Vorsicht: Werte! - GEW
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Am 21. Januar 2004<br />
und vor Prozessbeginn<br />
im Düsseldorfer<br />
Landgericht entstand<br />
jene Fotografie,<br />
die den Chef der<br />
Deutschen Bank, Josef Ackermann,<br />
mit dem „Victory-Zeichen“ zeigt.<br />
Dieses Bild von Oliver Berg hat sich<br />
vermutlich in das kollektive Gedächtnis<br />
in Deutschland eingeprägt<br />
und wurde im Zuge der aktuellen<br />
Finanzkrise wiederholt aktiviert.<br />
Ungeachtet der Geschichte<br />
seiner Entstehung, der unterschiedlichen<br />
medialen und politischen<br />
Nutzung sowie der vielfältigen<br />
inhaltlichen Zuschreibungen<br />
ist durch diesen Schnappschuss<br />
auch die Frage nach der Vorbildfunktion<br />
von Eliten auf die Tagesordnung<br />
gekommen und sie ist aktueller<br />
denn je.<br />
Wir wissen jedoch bislang wenig,<br />
wie angesichts alltäglicher medialer<br />
Präsenz solcher Geschichten<br />
und Bilder, gegen-<br />
wärtig etwa die der<br />
Finanzkrise – z. B.<br />
die gekündigten Angestellten<br />
von Lehmann<br />
Brothers mit<br />
ihrem Pappkarton<br />
auf der Wall Street –,<br />
von Kindern wahrgenommen<br />
werden.<br />
Wir wissen auch<br />
kaum etwas darüber,<br />
wie und ob<br />
überhaupt Eltern<br />
mit ihren Kindern<br />
über politische Hintergründe aktueller<br />
Themen und deren mediale<br />
Inszenierungen sprechen. Aus<br />
Studien wie der World Vision-Studie<br />
2007 wissen wir aber, dass die<br />
Angst der Eltern vor Arbeitslosigkeit<br />
die Empfindungen ihrer Kinder<br />
sehr wohl beeinträchtigt und<br />
diese verunsichert. Bei der Frage<br />
danach, wovor sie sich fürchten,<br />
geben Acht- bis Elfjährige in<br />
Deutschland Armut und Arbeitslosigkeit<br />
der Mütter und Väter insbesondere<br />
dann an, wenn sie damit<br />
bereits konfrontiert waren.<br />
Moral und ihre Umsetzung<br />
Angesichts sozialer Bedrohungen<br />
und ihrer medialen Aufarbeitung<br />
stehen Eltern, die ihre Kinder als<br />
einzigartige Wesen anerkennen,<br />
aber auch zur gesellschaftlichen<br />
Anpassung befähigen sollen, vor<br />
der Schwierigkeit, <strong>Werte</strong> „richtig“<br />
❞ Die gründlich gewandeltenLebensverhältnisse<br />
bringen<br />
keine neuen <strong>Werte</strong><br />
hervor, sondern machen<br />
die gewohnten<br />
und eingeübten Mittel<br />
zu ihrer Erreichung<br />
und Sicherung<br />
untauglich.❝<br />
Hartmut von Hentig<br />
WERTE<br />
zu vermitteln. Das ist nicht neu.<br />
Ebenso wenig wie die häufige Diskrepanz<br />
zwischen propagierter<br />
Moral und deren praktischer Umsetzung.<br />
Diese erfährt gerade<br />
durch die Zunahme medialer Bilderwelten,<br />
an denen Kinder und<br />
Jugendliche partizipieren, stets<br />
neue Herausforderungen. Denn<br />
damit, wie Eltern ihrem Nachwuchs<br />
authentisch wichtige ethische<br />
Prinzipien nahebringen und<br />
vorleben, wie sie Kindern Widersprüche<br />
im Alltag erklären, wie sie<br />
zu Respekt gegenüber anderen erziehen,<br />
wie sie mit Konflikten umgehen,<br />
sind Mütter und Väter häufig<br />
auf sich allein gestellt.<br />
„Schwächstes Glied“<br />
Eine weitere Herausforderung in<br />
der Familie ist der Umbau des Sozialstaates.<br />
Erst jüngst hat der Armutsforscher<br />
Christoph Butterwegge<br />
(2008) aufgezeigt, wie die Aushöhlung<br />
von Normalarbeitsverhältnissen<br />
sich unmittelbar<br />
im Alltag von Familien<br />
niederschlägt.<br />
„In einer Konkurrenzgesellschaft“,<br />
schreibt Buterwegge,<br />
„die vom neoliberalenLeistungsgedanken<br />
bestimmt ist,<br />
sind Kinder das<br />
schwächste Glied<br />
der Kette. Familien<br />
entsprechen häufig<br />
gerade nicht dem<br />
neoliberalen<br />
Wunschbild autonom handelnder<br />
Wirtschaftssubjekte, die sich am<br />
Markt ohne Schwierigkeiten behaupten<br />
können, ‚Privatinitiative‘<br />
entfalten und ‚eigenverantwortlich‘<br />
handeln, sondern sind teilweise<br />
auf staatliche Unterstützung<br />
angewiesen, um ihren Kindern ein<br />
gedeihliches Aufwachsen zu ermöglichen.“<br />
Es geht bei der Reflexion<br />
über die spürbaren Konsequenzen<br />
des Um- wenn nicht gar<br />
Abbaus des Sozialstaates in den<br />
Familien nicht darum, Mütter und<br />
Väter aus der Verantwortung für<br />
die Erziehung ihrer Kinder zu entlassen.<br />
Vielmehr sollte man sich<br />
bewusst machen, dass gelingende<br />
Erziehung, auch <strong>Werte</strong>erziehung,<br />
erheblich von der sozialen Lage<br />
der Menschen abhängig ist.<br />
Neben dem gravierenden Faktor<br />
ökonomischer Rahmenbedingungen<br />
zählen Zeit und Raum, um<br />
2/2009 Erziehung und Wissenschaft 13