music to watch - Staatskapelle Dresden
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Schritt auf dem Weg dahin gelang ihm 1910. als das »Three Choirs festival«<br />
ihm in diesem Jahr einen Kompositionsauftrag erteilte, entschied er sich,<br />
dem Werk ein Thema des englischen renaissance-Komponisten Thomas<br />
Tallis (um 1505-1585) zugrunde zu legen. Mit der Melodie hatte er sich<br />
bereits 1906 zum ersten Mal befasst; für seine Neuausgabe des Kirchengesangbuchs<br />
»The english hymnal« hatte er sie harmonisiert und ihr Joseph<br />
addisons hymnus »When rising from the bed of death« unterlegt. Nun bearbeitete<br />
er das Thema in form einer »fantasia« – so nannte man im england<br />
des 16. und 17. Jahrhunderts eine gattung von instrumentalstücken, die<br />
sich aus den vokalen Motetten und Madrigalen entwickelt hatte. eine solche<br />
fantasia (auch »fancy« genannt) gliederte sich in zahlreiche, deutlich voneinander<br />
getrennte abschnitte, in denen eine imita<strong>to</strong>rische behandlung der<br />
Themen überwog.<br />
Vaughan Williams gewinnt sein thematisches Material vor allem<br />
dadurch, dass er die Tallis-Melodie in ihre einzelnen Phrasen zerlegt. Diese<br />
verarbeitet er dann auf höchst mannigfaltige, fantasievolle Weise; die bandbreite<br />
seiner Mittel reicht von blockhaft aneinander gereihten akkorden bis<br />
hin zu dichtester Polyphonie. eine wichtige rolle für Struktur und Klang<br />
des Stücks spielt die aufteilung des Orchesters. es besteht nach der Vorgabe<br />
des Komponisten aus drei gruppen unterschiedlicher Stärke, die getrennt<br />
voneinander aufzustellen sind: ein großes Streicherensemble, ein kleineres<br />
und schließlich ein Streichquartett (das von den Stimmführern des großen<br />
ensembles übernommen wird). Mit dieser bildung verschiedener »Chöre«<br />
greift Vaughan Williams auf his<strong>to</strong>rische Vorbilder zurück und schafft doch<br />
eine völlig eigenständige, originelle Komposition.<br />
Ähnliches gelingt ihm auch auf dem gebiet der harmonik: Tallis’<br />
Melodie steht in einer der alten Kirchen<strong>to</strong>narten, nämlich der phrygischen,<br />
und Vaughan Williams entwickelte daraus für sein Werk eine konsequent<br />
modale (d.h. dur-moll-geprägte) harmonik – ein damals unerhörtes Vorgehen.<br />
Nun musste zwar das System der Kirchen<strong>to</strong>narten in der Kunstmusik<br />
schon um 1600 dem modernen Dur-Moll-System weichen, doch in der<br />
Volksmusik der britischen inseln ist es bis heute lebendig. Deshalb klang<br />
Vaughan Williams’ Musik in den Ohren seiner Zeitgenossen modern und<br />
vertraut zugleich. Oder, wie es der Musikkritiker fuller Maitland nach der<br />
Uraufführung formulierte: »Von anfang bis ende ist man nie ganz sicher, ob<br />
man etwas ganz altes oder etwas ganz Neues hört.«<br />
jürgen ostmann<br />
Am 17. Juni 1976 spielte die <strong>Staatskapelle</strong> die DDR-Erstaufführung der<br />
»Tallis-Fantasie« unter der Leitung von Lawrence Foster im Dresdner Kulturpalast.<br />
BeDeutenDer Britischer symPhoniKer:<br />
ralPh vaughan williams (um 1920)<br />
8 9 7. SYMPHONIEKONZERT