innerhalb des<br />

Unternehmens.<br />

Erkenntnisse, Ergebnisse, Ent-<br />

wicklungen innerhalb der<br />

Organisation nach außen:<br />

• „Echte“ Integration der Migranten/-<br />

innen fördert Motivation, Zufrieden-<br />

heit, Engagement und Identifikation mit<br />

dem/der Arbeitgeber/-in; reduziert<br />

Reibungsverluste und Konflikte � er-<br />

höht Produktivität.<br />

• Interkulturelle Teams reagieren<br />

offener auf neue Anforderungen; „Be-<br />

triebsblindheit“ wird reduziert<br />

� erhöht Flexibilität.<br />

• Mentoring erhöht den Informations-<br />

austausch; Unternehmenswissen wird<br />

gegen Kenntnisse über andere<br />

Kulturen und anderes Kulturverhalten<br />

ausgetauscht<br />

� erhöht Wissenstransfer.<br />

• Mentoring fördert den Dialog<br />

zwischen den Kulturen und eine Ver-<br />

trauenskultur; Probleme werden<br />

weniger tabuisiert und können ge-<br />

zielter behoben werden<br />

� verbessert unternehmensinterne<br />

Kommunikation.<br />

• Positives Unternehmensimage gegen-<br />

über Migranten/-innen; Rekrutierungs-<br />

chancen erhöhen sich<br />

� verbessert Personalmarketing.<br />

• Unternehmen, das Mentoring für<br />

Migranten praktiziert, wird als zu-<br />

kunftsorientiert, offen und innovativ im<br />

europäischen (globalen) Kontext<br />

wahrgenommen; erhöht Nachfrage<br />

nach „ungewöhnlichen“ Aufträgen<br />

� verbessert Außenwirkung.<br />

Abschlussworte<br />

Stefan Knoll:<br />

Mentoring ist ein unverzichtbarer Teil-<br />

aspekt in der Personalpolitik. Ein Teil des<br />

Puzzles, das die Weiterentwicklung von<br />

Mitarbeitern/-innen voranbringt und eine<br />

Bereitschaft zu einem partnerschaftlichen<br />

Miteinander im Unternehmen fördert.<br />

Marion Wartumjan:<br />

Mentoring ist zum Erreichen unter-<br />

nehmerischer und gesellschaftlicher Ziele<br />

ein wichtiges Instrument, das nur „Ge-<br />

winner“ hervorbringt: Den/die Mentor/-in,<br />

den Mentees und gegebenenfalls dem<br />

Unternehmen. Dies funktioniert allerdings<br />

nur, wenn eine beidseitige Lernbereit-<br />

90


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

schaft vorhanden ist und eine gemeinsame<br />

Lernumgebung existiert.<br />

Karin Detert:<br />

Im weitesten Sinne ist Normalität das Ziel.<br />

Oft fehlen Migranten/-innen Netzwerke,<br />

sie kennen sich in der Funktionsweise der<br />

deutschen Arbeitswelt nicht aus und/oder<br />

werden diskriminiert. Mentoring-<br />

Programme können diese Kluft über-<br />

winden, wovon Mentoren/-innen, Mentees<br />

und die Stadt Osnabrück profitieren.<br />

91


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

Zusammenfassung und Ausblick<br />

Wer sich auf besondere Weise für Jugend-<br />

liche mit Migrationshintergrund einsetzt,<br />

Ausbildungsplätze zu Verfügung stellt und<br />

interkulturell sensibilisiert, verdient An-<br />

erkennung. Das sehen auch Hamburgs<br />

Zweite Bürgermeisterin Christa Goetsch<br />

und der Präsident der Vereinigung der<br />

Unternehmensverbände in Hamburg und<br />

Schleswig Holstein e. V., Uli Wachholtz,<br />

so. Deswegen haben sie drei Hamburger<br />

Unternehmen mit dem Förderpreis "Viel-<br />

falt in Ausbildung <strong>2010</strong>" ausgezeichnet.<br />

"Wir wollen die Ausgangsbedingungen für<br />

diese Jugendlichen verbessern, damit sie ihr<br />

Können in der Schule und in der Berufsaus-<br />

bildung voll entfalten können. Wenn sie<br />

zeigen können, was in ihnen steckt, wenn sie<br />

merken, dass ihnen jemand etwas zutraut<br />

und ihre Leistungen anerkennt, wachsen diese<br />

Jugendlichen nicht selten regelrecht über sich<br />

hinaus", sagte Goetsch am 7. Juni <strong>2010</strong> bei<br />

der Preisverleihung im Hamburger Rat-<br />

haus.<br />

Die diesjährigen Preisträger sind:<br />

Kühne + Nagel (AG & Co.) KG, die<br />

Filiale der Auto Wichert GmbH in<br />

der Ulzburger Straße und Haar &<br />

Cosmetic by Mister No. Die aus-<br />

gewählten Preisträger stehen mit Ihrem<br />

Einsatz stellvertretend für viele weitere<br />

preiswürdige Konzepte, die zur Aus-<br />

schreibung des Förderpreises bei der<br />

<strong>BQM</strong> eingereicht wurden. Das<br />

Engagement der Unternehmen gibt<br />

wichtige Impulse für die berufliche<br />

Integration von Jugendlichen mit Zu-<br />

wanderungsgeschichte in Hamburg. Der<br />

Förderpreis wurde zum sechsten Mal ge-<br />

meinsam von UVNord und der Beratungs-<br />

und Koordinierungsstelle zur beruflichen<br />

Qualifizierung junger Migrantinnen und<br />

Migranten (<strong>BQM</strong>) ausgelobt.<br />

Bei der begleitenden <strong>Fachtagung</strong> der <strong>BQM</strong><br />

und UVNord berichteten und diskutierten<br />

hochrangige Expertinnen und Experten aus<br />

Wirtschaft, Bildung und Politik über<br />

innovative Praxisbeispiele und aktuelle<br />

Entwicklungen im Bereich der beruflichen<br />

Integration von Jugendlichen mit<br />

Migrationshintergrund. So sagte Dr.<br />

92


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

Thomas Liebig von der OECD in seinem<br />

Vortrag, dass gerade die hochqualifizierten<br />

Kinder von Migranten die vergleichsweise<br />

größten Schwierigkeiten hätten, eine an-<br />

gemessene Arbeitsstelle zu finden. "Und<br />

das ist eine Gruppe, bei der man kaum mit<br />

Sprachproblemen argumentieren kann", sagte<br />

er. Gründe für Lücken am Übergang von<br />

der Schule in den Beruf seien viel mehr<br />

fehlende Netzwerke, mangelnde Kennt-<br />

nisse über den Arbeitsmarkt und Dis-<br />

kriminierung. "Zunächst müssen mehr<br />

Kontakte zwischen Jugendlichen mit<br />

Migrationshintergrund und Arbeitgebern her-<br />

gestellt werden – wir wissen, wenn sich die<br />

Jugendlichen beweisen können, dann werden<br />

diese Vorurteile auch ausgeräumt."<br />

Die <strong>Fachtagung</strong> wurde von der <strong>BQM</strong> ge-<br />

meinsam mit UVNord veranstaltet und ist<br />

Teil des "Aktionsplans zur Bildungs- und<br />

Ausbildungsförderung junger Menschen<br />

mit Migrationshintergrund".<br />

93


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

Danksagung<br />

Für die Organisation sowie für die<br />

informativen Präsentationen und Vorträge<br />

hat die <strong>BQM</strong> viel Lob und anerkennende<br />

Rückmeldungen erhalten. Dieses Lob<br />

möchte die <strong>BQM</strong> weitergeben und sich<br />

auch im Namen aller an der Organisation<br />

beteiligten Kolleginnen und Kollegen ganz<br />

herzlich bedanken. Mit anschaulichen und<br />

praxisbezogenen Beiträgen haben die ge-<br />

ladenen Expertinnen und Experten sowie<br />

die Gäste maßgeblich zum Gelingen der<br />

<strong>Fachtagung</strong> beigetragen.<br />

Wir danken insbesondere unserer<br />

Zweiten Bürgermeisterin Christa Goetsch<br />

für ihre engagierte Rede und die persön-<br />

liche Verleihung des Förderpreises.<br />

Uli Wachholtz möchten wir herzlich für<br />

seine ehrende Ansprache zur Verleihung<br />

des diesjährigen Preises „Vielfalt in Aus-<br />

bildung <strong>2010</strong>“ und sein Engagement für die<br />

<strong>BQM</strong> danken.<br />

Ebenso möchten wir uns bei Karl<br />

Gernandt, Mely Kiyak, Dr. Thomas Liebig,<br />

Monika Rühl, Mark Terkessidis für ihre<br />

richtungsweisenden Beiträge bedanken.<br />

Ein großes Dankeschön richten wir auch<br />

Julia-Niharika Sen für die Moderation<br />

sowie an alle Referentinnen und<br />

Referenten für ihr hervorragendes Mit-<br />

wirken an der <strong>Fachtagung</strong>. Sie haben allen<br />

Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine<br />

Vielzahl von zukunftweisenden Denk-<br />

anstößen mit auf den Weg gegeben.<br />

Die ausgewählten Preisträger stehen mit<br />

Ihrem Einsatz stellvertretend für viele<br />

weitere preiswürdige Konzepte, die zur<br />

Ausschreibung des Förderpreises bei der<br />

<strong>BQM</strong> eingereicht wurden. Deshalb ge-<br />

bührt auch allen Betrieben, die sich be-<br />

worben haben, Dank und Anerkennung.<br />

Ihr Engagement gibt wichtige Anregungen<br />

für eine verbesserte berufliche Integration<br />

dieser Zielgruppe in Hamburg und soll<br />

zum Nachahmen anregen.<br />

Ein besonderes Dankeschön geht auch an<br />

alle Kolleginnen und Kollegen der<br />

KWB e. V. für ihre tatkräftige Arbeit und<br />

Unterstützung bei der Vorbereitung und<br />

Umsetzung dieser Veranstaltung.<br />

Zu guter Letzt möchten wir Ihnen für das<br />

Vertrauen und Ihre Unterstützung danken,<br />

die Sie und Ihre Partner aus der Wirt-<br />

schaft und die Institutionen der <strong>BQM</strong> bei<br />

94


<strong>Fachtagung</strong>sdokumentation <strong>2010</strong><br />

der Umsetzung der vielfältigen Aufgaben<br />

entgegenbringen.<br />

95

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