Vorsicht: Werte! - GEW
Vorsicht: Werte! - GEW
Vorsicht: Werte! - GEW
- TAGS
- www.gew.de
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
entieren und mit unterschiedlichen Regeln<br />
umgehen können, ist die Auseinandersetzung<br />
mit Wertvorstellungen im<br />
Kindergarten enorm wichtig.“ Und das<br />
heißt: Erst einmal <strong>Werte</strong> identifizieren.<br />
Zum Beispiel: Wer ist mein Freund?<br />
Wie merke ich, dass er mein Freund ist?<br />
Wie gehen Freunde miteinander um?<br />
Danach Begründungen für <strong>Werte</strong> suchen.<br />
Zum Beispiel: Warum ist es gut,<br />
Freunde zu haben? „Bei kleinen Kindern<br />
findet diese Auseinandersetzung<br />
vor allem auf der Handlungsebene statt.<br />
Aber indem solche Themen aufgegriffen<br />
werden, man gemeinsam Worte für<br />
Gefühle findet, entwickeln sich allmählich<br />
Kriterien und Bewertungsmaßstäbe,<br />
die Kindern helfen, mit unterschiedlichen<br />
<strong>Werte</strong>n umzugehen.“<br />
Wie schwer das im Alltag sein kann,<br />
merkt Erzieherin Anja Kausch immer<br />
wieder. Wie sollen wir Weihnachten feiern,<br />
wenn die meisten Kinder gar nicht<br />
mehr christlich erzogen sind? Wenn<br />
manche Eltern lieber den Weltfrauentag<br />
oder den Tag der Arbeit feiern wollen?<br />
Wie können wir den Kindern den Wert<br />
von Gemeinschaft und respektvollen<br />
Umgangsformen vermitteln, wenn einige<br />
Eltern ständig zu spät zum Gruppenfrühstück<br />
kommen und manchmal<br />
nicht einmal „Guten Morgen“ sagen?<br />
„Elternarbeit ist für uns der Knackpunkt“,<br />
sagt Kita-Leiterin Birant. Alle<br />
zwei Monate gibt es ein Elternfrühstück,<br />
regelmäßig persönliche Gespräche.<br />
„Dabei tauschen wir uns aus<br />
und machen unsere Position klar: Zum<br />
Beispiel, dass wir in einer von christlichen<br />
<strong>Werte</strong>n geprägten Gesellschaft leben<br />
und daher auch christliche Feste feiern<br />
möchten.“<br />
„Die eigenen Grenzen zeigen“<br />
Marina Braun, stellvertretende Kita-Leiterin,<br />
nickt. Das Jonglieren mit einem<br />
oft widersprüchlichen Strauß von <strong>Werte</strong>n<br />
gehört zu ihrem Alltag. Von der<br />
Decke im Eingangsbereich der Kita Lüneburger<br />
Straße, Berlin Tiergarten, baumeln<br />
bedruckte Karten mit Grundsätzen<br />
aus dem Trägerleitbild: „Wir achten<br />
jedes Kind und seine Familie und alle<br />
Familienkulturen und alle Sprachen.“<br />
„Wir tragen das unsere dazu bei, dass<br />
Mädchen und Jungen in unserem Kindergarten<br />
eine glückliche Zeit verbringen.“<br />
Immer wieder stoßen solche Regeln<br />
an Grenzen. Dass manche Kinder<br />
aus muslimischen Familien kein<br />
Schweinefleisch essen dürfen, ist leicht<br />
mit einem vegetarischen Angebot zu lösen.<br />
Wenn ein pakistanisches Mädchen<br />
auch im Notfall keine fremde Wechselunterwäsche<br />
tragen darf, ist dagegen ein<br />
Elterngespräch unvermeidbar, so<br />
Braun. „Meist lässt sich durch ein offenes<br />
Gespräch irgendwann eine gemein-<br />
same Lösung finden.“ Im Extremfall<br />
bleibt nur: Die eigenen Grenzen zeigen.<br />
Wie vor Jahren, als einem Vater die Antworten<br />
der Erzieherinnen auf die neugierigen<br />
Fragen zum neuen Berliner<br />
Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD)<br />
nicht gefielen: „Sie müssen zurücknehmen,<br />
dass sich auch Männer lieben können“,<br />
verlangte der Vater. Die Erzieherinnen<br />
blieben standhaft.<br />
„Wir wollen nicht um jeden Preis einen<br />
Konsens herstellen, sondern lassen unterschiedliche<br />
<strong>Werte</strong> nebeneinander stehen“,<br />
sagt Braun. So müssen Jungs, denen<br />
die Schwestern zu Hause die Schuhe<br />
zubinden und das Tischdecken abnehmen,<br />
in der Kita selbstverständlich<br />
genauso ran. Braun: „Die Kinder akzeptieren<br />
unterschiedliche Regeln, die man<br />
ihnen begründet.“ Und wenn oben im<br />
Theaterraum die Erzieherin nach „drei<br />
kräftigen Jungs ruft, die mir die Bühnentreppe<br />
mal runterheben können“,<br />
obwohl die gleichaltrigen Mädchen<br />
größer und kräftiger sind, zeigt dies,<br />
welch heikles Feld <strong>Werte</strong>vermittlung im<br />
Alltag sein kann.<br />
Was wollen die Kinder?<br />
Die Kita Lüneburger Straße folgt dem<br />
„Situationsansatz“ der Internationalen<br />
Akademie der Freien Universität Berlin<br />
(INA): „Ausgangspunkt der Erziehungsarbeit<br />
ist die komplexe Lebenswelt der<br />
WERTE<br />
Marina Braun,<br />
stellvertretende<br />
Leiterin der Kita<br />
Lüneburger<br />
Straße: „Wir lassenunterschiedliche<br />
<strong>Werte</strong> nebeneinander<br />
stehen.“<br />
„Die Kinder akzeptierenunterschiedlicheRegeln,<br />
die man ihnen<br />
begründet.“<br />
2/2009 Erziehung und Wissenschaft 9