Aufzeichungen von Marc Knuchel - 1
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aus seiner Feder, wo<strong>von</strong> das wertvolle Buch "Allein mit dem Meister" das bekannteste ist. Bruder<br />
Liebe wohnte <strong>von</strong> 1925 bis 1938 in Wernigerode. Die Kinder besuchten dort die Schulen, die Söhne<br />
studierten und bekamen alle eine gute Ausbildung. In aller Treue zu seinem Herrn nahm Carl seinen<br />
Reisedienst als Hirte und Lehrer der Versammlungen wieder auf. Zu seiner Reisetätigkeit gehörten<br />
grosse Teile Deutschlands, das Elsass und die Schweiz. Unser Land hatte es ihm besonders angetan.<br />
In einem grossen Adressbuch trug er alle Versammlungsorte und die Familien, die er zu besuchen<br />
pflegte, gewissenhaft ein.<br />
Völlig unerwartet, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, traf das Verbot der Sekte "Christliche<br />
Versammlung" unsere Geschlossenen und Offenen Brüder in Deutschland. Auf Grund des<br />
Paragraphen zum Schutze <strong>von</strong> Volk und Staat wurde am 28. April 1937 vom Reichsführer SS und Chef<br />
der deutschen Polizei die Sekte "Christliche Versammlung", auch "Darbysten" oder "Christen ohne<br />
Sonderbekenntnis" genannt, mit sofortiger Wirkung für das gesamte Reichsgebiet aufgelöst und<br />
verboten. Damals gab es etwa 70 dienende Reisebrüder, die wie Carl Liebe als Lehrer und Hirten die<br />
vielen Versammlungen im Deutschen Reich mit dem Worte Gottes versorgten. Sie alle mussten ihre<br />
Reisedienste einstellen.<br />
In dieser bedrückenden Situation reiste Bruder Liebe nach Murgenthal und bat Bruder Hegelbach um<br />
Asyl in der Schweiz und um Aufnahme in seinem Betreuungsheim für Alkoholgeschädigte in Ricken,<br />
wo er glaubte, einen nützlichen Dienst tun zu können. Bruder Hegelbach betrieb die Heimstätte<br />
Waldheim neben seinem Malergeschäft zusammen mit seinem Schwager. Ihm war es ein grosses<br />
Anliegen, die seelische und soziale Not Alkoholgeschädigter lindern zu helfen. Leider steckte das<br />
Unternehmen damals in finanziellen Nöten, so dass Hegelbach sich veranlasst sah, nur ihm, nicht<br />
aber seinen Familienangehörigen Aufnahme zu gewähren. Carl musste seiner Frau die traurige<br />
Nachricht geben, dass es in der Schweiz keinen Platz für sie gebe. Frau Liebe blieb weiterhin in<br />
Wernigerode. Die Söhne wurden in den Militärdienst eingezogen, und die Töchter halfen der Mutter<br />
den Lebensunterhalt verdienen, Justina als Verkäuferin und Eleonore als Sekretärin im Missionsbüro<br />
"Licht im Osten".<br />
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So kam es, dass Bruder Liebe ganz in der Schweiz sesshaft wurde und in unseren Versammlungen<br />
immer häufiger am Wort diente. Für viele <strong>von</strong> uns wurde er ein väterlicher Lehrer und Freund. Carl<br />
war ein demütiger Christ, fühlte sich in unseren einfachen Versammlungen trotz seiner vornehmen<br />
Herkunft ausgesprochen wohl und hielt uns über Jahrzehnte die Treue. Er war ein ausgeglichener<br />
Mensch, der die Liebe Christi ausstrahlte. In dieser Haltung bewährte er sich als guter Seelsorger und<br />
Hirte. Im Predigtdienst verstand er es wie kein zweiter, ungezählte Perlen aus der Schatzkammer der<br />
Bibel auszugraben und diese seinen Zuhörern lieb zu machen. Wie ein Künstler malte er die<br />
biblischen Wahrheiten in unsere Herzen. Doch längere Predigten zu halten oder sich unvorbereitet<br />
an einen Redner anzuschliessen, machte ihm sichtlich Mühe. Uns Junge beeindruckte er mit seiner<br />
ausserordentlichen Bibelkenntnis. Er liebte es, wenn ihm Bibelverse zitiert wurden, zu denen er aus<br />
dem Gedächtnis Buch, Kapitel und Versangabe machte. Mit wenigen Handgriffen schlug er jeweils<br />
die betreffende Stelle in der Bibel nach.<br />
Leider hatte Bruder Liebe in Murgenthal keine längere Bleibe Das Waldheim musste wegen<br />
ungenügender Ertragslage geschlossen werden. Carl fand Zuflucht bei Bruder Stettler in Biel. Fred