Alltag im Rheinland - Institut für Landeskunde und ...

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heImat Protestkuh auf Scheunenwand: Protest gegen die Stationierung von Atomraketen mit Symbol von Dorfleben und Heimat. Bell / Hunsrück 1980er Jahre . die Landschaft der verlorenen Lebenswelt wurde wehmütig erinnert, sie galt als Bild für Sicherheit und Vertrauen. 23 Die Erinnerung an die verlorene Heimat wurde in Vertriebenenvereinen institutionalisiert und durch Brauch-, Volksmusik- und Trachtenfeste inszeniert. Die Konstruktion des oftmals relativ unspezifischen Heimatgefühls 24 dient der Herstellung von Sicherheit in einer als unsicher und fremd empfundenen „neuen“ Heimat. Das Erinnern an die „alte“ Heimat ist eine Form der Vergangenheits- 23 Vgl. Neumeyer: Heimat, S. 41f; Vgl. Hermann Bausinger/Markus Braun/Herbert Schwedt: Neue Siedlungen. Volkskundlich-Soziologische Untersuchungen des Ludwig-Uhland-Instituts Tübingen. Stuttgart 1959, bes. S. 171. 24 Bausinger/Braun/Schwedt: Siedlungen, S. 180. 10 bewältigung. 25 Es zeigt sich auch hier, dass Heimat zu einem Wert an sich wird, wenn sie vermisst wird. Mit Beginn der 1960er Jahre nimmt der Diskurs um Heimat in der Bundesrepublik ab, Ursachen sind zum einen der nun vermehrt wahrgenommene ideologische Missbrauch des Begriffs im Nationalsozialismus, zum anderen der nun deutlich spürbare wirtschaftliche Aufschwung. Der zunehmende Wohlstand förderte ein Sicherheitsempfinden. Erst in den 1970er Jahren zeigt sich eine neue Konjunktur der Heimat: Die 25 Vgl. Ina-Maria Vgl. Ina-Maria Greverus: Der territoriale Mensch. Ein literaturanthropologischer Versuch zum Heimatphänomen. Frankfurt am Main 1972, bes. S. 43; Esch: Die Wüstung Wollseifen.
„neue Heimatbewegung“ lässt sich analog zu ihrer Vorgängerin um 1900 aus radikal veränderten Lebensbedingungen erklären: Die massiv anwachsende industrielle Erschließung sowohl von Natur und Landschaft als auch von Arbeits- und Lebensbedingungen wird ab den 1970er Jahren verstärkt kritisch betrachtet. „Solange Arbeitsplätze und damit Sicherheit für die Menschen vorhanden waren, kritisierten sie diese Modernisierungen nicht. Nachdem sich aber Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre die wirtschaftliche Situation änderte, besannen sich die Menschen zurück und vergegenwärtigten sich die älteren Funktionen wie landwirtschaftliche Nutzung oder Erholungsgebiete.“ 26 Gefühle von Unsicherheit und Krise fördern die Sehnsucht nach Heimat, die Erinnerung an Orte, die Sicherheit und Geborgenheit vermitteln. 27 Und ebenso wie um 1900 und 1950 wird dieser Diskurs in der Literatur und im Film aufgegriffen: Autoren wie Martin Walser, Max Frisch, Günther Grass und Siegfried Lenz thematisieren auch den Aspekt der Heimatvertreibung neu, der Regisseur Edgar Reitz schafft mit seiner 1972 begonnenen Heimat-Trilogie ein filmisches Dokument sowohl von persönlicher Heimaterfahrung und Heimatkonstruktion als auch des öffentlichen Heimatdiskurses, der einen Zeitraum von 1919 bis ins Jahr 2000 abdeckt. 28 Denn der Diskurs um den Hei- 26 Ebd.; Vgl. Bausinger: Aktives Heimatverständnis. 27 Vgl.: Konrad Buchwald: Heimat heute: Wege aus der Entfremdung. Überlegungen zu einer zeitgemäßen Theorie von Heimat. In: Landeszentrale, Heimat heute, S. 34-59, hier S. 34. 28 Edgar Reitz. Heimat Heimat 1. Eine deutsche Chronik [1919-1982]. [Fertiggestellt 1981/82]. – Heimat 2. Chronik einer Jugend [1960-1970]. [Fertiggestellt 1992]. – Heimat 3. Chronik einer Zeitwende [1989- heImat matbegriff ist bis heute nicht abgeschlossen, im Gegenteil. Heimat – Funktionen und Bedeutungen Heimat wird aus ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Perspektiven betrachtet und besetzt. Es bleibt ein politischer Begriff, Heimatschutz hat in den USA nach dem 11. September 2001 eine neue Bedeutung und ein eigenes Ministerium erhalten. Während der Hoch-Zeit der Anti-Atom-Bewegung (siehe Foto S. 10) galt deren Protagonisten ihr Protest auch als aktiver Heimatschutz („Wir stellen uns vor die Heimat“). Seit den 1970er Jahren „wird der Versuch spürbar, Heimat als Projekt, als Aufgabe und als Anspruch neu zu formulieren.“ 29 Vor allem in der Regionalentwicklung inklusive Tourismus und regionaler Wirtschaftsförderung. So definiert Albert Herrenknecht, Regionalentwickler aus Baden-Württemberg, Heimat als „vorwärtsgewandter, prozeßhafter, zukunftsträchtiger.“ 30 Besonders interessant in diesen Kontexten ist die deutlich wahrnehmbare Veränderung des in Stereotypen geronnenen Heimatbildes: Von der rein ländlichen Dorfidylle wird Heimat zunehmend auf die Stadt als Lebensraum sowie auf Region als Bezugsgröße übertragen. Die noch in der Mitte des 20. Jahrhunderts explizite Großstadtfeindlichkeit verschwin- 2000]. [Fertiggestellt 2004]. Vgl. Dagmar Hänel: Chorgesang und Identität – Kulturanthropologischvolkskundliche Anmerkungen zu einem interdisziplinären Projekt. In: Erik Fischer (Hg.): Chorgesang als Medium von Interkulturalität: Formen, Kanäle, Diskurse. Stuttgart 2007, S. 273-292. 29 Köstlin: Heimat als Identitätsfabrik, S. 335. 30 Albert Herrenknecht: Heimatsehnsucht. Eine verdrängte Kategorie linker Identität. In: Moosmann, Heimat, Berlin 1980, S. 194-199, hier S. 198. 11
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