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1 Regionalentwicklung der Oberlausitz Chancen und ... - IHI Zittau

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<strong>Regionalentwicklung</strong> <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong><br />

<strong>Chancen</strong> <strong>und</strong> Perspektiven<br />

1


2<br />

Neues Lausitzisches Magazin Beiheft 5<br />

Beiträge <strong>der</strong> Herbsttagung 2006<br />

„<strong>Regionalentwicklung</strong> <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> – <strong>Chancen</strong> <strong>und</strong> Perspektiven“<br />

<strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong>ischen Gesellschaft <strong>der</strong> Wissenschaften<br />

in Verbindung mit <strong>der</strong> Friedrich-Ebert-Stiftung, Büro Dresden,<br />

Sächsisches Staatsministerium des Innern<br />

in <strong>der</strong> Hochschule <strong>der</strong> Sächsischen Polizei (FH) in Rothenburg/OL<br />

(15. bis 17. September 2006)


<strong>Regionalentwicklung</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong><br />

<strong>Chancen</strong> <strong>und</strong> Perspektiven<br />

Herausgegeben im Auftrag<br />

<strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong>ischen Gesellschaft <strong>der</strong> Wissenschaften<br />

von<br />

WOLFGANG GEIERHOS<br />

unter Mitarbeit von<br />

LARS-ARNE DANNENBERG<br />

2007<br />

VERLAG GUNTER OETTEL<br />

GÖRLITZ – ZITTAU<br />

3


4<br />

Das Projekt wird vom Regionalmanagement Lausitz begleitet <strong>und</strong> aus Mitteln<br />

<strong>der</strong> GA „Verbesserung <strong>der</strong> regionalen Wirtschaftsstruktur“<br />

durch das Sächsische Staatsministerium für Wirtschaft <strong>und</strong> Arbeit fi nanziert.<br />

Gedruckt mit fre<strong>und</strong>licher Unterstützung <strong>der</strong> Marketing-Gesellschaft<br />

<strong>Oberlausitz</strong>-Nie<strong>der</strong>schlesien<br />

© Verlag Gunter Oettel 2007. Alle Rechte vorbehalten. Ohne schriftliche Ge neh mi gung des<br />

Verlages ist es nicht gestattet, das Werk unter Ver wen dung me cha ni scher <strong>und</strong> an<strong>der</strong>er Systeme in<br />

ir gend ei ner Weise zu verarbeiten <strong>und</strong> zu verbreiten. Insbeson<strong>der</strong>e vor be hal ten sind die Rechte <strong>der</strong><br />

Vervielfältigung – auch von Teilen des Werkes – auf photomechanischem o<strong>der</strong> ähn li chem Wege, <strong>der</strong><br />

ton tech ni schen Wie<strong>der</strong>gabe, des Vortrags, <strong>der</strong> Funk- <strong>und</strong> Fernsehsendung, <strong>der</strong> Speicherung in Da-<br />

ten ver ar bei tungs an la gen, <strong>der</strong> Übersetzung <strong>und</strong> <strong>der</strong> li te ra ri schen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>weitigen Be ar bei tung.<br />

Herausgeber: Wolfgang Geierhos <strong>und</strong> Lars-Arne Dannenberg im Auftrag <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong>ischen<br />

Gesellschaft <strong>der</strong> Wissenschaften<br />

Redaktion: Lars-Arne Dannenberg, Wolfgang Geierhos<br />

(Für den Inhalt <strong>der</strong> Beiträge zeichnen die Autoren verantwortlich.)<br />

Verlag Gunter Oettel Görlitz – <strong>Zittau</strong><br />

Herstellung: Graphische Werkstätten <strong>Zittau</strong> GmbH<br />

Printed in Germany<br />

ISBN 978-3-938583-19-7


Inhaltsverzeichnis<br />

Vorwort <strong>der</strong> Herausgeber ................................................................................................... 7<br />

JÜRGEN STAUPE<br />

Region <strong>und</strong> Globalisierung. Zielvorstellungen für die <strong>Oberlausitz</strong> ............................ 9<br />

I Bestandsaufnahme <strong>und</strong> Erkenntnisse<br />

CHRISTOPH HABERMANN<br />

Die Wirtschaftsentwicklung in Sachsen. Erfolge <strong>und</strong> Probleme ................................. 16<br />

PETER HEINRICH<br />

Die Planungsregion <strong>Oberlausitz</strong>-Nie<strong>der</strong>schlesien<br />

Rückblick auf 15 Jahre Entwicklung <strong>und</strong> Ausblick ....................................................... 24<br />

ANDREAS SCHAAF<br />

Ergebnisse <strong>und</strong> Vorhaben des Oberzentralen Städteverb<strong>und</strong>es<br />

Bautzen – Görlitz – Hoyerswerda ..................................................................................... 36<br />

WILFRIED ROSENBERG<br />

Wirtschaft <strong>und</strong> Gewerbe in <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> ................................................................... 42<br />

GISELA THIELE<br />

Die demographische Entwicklung <strong>der</strong> Region <strong>und</strong> Görlitz<br />

als wohnenswerter Standort für ältere Menschen – eine Herausfor<strong>der</strong>ung ............... 47<br />

II Regionalisierung <strong>und</strong> europäische Zusammenarbeit<br />

KATJA FRIEDRICH<br />

Trialog als Vision für das kleine Dreieck <strong>Zittau</strong>–Hrádek–Bogatynia .......................... 54<br />

FRANCISZEK ADAMCZUK / DANUTA STRAHL<br />

Entwicklung <strong>und</strong> wirtschaftliche Zusammenarbeit<br />

Nie<strong>der</strong>schlesiens <strong>und</strong> Sachsens .......................................................................................... 62<br />

NIKLAS PERZI<br />

Die Waldviertel Akademie als Impulszentrum für die Zusammenarbeit<br />

zwischen Nie<strong>der</strong>österreich, Südböhmen <strong>und</strong> Südmähren ........................................... 78<br />

5


6<br />

III Visionen – Regionale Vorausschau<br />

HOLM GROSSE<br />

Die <strong>Oberlausitz</strong>: ein Modell für partnerschaftliches Regionalmarketing<br />

von Unternehmen, Kommunen <strong>und</strong> Region ................................................................. 85<br />

WOLFGANG GERSTLBERGER<br />

Regionales Innovationssystem <strong>Oberlausitz</strong>: Quo vadis? ............................................... 94<br />

ECKEHARD BINAS<br />

Theoretische Anmerkungen zu Problemen <strong>der</strong> Modellierung<br />

<strong>und</strong> Operationalisierung im Anfor<strong>der</strong>ungs- <strong>und</strong> Erwartungsspektrum<br />

<strong>der</strong> Regionalforschung ........................................................................................................ 106<br />

ALBERT LÖHR<br />

Zusammenfassung <strong>der</strong> Impulse aus Administration, Wirtschaft,<br />

Kultur <strong>und</strong> Wissenschaft .................................................................................................... 119<br />

Autorenverzeichnis .............................................................................................................. 136


Vorwort 7<br />

Vorwort <strong>der</strong> Herausgeber<br />

Die Regionen rücken ins Zentrum. Das gilt nicht nur für die „Metropolregionen“, das<br />

gilt auch für Regionen in scheinbarer Randlage. Für die <strong>Oberlausitz</strong> ist diese Entwicklung<br />

in zweifacher Hinsicht von Bedeutung: Auf <strong>der</strong> einen Seite stiftet sie als Folge <strong>der</strong><br />

Globalisierung, die Verlust an vertrauter Sicherheit bedeutet, Identität <strong>und</strong> Überschaubarkeit<br />

auf einer historisch gewachsenen Gr<strong>und</strong>lage, auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite ist sie durch<br />

den Beitritt Polens <strong>und</strong> Tschechiens zur Europäischen Union zum 1. Mai 2004 aus ihrer<br />

vormaligen Randlage im Osten Sachsens nun selbst ins Zentrum des wie<strong>der</strong> zusammen<br />

wachsenden Europa gerückt. Die Mitte liegt nun ostwärts, formulierte Karl Schlögel zu<br />

Recht, <strong>und</strong> das bedeutet Rückgewinnung von Komplexität <strong>und</strong> Weitläufi gkeit.<br />

Die <strong>Oberlausitz</strong> muss nun ihre neu gewonnene privilegierte Lage als strategische<br />

Chance erkennen <strong>und</strong> nutzen. Diese <strong>Chancen</strong> <strong>und</strong> Perspektiven auszuloten versuchte<br />

die Konferenz, die die <strong>Oberlausitz</strong>ische Gesellschaft <strong>der</strong> Wissenschaften mit <strong>der</strong> Friedrich-Ebert-Stiftung<br />

<strong>und</strong> dem Sächsischen Staatsministerium des Innern im September<br />

2006 an <strong>der</strong> Hochschule <strong>der</strong> Sächsischen Polizei in Rothenburg/OL veranstaltete.<br />

Natürlich steht an erster Stelle eine Bestandsaufnahme <strong>der</strong> regionalen Kooperation<br />

<strong>und</strong> staatlichen Planung. Es folgen Darstellungen <strong>und</strong> Ergebnisse <strong>der</strong> regionalen Kooperation<br />

im europäischen Rahmen. Und unter dem Aspekt <strong>der</strong> Visionen <strong>und</strong> regionalen<br />

Vorausschau wird versucht, die <strong>Chancen</strong> für die Entwicklung <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> auszuloten.<br />

Dabei wird die <strong>Oberlausitz</strong> als Modell für partnerschaftliches Regionalmarketing vorgestellt<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Frage nachgegangen, ob sie als „Regionales Innovationssystem“ langfristig<br />

<strong>Chancen</strong> besitzt. Die Antwort ist eindeutig: Die Perspektiven <strong>und</strong> <strong>Chancen</strong> <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong><br />

liegen in <strong>der</strong> Zusammenarbeit mit den Nachbarregionen in Polen <strong>und</strong> Tschechien.<br />

Man kann es auch umgekehrt formulieren: Wird die starke Dynamik <strong>der</strong> benachbarten<br />

Wirtschaftsregionen Wrocław <strong>und</strong> Liberec nicht erkannt <strong>und</strong> für die Entwicklung einer<br />

eigenen Dynamik genutzt, ergeben sich in <strong>der</strong> Zukunft gravierende Entwicklungsprobleme.<br />

An<strong>der</strong>erseits kann die Vision des „gemeinsamen Europäischen Forschungsraumes“<br />

in <strong>der</strong> trilateralen Kooperation <strong>der</strong> wissenschaftlichen Einrichtungen umgesetzt werden.<br />

Diese grenzüberschreitenden Netzwerke für den Wissens- <strong>und</strong> Technologietransfer können<br />

durch Aus- <strong>und</strong> Fortbildungspartnerschaften <strong>und</strong> län<strong>der</strong>übergreifende Initiativen<br />

für Existenzgründungen <strong>und</strong> Finanzierungskooperationen fl ankiert werden.<br />

Regionale Vorausschau aber braucht ein Instrument, um einerseits optimal planen<br />

<strong>und</strong> Fehler frühzeitig erkennen zu können, an<strong>der</strong>erseits stellt die Modellierung von<br />

<strong>Regionalentwicklung</strong> selbst einen Innovationsschritt dar, von dem aus Impulse für Forschung<br />

<strong>und</strong> Existenzgründung ausgehen können.


8 Vorwort<br />

Um diese Ziele für eine positive Entwicklung <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> anzusteuern an <strong>der</strong><br />

Schnittstelle <strong>der</strong> Kulturen im neuen Europa, ist kulturelle Offenheit Voraussetzung.<br />

Deshalb kommt den Bildungseinrichtungen eine wichtige Rolle zu. Das beginnt mit <strong>der</strong><br />

Sprachausbildung, führt zum Interesse am Nachbarn <strong>und</strong> zum Begreifen <strong>der</strong> gemeinsamen<br />

europäischen Geschichte. Nur dadurch kann sich eine Vertrauenskultur entwickeln<br />

– die Gr<strong>und</strong>lage für wissenschaftliche <strong>und</strong> wirtschaftliche Zusammenarbeit. Die Ansätze<br />

dazu sind vorhanden, insofern besteht Gr<strong>und</strong> zum Optimismus..<br />

Die Herausgeber danken allen, die sich an <strong>der</strong> Konferenz durch ihre Vorträge beteiligt<br />

haben; lei<strong>der</strong> gingen nach <strong>der</strong> power-point-presentation nicht alle in Textform<br />

ein, so dass einige Beiträge <strong>der</strong> Konferenz hier nicht erscheinen. Beson<strong>der</strong>er Dank gilt<br />

Christoph Wielepp, dem Leiter des Dresden-Büros <strong>der</strong> Friedrich-Ebert-Stiftung, <strong>der</strong> die<br />

Konferenz maßgeblich fi nanzierte, Herrn Ministerialrat Dr. Edgar Trawnicek, Sächsisches<br />

Staatsministerium des Innern, mit dem das Projekt nach <strong>der</strong> Rothenburger Deklaration<br />

von 2004 von Anfang an diskutiert wurde, <strong>und</strong> Herrn Dr. Holm Große, Leiter<br />

<strong>der</strong> Marketing-Gesellschaft <strong>Oberlausitz</strong>-Nie<strong>der</strong>schlesien mbH für die Unterstützung <strong>der</strong><br />

Drucklegung.<br />

Die <strong>Oberlausitz</strong>ische Gesellschaft <strong>der</strong> Wissenschaften setzt das Forschungsprojekt <strong>der</strong><br />

<strong>Regionalentwicklung</strong> gemeinsam mit den Hochschulen <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> fort.<br />

Wolfgang Geierhos <strong>und</strong> Lars-Arne Dannenberg


Region <strong>und</strong> Globalisierung 9<br />

Region <strong>und</strong> Globalisierung<br />

Zielvorstellungen für die <strong>Oberlausitz</strong><br />

JÜRGEN STAUPE<br />

1. Einleitung<br />

Vor zwei Jahren fand in <strong>der</strong> Hochschule <strong>der</strong> sächsischen Polizei in Rothenburg anlässlich<br />

<strong>der</strong> Erweiterung <strong>der</strong> Europäischen Union schon eine vom Sächsischen Staatsministerium<br />

des Innern organisierte Veranstaltung über die grenzüberschreitende <strong>Regionalentwicklung</strong><br />

statt, die in die „Rothenburger Erklärung“ mündete.<br />

In dieser wurde die Bedeutung <strong>der</strong> grenzüberschreitenden Zusammenarbeit auf dem<br />

Gebiet <strong>der</strong> Raumentwicklung zum Nutzen für die Menschen im gemeinsamen Grenzraum<br />

unterstrichen. Auf Initiative <strong>der</strong> sächsischen Landesplanung wurden in Rothenburg<br />

die Sächsisch-Böhmische <strong>und</strong> die Sächsisch-Nie<strong>der</strong>schlesisch-Lebuser Arbeitsgruppe<br />

Raumentwicklung etabliert. Ziel dieser Arbeitsgruppen ist es, durch den Austausch<br />

von Informationen <strong>und</strong> die Benennung von räumlichen Problemen im Grenzraum die<br />

grenzüberschreitende Zusammenarbeit auf dem Gebiet <strong>der</strong> Raumentwicklung zu stärken<br />

<strong>und</strong> zu intensivieren.<br />

Die Verbesserung <strong>der</strong> grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit den sächsischen<br />

Nachbarn Polen <strong>und</strong> Tschechien, bedingt auch durch die geographische Lage des<br />

Freistaates, ist ein beson<strong>der</strong>es Anliegen <strong>der</strong> Sächsischen Staatsregierung, was auch im<br />

aktuellen Landesentwicklungsplan festgehalten worden ist. Die Ziele <strong>der</strong> Raumentwicklungspolitik<br />

auf dem Gebiet <strong>der</strong> grenzüberschreitenden Zusammenarbeit sind darauf<br />

ausgerichtet, die Gebiete bei<strong>der</strong>seits <strong>der</strong> Grenze als zusammenwachsende Regionen zu<br />

entwickeln, ohne dabei die Eigenart <strong>und</strong> die kulturelle Vielfalt je<strong>der</strong> einzelnen Region<br />

außer Acht zu lassen.<br />

Auf dieser Gr<strong>und</strong>lage unterstützt das Sächsische Staatsministerium des Innern in<br />

vielfältiger Art <strong>und</strong> Weise die Bemühungen zur Entwicklung <strong>der</strong> sächsischen Lausitz.<br />

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien die aus unserer Sicht positiven Entwicklungen<br />

in Teilregionen wie<br />

• dem „Lausitzer Seenland“,<br />

• dem trinationalen „Umgebindeland“<br />

• <strong>und</strong> dem „Kleinen Dreieck“ (<strong>Zittau</strong> – Bogatynia – Hrádek nad Nisou) zu nennen.<br />

Alles Vorhaben, die gemeinsam in <strong>der</strong> Region mit den Nachbarn geplant, umgesetzt <strong>und</strong><br />

genutzt wurden <strong>und</strong> die positive Auswirkungen auf die Entwicklung <strong>der</strong> gesamten Region<br />

haben. Erst kürzlich hatte das Sächsische Staatsministerium des Innern in Niesky im Rahmen<br />

<strong>der</strong> Regionalkonferenz „Zukunft gestalten“ eine Zwischenbilanz des Modellvorhabens


10 Jürgen Staupe<br />

zum Demographischen Wandel in <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> gezogen. Adressaten waren dabei in erster<br />

Linie die kommunalpolitischen Entscheidungsträger. Die Herausfor<strong>der</strong>ungen des Demographischen<br />

Wandels sind ein europäisches Problem <strong>und</strong> eng verknüpft mit <strong>der</strong> Globalisierung.<br />

Um diese Herausfor<strong>der</strong>ungen – <strong>und</strong> jetzt formuliere ich auch gleich eine wichtige Zielvorstellung<br />

für die <strong>Oberlausitz</strong> – in einer Region gemeinsam zu bewältigen, bedarf es auch etlicher<br />

gemeinsamer <strong>und</strong> zum Teil grenzüberschreiten<strong>der</strong> Zielfi ndungsdiskussionen. Dabei spielen<br />

die unterschiedlichen Blickwinkel eine wichtige Rolle <strong>und</strong> so freue ich mich, dass auf dieser<br />

Veranstaltung auch Gäste aus Polen <strong>und</strong> Tschechien vertreten sind. Der kritische Blick, insbeson<strong>der</strong>e<br />

<strong>der</strong> Wissenschaft, erscheint mir als eine wichtige Ergänzung zur Betrachtungsweise<br />

von Politik, Wirtschaft <strong>und</strong> Verwaltung. Zwar sind diese Akteure innerhalb ihrer Grenzen<br />

auch zu Visionen fähig, aber die Wissenschaft genießt das Privileg, dass ihr deutlich weniger<br />

Fesseln angelegt sind, wenn es darum geht, die Gegenwart vorurteilsfrei zu analysieren <strong>und</strong><br />

ein breites Spektrum an Lösungen für die Zukunft <strong>der</strong> Region anzubieten.<br />

Die bisherigen positiven Ansätze bei <strong>der</strong> wirtschaftlichen Entwicklung <strong>und</strong> verschiedene<br />

Lösungsansätze werden im Rahmen <strong>der</strong> Veranstaltung noch Gegenstand <strong>der</strong> Vorträge sein,<br />

diesen möchte ich nicht vorgreifen. Betrachtet man die <strong>Oberlausitz</strong> wie sie im Hinblick auf<br />

die Herausfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Globalisierung aufgestellt ist, so sieht man Realitäten, denen<br />

man sich nicht verschließen kann. Dazu gehört in erster Linie <strong>der</strong> Bevölkerungsverlust, <strong>der</strong><br />

seine Gründe sowohl in <strong>der</strong> natürlichen Bevölkerungsbewegung, d. h. dem Geburtendefi zit,<br />

als auch in <strong>der</strong> Abwan<strong>der</strong>ung hat. Die Abwan<strong>der</strong>ung <strong>und</strong> zum Teil wohl auch <strong>der</strong> Geburtenrückgang<br />

– wenn man über Letzteres auch nur spekulieren kann – sind eng verknüpft<br />

mit dem tief greifenden wirtschaftlichen Wandel in den 90er Jahren. Einstmals einer Vielzahl<br />

von Bürgern Lohn <strong>und</strong> Brot gebende Industriezweige erwiesen sich unter Marktbedingungen<br />

als nicht mehr konkurrenzfähig <strong>und</strong> stellten ihre Produktion ein. Mit den fehlenden<br />

Arbeitsmöglichkeiten verließen viele, die <strong>der</strong> Arbeit wegen in die Lausitz gekommen waren,<br />

wie<strong>der</strong> die Region. Seit 1990 sank die Bevölkerung um 20 Prozent von gut 750.000 auf heute<br />

650.000 Einwohner. Bis 2020 wird ein weiterer Bevölkerungsrückgang um etwa 110.000 Bewohner<br />

bzw. 18 Prozent prognostiziert. Das ist in nur 30 Jahren ein Bevölkerungsrückgang<br />

um ca. 28 Prozent. Der Bevölkerungsrückgang wurde seit 1990 – <strong>und</strong> hier vor allem Anfang<br />

<strong>der</strong> 90er Jahre – vorwiegend durch Abwan<strong>der</strong>ungen verursacht. Dieser Trend konnte zwar in<br />

den letzten Jahren gestoppt werden – so war sachsenweit im Jahr 2005 nur noch ein Viertel<br />

<strong>der</strong> Bevölkerungsverluste auf die Abwan<strong>der</strong>ung zurückzuführen, aber nach wie vor trifft die<br />

Abwan<strong>der</strong>ung die Region hart, da sie selektiv verläuft, d. h., es sind vor allem junge, gut ausgebildete<br />

Menschen, darunter viele Frauen, die die Region verlassen. Die Abwan<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

Frauen wie<strong>der</strong>um wirkt sich nachhaltig negativ auf die künftigen Geburtenraten aus.<br />

Natürlich stellen sich hier Fragen. Gibt es nicht auch Gegentrends? Nimmt die Bevölkerung<br />

Dresdens nicht zu? Ist auch in Görlitz <strong>der</strong> Abwärtstrend nicht schon gestoppt?<br />

Stimmen die Hochrechnungen eigentlich? Sind nicht auch an<strong>der</strong>e Län<strong>der</strong> von diesen<br />

Trends betroffen, auch Polen <strong>und</strong> die Tschechische Republik? D. h., <strong>der</strong> verantwortliche<br />

Politiker muss sich die Frage stellen, wie abgesichert die negativen Hochrechnungen<br />

sind, mit denen er konfrontiert wird. Zu voreilig könnten falsche Schlüsse gezogen<br />

werden. Vor allem gibt es die sich selbst erfüllende Prophezeiung, d. h., man redet das<br />

herbei, was man eigentlich verhin<strong>der</strong>n wollte. Fakt aber ist, wir mögen zwar <strong>der</strong> Abwan<strong>der</strong>ung<br />

entgegensteuern können, aber selbst wenn Maßnahmen <strong>der</strong> Familienpolitik in


Region <strong>und</strong> Globalisierung 11<br />

<strong>der</strong> nächsten Zukunft zu unverhofftem Kin<strong>der</strong>segen führen sollten, wird dies erst frühestens<br />

in 20, 30 Jahren den Trend <strong>der</strong> Überalterung <strong>der</strong> Gesellschaft stoppen können.<br />

Zum Thema <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> sind in den vergangen Jahren nicht nur<br />

zahlreiche Konferenzen durchgeführt, son<strong>der</strong>n auch eine Reihe von Studien angefertigt<br />

worden, die wertvolle Impulse gegeben haben. Die Bedeutung <strong>der</strong> Regionsbildung im<br />

Zeitalter zunehmen<strong>der</strong> Globalisierung zu betrachten <strong>und</strong> dabei auch Rückschlüsse für<br />

die künftige Entwicklung in <strong>der</strong> (Ober-)Lausitz zu ziehen, soll <strong>der</strong> Gegenstand meiner<br />

nun folgenden Ausführungen sein.<br />

2. Region <strong>und</strong> Globalisierung<br />

Das Spannungsfeld zwischen Regionalisierung <strong>und</strong> Globalisierung, die wirtschaftlichen,<br />

sozialen <strong>und</strong> ökologischen Probleme <strong>der</strong> fortschreitenden Globalisierung <strong>und</strong> die Rolle<br />

<strong>der</strong> Regionen in diesem Prozess; all dies hat schon Heerscharen von Wissenschaftlern<br />

<strong>und</strong> Politikern veranlasst, zu diesem Thema zu diskutieren. Kein Begriff <strong>der</strong> politischen<br />

Geographie ist <strong>der</strong>zeit so in aller M<strong>und</strong>e wie <strong>der</strong> <strong>der</strong> Region <strong>und</strong> kein Begriff ist zugleich<br />

so unklar. Ich will dennoch versuchen, im Kontext Ihrer Veranstaltung <strong>und</strong> aus Sicht<br />

des Sächsischen Staatsministeriums des Innern das Thema aufzugreifen.<br />

2.1 Die Region als Raumeinheit <strong>und</strong> Handlungsebene<br />

Die Regionen kommen im Staatsaufbau <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland nicht vor. Der<br />

Begriff <strong>der</strong> Region ist we<strong>der</strong> administrativ noch parlamentarisch/demokratisch untersetzt,<br />

<strong>und</strong> er ist unserem Verfassungsrecht fremd. Der Begriff „Region“ kommt aus dem<br />

Lateinischen, von „regio“. Aber schon bei den alten Römern war <strong>der</strong> Begriff unscharf.<br />

Als „regio“ wurden sowohl Landschaften <strong>und</strong> Landstriche als auch die Glie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

Stadt Rom „in 14 regiones“, d. h. vierzehn Stadtviertel verstanden.<br />

Der Begriff <strong>der</strong> Region im heutigen Verständnis <strong>der</strong> politischen Geographie <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Regionalpolitik ist angesiedelt zwischen <strong>der</strong> Sicht auf das Lokale, respektive auf kommunale<br />

Probleme <strong>und</strong> <strong>der</strong> Sicht auf das Globale, auf die weltweiten Zusammenhänge. Letztere<br />

scheinen für den Einzelnen oft unüberschaubar <strong>und</strong> nahezu bedrohlich. Ersteres,<br />

das Lokale, ist zwar vertraut, aber oft zu eng um die anstehenden Probleme zu lösen.<br />

Die Region als Brücke zwischen dem Lokalen <strong>und</strong> dem Globalen scheint als Ebene<br />

geeignet, in <strong>der</strong> sich <strong>der</strong> Einzelne zu Hause fühlt <strong>und</strong> gleichzeitig Weltbürger ist. Einig<br />

ist man sich im Verständnis, dass unter Region ein Gebiet verstanden wird, das durch<br />

Geschichte, Naturraum, Symbole, Verfl echtungen, Netzwerke, Institutionen, Medien,<br />

Problemsituationen <strong>und</strong>/o<strong>der</strong> Entwicklungsziele u. a. als, wenn auch unbewusst <strong>und</strong><br />

unrefl ektiert, zusammengehörig erfahren wird. Dazu bedarf es auch subjektiver Empfi ndungen,<br />

eben einer Identifi kation mit dem Raum, in dem ich lebe. Auch Heimatgefühl<br />

hat in diesem Zusammenhang einen Wert. „Region ist das, wozu ich mich zugehörig<br />

fühle.“ Diese Identifi kation wird nicht durch die Abgrenzung von Regionen erreicht.<br />

Sie wird erreicht durch gemeinsames zukunftsorientiertes Handeln in zusammenhängenden,<br />

für den Einzelnen vorstellbaren Räumen.


12 Jürgen Staupe<br />

2.2 Räumliche Wirkungen <strong>der</strong> Globalisierung<br />

Der Begriff Globalisierung wird vorwiegend zur Beschreibung von Problemen <strong>und</strong> Aspekten<br />

weltweiter wirtschaftlicher Aktivitäten verwendet. Technologischer Fortschritt hat<br />

die nationalen Grenzen für die Wirtschaftstätigkeit durchlässiger gemacht. Eine Vielzahl<br />

von Gründen hat den Prozess <strong>der</strong> Globalisierung seit Mitte <strong>der</strong> 80er Jahre verstärkt. Diese<br />

weltumspannenden Prozesse sprengen naturgemäß den regionalen Rahmen. Sie lassen<br />

regionale Aktivitäten scheinbar in den Hintergr<strong>und</strong> treten. „Hauptansprechpartner“ <strong>und</strong><br />

„Schnittstellen“ <strong>der</strong> globalen Prozesse sind vor allem die großen Metropolen. Ländlich<br />

geprägte, weniger industrialisierte Gebiete sind bisher nur im geringen Maße am Globalisierungsprozess<br />

beteiligt, wenngleich durch ihre Verfl echtungsbeziehungen zu den Verdichtungsräumen<br />

auch dort die Effekte, lei<strong>der</strong> vorwiegend die negativen <strong>der</strong> Globalisierung,<br />

spürbar sind. Zwar ist es ein Vorteil <strong>der</strong> Globalisierung, dass auch sächsische Unternehmen<br />

den globalen Markt nutzen <strong>und</strong> ihre Produkte verkaufen können, an<strong>der</strong>erseits sehen sich<br />

Unternehmer wie Arbeitnehmer <strong>der</strong> globalen Konkurrenz ausgesetzt. Und diese Situation<br />

ist schon im Einkommensgefälle zwischen Sachsen, Tschechien <strong>und</strong> Polen spürbar. Es ist<br />

inzwischen allen Beteiligten klar geworden, dass die in Deutschland, in Ost wie West, in<br />

<strong>der</strong> Nachkriegszeit erworbenen sozialen Standards nicht mehr zu halten sind. Der Kampf<br />

um eine Ges<strong>und</strong>heitsreform, die Suche nach neuer Sicherheit für die Renten, die Hartz-<br />

Debatten sind die Schauplätze, auf denen die Globalisierungsfolgen ausgetragen werden.<br />

Viel spricht dafür, dass die sog. strukturschwachen Regionen durch fortschreitende<br />

Globalisierung nicht profi tieren werden, son<strong>der</strong>n Gefahr laufen, gegenüber den Wachstumspolen<br />

weiter zurückzufallen. Diese Gefahr besteht auch für die <strong>Oberlausitz</strong>, wenn<br />

dem nicht erfolgreich entgegengesteuert wird.<br />

Im Zuge <strong>der</strong> Globalisierung nimmt nicht nur die Konkurrenz zwischen Wachstumspolen<br />

<strong>und</strong> strukturschwachen Gebieten zu, son<strong>der</strong>n auch die nationale <strong>und</strong> die internationale<br />

Konkurrenz zwischen den großen Wirtschaftsräumen. Diesen Konkurrenzkampf<br />

werden die Metropolen ohne ihr Umland, ohne ihre Regionen nicht bestehen können.<br />

2.3. Stärkung <strong>der</strong> regionalen Kompetenzen<br />

Erst kürzlich hat die Europäische Kommission einen ersten Entwurf für eine Territoriale<br />

Agenda <strong>der</strong> Europäischen Union vorgelegt. Ausgangspunkt sind dabei die zweifelsohne<br />

bestehenden räumlichen Disparitäten in Europa, aber auch die Tatsache, dass letztlich<br />

jede Region auch ein spezifi sches räumliches Kapital hat, das es zu erkennen, zu aktivieren<br />

<strong>und</strong> zu nutzen gilt. Will die Europäische Union, so wie sie es mit <strong>der</strong> Lissabon-Strategie<br />

ambitioniert formuliert hat, zum dynamischsten Wirtschaftsraum <strong>der</strong> Welt avancieren,<br />

so wird man nicht umhin kommen, neben den Metropolregionen auch die bisher<br />

weniger entwickelten Räume zu stärken. Die Europäische Kommission betont deshalb<br />

in ihrer Territorialen Agenda auch die Bedeutung regionaler Entwicklungskonzepte, die<br />

dort, wo es erfor<strong>der</strong>lich ist, auch grenzüberschreitend entwickelt werden sollten.<br />

Eine Betonung <strong>der</strong> regionalen Kompetenzen fi ndet sich auch in den kürzlich verabschiedeten<br />

Leitbil<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Ministerkonferenz für Raumordnung wie<strong>der</strong>. Das Leitbild „Wachstum


Region <strong>und</strong> Globalisierung 13<br />

<strong>und</strong> Innovation“ zielt auf eine verbesserte Selbstaufstellung <strong>und</strong> Kooperation <strong>der</strong> Regionen<br />

<strong>und</strong> erfasst dabei alle Räume, sowohl die engeren, als auch die weiteren metropolitanen<br />

Verfl echtungsräume einschließlich <strong>der</strong> ländlichen Räume. Die Stärkung <strong>der</strong> regionalen Kompetenzen<br />

ist dementsprechend ein wesentliches Element <strong>der</strong> Landesentwicklung in Sachsen.<br />

Anliegen ist es, die Regionen fi t zu machen für den regionalen <strong>und</strong> globalen Wettbewerb.<br />

Ein gutes Beispiel ist die EU-Gemeinschaftsinitiative INTERREG, die seit 1994 zur Intensivierung<br />

<strong>der</strong> nachbarschaftlichen Beziehungen beiträgt. Mit den aktuellen Programmen<br />

INTERREG III A Freistaat Sachsen – Tschechische Republik <strong>und</strong> Freistaat Sachsen<br />

– Republik Polen (Woiwodschaft Nie<strong>der</strong>schlesien) wurde eine gute Gr<strong>und</strong>lage für die<br />

grenzüberschreitende Zusammenarbeit für den Zeitraum 2000 bis 2006 geschaffen, um<br />

den Grenzraum zu einem gemeinsamen zukunftsfähigen Wirtschafts- <strong>und</strong> Lebensraum<br />

zu entwickeln, die Wettbewerbsfähigkeit des Grenzraumes im europäischen Kontext zu<br />

steigern <strong>und</strong> die Lebensbedingungen <strong>der</strong> Menschen nachhaltig zu verbessern.<br />

Insgesamt lässt sich feststellen, dass das übergeordnete Ziel einer verbesserten grenzüberschreitenden<br />

Entwicklung <strong>und</strong> Stärkung <strong>der</strong> Grenzräume mit <strong>der</strong> Durchführung<br />

<strong>der</strong> geför<strong>der</strong>ten Vorhaben in beson<strong>der</strong>em Maße unterstützt wird. Für die Region <strong>Oberlausitz</strong><br />

möchte ich den trilateralen Städteverb<strong>und</strong> „Kleines Dreieck“ beson<strong>der</strong>s hervorheben,<br />

<strong>der</strong> auch von meinem Haus fachlich <strong>und</strong> fi nanziell unterstützt wurde, dem die<br />

Städte <strong>Zittau</strong>, Bogatynia (Reichenau) <strong>und</strong> Hrádek nad Nisou (Grottau) angehören. Im<br />

Zeitraum 2002–2006 erfolgte die Erstellung des grenzüberschreitenden Regionalen Entwicklungskonzeptes<br />

„Kleines Dreieck“ <strong>und</strong> die Umsetzung einer Vielzahl von Projekten<br />

zur Vertiefung <strong>der</strong> trilateralen Zusammenarbeit. Die bisher erfolgreich durchgeführten<br />

Projekte stärken den Willen zur weiteren Zusammenarbeit <strong>und</strong> veranlassen den Städteverb<strong>und</strong>,<br />

weitere gemeinsame Projekte durchzuführen bzw. sich an solchen zu beteiligen,<br />

die für die gemeinsamen Interessen von Bedeutung sind, wie z. B. das Bilaterale<br />

Wohnraumentwicklungskonzept <strong>Zittau</strong>–Bogatynia, die Machbarkeitsstudie Städtenetz<br />

<strong>der</strong> Wissenschaft in <strong>der</strong> Euroregion Neiße o<strong>der</strong> grenzübergreifende Schulprojekte.<br />

INTERREG III A fi ndet in <strong>der</strong> För<strong>der</strong>periode 2007–2013 seine Fortsetzung als eigenständiges<br />

Ziel „Europäische Territoriale Zusammenarbeit – grenzübergreifende Zusammenarbeit“<br />

(Ziel 3). Die Programmierung wird von dem Ziel geprägt sein, die sozioökonomische<br />

Situation im Grenzraum bei <strong>der</strong> Festlegung <strong>der</strong> För<strong>der</strong>inhalte (z. B. Verstärkung <strong>der</strong><br />

Sprachkompetenz, Ausbau grenzübergreifen<strong>der</strong> Infrastruktur) zu verbessern. Bitte helfen<br />

Sie mit, dieses Instrument zum Wohle Ihrer Region einzusetzen. Der Freistaat kann mittels<br />

<strong>der</strong> Instrumente <strong>der</strong> För<strong>der</strong>politik <strong>und</strong> Gesetzgebung die Rahmenbedingungen setzen,<br />

durch einzelne Projekte <strong>und</strong> Modellvorhaben Anstöße geben, während die Visionen <strong>und</strong><br />

konkreten Lösungen in <strong>der</strong> Region zu entwickeln sind. Diese konkreten Lösungen dürften<br />

in Zukunft im Wesentlichen von <strong>der</strong> Fähigkeit zur regionalen Kooperation abhängig sein.<br />

2.4 Regionale Kooperation<br />

Angesichts <strong>der</strong> Globalisierung <strong>und</strong> des demographischen Wandels wird sich die Dynamik<br />

öffentlicher Aufgaben zukünftig so beschleunigen, dass es nicht möglich sein wird, den<br />

administrativen Zuschnitt <strong>der</strong> Gebietskörperschaften ständig in idealer Weise an den Auf-


14 Jürgen Staupe<br />

gabenerfüllungsraum anzupassen. Auch eine ggf. permanente Gebietsreform würde diesen<br />

Wettlauf mit den jeweils verän<strong>der</strong>ten Aufgabenstellungen nicht gewinnen können.<br />

Zurückgehende Bevölkerung <strong>und</strong> zurückgehende fi nanzielle Ressourcen werden zu<br />

einem weiteren Rückzug des Staates führen, <strong>und</strong> schon heute stellt sich die Frage, was<br />

künftig noch als staatliche Leistung mit welchen Standards garantiert werden kann. Das<br />

Netz <strong>der</strong> öffentlichen Infrastrukturen, sowohl <strong>der</strong> technischen als auch <strong>der</strong> sozialen,<br />

wird ausgedünnt. Die einzelnen Kommunen werden weniger Leistungen bereitstellen<br />

können. In dieser Situation wäre es fatal <strong>und</strong> würde die kommunalen Spielräume erheblich<br />

einschränken, würde jede Kommune sich nur auf sich konzentrieren <strong>und</strong> den<br />

interkommunalen Wettbewerb in allen Bereichen forcieren.<br />

So ergibt sich zwangsläufi g ein kommunaler <strong>und</strong> regionaler Kooperationsbedarf.<br />

Kooperationen werden schon jetzt in vielfältiger Weise, z. B. bei <strong>der</strong> Abfallbeseitigung,<br />

beim ÖPNV, beim Rettungsdienst <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en Aufgaben verwirklicht.<br />

Hingegen ist z. B. bei <strong>der</strong> Bereitstellung von Verwaltungs- <strong>und</strong> Gemeinbedarfseinrichtungen<br />

wie Schulen, Pfl egeeinrichtungen, Krankenhäusern sowie bei Aufgaben wie<br />

Regionalmarketing, Wirtschaftsför<strong>der</strong>ung, Tourismusför<strong>der</strong>ung usw. festzustellen, dass<br />

hier die Möglichkeiten einer regionalen Kooperation <strong>der</strong> kommunalen Gebietskörperschaften<br />

noch nicht vollständig ausgeschöpft sind.<br />

Es liegt sicherlich nicht an dem gesetzlichen Instrumentarium <strong>und</strong> den rechtlichen<br />

Kooperationsinstrumenten, da sowohl öffentlich-rechtliche Organisationsformen wie<br />

Zweckverbände als auch privatrechtliche, wie GmbH o<strong>der</strong> Vereinslösungen, zur Verfügung<br />

stehen. Regionale Kooperation lässt sich aber nicht erzwingen, son<strong>der</strong>n hängt von <strong>der</strong><br />

Selbstorganisationsfähigkeit <strong>der</strong> beteiligten Akteure ab. Wenn Aufgabenräume, für die das<br />

Land zu groß <strong>und</strong> die Kommune bzw. <strong>der</strong> Landkreis zu klein sind, nicht aktiv besetzt<br />

werden, besteht die Gefahr, dass sich Entwicklungen zum Schaden <strong>der</strong> Region vollziehen.<br />

Daraus können Standortnachteile entstehen, die nur schwer wie<strong>der</strong> aufzuholen sind.<br />

Daher empfehle ich, alle Möglichkeiten regionaler Kooperation auszuschöpfen. Die<br />

Antwort auf globale Konzentration ist regionale Kooperation.<br />

3. Ausblick/Zielvorstellungen für die <strong>Oberlausitz</strong><br />

Die regional differenzierten Lösungen müssen in <strong>der</strong> Region selbst <strong>und</strong> von allen relevanten<br />

Akteuren gemeinsam gef<strong>und</strong>en werden. Eine beson<strong>der</strong>e Verantwortung tragen im<br />

Hinblick auf eine integrierte, aufeinan<strong>der</strong> abgestimmte <strong>Regionalentwicklung</strong> die Städte.<br />

So wie die EU die Metropolregionen als Motoren für die wirtschaftliche Entwicklung<br />

in Europa insgesamt einstuft, so kann man auch die größeren Städte in <strong>der</strong> Region als<br />

„Zugpferde“ für die <strong>Regionalentwicklung</strong> betrachten.<br />

Letztlich wird sich die Region im globalen Wettbewerb nur behaupten können, wenn die<br />

großen Städte miteinan<strong>der</strong> <strong>und</strong> mit ihrem Umland kooperieren, mit diesen Verantwortungsgemeinschaften<br />

bilden <strong>und</strong> ihre Stärken <strong>und</strong> Schwächen nicht gegeneinan<strong>der</strong> ausspielen.<br />

In einer global vernetzten Welt werden sich d ie Regionen am Besten behaupten<br />

können, die in ihrem Denken <strong>und</strong> Handeln regional vernetzt sind <strong>und</strong> die gemeinsamen<br />

Interessen im Fokus haben.


Region <strong>und</strong> Globalisierung 15<br />

Hierzu bedarf es eines gezielten Aufbaus tragfähiger vernetzter Diskussions- <strong>und</strong> Entscheidungsstrukturen.<br />

Die wichtigsten Körperschaften, Organisationen <strong>und</strong> Verbände<br />

sind zusammenzuführen. Mit dem Oberzentralen Städteverb<strong>und</strong> ist bereits eine entsprechende<br />

Gr<strong>und</strong>struktur vorhanden, aber mir erscheint es angesichts <strong>der</strong> Komplexität <strong>der</strong><br />

Herausfor<strong>der</strong>ungen sinnvoll, in <strong>der</strong> Region zu diskutieren, inwieweit eine noch bessere<br />

Vernetzung <strong>und</strong> Bündelung bestehen<strong>der</strong> Strukturen, sozusagen ein noch schlagkräftigeres<br />

Regionalmanagement, geschaffen werden kann, um einen umfassenden regionalen Konsens<br />

herzustellen, Aktivitäten zu bündeln <strong>und</strong> konkrete Projekte gemeinsam umzusetzen.<br />

Zugegebenermaßen ist dies keine leichte Aufgabe angesichts einer gesellschaftlichen Entscheidungspraxis,<br />

die stark von Partikularinteressen bestimmt ist. Aber es gibt in <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong><br />

wie bereits erwähnt etliche Aktivitäten <strong>und</strong> Projekte, an die es anzuknüpfen gilt.<br />

Im Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong> – sozusagen als erste Säule – ist dabei zunächst die wirtschaftliche<br />

Entwicklung zu sehen. Nach den großen strukturellen Einbrüchen Anfang <strong>der</strong> 90er Jahre<br />

gibt es wie<strong>der</strong> gute Ansätze für die wirtschaftliche Entwicklung. Automobilzulieferer<br />

haben sich in <strong>der</strong> Region etabliert, mittelständische Unternehmen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Tourismus<br />

entwickeln sich als tragfähige Wirtschaftsfaktoren, verschiedene Netzwerke <strong>und</strong> auch<br />

Kooperationen mit polnischen <strong>und</strong> tschechischen Wirtschaftspartnern bieten hier für<br />

die Zukunft gute Entwicklungsmöglichkeiten.<br />

Die zweite Säule ist die Kooperation <strong>der</strong> wissenschaftlichen Einrichtungen. 66.000<br />

Studenten <strong>und</strong> 6.500 Mitarbeiter studieren <strong>und</strong> arbeiten an den wissenschaftlichen<br />

Einrichtungen <strong>der</strong> Euroregion Neiße. Wissenschaft denkt <strong>und</strong> arbeitet von Natur aus<br />

grenzüberschreitend. Das „Städtenetz <strong>der</strong> Wissenschaft“ ist ein guter Ansatz in diese<br />

Richtung. Bildung ist letztlich unser wichtigstes Zukunftskapital, wobei ich beson<strong>der</strong>s<br />

das notwendige Zusammenspiel von Wissenschaft <strong>und</strong> Wirtschaft betonen möchte.<br />

Gerade aus <strong>der</strong> Verbindung <strong>der</strong> regionalen Forschungskapazitäten mit <strong>der</strong> ansässigen<br />

Wirtschaft können Innovationen entstehen, die Arbeitsplätze schaffen <strong>und</strong> <strong>der</strong> nachwachsenden<br />

Generation eine Zukunft geben. Und als eine dritte Säule, auf die Sie in<br />

Zukunft in <strong>der</strong> Region bauen können, erscheint mir die gemeinsame Geschichte <strong>und</strong><br />

Kultur <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> mit ihren Nachbarregionen Nordböhmen <strong>und</strong> Nie<strong>der</strong>schlesien;<br />

sie ist das Kapital, mit dem sich schon heute gut arbeiten lässt. Grenzüberschreitende<br />

Initiativen wie die via sacra, die die drei Län<strong>der</strong> verbindet, die via regia, an die in <strong>der</strong><br />

Landesausstellung 2010 in Görlitz erinnert werden wird, die schon Tradition gewordene<br />

Vergabe des Brücke-Preises in Görlitz sind eine Basis, auf <strong>der</strong> die Zusammenarbeit<br />

auch auf an<strong>der</strong>en Gebieten wachsen kann. In dem Maße, wie die Menschen aufgr<strong>und</strong><br />

ihrer gemeinsamen Geschichte <strong>und</strong> Kultur eine regionale Identität entwickeln, sind sie<br />

in <strong>der</strong> Lage, gemeinsame Interessen zu formulieren <strong>und</strong> umzusetzen. Nicht vergessen<br />

werden sollten auch die beachtlichen Möglichkeiten, die sich aus <strong>der</strong> Zugehörigkeit <strong>der</strong><br />

<strong>Oberlausitz</strong> zu einem sich insgesamt sehr dynamisch entwickelnden europäischen Wirtschaftsraum<br />

ergeben. Raumwissenschaftliche Untersuchungen gehen sogar davon aus,<br />

dass sich im östlichen erweiterten Europa <strong>der</strong>zeit ein zweiter europäischer Wirtschaftskernraum<br />

entwickelt. Der Freistaat Sachsen, aber auch die <strong>Oberlausitz</strong> werden davon<br />

erheblich profi tieren.


16 Christoph Habermann<br />

I. Bestandsaufnahme <strong>und</strong> Erkenntnisse<br />

Die Wirtschaftsentwicklung in Sachsen –<br />

Erfolge <strong>und</strong> Probleme<br />

CHRISTOPH HABERMANN<br />

1.<br />

Am 8. September 2006 hat die „Initiative neue soziale Marktwirtschaft“ – ein Propagandainstitut,<br />

das maßgeblich von den Metallarbeitgebern fi nanziert wird – ihr viertes<br />

„Wissenschaftliches B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong>ranking“ vorgelegt. Das so genannte Dynamik-Ranking<br />

vergleicht die deutschen Län<strong>der</strong> anhand von drei<strong>und</strong>dreißig ökonomischen <strong>und</strong> standortrelevanten<br />

Indikatoren. Ausschlaggebend für die Platzierungen sind Verän<strong>der</strong>ungen<br />

zwischen 2003 <strong>und</strong> 2005. Sachsen belegt nach dieser Methode Platz sechs im Dynamik-Ranking.<br />

Im vergangenen Jahr stand Sachsen auf Platz eins. Das liegt nicht an <strong>der</strong><br />

Wirklichkeit, son<strong>der</strong>n das liegt an <strong>der</strong> Methode, mit <strong>der</strong> hier gearbeitet wird. Man ist<br />

versucht, in Anlehnung an Winston Churchill zu sagen: „Traue keinem Ranking, das<br />

du nicht eigenhändig zusammengeschustert hast“. Wie abstrus hier gearbeitet wird, lässt<br />

sich an zwei Beispielen zeigen:<br />

Dem Freistaat Sachsen wird als „Schwäche“ angekreidet, dass die Investitionsquote<br />

im sächsischen Haushalt zwischen 2003 <strong>und</strong> 2005 um 3,4 Prozentpunkte gesunken sei.<br />

Tatsache ist aber, dass Sachsen in den vergangenen Jahren, in diesem Jahr <strong>und</strong> auch im<br />

kommenden Jahr die höchste Investitionsquote aller Haushalte <strong>der</strong> sechzehn Län<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland hatte bzw. haben wird.<br />

Wer Zahlen <strong>und</strong> Daten so benutzt wie die „Initiative Neue soziale Marktwirtschaft“,<br />

<strong>der</strong> müsste auch dem Deutschen Fußballmeister Bayern München 2005 <strong>und</strong> 2006<br />

nachlassende Dynamik vorwerfen, weil die Bayern sich von einem Jahr aufs an<strong>der</strong>e um<br />

keinen einzigen Platz in <strong>der</strong> Tabelle verbessert haben. Das stimmt. Sie sind nur Meister<br />

geworden <strong>und</strong> geblieben.<br />

Genauso neben <strong>der</strong> Sache liegt das Län<strong>der</strong>ranking, wenn es Sachsen als „Schwäche“<br />

angekreidet wird, dass die Arbeitnehmerentgelte je Arbeitnehmer zwischen 2003 <strong>und</strong><br />

2005 um ein Prozent gestiegen sein, im Durchschnitt aller Län<strong>der</strong> aber nur um 0,3<br />

Prozent. Diese geringen Lohnsteigerungen sind schon für sich genommen ein volkswirtschaftliches<br />

Problem.<br />

Dazu kommt, dass das Ausgangsniveau in Sachsen deutlich niedriger ist. Schwerer<br />

wiegt aber, dass für die Unternehmen ja nicht die absoluten Lohnkosten entscheidend


Die Wirtschaftsentwicklung in Sachsen – Erfolge <strong>und</strong> Probleme 17<br />

sind, son<strong>der</strong>n die Lohnstückkosten, die auch die Entwicklung <strong>der</strong> Produktivität wi<strong>der</strong>spiegeln.<br />

Hier wird ganz offenk<strong>und</strong>ig mit falschem Maßstab gemessen, um Stimmung<br />

zu erzeugen <strong>und</strong> eine schnelle Schlagzeile zu machen.<br />

Diese Beispiele aus jüngster Zeit zeigen, dass so genannte Rankings mit allergrößter<br />

Vorsicht zu genießen sind. Was wissenschaftlich daherkommt, ist oft ziemlich willkürlich,<br />

manchmal wi<strong>der</strong>sinnig <strong>und</strong> in vielen Fällen mit handfesten politischen Absichten<br />

verb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> nicht mit dem Ziel <strong>der</strong> Aufklärung.<br />

2.<br />

Ich erspare Ihnen <strong>und</strong> mir, hier noch einmal die Daten <strong>der</strong> wirtschaftlichen <strong>und</strong> sozialen<br />

Entwicklung in Sachsen im Einzelnen darzustellen. Ich unterstelle, dass sie in<br />

diesem Kreis bekannt sind. Ich beschränke mich deshalb auf einige Daten zur aktuellen<br />

Situation.<br />

Die wirtschaftliche Situation in <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland ist so günstig wie<br />

seit fünf Jahren nicht mehr. Das gilt auch für Sachsen: Weniger Arbeitslose, stark steigende<br />

Steuereinnahmen, <strong>und</strong> zum ersten Mal seit fünf Jahren mehr sozialversicherungspfl<br />

ichtig Beschäftigte <strong>und</strong> damit auch mehr Einnahmen in den Sozialversicherungssystemen.<br />

Die Wirtschaft wächst 2006 vermutlich um mehr als zwei Prozent.<br />

Ich nenne wenige Zahlen für Sachsen: Die Zahl <strong>der</strong> registrierten Arbeitslosen liegt bei<br />

etwa 350.000, mehr als 10 Prozent weniger als im vergangenen Jahr. Die Steuereinnahmen<br />

sind so deutlich gestiegen, dass <strong>der</strong> Freistaat Sachsen die im Haushalt vorgesehene Neuverschuldung<br />

in Höhe von 250 Millionen Euro für das Jahr vermutlich nicht in Anspruch<br />

nehmen muss. Der Gesamtumsatz <strong>der</strong> sächsischen Industrie ist von Juli 2005 bis Juli 2006<br />

um 12 Prozent gewachsen. Der Auslandsumsatz sogar um 21 Prozent. Die Exportquote <strong>der</strong><br />

sächsischen Industrie ist auf 34,8 Prozent gestiegen. Im Vorjahr waren es 32,2 Prozent.<br />

Zum ersten Mal seit fünf Jahren sind in Sachsen wie<strong>der</strong> mehr Menschen sozialversicherungspfl<br />

ichtig beschäftigt. Von Mitte 2005 bis 2006 ist die sozialversicherungspfl ichtige<br />

Beschäftigung um über sechstausend gestiegen. Weniger Beschäftigte gab es nur<br />

noch im Baugewerbe. In <strong>der</strong> Industrie ist <strong>der</strong> Gesamtumsatz um 17,1 Prozent gestiegen,<br />

die Beschäftigung um immerhin 1,3 Prozent. Das entspricht 3.500 Männern <strong>und</strong> Frauen.<br />

Diese Zahlen zeigen auch, wie stark die Produktivität im produzierenden Gewerbe<br />

zunimmt <strong>und</strong> was das für die Beschäftigung bedeutet.<br />

3.<br />

Ich freue mich über den Rückgang <strong>der</strong> Arbeitslosigkeit <strong>und</strong> noch mehr darüber, dass<br />

wie<strong>der</strong> zusätzliche sozialversicherungspfl ichtige Beschäftigung entsteht. Das ist aber beileibe<br />

kein Gr<strong>und</strong> für Entwarnung am Arbeitsmarkt.<br />

Wir müssen in den kommenden Jahren alle Anstrengungen darauf konzentrieren,<br />

dass mehr Menschen in Sachsen Arbeit fi nden, reguläre, sozialversicherungspfl ichtige<br />

Arbeitsplätze. Wenn es nicht gelingt, die Arbeitslosigkeit Schritt für Schritt abzubauen,<br />

dann wird sich <strong>der</strong> Vertrauensverlust <strong>der</strong> Menschen in die Politik <strong>und</strong> auch in die wirtschaftliche<br />

Ordnung weiter fortsetzen.


18 Christoph Habermann<br />

Wichtigste Voraussetzung für den Abbau <strong>der</strong> Arbeitslosigkeit ist eine Wirtschaftspolitik,<br />

die nachhaltiges Wachstum möglich macht <strong>und</strong> för<strong>der</strong>t. Sie alle wissen, dass wesentliche<br />

wirtschaftspolitische Entscheidungen auf B<strong>und</strong>esebene <strong>und</strong> auf europäischer<br />

Ebene getroffen werden. Der Spielraum eines Landes ist begrenzt. Wir haben aber den<br />

Ehrgeiz, den begrenzten Spielraum so gut wie möglich zu nutzen.<br />

Lassen Sie mich am Beispiel <strong>der</strong> Europäischen Strukturfonds zeigen, wie das in den Jahren<br />

2007 bis 2013 konkret aussehen soll. In diesen Jahren stehen Sachsen insgesamt knapp<br />

vier Milliarden Euro aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) <strong>und</strong><br />

aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) zur Verfügung. Mit Hilfe <strong>der</strong> Mittel aus den<br />

beiden Strukturfonds müssen wir in den kommenden Jahren die Weichen für eine selbsttragende<br />

Wirtschaftsentwicklung in Sachsen stellen, die das Land langfristig unabhängig<br />

von Transfers macht. Dieses Ziel kann nicht allein dadurch erreicht werden, dass wir die<br />

Ausgaben im Staatshaushalt an sinkende Einnahmeerwartungen anpassen, etwa mit dem<br />

Hinweis, dass die Mittel aus dem Solidarpakt II ab 2009 Jahr für Jahr zurückgehen.<br />

Wir brauchen, bei aller Haushaltskonsolidierung, vor allem mehr nachhaltiges Wachstum,<br />

mehr Beschäftigung <strong>und</strong> damit auch mehr Steuereinnahmen in Sachsen. Es kommt<br />

darauf an, bestehende Wachstumspotentiale jetzt zu nutzen. Je<strong>der</strong> weiß, dass man die<br />

Wachstumschancen von heute nicht beliebig in die Zukunft verschieben kann.<br />

Wir lassen uns dabei von drei gr<strong>und</strong>legenden Einsichten leiten:<br />

– Netzwerke <strong>und</strong> Cluster werden als qualitativer Standortfaktor zunehmend wichtiger<br />

werden <strong>und</strong> auf lange Sicht an die Stelle von fi nanziellen För<strong>der</strong>instrumenten treten. Angesichts<br />

<strong>der</strong> kleinteiligen Betriebsgrößenstruktur in Sachsen sind Netzwerke <strong>und</strong> Cluster<br />

ein wichtiges Instrument zur Stärkung <strong>der</strong> mittelständischen Wirtschaftsbasis.<br />

– Sachsen investiert große Summen in die Ausbildung junger Menschen in den Schulen,<br />

in Berufsakademien, Fachhochschulen <strong>und</strong> Universitäten des Landes. Wenn viele<br />

mangels berufl icher Perspektiven Sachsen verlassen müssen, dann verliert die sächsische<br />

Wirtschaft eine Generation gut ausgebildeter Nachwuchskräfte, vermutlich dauerhaft.<br />

Der „Turn aro<strong>und</strong>“ von Unternehmen in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation<br />

gelingt nie allein durch Kostensenkung. Für den Erfolg entscheidend ist vielmehr,<br />

ob es gelingt, in zukunftsfähige Produkte zu investieren. Vergleichbar damit muss die<br />

Wirtschaftspolitik die gr<strong>und</strong>sätzlich knappen öffentlichen Mittel auf die größten Wachstumspotentiale<br />

konzentrieren.<br />

4.<br />

Es entspricht <strong>der</strong> Wirtschaftsgeschichte Sachsens <strong>und</strong> dem, was in den vergangenen<br />

fünfzehn Jahren aufgebaut worden ist, in beson<strong>der</strong>em Maße auf Qualität <strong>und</strong> auf Innovation<br />

zu setzen. Als „Billigstandort“ hat Sachsen keine Zukunft. Schon heute zeigt sich,<br />

dass Standorte, die außer billigen Arbeitskräften über keine spezifi sche Standortqualität<br />

verfügen, im weltweiten Kostenwettbewerb nur eine Durchgangsstation sind. Die<br />

Unternehmen in Sachsen werden sich daran gewöhnen müssen, dass sie ihre Wettbewerbsfähigkeit<br />

nicht dauerhaft über niedrige Löhne o<strong>der</strong> höhere Subventionen sichern<br />

können. Viele Unternehmen in Sachsen haben große <strong>Chancen</strong>, sich im Wettbewerb mit<br />

an<strong>der</strong>en zu behaupten, wenn es um Qualität <strong>und</strong> um Innovation geht. Der Europäi-


Die Wirtschaftsentwicklung in Sachsen – Erfolge <strong>und</strong> Probleme 19<br />

sche Sozialfonds ist ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Strategie für Qualität <strong>und</strong><br />

Innovation. Gut ausgebildete <strong>und</strong> motivierte Fachkräfte sind die Voraussetzung dafür,<br />

dass die Unternehmen Qualität <strong>und</strong> Innovation bieten können. Deshalb werden in den<br />

kommenden Jahren aus Mitteln des ESF beispielsweise Innovationsassistenten in den<br />

Unternehmen <strong>und</strong> <strong>der</strong> internationale Austausch von Führungskräften geför<strong>der</strong>t.<br />

In <strong>der</strong> kommenden För<strong>der</strong>periode sollen auch zum ersten Mal Mittel dafür eingesetzt<br />

werden, die Zahl <strong>der</strong> Schüler deutlich zu verringern, die die Schule ohne Abschluss<br />

verlassen. Wir wissen alle, dass junge Menschen, die keinen Schulabschluss haben, beson<strong>der</strong>s<br />

große Probleme haben, einen Ausbildungsplatz zu fi nden.<br />

Wer keine abgeschlossene Berufsausbildung hat, <strong>der</strong> wird selbst unter günstigeren<br />

wirtschaftlichen Bedingungen kaum eine Chance auf einen dauerhaften sozialversicherungspfl<br />

ichtigen Arbeitsplatz haben. Deshalb ist es so wichtig, durch individuelle För<strong>der</strong>ung<br />

in <strong>der</strong> Schule dazu beizutragen, die sozialen Probleme von morgen zu vermeiden<br />

<strong>und</strong> dem Fachkräftemangel von morgen vorzubeugen<br />

5.<br />

Darum setzen wir auch bei <strong>der</strong> Verteilung <strong>der</strong> Mittel aus den Europäischen Strukturfonds<br />

entsprechende Schwerpunkte. Der Anteil <strong>der</strong> Mittel für Innovation, für Wissenschaft,<br />

Forschung <strong>und</strong> Bildung am Europäischen Regionalfonds erhöht sich deutlich:<br />

von 30 Prozent in <strong>der</strong> laufenden För<strong>der</strong>periode auf etwas 40 Prozent in den Jahren 2007<br />

bis 2013.<br />

Bei einer Expertenanhörung im Sächsischen Landtag in <strong>der</strong> vergangenen Woche<br />

ist diese neue Akzentsetzung, die auf Vorschlag von Wirtschafts- <strong>und</strong> Arbeitsminister<br />

Thomas Jurk beschlossen worden ist, gr<strong>und</strong>sätzlich begrüßt worden. Einige haben sogar<br />

noch mehr Geld für den Schwerpunkt Innovation, Wissenschaft <strong>und</strong> Bildung gefor<strong>der</strong>t.<br />

Auch das SMWA hätte hier gern noch mehr getan. Staatsminister Thomas Jurk musste<br />

sich aber mit den an<strong>der</strong>en Kabinettmitglie<strong>der</strong>n auf einen Kompromiss verständigen. So<br />

ist das in je<strong>der</strong> Regierung.<br />

Mehr Geld für Innovation, Wissenschaft, Forschung <strong>und</strong> Bildung, das bedeutet ganz<br />

konkret:<br />

– Trotz des rückläufi gen Gesamtfi nanzrahmens werden für einzelbetriebliche Forschungs-<strong>und</strong><br />

Entwicklungsprojekte zur Entwicklung neuer Produkte <strong>und</strong> Verfahren<br />

<strong>und</strong> für Kooperationen im FuE-Bereich mit 490 Mio. Euro mehr Mittel als bisher zur<br />

Verfügung stehen.<br />

– Für die För<strong>der</strong>ung des Technologietransfers werden 45 Mio. Euro bereitstehen.<br />

– Neu hinzukommen 35 Mio. Euro als Risikokapital für junge Technologieunternehmen.<br />

– Deutlich aufgestockt werden die Investitionen in die Infrastruktur von Wissenschaft,<br />

Forschung <strong>und</strong> Technologie. Der Ansatz steigt von r<strong>und</strong> 230 Mio. Euro auf 347,5 Mio.<br />

Euro. Der Löwenanteil mit r<strong>und</strong> 196 Mio. Euro entfällt auf den Hochschulbau.<br />

– Für Baumaßnahmen an Schulen einschließlich <strong>der</strong> Berufsschulen werden 280 Mio.<br />

Euro gegenüber bisher 173 Mio. Euro eingesetzt.


20 Christoph Habermann<br />

• Der Schwerpunkt „Steigerung <strong>der</strong> Wettbewerbsfähigkeit <strong>der</strong> sächsischen Wirtschaft“<br />

bleibt angesichts <strong>der</strong> nach wie vor bestehenden Lücke beim betrieblichen Kapitalstock<br />

<strong>und</strong> angesichts <strong>der</strong> starken internationalen Standortkonkurrenz eine wichtige Säule <strong>der</strong><br />

För<strong>der</strong>politik. Dafür werden 588 Mio. Euro bereitgestellt. Der Anteil bleibt mit 19,0 %<br />

nahezu konstant:<br />

– Die mit <strong>der</strong> GA-För<strong>der</strong>ung (Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung <strong>der</strong> Regionalen<br />

Wirtschaft) gekoppelte einzelbetriebliche För<strong>der</strong>ung wird aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> sinkenden B<strong>und</strong>eszuschüsse<br />

für die GA-För<strong>der</strong>ung von 625 Mio. Euro auf 500 Mio. Euro mo<strong>der</strong>at<br />

zurückgefahren.<br />

– Gegenüber <strong>der</strong> laufenden För<strong>der</strong>periode wurde die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> wirtschaftsnahen<br />

Infrastruktur aus dem EFRE mit 30 Mio. Euro neu aufgenommen.<br />

– Die Mittel zur För<strong>der</strong>ung von Netzwerken <strong>der</strong> Wirtschaft werden von 10,4 Mio. Euro<br />

auf 15 Mio. Euro aufgestockt.<br />

– Eine bessere Energieeffi zienz in <strong>der</strong> Wirtschaft ist ein wichtiges Industrie- <strong>und</strong> technologiepolitisches<br />

Zukunftsfeld: Angesichts weltweit steigen<strong>der</strong> Energiekosten ist gerade<br />

für kleine <strong>und</strong> mittlere Unternehmen <strong>der</strong> effi ziente Einsatz von Energie auch eine<br />

wichtige Kostenfrage. Gleichzeitig eröffnet die Forschung, Entwicklung <strong>und</strong> Produktion<br />

von Technologien für mehr Energieeffi zienz einen internationalen Wachstumsmarkt für<br />

sächsische Unternehmen. Für die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Energieeffi zienz in KMU werden erstmalig<br />

20 Mio. Euro eingesetzt.<br />

• Die verstärkte Konzentration <strong>der</strong> Mittel auf Innovation, Wissenschaft, Forschung <strong>und</strong><br />

Bildung führt unweigerlich zu fi nanziellen Beschränkungen auf an<strong>der</strong>en Fel<strong>der</strong>n. Der<br />

Aufbau <strong>der</strong> Infrastruktur in Sachsen ist in weiten Teilen erfolgreich abgeschlossen. Mittlerweile<br />

verfügt Sachsen im Vergleich zu den alten Län<strong>der</strong>n, gerade was die „klassische<br />

Infrastruktur“ anbelangt, teilweise sogar über eine bessere Ausstattung.<br />

Die Schwerpunktsetzung in <strong>der</strong> neuen För<strong>der</strong>periode muss deshalb auch bei <strong>der</strong><br />

Infrastruktur den verän<strong>der</strong>ten Rahmenbedingungen Rechnung tragen, indem stärker<br />

differenziert wird, welchen Beitrag welche Bereiche <strong>der</strong> Infrastruktur für mehr Wachstum<br />

<strong>und</strong> Beschäftigung leisten. Infrastrukturinvestitionen in Wissenschaft, Forschung,<br />

Technologie <strong>und</strong> Bildung spielen deshalb eine immer wichtigere Rolle. Deshalb stehen<br />

dafür in <strong>der</strong> neuen För<strong>der</strong>periode über 50 % mehr Mittel zur Verfügung.<br />

6.<br />

In den vergangenen Monaten ist immer wie<strong>der</strong> einmal die Diskussion hochgekommen,<br />

die Wirtschaftsför<strong>der</strong>ung auf Wachstumskerne zu konzentrieren. Das ist richtig, wenn<br />

damit gemeint ist, dass nicht alles <strong>und</strong> jedes geför<strong>der</strong>t werden soll <strong>und</strong> darf, ohne dass<br />

vorher Qualität <strong>und</strong> Erfolgschancen geprüft worden sind. Das ist falsch, wenn damit<br />

gemeint sein sollte, dass Wirtschaftsför<strong>der</strong>ung nur noch in den Ballungsräumen stattfi<br />

nden soll. Je<strong>der</strong> weiß, dass es höchst unwahrscheinlich ist, dass sich in <strong>der</strong> Lausitz ein<br />

großes Chipwerk ansiedeln wird.<br />

Die Lausitz ist aber für Sachsen – wie z. B. auch das Erzgebirge – eine für das Wirtschaftswachstum<br />

des ganzen Landes wichtige Region. Auch hier gibt es Wachstumskerne,<br />

nämlich Unternehmen, die investieren, erfolgreich produzieren für den eigenen


Die Wirtschaftsentwicklung in Sachsen – Erfolge <strong>und</strong> Probleme 21<br />

Markt <strong>und</strong> für den Export. In <strong>der</strong> Lausitz wird immerhin ein Achtel des sächsischen<br />

Bruttoinlandsproduktes erwirtschaftet.<br />

Ein industrieller Schwerpunkt <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> liegt im Maschinen- <strong>und</strong> Anlagenbau.<br />

Fast 350 kleinere <strong>und</strong> mittelständische Unternehmen umfasst die Branche in Ostsachsen,<br />

wenn man die zuliefernden Metallverarbeiter hinzurechnet. Viele davon sind im<br />

anspruchsvollen Segment Son<strong>der</strong>maschinenbau tätig. Außerdem sind die Bahn- <strong>und</strong><br />

Textilindustrie stark in <strong>der</strong> Region verankert. Da kommt es darauf an, dass die Region,<br />

dass die Unternehmen <strong>und</strong> die Beschäftigten aktiv sind. Wir wollen Ihnen dabei helfen,<br />

vorhandene Stärken <strong>und</strong> Potenziale zu nutzen <strong>und</strong> auszubauen. Wir müssen die Entwicklung<br />

aus dem Bestand beson<strong>der</strong>s för<strong>der</strong>n. Die <strong>Chancen</strong> dafür stehen nicht schlecht.<br />

Mit <strong>der</strong> EU-Osterweiterung hat sich <strong>der</strong> europäische Binnenmarkt enorm vergrößert.<br />

Die <strong>Oberlausitz</strong> ist nun kein Randgebiet mehr, son<strong>der</strong>n eine Schnittstelle zwischen den<br />

Märkten West- <strong>und</strong> Osteuropas.<br />

Ein erfolgreiches Beispiel ist Niesky: Nachdem <strong>der</strong> Konzern Bombardier den Waggonbau<br />

abgeben wollte, haben sich die Belegschaft <strong>und</strong> tüchtige Unternehmer zusammen<br />

getan <strong>und</strong> aus dem Werk ein eigenständiges Unternehmen gemacht. Dabei nutzt <strong>der</strong><br />

Waggonbauer die Kooperationsmöglichkeiten über die Grenze hinweg nach Polen <strong>und</strong><br />

hat sich so als wettbewerbsfähiger mittelständischer Anbieter etabliert. Auch die Werke<br />

des Bombardier-Konzerns in Bautzen <strong>und</strong> Görlitz zeigen, wie erfolgreich regionale Kompetenzen<br />

genutzt werden können. Erst vor wenigen Wochen kam ja die gute Nachricht<br />

von einem zweistelligen Millionen-Auftrag <strong>der</strong> Österreichischen Bahn.<br />

Solche Potenziale wollen wir in Zukunft stärker nutzen <strong>und</strong> ausbauen. Mit dem Programm<br />

„Regionales Wachstum“ stellen wir dafür die Weichen. Ein Element auch dieses<br />

För<strong>der</strong>programms ist es, die Unternehmen dieser so wichtigen Branche miteinan<strong>der</strong> zu<br />

vernetzen.<br />

Dass in Sachsen <strong>und</strong> beson<strong>der</strong>s hier in <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> viele Betriebe klein <strong>und</strong><br />

sehr klein sind, ist in gewisser Weise Vorteil <strong>und</strong> Nachteil zugleich. Auf <strong>der</strong> einen Seite<br />

sind Mittelständler häufi g innovativer <strong>und</strong> können fl exibler am Markt agieren, an<strong>der</strong>erseits<br />

können sie meistens die Vorteile <strong>der</strong> Größe nicht voll ausschöpfen. Durch eine<br />

Bündelung <strong>der</strong> Kräfte können wir die Nachteile minimieren <strong>und</strong> die Vorteile in einen<br />

Vorsprung umwandeln.<br />

Zu Beginn dieses Jahres hat ein Netzwerk für die sächsische Bahnindustrie die Arbeit<br />

aufgenommen. Ein ähnliches Projekt begann zeitgleich in <strong>der</strong> Textilindustrie – die Verb<strong>und</strong>initiative<br />

Technische Textilien. Damit stärken wir ganz gezielt zwei Branchen, die<br />

vor allem außerhalb <strong>der</strong> großen Ballungszentren zu Hause sind – beson<strong>der</strong>s hier in <strong>der</strong><br />

<strong>Oberlausitz</strong>.<br />

7.<br />

Ich habe davon gesprochen, dass eine Wirtschaftspolitik, die nachhaltiges Wachstum<br />

möglich macht <strong>und</strong> för<strong>der</strong>t, die wichtigste Voraussetzung für den Abbau <strong>der</strong> Arbeitslosigkeit<br />

ist.<br />

Dazu gehören eine Geldpolitik, die sich nicht an Infl ations-Gespenstern orientiert,<br />

eine Haushalts- <strong>und</strong> Finanzpolitik, die konjunkturgerecht ist <strong>und</strong> eine Steuer- <strong>und</strong>


22 Christoph Habermann<br />

Verteilungspolitik, die weiß: Natürlich kann nur verteilt werden, was vorher produziert<br />

worden ist. Wie viel produziert werden kann, hängt aber auch davon ab, wie <strong>der</strong> gesellschaftliche<br />

Reichtum verteilt wird. Hohe wirtschaftliche Leistungsfähigkeit <strong>und</strong> gerechte<br />

Verteilung passen sehr gut zusammen.<br />

Darüber hinaus halte ich es für notwendig, dass wir Fehlentwicklungen im Steuer- <strong>und</strong><br />

Abgabensystem korrigieren, die dazu führen, dass sozialversicherungspfl ichtige Beschäftigung,<br />

gerade im Bereich <strong>der</strong> niedrigen Löhne, künstlich unattraktiv gemacht wird.<br />

Ich möchte Ihnen kurz die Kernelemente eines Gutachtens erläutern, das Staatsminister<br />

Thomas Jurk am 15. September 2006 in Dresden gemeinsam mit Professor Peter<br />

Bofi nger, dem Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung <strong>der</strong> gesamtwirtschaftlichen<br />

Entwicklung, vorgestellt hat.<br />

1. Das Gutachten schlägt vor, das Arbeitslosengeld II als Gr<strong>und</strong>sicherung für Arbeitslose<br />

in <strong>der</strong> bisherigen Höhe zu belassen. Ich halte das für richtig. Unser Problem ist nicht,<br />

dass viele Arbeitslose nicht arbeiten wollen, unser Problem ist, dass so viele Arbeitslose<br />

keine Arbeit fi nden. In Sachsen stehen gegenwärtig etwa 350.000 Arbeitslosen 15.000<br />

gemeldete offene Stellen gegenüber. Als unser Ministerium vor an<strong>der</strong>thalb Jahren die<br />

Stelle eines Fahrers o<strong>der</strong> einer Fahrerin ausgeschrieben hat, haben sich darauf mehr als<br />

800 Frauen <strong>und</strong> Männer beworben. Deshalb halte ich es für falsch <strong>und</strong> beleidigend,<br />

wenn so getan wird, als wolle ein nennenswerter Teil <strong>der</strong> Arbeitslosen nicht arbeiten.<br />

2. Wir müssen durch politische Entscheidungen dafür sorgen, dass Menschen, die im<br />

Niedriglohnbereich arbeiten, mehr Netto in <strong>der</strong> Tasche behalten, ohne dass <strong>der</strong> Arbeitgeber<br />

Brutto mehr bezahlen muss. Dazu schlägt das Gutachten vor, dass Arbeitnehmer in<br />

sozialversicherungspfl ichtiger Vollzeitbeschäftigung bis zu einem bestimmten Einkommen<br />

keine Sozialversicherungsbeiträge bezahlen müssen. Das soll so organisiert werden, dass<br />

die betroffenen Arbeitnehmer ihre Beiträge über eine Steuergutschrift vom Finanzamt<br />

erstattet bekommen. Im Fachjargon heißt das „negative Einkommenssteuer“. Dieser Vorschlag<br />

hat aus meiner Sicht folgende Vorteile:<br />

– Der Nettolohn aus einer Vollzeitbeschäftigung liegt damit deutlich oberhalb des Regelsatzes<br />

des Arbeitslosengeldes II zzgl. <strong>der</strong> Leistungen für Unterkunft <strong>und</strong> Heizung <strong>und</strong><br />

einem möglichen Zuverdienst. Damit wird ein echter Anreiz für mehr Beschäftigung im<br />

Niedriglohnbereich geschaffen.<br />

– Das für den Arbeitnehmer abgabenfreie Mindesteinkommen ist nach Angaben <strong>der</strong><br />

Gutachter mit überschaubaren Kosten verb<strong>und</strong>en. Es handelt sich um r<strong>und</strong> 4 Mrd.<br />

Euro. Das entspricht etwa den Kosten einer linearen Senkung <strong>der</strong> Sozialversicherungsbeiträge<br />

für alle um ein Prozent. Deshalb sollten nach meiner Überzeugung Teile <strong>der</strong><br />

Mehreinnahmen aus <strong>der</strong> Mehrwertsteuer dafür eingesetzt werden, gezielt die niedrigen<br />

Einkommen durch die steuerliche Finanzierung <strong>der</strong> Sozialversicherungsbeiträge zu entlasten.<br />

Das ist auch ein Beitrag dazu, die falsche Finanzierung „versicherungsfrem<strong>der</strong><br />

Leistungen“ aus Beitragsmitteln zu verringern.<br />

– Von diesem Modell können Beschäftigte <strong>und</strong> Arbeitslose in den neuen Län<strong>der</strong>n beson<strong>der</strong>s<br />

profi tieren, weil die Einkommen – wie je<strong>der</strong> weiß – hier noch deutlich niedriger<br />

sind als in den westlichen Län<strong>der</strong>n.


Die Wirtschaftsentwicklung in Sachsen – Erfolge <strong>und</strong> Probleme 23<br />

Die vorgeschlagene Entlastung niedriger Einkommen würde, an<strong>der</strong>s als fl ächendeckende<br />

Kombilöhne, nicht zur Verdrängung regulärer Arbeitsplätze durch staatliche<br />

Subventionen führen. Damit die vorgeschlagene neue Strategie erfolgreich sein kann,<br />

muss ein drittes Kernelement dazukommen.<br />

3. In den vergangenen Jahren sind eine Menge von Beschäftigungsverhältnissen entstanden,<br />

für die nicht die üblichen Regeln des sozialversicherungspfl ichtigen Arbeitsverhältnisses<br />

gelten. Ich spreche von Minijobs <strong>und</strong> Midijobs. In vielen Bereichen <strong>der</strong><br />

Wirtschaft sind sozialversicherungspfl ichtige Arbeitsplätze abgebaut <strong>und</strong> durch Mini-<br />

o<strong>der</strong> Midijobs ersetzt worden.<br />

Das führt dazu, dass die Finanzierungsgr<strong>und</strong>lagen unserer sozialen Sicherungssysteme<br />

untergraben werden. Nach den gegenwärtig geltenden Regeln werden so genannte<br />

Mini- <strong>und</strong> Midijobs massiv geför<strong>der</strong>t durch geringere Besteuerung <strong>und</strong> geringere Beiträge<br />

zur Sozialversicherung. Das setzt massive fi nanzielle Anreize dafür, dass Unternehmen<br />

sich gegen neue sozialversicherungspfl ichtige Vollzeitarbeitsplätze entscheiden <strong>und</strong><br />

bestehende abzubauen. Das ist wi<strong>der</strong>sinnig. Wir können es uns nicht länger leisten, die<br />

Abschaffung sozialversicherungspfl ichtiger Arbeitsplätze steuerlich <strong>und</strong> bei den Sozialversicherungsbeiträgen<br />

zu subventionieren <strong>und</strong> gleichzeitig zu beklagen, dass es zu wenige<br />

sozialversicherungspfl ichtige Arbeitsplätze gibt. Das passt nicht zusammen. Das muss<br />

korrigiert werden. Wir brauchen in <strong>der</strong> Praxis, im wirklichen Leben Vorfahrt für reguläre<br />

sozialversicherungspfl ichtige Arbeitsplätze. Wir müssen dafür auch neue Wege gehen.<br />

Der Vorschlag, den ich Ihnen mit seinen drei Kernelementen skizziert habe, ist<br />

wirtschaftlich vernünftig, er bietet Arbeitslosen neue <strong>Chancen</strong>, er bringt Menschen mit<br />

geringem Einkommen mehr Netto in die Tasche, <strong>und</strong> bezahlbar ist er auch.<br />

8.<br />

Die Staatsregierung hat am 13. September 2006 den Entwurf des Doppelhaushaltes<br />

2007/2008 in den Landtag eingebracht. An<strong>der</strong>s als in vielen zurückliegenden Jahren ist<br />

dieser Haushaltsentwurf nicht mit dem Rotstift geschrieben. Die zeitliche Überschneidung<br />

zweier För<strong>der</strong>perioden <strong>der</strong> EU-Strukturfonds <strong>und</strong> die günstige Einnahmeentwicklung<br />

machen es möglich, Bewährtes fortzusetzen <strong>und</strong> neue Akzente zu setzen. Für<br />

einige wichtige Aufgaben stehen sogar mehr Mittel zur Verfügung als in diesem Jahr.<br />

Sachsen investiert mit diesem Haushalt in eine gute Zukunft für alle. Ich habe Ihnen<br />

das am Beispiel <strong>der</strong> Europäischen Sozialfonds zu zeigen versucht. Der Haushaltsentwurf<br />

<strong>der</strong> Staatsregierung macht deutlich: Es ist nicht gleichgültig, wer in Dresden regiert.<br />

Sozialdemokraten in <strong>der</strong> Staatsregierung sind gut für Sachsen.


24 Peter Heinrich<br />

Die Planungsregion <strong>Oberlausitz</strong>-Nie<strong>der</strong>schlesien<br />

Rückblick auf 15 Jahre Entwicklung <strong>und</strong> Ausblick<br />

PETER HEINRICH<br />

1. Rückblick auf die Situation ab 1990<br />

Die Planungsregion <strong>Oberlausitz</strong>-Nie<strong>der</strong>schlesien umfasst heute das Gebiet <strong>der</strong> Landkreise<br />

Kamenz, Bautzen, Löbau-<strong>Zittau</strong>, des Nie<strong>der</strong>schlesischen <strong>Oberlausitz</strong>kreises sowie<br />

<strong>der</strong> kreisfreien Städte Görlitz <strong>und</strong> Hoyerswerda. Ein Rückblick lässt seit <strong>der</strong> politischen<br />

Wende enorme Verän<strong>der</strong>ungen in den wirtschaftlichen, sozialen, administrativen <strong>und</strong><br />

politischen Sektoren erkennen. Folgen des Beitritts <strong>der</strong> DDR zur B<strong>und</strong>esrepublik<br />

Deutschland, Vorgaben <strong>der</strong> Europäischen Union, eine neue Gewichtung zugunsten<br />

einer nachhaltigen Bewahrung <strong>der</strong> Umwelt, technologische Verbesserungen, organisatorische<br />

Konsequenzen für öffentliche Betriebe <strong>und</strong> Behörden <strong>und</strong> die Öffnung <strong>der</strong> Grenzen<br />

ebenso wie die Auswirkungen des global sich organisierenden Freihandels waren in<br />

den vergangenen Jahren zu verkraften.<br />

Zunächst sei daran erinnert, wie die dramatischen nationalen politischen Verän<strong>der</strong>ungen<br />

innerhalb von zwölf Monaten in den Jahren 1989/1990 die Rahmenbedingungen<br />

auch in <strong>der</strong> Lausitz gr<strong>und</strong>legend verän<strong>der</strong>t haben. In <strong>der</strong> Tabelle 1 werden die damaligen<br />

politischen Schritte in Erinnerung gerufen. Parallel zu den kraftvoll geführten<br />

politischen Entscheidungen stellten sich tief greifende Konsequenzen in allen Wirt-<br />

9. 11. 1989 Öffnung <strong>der</strong> innerdeutschen Grenze<br />

18. 3. 1990 erste freie Volkskammerwahl<br />

6. 5. 1990 Kommunalwahl in <strong>der</strong> DDR<br />

18. 5. 1990 Vertrag zu einer Währungs-, Wirtschafts- <strong>und</strong> Sozialunion<br />

1. 7. 1990 Einführung <strong>der</strong> Deutschen Mark in <strong>der</strong> DDR<br />

31. 8. 1990 Einigungsvertrag zwischen <strong>der</strong> DDR <strong>und</strong> <strong>der</strong> BR Deutschland unterzeichnet<br />

12. 9. 1990 Die vier Siegermächte (USA, GB, F, SU) sowie DDR <strong>und</strong> BR Deutschland schließen den<br />

„Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland“<br />

3. 10. 1990 feierliche Wie<strong>der</strong>vereinigung in Berlin vollzogen<br />

14. 10. 1990 Landtagswahlen in <strong>der</strong> DDR<br />

14. 11. 1990 Deutschland erkennt die O<strong>der</strong>-Neiße-Grenze zu Polen an<br />

2. 12. 1990 erste gesamtdeutsche Wahl<br />

Tab. 1: Überblick über die Schritte von <strong>der</strong> Öffnung <strong>der</strong> innerdeutschen Grenze bis zur ersten gesamtdeutschen<br />

Wahl


Die Planungsregion <strong>Oberlausitz</strong>-Nie<strong>der</strong>schlesien 25<br />

schaftsbereichen ein, die zu enormen Verän<strong>der</strong>ungen bei Betrieben <strong>und</strong> damit auch<br />

bei den Beschäftigungsverhältnissen geführt haben. Unvorhersehbaren <strong>Chancen</strong>, die<br />

zupackend von Privatseite wie von öffentlichen Händen ergriffen wurden, stellten sich<br />

unbeherrschbar erscheinende Probleme gegenüber. Und es kann nicht überraschen, dass<br />

diese Verän<strong>der</strong>ungen sich auch in <strong>der</strong> Bevölkerungsentwicklung wi<strong>der</strong>spiegeln. So hatte<br />

die Planungsregion zunächst noch 690.000 Einwohner. Bis 2005 verringerte sich die Bevölkerungszahl<br />

auf 646.000. Der Weggang <strong>der</strong> jungen Bevölkerung, <strong>der</strong> leistungsfähigen<br />

Jahrgänge <strong>und</strong> <strong>der</strong> Verlust von Talenten verbergen sich hinter <strong>der</strong> Statistik. In <strong>der</strong> Region<br />

wird die Überalterung <strong>der</strong> Bevölkerung mittlerweile sichtbar.<br />

2. Administrative Neuordnung <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong><br />

Am Anfang <strong>der</strong> neuen Epoche stehen die Entscheidungen <strong>der</strong> Kreise Hoyerswerda <strong>und</strong><br />

Weißwasser, sich dem Regierungsbezirk Dresden anzuschließen, verb<strong>und</strong>en mit <strong>der</strong><br />

Hoffnung eine bessere Perspektive im neuen Freistaat Sachsen zu fi nden. Dies bedeutete<br />

für den Freistaat Sachsen, dass er zukünftig neben seinem Anteil am mitteldeutschen<br />

Braunkohlenrevier auch einen beeindruckenden Anteil sowohl am aktiven Lausitzer<br />

Braunkohlentagebau als auch am Sanierungsbergbau <strong>der</strong> aufgegebenen o<strong>der</strong> aufzugebenden<br />

Lausitzer Tagebaue erhielt.<br />

Die Planungsregion <strong>Oberlausitz</strong>-Nie<strong>der</strong>schlesien wird mit dem „Gesetz zur Raumordnung<br />

<strong>und</strong> Landesplanung des Freistaates Sachsen vom 24. 6. 1992“ festgelegt. Sie<br />

ist eine von fünf Planungsregionen in Sachsen <strong>und</strong> wird durch die Grenzlagen zur<br />

Republik Polen <strong>und</strong> zur Tschechischen Republik, die bis zum Beitritt dieser Staaten<br />

zur Europäischen Union „EU-Außengrenzen“ darstellten, beson<strong>der</strong>s geprägt. In den<br />

zentralen <strong>und</strong> nördlichen Teilen <strong>der</strong> Planungsregion lebt das sorbische Volk. Die Fläche<br />

<strong>der</strong> Planungsregion umfasste damals 4.378 km². Durch Gebietszuwachs im Rahmen <strong>der</strong><br />

Gemeindegebietsreform vergrößerte sich das Territorium auf 4.496 km².<br />

Im Verwaltungsaufbau gab es im Gebiet <strong>der</strong> Planungsregion (nach Gebietsstand vom<br />

3. Oktober 1990) 349 selbständige Städte <strong>und</strong> Gemeinden. Durch Gemeindegebietsreformen<br />

reduzierte sich die Anzahl auf 130 Städte <strong>und</strong> Gemeinden, auf <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>lage<br />

des „Gesetzes zur Einglie<strong>der</strong>ung von Gemeinden <strong>und</strong> Gemeindeteilen in die Städte<br />

Görlitz, Hoyerswerda <strong>und</strong> Plauen vom 24. August 1998“ (Einglie<strong>der</strong>ungsgesetz Görlitz/<br />

Hoyerswerda/Plauen) sowie des „Gesetzes zur Gemeindegebietsreform in <strong>der</strong> Planungsregion<br />

<strong>Oberlausitz</strong>-Nie<strong>der</strong>schlesien vom 28. Oktober 1998“ (Gemeindegebietsreformgesetz<br />

<strong>Oberlausitz</strong>-Nie<strong>der</strong>schlesien).<br />

Bereits vorher wurde durch das „Sächsische Gesetz zur Kreisgebietsreform vom<br />

24. Juni 1993“ (Kreisgebietsreformgesetz – SächsKrGebRefG) <strong>und</strong> das folgende „Erste<br />

Gesetz zur Än<strong>der</strong>ung des Kreisgebietsreformgesetzes <strong>und</strong> an<strong>der</strong>er kommunalrechtlicher<br />

Vorschriften vom 6. September 1995“ (1. Kreisgebietsreformän<strong>der</strong>ungsgesetz – 1. KG-<br />

RÄndG) <strong>der</strong> Kreiszuschnitt geän<strong>der</strong>t. Von neun Landkreisen (Bautzen, Bischofswerda,<br />

Görlitz, Hoyerswerda, Kamenz, Löbau, Niesky, Weißwasser <strong>und</strong> <strong>Zittau</strong>) <strong>und</strong> <strong>der</strong> kreisfreien<br />

Stadt Görlitz wurden durch Zusammenlegung vier Landkreise <strong>und</strong> zwei kreisfreie<br />

Städte gebildet. Auch diese Struktur steht in <strong>der</strong> Gegenwart zur Diskussion, um künftig


26 Peter Heinrich<br />

in Verbindung mit einer Funktionalreform eine neue zukunftsfähige kommunale Verwaltung<br />

für den Freistaat Sachsen zu organisieren.<br />

Bedeutend für die Arbeitsplatzsituation waren weitere Verän<strong>der</strong>ungen im öffentlichen<br />

Sektor: Hier sind insbeson<strong>der</strong>e die Aufl ösung bzw. <strong>der</strong> Abzug von militärischen Einrichtungen<br />

zu nennen. In Ostsachsen befanden sich von <strong>der</strong> NVA:<br />

• zwei Jagdfl iegerausbildungsgeschwa<strong>der</strong>, Rothenburg/O.L. (FAG-15, „Heinz Kapelle“),<br />

Bautzen (FAG-25, „Lean<strong>der</strong> Ratz“);<br />

• eine Transportfl iegerausbildungsstaffel, Kamenz (TAS-45);<br />

• ein Fla-Raketenregiment, Straßgräbchen (FRR-31);<br />

• eine Fla-Raketenabteilung, Großröhrsdorf/Bischofswerda (FRA-314);<br />

• eine Reservedivision <strong>der</strong> Landstreitkräfte, Königswartha (6. MSD);<br />

• Ausbildungszentrum, Weißkeisel (AZ-6, „Rudolf Egelhofer“);<br />

• Offi ziershochschule <strong>der</strong> NVA-Landstreitkräfte, Löbau-<strong>Zittau</strong> („Ernst Thälmann“);<br />

• Offi ziershochschule, Bautzen („Otto Lilienthal“);<br />

• Luftwaffenoffi ziershochschule, Kamenz („Franz Mehring“);<br />

• Institut für Luftfahrtmedizin, Königsbrück.<br />

Dazu gehörten zwei große Truppenübungsplätze (Dauban, Nochten) <strong>und</strong> logistische<br />

Einrichtungen. Mit Ausnahme des Truppenübungsplatzes Nochten <strong>und</strong> einer kleinen<br />

Dienststelle in Königsbrück werden heute keine nennenswerten Einrichtungen von<br />

<strong>der</strong> Deutschen B<strong>und</strong>eswehr unterhalten. Die Kasernenareale (Bautzen, Löbau, <strong>Zittau</strong>,<br />

Kamenz, Rothenburg/O.L.) sind zum Teil von <strong>der</strong> neuen sächsischen Verwaltung übernommen<br />

worden.<br />

Für die zentral in <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> gelegene Stadt Bautzen folgte nach Aufl ösung <strong>der</strong><br />

NVA-Militärschulen <strong>der</strong> Aufbau neuer Behörden. Dazu zählten Polizeifachschulen <strong>und</strong><br />

ein Staatliches Umweltfachamt, ein Gewerbeaufsichtsamt sowie das Straßenbauamt. In<br />

Rothenburg/O.L. wurde die Fachhochschule für Polizei, in <strong>Zittau</strong> das Landratsamt <strong>und</strong><br />

Teile <strong>der</strong> Hochschule <strong>und</strong> in Kamenz das Landratsamt, das Amt für Ländliche Neuordnung<br />

<strong>und</strong> das Statistische Landesamt etabliert.<br />

3. Wichtige Entwicklungen seit 1990<br />

3.1 Siedlungen <strong>und</strong> Landschaft<br />

Eindrucksvoll sind die Verän<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong> Bausubstanz in Städten <strong>und</strong> Dörfern. Weithin<br />

leuchten heute sanierte Gebäude, wo sich vor Jahren noch die Fassaden mit grauem<br />

Außenputz begnügen mussten. Nur noch wenige Gebäude zeigen heute das Erscheinungsbild<br />

<strong>der</strong> 70er <strong>und</strong> 80er Jahre. Historische Innenstädte, Schloss- <strong>und</strong> Burganlagen,<br />

erhaltenswerte mo<strong>der</strong>ne Gebäude <strong>und</strong> traditionelle ländliche Bauformen (Umgebindehaus,<br />

Gehöfte) wurden vorbildlich renoviert <strong>und</strong> vermitteln ein fre<strong>und</strong>liches Bild. In<br />

<strong>der</strong> Umgebung <strong>der</strong> Städte sind mo<strong>der</strong>ne Einfamilienhaussiedlungen <strong>und</strong> neuzeitliche<br />

Gewerbegebiete entstanden. Einkaufsmärkte, Autohäuser, Tankstellen usw. sowie funktionelle<br />

mo<strong>der</strong>ne Verkehrsführungen sind seit Anfang <strong>der</strong> 90er Jahre vorhanden <strong>und</strong><br />

zeigen an, dass alle Rückstände für die Versorgung überw<strong>und</strong>en <strong>und</strong> vergleichbare Zu-


Die Planungsregion <strong>Oberlausitz</strong>-Nie<strong>der</strong>schlesien 27<br />

stände wie in Westdeutschland erreicht worden sind. Bedeutungsvoll für das urbane Leben<br />

in den Städten wurden Ortsumfahrungen (insbeson<strong>der</strong>e Görlitz, Bautzen, Kamenz,<br />

Königsbrück, Neugersdorf, Reichenbach/O.L.), mit denen eine Verkehrsentlastung in<br />

den Innenstädten erreicht werden konnte. So konnten die historischen Innenstädte<br />

von Bautzen <strong>und</strong> Görlitz sich auch zu attraktiven Zielorten für den Städtetourismus<br />

etablieren <strong>und</strong> internationale Aufmerksamkeit erlangen. An<strong>der</strong>erseits hat <strong>der</strong> hohe Bevölkerungsweggang,<br />

insbeson<strong>der</strong>e in den Städten Görlitz, Hoyerswerda <strong>und</strong> Weißwasser<br />

zu enormen Wohnungsleerständen geführt <strong>und</strong> es war keine Aussicht, diese Situation zu<br />

än<strong>der</strong>n. In <strong>der</strong> Folge wurden Tausende von Wohnungen in Plattenbausiedlungen (z. B.<br />

Weißwasser-Süd, Hoyerswerda, Bautzen-Ges<strong>und</strong>brunnen) abgerissen <strong>und</strong> die Gebiete im<br />

Rahmen von Stadtumbauprogrammen neu gestaltet.<br />

Auch im ländlichen Raum haben Programme zur Dorfentwicklung <strong>und</strong> Vorgaben<br />

zur Raumentwicklung positiv gewirkt. Eine Zersiedelung <strong>der</strong> Landschaft wurde weitgehend<br />

vermieden. Der Leitgedanke, an Straßen Alleen zu erhalten o<strong>der</strong> neu anzulegen,<br />

wurde wirksam <strong>und</strong> verstärkt die positiven Landschaftserlebnisse für die Einwohner <strong>und</strong><br />

für die Reisenden. Es ist gelungen, die <strong>Oberlausitz</strong> in allen Teilen als Heimat zu bewahren<br />

<strong>und</strong> lebenswert zu erhalten.<br />

Dabei darf nicht übersehen werden, dass mo<strong>der</strong>ne technische Entwicklungen in Verbindung<br />

mit den Än<strong>der</strong>ungen des B<strong>und</strong>esraumordnungsgesetzes (in Kraft getreten am<br />

1. 1. 1998) zugunsten einer Privilegierung <strong>der</strong> Windkraftnutzung <strong>und</strong> den Vorgaben des<br />

sächsischen Landesentwicklungsplanes von 2003 zur Nutzung erneuerbarer Energien ein<br />

beachtliches Gefährdungspotenzial für die Landschaft darstellen. Dem stehen allerdings<br />

Regelungsmöglichkeiten durch die Bauleitplanung <strong>und</strong> die Regionalplanung, mit dem<br />

seit 10. 3. 2005 gültigen Teilregionalplan zur Windkraftnutzung, gegenüber, die genutzt<br />

worden sind. So ist es gelungen, sensible Räume <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> (Lausitzer Gefi lde,<br />

Vorland des <strong>Zittau</strong>er Gebirges, die landschaftsprägenden Kuppen <strong>und</strong> die Heide- <strong>und</strong><br />

Teichlandschaft) vor <strong>der</strong> Überprägung durch eine Windindustrielandschaft zu bewahren.<br />

Durch eine umsichtige Steuerung <strong>der</strong> Windkraftnutzung konnte eine Schonung <strong>der</strong><br />

Landschaft erreicht <strong>und</strong> dennoch ein beachtliches Potenzial für die Windkraftnutzung<br />

ermöglicht werden. So waren bis Mai 2004 in <strong>der</strong> Planungsregion <strong>Oberlausitz</strong>-Nie<strong>der</strong>schlesien<br />

91 Windkraftanlagen (mit 117 MW-Leistung, Stromerzeugung ca. 220 GWh/a)<br />

aufgestellt <strong>und</strong> planungsrechtlich noch weitere Anlagen in <strong>der</strong> Größenordnung von 60<br />

Windkraftanlagen (ca. 80 MW-Leistung, Stromerzeugung ca. 190–220 GWh/a) möglich.<br />

Wichtige Beiträge zur Erhaltung <strong>der</strong> Landschaft <strong>und</strong> des Naturerbes haben die<br />

Ausweisung von Natur- <strong>und</strong> Landschaftsschutzgebieten, die Einrichtung des Biosphärenreservates<br />

<strong>Oberlausitz</strong>er Heide- <strong>und</strong> Teichlandschaft (Verordnung des Sächsischen<br />

Staatsministeriums für Umwelt <strong>und</strong> Landesentwicklung vom 18. 12. 1997) sowie zwei<br />

Naturschutzgroßprojekte (Hammerstädter Teiche, Lausitzer Seenland) geleistet. In diesem<br />

Zusammenhang sollen die europarechtlichen Schutzbestimmungen, die sich aus <strong>der</strong><br />

EWG-Vogelschutz Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. 4. 1979 (Bekanntmachung<br />

in Deutschland am 11. 6. 2003) <strong>und</strong> die EWG Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie 92/43/<br />

EWG des Rates vom 21. 5. 1992 ergeben haben, nicht übergangen werden, denn sie haben<br />

sich angesichts <strong>der</strong> vielen schwach besiedelten Räume in <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> vielfältig<br />

<strong>und</strong> folgenreich ausgewirkt.


28 Peter Heinrich<br />

Zu den bedeutenden landschaftlichen Verän<strong>der</strong>ungen gehören die Landschaftstransformationen<br />

in den Braunkohlengebieten. Das Ende <strong>der</strong> Braunkohlengewinnung in<br />

den großen Tagebauen Olbersdorf, Berzdorf, Bärwalde, Scheibe, Spreetal-Nordost, in<br />

den 90er Jahren erfor<strong>der</strong>te umfangreiche Maßnahmen, denen sich die B<strong>und</strong>esrepublik<br />

Deutschland, die Braunkohlen-Län<strong>der</strong> Sachsen, Thüringen, Brandenburg <strong>und</strong> Sachsen-<br />

Anhalt sowie die Braunkohlengesellschaften stellten <strong>und</strong> tatkräftig die Sanierung <strong>der</strong><br />

Bergbaubrachen <strong>und</strong> die mit kommunaler <strong>und</strong> regionaler Mitbestimmung organisierte<br />

Neugestaltung einer zukunftsfähigen Landschaft einleiteten. In diesem Zusammenhang<br />

wurde auch die Sanierung von Tagebauen aufgenommen, die bereits Jahre früher eingestellt<br />

worden waren (vgl. Tab. 2). So entsteht in <strong>der</strong> vor <strong>der</strong> Bergbauzeit durch weitläufi ge<br />

Wäl<strong>der</strong>, Heiden <strong>und</strong> Teiche geprägten Kulturlandschaft zwischen Niesky <strong>und</strong> Lübbenau,<br />

die Landesgrenze von Brandenburg <strong>und</strong> Sachsen übergreifend, das Lausitzer Seenland<br />

mit ca. 40 großen Seen (davon zehn in <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong>), mit naturschutzrelevanten<br />

Räumen <strong>und</strong> Gebieten für Freizeit <strong>und</strong> Erholung. Für die <strong>Oberlausitz</strong> sind als bekannte<br />

Freizeiteinrichtungen Terra Nova bei Hoyerswerda <strong>und</strong> <strong>der</strong> Findlingspark Nochten hervorzuheben.<br />

Projektträger <strong>der</strong> Braunkohlensanierung in den neuen B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong>n ist<br />

die 1994 gegründete b<strong>und</strong>eseigene LMBV.<br />

Tagebau Beginn<br />

<strong>der</strong> Kohleför<strong>der</strong>ung<br />

Ende<br />

<strong>der</strong> Kohleför<strong>der</strong>ung<br />

1. Ende <strong>der</strong> Kohleför<strong>der</strong>ung vor 1990:<br />

Zeißholz 1911 1934<br />

Laubusch 1918 1962<br />

Heide 1912 1968<br />

Koschen 1955 1972<br />

Burghammer 1963 1973<br />

Bluno 1958 1975<br />

Skado 1944 1978<br />

Lohsa<br />

2. Ende <strong>der</strong> Kohleför<strong>der</strong>ung nach 1990:<br />

1952 1989<br />

Olbersdorf 1947 1991<br />

Spreetal-Nordost 1983 1991<br />

Bärwalde 1976 1992<br />

Scheibe 1985 1996<br />

Berzdorf 1946 1997<br />

Tab. 2: Stilllegung von Braunkohlentagebauen in <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong><br />

Die Sanierungen sind gut vorangeschritten (vgl. Tab. 3): In allen zukünftigen Seen<br />

steigt <strong>der</strong> Wasserspiegel <strong>und</strong> das Ende <strong>der</strong> Flutungen ist absehbar. Der Olbersdorfer<br />

See ist bereits ein Highlight für die Naherholung von <strong>Zittau</strong>, Olbersdorf <strong>und</strong> die weitere<br />

Umgebung. Die nächsten Seen folgen bald <strong>und</strong> werden die Lebensqualität <strong>der</strong><br />

benachbarten Orte deutlich verbessern <strong>und</strong> durch die Größe <strong>der</strong> Wasserfl ächen auch<br />

Wassersportfre<strong>und</strong>e aus den Metropolregionen anlocken. Bereits jetzt, auch wenn die


Die Planungsregion <strong>Oberlausitz</strong>-Nie<strong>der</strong>schlesien 29<br />

Wasserfl ächen noch nicht für die Nutzung freigegeben sind, können die neuen Seenlandschaften<br />

für die Erholung <strong>und</strong> als Reiseziele dienen, denn die Gebiete sind durch<br />

Wan<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Radwege erschlossen <strong>und</strong> Ansätze für die gastronomische Versorgung<br />

an den Seeufern zeigen sich. Durch schiffbare Kanäle werden die im Nordwesten <strong>der</strong><br />

<strong>Oberlausitz</strong> liegenden zukünftigen Seen (Geierswal<strong>der</strong> See, Partwitzer See, Sabrodter See,<br />

Blunoer Südsee, Neuwieser See, Spreetaler See <strong>und</strong> Sedlitzer See) verb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> für<br />

Fahrgastschiffe <strong>und</strong> Bootsfre<strong>und</strong>e ausgedehnte Seereisen ermöglichen. Weitere Impulse<br />

wurden für die Freizeitnutzung gesetzt: Dies zeigen die Vorbereitungen an den Seen für<br />

Bootsanleger, Marinas, Uferpromenaden, Campingplätze, Schwimmende Häuser <strong>und</strong><br />

attraktive Landschaftsgestaltungen.<br />

See Flutung<br />

Olbersdorfer See 1999<br />

Speicherbecken Dreiweibern 2002<br />

Geierswal<strong>der</strong> See 2006<br />

Bärwal<strong>der</strong> See 2007<br />

Bernstein See 2008<br />

Kortitzmühler See 2008<br />

Lugteich 2008<br />

Spreetaler See 2008<br />

Bergener See 2009<br />

Berzdorfer See 2009<br />

Blunoer Südsee 2009<br />

Neuwieser See 2009<br />

Sabrodter See 2009<br />

Partwitzer See 2010<br />

Speicherbecken Lohsa 2010<br />

Scheibe See 2011<br />

Graureiher See 2012<br />

Tab. 3: Entstehende Seefl ächen in den ehemaligen Braunkohlengebieten<br />

(Flutungsangaben laut Planungsstand<br />

vom März 2006)<br />

Die neuen Seenlandschaften <strong>der</strong> Ober- <strong>und</strong> Nie<strong>der</strong>lausitz stehen, wenn es um den<br />

Tourismus geht, in Konkurrenz zu weiteren Seenlandschaften in Mitteldeutschland <strong>und</strong><br />

in Westböhmen. Ebenso wie in <strong>der</strong> Lausitz mussten dort Anfang <strong>der</strong> 90er Jahre zahlreiche<br />

Braunkohlentagebaue aufgegeben <strong>und</strong> rekultiviert werden. Somit werden fast zeitgleich<br />

drei große künstlich angelegte Seenlandschaften zwischen Berlin <strong>und</strong> Prag entstehen.<br />

Die mo<strong>der</strong>ne Umweltgesetzgebung <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland hat innerhalb<br />

weniger Jahre bewirkt, dass die 1990 hohen Umweltbelastungen <strong>der</strong> Atmosphäre durch<br />

Staub <strong>und</strong> Schwefeldioxid drastisch reduziert werden konnten. Der früher typische<br />

Schwefelgeruch ist bereits seit Anfang <strong>der</strong> neunziger Jahre aus <strong>der</strong> Lausitz verschw<strong>und</strong>en.<br />

Die Emmissionen aus Großkraftwerken sind beim Schwefeldioxid (SO 2 ) von 1989<br />

bis 2000 von 100 Prozent auf beinahe null Prozent <strong>und</strong> beim Staub von 1989 bis 1995<br />

von 100 Prozent auf annähernd null Prozent zurückgegangen. Die Luft ist nun klar <strong>und</strong><br />

Fernsicht häufi g ungetrübt möglich.


30 Peter Heinrich<br />

3.2 Verän<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong> Wirtschaft<br />

Im neuen gesamtdeutschen Wirtschaftsraum ergaben sich völlig verän<strong>der</strong>te Bedingungen:<br />

Produkte aus Braunkohle konnten durch an<strong>der</strong>e Energieträger (Erdöl, Erdgas) spielend<br />

<strong>und</strong> in kürzester Zeit ersetzt werden. Der Wegfall von Strom fressenden Produktionen,<br />

die Umstellung <strong>der</strong> Haushalte von Kohle auf Erdgas <strong>und</strong> Heizöl <strong>und</strong> die Integration in<br />

ein leistungsfähiges westeuropäisches Stromverb<strong>und</strong>netz bedeuteten die Stilllegung von<br />

Kraftwerken. Innerhalb weniger Monate wurden in <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> die Brikettfabriken<br />

Zeißholz (12/91), Heide <strong>und</strong> Knappenrode (2/93), Laubusch (12/93) <strong>und</strong> Schwarze<br />

Pumpe aufgegeben sowie die dazugehörenden Industriekraftwerke Zeißholz (3/92),<br />

Heide (9/92), Lauta (9/92), Laubusch (2/93), Knappenrode (5/94) stillgelegt. Innerhalb<br />

von fünf Jahren kam das Aus für die Kraftwerke Hirschfelde (11/92), Berzdorf (92–97)<br />

<strong>und</strong> Teile von Boxberg (96–97). Neben <strong>der</strong> fehlenden Stromnachfrage, einer technischen<br />

Überalterung <strong>der</strong> Anlagen war die Einsicht, dass eine Anpassung dieser Kraftwerke an<br />

die ab 1998 auch für die neuen B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong> wirksamen Umweltvorgaben zur Luftreinhaltung<br />

nicht mehr sinnvoll ist, ausschlaggebend für die Stilllegungen.<br />

Die neuen Blöcke des Kraftwerkes Boxberg (1.000 MW, Baujahr 1978–1979) wurden<br />

jedoch umweltgerecht ertüchtigt <strong>und</strong> haben die Bedeutung des Kraftwerkstandortes gewahrt<br />

<strong>und</strong> den Weiterbetrieb <strong>der</strong> Tagebaue Nochten <strong>und</strong> Reichwalde erfor<strong>der</strong>t. Ab dem<br />

Jahr 2000 konnte <strong>der</strong> hochmo<strong>der</strong>ne Kraftwerksblock (907 MW) in Betrieb genommen<br />

werden, <strong>der</strong> durch seinen effi zienten Betrieb (Nettowirkungsgrad 42 Prozent) zusammen<br />

mit an<strong>der</strong>en Neubaukraftwerken in Ostdeutschland (Schwarze Pumpe: 1.600 MW, 41<br />

Prozent Nettowirkungsgrad; Lippendorf: 1.840 MW, 43 Prozent Nettowirkungsgrad)<br />

Maßstäbe für den neuzeitlichen Kraftwerksbau gesetzt hat. Der Bau eines weiteren<br />

Kraftwerksblockes in Boxberg (675 MW, 43,7 Prozent Nettowirkungsgrad) wurde 2006<br />

aufgenommen. Nach kurzem Probebetrieb ab Dezember 2010 soll <strong>der</strong> Block ab Februar<br />

2011 den Regelbetrieb aufnehmen.<br />

Die Braunkohlentagebaue Nochten <strong>und</strong> Reichwalde wurden ab 1990 durch die LAU-<br />

BAG <strong>und</strong> ab 2003 durch Vattenfall Europe weitergeführt. Mangels Nachfrage ist <strong>der</strong><br />

Tagebau Reichwalde seit 1999 gest<strong>und</strong>et <strong>und</strong> wird ab 1. 4. 2010 wie<strong>der</strong> die Produktion<br />

aufnehmen. Er wird dann zu den mo<strong>der</strong>nsten <strong>und</strong> effi zientesten Tagebauen gehören.<br />

Auch <strong>der</strong> Tagebau Nochten wurde mo<strong>der</strong>nisiert <strong>und</strong> wird aus dem bisher genehmigten<br />

Abbaufeld bis 2030 för<strong>der</strong>n. Über die Kohlegewinnung im anschließenden „Vorrangfeld<br />

für die Gewinnung von Braunkohle“ wird im Laufe <strong>der</strong> kommenden fünf Jahre<br />

entschieden werden. Der Tagebau Nochten ist mit allen aktiven Tagebauen <strong>der</strong> Ober-<br />

<strong>und</strong> Nie<strong>der</strong>lausitz <strong>und</strong> den Braunkohlenkraftwerken von Vattenfall durch Kohlebahnen<br />

verb<strong>und</strong>en. Der aus den Rauchgasreinigungsanlagen <strong>der</strong> Kraftwerke Schwarze Pumpe<br />

<strong>und</strong> Boxberg kommende Gips wird direkt an die Bauwirtschaft <strong>und</strong> die Gipsindustrie<br />

geliefert o<strong>der</strong> auf einer Gipsdeponie neben dem Kraftwerk Boxberg aufgehaldet.<br />

Auch die Steine- <strong>und</strong> Erdengewinnung ist in <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> noch von Bedeutung.<br />

Leistungsfähige Hartsteinbrüche (Grauwacke, Granodiorit, Granit) können die Region<br />

versorgen <strong>und</strong> konnten sich gegenüber in- <strong>und</strong> ausländischer Konkurrenz behaupten.<br />

Die Steinbrüche mit Eisenbahnanbindung (Oßling, Schwarzkollm) haben ihre überregionalen<br />

Absatzmärkte in Norddeutschland bewahrt <strong>und</strong> konkurrieren dabei mit skandi-


Die Planungsregion <strong>Oberlausitz</strong>-Nie<strong>der</strong>schlesien 31<br />

navischen Schotter- <strong>und</strong> Splittlieferungen. Die Werksteingewinnung (Demitz-Thumitz,<br />

Sora, Bischheim-Häslich) hat an Bedeutung verloren.<br />

Die Kaolingewinnung in Caminau erlebt eine steigende Nachfrage in Deutschland<br />

<strong>und</strong> im Ausland. Ausschlaggebend dafür sind in <strong>der</strong> Papierindustrie begehrte mineralogische<br />

Beson<strong>der</strong>heiten dieser Kaolinvarietät. Die Kaoline <strong>und</strong> Tone von Cunnersdorf<br />

konnten sich eine konstante Nachfrage in <strong>der</strong> norditalienischen keramischen Industrie<br />

sichern.<br />

Die Fahrzeugindustrie hat sich in <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> wie<strong>der</strong> mit hochwertigen Produkten<br />

gut etablieren können. Die in Görlitz hergestellten Doppelstockwagen (Bombardier)<br />

werden in verschiedenen europäischen Län<strong>der</strong>n (Deutschland, Dänemark, Luxemburg)<br />

<strong>und</strong> in Israel im Eisenbahnverkehr eingesetzt. Alleine bei <strong>der</strong> Deutschen Bahn AG<br />

(DBAG) sind mittlerweile 1.400 mo<strong>der</strong>ne Doppelstockwagen im Einsatz. Die Straßenbahnwagenproduktion<br />

von Bautzen hat ebenfalls nationale <strong>und</strong> internationale Nachfrage<br />

(Australien, Frankreich, Großbritannien, Nie<strong>der</strong>lande, Schweden, Spanien) gef<strong>und</strong>en.<br />

In Niesky konnte die Fabrikation von Spezialgüterwagen nach problematischen Jahren<br />

ab 2005 einen erfolgreichen Weg einschlagen <strong>und</strong> Großserien für die DBAG, die ÖBB,<br />

die SBB <strong>und</strong> die SNCF liefern.<br />

Die Kraftfahrzeugzulieferindustrie in Bautzen <strong>und</strong> im Oberland konnte in den letzten<br />

Jahren ihre Marktchancen deutlich verbessern <strong>und</strong> für einzelne Produkte führende<br />

Positionen bei den großen Automobilherstellern erlangen.<br />

Das Turbinenwerk (Siemens) in Görlitz wurde zu einem Kompetenzzentrum für Industrieturbinen<br />

entwickelt <strong>und</strong> kann für dieses Marktsegment im globalen Rahmen als<br />

einer <strong>der</strong> führenden Hersteller gelten.<br />

Dem gegenüber haben traditionelle Wirtschaftszweige (im Norden <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong><br />

die Glasindustrie <strong>und</strong> im Süden die Textilindustrie) ihre frühere Bedeutung nicht aufrechterhalten<br />

können, wenn auch in Spezialbereichen noch hochwertige Produkte <strong>der</strong><br />

wenigen verbliebenen Industriebetriebe nachgefragt werden. Vollständig eingestellt wurde<br />

1990 die 1916 aufgenommene Aluminiumerzeugung in Lauta.<br />

Die Landwirtschaft konnte sich unter Anpassung an die durch die Europäische<br />

Union gegebenen Bedingungen behaupten. Eine zunehmende Bedeutung erlangt dabei<br />

die Produktion von nachwachsenden Rohstoffen. Eine Beson<strong>der</strong>heit <strong>der</strong> nördlichen<br />

<strong>Oberlausitz</strong> sind die zwischen Kamenz <strong>und</strong> Rothenburg/O.L. verbreiteten Teichanlagen.<br />

Sie dienen seit dem Mittelalter <strong>der</strong> Karpfenproduktion <strong>und</strong> auch heute gehört dieses<br />

Zuchtgebiet im b<strong>und</strong>esdeutschen Rahmen zu den führenden Produzenten.<br />

In Folge <strong>der</strong> Aufforstung auf den Sanierungsfl ächen des Braunkohlenbergbaues<br />

konnten die Waldanteile in <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> vergrößert werden. Die nennenswerte einheimische<br />

Holzproduktion <strong>und</strong> die leichte Zuführbarkeit von Rohholz (Fichte <strong>und</strong><br />

Kiefer) aus den benachbarten großen Waldgebieten in Polen <strong>und</strong> Tschechien wurden<br />

standortentscheidend für ein ab 2005 produzierendes, sehr leistungsfähiges Sägewerk in<br />

Ko<strong>der</strong>sdorf. Zum größten Teil geht die Produktion von Bauholz über die Häfen Bremen<br />

<strong>und</strong> Wismar in die USA.<br />

Im Nahrungsmittelsektor konnten sich die traditionellen Brauereistandorte Görlitz<br />

<strong>und</strong> Radeberg behaupten. Ebenso sind einheimisches Mineralwasser, Schnaps <strong>und</strong><br />

Lausitzer Fruchtsäfte noch immer ein Begriff. In Leppersdorf entstand bereits Anfang


32 Peter Heinrich<br />

<strong>der</strong> 90er Jahre die mo<strong>der</strong>nste <strong>und</strong> leistungsfähigste Molkerei Deutschlands. Auf Gr<strong>und</strong><br />

weiterer Nachfragen wird sie erweitert.<br />

3.3 Ausbau <strong>der</strong> Verkehrswege<br />

Nach <strong>der</strong> Wende war sofort erkennbar, dass das stark vernachlässigte Straßennetz die<br />

Entwicklungschancen <strong>und</strong> die Konkurrenzfähigkeit <strong>der</strong> Region erheblich verschlechtern<br />

würde. Entschlossen wurde das gesamte Verkehrsnetz mit Autobahnen, B<strong>und</strong>esstraßen,<br />

Kreis- <strong>und</strong> Gemeindestraßen saniert <strong>und</strong> auf einen mo<strong>der</strong>nen Stand gebracht. Ausschlaggebend<br />

für die positive Entwicklung <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> wurde <strong>der</strong> schnelle Aus- <strong>und</strong><br />

Neubau <strong>der</strong> A 4. Nachdem bereits zum 15. 7. 1994 die Autobahnbrücke über die Lausitzer<br />

Neiße für Lkw verfügbar war, konnte am 5. 8. 1996 die allgemeine Verkehrsfreigabe<br />

erfolgen. Konsequent wurde die gesamte A 4 von Dresden nach Ludwigsdorf bis März<br />

1999 mo<strong>der</strong>n gebaut. Der Bau <strong>der</strong> B 178 von <strong>der</strong> Autobahn A 4 (bei Weißenberg) bis<br />

<strong>Zittau</strong> <strong>und</strong> die Weiterführung bis Liberec/Reichenberg ist aufgenommen. Nunmehr<br />

befi nden sich die B 96n von <strong>der</strong> Autobahn A 13 bei Ruhland bis Hoyerswerda <strong>und</strong> die<br />

B 160 von Hoyerswerda bis Weißwasser in <strong>der</strong> Planung. Damit sollen die Nachteile <strong>der</strong><br />

autobahnfernen Lage von Hoyerswerda, Schwarze Pumpe <strong>und</strong> Weißwasser überw<strong>und</strong>en<br />

<strong>und</strong> eine weitere leistungsfähige West-Ost-Verbindung aus den Räumen Halle-Leipzig<br />

<strong>und</strong> Elsterwerda-Schwarzheide nach Polen bereitgestellt werden. Die Vorhaben B 96n,<br />

B 160 <strong>und</strong> B 178 sind im aktuellen B<strong>und</strong>esverkehrswegeplan <strong>der</strong> Kategorie „vordringlicher<br />

Bedarf “ zugeordnet <strong>und</strong> bis 2015 zu realisieren.<br />

Das Streckennetz <strong>der</strong> DBAG wurde zielstrebig mo<strong>der</strong>nisiert: Nahezu alle Gleisanlagen,<br />

soweit sie langfristig weiterhin benötigt werden, wurden erneuert. Die Strecke<br />

Dresden–Görlitz wurde vollständig zweigleisig ausgebaut <strong>und</strong> wird ab 2006 komplett<br />

durch elektronische Stellwerke gesteuert. Die Strecken Arnsdorf–Kamenz, Bischofswerda–<strong>Zittau</strong>,<br />

<strong>Zittau</strong>–Görlitz, Görlitz–Cottbus, Ruhland–Horka wurden teilweise aufwendig<br />

saniert. Nach dem aktuellen B<strong>und</strong>esverkehrswegeplan ist die Elektrifi zierung <strong>der</strong> Strecke<br />

Dresden–Görlitz <strong>und</strong> <strong>der</strong> Ausbau für 160 km/h vorgesehen. Die Strecke (Berlin–)<br />

Cottbus–Görlitz soll zweigleisig ausgebaut <strong>und</strong> ebenfalls elektrifi ziert werden. Für den<br />

Güterverkehr zwischen Deutschland <strong>und</strong> Polen ist die Strecke Falkenberg–Hoyerswerda–<br />

Horka sehr bedeutsam. Sie soll für 120–140 km/h Geschwindigkeit ausgebaut werden.<br />

Für den Abschnitt Knappenrode–Kohlfurt (Węgliniec) ist <strong>der</strong> zweigleisige Ausbau <strong>und</strong><br />

die Elektrifi zierung in den Jahren 2009/2010 vorgesehen.<br />

Die Strecken Dresden–Görlitz–Breslau (Wrocław) <strong>und</strong> Falkenberg/Dresden–Hoyerswerda–Breslau<br />

(Wrocław) haben auch im europäischen Rahmen eine herausragende Verbindungsfunktion<br />

<strong>und</strong> sind wichtige Abschnitte im europäischen Transportkorridor III<br />

(Leipzig/Berlin–Breslau (Wrocław)–Kattowitz (Katowice)–Lemberg (Lwiw)–Kiew.<br />

Es ist jedoch auch von aufgegebenen Strecken zu berichten:<br />

Görlitz SVT–Königshain: 23. 5. 1993 Schienenpersonennahverkehr (SPNV) eingestellt,<br />

1997 stillgelegt,<br />

Bahnsdorf/Sedlitz–Sabrodt–Spreewitz: in Abschnitten 1995, 2002, 2003 stillgelegt,<br />

Weißwasser–Bad Muskau: 1995 stillgelegt,


Die Planungsregion <strong>Oberlausitz</strong>-Nie<strong>der</strong>schlesien 33<br />

Weißwasser–Forst: 27. 9. 1996 SPNV eingestellt, 1999 stillgelegt,<br />

Löbau–Herrnhut–Obero<strong>der</strong>witz: 23. 5. 1998 SPNV eingestellt,<br />

Großpostwitz–Löbau: 23. 5. 1998 stillgelegt,<br />

Arnsdorf−Dürröhrsdorf: voraussichtlich 2006/2007 stillzulegen, SPNV 25. 5. 1998 stillgelegt,<br />

Königsbrück–Straßgräbchen: 23. 5. 1998 SPNV eingestellt,<br />

Bautzen–Königswartha: 30. 5. 1999 SPNV eingestellt, 2001 stillgelegt,<br />

Großschweidnitz–Ebersbach: 14. 12. 2002 SPNV eingestellt,<br />

Bautzen–Wilthen: 13. 12. 2004 SPNV eingestellt.<br />

Die Deutsche Regionaleisenbahn GmbH hat mittlerweile die Strecken Horka–Lodenau,<br />

Nie<strong>der</strong>cunnersdorf–Herrnhut–Obero<strong>der</strong>witz gepachtet <strong>und</strong> beabsichtigt auch die<br />

Strecken Seifhennersdorf–Grenze <strong>und</strong> Bautzen–Wilthen zu pachten <strong>und</strong> für den weiteren<br />

Eisenbahnverkehr verfügbar zu halten.<br />

Am 25. 6. 2001 wurde in Görlitz <strong>der</strong> Rangierbahnhof Schlauroth stillgelegt. Zu dieser<br />

Zeit hat die DBAG ein neues Gütertransportkonzept eingeführt <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Folge wurden<br />

zahlreiche Güterverkehrsstellen (z. B. <strong>Zittau</strong>, Ebersbach, Bischofswerda, Kamenz,<br />

Hoyerswerda, Weißwasser) aufgegeben. Heute haben in <strong>der</strong> Lausitz für den Güterverkehr<br />

noch Bautzen, Görlitz, Cunnersdorf, Caminau, Ko<strong>der</strong>sdorf <strong>und</strong> Spreewitz Bedeutung.<br />

Spreewitz ist <strong>der</strong> Zugabgangsbahnhof für die Industriegebiete Schwarze Pumpe <strong>und</strong><br />

Boxberg <strong>und</strong> besitzt das mit Abstand höchste Güterzugaufkommen <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong>.<br />

Von hier aus werden Kohlenzüge zu den Kraftwerken in Berlin-Rummelsburg, Chemnitz<br />

<strong>und</strong> Cottbus sowie zu den Zuckerfabriken Könnern <strong>und</strong> Brottewitz <strong>und</strong> zur Zementfabrik<br />

Deuna abgefertigt. Brikettganzzüge fahren nach Bautzen, Weimar, Brandenburg <strong>und</strong><br />

Hamburg. Gipszüge pendeln regelmäßig nach Nauen <strong>und</strong> Iphofen. Im Zuggang nach<br />

Spreewitz laufen die Kalksteintransporte von Oberschlesien für die Rauchgasreinigungsanlagen<br />

<strong>der</strong> Kraftwerke sowie Produkte <strong>der</strong> chemischen Industrie <strong>und</strong> <strong>der</strong> Raffi nerien<br />

(z. B. Schwedt/O<strong>der</strong>) für das SVZ. Soweit Einzelwagenladungen aufkommen, werden sie<br />

dem Zugbildungsbahnhof Senftenberg zugeführt. Regelmäßige Ziele von Einzeltransporten<br />

sind Dečin/Tetschen <strong>und</strong> Sorau (Żary) für Methanol sowie Gelsenkirchen für<br />

Gipskarton. Papierprodukte werden direkt bis nach Österreich, Ungarn, Rumänien <strong>und</strong><br />

Polen gefahren.<br />

Neben DB Cargo (bzw. Railion) führte zeitweise auch ITL Züge durch die <strong>Oberlausitz</strong>:<br />

Dies waren Leistungen zwischen Hamburg <strong>und</strong> Tschechien, die über die Strecken Ruhland–Kamenz–Bischofswerda–Ebersbach<br />

bzw. bei überlangen Zügen über Bischofswerda–<br />

Reichenbach/O.L.–Ebersbach–Tschechische Republik geführt worden sind. Nachdem die<br />

Elbstrecke 2006 wie<strong>der</strong> leistungsfähig hergestellt ist, wird dies nur noch in Ausnahmefällen<br />

wie<strong>der</strong>holt werden. Weiterhin bedient ITL regelmäßig den Steinbruch Oberottendorf <strong>und</strong><br />

einen Fabrikanschluss in Wilthen.<br />

Im Reiseverkehr sind die wesentlichen Verbesserungen in <strong>der</strong> Verkürzung <strong>der</strong> Fahrzeiten,<br />

in <strong>der</strong> Einführung des Taktverkehrs <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Umstellung auf mo<strong>der</strong>ne Fahrzeuge<br />

zu sehen. Hier ist <strong>der</strong> Einsatz <strong>der</strong> Triebwagenreihe 612 ab 2002 im RE-Verkehr Dresden–Görlitz<br />

<strong>und</strong> Dresden–<strong>Zittau</strong>–Liberec/Reichenberg hervorzuheben. Auf den nicht<br />

elektrifi zierten Strecken werden ab 2001 die Neubautriebwagen <strong>der</strong> Reihe 642 von <strong>der</strong><br />

DBAG im RB-Verkehr eingesetzt. Bei <strong>der</strong> Ausschreibung <strong>der</strong> Verkehrsleistungen fi el für


34 Peter Heinrich<br />

die Relation <strong>Zittau</strong> – Görlitz – Cottbus die Leistung vollständig an CONNEX, die ebenfalls<br />

neue, <strong>der</strong> Reihe 642 ähnliche, Triebwagen einsetzt.<br />

Die Ausschreibung <strong>der</strong> Verkehrsleistungen auf <strong>der</strong> Strecke Eibau–Varnsdorf/Warnsdorf–<br />

<strong>Zittau</strong> ermittelte als zweckmäßigsten Anbieter die „Sächsisch-Böhmische Eisenbahngesellschaft<br />

mbH“, die im Übrigen ihre Triebwagen bis nach Liberec/Reichenberg durchlaufen<br />

lässt.<br />

Allerdings ist zu beklagen, dass die IR-Verbindungen von Dresden nach Görlitz (seit<br />

28. 5. 2000), von Berlin nach Görlitz (seit 10. 6. 2001) <strong>und</strong> von Dresden nach Breslau<br />

(seit Dezember 2004) mangels Nachfrage aufgegeben werden mussten. Dagegen werden<br />

Überlegungen angestellt, dass nach dem Ausbau (ca. 2010) <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>schlesischen<br />

Magistrale (Falkenberg–Hoyerswerda–Kohlfurt [Węgliniec]) wie<strong>der</strong> durchgehende Züge<br />

von Leipzig via Hoyerswerda bis Görlitz gefahren werden. In Hoyerswerda ist in Verbindung<br />

mit dem Streckenausbau beabsichtigt, die Züge von Dresden über den Bahnhof<br />

Hoyerswerda hinaus bis Hoyerswerda-Neustadt zu verlängern <strong>und</strong> damit dem bevölkerungsreichen<br />

Stadtteil eine direkte Verbindung in die Landeshauptstadt zu verschaffen.<br />

Wünschenswert wäre für Hoyerswerda außerdem wie<strong>der</strong> die regelmäßige Verbindung mit<br />

RE-Zügen über Senftenberg nach Berlin.<br />

Nach 1990 wurden die NVA-Flugplätze Kamenz, Bautzen-Litten <strong>und</strong> Rothenburg/<br />

O.L. einer zivilen Nutzung zugeführt. Es wurden damit große Hoffnungen verb<strong>und</strong>en,<br />

dass die Verfügbarkeit <strong>der</strong> Flugplätze als wesentlicher Standortvorteil bei neuen Investitionsentscheidungen<br />

in <strong>der</strong> Wirtschaft dienen kann. Im Rückblick kann gesagt werden,<br />

dass dies im Einzelfall evtl. gegeben war. Zu einer großen Auslastung <strong>der</strong> Flugplätze<br />

hat es jedoch nie gereicht, so dass über die zukünftigen <strong>Chancen</strong> von drei Flugplätzen<br />

weiter nachgedacht werden muss, zumal die <strong>Oberlausitz</strong> über die A 4 auch sehr gut an<br />

den Flugplatz Dresden-Klotzsche angeb<strong>und</strong>en ist.<br />

4. Grenzübergangsstellen<br />

Im Jahr 1990 bestanden für die Eisenbahn die Grenzübergangsstellen Horka–Kohlfurt<br />

(Węgliniec), Görlitz–Zgorzelec <strong>und</strong> <strong>Zittau</strong>–Hradek n. N./Grottau. Nach 1990 wurde<br />

<strong>der</strong> Übergang Ebersbach–Rumburk/Rumburg geöffnet <strong>und</strong> seit 1. 6. 2006 halten die<br />

deutschen RB-Züge Eibau–Seifhennersdorf–Großschönau–<strong>Zittau</strong> auch in Varnsdorf/<br />

Warnsdorf. Die grenzüberschreitenden Zugfrequenzen (Stand 2003) werden für<br />

Horka–Kohlfurt (Węgliniec) mit 33 Güterzügen/Tag, für Görlitz–Zgorzelec mit acht<br />

Reisezügen/Tag, für <strong>Zittau</strong>–Hradek n. N./Grottau mit 16 Reisezügen/Tag <strong>und</strong> für Ebersbach–Rumburk/Rumburg<br />

mit ca. zwei Güterzügen/Tag angegeben.<br />

Im Straßenverkehr konnten 1990 genutzt werden: Bad Muskau–Lugknitz/Łeknica,<br />

Görlitz–Zgorzelec, <strong>Zittau</strong>–Kleinschönau/Sienawka, Neugersdorf–Jiřikov/Georgswalde,<br />

Seifhennersdorf–Varnsdorf/Warnsdorf. Mittlerweile wurden als weitere Übergänge Podrosche–Priebus/Przewóz<br />

(seit 3. 3. 1995), Ludwigsdorf–Hennersdorf/Jedrzychowice (Autobahn<br />

seit 15. 7. 1994), <strong>Zittau</strong>–Poritsch/Porajów (seit 1. 12. 1993), Hagenwer<strong>der</strong>–Radmeritz/<br />

Radomierzyce (seit 6. 11. 2003), Sohland a. d. Spree–Rozany/Rosenhain (seit 1. 4. 2003),<br />

Neugersdorf–Rumburk/Rumburg (seit 1. 7. 2002), Seifhennersdorf–Rumburk/Rumburg


Die Planungsregion <strong>Oberlausitz</strong>-Nie<strong>der</strong>schlesien 35<br />

(seit 1. 7. 2005) geöffnet. Vorgesehen sind für den Straßenverkehr die weiteren Übergänge<br />

Krauschwitz–Lugknitz/Łeknica, Deschka–Penzig/Piensk, Ebersbach–Jiřikov/Georgswalde,<br />

Neugersdorf–Jiřikov/Georgswalde <strong>und</strong> Großschönau–Varnsdorf/Warnsdorf.<br />

Touristische Übergänge waren 1990 noch nicht vorhanden. Bis 2005 sind Fußgängerübergänge<br />

zwischen Polen <strong>und</strong> Deutschland in Bad Muskau (Fürst-Pückler-Park), Deschka,<br />

Görlitz (Altstadtbrücke) <strong>und</strong> Ostritz sowie zwischen Tschechien <strong>und</strong> Deutschland<br />

in Steinigtwolmsdorf, Sohland a. d. Spree, Oppach, Neusalza-Spremberg, Frie<strong>der</strong>sdorf,<br />

Ebersbach, Neugersdorf, Großschönau, Waltersdorf, Jonsdorf, Oybin, Lückendorf <strong>und</strong><br />

Hartau geöffnet worden.<br />

5. Zusammenfassung<br />

Die <strong>Oberlausitz</strong> hat erhebliche Verän<strong>der</strong>ungen in nahezu allen Sektoren bewältigen<br />

müssen. Die Abwan<strong>der</strong>ung, insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Jugend, <strong>und</strong> die hohe Arbeitslosigkeit<br />

über eineinhalb Jahrzehnte lasten schwer auf <strong>der</strong> Region <strong>und</strong> erlauben keine Rast <strong>und</strong><br />

keine Nachlässigkeit. Die Situation muss weiter verbessert werden. Gr<strong>und</strong>voraussetzungen<br />

bei <strong>der</strong> Infrastruktur <strong>und</strong> im Städtebau, in den Verbindungen zu den benachbarten<br />

Regionen in Sachsen <strong>und</strong> Brandenburg, in Polen <strong>und</strong> Tschechien sowie zu den<br />

nahen Metropolregionen Berlin <strong>und</strong> Sachsendreieck Dresden, Chemnitz, Leipzig sind<br />

geschaffen. Die Verkehrswege sind leistungsfähig <strong>und</strong> stehen heute den Verhältnissen<br />

in Süd- <strong>und</strong> Westdeutschland in nichts nach. So erklären sich die Bestandserhaltung<br />

vieler Wirtschaftsstandorte <strong>und</strong> die Gründung neuer Unternehmen in <strong>der</strong> Lausitz. Dies<br />

ist auch aus weiteren Gründen Erfolg versprechend, denn in <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> befi ndet<br />

sich eine fl eißige, talentierte <strong>und</strong> mo<strong>der</strong>nen Entwicklungen gegenüber aufgeschlossene<br />

Bevölkerung. Die Lebensqualität in <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> ist gut, Landschaft <strong>und</strong> Städte sind<br />

attraktiv. Und die Lausitz ist trotz hoher Abwan<strong>der</strong>ung noch immer die Heimat von<br />

über 650.000 Einwohnern. Und dies for<strong>der</strong>t zu weiteren Anstrengungen <strong>und</strong> zur Stärkung<br />

<strong>der</strong> Region auf.


36 Andreas Schaaf<br />

Ergebnisse <strong>und</strong> Vorhaben des Oberzentralen<br />

Städteverb<strong>und</strong>es Bautzen – Görlitz – Hoyerswerda<br />

ANDREAS SCHAAF<br />

Vorbemerkungen<br />

Zu Beginn <strong>der</strong> Darlegungen zwei Vorbemerkungen, die für das Verständnis <strong>und</strong> die<br />

Einordnung des Oberzentralen Städteverb<strong>und</strong>es Bautzen – Görlitz – Hoyerswerda (kurz<br />

OZSV) wichtig sind:<br />

1. Die Reihenfolge <strong>der</strong> Städte beinhaltet keine Wertung, sie entspricht <strong>der</strong> alphabetischen<br />

Sortierung.<br />

2. Der Oberzentrale Städteverb<strong>und</strong> ist kein rechtsfähiges Organ, er ist we<strong>der</strong> ein Verein<br />

noch ein Zweckverband. Er ist eine offen strukturierte Zweckgemeinschaft.<br />

Wir haben we<strong>der</strong> ein Logo noch einen Slogan, son<strong>der</strong>n beziehen uns in <strong>der</strong> Außendarstellung<br />

weiterhin auf die beteiligten Städte.<br />

Die Entstehung des Oberzentralen Städteverb<strong>und</strong>es basiert auf einer normativen<br />

Festlegung im Landesentwicklungsplan des Freistaates Sachsen aus dem Jahre 1994.<br />

Ostsachsen selbst hat kein originäres Oberzentrum <strong>und</strong> für weite Teile <strong>der</strong> Region Ostsach<br />

sen ist <strong>der</strong> Bezug auf Dresden als nächstgelegenes Oberzentrum aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> großen<br />

räumlichen Entfernung einfach zu gering. Dem Oberzentralen Städteverb<strong>und</strong> fehlt<br />

deshalb das wichtigste Merkmal eines normalen Städtenetzes: die Freiwilligkeit. Insofern<br />

war die Findungsphase <strong>der</strong> drei Städte durchaus problematisch, jedoch konnten in <strong>der</strong>en<br />

Ergebnis gemeinsame Themen <strong>und</strong> eine arbeitsfähige Struktur herausgearbeitet werden.<br />

Der Zusammenschluss <strong>der</strong> drei größten Städte <strong>der</strong> Region deckt die Ausstattungsmerkmale<br />

für ein Oberzentrum nach dem Landesentwicklungsplan ab. Die überwiegende<br />

Funktion laut Landesentwicklungsplan ist die Versorgungsaufgabe mit oberzentralen<br />

Funktionen.<br />

Arbeitsstrukturen<br />

Eine wichtige Gr<strong>und</strong>lage für die gute Zusammenarbeit war die schnelle Verständigung<br />

auf eine effektive Arbeitsstruktur. Die Steuerungsgruppe fungiert als das zentrale Entscheidungsgremium<br />

des Oberzentralen Städteverb<strong>und</strong>es. Sie besteht aus den Oberbürgermeistern<br />

<strong>der</strong> drei Städte, die sich auf den Oberbürgermeister <strong>der</strong> Stadt Bautzen als<br />

Sprecher des OZSV verständigt haben.


Ergebnisse <strong>und</strong> Vorhaben des Oberzentralen Städteverb<strong>und</strong>es Bautzen – Görlitz – Hoyerswerda 37<br />

In je<strong>der</strong> Stadt wurde jeweils ein verantwortlicher Mitarbeiter als Ansprechpartner<br />

festgelegt. Diese Mitarbeiter fungieren gewissermaßen als geschäftsführendes Gremium<br />

<strong>und</strong> werden in die Arbeit <strong>der</strong> Steuerungsgruppe einbezogen. Zudem stellen diese Mitarbeiter<br />

die wichtige Schnittstelle zwischen <strong>der</strong> Steuerungsgruppe <strong>und</strong> den einzelnen<br />

Arbeitsgruppen, die für die inhaltliche, fachliche Arbeit verantwortlich zeichnen, dar.<br />

Der OZSV hat daher auch keine geson<strong>der</strong>te Geschäftsstelle.<br />

Aus den anfänglich zwei festen Arbeitsgruppen (Verkehr sowie Kultur/Soziales) entstanden<br />

im Ergebnis <strong>der</strong> praktischen Zusammenarbeit die drei Arbeitsgruppen<br />

•Bau/Infrastruktur – Leitung Bautzen<br />

•Wirtschaft – Leitung Görlitz<br />

•Kultur/Soziales – Leitung Hoyerswerda<br />

Eine Zusammenfassung stellt die folgende Übersicht dar.<br />

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Im Rahmen <strong>der</strong> praktischen Zusammenarbeit konnten die zu Beginn <strong>der</strong> Zusammenarbeit<br />

hin<strong>der</strong>lichen, aber durchaus berechtigten „lokalen Egoismen“ weitestgehend zurückgestellt<br />

<strong>und</strong> die Bedeutung <strong>der</strong> positiven Effekte herausgestellt werden.<br />

Die Themen <strong>der</strong> Arbeitsgruppen werden in <strong>der</strong> Steuerungsgruppe besprochen <strong>und</strong><br />

dann zur Durchführung delegiert. Entscheidungen werden gemeinsam in <strong>der</strong> Steuerungsgruppe<br />

getroffen.<br />

Für den Schriftverkehr haben wir gemeinsam einen Kopfbogen erstellt, in dem sich<br />

die drei Städte wie<strong>der</strong>fi nden. Im Rahmen <strong>der</strong> Beteiligung als Träger öffentlicher Belange<br />

<strong>und</strong> bei allgemeinen Sachverhalten agiert <strong>der</strong> Sprecher des OZSV in inhaltlicher Abstimmung<br />

mit den beiden an<strong>der</strong>en Städten. Schreiben des OZSV mit herausragen<strong>der</strong><br />

Bedeutung werden als gemeinsame Willensbek<strong>und</strong>ung durch alle drei Oberbürgermeister<br />

unterzeichnet.<br />

Im Hinblick auf die inhaltliche Zusammenarbeit <strong>und</strong> die Feststellung von Kooperationsmöglichkeiten<br />

wurde 1998 die Erarbeitung eines Regionalen Entwicklungs- <strong>und</strong><br />

Handlungskonzeptes (REK) in Auftrag gegeben. Um eine breite Akzeptanz des Inhaltes<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Ergebnisse zu erreichen, wurden alle relevanten regionalen Akteure (Landkreise,<br />

Regionale Planungsstelle, Regionale Wirtschaftsför<strong>der</strong>gesellschaft, IHK, Vertreter <strong>der</strong><br />

Wirtschaft usw.) einbezogen.


38 Andreas Schaaf<br />

In dem nach intensiven Diskussionen letztlich durch alle drei Stadträte als weitere<br />

Handlungsgr<strong>und</strong>lage beschlossenen REK wurden die gemeinsamen Leitvorstellungen<br />

<strong>der</strong> künftigen Aufgaben herausgearbeitet <strong>und</strong> mittels konkreter Projekte untersetzt.<br />

Damit erhielt <strong>der</strong> OZSV eine formelle Aufgabenzuweisung durch die Stadträte. Die<br />

Projektliste im REK ermöglichte die sofortige konkrete Weiterarbeit.<br />

Die Projekte selbst berücksichtigen die unterschiedlichen Interessenlagen <strong>und</strong> Entwicklungserfor<strong>der</strong>nisse<br />

<strong>und</strong> lassen sich in drei Projektgruppen unterglie<strong>der</strong>n:<br />

– Projekte zur Stabilisierung <strong>und</strong> Entwicklung einer einzelnen Stadt – die an<strong>der</strong>en beiden<br />

Städte unterstützen diese Projekte (bspw. Bau- o. Infrastrukturvorhaben)<br />

– Projekte, <strong>der</strong>en Durchführung nicht im Kompetenzbereich <strong>der</strong> Städte des OZSV liegt<br />

(bspw. regionale Verkehrsinfrastruktur ) – durch die Städte des OZSV werden die<br />

Projekte initiiert. Gegebenenfalls wird auch politischer Druck durch die drei Städte<br />

aufgebaut.<br />

– Netzwerkprojekte – diese werden gemeinsam entwickelt <strong>und</strong> umgesetzt.<br />

Der OZSV selbst ist nicht rechtsfähig. Dies sind nur die einzelnen Städte. Dadurch<br />

sind wir zu einer komplizierten, aber mittlerweile sehr gut funktionierenden Verfahrensweise<br />

gekommen. Für jedes Projekt wird immer die Fe<strong>der</strong>führung durch eine Stadt<br />

abgestimmt <strong>und</strong> festgelegt. Dazu wird eine entsprechende Vereinbarung unterzeichnet,<br />

die auch regelt, wie die fi nanziellen Aufwendungen – in <strong>der</strong> Regel zu gleichen Teilen<br />

– getragen werden. Somit tragen die drei Städte gemeinsam die anfallenden Kosten,<br />

bspw. Eigenmittel von För<strong>der</strong>ungen.<br />

Die Vorteile dieser Verfahrensweise sind letztlich nicht unerheblich.<br />

– Über jede Projektidee wird genau Rechenschaft abgelegt.<br />

– Die Kooperation über Projekte beeinträchtigt die Städte nicht gr<strong>und</strong>sätzlich in ihrer<br />

politischen Entscheidungsfreiheit.<br />

– Die Offenheit in <strong>der</strong> Kooperation bleibt gewahrt.<br />

– Die Stadträte haben bei <strong>der</strong> Haushaltsentscheidung weiterhin uneingeschränkte Möglichkeiten.<br />

Ansatz zur <strong>Regionalentwicklung</strong><br />

Entsprechend <strong>der</strong> Festlegung im Landesentwicklungsplan sollen die drei Städte des<br />

Oberzentralen Städteverb<strong>und</strong>es gemeinsam für die Region <strong>Oberlausitz</strong>-Nie<strong>der</strong>schlesien<br />

die Aufgaben eines Oberzentrums erfüllen. Dabei haben sie folgende Funktionen zu<br />

erfüllen:<br />

1. Versorgungsfunktion – Sportstätten, Kultur (Theater), gehobenes Bildungsangebot,<br />

gehobene Ausstattung im Ges<strong>und</strong>heitswesen usw.<br />

Zur Entwicklung einer Region sind gr<strong>und</strong>legende Versorgungs- <strong>und</strong> Dienstleistungsangebote<br />

zwingende Voraussetzung. Dies sind Aufgabenbereiche, die ein großes Einzugsgebiet<br />

erfor<strong>der</strong>n <strong>und</strong> aufwendig zu betreiben sind. Dementsprechend können sie<br />

nicht überall <strong>und</strong> beliebig oft angeboten werden


Ergebnisse <strong>und</strong> Vorhaben des Oberzentralen Städteverb<strong>und</strong>es Bautzen – Görlitz – Hoyerswerda 39<br />

2. Schaffung eines Blickpunktes auf die Region – Stärkung des regionalen Selbstverständnisses<br />

<strong>und</strong> seiner Wahrnehmung.<br />

Unsere Region ist geprägt von landschaftlicher Vielfalt, Vielfalt <strong>der</strong> Kultur <strong>und</strong> <strong>der</strong> Kulturen,<br />

Lausitzer bzw. <strong>Oberlausitz</strong>er, Nie<strong>der</strong>schlesier, Deutsche, Sorben. Das regionale<br />

Selbstverständnis ist von dieser Vielfalt geprägt. Diese Vielfalt ist jedoch nur begrenzt<br />

vermarktungsfähig. Daher sollte die Region in ihrer Gesamtheit vermittel- <strong>und</strong> wahrnehmbar<br />

sein.<br />

Insofern will <strong>der</strong> OZSV einen Beitrag zur konzentrierten Außendarstellung, einen<br />

Identifi kationspunkt bilden<br />

3. Stabilisierung <strong>der</strong> Eigenentwicklung <strong>der</strong> Städte<br />

Starke Städte sind kein Selbstzweck <strong>und</strong> auch kein Egoismus, son<strong>der</strong>n sie nutzen <strong>der</strong><br />

Region (bspw. sind in Bautzen 60 % aller Arbeitsplätze durch Einpendler besetzt, die<br />

Zahl <strong>der</strong> Arbeitsplätze pro Einwohner ist höher als in Dresden, gleichwohl ist die Zahl<br />

<strong>der</strong> Arbeitslosen ebenso hoch wie im umgebenden Landkreis). Nur stabile, starke Städte<br />

sind in <strong>der</strong> Lage, die notwendige Versorgungsfunktion für die Region zu erfüllen.<br />

4. Entwicklungsfunktion – För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Region als Ganzes<br />

Die Städte des OZSV sind sich Ihrer beson<strong>der</strong>en Verantwortung gegenüber <strong>der</strong> Region<br />

bewusst <strong>und</strong> wollen diese verstärkt wahrnehmen. Dazu werden Projekte zur <strong>Regionalentwicklung</strong><br />

implementiert, modellhaft durchgeführt <strong>und</strong> gegebenenfalls um zusätzliche<br />

Partner erweitert. Insofern versteht sich <strong>der</strong> OZSV als Netzwerk zur regionalen Entwicklung.<br />

Die folgenden Beispiele <strong>und</strong> konkreten Projekte verdeutlichen, dass <strong>der</strong> OZSV eine<br />

wichtige Aufgabe darin sieht, die gesamtregionale Entwicklung zu beför<strong>der</strong>n.<br />

„Die Lausitz rollt an / Die Lausitz zu Gast“<br />

Mit fi nanzieller Unterstützung des Freistaates Sachsen hat <strong>der</strong> OZSV 1999 mit dem<br />

Partner Hertie/Karstadt mehrere große Präsentationen typisch Lausitzer Produkte in<br />

verschiedenen Städten (Wiesbaden, Nürnberg, Berlin, Mainz) organisiert <strong>und</strong> durchgeführt.<br />

Die beteiligten Unternehmen waren vor allem Kunsthandwerker <strong>und</strong> Lebensmittelproduzenten<br />

sowie <strong>der</strong> regionale Tourismusverband.<br />

Dank <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung des Vorhabens durch den Freistaat in den ersten beiden Jahren<br />

konnte den überwiegend kleinen Firmen ein großer Teil ihres Aufwandes (Reisekosten,<br />

Übernachtungen) abgenommen werden. Dadurch hatten gerade die kleinen Unternehmen,<br />

die die Region prägen, eine Chance, sich überregional darzustellen.<br />

Unterstützt wurde die Unternehmenspräsentation durch ein kulturelles Begleitprogramm,<br />

welches in erheblichen Maße dazu beitrug, ein emotionales Bild <strong>der</strong> Region zu<br />

vermitteln <strong>und</strong> Interesse zu wecken. Durchaus gewünschter Nebeneffekt <strong>der</strong> Präsentation<br />

war die Übernahme diverser Produkte in das Angebot von Hertie/Karstadt.<br />

Der OZSV kann jedoch nicht dauerhaft Träger einer solchen Unternehmung sein.<br />

Daher wurde die Marketinggesellschaft <strong>Oberlausitz</strong> (MGO) als ein Hauptakteur <strong>und</strong><br />

Partner des OZSV gewonnen.


40 Andreas Schaaf<br />

In den Folgejahren fanden auch Präsentationen in Breslau statt. Für 2006 stehen<br />

Dortm<strong>und</strong>, Kassel <strong>und</strong> Hamburg auf dem Programm. Durch die Verknüpfung mit<br />

lokalen Events wird <strong>der</strong> Einzugsbereich <strong>der</strong> Zielgruppen erweitert. Hinzu kommen<br />

beson<strong>der</strong>s für die Unternehmen interessante Veranstaltungen mit Institutionen wie <strong>der</strong><br />

ortsansässigen IHK, Unternehmen <strong>und</strong> Verbänden.<br />

„Behin<strong>der</strong>tenorientierter Tourismus – Reisen ohne Handicap“<br />

Basierend auf <strong>der</strong> Kenntnis <strong>der</strong> touristischen Möglichkeiten <strong>und</strong> Angebote in <strong>der</strong> Region<br />

<strong>Oberlausitz</strong> / Nie<strong>der</strong>schlesien haben wir unterstellt, dass auch ein gutes Potenzial für<br />

behin<strong>der</strong>tengerechten Tourismus besteht. Dies in Verbindung mit einer ersten großen<br />

Marketingaktion zu überprüfen war das Anliegen des Modellprojektes „Reisen ohne<br />

Handicap“<br />

Vertreter <strong>der</strong> Landesbehin<strong>der</strong>tenverbände <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik wurden in die Region<br />

eingeladen, um mit ihnen gemeinsam im Rahmen einer Bereisung sowohl Sehenswürdigkeiten<br />

als auch Gastronomie <strong>und</strong> Beherbergungsmöglichkeiten auf behin<strong>der</strong>tengerechte<br />

Angebote zu testen.<br />

Im Ergebnis bestätigten die überwiegend selbst behin<strong>der</strong>ten Teilnehmer <strong>der</strong> Region<br />

sehr professionelle Angebote. Die gelegentlich zu fi ndenden Kleinigkeiten zeigten den<br />

Vertretern <strong>der</strong> Städte <strong>und</strong> den Anbietern auf, was zu verbessern ist um in diesem speziellen<br />

Segment ein perfektes Reiseziel zu sein. Manchmal wurde sofort auf die Hinweise<br />

reagiert <strong>und</strong> beispielsweise eine Rampe zum Erreichen <strong>der</strong> behin<strong>der</strong>tengerechten Toilette<br />

gebaut.<br />

Begleitet durch diverse Zeitungs- <strong>und</strong> Internetartikel wurde die Öffentlichkeit <strong>und</strong> die<br />

Zielgruppen informiert <strong>und</strong> beworben.<br />

Die Verankerung im regionalen Bewusstsein wird mit <strong>der</strong> Erarbeitung eines internetbasierten<br />

Reiseführers für behin<strong>der</strong>tenorientierten Regionaltourismus angestrebt.<br />

Wir verfolgen damit zwei Ziele:<br />

1. Behin<strong>der</strong>tenorientierter Tourismus wird selbstverständlicher, damit wächst auch das<br />

Angebot<br />

2. Es ist ein Beitrag zum regionalen Binnenmarketing<br />

Stadtseen<br />

Die drei Städte des OZSV liegen alle an einem See (Hoyerswerda – Scheibesee, Görlitz<br />

– Berzdorfer See, Bautzen – Stausee Bautzen). Diese Gewässer erhöhen die touristische<br />

Attraktivität <strong>der</strong> Städte jeweils mit eigenen Nutzungsvorstellungen. Ein Ansatz dabei ist<br />

insbeson<strong>der</strong>e die Verknüpfung des Städtetourismus mit wasserbezogenen Angeboten.<br />

Folgende Fragen waren dabei zu klären:<br />

1. Gibt es spezifi sche Gegebenheiten, die eine Kooperation erlauben o<strong>der</strong> sogar zwingend<br />

erfor<strong>der</strong>lich machen, um Konkurrenz <strong>und</strong> damit auch unsinnigen Finanzmitteleinsatz<br />

zu vermeiden? Dazu sollten mögliche Kooperations- <strong>und</strong> Abstimmungsbereiche<br />

in einer Untersuchung herausgearbeitet werden.<br />

2. Daran anschließend werden Fragen zum konkreten Kooperationsverlauf bzw. zu<br />

konkreten Teilprojekten bearbeitet. Gegebenenfalls sind auch weitere Partner wie z. B.<br />

<strong>Zittau</strong> mit ins Boot zu holen.


Ergebnisse <strong>und</strong> Vorhaben des Oberzentralen Städteverb<strong>und</strong>es Bautzen – Görlitz – Hoyerswerda 41<br />

Im Ergebnis <strong>der</strong> inhaltlichen Untersuchung stellte sich heraus, dass keine direkte<br />

Konkurrenz, aber auch kaum direkte Kooperationsmöglichkeiten zwischen den Städten<br />

bestehen. Begründet liegt dies in den erheblichen Entfernungen <strong>und</strong> <strong>der</strong> sehr unterschiedlichen<br />

Ausrichtung hinsichtlich <strong>der</strong> Nutzungen.<br />

Motorradreisen <strong>Oberlausitz</strong><br />

Ein persönliches Hobby, die damit verb<strong>und</strong>enen Erfahrungen <strong>und</strong> die Kenntnis spezifi<br />

scher, nutzergerechter Anfor<strong>der</strong>ungen liegen dem letzten Beispiel zugr<strong>und</strong>e. Dabei<br />

haben wir uns von nachstehenden Betrachtungen leiten lassen:<br />

– Die vielfältige <strong>und</strong> abwechslungsreiche Landschaft sowie die zahlreichen Angebote<br />

stellen unserer Region motorradtourentauglich für unterschiedlichste Fahrinteressen<br />

dar.<br />

– Selbst ohne professionelles Marketing in diesem Segment war erkennbar, dass bereits<br />

durch M<strong>und</strong>-Propaganda die Zahl <strong>der</strong> Gäste zunimmt.<br />

– Touristische Motorradfahrer sind eine überaus interessante Zielgruppe, die zwar beson<strong>der</strong>e<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen an Unterkünfte (Schrauberecke, Trockenraum, Unterstellmöglichkeit<br />

usw.) <strong>und</strong> Parkmöglichkeiten hat, aber auch relativ viel Geld ausgibt.<br />

Im aktuellen Marketing werden Motorradtourenfahrer, bspw. im Gegensatz zu<br />

Radtouristen, kaum beworben <strong>und</strong> entsprechende Angebote, sofern vorhanden, kaum<br />

vermarktet. Ein erster Ansatz war die Erarbeitung von Tourenvorschlägen <strong>und</strong> die Erarbeitung<br />

einer Angebotsliste mit Gastwirten <strong>und</strong> Motorradwerkstätten.<br />

Mittlerweile haben wir mit <strong>der</strong> MGO <strong>und</strong> einem kleinen privaten Verlag aus Dresden<br />

ein erstes vorzeigbares Produkt erstellt. Es besteht aus einer Übersichtskarte mit Tourenvorschlägen<br />

in <strong>der</strong> Region, die über die MGO kostenfrei abgegeben wird. Darüber<br />

hinaus kann eine Kartentasche käufl ich erworben werden, in <strong>der</strong> die einzelnen Tourenvorschläge<br />

auf einzelnen Tourenblättern mit Sehenswürdigkeiten, sowie gastronomischen<br />

<strong>und</strong> Übernachtungsmöglichkeiten vorgestellt werden. Die Vermarktung erfolgt<br />

über die MGO.<br />

Anhand dieser kleinen Auswahl wird deutlich, dass die Projekte des Oberzentralen Städteverb<strong>und</strong>es<br />

immer einen regionalen Bezug haben <strong>und</strong> <strong>der</strong> Oberzentrale Städteverb<strong>und</strong><br />

nicht nur, aber auch ein Netzwerk zur regionalen Entwicklung ist.


42 Wilfried Rosenberg<br />

Wirtschaft <strong>und</strong> Gewerbe in <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong><br />

WILFRIED ROSENBERG<br />

Der B<strong>und</strong>esverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) versteht sich in erster Linie als<br />

Katalysator <strong>und</strong> Motor regionaler Wertschöpfung! Ich freue mich insbeson<strong>der</strong>e über die<br />

Vielfalt <strong>der</strong> Teilnehmer <strong>und</strong> darf die Erwartung zum Ausdruck bringen, dem aufgeworfenen<br />

Thema noch mehr Kontinuität zu verleihen!<br />

Ich gestatte mir, das vorgegebene Thema noch etwas zu untersetzen, etwas mehr zu<br />

polarisieren <strong>und</strong> so auch gleich eine Aufgabe zu formulieren:<br />

„Zukunft denken – Wirtschaftsraum <strong>Oberlausitz</strong> gestalten!<br />

Kompetenzen <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> stärken!<br />

Das Unternehmen Region wettbewerbsfähig machen!“<br />

Ich habe mir folgende Schwerpunkte vorgenommen:<br />

1. Eine Strategie für die <strong>Oberlausitz</strong> haben:<br />

Die Stärken <strong>und</strong> die Starken stärken!<br />

Das Unternehmen Region <strong>Oberlausitz</strong> zu einer Marke machen!<br />

2. Die <strong>Oberlausitz</strong> als Mittelstandregion herausstellen:<br />

Mutige haben am Verän<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Gestalten Spaß <strong>und</strong> übernehmen<br />

unternehmerische Verantwortung für Wachstum!<br />

3. Mittelstand zu Kompetenzführer-Strategien befähigen – Wertschöpfung erhöhen!<br />

Innovations- <strong>und</strong> Netzwerkfähigkeit weiter spürbar verbessern!<br />

Ich erhebe natürlich mit meinen folgenden Ausführungen nicht den Anspruch <strong>der</strong><br />

vollständigen Beantwortung dieser Aufgaben, son<strong>der</strong>n möchte differenzierte Anregungen<br />

geben. Als BVMW – <strong>Oberlausitz</strong> arbeiten wir seit längerem an diesen Themen <strong>und</strong><br />

das werden wir auch in <strong>der</strong> Zukunft tun!<br />

Damit Sie meine Aussagen besser einordnen können, will ich am Anfang etwas zum<br />

Herangehen des BVMW – <strong>Oberlausitz</strong> sagen <strong>und</strong> so auch unsere Gr<strong>und</strong>positionen verdeutlichen.<br />

Der BVMW ist mit über 50.000 Mitglie<strong>der</strong>n in Deutschland <strong>und</strong> zunehmend auch<br />

mit Vertretungen im Ausland in über 200 Büros tätig. Als einziger, fl ächendeckend wirken<strong>der</strong>,<br />

freiwillig organisierter, branchenübergreifend tätiger <strong>und</strong> parteipolitisch unabhängiger<br />

Mittelstandsverband <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong>, <strong>der</strong> transparent ist für alle Interessierten <strong>und</strong> Partner,<br />

wie auch lokale Unternehmervereinigungen, sind wir hier mit 450 Mitglie<strong>der</strong>n aktiv. Die<br />

Arbeit, auch <strong>der</strong> Büros für den Nie<strong>der</strong>schlesischen <strong>Oberlausitz</strong>kreis (NOL) <strong>und</strong> Hoyerswerda,<br />

koordiniert die selbständige Regionalgeschäftsstelle in Bautzen, die nächstes Jahr


Wirtschaft <strong>und</strong> Gewerbe in <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> 43<br />

ihr zehnjähiges Bestehen begeht <strong>und</strong> sich immer mehr als Netzwerkmanagementeinrichtung<br />

qualifi ziert. In <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> sind wir mit sieben Mitarbeitern tätig.<br />

Damit gehören wir zu den leistungsstarken <strong>der</strong> 28 im Gesamt-BVMW deutschlandweit<br />

bestehenden selbständigen Regionalgeschäftsstellen. Neben <strong>der</strong> politischen Lobbyarbeit<br />

– die wir eher als Politikberatung verstehen – ist es vor allem unser Anliegen,<br />

Mittelständler in vielfältigen konkreten Projekten zusammenzubringen, um bei ihnen<br />

unternehmerischen Nutzen zu erzeugen. Dies erfolgt u. a. über Entwicklung <strong>und</strong> Mo<strong>der</strong>ation<br />

qualifi zierter Beziehungsnetzwerke, über zielgerichteten Informationstransfer <strong>und</strong><br />

die Organisation von unterschiedlichen Kommunikationsplattformen <strong>und</strong> -kanälen, wie<br />

den jährlichen Mittelstandstag.<br />

Unsere Stärke ist die branchenübergreifende Vernetzung durch konkrete Projekte,<br />

wirtschaftspolitisch <strong>und</strong> thematisch ausgerichtet wirkende SIG <strong>und</strong> Unternehmerräten<br />

in ausgewählten Städten <strong>und</strong> Gemeinden.<br />

Eine Strategie für die <strong>Oberlausitz</strong> haben:<br />

Die Stärken <strong>und</strong> die Starken stärken!<br />

Das Unternehmen Region <strong>Oberlausitz</strong> zu einer Marke machen!<br />

Nach über 15 Jahren Marktwirtschaft haben wir etwa seit 2004/2005 den wirtschaftlichen<br />

Strukturwandel weitestgehend abgeschlossen. Jetzt stehen wir vor neuen Herausfor<strong>der</strong>ungen.<br />

Jetzt fallen die Entscheidungen, ob es uns gelingt, eine selbsttragende,<br />

nachhaltige Entwicklung zu organisieren. Dafür haben wir bis spätestens 2019 Zeit.<br />

Solange kann <strong>der</strong> Aufbau Ost maximal noch dauern.<br />

Derzeit hat sich <strong>der</strong> Leistungsdruck erheblich vergrößert, das Tempo <strong>der</strong> Entwicklung<br />

nimmt zu, konjunktureller Aufschwung ist – wenn man vom Einzelhandel einmal<br />

absieht – spürbar. Wenn wir beachten, dass das nicht vor<strong>der</strong>gründig politische Ursachen<br />

hat, wird auch klar, warum es eher eine große Skepsis für die Zukunft gibt. Die sprunghaft<br />

gewachsenen Kosten erhöhen außerdem die Unkalkulierbarkeit!<br />

Ich bin aber dennoch <strong>der</strong> Meinung: Wir sind gr<strong>und</strong>sätzlich nicht schlecht aufgestellt!<br />

Es existieren in <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> ca. 15.600 Unternehmen, in denen 156.700 Mitarbeiter<br />

beschäftigt sind, d. h. pro Unternehmen 10 Beschäftigte. Seit 1999 ist die durchschnittliche<br />

Beschäftigungszahl weiter gefallen! Auch <strong>der</strong>zeit erfolgt unter den Bedingungen <strong>der</strong><br />

konjunkturellen Aufwärtsentwicklung beim Umsatz kein wesentlicher Arbeitsplatzaufbau<br />

in <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong>.<br />

Es zeigt sich: Arbeitsplätze werden zwar vor<strong>der</strong>gründig in Unternehmen geschaffen,<br />

aber die Politik darf von ihrer Verantwortung für Arbeitsplätze nicht entlassen werden.<br />

Da wird oft in <strong>der</strong> öffentlichen Diskussion etwas verwechselt.<br />

Bei näherer Betrachtung wird außerdem deutlich: Uns fehlt es an kritischen Massen.<br />

Deshalb ist Konzentration auf Starke <strong>und</strong> Stärken die einzige Alternative <strong>und</strong> nötige<br />

aktuelle Strategie, um die Gestaltungskräfte erfolgreich mobilisieren zu können.<br />

Die <strong>Oberlausitz</strong> als Wirtschaftsregion muss sich noch mehr als Ganzes in ihrer<br />

Vielfalt zwischen den Großstädten Dresden <strong>und</strong> Breslau verstehen <strong>und</strong> Wachstum


44 Wilfried Rosenberg<br />

generieren. Großstädte <strong>und</strong> Regionen werden immer mehr zu Kristallisationspunkten<br />

<strong>der</strong> Zukunft. Dort ist Kultur, Tradition <strong>und</strong> Identität. Alles Aspekte, die die Menschen<br />

brauchen um Halt <strong>und</strong> Leistungsbereitschaft zu erhalten. Regionen müssen sich verhalten<br />

wie Marken, man muss sie unterscheiden können um sie wahrzunehmen; ihr Unterschied<br />

sorgt für Sicherheit <strong>und</strong> Wohlstand. Der Unterschied treibt die Entwicklung.<br />

Außerdem sind Wertegemeinschaften die besten Wertschöpfungsketten.<br />

Was wir ausstrahlen, das ziehen wir auch an. In diesem Sinne gilt es die Gemeinschaft<br />

in <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> zu stärken. Der Staat ist dabei, wenn auch zögerlich, sein<br />

Geschäftsmodell zu verän<strong>der</strong>n, weil es die Erfor<strong>der</strong>nisse <strong>der</strong> Globalisierung erzwingen.<br />

Nötige innovative, wirtschaftliche Fortschritte sind vor allem durch Konzentration <strong>und</strong><br />

Kooperation zu erreichen.<br />

Wenn schon die Bevölkerung in Sachsen <strong>und</strong> beson<strong>der</strong>s in <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> weiter<br />

abnimmt, an<strong>der</strong>erseits aber weltweit wächst, stellt sich die Frage, wollen wir traurig<br />

sein o<strong>der</strong> die Lage als Chance sehen. Überlegen wir, wie Wertschöpfung dennoch in<br />

die Region zu holen ist <strong>und</strong> wo die <strong>Chancen</strong> liegen. Dabei liegt nahe, sich auf das zu<br />

konzentrieren, was man in <strong>der</strong> Region hat. Z. B. bedient sich Siemens in Görlitz eines<br />

wachsenden Weltmarktes in China <strong>und</strong> Indien; von diesem Markt könnte die Region<br />

profi tieren, wenn sie dazu richtig aufgestellt wäre.<br />

An dieser Stelle sei sehr deutlich gemacht: Die These, dass Verfl echtungen grenznaher<br />

Unternehmen an Bedeutung gewinnen, hat sich nicht bestätigt. Vielmehr bleibt vor<br />

dem Hintergr<strong>und</strong> von Sprachbarrieren, Mentalitätsunterschieden, Qualitätsdefi ziten,<br />

fehlen<strong>der</strong> Termintreue u. a. die Grenze als Kostenfaktor bestehen. Deshalb ist <strong>der</strong> Meinung<br />

von den <strong>Chancen</strong> „in <strong>der</strong> Mitte Europas“ eher entgegen zu treten, ohne dass ich<br />

das pauschalisieren will <strong>und</strong> <strong>der</strong> Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg das Wort<br />

reden möchte. Zuerst gehört die <strong>Oberlausitz</strong> zu Sachsen <strong>und</strong> darauf sollten wir bauen!<br />

Die positive Entwicklung im Lande spornt an, schließlich haben wir auch daran<br />

mitgewirkt, dass Leuchttürme in Dresden, Leipzig <strong>und</strong> Chemnitz entstehen konnten.<br />

Wir verstehen uns nicht ausreichend als gemeinsame Region <strong>Oberlausitz</strong>, die sich im<br />

Wettbewerb mit an<strong>der</strong>en Regionen befi ndet. Das beginnt mit einer ges<strong>und</strong>en Haltung<br />

zum Wettbewerb, zu Wachstum <strong>und</strong> zum An<strong>der</strong>ssein. Beschäftigen wir uns mit <strong>der</strong><br />

Herausbildung von Alleinstellungsmerkmalen. Wir müssen uns zwischen Vielfalt, Verschiedenartigkeit,<br />

Verschwendung auf <strong>der</strong> einen <strong>und</strong> Gleichmacherei, Einheit <strong>und</strong> Geiz<br />

auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite entscheiden. Wollen wir die im Menschen liegenden Potenziale<br />

verkümmern lassen o<strong>der</strong> entwickeln? Übertriebene Fürsorglichkeit des Staates ist eher<br />

eine Entmündigung statt eine Hilfe. Sich als Mitarbeiter im Unternehmen Region zu<br />

verstehen, ist die Herausfor<strong>der</strong>ung für alle <strong>Oberlausitz</strong>er. Den Bedeutungswandel <strong>der</strong><br />

Teilregionen bedauern, hilft nicht, am Wachstum des Ganzen teilzunehmen schon.<br />

Deshalb ist <strong>der</strong> Infrastrukturentwicklung weiter Bedeutung beizumessen.<br />

In den vergangenen Jahren ist es in einem schwierigen Prozess gelungen, die wirtschaftlichen<br />

Kernkompetenzen zu markieren. Regionale Strategien daraus zu entwickeln<br />

<strong>und</strong> die Kompetenzen auszuprägen, erfolgt bis heute aber nicht. Parteipolitische <strong>und</strong><br />

ideologische Grabenkämpfen <strong>und</strong> falsche Kompromisse wie auch Kirchturmdenken<br />

verschleißen jene Gestaltungskräfte, die wir dringend brauchen. Wenn wir das regional<br />

nicht schaffen, weil die Kreise dazu keine Kraft aufbringen, wie wir gerade bei <strong>der</strong> Ver-


Wirtschaft <strong>und</strong> Gewerbe in <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> 45<br />

waltungsreform erleben, dann müssen insbeson<strong>der</strong>e die zukünftigen Kreisstädte Bautzen<br />

<strong>und</strong> Görlitz mit ihren Mittelständlern ran.<br />

Die beiden Städte sind wichtige Kristallisationspunkte, zu denen soll die gesamte Region<br />

neidlos aufblicken können. Vergleicht man die Wirtschaftskraft <strong>der</strong> beiden Städte, wird<br />

sehr schnell deutlich, was zu tun ist: Bautzen hat seit 2000 mit 42.000 Einwohnern eine<br />

eher stabile Größe erreicht, wo Görlitz sich gerade erst bei 54.000 Einwohnern fängt, aber<br />

mit über 25 Prozent im Jahrgang 1965 <strong>und</strong> älter eine ungünstigere Altersstruktur aufweist.<br />

In beiden Städten gibt es fast die gleiche Anzahl steuerpfl ichtiger Unternehmen, nämlich<br />

ca. 1.400, aber in Görlitz werden nur 53 Prozent des Umsatzes von dem in Bautzen gemacht.<br />

Nach Bautzen pendeln 14.470 Personen zur Arbeit, in Görlitz sind es 6.700. Daran<br />

spiegelt sich das Auseinan<strong>der</strong>klaffen <strong>der</strong> ganzen Region wi<strong>der</strong>; <strong>und</strong> es wird deutlich, dass<br />

sich jedes Teilgebiet <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> auf seine Weise entwickeln muss!<br />

Die <strong>Oberlausitz</strong> als Mittelstandregion herausstellen:<br />

Mutige haben am Verän<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Gestalten Spaß <strong>und</strong> übernehmen<br />

unternehmerische Verantwortung für Wachstum!<br />

Wenn ich vom Mittelstand spreche, ist das für mich eine Frage <strong>der</strong> Haltung, <strong>der</strong> Kultur<br />

<strong>der</strong> Selbständigkeit <strong>und</strong> <strong>der</strong> persönlichen Verantwortung. Deshalb ist Mittelstand nicht<br />

unbedingt an Unternehmensgrößen festzumachen. Aber auch die charakterisieren das<br />

Bild: 80,5 Prozent haben bis neun Mitarbeiter. Nur 3,5 Prozent haben 50 <strong>und</strong> mehr<br />

Mitarbeiter, aber damit 44,55 Prozent aller Beschäftigten. Dabei liegen wir knapp über<br />

dem Sachsen-Durchschnitt. Das gilt auch für den Anteil im verarbeitenden Gewerbe, wo<br />

wir 10,4 Prozent <strong>der</strong> Unternehmen haben <strong>und</strong> <strong>der</strong> Sachsen-Durchschnitt bei 9,4 Prozent<br />

liegt. So strukturschwach, wie manche glauben, ist die Region demnach nicht.<br />

Mittelstandsfre<strong>und</strong>lichkeit drückt sich vor allem in <strong>der</strong> Ertragsfähigkeit aus. Dabei<br />

gewinnen die weichen Rahmenbedingungen weiter an Bedeutung. Ohne Ertragswachstum<br />

<strong>der</strong> gesamten Region bedeutet aber Gewinn des einen immer den Verlust bei den<br />

an<strong>der</strong>en. Mittelstandsfre<strong>und</strong>lichkeit hat etwas mit dem Unternehmerbild in <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />

zu tun <strong>und</strong> ob Leistungsträger Anerkennung fi nden. Hier vollzieht sich eine<br />

Entwicklung, mit <strong>der</strong> wir eher unzufrieden sein sollten. Wenn Mittelständler mit 20–50<br />

Mitarbeiter vermelden, dass sie mit 10–15 Leuten wesentlich zufriedener waren, dann<br />

kann doch etwas nicht funktionieren.<br />

Wenn Gewerkschaften plakatieren: „Vertrauen ist gut, Betriebsrat ist besser!“, wird<br />

eine Geisteshaltung deutlich, die das Klima vergiftet. Viele Mittelständler haben zum<br />

Betriebsrat an sich keine negative Meinung, aber sobald die Gewerkschaften ihr Unternehmer-Feindbild<br />

aufziehen, gibt es Ablehnung. Als BVMW treten wir übrigens für<br />

Mitarbeiterbeteiligung ein, dann wird schneller klar, dass alle für ihr Unternehmen auch<br />

Verantwortung übernehmen müssen. Dass wir in vielen Mittelstandbetrieben <strong>der</strong> Region<br />

gewerkschaftsfreie Zonen haben, erweist sich auch als ein Standortvorteil. Im Übrigen<br />

würde in <strong>der</strong> Natur niemand auf die Idee kommen, einen Baum zu verschneiden, wenn<br />

er noch gar keine Triebe hat.


46 Wilfried Rosenberg<br />

Bei unserer seit dem Jahre 2000 organisierten Initiative „Mittelstandsfre<strong>und</strong>liche Gemeinde<br />

<strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong>“ zeigt sich ebenso eine große Unterschiedlichkeit. In den Gemeinden,<br />

die sich aktiv beteiligen: Bautzen, Boxberg, Demitz-Thumitz, Görlitz, Großröhrsdorf,<br />

Neukirch, Niesky, Obergurig, Sohland/Spree <strong>und</strong> Spreetal (Schwarze Pumpe) ist ein sehr<br />

verheißungsvoller Prozess in Gang gekommen. Er soll uns 2006/07 zu einem Leitbild für<br />

eine „Mittelstandsfre<strong>und</strong>liche <strong>Oberlausitz</strong>“ führen. Deshalb beteiligen wir uns an einem Pilotprojekt<br />

des Staatsministeriums für Wirtschaft <strong>und</strong> Arbeit. So för<strong>der</strong>n wir den Dialog von<br />

Unternehmen <strong>und</strong> Gemeinden <strong>und</strong> betreiben gleichzeitig gemeinsam Außenmarketing.<br />

Dabei gehören zu einem mittelstandsfre<strong>und</strong>lichen Klima auch oberlausitzfre<strong>und</strong>liche<br />

Unternehmer <strong>und</strong> Mittelständler, die noch intensiver öffentlich in Erscheinung treten<br />

müssen. Mittelstandsfre<strong>und</strong>lichkeit hat auch mit Familienfre<strong>und</strong>lichkeit zu tun usw.; man<br />

kann einen weiten Bogen spannen. Aber vor allem ist eine mittelstandsfre<strong>und</strong>liche Region<br />

eine wettbewerbsfähige Region! Gemeinsam – Unternehmer, Politiker, Wissenschaftler,<br />

Künstler – den Focus auf die Mittelstandsfre<strong>und</strong>lichkeit zu legen <strong>und</strong> ein Leitbild <strong>der</strong><br />

„Mittelstandsfre<strong>und</strong>lichen <strong>Oberlausitz</strong>“ zu entwickeln, würde die Identität <strong>und</strong> Zufriedenheit<br />

erhöhen. Ganz im Sinne von Aristoteles: Glück ist nicht das Ziel, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Weg!<br />

Mittelstand zu Kompetenzführer-Strategien befähigen –<br />

Wertschöpfung erhöhen!<br />

Innovations- <strong>und</strong> Netzwerkfähigkeit weiter spürbar verbessern!<br />

Die größte Herausfor<strong>der</strong>ung zum Schluss.<br />

In <strong>der</strong> Netzwerkarbeit sind wir schon beachtlich vorangekommen, auch dank zielgerichteter<br />

För<strong>der</strong>ung. Wir haben dabei jetzt viele Erfahrungen gesammelt, die uns zu neuen<br />

Qualitäten führen müssen:<br />

– Netzwerke müssen als Zweckgemeinschaften Wertschöpfungsketten werden,<br />

– Delegieren – sowohl an einen Partner als auch im Unternehmen – muss noch<br />

besser gelernt <strong>und</strong> Humankapital aufgebaut werden,<br />

– Entwicklungstrends gilt es durch mehr Unternehmen früher zu erkennen,<br />

– das Zusammenspiel mit den Hochschulen <strong>und</strong> Instituten ist auszubauen.<br />

Das alles unter <strong>der</strong> Bedingung, dass die Erträge schneller wachsen als die Löhne.<br />

Bei <strong>der</strong> Bildung von Netzwerken stoßen wir sehr schnell an Grenzen, wenn wir innovative<br />

Partner suchen, die an einer gemeinsamen Produktentwicklung arbeiten sollen.<br />

Unsere Strukturschwäche zeigt sich bei <strong>der</strong> Bildung von Clustern. Wir haben nicht viele<br />

Industrieleuchttürme; um die wir die Mittelständler gruppieren können. So schließt sich<br />

auch <strong>der</strong> Kreis zu meinen anfänglichen Ausführungen.<br />

Der Entwicklung <strong>der</strong> Innovationsfähigkeit <strong>und</strong> <strong>der</strong> Gestaltung eines nachhaltigen<br />

Innovationsmarketings gilt unser größtes Augenmerk. Auf 100.000 Einwohner gibt es<br />

bei uns 14 Patente. Ostthüringen bringt es auf 31,5, das Osterzgebirge auf 42,9 <strong>und</strong><br />

Bayern gar auf 77,5. Weil unsere Zukunft in <strong>der</strong> Wissensgesellschaft liegt, muss hier ein<br />

Anschluss geschafft werden! Die Hochschulen haben dazu Bringpfl ichten zu erfüllen,<br />

von denen die Wirtschaft oft nichts merkt. Intensivieren wir hier den Dialog!<br />

Auch diese Konferenz gibt dazu ein Beispiel.


Die demographische Entwicklung <strong>der</strong> Region 47<br />

Die demographische Entwicklung <strong>der</strong> Region<br />

<strong>und</strong> Görlitz als wohnenswerter Standort<br />

für ältere Menschen – eine Herausfor<strong>der</strong>ung<br />

GISELA THIELE<br />

Demographie <strong>und</strong> Altern – das mir gestellte Thema – beinhaltet das uns allen bekannte<br />

Problem des Übergangs von einer jungen in eine alte Gesellschaft, in dem sich Deutschland<br />

gegenwärtig befi ndet. Zugespitzt formuliert: entwickeln wir uns von einer dynamischen<br />

Wachstumsgesellschaft in eine Rentnerrepublik? Befürchtet werden Bedingungen<br />

einer Gerontokratie, in <strong>der</strong> die Alten über die Jungen bestimmen. Die Szenarien sind<br />

längst vorgezeichnet: auf Dauer geringe Fertilitätsraten – die Geburtenziffer in <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik<br />

liegt bei 1,36 Kin<strong>der</strong>n je Frau, die Karrierefrauen bleiben zu 41 Prozent kin<strong>der</strong>los,<br />

denn je höher das Pro-Kopf-Einkommen ist, desto geringer ist die Pro-Kopf-Geburtenrate. 1<br />

Bessere medizinische Versorgung <strong>und</strong> steigende Lebenserwartung – bei heute 65-Jährigen<br />

Frauen liegt sie bereits bei 95, bei Männern bei 90 Lebensjahren, weil statistisch gesehen<br />

die Lebenserwartung steigt, wenn ein bestimmtes Alter erreicht wurde.<br />

Bekannt ist auch das Phänomen, ohne darauf näher eingehen zu wollen, dass im gleichen<br />

Maße, wie die Gesellschaft altert, sich die Menschen zu verjüngen suchen. Alt sein<br />

– so scheint es zumindest – entzieht sich immer stärker einer klaren Defi nition, sowohl aus<br />

<strong>der</strong> subjektiven Wahrnehmung <strong>der</strong> numerisch immer stärker vertretenen Älteren in unserer<br />

Mitte selbst, als auch <strong>der</strong> gesellschaftliche Fokus auf sie. Die Erfahrung des Älterwerdens<br />

ist uns allen unmittelbar – ob erwünscht o<strong>der</strong> befürchtet – nur allzu vertraut. Und das<br />

paradoxerweise – o<strong>der</strong> gar deshalb? – weil immer mehr von uns eine bestimmte Anzahl<br />

von Lebensjahren bereits erreicht haben. Zudem wird die Schere zwischen dem aktuellen<br />

Alter <strong>und</strong> dem idealerweise gewünschten mit zunehmendem Alter immer größer. Im Alter<br />

von 65 Jahren möchten die Befragten durchschnittlich 20 Jahre jünger sein.<br />

Gestatten Sie mir ein deduktives Vorgehen von <strong>der</strong> globalen Entwicklung ausgehend<br />

auf die Sicht unserer Region, bevor ich danach auf die demographischen Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

<strong>der</strong> Stadt zu sprechen komme.<br />

Beginnen möchte ich mit einem Blick auf das Wachstum <strong>der</strong> Weltbevölkerung.<br />

Danach werden Europa <strong>und</strong> Russland bis zum Jahr 2005 <strong>und</strong> nach einschlägigen Prognosen<br />

darüber hinaus ein Minuswachstum aufweisen, lediglich weite Teile Afrikas <strong>und</strong><br />

einzelne Staaten in Mittel- <strong>und</strong> Südamerika werden über drei Prozent wachsen.<br />

Richten wir den Blick auf die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland. Alle neuen B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong>,<br />

ausgenommen Berlin <strong>und</strong> Brandenburg <strong>und</strong> Areale um die Kernstädte, werden<br />

1 H.W. OPASCHOWSKI, Der Generationenpakt. Das soziale Netz <strong>der</strong> Zukunft, Darmstadt 2004.


48 Giesela Thiele<br />

von einer stark abnehmenden Bevölkerung betroffen sein. Von 1990 bis 2002 ist die Bevölkerung<br />

in den alten B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong>n durchschnittlich um acht Prozent gewachsen, während<br />

sie im Osten um zehn Prozent gesunken ist, in Sachsen sogar um zwölf Prozent, ein Effekt,<br />

<strong>der</strong> auf die starke Migrationsbewegung vor <strong>und</strong> vor allem nach 1990, eingeschlossen <strong>der</strong><br />

Abwan<strong>der</strong>ung von Hochqualifi zierten, zurückzuführen ist. Obgleich es immer, insbeson<strong>der</strong>e<br />

bis zum Bau <strong>der</strong> Mauer an <strong>der</strong> innerdeutschen Grenze 1961 Abwan<strong>der</strong>ungen in den Westteil<br />

gegeben hat, ist 1990 ein absolutes Rekordtief um ca. 24 Prozent erreicht worden. Ab 1992 ist<br />

ein Trend <strong>der</strong> Immigration durch qualifi zierte Mitarbeiter aus dem Westen in die neuen B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong><br />

zu beobachten, <strong>der</strong> etwa bis 1997, zwar immer abgeschwächter, angehalten hat.<br />

Wird das Geschlecht in die Betrachtung einbezogen, so zeigt sich, dass 1990 insbeson<strong>der</strong>e<br />

junge Männer im Altersbereich zwischen 19 <strong>und</strong> 25 Jahren auf <strong>der</strong> Suche<br />

nach einer Ausbildungsstelle in die alten B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong> gegangen sind. Sie wan<strong>der</strong>n zwar<br />

immer noch ab, aber lange nicht so häufi g wie junge Frauen, die heute die höchste Migrationsrate,<br />

ausgestattet mit einer guten Schulbildung, aufweisen. So überrascht nicht,<br />

dass uns die jungen gut ausgebildeten Frauen im gebärfähigen Alter im Osten langsam<br />

fehlen, die erst nach dem 60. Lebensjahr wie<strong>der</strong> zurückkehren.<br />

Wird das Verhältnis zwischen Sterbefällen <strong>und</strong> Geburten in Sachsen von 1955 bis<br />

2002 betrachtet, so haben wir ab 1967 ein Negativsaldo zu verzeichnen, das in den<br />

neunziger Jahren eine historisch einmalig negative Dimension erreicht hat.<br />

Im Übergang von einer jungen zu einer alten Gesellschaft spielt vor allem das Lebensalter<br />

als konf<strong>und</strong>ierende Variable eine Rolle. Es zeigt sich, dass die über 60-Jährigen<br />

bis zum Jahre 2050 nahezu im Eilzugstempo wachsen werden. Beson<strong>der</strong>s stark betroffen<br />

werden Italien, Spanien <strong>und</strong> Slowenien sein, aber ebenso die baltischen Staaten<br />

wie Estland <strong>und</strong> Lettland, dicht gefolgt von <strong>der</strong> Tschechischen Republik, Ungarn <strong>und</strong><br />

Deutschland. Auch in dieser Beziehung sind es die neuen B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong>, die beson<strong>der</strong>s<br />

überaltert sind – ausgenommen Teile Sachsen Anhalts <strong>und</strong> Brandenburgs.<br />

Nachdem wir uns die Entwicklung <strong>der</strong> Welt über Deutschland bis Sachsen vergegenwärtigt<br />

haben, wollen wir uns nun <strong>der</strong> Stadt Görlitz zuwenden. Das Durchschnittsalter<br />

in <strong>der</strong> Stadt beträgt gegenwärtig knapp über 45 Jahre <strong>und</strong> wird sich bis 2020 um elf Prozent<br />

auf fast 51 Jahre erhöhen. Die zahlenmäßig stärkste Gruppe ist die <strong>der</strong> 60-Jährigen.<br />

Der Anteil <strong>der</strong> Hochbetagten (ab 80 Jahre) wird infolgedessen von heute fünf Prozent<br />

auf über zwölf Prozent im Jahre 2020 ansteigen. Demgegenüber bleibt die Zahl <strong>der</strong> unter<br />

18-Jährigen fast gleich <strong>und</strong> wird sich um die 14 Prozent einpendeln.<br />

Werden alle drei die Bevölkerungsüberalterung beeinfl ussenden Faktoren Fertilität,<br />

Mortalität <strong>und</strong> Migration in die Betrachtung einbezogen, muss folgerichtig auch in<br />

Görlitz die Einwohnerzahl sukzessive fallen. So haben 2005 noch über 56.000 in Görlitz<br />

gelebt, wohingegen es 2020 etwa 10.000 weniger sein werden.<br />

Zusammenfassend möchte ich zu einigen sozialstatistischen Indikatoren zu sprechen<br />

kommen, die von <strong>der</strong> Bertelsmann-Stiftung herausgegeben worden sind <strong>und</strong> die auf den<br />

letzten Teil meines Beitrages vorbereiten sollen. Zunächst müssen ein paar Begriffl ichkeiten<br />

geklärt werden.<br />

Der Fertilitätsindex gibt an, wie groß die Abweichung vom B<strong>und</strong>eswert 1,34 Geburten<br />

pro Frau ist (Stand 2003). Erst bei über 50 Prozent über dem B<strong>und</strong>esdurchschnitt<br />

wird theoretisch das Bestandserhaltungsniveau von 2,1 Geburten erreicht.


Die demographische Entwicklung <strong>der</strong> Region 49<br />

Görlitz Sachsen<br />

Bevölkerung 1996–2003 (%) -11,9 -4,9<br />

Bevölkerung 2003–2020 (%) -20,0 -8,6<br />

Frauenanteil an den 20- bis 34-Jährigen 46,9 46,5<br />

Fertilitätsindex (%) -0,8 -7,8<br />

Auslän<strong>der</strong>anteil (%) 2,7 2,7<br />

Familienwan<strong>der</strong>ung (pro 1000 Ew.) -16,4 -4,6<br />

Bildungswan<strong>der</strong>ung (pro 1000 Ew.) -35,9 -14,4<br />

Durchschnittsalter 2003 (Jahre) 45,3 44,1<br />

Durchschnittsalter 2020 (Jahre) 50,7 48,4<br />

Median-Alter 2003 (Jahre) 44,8 43,1<br />

Median-Alter 2020 (Jahre) 53,9 50,1<br />

Anteil unter 18-Jährige 2003 (%) 14,5 14,8<br />

Anteil unter 18-Jährige 2020 (%) 13,8 14,1<br />

Anteil 60- bis 79-Jährige 2003 (%) 26,6 23,5<br />

Anteil 60- bis 79-Jährige 2020 (%) 29,0 26,4<br />

Anteil ab 80-Jährige 2003 (%) 5,3 4,8<br />

Anteil ab 80-Jährige 2020 (%) 12,3 9,6<br />

Abb. 1: Indikatoren des Politikfeldes „Demographische Entwicklung/Bevölkerungspotenzial“ für Görlitz<br />

(Quelle: Statistisches Landesamt, eigene Berechnungen)<br />

Die Familienwan<strong>der</strong>ung ist das Wan<strong>der</strong>ungssaldo <strong>der</strong> unter 18 <strong>und</strong> <strong>der</strong> 30- bis 49-Jährigen.<br />

Ein positiver Wert dieses Indikators weist auf eine hohe Attraktivität <strong>der</strong> Stadt für<br />

Familien hin. Die Bildungswan<strong>der</strong>ung betrifft dagegen das Wan<strong>der</strong>ungssaldo <strong>der</strong> 18- bis<br />

24-Jährigen. Ein niedriger Wert weist auf eine geringe Anziehungskraft für Studierende<br />

<strong>und</strong> Auszubildende hin.<br />

Eine letzte Kategorie, die erklärungsbedürftig ist, ist das Medianalter, das eine Bevölkerungspopulation<br />

in zwei gleich große Gruppen teilt. 50 Prozent sind jünger <strong>und</strong> 50<br />

Prozent älter als dieser Wert, wobei <strong>der</strong> Indikator einen Hinweis auf den Alterungsprozess<br />

<strong>der</strong> Einwohner gibt.<br />

Interessant ist auch Abb. 2, die eine Vergleichsübersicht über die Städte <strong>und</strong> Gemeinden<br />

<strong>Zittau</strong>, Hoyerswerda, Bautzen, Großschönau <strong>und</strong> Dresden mit Görlitz erstellt. Auch<br />

hier kurz eine Erklärung <strong>der</strong> Begriffl ichkeiten. Der erste o<strong>der</strong> primäre Sektor umfasst die<br />

Urproduktion, die zumeist die Rohstoffe für ein Produkt liefert. Zu diesem Sektor gehören<br />

z. B. Landwirtschaft, Forstwirtschaft <strong>und</strong> die Fischerei. Der Sek<strong>und</strong>ärsektor enthält<br />

das produzierende Gewerbe einer Volkswirtschaft, das heißt Verarbeitung von Rohstoffen,<br />

Verarbeitendes Gewerbe, Industrie, Handwerk, Energiewirtschaft, Energieversorgung <strong>und</strong><br />

Wasserversorgung aber nicht das Baugewerbe. Der Tertiärsektor o<strong>der</strong> auch Dienstleistungssektor<br />

schließt alle Unternehmen ein, die Dienstleistungen erbringen.


50 Giesela Thiele<br />

Erklärung<br />

Basisdaten<br />

Görlitz <strong>Zittau</strong> Hoyerswerda<br />

Bautzen Großschönau<br />

Dresden<br />

Bevölkerung 2003 (Ew) 58.518 26.096 45.011 42.160 6.751 483.632<br />

Fläche (ha) 6.722 2.541 9.476 6.663 2.386 32.831<br />

Einwohnerdichte (Ew/ha) 8,7 10,3 4,8 6,3 2,8 14,7<br />

Beschäftigte 1. Sektor (%) 0,48 1,39 0,59 1,13 1,22 0,53<br />

Beschäftigte 2. Sektor<br />

(%)<br />

24,97 23,53 19,5 22,49 47,09 21,11<br />

Beschäftigte 3. Sektor<br />

(%)<br />

74,55 75,08 79,91 76,38 51,7 78,36<br />

Siedlungsstrukturtyp Typ VII Typ VI Typ VI Typ VI Typ VI Typ I<br />

Demographietyp Typ 4 Typ 4 Typ 4 Typ 4 Typ 4 Typ G6<br />

Bevölkerung 1996–2003<br />

(%)<br />

-11,9 -11,2 -22,7 -9,6 -11,4 -1,2<br />

Bevölkerung 2003–2020<br />

(%)<br />

-20,0 -19,0 -40,2 -11,6 -24,4 3,1<br />

Frauenanteil an den 20bis<br />

34-Jährigen<br />

46,9 46,6 45,4 47,6 42,5 47,9<br />

Fertilitätsindex (%) -0,8 -5,1 -5,3 1,2 -1,0 -10,1<br />

Auslän<strong>der</strong>anteil (%) 2,7 4,7 1,6 1,9 0,7 4,6<br />

Familienwan<strong>der</strong>ung (pro<br />

1000 Ew.)<br />

-16,4 -19,0 -40,8 -10,9 -14,9 -5,2<br />

Bildungswan<strong>der</strong>ung (pro<br />

1000 Ew.)<br />

-35,9 6,0 -103,3 -20,6 -81,7 49,2<br />

Durchschnittsalter 2003<br />

(Jahre)<br />

45,3 45,8 45,4 43,7 46,0 43,0<br />

Durchschnittsalter 2020<br />

(Jahre)<br />

50,7 49,5 55,8 48,0 53,4 45,0<br />

Median-Alter 2020<br />

(Jahre)<br />

44,8 45,5 45,8 43,0 45,8 40,8<br />

Abb. 2: Demographische Entwicklung/Bevölkerungspotenzial für Görlitz, <strong>Zittau</strong>, Hoyerswerda, Bautzen,<br />

Großschönau <strong>und</strong> Dresden (Quelle: Statistisches Landesamt, eigene Berechnungen)<br />

Die Bertelsmann-Stiftung hat unter dem Stichwort „Aktion demographischer Wandel“<br />

verschiedene Demographietypen bestimmt, nach dem Görlitz zum Demographietyp 4:<br />

Schrumpfende <strong>und</strong> alternde Städte <strong>und</strong> Gemeinden mit hoher Abwan<strong>der</strong>ung gehört, in<br />

dem sich 70 Prozent aller ostdeutschen Städte <strong>und</strong> Gemeinden unter 100.000 Einwohner<br />

befi nden.<br />

Charakteristisch für diese Städte sind eine stark rückläufi ge <strong>und</strong> deutlich älter werdende<br />

Bevölkerung, <strong>der</strong>en Entwicklung sich nach Trendberechnungen weiter fortsetzen wird <strong>und</strong><br />

eine selektive Abwan<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> jungen Bevölkerung, insbeson<strong>der</strong>e von Frauen im gebärfähigen<br />

Alter. 2020 wird deshalb die Hälfte <strong>der</strong> Bevölkerung älter als 50 Jahre sein, wobei <strong>der</strong>


Die demographische Entwicklung <strong>der</strong> Region 51<br />

Anteil <strong>der</strong> über 60-Jährigen auf 40 Prozent steigen wird. Infolge <strong>der</strong> selektiven Abwan<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> 18- bis 34-Jährigen wird sich eine sprunghafte Geburtenabnahme um 2010 ergeben, ein<br />

Aspekt, <strong>der</strong> unter Sozialwissenschaftlern als „zweiter Geburtenknick“ bezeichnet wird, weil<br />

die bereits in den 90er Jahren nicht geborenen Mädchen auch später keine potentiellen Mütter<br />

sein können. Die ökonomische Basis dieser Städte <strong>und</strong> Gemeinden ist äußerst schwach,<br />

insbeson<strong>der</strong>e was die Kaufkraft <strong>und</strong> Arbeitslosenquoten betrifft. Die Arbeitsplätze sind zu<br />

über 60 Prozent im Dienstleistungssektor angesiedelt <strong>und</strong> das verarbeitende Gewerbe hat<br />

einen Anteil von unter 35 Prozent.<br />

Wichtig ist in diesem Zusammenhang eine öffentliche Diskussion, welche Mindestausstattung<br />

<strong>und</strong> -standards in <strong>der</strong> Stadt gesichert werden sollen. Das betrifft nicht nur die<br />

Ver- <strong>und</strong> Entsorgungsleistungen, son<strong>der</strong>n auch den Öffentlichen Nahverkehr, <strong>der</strong> gerade<br />

durch die schrumpfende Stadt vor deutlichen Nachfragerückgängen stehen wird o<strong>der</strong> auch<br />

die Schulstandorte. Bekannt ist auch, dass Schrumpfungsprozesse in <strong>der</strong> Regel Ausdruck krisenhafter<br />

ökonomischer Entwicklungen sind, die zudem einen Abwan<strong>der</strong>ungstrend junger,<br />

akademischer <strong>und</strong> gut ausgebildeter Fachkräfte nach sich ziehen. Insofern besteht – damit<br />

diesem Trend nicht tatenlos zugesehen wird – die Aufgabe kommunaler Politik darin, die<br />

Erwartungen <strong>und</strong> Bedürfnisse gerade dieser Gruppe zu analysieren <strong>und</strong> gezielt dafür zu<br />

werben, <strong>der</strong>en Lebensqualität vor Ort zu verbessern. Das heißt auch, die vor Ort ansässigen<br />

wissenschaftlichen Einrichtungen ernst zu nehmen, <strong>der</strong>en Leistungen auch für die Stadtpolitik<br />

nutzbar zu machen <strong>und</strong> ebenso zu würdigen.<br />

Also geht es in Görlitz eigentlich um zwei Schwerpunktaltersgruppen, für die die Kommunalpolitik<br />

spezifi sche Bedingungen schaffen muss, ohne dass wir davon ausgehen wollen,<br />

wie manche Kritiker heute mutmaßen, dass bald ein Zeitpunkt erreicht sein wird, da ein etwa<br />

40-Jähriger von <strong>der</strong> Universität direkt in den Ruhestand übertritt. Beson<strong>der</strong>es Augenmerk ist<br />

einerseits auf die jungen Menschen zu legen, damit sie nicht abwan<strong>der</strong>n <strong>und</strong> an<strong>der</strong>erseits auf<br />

die Alten, die insbeson<strong>der</strong>e Fürsorge <strong>und</strong> Sicherheit benötigen.<br />

Verdeutlichen möchte ich Letzteres mit dem Märchen von An<strong>der</strong>sen „Die Schneekönigin“.<br />

Und zwar sollen zwei Krähen aus hier nicht weiter interessierenden Gründen von einer<br />

Prinzessin eine Belohnung erhalten: „Wollt ihr frei fl iegen?“ sagte die Prinzessin, „o<strong>der</strong> wollt<br />

ihr eine feste Anstellung als Hofkrähen haben mit allem, was aus <strong>der</strong> Küche abfällt?“ Und<br />

beide Krähen verneigten sich <strong>und</strong> baten um feste Anstellung, denn sie dachten an ihr Alter<br />

<strong>und</strong> sagten, es wäre so schön, im Alter sorgenfrei leben zu können.<br />

Das Problem, vor dem wir heute stehen, ist, dass die gegenwärtigen traditionellen altersdifferenzierten<br />

Strukturen den Än<strong>der</strong>ungen in den Lebensläufen von Menschen nicht<br />

mehr gerecht werden. Das heißt, es gibt keine Passung zwischen den Strukturen <strong>und</strong> den<br />

persönlichen Bedürfnissen <strong>und</strong> Kapazitäten. Die Gesellschaft ist noch immer so strukturiert,<br />

als gäbe es wenige alte Menschen <strong>und</strong> noch weniger, die produktiv sein können. Wollen wir<br />

die Verantwortung zwischen den Generationen gerechter aufteilen, dann müssen Strukturen<br />

verän<strong>der</strong>t werden <strong>und</strong> zwar, so scheint es, erzwingen individuelle Verän<strong>der</strong>ungen offenbar<br />

einen Wandel an institutionellen Strukturen <strong>der</strong> Gesellschaft. Institutionelle Rahmenbedingungen<br />

sind wichtig zur Defi nition, zur Entwicklung <strong>und</strong> zum Ausdruck des Reservoirs des<br />

Alters. Für Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendliche sind es die Schulen, für Erwachsene die Arbeitswelt, die<br />

Familie <strong>und</strong>/o<strong>der</strong> die Partnerschaft, aber für alte Personen existieren solche klaren Rahmenbedingungen<br />

bisher nicht. Und es fehlt neben Ressourcen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Strukturen


52 Giesela Thiele<br />

auch noch eine dritte Komponente für die Entwicklung einer Alterskultur. Wir benötigen<br />

ein besseres Verständnis dafür, wie die Ziele des Alters aussehen <strong>und</strong> wie <strong>der</strong> Sinn des Alters<br />

beschaffen sein könnte. Ich werde nun in <strong>der</strong> gebotenen Kürze versuchen, diese drei konstituierenden<br />

Aspekte einer Alterskultur, nämlich die Ressourcen, die Strukturen <strong>und</strong> die Ziele<br />

eines produktiven <strong>und</strong> sinnvollen Lebens im Alter aufzeigen.<br />

Zunächst ist zu fragen, über welche Ressourcen ein alter Mensch heute verfügt. Was hat<br />

sich diesbezüglich während des letzten halben Jahrhun<strong>der</strong>ts verän<strong>der</strong>t, das uns die Möglichkeit<br />

des produktiven Lebens vorstellbar machen könnte?<br />

Unter den heute 65-Jährigen <strong>und</strong> älteren ist die große Mehrheit, nämlich etwa 80 Prozent,<br />

nicht o<strong>der</strong> kaum in <strong>der</strong> Ausführung <strong>der</strong> gr<strong>und</strong>legenden basalen Alltagsaktivitäten eingeschränkt.<br />

Studien legen nahe, dass die heutigen Alten gesün<strong>der</strong> sind <strong>und</strong> zwar körperlich,<br />

geistig, psychisch <strong>und</strong> sozial, als die Alten in früheren Zeiten <strong>und</strong> dass die heute zumindest<br />

bis 80-Jährigen körperlich noch einen hohen Funktionsstatus besitzen. Das Jahrhun<strong>der</strong>t, in<br />

dem viele alte Menschen an chronischen Krankheiten starben, ist vorbei. In diesem Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

sind es eher demenzielle Erkrankungen, die uns das lange Leben fürchten lassen,<br />

denn sollte die gegenwärtige Lebenserwartung deutlich erhöht werden, würde es viele <strong>und</strong><br />

zumindest in absoluten Zahlen immer mehr ältere Menschen geben, <strong>der</strong>en Lebenszustand<br />

ans Menschenunwürdige grenzte. In <strong>der</strong> mittelbaren Zukunft aber werden die meisten früher<br />

sterben als Demenzen manifest werden.<br />

Allerdings ist es bei solchen Betrachtungen geboten, immer zu fragen, ob die durch<br />

bessere medizinische Versorgung etc. hinzu gewonnenen Jahre auch lebenswerte sind. Studien<br />

zufolge wird gemutmaßt, dass jenseits des 70. Geburtstags für jeweils zwei gewonnene<br />

„ges<strong>und</strong>e“ Jahre etwa ein „krankes“ hinzukommt. Danach scheinen die hinzu gewonnenen<br />

Lebensjahre zu einem beträchtlichen Teil durch Krankheit <strong>und</strong> Autonomieverlust geprägt<br />

zu sein. Ob allerdings die hinzu gewonnenen „schlechten“ Jahre auf psychologischer Ebene<br />

auch als subjektiv schlecht, also als Jahre <strong>der</strong> Verzweifl ung, erlebt werden, ist eine an<strong>der</strong>e<br />

Frage. Ich persönlich glaube <strong>und</strong> hier schließe ich mich ohne Einschränkung <strong>der</strong> Auffassung<br />

von Baltes an, dass drei prototypische Prozesse – Selektion, Kompensation <strong>und</strong> Optimierung<br />

– dem alten Menschen erlauben, trotz Verlusten aktiv, erfolgreich <strong>und</strong> produktiv zu altern. 2<br />

So wurde beispielsweise <strong>der</strong> Pianist Rubinstein einmal als Achtzigjähriger in einem<br />

Fernsehinterview gefragt, wie er den altersbedingten Schwächen in seinem Klavierspiel<br />

entgegenzuwirken versuche? Darauf antwortete er: zuerst habe er sein Repertoire reduziert,<br />

so dass er jetzt weniger Stücke spiele (Selektion), dann übe er diese ausgewählten<br />

Stücke häufi ger als früher (Optimierung) <strong>und</strong> schließlich führe er vor schnell zu spielenden<br />

Passagen ein leichtes Ritardando ein, so dass <strong>der</strong> Kontrast das Nachfolgende<br />

schneller erscheinen lasse (Kompensation).<br />

Was bedeutet nun „good life“ im Alter? Wie müssen die entsprechenden Strukturen<br />

aussehen, um Ziele zu ermöglichen, die sowohl inneren Frieden, soziale Nützlichkeit,<br />

Status, Kontinuität, spezifi sche Stärken <strong>und</strong> Schwächen als auch Möglichkeiten, die<br />

einzigartig sind für diese letzte Lebensperiode, umschließen. Eines scheint festzustehen,<br />

es sollte <strong>und</strong> kann nicht einfach nur um eine Weiterführung <strong>der</strong> Werte <strong>der</strong> mittleren<br />

2 P.B. BALTES, Die unvollendete Architektur <strong>der</strong> menschlichen Ontogenese: Implikation für die Zukunft des vierten<br />

Lebensalters, in: Psychologische R<strong>und</strong>schau 48 (1997), S. 191–210.


Die demographische Entwicklung <strong>der</strong> Region 53<br />

Jahre gehen, also um die Erwerbsarbeit, auch nicht um die Jagd nach immer neuen<br />

Hobbies o<strong>der</strong> um die Sicherung <strong>der</strong> Generativität im Sinne <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> jüngeren<br />

Generationen <strong>und</strong> es muss auch nicht die neue Großmutterrolle eingefor<strong>der</strong>t werden.<br />

Produktives Altern kann an<strong>der</strong>erseits auch nicht bedeuten, dass es das Altern nicht<br />

mehr gibt, keine Krankheiten <strong>und</strong> Verluste, die doch so eng mit dem Alter verknüpft<br />

sind, son<strong>der</strong>n es bedeutet vielmehr eine erfolgreiche Anpassung an diese Verluste, <strong>und</strong><br />

es erfor<strong>der</strong>t neben den Ressourcen des Einzelnen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Schaffung gesellschaftlicher<br />

Strukturen, Ziele zu haben <strong>und</strong> dafür Verantwortung zu übernehmen.<br />

Rosenmayr ist wohl zuzustimmen, wenn er sagt, nicht die auf an<strong>der</strong>e gerichtete Generativität<br />

<strong>und</strong> Weisheit ist des Lebens letzter <strong>und</strong> reifster Schritt. 3 Die vordringlichste<br />

Entwicklungsaufgabe des Alterns, nämlich im Vollzug <strong>der</strong> eigenen Lebensgeschichte<br />

Lebenssinn zu fi nden, das eigene gelebte Leben anzunehmen, verlangt nicht nur äußere<br />

o<strong>der</strong> nach außen gerichtete Aktivität, son<strong>der</strong>n vor allem auch innere Aktivität, eine<br />

Neuorientierung durch persönliche Kontrolle <strong>und</strong> eigene Wahl <strong>der</strong> Ziele. Erst dadurch<br />

ergebe sich die neue späte Freiheit, die dem Alter zugeschrieben werde.<br />

Abschließend bleibt die Frage zu beantworten, wie denn nun die Herausfor<strong>der</strong>ung<br />

als wohnenswerter Standort für ältere Menschen in Görlitz auszusehen hat? Letztendlich<br />

geht es darum, die Bedürfnisse älterer Menschen zu erfüllen <strong>und</strong> sie in ihrem Wunsch,<br />

lange ein autonomes Leben zu Hause führen zu können, zu unterstützen.<br />

Um noch einmal ganz zum Schluss den wohl bekanntesten Altersforscher Baltes zu<br />

bemühen, <strong>der</strong> sagte: Wenn es einen Fre<strong>und</strong> beziehungsweise eine Fre<strong>und</strong>in des Alters<br />

geben kann, so ist dies die Kultur beziehungsweise die Gesellschaft <strong>und</strong> mit ihr zusammenhängende<br />

Strukturen <strong>und</strong> Funktionen. Abgeleitet vom lateinischen cultus: „Kult“<br />

o<strong>der</strong> „Pfl ege“ ist „Kultur“ die Gesamtheit <strong>der</strong> geistigen <strong>und</strong> künstlerischen Lebensäußerungen<br />

einer Gemeinschaft bzw. einer Ethnie <strong>und</strong> – bezogen auf den einzelnen Menschen<br />

– dessen Bildung, Gesittung <strong>und</strong> Lebensweise. Das heißt, ältere Menschen brauchen vor<br />

allem Theater, Konzerte, anspruchsvolle Filmvorführungen, Wellness, Pfl ege von Sitten <strong>und</strong><br />

Traditionen, ein gut ausgebautes Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> Pfl egesystem <strong>und</strong> es wäre noch so vieles<br />

zu nennen <strong>und</strong> sie benötigen dazu die passenden Strukturen in <strong>der</strong> Stadt – die Infrastruktur<br />

– eine Stadt <strong>der</strong> kurzen Wege <strong>und</strong> <strong>der</strong> Fühlungsnähe, einen gut ausgebauten Personennahverkehr,<br />

ein eigenes Sprachrohr für ihre spezifi schen Interessen.<br />

Gutes Altern benötige, so Baltes weiter, eine große Dosis gesellschaftlich kultureller<br />

Kräfte <strong>und</strong> Stützsysteme sowie individualpsychologischer Bewältigungsstrategien, weil es<br />

letztlich im hohen Alter den persönlichen Anstrengungen unmöglich ist, die biologische<br />

Schwächung des Organismus auszugleichen. In dieser Lebensverlaufsdynamik von Biologie<br />

<strong>und</strong> Kultur sei die Zukunft des Alters unweigerlich festgemacht. Es sei <strong>der</strong> immer größer<br />

werdende Hiatus zwischen Biologie <strong>und</strong> Geist, <strong>der</strong> den Lebensverlauf auszeichnet. 4 Deshalb<br />

wird die Zukunft des Alters wesentlich davon abhängen, wie gut wir alle in <strong>der</strong> Lage sein<br />

werden, Kultur, gesellschaftliche Faktoren <strong>und</strong> individuelle Lebensformen zu entwickeln<br />

beziehungsweise einzusetzen, um das Mängelwesen des alten Organismus zu unterstützen,<br />

um die biologische Schwächung zu kompensieren.<br />

3 L. ROSENMAYR, Die Kräfte des Alters, Wien 1990, S. 103.<br />

4 BALTES, Die unvollendete Architektur (wie Anm. 2).


54 Katja Friedrich<br />

II. Regionalisierung <strong>und</strong> europäische<br />

Zusammenarbeit<br />

Trialog als Vision für das kleine Dreieck<br />

<strong>Zittau</strong>–Hrádek–Bogatynia<br />

KATJA FRIEDRICH<br />

Der folgende Artikel beschreibt den Beitrag <strong>und</strong> Preisträger 1 „Trialog“ für den europäischen<br />

Architekturwettbewerb Europan 8. Im ersten Teil wird auf die Aufgabenstellung<br />

für das kleine Dreieck <strong>Zittau</strong> – Hrádek – Bogatynia eingegangen, <strong>und</strong> im zweiten Teil<br />

werden die Vorschläge <strong>und</strong> Visionen von „Trialog“ beschrieben.<br />

Die anspruchsvolle Aufgabenstellung für das kleine Dreieck<br />

Auf Basis des Regionalen Entwicklungskonzeptes soll eine Vision für die Region entwickelt<br />

werden, die ein Bild des kleinen Dreiecks als innovative Region in Europa sowie als<br />

zukünftiger gemeinsamer Wirtschafts- <strong>und</strong> Lebensraum erzeugt. Auf städtischer Ebene<br />

soll untersucht werden, wie bei einer bedarfsgerechten Siedlungsfl ächenentwicklung mit<br />

innerstädtischen Brachfl ächen umgegangen werden soll. Entwicklungspotenziale <strong>und</strong><br />

Kompetenzen sind hierbei zu einem gemeinsamen Mehrwert zu verbinden, Konkurrenzen<br />

weitgehend auszuschließen <strong>und</strong> ein Zusammenwachsen als Dreistadt zu för<strong>der</strong>n.<br />

Darauf aufbauend sind für alle drei zentrumsnahen Flächen Entwicklungsvorschläge zu<br />

unterbreiten.<br />

Für die Leitbildentwicklung sollen drei Ebenen betrachtet werden.<br />

Ebene 1 – die Region als Gesamtgebiet des kleinen Dreiecks: Die vorgeschlagenen<br />

Visionen sollen <strong>der</strong> Region ein eigenes unverwechselbares Zukunftsimage geben <strong>und</strong><br />

Potenziale zum Zusammenwachsen als Dreistadt aufzeigen.<br />

Ebene 2 – die städtebaulichen Strukturen: Für die städtisch geprägten Bereiche sind<br />

langfristig funktionsfähige Siedlungsstrukturen zu entwickeln. Es ist aufzuzeigen, an<br />

welchen Stellen <strong>der</strong> Siedlungskörper ein Schrumpfen verträgt <strong>und</strong> wo Wachsen die<br />

Dreistadt wirksam ausgestalten soll. Dabei ist vorrangig eine zeitliche Abfolge von Verän<strong>der</strong>ungen<br />

an Flächen, die Wohnen <strong>und</strong> Arbeiten dienen, zu entwickeln.<br />

Ebene 3 – die Wettbewerbsgr<strong>und</strong>stücke: Für einen <strong>der</strong> drei Standorte sollen die<br />

1 Entstanden ist unser Team auf Initiative <strong>der</strong> FH <strong>Zittau</strong>/Görlitz. Es bestand aus fünf jungen Architekturabsolventen von<br />

<strong>der</strong> FH <strong>Zittau</strong>/Görlitz: Marco Bläsche, Stephan Hübner, Joachim Lorenz, Silvio Thamm <strong>und</strong> Katharina Wünsche sowie drei<br />

Diplomanden <strong>der</strong> Immobilienwirtschaft <strong>der</strong> FH <strong>Zittau</strong>/Görlitz: Artur Blazejewski (PL), Antonin Kreijci (CZ) <strong>und</strong> Dirk Stiebeler<br />

sowie Katja Friedrich als Teamleiterin <strong>und</strong> inzwischen Lehrbeauftragte für Städtebau an <strong>der</strong> FH <strong>Zittau</strong>/Görlitz.


Trialog als Vision für das kleine Dreieck <strong>Zittau</strong>–Hrádek–Bogatynia 55<br />

Ergebnisse <strong>der</strong> vorangegangenen Betrachtungen beispielhaft in einem Entwurf von Baumassen<br />

<strong>und</strong> Freifl ächen konkret ausgearbeitet werden. Ziel ist es, ein zukunftsfähiges<br />

Image unter dem Aspekt <strong>der</strong> Belebung <strong>der</strong> Innenstadt zu entwickeln. Bei <strong>der</strong> Bearbeitung<br />

<strong>der</strong> Aufgabenstellung wird eine interdisziplinäre Zusammenarbeit empfohlen.<br />

Projektphilosophie Trialog<br />

Trialog steht für das Leben dreier Kulturen in einer gemeinsamen Region, für den<br />

Aufbau grenzüberschreiten<strong>der</strong> Vertrauensgemeinschaften <strong>und</strong> Netzwerke sowie dem<br />

Überwinden von Vorbehalten. Positives Denken <strong>und</strong> Handeln sind gerade in einer<br />

wirtschaftlich angeschlagenen Region notwendig. Arbeitsplätze zu schaffen wäre eine<br />

effektive Lösung, um die Region in eine blühende Landschaft dreier Nationen zu<br />

verwandeln, doch dies liegt nicht in den Händen von Architekten. Wir setzen bei den<br />

weichen Standortfaktoren Bildung, Kultur, Erholung <strong>und</strong> Tourismus an. Wir entwickeln<br />

Qualitäten für Bürger <strong>und</strong> Touristen.<br />

Wir schärfen die jeweilige Identität <strong>und</strong> Spezialität <strong>der</strong> drei Städte deutlicher. Nicht<br />

Konkurrenz, son<strong>der</strong>n das Prinzip funktionaler Ergänzung. Die Symbiose ist <strong>der</strong> Anreiz zur<br />

regionalen Bewegung <strong>der</strong> Menschen <strong>und</strong> für ein intensives Kennenlernen <strong>der</strong> Nachbarn.<br />

Das alltagsweltliche Miteinan<strong>der</strong> bei Freizeit <strong>und</strong> Sport, beim Flanieren, in <strong>der</strong> Disco o<strong>der</strong><br />

beim Einkaufen führt zum Abbau von Vorurteilen. Nach <strong>und</strong> nach werden Vertrauensgemeinschaften<br />

aufgebaut, <strong>und</strong> es kommt zu gemeinsamen Projekten aus <strong>der</strong> Bürgerschaft.<br />

Regionales Konzept für das Dreilän<strong>der</strong>eck:<br />

Verbinden, Netzwerkbildung <strong>und</strong> Funktionsteilung<br />

Trialog ist eine komplexe Angelegenheit, deshalb gilt es offene Prozesse zu för<strong>der</strong>n <strong>und</strong><br />

Rückhalt bei <strong>der</strong> Bevölkerung zu fi nden. Für Bewegung in Beinen <strong>und</strong> Köpfen <strong>der</strong> Menschen<br />

braucht es eine grenzübergreifende Verbindung, Vernetzung <strong>und</strong> Funktionsteilung<br />

auf allen Ebenen. Wir planen eine Ringverbindung mit Regiotram <strong>und</strong> Rad. Der Straßenbau<br />

befi ndet sich bereits in Planung. Ein gemeinsamer öffentlicher Verkehrsverb<strong>und</strong><br />

erhöht den Anreiz über die Grenze zu fahren. Die längerfristige Regiotramverbindung<br />

wird mit einer Roburbuslinie überbrückt.<br />

Zur medialen Vernetzung werden dreisprachige Radiosen<strong>der</strong>, Fernsehprogramm<br />

<strong>und</strong> Zeitung mit Standbeinen in je<strong>der</strong> Stadt aufgebaut. Dabei gilt es unterschiedliche<br />

gesellschaftliche Gruppen anzusprechen <strong>und</strong> zu beteiligen. Um einer Scheinintegration<br />

<strong>der</strong> Region vorzubeugen <strong>und</strong> Selbstorganisationsprozesse aus <strong>der</strong> Bürgerschaft anzuschieben,<br />

ist Bürgerinformation <strong>und</strong> -beteiligung eine entscheidende Voraussetzung.<br />

Die Vereine im Dreilän<strong>der</strong>eck vernetzen wir im Vereinshaus <strong>und</strong> im Bürgerbüro, welche<br />

in <strong>Zittau</strong> in <strong>der</strong> „living factory“ integriert werden. In Hrádek <strong>und</strong> Bogatynia werden an<br />

zentraler Stelle ebenfalls Ansprechpunkte für Bürger geschaffen. Zum Aufspüren von<br />

Ideen <strong>und</strong> Ängsten <strong>der</strong> Bürger wird mittelfristig ein trilaterales Bürgerforum organisiert.<br />

Das Bürgerbüro im Roburwerk dient dafür als Ausgangspunkt.<br />

Gemeinsame Wege (bestehende <strong>und</strong> noch zu realisierende), wie Radwege (z. B. O<strong>der</strong>-<br />

Neißeradweg), sowie die Regiotram verbinden die drei Städte zu einem län<strong>der</strong>übergrei-


56 Katja Friedrich<br />

fenden Landschaftsraum. Anspruchsvolle Skater-, Wan<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Radstrecken führen zu<br />

touristischen Highlights für jeden Geschmack. Kurzfristig erschließt <strong>der</strong> R<strong>und</strong>weg inszenierte<br />

Ausblicke in die Kohlegrube, organisierte Touren mit Roburfahrzeugen, Endurostrecken,<br />

Skateparks, Landschaftsparks, Golfplätze, Pfadfi n<strong>der</strong>lager, ein Open-Air-Gelände<br />

am Dreilän<strong>der</strong>punkt, Gaststätten in Umgebindehäusern, z. B. als Mc-Nachbar, wo<br />

Typisches aus drei Nationen angeboten wird. Nach Beendigung des Tagebaus entsteht<br />

ein riesiger See. Im Jahre 2070 wird es wohl soweit sein. Bootsverleih, Yachthafen, Wakeboardanlage,<br />

vielleicht eine gemeinsame Stadthalle <strong>und</strong> vieles mehr gehen dann in<br />

Planung. Das neue Zentrum in Bogatynia wächst als eine Art Vergnügungsmeile mit<br />

entsprechenden Freizeitangeboten <strong>und</strong> Bahnhof bis an den See heran.<br />

Funktionsteilung Dreistadtkonzept<br />

Das Alleinstellungsmerkmal, das Zusammentreffen dieser drei Län<strong>der</strong> in einer Region wird<br />

stärker betont. Identitätsstiftend <strong>und</strong> effektiv profi lieren sich die drei Städte aus bestehenden<br />

<strong>und</strong> neu zu entwickelnden Potentialen. Die Spezialitäten ergänzen sich <strong>und</strong> konkurrieren<br />

auf keinen Fall. Alle drei Städte sind allein überlebensfähig, die Gr<strong>und</strong>versorgung ist überall<br />

gewährleistet. Gemeinsam sind sie jedoch in ihrer Innen- <strong>und</strong> Außenwirkung attraktiver.<br />

<strong>Zittau</strong>, mit schwacher Wirtschafts- <strong>und</strong> Bevölkerungsentwicklung, setzt neben architektonischer<br />

Schönheit auf Bildung <strong>und</strong> Forschung. Themen mit regionalem Bezug, wie<br />

regenerative Energien (in Zusammenarbeit mit dem polnischen Energiebetrieb Turów),<br />

Osteuropa, ökologischer Landbau <strong>und</strong> Sprachen (in trilateraler Zusammenarbeit) werden


Trialog als Vision für das kleine Dreieck <strong>Zittau</strong>–Hrádek–Bogatynia 57<br />

stärker etabliert. Um junge Leute nach <strong>Zittau</strong> <strong>und</strong> ins Dreilän<strong>der</strong>eck zu holen, werden<br />

spezielle Bildungsangebote z. B. internationale Sprachschulen forciert. <strong>Zittau</strong> übernimmt<br />

Zentrumsfunktion als Kultur-, Einkaufs- <strong>und</strong> Bildungsstadt auch für die Menschen aus Polen<br />

<strong>und</strong> Tschechien. Dafür sollte es z. B. polnische <strong>und</strong> tschechische Theateraufführungen<br />

geben. Die historische Altstadt kann als Identifi kationspunkt für alle dienen.<br />

Bogatynia fokussiert wirtschaftlich weiter auf Energieproduktion. Mit experimenteller<br />

Architektur <strong>und</strong> Freizeitangeboten, wie einer Großraumdisko für die gesamte Region<br />

entstehen neue Anziehungspunkte. Das Europangr<strong>und</strong>stück bildet den Auftakt einer<br />

Entwicklungslinie zum Wasser <strong>und</strong> ist <strong>der</strong> Anfang <strong>der</strong> neuen Stadtmitte. In Bogatynia<br />

sind längerfristig die größten Verän<strong>der</strong>ungen zu erwarten. Der direkte Seebezug wird<br />

<strong>der</strong> Stadt eine neue maritime <strong>und</strong> touristische Atmosphäre mit Strandpromenade <strong>und</strong><br />

Vergnügungsmeile geben. Das passt gut zur polnischen Vergnügungskultur, wo gern<br />

getanzt <strong>und</strong> fl aniert wird.<br />

Hrádek ist eine attraktive Kleinstadt mit Wachstumspotential im Einzugsgebiet von<br />

Liberec. Das Entwicklungsziel touristische Aufwertung wird vor allem auf grenzüberschreiten<strong>der</strong><br />

Ebene verfolgt. Ausgangssituation sind das Erholungsgebiet Krystinasee in<br />

Hrádek <strong>und</strong> das Lausitzer Bergland. Weiteres Ziel ist die Stärkung des Images Wohnen<br />

im Grünen. Auf dem Europangr<strong>und</strong>stück wird deshalb das Projekt „Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong><br />

naturbewusst Wohnen“ entwickelt. Die Gastwirtschaften <strong>der</strong> fre<strong>und</strong>lichen Kleinstadt,<br />

welche vom <strong>der</strong>zeitigen Preisgefälle profi tieren, unterstreichen den touristischen Charakter<br />

<strong>und</strong> das Wohnambiente.<br />

Von den regionalen Planungen im Trialog werden alle drei Städte vor allem in den<br />

Bereichen Wirtschaft <strong>und</strong> Tourismus profi tieren. Der sich bereits in Planung befi ndende<br />

trilaterale Gewerbepark sollte stärker ökologische Belange beachten. Dabei gilt<br />

es, Wachstumsschritte <strong>und</strong> das unnötige Zerschneiden <strong>und</strong> Verbauen des attraktiven<br />

Landschaftsraumes zu vermeiden. Eine unkonventionelle Architektursprache könnte zur<br />

Imagebildung beitragen <strong>und</strong> als Aushängeschild für die Region dienen. Eine Betreibergesellschaft<br />

sollte beim Nutzen grenzüberschreiten<strong>der</strong> Vorteile <strong>und</strong> bei <strong>der</strong> Firmenansiedlung<br />

unterstützen.<br />

Das Prinzip <strong>der</strong> Dreistadt könnte am Beispiel Energie verdeutlicht werden. Diese Visualisierung<br />

würde die Zusammenarbeit nach innen <strong>und</strong> außen spürbar machen. Um die Region<br />

als Standort <strong>der</strong> Energieproduktion über die Nutzung des bestehenden Kraftwerkes in Polen<br />

hinaus zu sichern, wird die Ansiedlung regenerativer Energiegewinnung notwendig. Während<br />

in <strong>Zittau</strong> die Ausbildung <strong>der</strong> Mitarbeiter stattfi nden könnte, würde <strong>der</strong> Strom in Bogatynia<br />

erzeugt werden. Auf den Flächen des trilateralen Gewerbegebietes, hauptsächlich in Bogatynia<br />

<strong>und</strong> Hrádek, bietet sich u. a. die Ansiedlung von energieintensiver Industrie, wie z. B.<br />

<strong>der</strong> Galvanotechnik, an. Ein Produktionskreislauf Solartechnik könnte exemplarisch für die<br />

Zusammenarbeit <strong>der</strong> Region stehen. Die Hochschule sollte sich in diesem Zusammenhang<br />

internationaler ausrichten <strong>und</strong> intensiver mit den Unternehmen <strong>der</strong> Region kooperieren.<br />

Der Dreilän<strong>der</strong>punkt mit seiner hohen Symbolik wird nicht bebaut, jedoch für temporäre<br />

Veranstaltungen genutzt. Aufgr<strong>und</strong> fehlen<strong>der</strong> städtischer Anbindung des Ortes wäre<br />

eine zu aufwendige Erschließung notwendig. Wir schlagen eine minimale zeitweise nutzbare<br />

Variante für gemeinsame Veranstaltungen mit identitätsstiften<strong>der</strong> Wirkung vor.


58 Katja Friedrich<br />

Eine aufeinan<strong>der</strong> abgestimmte Gesamtplanung ist im Bereich Wohnen im Dienste<br />

<strong>der</strong> Nachhaltigkeit notwendig. Wohnungsneubau sollte trotz Wohnungsnachfrage in<br />

Hrádek <strong>und</strong> Bogatynia vor allem im Geschoßwohnungsbau vermieden werden, da in<br />

<strong>Zittau</strong> hoher Leerstand besteht. Eine Lösung könnte bei voranschreiten<strong>der</strong> Integration<br />

<strong>der</strong> Region die Nutzung des Wohnungsbestandes von Bürgern aus dem gesamten<br />

Dreilän<strong>der</strong>eck sein. Beson<strong>der</strong>e Konzepte zur Überwindung des Preisgefälles für Bürger<br />

aus Polen <strong>und</strong> Tschechien könnten diesen Prozess beschleunigen. Dies setzt jedoch das<br />

Überwinden <strong>der</strong>zeitiger Vorurteile voraus. Die Einfamilienhausnachfrage wird u. a. an<br />

<strong>der</strong> ehemaligen Ziegelei in Hrádek gedeckt.<br />

Programm<br />

Die folgenden Nutzungskonzepte sind aufgr<strong>und</strong> von Standortanalysen <strong>und</strong> als Folge<br />

unseres regionalen Konzeptes entstanden. Direkte Vorgaben für zukünftige Nutzungen<br />

wurden in <strong>der</strong> Wettbewerbsausschreibung nicht formuliert.<br />

Das Vertiefungsprojekt von Trialog ist das Roburwerk in <strong>Zittau</strong>, deshalb werden zunächst<br />

die Ideen für Hrádek <strong>und</strong> Bogatynia vorgestellt. Die Visionen für das Roburwerk<br />

folgen danach etwas ausführlicher.<br />

„Zdrave a k prirode ohleduplne bydleni“ v Hrádku nad Nisou –<br />

„Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> naturbewusst“ wohnen in Hrádek –<br />

„Swiadomosc zdrowego i zgodnego zycia z natura“ w Hradku<br />

Als Planungsaufgabe wurde für die ehemalige Ziegelei eine einfamilienhausnahe Wohnnutzung<br />

von Seiten <strong>der</strong> Stadt Hrádek explizit formuliert. Das ruhige grüne Wohngebiet<br />

planen wir u. a. in Lehmbau- <strong>und</strong> Passivenergiebauweise. Vom wun<strong>der</strong>baren Blick ins<br />

<strong>Zittau</strong>er Gebirge profi tieren auch die Besucher des kleinen Stadtteilzentrums, welches<br />

mit öffentlichem Platz direkt an <strong>der</strong> Bahnstation angeordnet wird. Neben Versorgungseinrichtungen<br />

könnte hier öffentlichkeitswirksam die Station von Radio Trialog<br />

integriert werden. Ein neuer Skatepark nimmt die <strong>der</strong>zeitige Nutzung auf <strong>und</strong> wird auf<br />

hohem Niveau mit überregionaler Ausstrahlung ausgebaut. Ein Abzweig zum Rad- <strong>und</strong><br />

Wan<strong>der</strong>r<strong>und</strong>weg ermöglicht es Jugendlichen aus <strong>Zittau</strong> <strong>und</strong> Bogatynia mit dem Rad zu<br />

kommen. Als ein weiteres Angebot mit überörtlichem Einzugsbereich entwickeln wir<br />

aus <strong>der</strong> bestehenden Lehmgrube einen Lehmspielplatz für Kin<strong>der</strong> im Wohngebiet. Unser<br />

Konzept versucht auf diese Weise nicht nur an die Tradition des Ortes anzuknüpfen,<br />

son<strong>der</strong>n vor allem Möglichkeiten <strong>der</strong> interkulturellen Begegnung von Jugendlichen,<br />

Kin<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Eltern aus allen drei Län<strong>der</strong>n zu bieten.<br />

„Od centrum do plaży“ w Bogatyni –<br />

„Z centra na pláz“ v Bogatynii“ –<br />

„Vom Zentrum zum Strand“ in Bogatynia“<br />

Das neue Zentrum in Bogatynia wächst als eine Art Vergnügungsmeile mit entsprechenden<br />

Freizeitangeboten (Mole, Diskothek, Kulturzentrum, Markt) bis an den zukünftigen See


Trialog als Vision für das kleine Dreieck <strong>Zittau</strong>–Hrádek–Bogatynia 59<br />

heran. Der neu geschaffene Bahnhof bringt Badelustige aus <strong>Zittau</strong> <strong>und</strong> Hrádek sowie dem<br />

weiteren Umland mit <strong>der</strong> Regiotram günstig nach Bogatynia. Die ersten Schritte sind <strong>der</strong><br />

Abriss sowie die Umnutzung <strong>der</strong> Hallen des ehemaligen Baumwollwerkes zu Markthallen.<br />

Dabei sollte die Achse zum künftigen See bereits aufgegriffen werden. Die Hallen sowie die<br />

umliegenden Marktstände werden mit einem Dienstleistungskomplex kombiniert, denn in<br />

diesem Sektor strebt die Gemeinde Bogatynia die Ansiedlung neuer Arbeitsplätze an. Außerdem<br />

könnte <strong>der</strong> polnische Teil des Forschungszentrums für alternative Energiegewinnung<br />

(eine Kooperation des Turówer Entwicklungsbüros <strong>und</strong> <strong>der</strong> Neiße–University) integriert<br />

werden. Das so entstehende neue Zentrum befi ndet sich in äußerster Nähe zu Rathaus, Bibliothek<br />

<strong>und</strong> einer Parkanlage, welche <strong>der</strong>zeit eine städtebaulich <strong>und</strong> architektonisch nicht<br />

gefasste Mitte bilden. Der Bezug zu den bestehenden Zentrumsfunktionen, die Integration<br />

alter Industriearchitektur sowie die Beziehung zum künftigen See soll die Ausprägung <strong>der</strong><br />

neuen Mitte als Identifi kationspunkt Bogatynias unterstreichen. Die prägnanten Schornsteine<br />

dienen mit Licht inszeniert als Landmark zu Orientierung in <strong>der</strong> Region.<br />

Roburwerk „living factory“ in <strong>Zittau</strong><br />

Das Roburhauptgebäude wird zur „living factory“ mit unterschiedlichen Institutionen<br />

umgenutzt, welche in Beziehung zueinan<strong>der</strong> stehen, sich gegenseitig befruchten <strong>und</strong> die<br />

regionale Bedeutung <strong>Zittau</strong>s <strong>und</strong> des Dreilän<strong>der</strong>ecks stärken. Die Belebung <strong>der</strong> Bahnhofstraße<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Innenstadt <strong>Zittau</strong>s ist ein weiterer positiver Effekt, denn die Jugendlichen,<br />

die neu ins Dreilän<strong>der</strong>eck kommen, benötigen Unterkünfte <strong>und</strong> Versorgung.<br />

Entscheiden<strong>der</strong> Standortvorteil des Roburwerkes ist die Nähe zum Bahnhof. Da die<br />

gesamtstädtische Entwicklung <strong>Zittau</strong>s als schrumpfend bezeichnet werden muss, wird<br />

zunächst nur das Hauptgebäude neu genutzt. Die fl achen Werkhallen <strong>der</strong> Hofbebauung<br />

werden abgerissen <strong>und</strong> bieten Raum für das Freiraumkonzept. Die an<strong>der</strong>en Gebäude<br />

werden zwischengenutzt.<br />

Der Name „living factory“ steht für lebendige junge Denkfabrik, wo Ideen entwickelt<br />

<strong>und</strong> auf den Weg gebracht werden. Ästhetisch besticht die „living factory“ in den Innen-<br />

<strong>und</strong> Außenbereichen durch eine offene <strong>und</strong> frische Atmosphäre. Die sich überlagernden<br />

offenen Galerien <strong>und</strong> <strong>der</strong> direkte Kontakt zwischen den Etagen sind architektonische<br />

Mittel, um die gemeinsame Arbeit zu unterstützen. Zur Schärfung des Leitbildes Bildung<br />

<strong>und</strong> Forschung sind ein Zentrum für Energieforschung, die Neiße University, eine<br />

Sprachschule <strong>und</strong> ein Unternehmensgrün<strong>der</strong>zentrum vorgesehen. Die Neiße-University<br />

ist eine bereits bestehende <strong>und</strong> auszubauende Institution <strong>der</strong> TU Liberec, <strong>der</strong> TU<br />

Wroclaw <strong>und</strong> <strong>der</strong> FH <strong>Zittau</strong>/Görlitz. Den Zielen Verbinden <strong>und</strong> Vernetzen werden die<br />

Funktionen Trialog-Medienanstalt, Bürgerbüro, Vereinshaus, das Roburmuseum sowie<br />

Ausstellungsfl ächen <strong>und</strong> ein Café gerecht.<br />

An die positiven Erinnerungen beim Namen Robur knüpft die Neunutzung an.<br />

Einige Fahrzeuge werden an <strong>der</strong> Fassade in Szene gesetzt <strong>und</strong> <strong>der</strong> Name Robur bleibt<br />

ebenfalls erhalten. Zur regionalen Identitätsstiftung werden einige <strong>der</strong> attraktiven Fahrzeuge<br />

im Dreilän<strong>der</strong>eck als Buslinie, Partyrobur o<strong>der</strong> z. B. als Kiosk genutzt.<br />

Die vorerst nur gesicherten, aber nicht sanierten Gebäude des Roburwerkes werden<br />

zwischengenutzt. Die säulenfreie Halle dient im Winter als überdachter Skatepark, als


60 Katja Friedrich<br />

Unterstellmöglichkeit für den Partyrobur sowie als Fahrradverleih <strong>und</strong> Fahrradservicestation.<br />

An <strong>der</strong> Fassade ist eine Kletterwand angebracht. Als nächstes Szenario könnte im<br />

Falle einer günstigen Entwicklung <strong>der</strong> „living factory“ ein großer Hörsaal, <strong>der</strong> ebenfalls<br />

als kleine Kongresshalle dient, umgebaut werden. Die sehr gute ÖPNV-Anbindung würde<br />

diese überregionale Funktion unterstützen.<br />

Freiraumkonzept Robur<br />

Da Sport <strong>und</strong> Spiel sprach- <strong>und</strong> kulturübergreifend funktionieren, werden im Freiraum<br />

des Roburwerkes niveauvolle <strong>und</strong> robuste Anlagen angeboten. Nach dem Abreißen<br />

entsteht eine großzügige Fläche, welche von hohen Gebäuden <strong>und</strong> dem üppig bewachsenen<br />

Hang zur ehemaligen Brauerei räumlich gefasst ist. Die leicht ansteigende Fläche<br />

soll einen urbanen Charakter erhalten <strong>und</strong> wird mit ungewöhnlichen Parkfl ächen, Skateelementen<br />

(Funbox, Pool, Kugel) <strong>und</strong> unterschiedlichen Sportfel<strong>der</strong>n gestaltet. Die<br />

Terrassierung <strong>der</strong> Fläche unterstützt die Zonierung <strong>der</strong> Nutzungsbereiche. Sitzstufen<br />

<strong>und</strong> Schaukeln werden in den bewaldeten Hang integriert. Die harten <strong>und</strong> bespielbaren<br />

Flächen bilden einen Kontrast zum Grünbestand. Die Draufsicht wirkt spielerisch <strong>und</strong><br />

aufregend. Der Großteil <strong>der</strong> Fläche ist befahrbar <strong>und</strong> bietet damit fl exibel Platz für temporäre<br />

Ausstellungen, Märkte, Aktionen <strong>und</strong> Feste.<br />

Das neue Innenleben <strong>der</strong> „living factory“ im Roburwerk<br />

Im obersten Geschoß befi ndet sich das Medienzentrum Trialog, wo Schüler, Studenten,<br />

Bürger mitmachen <strong>und</strong> zielgruppenspezifi sch für drei Kulturen arbeiten. Trialog umfasst<br />

dreisprachiges Radio, Zeitung, Lokalfernsehen, Internetauftritt. In <strong>der</strong> vierten Etage gibt<br />

es auch ein öffentliches Café mit Blick ins <strong>Zittau</strong>er Gebirge. In <strong>der</strong> dritten Etage fi ndet<br />

das Forschungszentrum seinen Platz. Es ist eine Kooperation des Energiekonzerns<br />

Turów <strong>und</strong> dem neu einzurichtenden Studiengang regenerative Energie. In <strong>der</strong> zweiten<br />

Etage befi nden sich Seminarräume <strong>der</strong> Neiße-University mit den neuen Studiengängen<br />

Europak<strong>und</strong>e, Bioagrarwirtschaft, ökologisches Bauen <strong>und</strong> regenerative Energie. Die<br />

Räume werden außerdem von <strong>der</strong> Sprachschule (evtl. mit Außenstellen in Hrádek <strong>und</strong><br />

Bogatynia) genutzt. Die drei Zielgruppen sind Jugendliche aus Deutschland, Polen <strong>und</strong><br />

Tschechien, die ohne Lehrstelle geblieben sind <strong>und</strong> nun ein Jahr deutsch, polnisch,<br />

tschechisch, englisch lernen. Ein zusätzlicher Anreiz ins Dreilän<strong>der</strong>eck zu kommen ist<br />

die Verbindung mit jugendorientiertem Sport. Bürger aus <strong>der</strong> Region besuchen abends<br />

die Sprachschule. Schüler aus ganz Europa absolvieren in den Ferien Intensivsprachkurse.<br />

Im 1. Geschoss sind Vereinsräume <strong>und</strong> Bürgerbüro untergebracht. Über eine Brücke<br />

vom Bahnhofsvorplatz gelangt man in den Ausstellungsbereich, <strong>der</strong> allen Vereinen <strong>und</strong><br />

Bürgern des Dreilän<strong>der</strong>ecks zur Verfügung steht. Vereinshaus <strong>und</strong> Bürgerbüro spielen<br />

eine Schlüsselrolle beim Aufbau einer grenzüberschreitenden Zivilgesellschaft sowie für<br />

die Vernetzung <strong>der</strong> bürgerschaftlichen Aktivitäten. Das Bürgerbüro umfasst ein Ideenzentrum<br />

<strong>und</strong> eine Bürgerbörse. Es dient als Koordinationsbüro <strong>der</strong> grenzüberschreitenden<br />

Zusammenarbeit. Für spätere Bürgerforen wird <strong>der</strong> Ort als kommunikative Plattform<br />

dienen. Das Erdgeschoss, welches von <strong>der</strong> Eisenbahnstraße ebenerdig erschlossen


Trialog als Vision für das kleine Dreieck <strong>Zittau</strong>–Hrádek–Bogatynia 61<br />

wird, beherbergt ein Unternehmerzentrum mit Laboren. Ehemalige Studenten können<br />

sich hier ansiedeln. Damit werden Kompetenzen in <strong>der</strong> Region gehalten. Das Untergeschoss,<br />

ebenerdig vom Innenhof erschlossen, wird dem Roburmuseum zugeordnet. Der<br />

Freiraum kann zusätzlich als Ausstellungsfl äche mit genutzt werden.<br />

Berichte aus <strong>der</strong> Zukunft<br />

Um sich vorstellen zu können, wie sich das kleine Dreieck entwickeln kann, folgen nun<br />

als Ausblick vier persönliche Berichte von fi ktiven Bewohnern aus <strong>der</strong> Zukunft.<br />

Maximilian Schmidt aus <strong>Zittau</strong>, 2008<br />

In <strong>der</strong> „living factory“ im Roburwerk mache ich eine Sprachausbildung. Die Mischung<br />

von jungen Leuten ist echt Klasse. Die sportlichen Angebote haben mich überzeugt aus<br />

Kassel hierher zu kommen. Im Sommer Skaten, BMXen <strong>und</strong> im Winter zum Snowboarden<br />

ins nahe Riesengebirge. Da ich nun auch polnisch <strong>und</strong> tschechisch lerne, komme<br />

ich in <strong>der</strong> Region gut zurecht. Ich hoffe auch, dass ich dann bessere <strong>Chancen</strong> auf einen<br />

Job habe.<br />

Jana Kun<strong>der</strong>a aus Hrádek, 2010<br />

Unsere Familie ist sehr froh hier ein Passivhaus gebaut zu haben. Die Heizkosten werden<br />

immer höher. Das kann doch niemand bezahlen. Ob wir Arbeit haben? Ja, ich<br />

bin um die Ecke bei Radio Trialog tätig. Mein Mann hat mit einem Bekannten am<br />

Skaterr<strong>und</strong>weg in Polen ein Restaurant in einem alten Umgebindehaus eröffnet. Dort<br />

werden Spezialitäten <strong>der</strong> Region angeboten. Die Idee dazu entstand in <strong>Zittau</strong>, wo sich<br />

die beiden in <strong>der</strong> „living factory“ im ehemaligen Roburwerk kennen gelernt haben. Wir<br />

sprechen beide außer tschechisch auch deutsch <strong>und</strong> polnisch, das war Bedingung für<br />

unsere Jobs.<br />

Kaska Bilawska aus <strong>Zittau</strong>, 2015<br />

Mein Mann <strong>und</strong> ich stammen beide aus Polen <strong>und</strong> haben ein Haus in <strong>Zittau</strong>s Altstadt<br />

gekauft. Da war viel dran zu machen, aber wir wollten unbedingt in so einer schönen<br />

Altstadt leben. Hier ist alles zu Fuß zu erreichen, das fi nde ich gut <strong>und</strong> mein H<strong>und</strong><br />

auch. Wenn ich mal nach Polen rüber muss, nehme ich die Roburlinie. In 15 Minuten<br />

bin ich in Bogatynia.<br />

Bartek Ostrowski aus Bogatynia, 2070<br />

Seit <strong>der</strong> See nun fertig ist geht es hier voran. Ich bin Student in <strong>Zittau</strong> <strong>und</strong> wohne bei<br />

meiner Familie hier in Bogatynia. Die Fahrt dauert mit <strong>der</strong> Regiotram nur 12 Minuten.<br />

Jeden Tag bin ich am See. Im Sommer jobbe ich an <strong>der</strong> Wakeboardanlage. Auf <strong>der</strong><br />

Meile zwischen Strand <strong>und</strong> Zentrum, Roman-Polanski-Boulevard genannt, ist immer was<br />

los. Es gibt alle möglichen Kneipen <strong>und</strong> Geschäfte. Da kann man so schön fl anieren<br />

<strong>und</strong> trifft viele Leute. Meine deutsche Fre<strong>und</strong>in aus O<strong>der</strong>witz habe ich dort kennen<br />

gelernt.


62 Franciszek Adamczuk / Danuta Strahl<br />

Entwicklung <strong>und</strong> wirtschaftliche Zusammenarbeit<br />

Nie<strong>der</strong>schlesiens <strong>und</strong> Sachsens<br />

FRANCISZEK ADAMCZUK / DANUTA STRAHL<br />

Eines <strong>der</strong> gr<strong>und</strong>legenden Ziele <strong>der</strong> europäischen Integration ist die stufenweise Nivellierung<br />

von Entwicklungsdisproportionen sowohl auf nationaler als auch – <strong>und</strong> eigentlich<br />

vor allem – auf regionaler Ebene.<br />

Drastische Disproportionen in <strong>der</strong> Entwicklung auf regionaler Ebene sind we<strong>der</strong> für<br />

die Gr<strong>und</strong>prinzipien <strong>der</strong> gesellschaftlichen Entwicklung för<strong>der</strong>lich, son<strong>der</strong>n sie machen<br />

auch die Schaffung eines mo<strong>der</strong>nen regionalen Raumes in <strong>der</strong> Europäischen Union<br />

unmöglich, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Lage ist, die konkurrierende Herausfor<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Globalisierungsprozesse<br />

1 anzunehmen. Eine beson<strong>der</strong>e Rolle in <strong>der</strong> Entwicklung des regionalen<br />

Raumes <strong>der</strong> EU spielen Regionen, die im Grenzgebiet <strong>der</strong> Mitgliedsstaaten liegen. In<br />

ihnen spiegeln sich mit beson<strong>der</strong>er Kraft positive <strong>und</strong> negative Folgen allzu gravieren<strong>der</strong><br />

Disproportionen in <strong>der</strong> Entwicklung wi<strong>der</strong>. Es lohnt sich, die Möglichkeiten <strong>der</strong> grenznahen<br />

Zusammenarbeit zu betrachten, mit dem Ziel <strong>der</strong> gegenseitigen Entwicklung <strong>der</strong><br />

wichtigsten Trümpfe <strong>der</strong> Grenzregionen, die da wären:<br />

– die Region – <strong>der</strong> Regierungsbezirk Dresden NUTS (The Nomenclature of Territorial<br />

Units for Statistics) 2, in dem sich u. a. die Region<br />

– Nie<strong>der</strong>schlesischer <strong>Oberlausitz</strong>kreis NUTS 3 befi ndet,<br />

– die Woiwodschaft Nie<strong>der</strong>schlesien NUTS 2 mit dem Kreis Jelenia Góra (NUTS 3).<br />

Das Hauptziel des Vortrags ist es, den Stand <strong>der</strong> regionalen Entwicklung <strong>der</strong> angrenzenden<br />

polnischen <strong>und</strong> deutschen Regionen aufzuzeigen. Ein gleichrangiges Ziel<br />

ist es, die institutionellen Aspekte <strong>der</strong> interregionalen Zusammenarbeit Sachsens <strong>und</strong><br />

Nie<strong>der</strong>schlesiens auf <strong>der</strong> Ebene des Marschallamtes <strong>der</strong> Woiwodschaft Nie<strong>der</strong>schlesien<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> entsprechenden Organe des Freistaates Sachsen aufzuzeigen. Als Beispiel wurde<br />

die Arbeitsgruppe Nie<strong>der</strong>schlesien-Sachsen ausgewählt, die für die Realisierung dieser<br />

Ziele einberufen wurde.<br />

1 Ein Beispiel für eine sehr wertvolle Diskussion zum Thema <strong>der</strong> polnisch-deutschen Zusammenarbeit unter den neuen<br />

Bedingungen <strong>der</strong> erweiterten EU war eine Konferenz mit dem Titel „Bedingungen für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit<br />

im polnisch-deutschen Grenzraum nach <strong>der</strong> Erweiterung <strong>der</strong> Europäischen Union“, welche am 24. April 2004 in Zielona<br />

Góra stattfand.


Entwicklung <strong>und</strong> wirtschaftliche Zusammenarbeit Nie<strong>der</strong>schlesiens <strong>und</strong> Sachsens 63<br />

1. Die Raumordnung Sachsens <strong>und</strong> Nie<strong>der</strong>schlesiens laut <strong>der</strong> Klassifi zierung NUTS<br />

Der polnisch-deutsche Grenzraum ist im europäischen Maßstab sehr spezifi sch. Das<br />

resultiert u. a. aus <strong>der</strong> Asymmetrie <strong>der</strong> wirtschaftlichen Entwicklung <strong>und</strong> <strong>der</strong> differenzierten<br />

Wettbewerbsfähigkeit <strong>der</strong> in diesem Gebiet lokalisierten Wirtschaftssubjekte, mit<br />

dem Hinweis auf die deutsche Seite. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite sind sich polnische <strong>und</strong><br />

deutsche Forscher einig, dass beide Regionen durch eine gewisse Art <strong>der</strong> Peripherie 2<br />

gekennzeichnet sind. Dies hat Einfl uss auf das Tempo <strong>und</strong> die strukturellen Verän<strong>der</strong>ungen<br />

in diesem Gebiet.<br />

Die Klassifi zierung NUTS teilt den wirtschaftlichen Raum <strong>der</strong> EU in territoriale Einheiten<br />

verschiedener Ebenen ein, indem sie ihnen konkrete Zahlencodes gibt. NUTS ist<br />

also eine hierarchische Klassifi zierung von NUTS 1 bis NUTS 5.<br />

Deutschland (die BRD) als Mitglied <strong>der</strong> EU besteht aus:<br />

– 16 B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong>n – NUTS 1,<br />

– 41 Regierungsbezirken – NUTS 2,<br />

– 439 Kreisen – NUTS 3.<br />

Polen als Mitglied <strong>der</strong> EU besitzt:<br />

– Regionen (6) – NUTS 1,<br />

– Woiwodschaften (16) – NUTS 2,<br />

– Unterregionen (45) – NUTS 3.<br />

Die Raumordnung <strong>der</strong> territorialen Einheiten in Polen <strong>und</strong> Deutschland gemäß<br />

NUTS 1 stellt die untenstehende Karte dar.<br />

Karte 1: Die Raumordnung<br />

Polens <strong>und</strong> Deutschlands auf <strong>der</strong><br />

NUTS 1-Ebene (Quelle: eigene<br />

Ausarbeitung – EUROSTAT-<br />

GISCO.07/2004.)<br />

2 Untersuchungen in diesem Bereich in den 90er Jahren des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts führte u. a. das Institut für Län<strong>der</strong>k<strong>und</strong>e in<br />

Leipzig durch.


64 Franciszek Adamczuk / Danuta Strahl<br />

Karte 2: Die Raumordnung in Polen NUTS 1, NUTS 2 <strong>und</strong> NUTS 3


Karte 3: Die detaillierte Struktur<br />

<strong>der</strong> NUTS 3-Unterregionen,<br />

welche NUTS 2 bilden, zu <strong>der</strong><br />

die Woiwodschaft Nie<strong>der</strong>schlesien<br />

gehört (Quelle: Tschechisches<br />

Amt für Statistik, Abteilung in<br />

Liberec)<br />

Karte 4: Die Raumstruktur gem.<br />

NUTS 2 (Quelle: Tschechisches<br />

Amt für Statistik, Abteilung in<br />

Liberec)<br />

Karte 5: Die Raumstruktur gem.<br />

NUTS 3 (Quelle: Tschechisches<br />

Amt für Statistik, Abteilung in<br />

Liberec)<br />

Entwicklung <strong>und</strong> wirtschaftliche Zusammenarbeit Nie<strong>der</strong>schlesiens <strong>und</strong> Sachsens 65


66 Franciszek Adamczuk / Danuta Strahl<br />

Sachsen als B<strong>und</strong>esland <strong>der</strong> BRD mit dem Status NUTS 1 besitzt 3 NUTS 2-Regionen.<br />

Das sind: die Regierungsbezirke Dresden, Leipzig <strong>und</strong> Chemnitz. 3<br />

Die Woiwodschaft Nie<strong>der</strong>schlesien ist also in <strong>der</strong> Klassifi zierung NUTS als NUTS<br />

2, mit 3 NUTS 3-Unterregionen (Unterregion Wrocław, Unterregion Jelenia Góra–<br />

Wałbrzych <strong>und</strong> Unterregion Legnica) 4 eingeordnet.<br />

Diese Fragen werden deshalb aufgeworfen, weil wir, wenn wir über die Zusammenarbeit<br />

Sachsens <strong>und</strong> Nie<strong>der</strong>schlesiens sprechen, daran denken müssen, dass Sachsen<br />

als NUTS 1 <strong>und</strong> die Woiwodschaft Nie<strong>der</strong>schlesien als NUTS 2 klassifi ziert sind. Dies<br />

impliziert den Umfang <strong>und</strong> die Form <strong>der</strong> Zusammenarbeit auch auf dem Gebiet <strong>der</strong><br />

räumlichen Bewirtschaftung.<br />

2. Differenzierung <strong>der</strong> regionalen Entwicklung Nie<strong>der</strong>schlesiens <strong>und</strong> Sachsens<br />

Die ökonomische Kraft Deutschlands <strong>und</strong> Polens in Relation zur Europäischen Union<br />

ist klar differenziert. Vor allen Dingen ist das demographische Potenzial bei<strong>der</strong> Staaten<br />

verschieden. Im Jahre 2003 zählte Deutschland 82,536.7 Mio. Einwohner, also das<br />

2,1-fache von Polen, welches 38,218.6 Mio. Einwohner hatte. Wenn man als gr<strong>und</strong>legendes<br />

Kriterium <strong>der</strong> ökonomischen Entwicklung das Bruttoinlandsprodukt annimmt<br />

(was natürlich eine gewisse Vereinfachung <strong>der</strong> ökonomischen Analyse ist), sieht man,<br />

dass Polen <strong>und</strong> Deutschland in <strong>der</strong> Europäischen Union abweichende Wachstumspole<br />

bilden. Ähnliche Relationen treten zwischen den Regionen bei<strong>der</strong> Staaten des Typs<br />

NUTS-2 auf, darin zwischen <strong>der</strong> Dresdener <strong>und</strong> <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>schlesischen Region. In <strong>der</strong><br />

Tabelle 1 wurde <strong>der</strong> Wert des Bruttoinlandsproduktes Deutschlands <strong>und</strong> Polens in Mio.<br />

PPS (= Einheit <strong>der</strong> Parität <strong>der</strong> Kaufkraft) sowie <strong>der</strong> BIP <strong>der</strong> beiden analysierten Regionen<br />

samt ihrem Anteil in <strong>der</strong> EU <strong>und</strong> das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner dargestellt.<br />

Wie man sieht, hat Deutschland ein fünf Mal höheres Bruttoinlandsprodukt als<br />

Polen. Das ökonomische Potenzial bei<strong>der</strong> Regionen Dresdens <strong>und</strong> Nie<strong>der</strong>schlesiens<br />

hingegen ist ähnlich. Wenn wir jedoch den Indexwert des BIP pro Einwohner abwägen,<br />

Lfd.<br />

Nr.<br />

Land BIP insgesamt<br />

in Mio. PPS<br />

Anteil in%<br />

in <strong>der</strong> EU=25<br />

BIP/Einw.<br />

gem. PPS<br />

Tabelle 1: Bruttoinlandsprodukt in Deutschland <strong>und</strong> Polen – Angaben für 2003<br />

EU=100<br />

BIP/Einw. im<br />

Verhältnis zur<br />

EU<br />

1 Europäische Union 9.953.329,3 100,0 21.740,6 100,0<br />

2 Deutschland 1.944.954,8 19,5 23.569,5 108,4<br />

3 Region Dresden 30.276,4 0,3 18.038,3 83,0<br />

4 Polen 390.144,1 3,9 10.214,5 47,0<br />

5 Region Nie<strong>der</strong>schlesien 30.373,3 0,3 10.470,7 48,2<br />

3 In <strong>der</strong> Schreibweise im Bereich <strong>der</strong> Regionalistik werden auch adjektivische Bezeichnungen verwendet, d. h., Region<br />

Dresden (Dresdener Region), Region Leipzig (Leipziger) <strong>und</strong> die Region Chemnitz.<br />

4 Die Region NUTS 1 in diesem Teil Polens bilden die Woiwodschaft Nie<strong>der</strong>schlesien <strong>und</strong> Opole.


Entwicklung <strong>und</strong> wirtschaftliche Zusammenarbeit Nie<strong>der</strong>schlesiens <strong>und</strong> Sachsens 67<br />

werden die Disproportionen schon sehr deutlich. Deutschland hat den Index auf 1;<br />

dem Niveau 108,4 Prozent des Gesamtniveaus <strong>der</strong> Europäischen Union, Polen erreicht<br />

gerade mal 47 Prozent des Wertes BIP/Einwohner in <strong>der</strong> EU, in <strong>der</strong> Dresdener Region<br />

erreicht <strong>der</strong> Wert BIP/Einwohner 83 Prozent des EU-Wertes <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Region Nie<strong>der</strong>schlesien<br />

beträgt er gerade 48,2 Prozent des Indexes <strong>der</strong> EU. Der Wert BIP/Einwohner<br />

ist eine hervorragende Illustration <strong>der</strong> Disproportionen in <strong>der</strong> Entwicklung zwischen<br />

den beiden Regionen. Über die Wettbewerbsfähigkeit <strong>der</strong> Regionen entscheidet neben<br />

<strong>der</strong> ökonomischen Kraft mit Sicherheit die wissensbasierte Wirtschaft. In Tabelle Nr. 2<br />

wurden die gr<strong>und</strong>legenden Charakteristika vorgestellt, welche die Innovationskraft <strong>der</strong><br />

untersuchten Regionen sowie Polens <strong>und</strong> Deutschlands illustrieren.<br />

Lfd.<br />

Spezifi zierung<br />

Nr.<br />

1 Anzahl <strong>der</strong> Einwohner<br />

[in Tausend]<br />

2 Erwerbstätige in B+R<br />

[in Personen]<br />

3 Anzahl <strong>der</strong> Erwerbstätigen im<br />

Sektor B+R pro 1000 Einwohner<br />

4 Anzahl <strong>der</strong> Erwerbstätigen im<br />

Sektor B+R an <strong>der</strong> Gesamtzahl<br />

<strong>der</strong> Erwerbstätigen [%]<br />

5 Erwerbstätige im<br />

Hochschulwesen [in Personen]<br />

6 Anzahl <strong>der</strong> Erwerbstätigen<br />

im Hochschulwesen an <strong>der</strong><br />

Gesamtzahl <strong>der</strong> Erwerbstätigen<br />

[%]<br />

7 Anzahl <strong>der</strong> Erwerbstätigen im<br />

Hochschulwesen pro 1000<br />

Einwohner<br />

8 Erwerbstätige mit höherer<br />

Schuldbildung insgesamt<br />

im Alter von 25-64 Jahrena [Tausend Personen]<br />

9 Anteil <strong>der</strong> Erwerbstätigen mit<br />

höherer Schuldbildung an <strong>der</strong><br />

Gesamtzahl <strong>der</strong> Erwerbstätigena [%]<br />

Deutschland<br />

Tabelle 2: Stand <strong>der</strong> Indikatoren GOW in polnischen <strong>und</strong> deutschen Regionen im Jahr 2003 5<br />

a) Die Angaben zum Thema <strong>der</strong> Erwerbstätigen mit höherer Schuldbildung insgesamt im Alter von 25–64<br />

Jahren <strong>und</strong> zum Anteil <strong>der</strong> Erwerbstätigen an <strong>der</strong> Gesamtzahl <strong>der</strong> Erwerbstätigen, die das Jahr 2004 betreffen.<br />

(Quelle: Eigene Ausarbeitung auf <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>lage <strong>der</strong> Daten von Eurostat)<br />

5 Der Indikator GOW bedeutet: wissensbasierte Wirtschaft.<br />

Polen Regierungsbezirk<br />

Dresden<br />

Nie<strong>der</strong>schlesien<br />

82.536,7 38.218,6 1.683,1 2.904,7<br />

664.731 126.241 1.6111 9.482<br />

8,1 3,3 9,6 3,3<br />

1,85 0,92 2,3 1,06<br />

246.751 85.475 6.874 8.031<br />

0,69 0,63 0,98 0,89<br />

3,9 2,2 4,1 2,8<br />

8.900,5 2.592,4 235,9 200,1<br />

28,5 21,2 40,0 23,3


68 Franciszek Adamczuk / Danuta Strahl<br />

Der Durchschnittsanteil <strong>der</strong> Erwerbstätigen im Hochschulwesen an <strong>der</strong> Gesamtzahl<br />

<strong>der</strong> Erwerbstätigen in den 25 EU-Län<strong>der</strong>n betrug 0,58 im Jahr 2003, in den 15 EU-<br />

Län<strong>der</strong>n war er 0,6 <strong>und</strong> in den Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong> letzten Erweiterung gestaltete er sich auf<br />

dem Stand von 0,48. Im Verhältnis zum Unionsdurchschnitt zeigt <strong>der</strong> Index in den<br />

untersuchten Län<strong>der</strong>n, dass Deutschland <strong>und</strong> Polen sich in <strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> Län<strong>der</strong><br />

mit einem überdurchschnittlichen Anteil von Erwerbstätigen mit höherer Schulbildung<br />

befi nden, in Bezug auf die Gesamtzahl <strong>der</strong> Erwerbstätigen.<br />

In Deutschland sind die Disproportionen zwischen den Regionen entschieden größer<br />

als in Polen. Das hat u. a. seine Begründung darin, dass es eine erheblich größere Anzahl<br />

von deutschen Regionen gibt <strong>und</strong> in den langjährig abweichenden Bedingungen für die<br />

Regionen Ostdeutschlands.<br />

Ein an<strong>der</strong>er oben genannter Indikator für die Beurteilung <strong>der</strong> wissensbasierten<br />

Wirtschaft ist das Humankapital, dessen „Qualität“ sowohl durch die Anzahl, die Verän<strong>der</strong>ung<br />

über die Zeit, als auch den Anteil <strong>der</strong> Personen mit höherer Schulbildung 6<br />

an <strong>der</strong> Gesamtzahl <strong>der</strong> Erwerbstätigen in <strong>der</strong> Region dargestellt werden kann. In jedem<br />

<strong>der</strong> analysierten Län<strong>der</strong> wächst die Anzahl <strong>der</strong> Berufstätigen mit höherer Schulbildung,<br />

wobei man im Jahr 2004 im Vergleich zum Jahr 1999 in Deutschland einen Zuwachs<br />

von 5,7 Prozent hatte, in Polen hingegen einen Zuwachs von 34,2 Prozent verzeichnete<br />

(<strong>der</strong> Zuwachs war sechs mal höher als in Deutschland).<br />

Der Anteil <strong>der</strong> Berufstätigen mit höherer Schulbildung betrug von <strong>der</strong> Gesamtzahl<br />

<strong>der</strong> Erwerbstätigen (im Alter von 25 bis 64 Jahren) in den Jahren 1999 bis 2004 in Polen<br />

von 14,6 Prozent bis zu 21,2 Prozent; in Deutschland dagegen war <strong>der</strong> Anteil im Jahr<br />

1999 erheblich höher als in Polen im Jahr 2004 – im Jahr 1999 betrug er 26,6 Prozent<br />

<strong>und</strong> 28,5 Prozent im Jahr 2004. Es ist also festzustellen, dass eine überdurchschnittliche<br />

Größe <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Tabelle angegebenen Indikatoren die Nie<strong>der</strong>schlesische wie auch die<br />

Dresdener Region (im Verhältnis zum Landesdurchschnitt) kennzeichnet.<br />

In <strong>der</strong> Tabelle 3 wurden die Positionen <strong>der</strong> Regionen in den eigenen Län<strong>der</strong>n dargestellt,<br />

geordnet nach dem Stand <strong>der</strong> Indizes GOW im Jahr 2003. 7<br />

Die nie<strong>der</strong>schlesische Region platzierte sich im Hinblick auf alle analysierten Charakteristika<br />

jedes Mal unter den ersten sechs <strong>der</strong> 16 polnischen Regionen. Beson<strong>der</strong>e<br />

Aufmerksamkeit verdient die hohe zweite Platzierung hinsichtlich des Anteils <strong>der</strong> Erwerbstätigen<br />

im Hochschulwesen an <strong>der</strong> Gesamtzahl <strong>der</strong> Berufstätigen <strong>und</strong> des Anteils<br />

<strong>der</strong> Berufstätigen mit höherer Schulbildung an <strong>der</strong> Gesamtzahl <strong>der</strong> Erwerbstätigen.<br />

Was den Anteil <strong>der</strong> Erwerbstätigen im höheren Schulwesen an <strong>der</strong> Gesamtzahl <strong>der</strong><br />

Berufstätigen betrifft, charakterisiert die Region Dresden die hohe zweite Platzierung;<br />

dagegen sind die Positionen von 9 bis 16 für die übrigen Indizes, in Bezug auf die<br />

41 deutschen Regionen, zufriedenstellend. Wie man sieht, ist die Position <strong>der</strong> Region<br />

Dresden etwas schwächer als die Position <strong>der</strong> Region Nie<strong>der</strong>schlesien hinsichtlich <strong>der</strong><br />

Regionen des eigenen Landes (was die Relationen zwischen den untersuchten Regionen<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> ‚besten‘ Region in dem ‚betreffenden Land‘ zeigen, Tabelle 3, Spalte 3 f.).<br />

6 Constructing Knowledge Societies: New Challenges for Tertiary Education, World Bank, Washington DC, 2003.<br />

7 GOW – Wissensbasierte Wirtschaft – Knowledge based Economy.


Lfd.<br />

Nr.<br />

Entwicklung <strong>und</strong> wirtschaftliche Zusammenarbeit Nie<strong>der</strong>schlesiens <strong>und</strong> Sachsens 69<br />

Spezifi kation Dresden Nie<strong>der</strong>schlesien<br />

Relation<br />

zur besten<br />

Region<br />

in %<br />

Dresden<br />

Relation<br />

zur besten<br />

Region in<br />

in % Nie<strong>der</strong>schlesien<br />

1 Anzahl <strong>der</strong> Einwohner<br />

[in Tsd. Personen ]<br />

23 5 43,9 68,8<br />

2 Erwerbstätige in R&D<br />

[in Personen]<br />

16 5 61,0 68,8<br />

3 Anzahl <strong>der</strong> Erwerbstätigen im<br />

Sektor R&D pro 1000 Einwohner<br />

12 3 70,8 81,2<br />

4 Anteil <strong>der</strong> Erwerbstätigen im<br />

Sektor R&D an <strong>der</strong> Gesamtzahl<br />

<strong>der</strong> Erwerbstätigen [%]<br />

10 3 75,6 81,2<br />

5 Erwerbstätige im Hochschulwesen<br />

[in Personen]<br />

16 5 61,0 68,8<br />

6 Anteil <strong>der</strong> Erwerbstätigen<br />

im Hochschulwesen an <strong>der</strong><br />

Gesamtzahl <strong>der</strong> Erwerbstätigen<br />

[%]<br />

9 2 78,0 87,5<br />

7 Anzahl <strong>der</strong> Erwerbstätigen im<br />

Hochschulwesen pro 1000<br />

Einwohner<br />

12 4 70,8 75,0<br />

8 Erwerbstätige mit höherer<br />

Schulbildung insgesamt im Alter<br />

von 25-64 Jahren<br />

[Tausend Pers.]<br />

12 6 70,8 62,5<br />

9 Anteil <strong>der</strong> Erwerbstätigen mit<br />

höherer Schulbildung an <strong>der</strong><br />

Gesamtzahl <strong>der</strong> Erwerbstätigena [%]<br />

2 2 95,1 87,5<br />

10 Anzahl <strong>der</strong> Regionen insgesamt 41 16<br />

Tabelle 3: Die Stellung <strong>der</strong> Regionen Dresden <strong>und</strong> Nie<strong>der</strong>schlesien in den NUTS 2-Regionen Deutschlands<br />

<strong>und</strong> Polens, geordnet nach dem Stand <strong>der</strong> Indizes GOW für 2003<br />

a) Angaben zum Thema <strong>der</strong> Erwerbstätigen mit höherer Schuldbildung insgesamt im Alter von 25-64<br />

Jahren <strong>und</strong> <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Erwerbstätigen an <strong>der</strong> Gesamtzahl <strong>der</strong> Erwerbstätigen für das Jahr 2004.<br />

(Quelle: Eigene Ausarbeitung auf <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>lage <strong>der</strong> Daten von Eurostat.)<br />

Wenn man die zwischen <strong>der</strong> nie<strong>der</strong>schlesischen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Dresdener Region bestehenden<br />

Relationen analysiert, muss man unterstreichen, dass bei fast allen verglichenen Indizes<br />

die Region Nie<strong>der</strong>schlesien entschieden schwach ausfällt. Die Anzahl <strong>der</strong> Erwerbstätigen<br />

im Sektor B+R pro 1.000 Einwohner ist in <strong>der</strong> Woiwodschaft Nie<strong>der</strong>schlesien<br />

nämlich fast drei mal niedriger als in <strong>der</strong> Region Dresden. Der Anteil <strong>der</strong> Berufstätigen<br />

im Sektor B+R an <strong>der</strong> Gesamtzahl <strong>der</strong> Berufstätigen in <strong>der</strong> nie<strong>der</strong>schlesischen Region<br />

macht 1,06 Prozent aus, wobei er in <strong>der</strong> Dresdener Region mehr als zweimal höher ist<br />

<strong>und</strong> 2,3 Prozent aller Beschäftigten bildet. Ähnliche Relationen im Bereich dieses Indexes<br />

treten im Landesmaßstab auf. Etwas weniger drastisch fällt dieser Index im Sektor<br />

des Hochschulwesens aus. In <strong>der</strong> Woiwodschaft Nie<strong>der</strong>schlesien kommen auf 1.000


70 Franciszek Adamczuk / Danuta Strahl<br />

Einwohner 2,8 Beschäftigte im Hochschulwesen, in <strong>der</strong> Dresdener Region aber 1,5 Mal<br />

mehr Personen, also 4,1 Personen. Der Anteil <strong>der</strong> Berufstätigen mit höherer Schulbildung<br />

an <strong>der</strong> Gesamtzahl <strong>der</strong> Berufstätigen beträgt in <strong>der</strong> nie<strong>der</strong>schlesischen Region 23,3<br />

Prozent, wobei er im Regierungsbezirk Dresden sogar 40 Prozent beträgt. Der Anteil<br />

<strong>der</strong> Erwerbstätigen im höheren Schulwesen an <strong>der</strong> Gesamtzahl <strong>der</strong> Berufstätigen in beiden<br />

Regionen ist vergleichbar. Er beträgt in <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>schlesischen Woiwodschaft 0,89<br />

Prozent, in <strong>der</strong> Dresdener Region wie<strong>der</strong>um 0,98 Prozent. Es ist wert zu beachten, dass<br />

diese Indizes für das gesamte Land vergleichbar sind.<br />

Die Bewertung, welche die regionalen Querschnitte auf <strong>der</strong> NUTS 2-Ebene berücksichtigt,<br />

erlaubt es festzustellen, dass interregionale Differenzierungen in Deutschland<br />

stärker wahrnehmbar sind als in Polen, aber Entwicklungsdisproportionen zwischen den<br />

Regionen bei<strong>der</strong> Staaten, <strong>und</strong> darin zwischen <strong>der</strong> Region Dresden <strong>und</strong> Nie<strong>der</strong>schlesien,<br />

sehr wesentlich sind.<br />

3. Die Entwicklung Sachsens <strong>und</strong> Nie<strong>der</strong>schlesiens<br />

angesichts regionaler Strategien<br />

Wenn es sich um Nie<strong>der</strong>schlesien <strong>und</strong> Sachsen handelt, so war das erste die Raumentwicklung<br />

unter den neuen gesellschaftlich-politischen Bedingungen betreffende<br />

Dokument, ein Sächsisches Dokument, im Jahr 1994 für dieses B<strong>und</strong>esland vorbereitet,<br />

mit <strong>der</strong> Bezeichnung Landesentwicklungsplan, im weiteren Text mit <strong>der</strong> Abkürzung LEP<br />

benannt. Laut <strong>der</strong> sächsischen Gesetzgebung ist LEP ein Raumordnungsplan für den<br />

gesamten Freistaat Sachsen. Das ist offensichtlich, denn damals existierte die Woiwodschaft<br />

Nie<strong>der</strong>schlesien noch nicht. Sie ist, wie bekannt, ein Resultat <strong>der</strong> Verwaltungsreform<br />

in Polen aus dem Jahr 1999. Das muss deshalb erwähnt werden, weil damals<br />

die Woiwodschaft Jelenia Góra die an Sachsen angrenzende Region war. Die damalige<br />

Woiwodschaft Jelenia Góra hat nach <strong>der</strong> Vereinigung Deutschlands in <strong>der</strong> ersten Hälfte<br />

<strong>der</strong> 90er Jahre eine eigene Entwicklungsstrategie erarbeitet. Ein großer Teil dieser Strategie<br />

betraf die Zusammenarbeit mit Deutschland, <strong>und</strong> konkret mit Sachsen als angrenzende<br />

Region. Die Woiwodschaft Jelenia Góra als eine <strong>der</strong> 49 kleinen Woiwodschaften<br />

in Polen war als Partner für die starke <strong>und</strong> erheblich größere Region Sachsen zu klein.<br />

Deshalb betraf ein Teil <strong>der</strong> sächsischen Kontakte Sachsens auch Subjekte aus an<strong>der</strong>en<br />

Teilen <strong>der</strong> jetzigen Woiwodschaft Nie<strong>der</strong>schlesien, z. B. die damaligen Woiwodschaften<br />

Wrocław, Legnica o<strong>der</strong> Wałbrzych. Diese Woiwodschaften grenzten nicht unmittelbar<br />

an Sachsen. In <strong>der</strong> damaligen Zeit gab es kein Dokument über die Zusammenarbeit <strong>und</strong><br />

Entwicklung <strong>der</strong> beiden Regionen, abgesehen von dem 1993 <strong>und</strong> 1994 entstandenen<br />

Konzept für die abschnittsweise Zusammenarbeit von Teilen Sachsens <strong>und</strong> <strong>der</strong> Woiwodschaft<br />

Jelenia Góra, die sich auf die im Jahr 1991 entstandene Euroregion Neiße bezieht<br />

<strong>und</strong> oftmals als sog. Dornierkonzept bezeichnet wird.<br />

Nach <strong>der</strong> Bildung <strong>der</strong> Woiwodschaft Nie<strong>der</strong>schlesien im Jahr 1998 begann man sofort<br />

mit den Arbeiten am Entwicklungskonzept in <strong>der</strong> Raumordnung für die Woiwodschaft<br />

selbst <strong>und</strong> für die nie<strong>der</strong>schlesisch-sächsische Zusammenarbeit. Bereits im Oktober 1999<br />

entstand die Arbeitsversion des Dokuments mit dem Namen „Sächsisch-nie<strong>der</strong>schlesische


Entwicklung <strong>und</strong> wirtschaftliche Zusammenarbeit Nie<strong>der</strong>schlesiens <strong>und</strong> Sachsens 71<br />

Entwicklungsstrategie für INTERREG III A/PHARE CBC für die Jahre 2000–2006“. Das war<br />

das erste gemeinsame Dokument, welches die Raumentwicklung <strong>und</strong> die Zusammenarbeit<br />

Sachsens <strong>und</strong> Nie<strong>der</strong>schlesiens betraf. Parallel dazu wurden die Arbeiten an <strong>der</strong><br />

Entwicklungsstrategie <strong>der</strong> Woiwodschaft Nie<strong>der</strong>schlesien vorangetrieben (<strong>der</strong> wirkliche<br />

Name lautet – Entwicklungsstrategie Nie<strong>der</strong>schlesiens). Diese Arbeiten zogen sich etwas in<br />

die Länge <strong>und</strong> wurden schließlich vom Selbstverwaltungs-Sejmik <strong>der</strong> Woiwodschaft Nie<strong>der</strong>schlesien<br />

am 15. Dezember 2000 bewilligt. Nach dem Beitritt Polens zur EU bereitete<br />

man ein neues Dokument für die Entwicklung <strong>der</strong> Region vor. Im Jahr 2005 wurde ein<br />

Dokument beschlossen mit <strong>der</strong> Bezeichnung „Entwicklungsstrategie für die Woiwodschaft<br />

Nie<strong>der</strong>schlesien bis zum Jahr 2020“, welches zur Zeit in Kraft ist.<br />

Ein ähnliches Dokument auf sächsischer Seite ist das mit <strong>der</strong> Bezeichnung „Raumordnung<br />

<strong>und</strong> Landesentwicklung in Sachsen“, erarbeitet im Jahr 2003, im weiteren mit<br />

<strong>der</strong> Abkürzung ROLES bezeichnet. In dieser Zeit erschienen auch an<strong>der</strong>e Publikationen,<br />

sowohl auf sächsischer als auch auf nie<strong>der</strong>schlesischer Seite, gemeinsam <strong>und</strong> getrennt<br />

erarbeitet <strong>und</strong> mit verschiedener Bedeutung für die Raumentwicklung.<br />

Für die Entwicklung <strong>der</strong> nie<strong>der</strong>schlesisch-sächsischen Zusammenarbeit auf polnischer<br />

Seite spielen auch an<strong>der</strong>e Dokumente eine wichtige Rolle, wie beispielsweise:<br />

– ein integriertes Woiwodschaftsprogramm für die nie<strong>der</strong>schlesische Woiwodschaft für<br />

die Jahre 2004–2006,<br />

– Strategie für die Tourismusentwicklung in <strong>der</strong> Woiwodschaft Nie<strong>der</strong>schlesien,<br />

– Regionale Innovationsstrategie (RIS).<br />

Wenn es um polnische Dokumente geht, d. h. um die Strategie … <strong>und</strong> das integrierte<br />

Programm …, dann sind die Elemente grenzüberschreiten<strong>der</strong> (interregionaler) Zusammenarbeit<br />

mit Sachsen sehr deutlich sichtbar. Es tritt die Bezeichnung des „Wirtschaftsraumes“<br />

Nie<strong>der</strong>schlesiens <strong>und</strong> Sachsens auf. Die Problematik <strong>der</strong> grenzüberschreitenden<br />

Zusammenarbeit, darin <strong>der</strong> mit Nie<strong>der</strong>schlesien, ist in den entsprechenden sächsischen<br />

Dokumenten, u. a. in dem bereits erwähnten Landesentwicklungsplan (LEP), nur am<br />

Rande erwähnt.<br />

Diese Frage wurde mehrfach aufgeworfen, u. a. in <strong>der</strong> im Jahr 2000 einberufenen Arbeitsgruppe<br />

für nie<strong>der</strong>schlesisch-sächsische Zusammenarbeit. Deren erstes Treffen fand<br />

vom 17.–18. Mai 2000 in Dresden statt. Folgende Treffen haben in dieser Sache keine<br />

gr<strong>und</strong>legenden Neuerungen gebracht. Diese Arbeitsgruppe meldet viele Initiativen an<br />

<strong>und</strong> bemüht sich um die Erörterung vieler neuer Fragen, u. a. <strong>der</strong> Problematik <strong>der</strong> grenzüberschreitenden<br />

Zusammenarbeit im Wirtschaftsraum Nie<strong>der</strong>schlesien-Sachsen. Bei<br />

den Treffen wurden Angebote <strong>und</strong> zaghafte Vorschläge bei <strong>der</strong> Bewertung vieler wichtiger<br />

Dokumente gemacht. Es wurden Vorbereitungen getroffen für ein gemeinsames<br />

Dokument für das gesamte Gebiet, d. h. für Nie<strong>der</strong>schlesien <strong>und</strong> Sachsen, in Form einer<br />

gemeinsamen Entwicklungsstrategie unter den neuen Bedingungen <strong>der</strong> Mitgliedschaft<br />

<strong>der</strong> Republik Polen in <strong>der</strong> EU. Erste Erfahrungen in dieser Frage hat man im Laufe <strong>der</strong><br />

Vorbereitung eines für beide Regionen gemeinsamen Dokumentes für die Erfor<strong>der</strong>nisse<br />

von Phare <strong>und</strong> Interreg gesammelt. Jetzt kehrt dieses Thema wie<strong>der</strong> <strong>und</strong> die Seiten sind<br />

sich einig, dass dies für die regionale Entwicklung, auch bei Verfahren <strong>der</strong> Bewerbung<br />

um EU-Mittel, erfor<strong>der</strong>lich ist.


72 Franciszek Adamczuk / Danuta Strahl<br />

Nie<strong>der</strong>schlesien ist eine Region, die eine wesentliche Bedeutung auf <strong>der</strong> sozialwirtschaftlichen<br />

Karte <strong>der</strong> Republik Polen besitzt. Nie<strong>der</strong>schlesien wird zu den wirtschaftlich<br />

attraktiven Regionen <strong>der</strong> Republik Polen gezählt. In <strong>der</strong> erwähnten Strategie für die<br />

Entwicklung <strong>der</strong> Region bis 2020 benutzt man den Marketing-Begriff „Nie<strong>der</strong>schlesien<br />

– eine Region, die Polen mit Europa zusammenkoppelt“. In deutschen Publikationen<br />

nimmt Sachsen als eine sich dynamisch entwickelnde Region in den sog. neuen B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong>n<br />

einen hohen Rang ein.<br />

Sachsen als B<strong>und</strong>esland <strong>der</strong> BRD (Freistaat Sachsen) hat seinen ersten Landesentwicklungsplan<br />

– den bereits genannten LEP, im Jahr 1994 nach den im Raumordnungsgesetz<br />

– Abkürzung ROG – beinhalteten Gr<strong>und</strong>sätzen aus dem Jahre 1965 erarbeitet, novelliert<br />

im Jahre 1997. Im Jahre 2001 hat die Regierung Sachsens dieses Dokument an die<br />

regionalen Bedürfnisse angepasst <strong>und</strong> seit dem 14. November 2002 hat Sachsen neue<br />

rechtliche Gr<strong>und</strong>lagen für die Erstellung solcher Dokumente. Seit 2003 besitzt dieses<br />

B<strong>und</strong>esland ein neues zurzeit geltendes Dokument, mit <strong>der</strong> Bezeichnung „Raumordnung<br />

<strong>und</strong> Entwicklung des Freistaates Sachsen“, welches auf dem erwähnten ROLES<br />

basiert. Sachsen besitzt keine Landesentwicklungsstrategie im Sinne <strong>der</strong> polnischen Gesetzgebung.<br />

Das vorgenannte Dokument ROLES 8 erfüllt die Funktion eines regionalen,<br />

räumlichen Entwicklungskonzeptes – im gewissen Sinne einer Strategie für regionale<br />

Entwicklung. Es setzt sich aus folgenden Teilen zusammen:<br />

1. Aufgaben <strong>der</strong> Raumordnung <strong>und</strong> Entwicklung in Sachsen<br />

2. Rechtliche Gr<strong>und</strong>lagen<br />

3. System <strong>und</strong> Organisation <strong>der</strong> Raumordnung<br />

4. Landesentwicklungsplan<br />

5. Regionale Entwicklung<br />

6. Instrumente <strong>und</strong> Mittel, die eine Realisierung <strong>der</strong> regionalen Pläne garantieren.<br />

7. Zusammenarbeit im Bereich <strong>der</strong> Raumordnung in Europa<br />

Die Entwicklungsstrategie <strong>der</strong> Woiwodschaft Nie<strong>der</strong>schlesien bis zum Jahr 2020 setzt<br />

sich aus folgenden Teilen zusammen:<br />

1. Einleitung<br />

2. Synthese <strong>der</strong> Diagnose<br />

3. Beurteilung <strong>der</strong> Effekte bei <strong>der</strong> Realisierung <strong>der</strong> bisherigen Strategie<br />

4. Analyse SWOT – strategische Bilanz <strong>der</strong> Region<br />

5. Vision, Ziele, Prioritäten, Handlungen<br />

6. System <strong>der</strong> Einführung, des Monitorings <strong>und</strong> <strong>der</strong> Evaluation <strong>der</strong> Strategie<br />

7. Finanzielle <strong>und</strong> rechtliche Instrumente bei <strong>der</strong> Realisierung <strong>der</strong> Strategie<br />

Wie man aus dieser Aufstellung ersehen kann, unterscheiden sich die Struktur, <strong>und</strong><br />

vor allem <strong>der</strong> Inhalt dieser Dokumente gr<strong>und</strong>sätzlich voneinan<strong>der</strong>. Man hat eine abweichende<br />

Methodik <strong>und</strong> Konstruktion des Dokuments vorgenommen. Wenn man den<br />

Inhalt dieser Dokumente genau analysiert, ist die Berücksichtigung <strong>der</strong> interregionalen<br />

8 Es ist interessant, dass dieses Dokument vom Innenministerium Sachsens erarbeitet wurde (Regierungsstruktur), die Entwicklungsstrategie<br />

<strong>der</strong> Woiwodschaft Nie<strong>der</strong>schlesien hingegen hat das Marschallamt <strong>der</strong> Woiwodschaft Nie<strong>der</strong>schlesien (Selbstverwaltungsstruktur)<br />

vorbereitet <strong>und</strong> nicht das Woiwodschaftsamt <strong>der</strong> Woiwodschaft Nie<strong>der</strong>schlesien (Regierungsstruktur).


Entwicklung <strong>und</strong> wirtschaftliche Zusammenarbeit Nie<strong>der</strong>schlesiens <strong>und</strong> Sachsens 73<br />

(grenzüberschreitenden) Zusammenarbeit als Faktor für die Entwicklung <strong>der</strong> Regionen<br />

unbefriedigend.<br />

Die Problematik <strong>der</strong> internationalen (interregionalen) Zusammenarbeit im erwähnten<br />

Dokument ROLES, welche Nie<strong>der</strong>schlesien betrifft, ist aus Punkt 7 ersichtlich. Dort<br />

sind die Ebenen dieser Zusammenarbeit <strong>und</strong> die allgemeinen Vorteile aufgezeigt. Es gibt<br />

jedoch keine konkreten Vorschläge für die Stärkung <strong>der</strong> wirtschaftlichen Bindungen,<br />

darin enthalten auch keine Mittel für die Realisierung des bezeichneten wirtschaftlichen<br />

Raumes in diesem Teil Europas. Diese Fragen werden insgesamt bei <strong>der</strong> Besprechung<br />

zweier Wirtschaftsentwicklungskonzepte in Europa behandelt, <strong>der</strong> sog. „Blaue <strong>und</strong><br />

Orange Banane“, welche sich von Hamburg über Berlin, Prag, Wien, Bratislava, Budapest,<br />

Zagreb, Triest bis nach Venedig erstrecken. Auf polnischer Seite wird das Gebiet<br />

am Rande dieses Wirtschaftsraumes durch die Städte, wie: Szczecin, Poznań, Łódź,<br />

Częstochowa <strong>und</strong> Kraków bestimmt. Innerhalb dieses Gebietes befi nden sich sowohl<br />

Wrocław als auch Katowice. In diesem Sinne kann man von einem gemeinsamen Raum<br />

sprechen <strong>und</strong> sogar von einem Wirtschaftsgebiet, dem sowohl Sachsen als auch Nie<strong>der</strong>-<br />

<strong>und</strong> Oberschlesien zugehörig sind. Dieses Konzept ist in Polen <strong>und</strong> in Nie<strong>der</strong>schlesien<br />

bei den Organen <strong>der</strong> nie<strong>der</strong>schlesischen Region wenig bekannt. Bei den Vertretern <strong>der</strong><br />

lokalen Selbstverwaltungen ist es praktisch nicht bekannt. Auf sächsischer Seite ist es<br />

ähnlich, aber etwas besser.<br />

Die Probleme <strong>der</strong> interregionalen Zusammenarbeit sind in <strong>der</strong> Entwicklungsstrategie<br />

<strong>der</strong> Woiwodschaft Nie<strong>der</strong>schlesien bis 2020 wesentlich mehr berücksichtigt worden.<br />

Sachsen tritt als Partner dieser Zusammenarbeit namentlich in einzelnen Teilen 9 dieser<br />

Strategie auf. Das belasse ich so ohne Kommentar.<br />

Es hat den Anschein, dass die Zusammenarbeit Nie<strong>der</strong>schlesiens <strong>und</strong> Sachsens aus<br />

einer breiteren Perspektive betrachtet werden sollte, als eine Zusammenarbeit europäischer<br />

Regionen. Die polnisch-deutsche Zusammenarbeit ist vor dem Hintergr<strong>und</strong> des<br />

Europäischen Konzepts für regionale Entwicklung, des sog. EUREK (Europäischen<br />

Raumordnungskonzepts) aufgezeigt worden.<br />

Die Zusammenarbeit Nie<strong>der</strong>schlesiens <strong>und</strong> Sachsens ist im europäischen Maßstab<br />

sichtbar. Es werden gemeinsame Vorhaben, die Zusammenarbeit <strong>der</strong> Städte <strong>und</strong> Gemeinden<br />

<strong>und</strong> auch die Zusammenarbeit überregionaler Organisationen <strong>und</strong> Selbstverwaltungsstrukturen<br />

exponiert. Die Zusammenarbeit <strong>der</strong> Grenzstädte Zgorzelec <strong>und</strong> Görlitz<br />

erwächst zu einem Symbol, obwohl beide Städte keinen Erfolg bei <strong>der</strong> Bewerbung<br />

um den Titel <strong>der</strong> Kulturhauptstadt Europas 2010 hatten.<br />

Es gibt zahlreiche Beispiele für die Zusammenarbeit Nie<strong>der</strong>schlesiens <strong>und</strong> Sachsens<br />

im Bereich <strong>der</strong> Raumordnungspolitik. Im Laufe <strong>der</strong> durchgeführten Tätigkeiten, insbeson<strong>der</strong>e<br />

nach dem Beitritt <strong>der</strong> Republik Polen in die EU, wurden neue Vorschläge für<br />

die Zusammenarbeit <strong>und</strong> Lösung vieler Probleme gemacht, u. a. wird eine Diskussion<br />

zum Thema einer neuen Raumordnung (Wirtschaftsordnung) in <strong>der</strong> Region <strong>und</strong> im<br />

Wirtschaftsraum über neue günstigere <strong>Chancen</strong> bei <strong>der</strong> Steigerung <strong>der</strong> Wettbewerbsfähigkeit<br />

in diesem Teil Europas auf regionaler <strong>und</strong> internationaler Ebene geführt. Das<br />

zeugt von den bisher guten Ergebnissen <strong>und</strong> schafft ein günstiges Klima für die Zukunft.<br />

9 Siehe S. 31, 36, 38, 46, 60, 87


74 Franciszek Adamczuk / Danuta Strahl<br />

Viel Aufmerksamkeit wird dem Technologietransfer, <strong>der</strong> Schaffung eines gemeinsamen<br />

Bildungsbereichs gewidmet – (z. B. die Bildung des <strong>IHI</strong>, die Entstehung <strong>der</strong> Neiße Universität,<br />

das Funktionieren <strong>der</strong> PONTES Agentur). Es wird auch <strong>der</strong> wirtschaftlichen<br />

Kooperation, <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> Infrastruktur, <strong>der</strong> Stärkung <strong>der</strong> traditionellen Funktionen<br />

<strong>der</strong> Region, <strong>der</strong> Verringerung <strong>der</strong> Probleme auf dem Arbeitsmarkt, <strong>der</strong> Bekämpfung<br />

von Pathologien (GÜSA Projekt) <strong>und</strong> vielem an<strong>der</strong>en Beachtung geschenkt.<br />

4. Die Tätigkeit <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>schlesisch-Sächsischen Arbeitsgruppe<br />

in den Jahren 2000–2006<br />

Die Einberufung <strong>der</strong> sächsisch-nie<strong>der</strong>schlesischen Arbeitsgruppe war das Ergebnis <strong>der</strong><br />

Vereinbarung zwischen den Organen bei<strong>der</strong> Regionen. Man legte den Gr<strong>und</strong>satz fest,<br />

dass sich die Arbeitsgruppe einmal im Jahr in den Monaten Mai bis Juni, im Wechsel,<br />

einmal auf sächsischer <strong>und</strong> einmal auf nie<strong>der</strong>schlesischer Seite treffen wird. Bis jetzt<br />

fanden sieben Treffen dieser Art statt.<br />

Nr. d.<br />

Sitzung<br />

Datum <strong>und</strong> Ort des<br />

Treffens<br />

1 17.–18. Mai 2000<br />

Dresden<br />

2 24.–25. April 2001<br />

Wrocław<br />

3 5.–6. Juli 2002<br />

Dresden<br />

4 17.–18. Juni 2003<br />

Krzyżowa<br />

5 13.–14. September<br />

2004 Schmochtitz<br />

6 28.–29.Juni 2005<br />

Wrocław<br />

7 30.–31. Mai 2006<br />

Dresden<br />

Auf <strong>der</strong> Sitzung besprochene Hauptprobleme<br />

Konstituierung <strong>der</strong> Arbeitsgruppe, Besprechung des Aktionsprogramms<br />

gem. thematischer Untergruppen<br />

Entwicklung <strong>der</strong> Infrastruktur, Zusammenarbeit in <strong>der</strong> Werbung für die<br />

Region, Intensivierung gesellschaftlicher Bindungen<br />

Annahme des Arbeitsplanes für die Jahre 2002–03, Intensivierung <strong>der</strong><br />

wirtschaftlichen Zusammenarbeit, interregionale Kommunikation,<br />

Entwicklung <strong>der</strong> Landwirtschaft in <strong>der</strong> Region<br />

Fortsetzung <strong>der</strong> Arbeiten an <strong>der</strong> Intensivierung <strong>der</strong> wirtschaftlichen<br />

Zusammenarbeit, Entwicklung <strong>der</strong> Kommunikation <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Infrastruktur, Probleme <strong>der</strong> Raumentwicklung in den Regionen<br />

Entwicklung <strong>der</strong> Region im Kontext <strong>der</strong> EU-Erweiterung, Entwicklung<br />

<strong>der</strong> Kommunikation <strong>und</strong> <strong>der</strong> Infrastruktur, Ökologie<br />

Wirtschaftliche Entwicklung <strong>der</strong> Region (Cluster), Eröffnung eines gemeinsamen<br />

technischen Sekretariats in Dresden für INTERREG III A11 ,<br />

grenzüberschreitendes Marketing<br />

Intensivierung <strong>der</strong> wirtschaftlichen Zusammenarbeit, trilaterale<br />

Zusammenarbeit Sachsen – Nie<strong>der</strong>schlesien – Nordtschechien,<br />

Vorbereitung des Arbeitsplanes für die Jahre 2006/07<br />

Tabelle 4: Gr<strong>und</strong>legende Informationen zum Thema <strong>der</strong> Tätigkeit <strong>der</strong> Arbeitsgruppe in den Jahren<br />

2000–2006 (Quelle: eigene Ausarbeitung auf <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>lage von amtlichen Arbeitsberichten)<br />

Man muss daran erinnern, dass die Tätigkeiten <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>schlesisch-Sächsischen Arbeitsgruppe<br />

in sieben Unterarbeitsgruppen ausgeübt werden. Es gibt folgende Untergruppen.<br />

10<br />

10 Die Arbeitsuntergruppen unterliegen einer Än<strong>der</strong>ung, u. a. wird eine nie<strong>der</strong>schlesisch-sächsisch-tschechische Arbeitsgruppe<br />

gebildet.<br />

11 Das Sekretariat wird nach <strong>der</strong> Erfüllung seiner Funktion aufgelöst.


Entwicklung <strong>und</strong> wirtschaftliche Zusammenarbeit Nie<strong>der</strong>schlesiens <strong>und</strong> Sachsens 75<br />

1. Wirtschaft <strong>und</strong> Arbeit,<br />

2. Umwelt <strong>und</strong> Landwirtschaft,<br />

3. räumliche Erschließung, Verkehr, Grenzübergänge,<br />

4. innere Angelegenheiten (Krisenmanagement, Polizei, Feuerwehr),<br />

5. Kultur <strong>und</strong> Bildung,<br />

6. soziale Angelegenheiten (Ges<strong>und</strong>heitspolitik, gesellschaftliche Angelegenheiten),<br />

7. Koordinationsuntergruppe.<br />

Der Aufbau <strong>der</strong> o. g. Arbeitsgruppen wurde auf den Gr<strong>und</strong>sätzen des Konsenses gebildet<br />

<strong>und</strong> den Zielen untergeordnet, welche an die Arbeitsgruppe gestellt wurden. Nach<br />

sieben Jahren Tätigkeit scheint es zweckmäßig zu sein, diese Struktur zu modifi zieren<br />

<strong>und</strong> Untergruppen mit Aufgaben <strong>und</strong> nicht Themenuntergruppen zu bilden. Das ist<br />

eine klare Regelung im Sinne <strong>der</strong> Arbeitsgruppe.<br />

Es ist nicht Gegenstand dieses Vortrags, eine Bilanz <strong>der</strong> Erfahrungen aus den Jahren<br />

2000–2006 zu erstellen. 12 Deshalb werden nur die Probleme aufgezeigt, welche auf <strong>der</strong><br />

Sitzung in Dresden Ende Mai 2006 besprochen wurden. Der vollständige Bericht kann<br />

in kompetenten Quellen, u. a. im Internet, eingesehen werden.<br />

Das letzte – wie bereits erwähnt –, 7. Treffen fand Ende Mai in <strong>der</strong> Sächsischen<br />

Staatskanzlei in Dresden statt.<br />

5. Prioritäten <strong>der</strong> Zusammenarbeit für den nächsten Zeitraum:<br />

– Organisation eines Polnisch-Sächsischen Wirtschaftsforums im Jahre 2007,<br />

– Zusammenarbeit im Bereich <strong>der</strong> Gewinnung erneuerbarer Energie <strong>und</strong> <strong>der</strong> Austausch<br />

von Erfahrungen zum Thema <strong>der</strong> Innovationskraft <strong>der</strong> Wirtschaft,<br />

– Konsultationen zum Thema <strong>der</strong> Hauptprobleme <strong>der</strong> Arbeitspolitik <strong>und</strong> die Nutzung<br />

des Europäischen Sozialfonds im Zeitraum von 2007–2013,<br />

– Organisation eines bilateralen Treffens zum Thema <strong>der</strong> zukünftigen Zusammenarbeit<br />

im Bereich des Tourismus,<br />

– Aufbau eines „grenzüberschreitenden Netzes für ökologische Bildung“ als trilaterales<br />

Projekt <strong>der</strong> EU unter <strong>der</strong> Leitung <strong>der</strong> Sächsischen Landesstiftung Natur <strong>und</strong> Umwelt<br />

(LaNU),<br />

– Unterzeichnung eines Vertrages auf Kofi nanzierung sowie eines Partnerschaftsvertrages<br />

für ED-C III; Beginn <strong>der</strong> Arbeiten am Projekt ED-C III (Europäischer Entwicklungskorridor<br />

III) – „Via Regia“,<br />

– Einigung auf ein Konzept über zusätzliche Grenzübergänge zwischen Sachsen <strong>und</strong><br />

Polen sowie die Organisation <strong>der</strong> 2. Konferenz zum Thema des grenzüberschreitenden<br />

Bahnverkehrs im Herbst 2006 in Wrocław,<br />

– Erfahrungsaustausch bei <strong>der</strong> grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Bereich des<br />

Straßenverkehrs, was zum Ziel hat, die Anzahl von Todesopfern bei Verkehrsunfällen<br />

zu verringern,<br />

12 Am 29. 6. 2005 fand in dieser Frage in Wrocław eine Konferenz statt mit <strong>der</strong> Bezeichnung „Nie<strong>der</strong>schlesien <strong>und</strong> Sachsen<br />

– Partner in <strong>der</strong> Europäischen Union“, veranstaltet vom Marschallamt <strong>der</strong> Woiwodschaft Nie<strong>der</strong>schlesien.


76 Franciszek Adamczuk / Danuta Strahl<br />

– Unterzeichnung einer Deklaration über Zusammenarbeit im Bereich <strong>der</strong> Schulbildung<br />

von <strong>der</strong> Ministerialabteilung für soziale Angelegenheiten des Marschallamtes <strong>der</strong><br />

Woiwodschaft Nie<strong>der</strong>schlesien <strong>und</strong> dem Sächsischen Staatsministerium für Bildung im<br />

Juli 2006 in Dresden,<br />

– Partnerschaft zwecks Einführung des EU-Programms „LEONARDO da Vinci“ im<br />

Bereich des Hochschulwesens auf <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>lage des zwischen den beteiligten Institutionen<br />

geschlossenen Kooperationsvertrages,<br />

– Vorbereitung einer gemeinsamen Konferenz zum Thema <strong>der</strong> „Verbesserung <strong>der</strong> Lebensqualität<br />

für Senioren“,<br />

– Konstituierung eines trilateralen Gremiums für Zusammenarbeit <strong>und</strong> die Aufnahme<br />

<strong>der</strong> Tätigkeit dieses Gremiums gemäß den Gr<strong>und</strong>sätzen <strong>der</strong> Regionalkonferenz in <strong>Zittau</strong><br />

am 16. 2. 2006. 13<br />

6. Schlussbemerkungen<br />

Aus <strong>der</strong> vorgestellten Analyse ergeben sich folgende Vorschläge, welche die Entwicklung<br />

<strong>und</strong> die Zusammenarbeit Sachsens <strong>und</strong> Nie<strong>der</strong>schlesiens betreffen:<br />

1. In Deutschland sind die interregionalen Differenzierungen stärker zu bemerken als<br />

in Polen; die Disproportionen in <strong>der</strong> Entwicklung zwischen den Regionen bei<strong>der</strong><br />

Staaten, darin enthalten die Regionen Dresden <strong>und</strong> Nie<strong>der</strong>schlesien, sind jedoch sehr<br />

wesentlich.<br />

2. Polen <strong>und</strong> Deutschland bilden in <strong>der</strong> EU abweichende Wachstumspole, ähnliche<br />

Relationen treten bei <strong>der</strong> NUTS 2-Ebene auf, d. h. im Verhältnis zu Sachsen <strong>und</strong><br />

Nie<strong>der</strong>schlesien.<br />

3. Als Ergebnis <strong>der</strong> interregionalen ... fi ndet die Nivellierung bestehen<strong>der</strong> Entwicklungsdisproportionen<br />

statt.<br />

4. Durch die Steigerung ihrer Bedeutung im Wirtschaftsraum <strong>der</strong> EU wird <strong>der</strong> Grad <strong>der</strong><br />

Peripherie <strong>der</strong> Regionen verringert. Es kommt keine Zusammenarbeit auf <strong>der</strong> NUTS<br />

1-Ebene vor.<br />

5. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit nimmt immer noch den zweiten Platz ein nach<br />

<strong>der</strong> Zusammenarbeit im gesellschaftlichen Bereich: Kultur, Bildung <strong>und</strong> Erziehung,<br />

Sport u. ä.<br />

6. Die Sächsisch-Nie<strong>der</strong>schlesische Arbeitsgruppe mit ihren gebildeten Themen-Untergruppen<br />

sollte eine Bilanz <strong>der</strong> Leistungen in allen Arbeitsabschnitten erstellen, indem<br />

sie eine Matrix von Prioritäten für einzelne Städte, Gemeinden <strong>und</strong> Unterregionen<br />

nach den Gebieten <strong>der</strong> Zusammenarbeit erstellt.<br />

7. Die in <strong>der</strong> polnisch-deutschen Zusammenarbeit, darin Nie<strong>der</strong>schlesien <strong>und</strong> Sachsen,<br />

auftretenden Hin<strong>der</strong>nisse, solche wie die von Bürgern angemeldeten Vermögensansprüche<br />

(<strong>der</strong> an das Tribunal <strong>der</strong> EU gerichtete Antrag <strong>der</strong> Preußischen Treuhand auf<br />

Entschädigung von <strong>der</strong> Regierung <strong>der</strong> Republik Polen für nach dem Zweiten Welt-<br />

13 Die Idee beruht darauf, ein nie<strong>der</strong>schlesisch-sächsisch-tschechisches Gremium für die Realisierung <strong>der</strong> interregionalen<br />

Zusammenarbeit zu bilden, indem man in die Zusammenarbeit Sachsens <strong>und</strong> Nie<strong>der</strong>schlesiens die angrenzende Region in <strong>der</strong><br />

Tschechischen Republik mit einbezieht. Ein solches Treffen soll im Herbst 2006 stattfi nden.


Entwicklung <strong>und</strong> wirtschaftliche Zusammenarbeit Nie<strong>der</strong>schlesiens <strong>und</strong> Sachsens 77<br />

krieg umgesiedelte deutsche Bürger) sollten einer Entspannung unterliegen, o<strong>der</strong><br />

die Errichtung des Schlesischen Museums in Görlitz – <strong>der</strong> Grenzstadt, mit einer<br />

Präsentation, welche Kontroversen erwecken könnte, o<strong>der</strong> die Ausstellung in Berlin,<br />

organisiert von E. Steinbach vom B<strong>und</strong> <strong>der</strong> Vertriebenen mit dem Titel<br />

8. „Erzwungene Wege“, welche eine Reinterpretation <strong>der</strong> Geschichte vornimmt. Diese<br />

Fragen sollten auch auf regionaler Ebene diskutiert werden, u. a. in <strong>der</strong> vorgestellten<br />

Arbeitsgruppe Nie<strong>der</strong>schlesien-Sachsen, weil sie eben diese Region betreffen, <strong>und</strong><br />

nicht nur auf zwischenstaatlicher <strong>und</strong> Regierungsebene erörtert werden. Eine solche<br />

Notwendigkeit formulieren die Vertreter <strong>der</strong> Selbstverwaltung <strong>der</strong> Region auf polnischer<br />

Seite.<br />

9. Begründet ist die Erweiterung <strong>der</strong> Gruppe für interregionale Zusammenarbeit Nie<strong>der</strong>schlesiens<br />

<strong>und</strong> Sachsens um einen Partner <strong>der</strong> NUTS 2-Grenzregion aus <strong>der</strong> Tschechischen<br />

Republik.<br />

Zusammenfassend kann man sagen, dass die interregionale Zusammenarbeit Nie<strong>der</strong>schlesiens<br />

<strong>und</strong> Sachsens im gewissen Sinne eine Modelllösung im europäischen Maßstab<br />

ist, sie dient <strong>der</strong> europäischen Integration, stimuliert die Entwicklung <strong>der</strong> Region,<br />

erhöht ihre Wettbewerbsfähigkeit, beseitigt bestehende Disproportionen in <strong>der</strong> Entwicklung<br />

<strong>und</strong> wirkt sich günstig auf den Lebensstandard <strong>der</strong> hier wohnenden Bürger aus.<br />

Literaturverzeichnis<br />

F. Adamczuk, Obszary i formy współpracy gospodarczej na pograniczu polsko-niemieckim, w: Współczesne problemy polityki<br />

ekonomicznej, (red.) Z. Przybyła, J. Sokołowski, Prace Naukowe AE nr 1033, Wrocław 2004.<br />

F. Adamczuk, Transgraniczne problemy transferu technologii na przykładzie pogranicza polsko-niemieckiego, w: Gospodarka<br />

lokalna i regionalna w teorii i praktyce,(red.) R. Brol, Prace Naukowe AE nr 1023, Wyd. AE Wrocław 2004.<br />

S. Ciok / T. Kołodziejczak, Konkurencyjność polskiego pogranicza zachodniego, w: Polityka regionalna i jej rola w podnoszeniu<br />

konkurencyjności regionu, (red.) M. Klamut, L. Cybulski, Wyd. AE Wrocław 2000.<br />

Konkurencyjność regionów, (red.) M. Klamut, Wyd. AE Wrocław 1999,<br />

Metody oceny rozwoju regionalnego, (red.) D. Strahl, Wyd. AE Wrocław 2006.<br />

I. Pietrzyk, Polityka regionalna Unii Europejskiej i regiony w państwach członkowskich, Wyd. Naukowe PWN Warszawa<br />

2000.<br />

Raumordnung <strong>und</strong> Landesentwicklung in Sachsen, Freistaat Sachsen - Staatsministerium des Innern, Dresden 2006.<br />

D. Strahl, Zróżnicowanie rozwoju regionalnego na poziomie NUTS – 2 w krajach Unii Europejskiej, w: Gospodarka lokalna<br />

i regionalna w teorii i praktyce, (red.) R. Brol, Prace Naukowe nr 1083, AE Wrocław 2005.<br />

Strategia rozwoju województwa dolnośląskiego do 2020 roku, UMWD Wrocław 2005.<br />

B. Winiarski, Strategie podnoszenia konkurencyjności regionów, w: Polityka budowy regionu konkurencyjnego. Strategie<br />

– modele – postęp technologiczny, (red.) M. Klamut, Wyd. AE Wrocław 2000.


78 Niklas Perzi<br />

Die Waldviertel Akademie als Impulszentrum<br />

für die Zusammenarbeit zwischen Nie<strong>der</strong>österreich,<br />

Südböhmen <strong>und</strong> Südmähren 1<br />

NIKLAS PERZI<br />

Als 1989 <strong>der</strong> „Eiserne Vorhang“ auch zwischen dem Waldviertel <strong>und</strong> dem angrenzenden<br />

Südböhmen <strong>und</strong> Südmähren fi el, waren viele Bewohner von <strong>der</strong> Euphorie darüber, wie<strong>der</strong><br />

eine Himmelsrichtung zurück gewonnen zu haben, so überwältigt, dass vorerst gar<br />

nicht auffi el, dass Österreicher <strong>und</strong> Tschechen zwar über weite Strecken eine gemeinsame<br />

Geschichte haben, diese aber jedoch im historischen Gedächtnis bei<strong>der</strong> Län<strong>der</strong> völlig<br />

unterschiedlich interpretiert wurde <strong>und</strong> wird. Wurden historische Rückblicke gemacht,<br />

so betrafen sie fast ausschließlich die positiven Seiten <strong>der</strong> Vergangenheit o<strong>der</strong> zumindest<br />

die als positiv reklamierten. Trennendes in Geschichte <strong>und</strong> Geschichtsschreibung blieb<br />

von offi zieller Seite ausgespart. Es galt neue Grenzübergänge zu eröffnen, Partnerschaften<br />

zu schließen, Gemeinden <strong>und</strong> Schulen lieferten sich einen regelrechten Wettkampf<br />

darin, tschechische Partner zu fi nden.<br />

Die erste Euphorie nahm in dem Ausmaß ab, als man merkte, dass man eigentlich<br />

keine gemeinsame Sprache (<strong>und</strong> zwar in ihrer realen, aber auch symbolischen Bedeutung)<br />

mit den Nachbarn „drüben“ mehr sprach. Die jahrzehntelange Vernachlässigung<br />

<strong>der</strong> Information über den Nachbarn im Norden (<strong>der</strong> als Osten identifi ziert wurde) haben<br />

bald dazu geführt, dass Tschechien als eine Art zu groß geratener Supermarkt wahr<br />

genommen wurde, als Einkaufsparadies, in dem man alles – <strong>und</strong> jeden – kaufen konnte.<br />

Die Tatsache, dass Südböhmen <strong>und</strong> Mähren an die ökonomisch benachteiligten, eigentlich<br />

peripheren Regionen Nie<strong>der</strong>österreichs grenzen, <strong>der</strong>en Bewohner jedoch dem<br />

Nachbarn ökonomisch in einem für beiden Seiten eigentlich beschämenden Ausmaß<br />

überlegen waren, haben nach <strong>der</strong> Wende zum historischen Paradox geführt, dass das<br />

Waldviertel auch in den tschechischen Augen vorerst als ökonomisches <strong>und</strong> kulturelles<br />

Hoffungsgebiet gesehen wurde. Der Wohlstandschauvinismus ließ jedoch – außer dem<br />

<strong>der</strong> Geldbörse – keine an<strong>der</strong>e Argumente zu – <strong>und</strong> konnte dabei an eine Tradition anschließen,<br />

die schon in <strong>der</strong> Monarchie in Verkennung <strong>der</strong> Wirklichkeit die Tschechen<br />

als Dienstbotenvolk zeichneten – <strong>und</strong> die sich dann mit <strong>der</strong> kurzen Unterbrechung von<br />

1 Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine leicht verän<strong>der</strong>te <strong>und</strong> ergänzte Version des Beitrags des Autors in HELMUT<br />

RENÖCKL / TOMÁŠ MACHULA (Hrsg.), Zukunftsregion Südböhmen – Mitteleuropa. Dimensionen einer menschenwürdigen <strong>Regionalentwicklung</strong>,<br />

České Budějovice (Budweis)/Linz/Passau 2004.


Die Waldviertel Akademie als Impulszentrum 79<br />

Zwischenkriegszeit <strong>und</strong> Prager Frühling nach 1945 im Bild von <strong>der</strong> Tschechoslowakei<br />

als Umwelt verschmutzende, graue Maus fortsetzte. Die Qualität des Landes wurde an<br />

<strong>der</strong> Dichte <strong>der</strong> dort vorhandenen Mikrowellen gemessen <strong>und</strong> nicht an <strong>der</strong> Anzahl <strong>der</strong><br />

Dichter <strong>und</strong> Denker.<br />

Auch die Waldviertel Akademie wurde vorerst von Euphorie ergriffen <strong>und</strong> knüpfte<br />

unmittelbar nach <strong>der</strong> Wende in <strong>der</strong> Tschechoslowakei im Spätherbst 1989 Kontakte zum<br />

Nachbarn.<br />

Die Akademie ist keine Einrichtung des B<strong>und</strong>es o<strong>der</strong> des Landes Nie<strong>der</strong>österreich,<br />

son<strong>der</strong>n eines von mehreren Ergebnissen (o<strong>der</strong> Folgen) <strong>der</strong> Aufbruchstimmung, die im<br />

Waldviertel in den 80er Jahren nach Jahrzehnten von Resignation <strong>und</strong> Depression in<br />

einer gemeinsamen Initiative aus intellektuellen Stadtfl üchtlingen, in <strong>der</strong> Stadt akademisch<br />

ausgebildeten Rückkehrern <strong>und</strong> hier gebliebenen Querdenkern initiiert wurde.<br />

Als Gründungsväter fungierten 1984 <strong>der</strong> Münchner Philosoph <strong>und</strong> Literaturwissenschafter<br />

Wolfgang Müller-Funk gemeinsam mit einer Gruppe von Aktivisten r<strong>und</strong> um den<br />

Landesbeauftragten für das Waldviertel, Adi Kastner <strong>und</strong> Ernst Wurz, mit dem Ziel,<br />

einen Kontrapunkt gegen die Kultur <strong>der</strong> Passivität zu setzen. Im Gründungsmanifest<br />

hieß es dazu: „Die Waldviertel Akademie versteht sich als kleiner Beitrag dazu, aus dem<br />

Waldviertel eine ‚Provinz des Menschen‘ (Elias Canetti) zu machen, die die Menschen<br />

nicht mit billigen Hoffnungen abspeist.“ 2<br />

Im Laufe <strong>der</strong> Jahre entwickelte sich die Akademie einerseits zu einem Zentrum des<br />

philosophischen <strong>und</strong> kulturtheoretischen Diskurses, zum an<strong>der</strong>en aber zu einer Art<br />

„geistiger Tankstelle“, von <strong>der</strong> aus sich verschiedene regionale Initiativen auf den Gebieten<br />

<strong>der</strong> Regionalpolitik, Raumordnung, Architektur, Kultur, Kunst <strong>und</strong> Ökologie<br />

entwickelten. Obwohl die Waldviertel Akademie seit 1991 ein – auch ständig mit wechselndem<br />

Personalstand – besetztes Kulturbüro unterhält, ist sie doch nicht unbedingt zu<br />

verorten, vielmehr verstand <strong>und</strong> versteht sie sich als Wan<strong>der</strong>akademie, die ihre Themen<br />

dort anbietet, wo sie glaubt, auf Interesse zu stoßen.<br />

Die erste Veranstaltung, die sich auch auf die an<strong>der</strong>e Seite <strong>der</strong> Grenze hin orientierte,<br />

fand bereits am 10. Dezember 1990 in Langau unter dem Titel „Grenzenlose Nachbarschaft“<br />

statt. Dabei nahmen nicht nur die Bewohner <strong>der</strong> beiden Grenzorte Langau <strong>und</strong><br />

Šafov/Schaffau, son<strong>der</strong>n auch Studenten vom Bürgerforum in Brno/Brünn teil.<br />

1990 wurde mit <strong>der</strong> Veranstaltungsreihe „Grenze <strong>und</strong> Nachbarschaft“ begonnen. Der<br />

Namen des ersten Symposions machte den umfassenden Anspruch deutlich, die bisher<br />

für das Waldviertel wahr genommene Funktion nun auch auf die Nachbarregion hin<br />

auszudehnen. Es stand unter dem Titel „Ökonomie, Sprache, Geschichte, Wissenschaft<br />

<strong>und</strong> Kultur, Bildende Künste, Umwelt <strong>und</strong> Region“ <strong>und</strong> brachte in Arbeitskreisen zu<br />

all diesen Themen führende österreichische <strong>und</strong> tschechische Wissenschafter, Politiker<br />

<strong>und</strong> Praktiker zusammen. Das Symposium wurde bis ins Jahr 2002 jährlich einmal in<br />

Österreich, einmal in Tschechien ausgetragen. Schon bald kristallisierten sich dabei zwei<br />

Schwerpunkte heraus: Zum einen die Zusammenkünfte von Institutionen, Gemeinden,<br />

Initiativen <strong>und</strong> Aktivisten bei<strong>der</strong> Regionen, zum an<strong>der</strong>en ein lockeres Gesprächsforum<br />

2 WOLFGANG MÜLLER-FUNK, Waldviertel Akademie – Eine Region kommt zusammen. Gr<strong>und</strong>legung – Selbstverständnis – Perspektiven,<br />

maschinenschriftliches Manuskript, o. O. 1984.


80 Niklas Perzi<br />

für den intellektuellen Diskurs. 2002–2003 wurde in Vorbereitung des EU-Beitritts <strong>der</strong><br />

Tschechischen Republik eine Veranstaltungsserie zum Thema „Der unbekannte Nachbar<br />

Tschechien“ initiiert <strong>und</strong> organisiert.<br />

Dabei zeigte sich auch manchmal die Diskrepanz zwischen den in den Eröffnungsreden<br />

von <strong>der</strong> anwesenden politischen Repräsentanz beschworenen „Völker verbindenden<br />

Rolle <strong>der</strong> Kultur“ <strong>und</strong> dem, was die Wissenschafter in den anschließenden Referaten<br />

zu <strong>der</strong>en Funktion zur Konstruktion des Nationalen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Nationalstaaten zu sagen<br />

hatten. Sowieso hieße es, auf seinen selbst gestrickten Mythos hereinzufallen, wollte<br />

man dem Nationalismus Kompetenz für die Erhaltung <strong>der</strong> kulturellen Vielfalt in Europa<br />

zugestehen. Gerade <strong>der</strong> bürgerliche Nationalstaat mit seinem Ideal <strong>der</strong> Einsprachigkeit<br />

sorgte im Gegenteil für die größte Flurbereinigung auf dem buntscheckigen Fleckenkleid<br />

Europas. Unter <strong>der</strong> Vorspiegelung <strong>der</strong> Erhaltung <strong>und</strong> Bewahrung regionaler kultureller<br />

Identitäten erwies er sich dort, wo er diese nicht für sich vereinnahmen konnte, als <strong>der</strong>en<br />

größter Zerstörer. Ein Jahrhun<strong>der</strong>t bürgerlicher Bildung (<strong>und</strong> ihrer popularen Rezeption)<br />

haben genügt, um die Tradition selbstverständlicher Mehrsprachigkeit nicht nur faktisch,<br />

son<strong>der</strong>n auch im Bewusstsein <strong>der</strong> Menschen auszulöschen. (Hoch-) Kultur wurde<br />

zu etwas, was es zu erlangen galt, <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Besitz mitentscheidend für Zugehörigkeit<br />

zur herrschenden Elite o<strong>der</strong> dem herrschenden Volk war. Die Auseinan<strong>der</strong>setzungen im<br />

Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn (<strong>und</strong> nicht nur dort) wurden unter <strong>der</strong> Prämisse <strong>der</strong><br />

wechselseitigen Aberkennung dieses Besitzes von Kultur geführt.<br />

Aus den Symposien heraus entwickelten sich Buch- <strong>und</strong> Forschungsprojekte, die es<br />

wert sind, auch hier einzeln erwähnt zu werden. Als erstes sei <strong>der</strong> „Kulturführer Waldviertel<br />

– Weinviertel – Südmähren“ 3 , genannt, <strong>der</strong> aus einem essayistischen Teil besteht,<br />

in dem führende österreichische <strong>und</strong> tschechische Historiker versuchen, Sonden in das<br />

komplizierte Verhältnis <strong>der</strong> österreichischen <strong>und</strong> <strong>der</strong> böhmischen Län<strong>der</strong> zu werfen, <strong>und</strong><br />

einem faktographischen Teil, in dem die Kulturlandschaften <strong>und</strong> die darin gelegenen<br />

Orte beschrieben werden. Im Vorwort schreibt Wolfgang Müller-Funk: „Dieser Kulturführer<br />

ist ein Gemeinschaftsprodukt, entstanden aus <strong>der</strong> Zusammenarbeit von Autoren,<br />

Wissenschaftern <strong>und</strong> Photographen von beiden Seiten. Die Sichtweise ist da <strong>und</strong> dort<br />

verschiedenartig, <strong>und</strong> diese Divergenz soll mit Absicht nicht vermischt werden, denn<br />

dieses Buch will dazu einladen, die Gemeinsamkeiten <strong>und</strong> Unterschiede einer grenzüber<br />

schreitenden Region wahrzunehmen <strong>und</strong> zu verstehen; es möchte eine Landkarte<br />

entwerfen, die das Entfremdende zurücknimmt, ohne etwas zu beschwören.“ Des Weiteren<br />

muss das Forschungsprojekt „Kulturen an <strong>der</strong> Grenze“ genannt werden, das 1993<br />

bis 1995 von einem bilateralen Wissenschafterteam unter <strong>der</strong> Leitung von Univ.Doz.<br />

Dr. Oliver Rathkolb <strong>und</strong> Dr. Andrea Komlosy realisiert worden war. Resultate daraus<br />

waren eine Wan<strong>der</strong>ausstellung, die sowohl in 13 österreichischen <strong>und</strong> tschechischen<br />

Grenzstädten als auch in Wien, Brno/Brünn <strong>und</strong> Praha/Prag präsentiert wurde <strong>und</strong> ein<br />

zweisprachiger Ausstellungsband 4 mit 45 weiterführenden Beiträgen. In <strong>der</strong> 1999 erstellten<br />

Ausstellung „10 Jahre offene Grenze“ 5 , die ebenfalls durch das Grenzland <strong>und</strong> Wien,<br />

3<br />

ANTONIN BARTONĚK / BOHUSLAV BENEŠ / WOLFGANG MÜLLER-FUNK/FRIEDRICH POLLEROSS (Hrsg.), Kulturführer Waldviertel<br />

– Weinviertel – Südmähren, Wien 1993.<br />

4<br />

ANDREA KOMLOSY / VÁCLAV BŮŽEK / FRANTÍŠEK SVÁTEK (Hrsg.), Kulturen an <strong>der</strong> Grenze, Waidhofen a.d. Thaya / Wien 1995.<br />

5<br />

FRANZ PÖTSCHER / PETER MÄHNER / NIKLAS PERZI, 10 Jahre offene Grenze, Waidhofen a.d. Thaya 2000.


Die Waldviertel Akademie als Impulszentrum 81<br />

St. Pölten <strong>und</strong> Brno/Brünn wan<strong>der</strong>te, wurde hingegen versucht, einen aktuellen, leicht<br />

verständlichen Überblick über die Entwicklungen seit 1989 zu geben. Das vom Interreg-<br />

Programm <strong>der</strong> Europäischen Union co-fi nanzierte Projekt „Inculbord“ widmete sich<br />

1995–1998 <strong>der</strong> Erforschung, Pfl ege <strong>und</strong> Aktivierung des regionalen industriekulturellen<br />

Erbes im österreichisch-tschechischen Grenzraum. Über 120 industriekulturelle Denkmäler<br />

im Waldviertel, Mühlviertel <strong>und</strong> Südböhmen wurden beschil<strong>der</strong>t, ein Reiseführer 6<br />

sowie kulturtouristisches Informationsmaterial erstellt. Seit 2003 treffen sich alljährlich<br />

bei den „Waldviertler Medientagen“ Journalisten aus Österreich, Tschechien, <strong>der</strong> Slowakei<br />

<strong>und</strong> Ungarn. Im Herbst 2006 schloss die Akademie mit <strong>der</strong> Veranstaltung <strong>der</strong><br />

Österreichisch-Tschechischen Historikertage an ihre Tradition als Zentrum des akademischen<br />

Austausches zwischen österreichischen <strong>und</strong> tschechischen historischen Instituten<br />

an, bereits 2004 nahm sie das 15-Jahr-Jubiläum <strong>der</strong> „Samtenen Revolution“ zum Anlass,<br />

um dieses historische Ereignis aus <strong>der</strong> Sicht von Wissenschaftlern, aber auch ehemaligen<br />

Akteuren aus „Dissens“ <strong>und</strong> KP-Eliten zu beleuchten. 7<br />

Während sich so aus den eher an <strong>der</strong> Praxis des Umgangs über die Staatsgrenze<br />

hinweg orientierten Gesprächsforen <strong>und</strong> R<strong>und</strong>en <strong>der</strong> Waldviertel Akademie relativ rasch<br />

oftmals später institutionalisierte Kontakte sowohl im Rahmen <strong>der</strong> Akademie, als auch<br />

auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Kommunen, aber auch <strong>der</strong> verschiedenen Vereine <strong>und</strong> Interessensvertretungen<br />

ergaben, blieb ein oftmals unausgesprochenes Ressentiment dem Nachbarn<br />

gegenüber auf einer an<strong>der</strong>en als dieser Ebene bestehen. Dazu kam, dass nach <strong>der</strong><br />

ersten Euphorie <strong>der</strong> Jahre 1989–1992 die Nachbarschaft auch im Zuge <strong>der</strong> allgemeinen<br />

politischen Entwicklungen (Vorbereitung auf den Beitritt Österreichs in die EU, außenpolitische<br />

Orientierung <strong>der</strong> Tschechischen Republik am europäischen Westen bei gleichzeitiger<br />

Vernachlässigung Mitteleuropas) an Attraktivität verlor. Wurden bis 1994 etwa<br />

entlang <strong>der</strong> nie<strong>der</strong>österreichisch-tschechischen Grenze gleich acht neue Grenzübergänge<br />

eröffnet, so schuf <strong>der</strong> Beitritt Österreichs zur Europäischen Union <strong>und</strong> zum Schengener<br />

Abkommen dann eher neue Barrieren. Auch <strong>der</strong> Ausbau <strong>der</strong> Infrastruktur stagnierte.<br />

So wurde nur die ehemalige Eisenbahnverbindung zwischen Retz <strong>und</strong> Znojmo/Znaim<br />

wie<strong>der</strong> instand gesetzt, alle an<strong>der</strong>en Pläne blieben Makulatur. Der internationale (Wien–<br />

Praha/Prag–Berlin)Verkehr auf <strong>der</strong> für das Waldviertel beson<strong>der</strong>s wichtigen Franz-Josefs-<br />

Bahn wurde bereits 1996 eingestellt, ebenso ergaben sich bedeutende Verschlechterungen<br />

für den Verkehr zwischen Gmünd <strong>und</strong> České Budejovice/Budweis.<br />

Die vielerorts spontan nach 1989 angebotenen Tschechisch-Kurse wurden bald wie<strong>der</strong><br />

eingestellt, weil ihre Besucher nicht darauf vorbereitet waren, dass das Erlernen eine (slawischen)<br />

Sprache viel Zeit <strong>und</strong> Mühe kostet <strong>und</strong> es auch gewisse Frustrationserlebnisse gab,<br />

wenn man in tschechischen Geschäften <strong>und</strong> Gasthäusern beim Versuch <strong>der</strong> Anbahnung<br />

von Konversation in tschechischer Sprache nur deutsche Antworten bekam.<br />

Werfen wir nun noch einen Blick auf die Entwicklung auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Images, also<br />

<strong>der</strong> Bil<strong>der</strong> vom jeweils an<strong>der</strong>en. 1991 wurde im Rahmen einer repräsentativen Umfrage 8 ,<br />

eine Assoziationsfrage gestellt, um abzutesten, welche Bil<strong>der</strong> man sich vom jeweils an-<br />

6 ANDREA KOMLOSY (Hrsg.), Industriekultur Mühlviertel – Waldviertel – Reisen im Grenzland, Wien 1995.<br />

7 NIKLAS PERZI, Symposion 15 Jahre Samtene Revolution, in: Bohmeia 45 (2004) S. 498–501.<br />

8 THOMAS SAMHABER / FRANZ PÖTSCHER / NIKLAS PERZI / MARTIN KÜHNE, Die Folgen <strong>der</strong> Grenzöffnung in <strong>der</strong> Einschätzung <strong>der</strong><br />

Bewohner <strong>der</strong> südböhmischen/Waldvierteler Grenzregion, in: Das Waldviertel 41 (1991), S. 372–389.


82 Niklas Perzi<br />

<strong>der</strong>en machte. Dabei wurde nach jenem Begriff gefragt, <strong>der</strong> dem Respondenten spontan<br />

bei <strong>der</strong> Nennung des Nachbarlandes einfi el.<br />

Die am häufi gsten genannten Begriffe <strong>der</strong> Tschechen zu Österreich hatten durchaus<br />

positive Bezüge. Es waren dies: Ordnung (16 Prozent) vor Sauberkeit (15 Prozent), die<br />

Alpen (15 Prozent) <strong>und</strong> <strong>der</strong> höhere Lebensstandard mit 12 Prozent. An<strong>der</strong>s sah es bei<br />

den Nennungen <strong>der</strong> Österreicher aus: Hier führten die Atomkraftwerke (25 Prozent)<br />

vor <strong>der</strong> Umweltverschmutzung (7 Prozent) <strong>und</strong> dann erst diversen Sehenswürdigkeiten<br />

(6 Prozent).<br />

Auch die an<strong>der</strong>en Ergebnisse <strong>der</strong> Umfrage bestätigen die Annahmen von <strong>der</strong> Rollenverteilung<br />

zwischen den Bewohnern <strong>der</strong> Grenzregionen auf beiden Seiten. So äußerten<br />

die tschechischen Respondenten ein signifi kant höheres Interesse an Zusammenarbeit<br />

mit <strong>der</strong> österreichischen Grenzregion (Österreicher: 82 Prozent, Tschechen: 99 Prozent).<br />

Ihr Wollen zum Erwerb <strong>der</strong> Sprache des Nachbarlandes drückten nur 21 Prozent <strong>der</strong><br />

Österreicher, aber 87 Prozent <strong>der</strong> Tschechen aus.<br />

Bei <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>holung <strong>der</strong> Umfrage im Jahr 1994 9 hatten sich die Akzente verschoben.<br />

Bei <strong>der</strong> Assoziationsfrage führten bei den Österreichern zwar noch immer Atomkraftwerke<br />

<strong>und</strong> Temelin mit 27 Prozent <strong>der</strong> Nennungen, aber schon an zweiter Stelle folgten<br />

jetzt die „Billigen Einkaufsmöglichkeiten“ – ein deutlicher Hinweis zu einer Verschiebung<br />

<strong>der</strong> grenzüberschreitenden Kontakte hin auf die Ebene des Konsums. Und obwohl<br />

reziprok noch immer eine deutlich positivere Stimmung gegenüber Österreich <strong>und</strong> den<br />

Österreichern herrschte, hatte sich das Bild doch schon hin zu einer realistischen Betrachtungsweise<br />

verän<strong>der</strong>t.<br />

Eindeutig negative Auswirkungen auch im Waldviertel hatten die Verschärfung <strong>der</strong><br />

bilateralen Konfl ikte r<strong>und</strong> um Temelin <strong>und</strong> die „Beneš-Dekrete“. Obwohl <strong>der</strong> Anti-<br />

Atom-Protest kein a priori antitschechischer war, hatte die Verbitterung darüber, dass<br />

<strong>der</strong> Nachbar an<strong>der</strong>e Sorgen hatte, als den Aufbau eines kernkraftfreien Mitteleuropas<br />

zu Protesten mit Mitteln geführt, denen gerade für die Tschechen eine fatale Symbolik<br />

innewohnte <strong>und</strong> <strong>der</strong> schon längst vergessen geglaubte historische Bil<strong>der</strong> vom Nachbarn<br />

wie<strong>der</strong> aufl eben hat lassen.<br />

Der Höhepunkt dabei waren sicher die Grenzblockaden, psychologisch durchaus<br />

verständlich, als Reaktion auf die Ablehnung des eigenen, moralisch überhöhten Ansinnens,<br />

nicht nur politisch aber kontraproduktiv, ermöglichten sie es doch <strong>der</strong> tschechischen<br />

Atomlobby, Temelin in den Rang eines nationalen Symbols emporzuheben. Um<br />

sich aber die jeweilig an<strong>der</strong>e einen selber unverständliche Position zu erklären, verfi elen<br />

beide Seiten in Erklärungsmuster <strong>und</strong> Bil<strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Vergangenheit o<strong>der</strong> ließen diese<br />

zumindest zur Unterstützung des eigenen Anliegens zu. In Österreich etwa gehören<br />

Feldmessen o<strong>der</strong> Traktorenaufmärsche zur politischen Folklore, im industriell geprägten<br />

<strong>und</strong> areligiösen Tschechien evozierten sie Vorstellungen vom naiven Bauernvolk, dem<br />

man als mo<strong>der</strong>ne Nation ja eigentlich schon immer kulturell <strong>und</strong> ökonomisch überlegen<br />

war.<br />

9 THOMAS SAMHABER/FRANZ PÖTSCHER/NIKLAS PERZI, 1989–1994. Fünf Jahre Offene Grenze, in: ANDREA KOMLOSY / VÁCLAV<br />

BŮŽEK / FRANTÍŠEK SVÁTEK (Hrsg.), Kulturen an <strong>der</strong> Grenze (wie Anm. 3), S. 81–91.


Die Waldviertel Akademie als Impulszentrum 83<br />

Noch überraschter als über die Antiatombewegung war man in Tschechien über das<br />

Ansinnen <strong>der</strong> Österreicher, die „Beneš-Dekrete“ zu thematisieren. In Tschechien war die<br />

Vertreibung <strong>und</strong> Zwangsaussiedelung <strong>der</strong> deutschen Bevölkerung nach 1945 lange Zeit<br />

kein Thema o<strong>der</strong> wurde als nicht diskussionswürdig bef<strong>und</strong>en. In Österreich hingegen<br />

war sie mancherorts zum Bestandteil einer Erzählung geworden, in <strong>der</strong> dem Nachbar<br />

die Rolle des moralisch Unterlegenen zukam. Die Waldviertel Akademie widmete sich<br />

intensiv auch <strong>der</strong> Aufarbeitung dieser Themen. Der dabei bewusst gewählte Ansatz<br />

einer Vermischung von Expertengesprächen mit <strong>der</strong> interessierten Öffentlichkeit bei<br />

den historischen Symposien hatte seine Nachteile aber dort, wo die Besucher, oft aus<br />

persönlicher Betroffenheit heraus, von den anwesenden österreichischen <strong>und</strong> tschechischen<br />

Historikern Schuldzuweisungen <strong>und</strong> Eingeständnisse verlangten. Dass diese in <strong>der</strong><br />

gewünschten Form nicht geleistet werden konnte, führte zu (neuer) Verbitterung.<br />

Um aus dieser Sackgasse des gegenseitigen Vor- <strong>und</strong> Aufrechnens von historischer<br />

Schuld heraus zu kommen, erschien es zunehmend notwendig, auch an<strong>der</strong>e Formen <strong>der</strong><br />

Begegnung zu wählen. Die Gelegenheit ergab sich 1999, als eine Gruppe junger Tschechen<br />

aus <strong>der</strong> Region um Slavonice/Zlabings unter dem Namen „Česka Kanada“ (Böhmisches<br />

Kanada, in Anlehnung an den nach 1945 geprägten tschechischen Begriff für<br />

die Region) mit dem Ziel an die Öffentlichkeit trat, die vergessene Vergangenheit ihrer<br />

Heimatgemeinden aufzuarbeiten. Die Waldviertel Akademie spielte dabei als Vermittler<br />

zu den nach Österreich <strong>und</strong> Deutschland Vertriebenen eine große Rolle, reagierten diese<br />

doch auf das Vorhaben mit einer gewissen Skepsis <strong>und</strong> Misstrauen auch deswegen, da es<br />

ihnen nahezu unglaublich erschien, dass es auch in Tschechien Leute gibt, die sich für<br />

ihr Schicksal mit einer gewissen Sympathie interessieren.<br />

Dennoch gelang es, ein gemeinsames Projekt unter dem Titel „Die Landschaft soll<br />

ihre Seele wie<strong>der</strong>bekommen“ zu initiieren, das sich in mehrere Ebenen glie<strong>der</strong>te. Die<br />

vertriebenen Bewohner aus <strong>der</strong> Pfarrgemeinde Stare Město/Altstadt wurden am Tag<br />

ihres traditionellen Kirtags in die alte Heimat geladen, dort interviewt, Fotos <strong>und</strong> Dokumente<br />

digital archiviert, ein gemeinsamer festlicher Gottesdienst gefeiert. Um noch<br />

mehr Erinnerungsberichte zu gewinnen, wurde auch eine Fahrt zum jährlichen Treffen<br />

<strong>der</strong> vertriebenen Südmährer nach Geislingen/Steige unternommen.<br />

Aufbauend auf den Erfahrungen dieses Projektes <strong>und</strong> einer Idee von Dr. Peter Coreth<br />

(Kulturbrücke Fratres) starteten mehrere österreichische <strong>und</strong> tschechische Kulturvereine<br />

unter <strong>der</strong> Fe<strong>der</strong>führung von Waldviertel Akademie <strong>und</strong> Česka Kanada das Projekt<br />

„Verschw<strong>und</strong>ene Lebenswelt – Vergessener Alltag. Das 20. Jahrhun<strong>der</strong>t im Spiegel einer<br />

mitteleuropäischen Region“. Exemplarisch für das Grenzland Waldviertel/Südböhmen/<br />

Südmähren begaben sie sich dabei, gemeinsam mit fünf österreichischen <strong>und</strong> sieben<br />

tschechischen Gemeinden, auf eine Spurensuche nach ihren historischen <strong>und</strong> kulturellen<br />

Wurzeln. Ziel war es, die Wandlungsprozesse herauszuarbeiten, denen das mitteleuropäische<br />

Dorf im 20. Jahrhun<strong>der</strong>t unterlegen war <strong>und</strong> an <strong>der</strong>en Ende die Nivellierung<br />

des lokal differenziert gewesenen Handwerks, <strong>der</strong> Kleidung, des Dialekts als sichtbarer<br />

Ausdruck des Verlustes von autonom regulierter kultureller Identität zunächst im Rahmen<br />

<strong>der</strong> Einbeziehung in die Nationalkulturen, später dann in die globalisierte „Kultur<br />

<strong>der</strong>jenigen, die sich etwas leisten können“ (Peter Sloterdijk) stand. Dazu galt es, die spezifi<br />

sche Situation an <strong>der</strong> Grenze durch den Bevölkerungstausch nach 1945 in den süd-


84 Niklas Perzi<br />

böhmischen <strong>und</strong> südmährischen Dörfern <strong>und</strong> die Errichtung einer fast <strong>und</strong>urchlässigen<br />

Staatsgrenze zu berücksichtigen. Als Form wurde die doppelte Gegenüberstellung von<br />

Fotodokumenten gewählt, <strong>und</strong> zwar sowohl im zeitlichen als auch im lokalen Raster.<br />

Dabei war die wohl interessanteste Entdeckung, dass trotz <strong>der</strong> völlig unterschiedlichen<br />

gesellschaftlichen Systeme nach 1945 im österreichischen <strong>und</strong> tschechischem Teil <strong>der</strong><br />

Region zwar die Inhalte variierten, die kulturellen Ausdrucksformen aber weitgehend<br />

gleich geblieben sind. Der Verlust <strong>der</strong> „Leitkulturen“ (hier ein stark mit dem bäuerlichen<br />

Element verankerter Katholizismus, dort <strong>der</strong> sozialistische Realismus) auf beiden<br />

Seiten <strong>der</strong> Grenze haben zwar zu einer neuen Pluralität, aber auch zu gesellschaftlicher<br />

Orientierungslosigkeit <strong>und</strong> einem Hinterherlaufen hinter die Muster <strong>der</strong> Konsumkultur<br />

geführt. Neben den sichtbaren Ergebnissen in Form von Ausstellung <strong>und</strong> Katalogen 10<br />

hat das Projekt dazu beigetragen, das Verständnis für den an<strong>der</strong>en zu schärfen, ihm<br />

wie<strong>der</strong> ein Gesicht zu geben.<br />

Will die Kultur den Anspruch erheben, im 21. Jahrhun<strong>der</strong>t verbindendes Element<br />

zu ein, dann wird sie sich aus ihrer nationalen Verankerung lösen <strong>und</strong> dazu beitragen<br />

müssen, dass das Europa von morgen nicht zu einer Wüste an Belang- <strong>und</strong> Orientierungslosigkeit<br />

wird. Die Waldviertel Akademie wird auch in Zukunft ihren Beitrag dazu<br />

leisten.<br />

10 NIKLAS PERZI/PETER MÄHNER/FRANZ PÖTSCHER/MICHAL STEHLÍK, Verschw<strong>und</strong>ene Lebenswelt – Vergessener Alltag. Das 20.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t im Spiegel einer mitteleuropäischen Region. Ausstellungsbroschüre mit einem Vorwort von Kardinal Franz König,<br />

Waidhofen a. d. Thaya 2000; NIKLAS PERZI / MICHAL STEHLÍK (Hrsg.), Verschw<strong>und</strong>ene Lebenswelt – Vergessener Alltag. Das 20.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t im Spiegel einer mitteleuropäischen Region. Ausstellungskatalog, Pomezí/Waidhofen a. d. Thaya 2001.


Die <strong>Oberlausitz</strong> – ein Modell für partnerschaftliches Regionalmarketing 85<br />

III. Visionen – Regionale Vorschau<br />

Die <strong>Oberlausitz</strong> – ein Modell für partnerschaftliches<br />

Regionalmarketing von Unternehmen,<br />

Kommunen <strong>und</strong> Region<br />

HOLM GROSSE<br />

1. Begriff <strong>und</strong> Inhalt des „Regionalmarketing“<br />

Marketing ist viel mehr als <strong>der</strong> Verkauf von Produkten <strong>und</strong> Dienstleistungen. Als die<br />

Entwicklung von zielgruppenorientierten Angeboten integrierendes, auf die Marktbedürfnisse<br />

zugeschnittenes Führungskonzept stellt es die Kommunikation nach innen<br />

<strong>und</strong> außen ins Zentrum aller unternehmerischen Aktivitäten. Dem entsprechend wäre<br />

es viel zu kurz gegriffen, Regionalmarketing mit <strong>der</strong> Bewerbung einer Region mit ihren<br />

Standorten bzw. touristischen Attraktionen auf Messen <strong>und</strong> in Informationsmaterialien<br />

gleichzusetzen – es geht vielmehr um ein Instrument, welches einerseits <strong>der</strong> Ausprägung<br />

<strong>der</strong> langfristigen Zusammenarbeit in <strong>der</strong> Region dient (Innenmarketing), auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Seite eine strategische Positionierung mit Alleinstellungsmerkmalen im Wettbewerb <strong>der</strong><br />

Regionen ermöglicht <strong>und</strong> professionell umsetzt (Außenmarketing). Da Regionalmarketing<br />

gemeinsam mit den regionalen Akteuren initiiert <strong>und</strong> realisiert wird, dient es<br />

gleichzeitig <strong>der</strong> Mobilisierung <strong>und</strong> Koordinierung für die Entscheidungsträger in <strong>der</strong><br />

Region (unternehmerischer Mittelstand, Verbände, Kommunen). Regionales Marketing<br />

ist damit gleichzeitig immer auch kooperative <strong>Regionalentwicklung</strong>.<br />

2. Das Modell <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong><br />

Die <strong>Oberlausitz</strong>, Sachsens Ferienregion Nr. 2, ist vor allem auch ein attraktiver Wirtschaftsstandort.<br />

Allein als Fahrzeugregion weist sie mit 110 Unternehmen im Bereich<br />

Automobile, mehr als 2.400 Beschäftigten <strong>und</strong> 300 Entwicklern im Schienenfahrzeugbau<br />

<strong>und</strong> dem am Standort Singwitz wie<strong>der</strong> belebten Landmaschinenbau beson<strong>der</strong>e<br />

Kompetenzen in Maschinenbau/Metall <strong>und</strong> <strong>der</strong> Kunststoffi ndustrie auf. Die Energieregion<br />

Lausitz mit Vattenfall an <strong>der</strong> Spitze entwickelt neue Technologien <strong>und</strong> stellt<br />

mo<strong>der</strong>ne Arbeitsplätze bereit. Dank <strong>der</strong> zentralen Lage zwischen den Großstädten<br />

Dresden/Leipzig, Prag, Wrocław (Breslau) <strong>und</strong> Berlin hat sich die <strong>Oberlausitz</strong> zu einem<br />

geeigneten Standort für Finalisten, Systemlieferanten <strong>und</strong> Zulieferer sowie zur Drehscheibe<br />

internationaler Wirtschaftskontakte zwischen Deutschland, Polen <strong>und</strong> Tschechien<br />

entwickelt. Allein im Jahr 2006 gab es gegenüber 2005 in <strong>der</strong> Metallbearbeitung<br />

Umsatzsteigerungen von 37,5 Prozent, im Maschinenbau von 12,7 Prozent <strong>und</strong> in <strong>der</strong>


86 Holm Große<br />

Kunststoffherstellung von 44 Prozent, wurden allein in diesen Schlüsselbranchen 850<br />

neue Arbeitsplätze geschaffen.<br />

Seit 2002 hat sich die Marketing-Gesellschaft <strong>Oberlausitz</strong>-Nie<strong>der</strong>schlesien mbH<br />

(MGO) als wirtschaftlich arbeitende regionale Einrichtung von ihren zwischen Radeberg<br />

<strong>und</strong> Görlitz sowie <strong>Zittau</strong> <strong>und</strong> Hoyerswerda wirkenden Gesellschaftern, den Landkreisen,<br />

Kreisfreien Städten <strong>und</strong> Sparkassen <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong>, etabliert. Ihr Auftrag besteht<br />

in <strong>der</strong> wirtschaftlichen Entwicklung <strong>und</strong> professionellen Vermarktung <strong>der</strong> Region im<br />

nationalen <strong>und</strong> internationalen Standortwettbewerb. Neu daran <strong>und</strong> modellhaft für<br />

Deutschland sowie anerkannt in Europa (Internationales Symposium an <strong>der</strong> University<br />

of Westminster, London, Februar 2005) ist die Tatsache, dass dieser Marktauftritt für<br />

die Wirtschafts- <strong>und</strong> Ferienregion „aus einer Hand“ erfolgt, darüber hinaus Prozesse<br />

<strong>der</strong> regionalen Entwicklung steuert <strong>und</strong> die Vermarktung kultureller Erlebnisse sowie<br />

von Bildung <strong>und</strong> Innovation <strong>der</strong> Region beinhaltet. Kurzum: im Auftrag <strong>der</strong> Landkreise,<br />

Städte <strong>und</strong> Sparkassen sowie des Tourismusverbandes wird in <strong>der</strong> Region mit den<br />

einheimischen Unternehmen das entwickelt, was nach außen eine attraktive, wie<strong>der</strong><br />

erkennbare <strong>und</strong> bestens vernetzte „Visitenkarte“ <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> ist.<br />

Ihre Hauptaufgabe bestand nach <strong>der</strong> Gründung zunächst darin, Strategien <strong>und</strong> Instrumente<br />

für ein ganzheitliches professionelles Standortmarketing zu entwickeln <strong>und</strong> mit<br />

einem erkennbaren Marktauftritt umzusetzen. Im Ergebnis eines mo<strong>der</strong>ierten Prozesses<br />

wurde gemeinsam mit den Landkreisen <strong>und</strong> Kreisfreien Städten, Touristischen Gebietsgemeinschaften,<br />

Unternehmern <strong>und</strong> Leistungsanbieter „vor Ort“, Wirtschaftsverbänden<br />

sowie Verbänden <strong>und</strong> Vereinen ein Leitbild, ein unverwechselbares, durch die Nutzung<br />

aller Beteiligten getragenes, Corporate Design, erste Maßnahmen zur Umsetzung sowie<br />

eine neue Struktur <strong>der</strong> regionalen Zusammenarbeit erarbeitet. Die neue Dachmarke<br />

stellt die Gr<strong>und</strong>lage für die partnerschaftliche Vermarktung <strong>der</strong> Region dar. Sie verkörpert<br />

eine Wertmarke, mit <strong>der</strong> sich die <strong>Oberlausitz</strong> als Standort für leistungsfähige<br />

Wirtschaft, Brücke im zusammenwachsenden Europa, Region mit hoher Lebensqualität<br />

sowie Platz für erlebnisreiche Touristik präsentiert. Auf <strong>der</strong> Basis eines mo<strong>der</strong>ierten Prozesses<br />

im zweiten Halbjahr 2002 wurde eine ganzheitliche Regionalmarketingstrategie<br />

zur Ausprägung <strong>der</strong> langfristigen Zusammenarbeit in <strong>der</strong> Region erarbeitet. Ausgehend<br />

von einer Ist-Stands-Analyse, welche neben <strong>der</strong> Stärken-Schwächen-Analyse insbeson<strong>der</strong>e<br />

einen Vergleich mit an<strong>der</strong>en Wettbewerbsregionen in Deutschland <strong>und</strong> Europa<br />

<strong>und</strong> einen Kommunikations-Check beinhaltete sowie <strong>der</strong> umfassenden Diskussion von<br />

Alleinstellungs- <strong>und</strong> Profi lierungsmerkmalen <strong>der</strong> Region (Sorbische Bevölkerung <strong>und</strong><br />

Kultur, Mehrsprachigkeit, Lage im Dreilän<strong>der</strong>eck) wurden gemeinschaftlich Strategien<br />

<strong>und</strong> Instrumente des Regionalmarketing erarbeitet, in erster Linie<br />

– das Leitbild des Regionalmarketings,<br />

– relevante Zielgruppen (Innen- <strong>und</strong> Außenmarketing) <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Ansprache,<br />

– Marketing-Mix (Produkt, Preis, Distribution, Kommunikation),<br />

– ein einheitliches Corporate Identity <strong>und</strong> Corporate Design, Dachmarke,<br />

– Kooperationspartner für das Regionalmarketing, Nutzen <strong>der</strong> Partner bei <strong>der</strong> Mitwirkung,<br />

– Erfolgsindikatoren sowie<br />

– Empfehlungen für geeignete Maßnahmen.


Die <strong>Oberlausitz</strong> – ein Modell für partnerschaftliches Regionalmarketing 87<br />

Charakteristisch für den seit <strong>der</strong> Erarbeitung <strong>der</strong> Regionalmarketingstrategie neuen aktiven<br />

Marktauftritt sind – neben bewährten Formen <strong>der</strong> Zielgruppenansprache, wie z. B.<br />

Broschüren, Filme, Messen <strong>und</strong> Unternehmertreffen – innovative Maßnahmen, welche<br />

auf die ganz persönliche Kommunikation mit unseren K<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Geschäftspartnern<br />

setzen. Dazu zählen u. a.:<br />

– die Umsetzung <strong>der</strong> Botschafter-Strategie (Persönlichkeiten aus Sport, Kultur <strong>und</strong> Wirtschaft<br />

sowie touristische Originale agieren als Imageträger <strong>der</strong> Region),<br />

– Regionalpräsentationen auf Zielmärkten unter dem Label „<strong>Oberlausitz</strong> zu Gast“ (Wirtschaft,<br />

Handwerk, Kultur, Tourismus, regionale Spezialitäten),<br />

– <strong>der</strong> Trinationale Innovationspreis „INNOVATION – Euroregion Neisse-Nisa-Nysa“<br />

mit den Kategorien BEST INNOVATION, BEST PARTNERSHIP <strong>und</strong> BEST PRIVATE<br />

PUBLIC PARTNERSHIP.<br />

Ein wichtiges Ergebnis des Prozesses <strong>der</strong> Regionalmarketingstrategie war auch die<br />

Klärung von Zielen <strong>und</strong> Zuständigkeiten <strong>der</strong> regionalen Einrichtungen, um dann zielgerichtet<br />

an <strong>der</strong> Umsetzung in den Bereichen Produktentwicklung <strong>und</strong> -vernetzung sowie<br />

Innen- <strong>und</strong> Außenmarketing arbeiten zu können. Im Ergebnis steht eine neue Struktur<br />

zur Entwicklung <strong>und</strong> Vermarktung regionaler Produkte (vgl. Abb.).<br />

Danach gibt es eine klare Aufgabenteilung <strong>und</strong> Schnittstellen. Die Marketing-Gesellschaft<br />

vermarktet die Region nach außen. Der Tourismusverband feilt zusammen<br />

mit touristischen Leistungsanbietern an Angeboten für <strong>Oberlausitz</strong>-Besucher. Das


88 Holm Große<br />

Regionalmanagement greift Ideen für Produkte o<strong>der</strong> Dienstleistungen auf <strong>und</strong> sucht<br />

Partner, die diese Visionen verwirklichen können <strong>und</strong> wollen. Es ist Bestandteil <strong>und</strong><br />

dauerhafter Geschäftsbereich <strong>der</strong> MGO. Nach außen steht ein einheitlicher Auftritt mit<br />

gesamtregio nalen Marketingmitteln (z. B. Wirtschafts- <strong>und</strong> Ferienmagazin, Imagefi lm,<br />

branchenorientierte Broschüren <strong>und</strong> Angebotshefte) auf Messen <strong>und</strong> Präsentationen,<br />

unter einem einheitlichen Logo <strong>und</strong> mit dem gemeinsamen Internetauftritt www.oberlausitz.com,<br />

<strong>der</strong> eng mit dem gemeinsam mit <strong>der</strong> Brandenburgischen Lausitz erstellten<br />

<strong>und</strong> gepfl egtem www.lausitz.de sowie thematischen Seiten (z. B. zum Trinationalen Innovationspreis,<br />

dem Radwan<strong>der</strong>n sowie Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendreisen) verknüpft ist. In die<br />

Produktentwicklung sind neben <strong>der</strong> Industrie- <strong>und</strong> Handelskammer, den Technologiezentren<br />

<strong>und</strong> Hochschulen, den Partnern <strong>der</strong> Wirtschaftsför<strong>der</strong>ung „vor Ort“, unternehmerischen<br />

Interessengruppen <strong>und</strong> Verbänden, heute über 550 private Unternehmen <strong>und</strong><br />

touristische Partner eingeb<strong>und</strong>en, darunter zum Beispiel:<br />

– das TEAM 22 als regionales Netzwerk Maschinenbau/Metall mit über 30 Unternehmen,<br />

25 Unternehmen <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong>er Kunststofftechnik, 45 Unternehmen <strong>der</strong><br />

Nahrungs- <strong>und</strong> Genussmittelbranche, 40 Textil- <strong>und</strong> 20 IT-Unternehmen,<br />

– 42 touristische Leistungsträger in <strong>der</strong> Interessengemeinschaft Bustouristik,<br />

– 120 fahrradfre<strong>und</strong>liche Beherbergungen <strong>und</strong> Servicestationen, darunter 34 Partner<br />

<strong>der</strong> Qualitätsmarke „<strong>Oberlausitz</strong> per Rad“ mit dem laut ADFC deutschlandweit einzigartigen<br />

Fahrradpool Lausitz, 40 Partnerbetriebe <strong>der</strong> „Lausitzer Fischwochen“, 25<br />

Partner im Bereich <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendreisen, 49 Handwerksbetriebe <strong>der</strong> Ferienstraße<br />

„Handwerk erleben“, 34 Partner des „<strong>Oberlausitz</strong>er Genussfestivals“, 18 Stätten <strong>der</strong><br />

Industriekultur <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e.<br />

Regionale Wertschöpfung <strong>und</strong> sektorübergreifendes Handeln werden groß geschrieben,<br />

wie die nachfolgenden vier Produktbeispiele belegen.<br />

Produktbeispiel I: <strong>Oberlausitz</strong> per Rad<br />

Tourismus <strong>und</strong> Wirtschaft bündeln die Kräfte<br />

für höchste Servicequalität für Radfahrer<br />

Die <strong>Oberlausitz</strong> hat sich die Qualitätsmarke „<strong>Oberlausitz</strong> per Rad“ geschaffen, mit <strong>der</strong><br />

sich radfahrerfre<strong>und</strong>liche Einrichtungen <strong>der</strong> Region zertifi zieren lassen können. Ziel ist<br />

es, mit den Partnern ein gesamtregionales Fahrradverleih-Netz mit hoher Servicequalität<br />

für Radfahrer aufzubauen. Den K<strong>und</strong>en wird damit ermöglicht, in <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> fl exibel<br />

Fahrrä<strong>der</strong> in Empfang nehmen <strong>und</strong> abgeben zu können.<br />

Die Marke wurde in enger Kooperation von regionaler Wirtschaft <strong>und</strong> den Tourismusverantwortlichen<br />

für die <strong>Oberlausitz</strong> entwickelt: Little John Bikes konfektioniert<br />

<strong>und</strong> vertreibt als deutschlandweit agieren<strong>der</strong> Markenhändler mit Stammsitz in<br />

Neukirch/Lausitz hochwertige Fahrrä<strong>der</strong> „Made in Germany“. Diese Qualitätsrä<strong>der</strong><br />

werden über den Fahrradpool Lausitz allen Partnern ebenso bereitgestellt wie das entsprechende<br />

Fahrrad-Zubehör, <strong>der</strong> Hol- <strong>und</strong> Bringservice <strong>und</strong> <strong>der</strong> Gepäcktransfer. Momentan<br />

werden über 600 Rä<strong>der</strong> an 34 Verleihstationen zwischen Dresden <strong>und</strong> Görlitz,


Die <strong>Oberlausitz</strong> – ein Modell für partnerschaftliches Regionalmarketing 89<br />

Neustadt/Sachsen <strong>und</strong> Senftenberg sowie <strong>Zittau</strong>, Hoyerswerda <strong>und</strong> Weißwasser bereitgestellt.<br />

Der K<strong>und</strong>e kann das Rad dabei auch an einer Station ausleihen <strong>und</strong> bei einem<br />

an<strong>der</strong>en Partner wie<strong>der</strong> abgeben. Seit Ende 2005 ist das System mit <strong>der</strong> NISA, o.p.s. in<br />

Rychnov bei Jablonec n. N. <strong>und</strong> <strong>der</strong> Regio Machová in Doksy am Macha-See als ersten<br />

touristischen Leistungsanbietern in <strong>der</strong> Tschechischen Republik auch ein internationales<br />

–im Trinationalen Preis INNOVATION 2006 Euroregion Neisse-Nisa-Nysa wurde<br />

„<strong>Oberlausitz</strong> per Rad“ als „Beste Partnerschaft“ ausgezeichnet.<br />

Das Zubehör wird von Little John Bikes zur Verfügung gestellt, dieses Unternehmen<br />

zeichnet auch für einen professionellen Wartungsservice verantwortlich. Für die Produktentwicklung<br />

<strong>und</strong> die touristische Vermarktung zeichnet die Marketing-Gesellschaft<br />

<strong>Oberlausitz</strong>-Nie<strong>der</strong>schlesien mbH (MGO) als Träger <strong>der</strong> Marke „<strong>Oberlausitz</strong> per Rad“<br />

verantwortlich. Instrumente dazu sind neben <strong>der</strong> Broschüre <strong>und</strong> den Routenfl yern auch<br />

die Auftritte auf Messen <strong>und</strong> Präsentationen, die Veranstaltung von Events sowie <strong>der</strong><br />

Internetauftritt www.radwan<strong>der</strong>n-oberlausitz.de. Die Marke „<strong>Oberlausitz</strong> per Rad“ bietet<br />

laut dem ADFC sowie <strong>der</strong> deutschen <strong>und</strong> österreichischen Fachpresse ein deutschlandweit<br />

einmaliges Netwerk, welches das sehr gute Radwegenetz <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> mit<br />

qualitativ hochwertigem Service r<strong>und</strong> um das Radeln kombiniert. Die Kriterien an die<br />

Partner von „<strong>Oberlausitz</strong> per Rad“ gehen über dessen Mindestfor<strong>der</strong>ungen für Fahrradfre<strong>und</strong>liche<br />

Beherbergungsbetriebe <strong>und</strong> Einrichtungen hinaus. So bieten zum Beispiel<br />

die Hotels <strong>und</strong> Pensionen mehrere beschriebene Haustouren an, mindestens eine davon<br />

führt auf einen <strong>der</strong> Fernradwan<strong>der</strong>weg des D-Netzes.<br />

Produktbeispiel II: Lausitzer Fischwochen<br />

Projekt zur Stärkung <strong>der</strong> regionalen Identität – Markenzeichen<br />

für Gastfre<strong>und</strong>schaft <strong>und</strong> regionale Wertschöpfung<br />

Der Herbst ist für die Lausitzer Teichwirte <strong>und</strong> ihre zahlreichen einheimischen <strong>und</strong><br />

Urlaubsgäste die aufregendste Zeit – es wird abgefi scht. Nach arbeitsreichen Monaten<br />

– <strong>der</strong> Karpfen wird drei Sommer in den Lausitzer Teichen versorgt, bevor er sein übliches<br />

Marktgewicht von zirka 1,5 Kilo erreicht hat – wird die „Ernte des Jahres“ eingebracht.<br />

R<strong>und</strong> um diese lausitztypische Tradition gibt es auch in diesem Jahr spannende<br />

Erlebnisse. Höhepunkte sind die bekannten Abfi schfeste <strong>der</strong> Teichwirtschaften mit einer<br />

Fülle von Programmangeboten. Neben den traditionellen Fischzügen, die bereits früh<br />

am Morgen beginnen, laden Naturmärkte zum Kauf regionaler Produkte ein, werden<br />

geführte Rad- <strong>und</strong> Wan<strong>der</strong>touren durch die einzigartige Kulturlandschaft entlang <strong>der</strong><br />

idyllischen Teiche angeboten, können fangfrische Karpfen gekauft o<strong>der</strong> Köstlichkeiten<br />

wie Fischsuppe o<strong>der</strong> Räucherfi sch probiert werden. Repräsentative Gasthäuser bieten in<br />

diesem Zeitraum beson<strong>der</strong>s leckere Fischgerichte aus den frisch gefangenen heimischen<br />

Fischen – Karpfen, Zan<strong>der</strong>, Hecht, Wels, Schleie, Forelle an. Spannende Reiseangebote<br />

von Tagestouren über ein verlängertes Wochenendprogramm bis hin zu Angelurlauben<br />

vermitteln einen begeisternden Eindruck vom Gebiet <strong>der</strong> Tausend Teiche. Natur entdecken,<br />

Tradition erleben, Kulinarisches genießen – unter <strong>der</strong> Fe<strong>der</strong>führung <strong>der</strong> MGO <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Touristischen Gebietsgemeinschaft Heide <strong>und</strong> Teiche im Bautzener Land veranstalten<br />

Teichwirtschaften, Naturschutzeinrichtungen, Museen <strong>und</strong> Gasthäuser in Deutsch-


90 Holm Große<br />

lands größtem bewirtschafteten Teichgebiet zwischen Radeberg <strong>und</strong> Rietschen zur Zeit<br />

<strong>der</strong> traditionellen Abfi schfeste die „Lausitzer Fischwochen“. Sie fi nden jährlich Mitte<br />

September bis Ende Oktober statt (www.lausitzer-fi schwochen.de) <strong>und</strong> locken Gäste aus<br />

ganz Deutschland, <strong>der</strong> Schweiz, Österreich, den Nie<strong>der</strong>landen, Polen <strong>und</strong> Tschechien in<br />

die spannende Welt <strong>der</strong> Lausitzer Teichwirte <strong>und</strong> <strong>der</strong> zweisprachigen Kultur mit ihren<br />

sorbischen <strong>und</strong> deutschen Bräuchen an. Starten auch Sie Ihre Schlemmertour – <strong>und</strong><br />

genießen Sie in Ruhe die vielfältigen Angebote, welche in enger Zusammenarbeit von<br />

Teichwirten, Gastronomen <strong>und</strong> Touristikern <strong>der</strong> Region seit 2002 jährlich im Herbst<br />

deutschland- <strong>und</strong> europaweit für Furore sorgen sowie bei den mehr als 40 Anbietern in<br />

<strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> zur regionalen Wertschöpfung beitragen.<br />

Bestanden zu Beginn die wichtigsten Ziele in <strong>der</strong> Vernetzung von Produzenten <strong>und</strong><br />

touristischen Leistungsträgern bei <strong>der</strong> gezielten Vermarktung <strong>der</strong> naturnah in Sachsens<br />

einzigem Biosphärenreservat aufgezogenen heimischen Fische sowie in <strong>der</strong> Stärkung<br />

<strong>der</strong> regionalen Identität durch das gemeinsame Event, wurden mit den ersten vier Jahrgängen<br />

die weitergehenden Effekte nachweisbar. So führte einerseits <strong>der</strong> gemeinsame,<br />

deutschlandweite Auftritt <strong>der</strong> neuen Marke spürbar zur Verlängerung <strong>der</strong> Urlaubssaison<br />

in <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> <strong>und</strong> einer damit verb<strong>und</strong>enen Erhöhung <strong>der</strong> Aufenthaltsdauer <strong>der</strong><br />

Urlauber <strong>und</strong> Gäste in <strong>der</strong> Region (Zuwachs im Herbst 2006 wie<strong>der</strong>um um 5 Prozent<br />

gegenüber dem Vorjahr), können an<strong>der</strong>erseits Fischwirte, Pensionen <strong>und</strong> Gasthöfe ein<br />

Zusatzeinkommen erwirtschaften. Finanzielle Unterstützung erhalten die „Lausitzer<br />

Fischwochen“ durch das EU-Programm LEADER+.<br />

Produktbeispiel III: IG Bustouristik <strong>Oberlausitz</strong><br />

Von <strong>der</strong> Idee zum unternehmerischen Netzwerk<br />

Im Jahre 1999 stellten Unternehmer <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> aus Hotellerie <strong>und</strong> Gastronomie die<br />

Kardinalfrage: Wie werde ich gewünschter Partner von Busunternehmen?“ Diese interessante<br />

Herausfor<strong>der</strong>ung nahm die Industrie- <strong>und</strong> Handelskammer Dresden gemeinsam<br />

mit dem Tourismusverband <strong>Oberlausitz</strong>-Nie<strong>der</strong>schlesien e. V. <strong>und</strong> dem Deutschen Hotel-<br />

<strong>und</strong> Gaststättenverband Sachsen, Regionalverband Dresden e. V. zum Anlass, das Projekt<br />

„Bustouristik im Reisegebiet <strong>Oberlausitz</strong>“ zu initiieren. Im November 2000 erfolgte <strong>der</strong><br />

Start mit einer Vielzahl von gewerblichen Unternehmen, verb<strong>und</strong>en mit einer hohen<br />

Erwartung, die eigene Leistungsfähigkeit im Unternehmen, aber auch die <strong>der</strong> Region<br />

<strong>Oberlausitz</strong>/Nie<strong>der</strong>schlesien zu verbessern. Im August 2001 war es soweit: Vertreter des<br />

Projektes „Bustouristik – <strong>Oberlausitz</strong>“ präsentierten auf dem RDA-Workshop in Köln den<br />

1. Spezialkatalog für Busunternehmen <strong>und</strong> Reiseveranstalter – <strong>Oberlausitz</strong> per Bus.<br />

Unter dem Werbeslogan „<strong>Oberlausitz</strong> – Hier geht’s lang“ wurde aus <strong>der</strong> ehemaligen<br />

„Projektinteressengemeinschaft“ die „Interessengemeinschaft Bustouristik“, welche zwischenzeitlich<br />

als fester Partner <strong>der</strong> MGO fest in das Tourismusmarketing <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong><br />

integriert ist. Die MGO hat den professionellen Vertrieb des Kataloges übernommen<br />

ebenso wie die organisatorische <strong>und</strong> koordinierende Unterstützung <strong>der</strong> Aktivitäten.<br />

Durch ein kontinuierliches gemeinsames Arbeiten mit den touristischen Leistungsträgern<br />

konnte das anfänglich geför<strong>der</strong>te Projekt zwischenzeitlich nachhaltig am Tourismusmarkt<br />

platziert werden. Dafür sprechen die drei erfolgreichen Angebotskataloge für


Die <strong>Oberlausitz</strong> – ein Modell für partnerschaftliches Regionalmarketing 91<br />

Bus- <strong>und</strong> Reiseveranstalter sowie Vereine. Darüber hinaus entstanden eine Plattform <strong>und</strong><br />

ein Netzwerk zwischen den touristischen Leistungsträgern, welches dem Erfahrungsaustausch<br />

dient, aber auch zu neuen Geschäftspartnerschaften geführt hat. In Chronologie<br />

<strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> Interessengemeinschaft kann seit dem Jahr 2000 auf 50 unterschiedliche<br />

gemeinsame unternehmerische Aktivitäten <strong>und</strong> Aktionen verwiesen werden.<br />

Zu den Höhenpunkten <strong>der</strong> „IG Bustouristik“ zählte im August 2004 die Teilnahme<br />

am Wettbewerb „Partner des Jahres“ <strong>und</strong> „Destination des Jahres“ <strong>der</strong> Fachzeitschrift<br />

OMNIBUSREVUE – hier wurde <strong>der</strong> 3. Katalog „<strong>Oberlausitz</strong> per Bus“ mit dem 4. Platz<br />

ausgezeichnet. Im Ergebnis standen „OMNIBUSREVUE“ <strong>und</strong> „BUS AKTUELL“ das<br />

gesamte Jahr 2005 für kostenlose Öffentlichkeitsarbeit <strong>der</strong> Region zur Verfügung. Auch<br />

die Teilnahme am „DRESDEN POW WOW“ ist eine feste Größe des Arbeitsplanes.<br />

Die 42 beteiligten Leistungsträger des 3. Angebotskataloges „<strong>Oberlausitz</strong> per Bus“<br />

waren sich einig, das die Region <strong>Oberlausitz</strong> auch für die Jahre 2007/2008 noch viele<br />

interessante Angebote für Busreiseveranstalter <strong>und</strong> Vereine bereit hält, die es lohnt zielgruppengerecht<br />

aufzubereiten, um somit die touristische Wirtschaft <strong>und</strong> Leistungsträger<br />

weiter zu stärken. Und das Interesse zahlreicher weiterer Unternehmen, die Interessengemeinschaft<br />

Bustouristik auch als Plattform für ihren Marktauftritt zu nutzen, spricht<br />

für sich – auch <strong>der</strong> neue, bereits vierte Angebotskatalog „<strong>Oberlausitz</strong> per Bus“ wird aus<br />

Eigenmitteln <strong>der</strong> Unternehmer fi nanziert <strong>und</strong> zahlreiche neue thematische Angebote<br />

umfassen. Rechnet man die Aktivitäten <strong>und</strong> Finanzierung <strong>der</strong> Marktpräsenz von IHK<br />

<strong>und</strong> MGO als Gesellschaft <strong>der</strong> Landkreise <strong>und</strong> Kreisfreien Städte sowie <strong>der</strong> Sparkassen<br />

<strong>der</strong> Region <strong>Oberlausitz</strong>-Nie<strong>der</strong>schlesien hinzu, kann man mit Fug <strong>und</strong> Recht von einer<br />

funktionierenden Private-Public-Partnership sprechen.<br />

Produktbeispiel IV: <strong>Oberlausitz</strong>er Genussfestival<br />

100 Prozent regionale Wertschöpfung <strong>und</strong> Servicequalität<br />

Zu den Schlüsselbranchen <strong>und</strong> Kernkompetenzen <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> als dynamischer<br />

Wirtschaftsregion zählt die Ernährungswirtschaft. Und die ist mit Ihren hochwertigen<br />

Produkten wie Bautz’ner Senf, Pulsnitzer Pfefferkuchen, Lausitzer Butter aus Niesky,<br />

Oppacher Mineralwasser, Lausitzer Leinöl aus Hoyerswerda, Görlitzer Liebesperlen <strong>der</strong><br />

Firma Hoinkis, Lausitzer Porter <strong>und</strong> Lausitzer Säften, Wilthener, Neukircher Zwieback<br />

<strong>und</strong> vielen an<strong>der</strong>en mehr ein wichtiger Imageträger für die Region. Gleichzeitig belebt<br />

sie mit ihren Brands <strong>und</strong> dem Engagement für die <strong>Oberlausitz</strong> auch den Tourismus<br />

mit seinen attraktiven Kulturerlebnissen <strong>und</strong> Angeboten für die aktive Erholung – von<br />

Görlitz bis vor die Tore Dresdens <strong>und</strong> vom <strong>Zittau</strong>er Gebirge, Deutschlands kleinstem<br />

Mittelgebirge bis zum Lausitzer Seenland, Deutschlands größter von Menschenhand geschaffener<br />

Wasserlandschaft. Ein ebenso markantes Merkmal <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> ist eine gut<br />

entwickelte Landwirtschaft mit vielfältigen Erzeugern aller Art. Von tierischen Produkten<br />

wie Fleisch, Fisch, Eier, Milch <strong>und</strong> mehr, über Obst <strong>und</strong> Gemüse mit <strong>der</strong>en Produkten, bis<br />

hin zu duftenden Kräutern <strong>und</strong> ihrer Verarbeitung – die Region bietet eine breite Palette<br />

qualitativ hochwertiger Erzeugnisse <strong>und</strong> verfügt mit einem traditionell reichen Spektrum<br />

an regionalen Spezialitäten über alle „Zutaten“ für höchsten kulinarischen Genuss. Zum<br />

zweiten Mal wird in diesem Frühsommer, vom 16. Juni bis 14. Juli 2007, zum „Oberlau-


92 Holm Große<br />

sitzer Genussfestival“ eingeladen. In 34 ausgewählten Gaststätten zwischen <strong>der</strong> Kulturstadt<br />

Görlitz <strong>und</strong> <strong>der</strong> Westlausitz, vom <strong>Zittau</strong>er Gebirge bis in das Lausitzer Seenland bietet<br />

sich die Gelegenheit, handwerklich zubereitete regionaltypische Gerichte aus heimischen<br />

Zutaten zu genießen <strong>und</strong> vieles Interessante über die Region zu erfahren. Die vielfältige<br />

Küche <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> mit ihren sächsischen, schlesischen, sorbischen <strong>und</strong> böhmischen<br />

Einfl üssen wird seit Jahrhun<strong>der</strong>ten dank vieler engagierter Gastronomen gepfl egt <strong>und</strong> weiterentwickelt<br />

– die Gastgeber bürgen für eine hohe Qualität <strong>der</strong> ausgewählten Gerichte<br />

sowie in Bedienung <strong>und</strong> Service. Auch das Ambiente in den teilnehmenden Häusern ist<br />

dank zahlreicher regionaler Handwerksmeister <strong>und</strong> ihrer traditionellen Kunst ein ganz<br />

spezielles – eben typisch <strong>Oberlausitz</strong>.<br />

Ziel des gemeinsam von <strong>der</strong> MGO mit dem Sächsischen Landeskuratorium Ländlicher<br />

Raum, <strong>der</strong> IHK Dresden, dem DEHOGA Regionalverband Dresden <strong>und</strong> Slowfood<br />

Projektes „<strong>Oberlausitz</strong> genießen“ getragenen Projektes ist die Schaffung eines Netzwerkes<br />

von Erzeugern <strong>und</strong> Gastronomen, mit <strong>Chancen</strong> auf Umsatz, Beschäftigung<br />

<strong>und</strong> Zukunftssicherung – <strong>und</strong> als Beitrag zur Vertiefung <strong>der</strong> regionalen Identität <strong>der</strong><br />

<strong>Oberlausitz</strong>. Damit bringt „<strong>Oberlausitz</strong> genießen“ alle an regionaler Wertschöpfung Interessierten<br />

<strong>und</strong> Beteiligten an einen Tisch: Direktvermarkter, Verarbeiter, Gastronomen,<br />

Handwerksbetriebe, Verbraucher <strong>und</strong> die Tourismuswirtschaft.<br />

Bis hin zu den Auszubildenden – denn ein wichtiger Höhepunkt von „<strong>Oberlausitz</strong><br />

genießen“ ist alljährlich <strong>der</strong> vom Fortbildungswerk Sachsen gGmbH ausgerichtete <strong>Oberlausitz</strong>-Pokal<br />

in Bischofswerda. Dieser regionale Wettbewerb junger Auszubilden<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Gastronomiebranche steht für die Entwicklung einer hohen Servicequalität für unsere<br />

Gäste <strong>und</strong> orientiert sich fachlich an <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> mit ihren Produkten, Traditionen<br />

<strong>und</strong> Speisen. Er wird im Sinne des „<strong>Oberlausitz</strong>er Genussfestivals“ komplett mit einem<br />

„regionalen Warenkorb“ ausgestattet. Eine beson<strong>der</strong>s attraktive Verbindung zwischen<br />

Kultur <strong>und</strong> regionalem kulinarischen Genuss schafft das Musikfest Schmochtitz im<br />

Ambiente des Bischof-Benno-Hauses.<br />

3. Ein Zwischenfazit<br />

Neue Produktlinien im wirtschaftlichen <strong>und</strong> touristischen Bereich werden im Regionalmanagement<br />

vorbereitet <strong>und</strong> dabei sowohl methodisch als auch fi nanziell unterstützt.<br />

Hierzu zählten sowohl Projekte im Wirtschaftsbereich (z. B. die Unterstützung <strong>und</strong><br />

Professionalisierung <strong>der</strong> Arbeit branchenorientierter Netzwerke), im Tourismusbereich<br />

(Ferienstraße „Handwerk erleben“, Route <strong>der</strong> Industriekultur) sowie Regionalmarketingprojekte<br />

(z. B. Vermarktung <strong>der</strong> überregional bedeutsamen Industriestandorte, Vermarktung<br />

<strong>der</strong> Radwan<strong>der</strong>wege <strong>und</strong> -angebote <strong>der</strong> Lausitz). Die MGO ist Träger des Regionalmanagement,<br />

das sich als Instrument <strong>der</strong> Produktentwicklung <strong>und</strong> des Binnenmarketing<br />

zu einem dauerhaften dritten Geschäftsbereich entwickelt hat.<br />

Pfeiler <strong>der</strong> positiven Entwicklung <strong>der</strong> Wirtschafts- <strong>und</strong> Ferienregion waren <strong>und</strong> sind<br />

vor allem:


Die <strong>Oberlausitz</strong> – ein Modell für partnerschaftliches Regionalmarketing 93<br />

• das Engagement <strong>der</strong> Leistungsanbieter „vor Ort“,<br />

• die neuen, leistungsfähigen regionalen Strukturen unter Einbindung <strong>der</strong> Leistungsanbieter<br />

in die Produktentwicklung <strong>und</strong> Vermarktung,<br />

• die kontinuierliche, zielgerichtete Marketingarbeit auf <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>lage von einheitlichen<br />

Leitbil<strong>der</strong>n (<strong>Oberlausitz</strong>, ERN) <strong>und</strong> die daraus folgende Erkennbarkeit <strong>der</strong> Region<br />

als Ganzes,<br />

• eine klare Schwerpunktsetzung bezüglich Hauptvermarktungslinien in Schlüsselbranchen<br />

<strong>der</strong> Wirtschaft, bei Industriegebieten <strong>und</strong> im Tourismus,<br />

• Zuwächse in zentralen Bereichen (z. B. Bahntechnik; Bustouristik <strong>und</strong> Radwan<strong>der</strong>n),<br />

• Neue Produkte <strong>und</strong> Produktlinien (<strong>Oberlausitz</strong>er Kunststofftechnik, Netzwerk Mikrowellentechnik/Lausitzer<br />

Fischwochen, Handwerkerstraße, Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendtourismus),<br />

• die zielgruppenorientierte Ansprache von K<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Multiplikatoren (Imagewerbung,<br />

Pressearbeit <strong>und</strong> Journalistenreisen, Angebote für Multiplikatoren, Unternehmer,<br />

Reiseveranstalter etc.), die enge Kooperation in <strong>der</strong> Region <strong>und</strong> die gleichzeitige Nutzung<br />

größerer Plattformen (wie etwa <strong>der</strong> Wirtschaftsför<strong>der</strong>ung Sachsen, <strong>der</strong> IHK Dresden, <strong>der</strong><br />

Tourismus-Marketing Gesellschaft Sachsen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Euroregion Neisse-Nisa-Nysa).<br />

Ausgehend davon gilt es, <strong>der</strong> komplexen Aufgabe <strong>der</strong> Marktpräsenz zum Nutzen <strong>der</strong><br />

gewerblichen Produzenten <strong>und</strong> touristischen Leistungsanbieter durch die Verstetigung<br />

begonnener Kommunikationsformen im Innen- <strong>und</strong> Außenmarketing dauerhaft gerecht<br />

zu werden. Das setzt die weitere Bündelung von verfügbaren Ressourcen (fi nanzielle Mittel,<br />

Know-How, Personal- <strong>und</strong> Organisationskapazitäten) <strong>der</strong> Region voraus <strong>und</strong> bedingt<br />

die Fortführung <strong>der</strong> engen Partnerschaft zwischen den Gebietsgemeinschaften einerseits<br />

sowie zwischen <strong>der</strong> öffentlichen Verwaltung <strong>und</strong> privaten Trägern <strong>der</strong> wirtschaftlichen<br />

Entwicklung an<strong>der</strong>erseits.


94 Wolfgang Gerstelberger<br />

Regionales Innovationssystem <strong>Oberlausitz</strong>: Quo vadis?<br />

WOLFGANG GERSTLBERGER<br />

„Mögen hätt’ ich schon wollen,<br />

aber dürfen hab ich mich nicht getraut!<br />

(Karl Valentin)<br />

1. Regionale Innovationssysteme als konzeptioneller Rahmen<br />

Die Unterstützung innovativer regionaler Milieus, Cluster <strong>und</strong> Netzwerke als för<strong>der</strong>liches<br />

Umfeld für Unternehmen hat sich mittlerweile in <strong>der</strong> <strong>Regionalentwicklung</strong> <strong>und</strong><br />

-planung etabliert. In <strong>der</strong> Sprache <strong>der</strong> Innovationsforschung soll die <strong>Regionalentwicklung</strong><br />

dazu beitragen, ein Regionales Innovationssystem (RIS) aufzubauen <strong>und</strong> kontinuierlich<br />

weiterzuentwickeln.<br />

Was verbirgt sich hinter diesem etwas sperrigen Begriff „Regionales Innovationssystem“?<br />

Eine weit verbreitete Defi nition lautet: „… places where close interfi rm communications,<br />

social structures, and institutional environment may stimulate socially and territorially embedded<br />

collective learning and continuous innovation.“ 1<br />

Versucht man diese Fachterminologie <strong>der</strong> Innovationsforscher in eine leichter verständliche<br />

<strong>und</strong> stärker praxisorientierte Sprache zu übersetzen, erfüllt ein RIS beispielsweise<br />

folgende Funktionen (Abb. 1):<br />

• Unternehmen fi nden in direkter räumlicher Nähe fachlich geeignete, vertrauenswürdige<br />

<strong>und</strong> kooperationsbereite weitere Unternehmen sowie Hochschulen <strong>und</strong> Forschungseinrichtungen<br />

für Innovationskooperationen in „ihrer“ Region;<br />

• regionale Finanzinstitute (öffentliche <strong>und</strong> private Banken, Sparkassen) stellen ausreichend<br />

Risikokapital für technologieorientierte Existenzgrün<strong>der</strong> <strong>und</strong> junge Unternehmen<br />

bereit;<br />

• Beschäftigte, Führungskräfte <strong>und</strong> Unternehmen können bei Bedarf ohne lange Anreise<br />

<strong>und</strong> hohe Übernachtungskosten auf „maßgeschnei<strong>der</strong>te“ sowie hochwertige Aus- <strong>und</strong><br />

Weiterbildungsangebote zurückgreifen;<br />

1 Deutsche Übersetzung: „… Orte, an welchen die enge Kommunikation zwischen Unternehmen, soziale Strukturen <strong>und</strong><br />

die institutionelle Umwelt sozial sowie territorial eingebettetes kollektives Lernen <strong>und</strong> kontinuierliche Innovation stimulieren<br />

können.“ (Asheim, Isaksen 2002; vgl. für weiterführende Literatur GERSTLBERGER 2004a; b).


Regionales Innovationssystem <strong>Oberlausitz</strong>: Quo vadis? 95<br />

• es existieren effektive „kurze Drähte“ zwischen Unternehmen, Verwaltungsleitungen<br />

<strong>und</strong> Kommunalpolitikern, die Problemlösungen auf dem „kleinen Dienstweg“ ermöglichen;<br />

• Unwichtige Unternehmensk<strong>und</strong>en sowie -zulieferer befi nden sich vor Ort in <strong>der</strong> eigenen<br />

Region <strong>und</strong> können leicht in Forschungs- <strong>und</strong> Innovationsprojekte eingeb<strong>und</strong>en<br />

werden.<br />

Die in diesen Beispielen genannten Akteure – Unternehmen, Hochschulen, Forschungsinstitute,<br />

Technologiezentren, Aus- <strong>und</strong> Weiterbildungseinrichtungen, Finanzinstitute,<br />

öffentliche Verwaltungen, Kommunalpolitiker sowie K<strong>und</strong>en bzw. Anwen<strong>der</strong><br />

– wirken in unterschiedlichsten Konstellationen zusammen. Die Qualität dieses Zusammenwirkens<br />

begründet die Leistungsfähigkeit eines Regionalen Innovationssystems. Je<br />

effektiver das Zusammenwirken ausfällt, desto höher ist die Leistungsfähigkeit eines RIS<br />

<strong>und</strong> desto größer sind damit die innovationsför<strong>der</strong>lichen Effekte für einzelne Unternehmen,<br />

Hochschulen sowie Forschungseinrichtungen.<br />

Abb. 1: RIS-Gr<strong>und</strong>modell<br />

RIS sind aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Vielzahl <strong>der</strong> beteiligten Akteure <strong>und</strong> <strong>der</strong> Vielschichtigkeit<br />

ihrer Interaktionen äußerst komplex. Es werden daher häufi g Schichten- o<strong>der</strong> Schalenmodelle<br />

verwendet, um diese Komplexität modellhaft <strong>und</strong> damit verallgemeinerbar zu<br />

reduzieren. Gelegentlich wird auch das Bild einer Zwiebel mit Kern <strong>und</strong> vielfältigen<br />

Häuten herangezogen, um die Funktionsweise Regionaler Innovationssysteme bildhaft<br />

vereinfacht zusammenzufassen. Verwendet man diese bildhafte Darstellung, bezeichnet<br />

<strong>der</strong> Kern konkrete Innovationsprojekte in <strong>und</strong>/o<strong>der</strong> zwischen einzelnen Unternehmen<br />

<strong>und</strong> Forschungseinrichtungen.<br />

Das Spektrum dieser Zusammenarbeit reicht von <strong>der</strong> einmaligen, bilateralen Auftragsforschung<br />

bis hin zu langfristigen, multilateralen <strong>und</strong> hochkomplexen Innovationsnetzwerken.<br />

Aktuelle Beispiele hierfür fi nden sich in <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> etwa für die<br />

Mikrowellen-, Oberfl ächen- <strong>und</strong> Bahntechnik o<strong>der</strong> die Textilveredelung, Informatik<br />

sowie Automobilzulieferer. Auf Dauer angelegte Netzwerke werden, z. B. in Form <strong>der</strong><br />

Initiativen NEMO (Netzwerkmanagement Ost), Innovationsprofi le bzw. -foren o<strong>der</strong><br />

Regionale Wachstumskerne, häufi g unmittel- o<strong>der</strong> mittelbar durch öffentliche För<strong>der</strong>programme<br />

unterstützt.


96 Wolfgang Gerstelberger<br />

Derartige Formen <strong>der</strong> direkten fi nanziellen o<strong>der</strong> indirekten För<strong>der</strong>ung (z. B. durch<br />

Steuer erleichterungen o<strong>der</strong> Informationsangebote) lassen sich in unserem Zwiebelmodell<br />

als einzelne Häute bzw. Schichten o<strong>der</strong> Schalen veranschaulichen. Diese Schalen „versorgen“<br />

– um im Bild zu bleiben – den Kern mit för<strong>der</strong>lichen „Nährstoffen“ in Form<br />

nützlicher Ressourcen (Finanzmittel, Personal, Informationen etc.). Aus- <strong>und</strong> Weiterbildungseinrichtungen,<br />

Branchen- sowie Unternehmensverbände, Kammern <strong>und</strong> nichtkommerzielle<br />

Beratungsstellen o<strong>der</strong> diverse Public Private Partnerships (z. B. Ausbildungsverbünde,<br />

Technologie- <strong>und</strong> Transferzentren, Regionalmanagement) bilden zusätzliche<br />

mögliche RIS-Schichten.<br />

Je weiter die unterscheidbaren Schalen räumlich <strong>und</strong>/o<strong>der</strong> inhaltlich vom RIS-Kern<br />

entfernt sind, desto mittelbarer fallen ihre Unterstützungsleistungen für (kooperierende)<br />

Unternehmen <strong>und</strong> Forschungseinrichtungen aus. Einzelne RIS-Organisationen, häufi g<br />

auch als Elemente o<strong>der</strong> Komponenten bezeichnet, beschränken ihre Tätigkeit z. B.<br />

auf Lobbyarbeit o<strong>der</strong> die schlichte Bereitstellung von Informationsmaterialien. Dieses<br />

Gr<strong>und</strong>muster Regionaler Innovationssysteme mit einem produktiven Kern <strong>und</strong> diversen,<br />

davon mehr o<strong>der</strong> weniger weit entfernten, unterstützenden Umhüllungen, lässt sich<br />

global für unterschiedlichste Regionen feststellen. 2<br />

Die „Dicke“ (quantitative Bedeutung) <strong>und</strong> qualitative Ausprägung einzelner Schichten<br />

unterscheidet sich jedoch – zum Teil f<strong>und</strong>amental. Während beispielsweise in EU-<br />

Europa die öffentlich fi nanzierten Schalen vergleichsweise dick sind, liegt <strong>der</strong> Fokus in<br />

den USA stärker auf <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung privater <strong>und</strong> öffentlich-privater RIS-Organisationen.<br />

Beispielsweise ist in den USA die Bedeutung privater Universitäten <strong>und</strong> Forschungseinrichtungen<br />

nach wie vor wesentlich größer für das Innovationsmanagement <strong>der</strong> Unternehmen<br />

als in EU-Europa. 3<br />

Gerade mit Blick auf wirtschaftlich struktur- sowie innovationsschwache Regionen<br />

wie die <strong>Oberlausitz</strong> stellt sich angesichts <strong>der</strong>artiger Bef<strong>und</strong>e immer auch die Frage, ob<br />

<strong>und</strong> inwieweit überhaupt bereits von einem Regionalen Innovationssystem ausgegangen<br />

werden kann. Wahrscheinlich wäre es im Fall <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> realistischer, von „RIS-<br />

Ansätzen“ zu sprechen.<br />

2. Existiert ein Regionales Innovationssystem <strong>Oberlausitz</strong>?<br />

Je<strong>der</strong> <strong>der</strong> hier anwesenden Konferenzteilnehmer kennt sehr erfolgreiche RIS, wenn auch<br />

häufi g nicht unter diesem Begriff. In Regionen wie Silicon Valley, Boston, München,<br />

Stuttgart, jedoch auch Dresden o<strong>der</strong> Jena – zwei Beispiele in den neuen B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong>n<br />

– lassen sich erfolgreiche RIS förmlich mit Händen greifen. Die mo<strong>der</strong>nen Fassaden<br />

von High-Tech-Unternehmen <strong>und</strong> Fraunhofer- o<strong>der</strong> Max-Planck-Instituten sind nicht<br />

zu übersehen. Hier in <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> sieht das sicherlich an<strong>der</strong>s aus. Sofern man überhaupt<br />

von einem „Regionalen Innovationssystem <strong>Oberlausitz</strong>“ sprechen kann, wird es<br />

eher auf den zweiten Blick sichtbar.<br />

2 Vgl. GERSTLBERGER 2004a; b.<br />

3 Vgl. GERSTLBERGER 2004a; b.


Regionales Innovationssystem <strong>Oberlausitz</strong>: Quo vadis? 97<br />

Lassen Sie mich an dieser Stelle nur einige wichtige Schlagworte als Illustration nennen:<br />

4<br />

• Innovationsnetzwerke mit den Schwerpunkten Mikrowellen-, Oberfl ächen- <strong>und</strong><br />

Textiltechnik („InnoRegio“, Euroregion Neiße), Automobil-Zulieferer, Energie- <strong>und</strong><br />

Informationstechnik,<br />

• Sächsische Verb<strong>und</strong>initiative <strong>und</strong> NEMO-Projekte im Bereich <strong>der</strong> Bahntechnik <strong>und</strong><br />

des Technologiezentrums Bautzen (TGZ GmbH),<br />

• NEMO-Projekt <strong>und</strong> Initiative für einen Regionalen Wachstumskern im Bereich<br />

<strong>der</strong> Mikrowellentechnologie sowie „Grün<strong>der</strong>akademie“ in <strong>Zittau</strong> (Hochschule <strong>Zittau</strong>/<br />

Görlitz, Internationales Hochschulinstitut – <strong>IHI</strong> – <strong>Zittau</strong>),<br />

• grenzüberschreitende Eurotextilregion <strong>und</strong> Akademisches Coordinierungs-Conzil<br />

(ACC) <strong>der</strong> Hochschulen im Dreilän<strong>der</strong>eck,<br />

• vielfältige Aktivitäten <strong>der</strong> Marketinggesellschaft <strong>Oberlausitz</strong> (MGO) <strong>und</strong> Ihrer Regionalmanager<br />

sowie im Umfeld <strong>der</strong> Görlitzer Kulturhauptstadt-Bewerbung,<br />

• Wie<strong>der</strong>belebung <strong>der</strong> Energieökologischen Modellstadt Ostritz,<br />

• abgestimmte Regionalplanung „kleines Dreieck“ (<strong>Zittau</strong>/Bogatynia/Hradek),<br />

• 3CIP-Projekt im Rahmen des INTERREG-IIIC-Programms <strong>der</strong> EU,<br />

• Weiterbildungsnetzwerke wie PONTES („Lernende Regionen“, BMBF) mit dem<br />

Schwerpunkt <strong>Zittau</strong>/Görlitz o<strong>der</strong> Qualifi zierungsverbünde im TGZ Bautzen.<br />

Alle diese Bausteine <strong>der</strong> <strong>Regionalentwicklung</strong> in <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> haben ohne Zweifel<br />

ihre Verdienste hinsichtlich <strong>der</strong> Setzung innovationsför<strong>der</strong>licher Impulse für die regionalen<br />

Unternehmen sowie Hochschulen <strong>und</strong> Forschungseinrichtungen.<br />

Ein effektives Regionales Innovationssystem ergibt sich jedoch angesichts von in <strong>der</strong><br />

<strong>Oberlausitz</strong> vorhandenen Innovationsnetzwerken <strong>und</strong> -projekten <strong>der</strong>zeit noch nicht.<br />

Die nachfolgend dargestellte SWOT-Analyse 5 (Abb. 2) versucht dies zu belegen. Als<br />

Basis für die Erstellung fanden vor allem die folgenden Quellen Verwendung: 6<br />

• Regional- <strong>und</strong> innovationsökonomische Potentialanalyse, 7<br />

• Dokumentation SIRE-/FES-Tagung 2006 („<strong>Chancen</strong> Regionaler Wirtschaftsentwicklung“),<br />

• Vorüberlegungen <strong>und</strong> -studien für ein Polnisch-Deutsches Tourismusbarometer,<br />

• Ergebnisbericht 3CIP-Projekt.<br />

Darüber hinaus sind praktische Erfahrungen aus <strong>der</strong> eigenen Tätigkeit in <strong>und</strong> mit<br />

den angeführten Innovations- sowie Weiterbildungsnetzwerken <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> eingefl<br />

ossen, soweit dies im Rahmen einer <strong>der</strong>artigen Analyse möglich ist.<br />

4 Vgl. BESOLD u. a. 2005 sowie dort genannte Quellen; <strong>IHI</strong> <strong>Zittau</strong> 2006.<br />

5 SWOT steht für Strengths (Stärken), Weaknesses (Schwächen), Opportunities (<strong>Chancen</strong>) <strong>und</strong> Threads (Risiken).<br />

6 Vgl. <strong>IHI</strong> <strong>Zittau</strong> 2006.<br />

7 Vgl. BESOLD u. a. 2005.


98 Wolfgang Gerstelberger<br />

Stärken<br />

• Nähe zu F&E-Potentialen in Polen,<br />

Tschechien<br />

(Beispiel Textil-/Keramikcluster<br />

Liberec)<br />

• kooperationswillige <strong>und</strong> -fähige<br />

Unternehmen<br />

• funktionierende F&E/<br />

Innovationsnetzwerke<br />

• kurze Wege zwischen Unternehmen,<br />

Politik, Verwaltung <strong>und</strong> Wissenschaft<br />

• hoher Anteil ausländischer<br />

Studieren<strong>der</strong> <strong>und</strong> Wissenschaftler<br />

(Technologie- <strong>und</strong> Wissenstransfer)<br />

<strong>Chancen</strong><br />

• Intensivierung sachsenweiter <strong>und</strong><br />

grenzüberschreiten<strong>der</strong> Innovations-<br />

<strong>und</strong> Wissenstransfer<br />

• administrative Neuordnung<br />

(„Kreisreform“)<br />

• Ausbau <strong>der</strong> Inkubatorenfunktion<br />

(Existenzgründung, systematische<br />

Nachwuchsför<strong>der</strong>ung) <strong>der</strong><br />

Hochschulen<br />

• verstärkte För<strong>der</strong>ung von<br />

Dienstleistungs-Innovationen (z. B.<br />

Edutainment-Themenparks, unternehmensnahe<br />

Ingenieur-/Beratungsleistungen)<br />

Abb. 2: RIS-SWOT-Analyse <strong>Oberlausitz</strong><br />

Schwächen<br />

• Schwache gemeinsame strategische<br />

Orientierung auf Zukunftscluster<br />

(kein – grenzüberschreitendes – „RIS-<br />

Leitbild“)<br />

• geringe Anzahl RIS-Promotoren<br />

• schwache Innovationsforen für<br />

<strong>Oberlausitz</strong> als Ganzes<br />

• ausbaubares F&E- <strong>und</strong><br />

Innovationsprofi l <strong>der</strong> deutschen<br />

Hochschulen i. S. v. Bündelung (z. B.<br />

Renaissance „Energiehochschule<br />

<strong>Zittau</strong>“)<br />

• fehlendes regionales Risikokapital für<br />

Grün<strong>der</strong>/junge Unternehmen<br />

• ausbaubarer sachsenweiter <strong>und</strong><br />

grenzüberschreiten<strong>der</strong> Technologie-<br />

<strong>und</strong> Wissenstransfer<br />

Risiken<br />

• Stärkere Konzentration von<br />

EU-, B<strong>und</strong>es- <strong>und</strong> Landes-<br />

Innovationsför<strong>der</strong>ung auf<br />

Zentren<br />

• administrative Neuordnung<br />

(„Kreisreform“)<br />

• anhaltende Abwan<strong>der</strong>ung junger<br />

Fach- <strong>und</strong> Führungskräfte<br />

• Zersplitterung von (potentiellen)<br />

Innovationsressourcen<br />

3. Szenarien <strong>der</strong> Regional- <strong>und</strong> RIS-Entwicklung in <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong><br />

Dieser Beitrag steht unter <strong>der</strong> Abschnittsüberschrift „Visionen – Regionale Vorausschau“.<br />

Die diesbezüglich <strong>der</strong>zeit noch vielen offenen Fragen, die angemessene empirische Methoden<br />

<strong>und</strong> Methodologien für die Entwicklung belastbarer Szenarien <strong>der</strong> <strong>Regionalentwicklung</strong><br />

betreffen, sind Gegenstand mehrer weiterer Aufsätze dieses Bandes. Hier soll<br />

ergänzend aus <strong>der</strong> grenzüberschreitenden RIS-Perspektive diskutiert werden, welche prakti-


Regionales Innovationssystem <strong>Oberlausitz</strong>: Quo vadis? 99<br />

schen Handlungsempfehlungen bereits heute aufgr<strong>und</strong> bisheriger regionaler Szenarien <strong>und</strong><br />

vorliegen<strong>der</strong> Erfahrungen für die <strong>Oberlausitz</strong> möglich sind.<br />

Derartige Szenarien sollten aus Sicht <strong>der</strong> Innovationspraxis <strong>und</strong> Forschungseinrichtungen<br />

vorrangig Fragen hinsichtlich folgen<strong>der</strong> Aspekte berücksichtigen:<br />

• Optimales räumliches Einzugsgebiet eines o<strong>der</strong> mehrerer RIS in <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> – unter<br />

Einbeziehung <strong>der</strong> polnischen <strong>und</strong> tschechischen Nachbarregionen;<br />

• Zeithorizont (kurz-, mittel- <strong>und</strong> langfristig);<br />

• Berücksichtigung politisch-administrativer Grenzen (Stichwort Kreisreform);<br />

• Konzentration auf bestimmte (Teil-)Branchen, Unternehmenstypen, Disziplinen<br />

<strong>und</strong>/o<strong>der</strong> Technologien mit jeweiligen Angeboten <strong>und</strong> Nachfragen;<br />

• für das bzw. die RIS mobilisierbare „Human Resources“ (z. B. Studenten, Absolventen,<br />

Nachwuchswissenschaftler, Alumni, Existenzgrün<strong>der</strong>);<br />

• mögliche Promotoren, Multiplikatoren <strong>und</strong> Foren (Abstimmungsplattformen) für<br />

Innovationsprojekte in Wirtschaft, Wissenschaft, Politik <strong>und</strong> Verwaltung;<br />

• Zuliefer- <strong>und</strong> K<strong>und</strong>enbeziehungen;<br />

• landes-, b<strong>und</strong>es- <strong>und</strong> EU-weite Innovationstrends sowie politische Rahmenbedingungen<br />

(z. B. Transformationsprozesse o<strong>der</strong> För<strong>der</strong>schwerpunkte);<br />

• bisherige positive <strong>und</strong>/o<strong>der</strong> negative Erfahrungen mit diesen Aspekten.<br />

Ein erstes mögliches Szenario für die Entwicklung des Regionalen Innovationssystems<br />

<strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> unter Einbeziehung dieser praktischen Gestaltungsfragen lässt sich<br />

mit Fragmentierung o<strong>der</strong> Dezentralisierung versus Zusammenwachsen o<strong>der</strong> Kohärenz zusammenfassen.<br />

Was ist darunter zu verstehen?<br />

Im Falle einer fragmentierten regionalen RIS-Landschaft bilden sich in den Mittel- <strong>und</strong><br />

Oberzentren <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> lokale o<strong>der</strong> kommunale Innovationssysteme mit jeweils<br />

begrenzten räumlichen Einzugsgebieten heraus. Bautzen, Görlitz, <strong>Zittau</strong> <strong>und</strong> vielleicht<br />

auch noch Kamenz, Meißen o<strong>der</strong> Rothenburg würden die Zentren dieser dezentralen<br />

Regionalen Innovationssysteme sein.<br />

Was wären die Konsequenzen?<br />

In positiver Hinsicht könnten Transaktionskosten <strong>der</strong> RIS-Gestaltung <strong>und</strong> <strong>Regionalentwicklung</strong><br />

gering gehalten werden. Regionweite Institutionen sind o<strong>der</strong> werden weitgehend<br />

verzichtbar. Überschaubare Projektzuschnitte <strong>und</strong> kurze Wege wären <strong>der</strong> Regelfall.<br />

Lokale Innovationsangebote <strong>und</strong> -nachfragen lassen sich vergleichsweise einfach in<br />

Übereinstimmung bringen.<br />

Als negative Konsequenz ist einerseits anzunehmen, dass notwendige kritische<br />

Massen für größere Innovationsprojekte (z. B. Regionale Wachstumskerne, langfristige<br />

Sicherung <strong>der</strong> Hochschulstandorte in Bautzen, Görlitz, <strong>Zittau</strong>) nicht erreicht werden<br />

können. Was an<strong>der</strong>erseits die grenzüberschreitende Innovationszusammenarbeit mit den<br />

Nachbarregionen in Polen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Tschechischen Republik angeht, sind unkoordinierte<br />

<strong>und</strong> daher wenig effektive Initiativen von sächsischer Seite wahrscheinlich. Vieles deutet<br />

zudem darauf hin, dass in zeitlicher Perspektive angesichts einer <strong>der</strong>art fragmentierten


100 Wolfgang Gerstelberger<br />

RIS-Landschaft langfristige Strategien zu Gunsten kurz- <strong>und</strong> mittelfristiger Maßnahmen<br />

vernachlässigt würden. 8<br />

Was spricht dafür?<br />

Analysiert man die o. g. Projekte, Kooperationen <strong>und</strong> Dokumentationen, fi ndet man<br />

bisher zumindest auf <strong>der</strong> „Arbeitsebene“ einzelner Innovationsprojekte <strong>und</strong> -netzwerke<br />

kaum Projektinitiativen, welche die gesamte <strong>Oberlausitz</strong> als zusammen wachsendes<br />

Einzugsgebiet thematisieren. Die Zuschnitte sind eher kleinräumlicher (z. B. NEMO-<br />

Projekte) o<strong>der</strong> großfl ächiger angelegt (z. B. Verb<strong>und</strong>initiative Bahntechnik Sachsen,<br />

3CIP-Projekt).<br />

Demgegenüber existieren – als weiter außen befi ndliche Schalen unserer „RIS-Zwiebel<br />

– durchaus einige ausbaubare Ansätze für ein RIS <strong>Oberlausitz</strong>: MGO <strong>und</strong> Regionalmanager,<br />

Arbeitskreise <strong>der</strong> Innovationsmanager sowie Wirtschaftsför<strong>der</strong>er, Regionalkonferenz<br />

„Wirtschaft – Schule – Wissenschaft“ im März 2006. Die Wahrscheinlichkeit <strong>der</strong><br />

(weiteren) Realisierung dieses Szenarios wird darüber hinaus sicherlich auch von <strong>der</strong><br />

zukünftigen politisch-administrativen Entwicklung beeinfl usst. Ein „Großkreis <strong>Oberlausitz</strong>“<br />

könnte beispielsweise die RIS-Fragmentierung u. a. stärker hemmen als eine<br />

kleinteilige Verwaltungs- <strong>und</strong> Kreisreform mit zwei o<strong>der</strong> drei Kreisen.<br />

Ein zweites mögliches Szenario ließe sich mit Bipolarität o<strong>der</strong> Dualität überschreiben.<br />

Was ist darunter zu verstehen?<br />

Bipolarität meint, dass sich in <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> (weiterhin) zwei zentrale – teils kooperierende,<br />

teils im Wettbewerb stehende – Regionale Innovationssysteme herausbilden:<br />

Eines in <strong>der</strong> Region Bautzen <strong>und</strong> ein zweites in <strong>der</strong> Region Görlitz/<strong>Zittau</strong>. Bautzen<br />

verfügt über das bedeutendste Technologiezentrum in <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> sowie eine<br />

Berufsakademie <strong>und</strong> ist Sitz mehrerer wichtiger Innovationsnetzwerke (z. B. NEMO-<br />

Projekte, Verb<strong>und</strong>initiative Bahntechnik Sachsen). Görlitz/<strong>Zittau</strong> ist demgegenüber <strong>der</strong><br />

(Haupt-)Sitz jeweils einer Fachhochschule (Hochschule <strong>Zittau</strong>/Görlitz) <strong>und</strong> Universität<br />

(<strong>IHI</strong> <strong>Zittau</strong>) sowie <strong>der</strong> Kreisentwicklungsgesellschaft Löbau/<strong>Zittau</strong> <strong>und</strong> eines weiteren<br />

wichtigen Technologiezentrums für die <strong>Oberlausitz</strong>.<br />

An beiden Standorten dominieren eindeutig kleine <strong>und</strong> mittlere Unternehmen<br />

(KMU) als Unternehmensform. Größere Unternehmensstandorte wie Bombardier o<strong>der</strong><br />

Siemens sind gleichermaßen Ausnahmen. Mit dem Allgemeinen Unternehmerverband<br />

(AUV) in <strong>Zittau</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> regionalen Glie<strong>der</strong>ung des B<strong>und</strong>esverbandes <strong>der</strong> Mittelständischen<br />

Wirtschaft (BVMW) in Bautzen sowie den jeweiligen Außenstellen <strong>der</strong> IHK<br />

Dresden verfügen beide RIS-Zentren über wichtige Schnittstellen zwischen Wirtschaft,<br />

Politik <strong>und</strong> Verwaltung.<br />

Was wären die Konsequenzen?<br />

Eine bipolare RIS-Gestaltung in <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> bietet einerseits die Chance einer produktiven,<br />

intelligenten Aufgaben- <strong>und</strong> Arbeitsteilung zwischen den beiden Innovationszentren<br />

im Sinne von Branchen-, K<strong>und</strong>en-/Zulieferer-, Wissenschafts- o<strong>der</strong> Technologie-<br />

8 Vgl. GERSTLBERGER 2004a für vergleichbare Erfahrungen in Bremen, Baden-Württemberg <strong>und</strong> Nordhessen.


Regionales Innovationssystem <strong>Oberlausitz</strong>: Quo vadis? 101<br />

schwerpunkten. An<strong>der</strong>erseits besteht das Risiko <strong>der</strong> unproduktiven Konkurrenz sowie<br />

Zersplitterung knapper Human- <strong>und</strong> Finanzressourcen. Im Gegensatz zu einer stärker<br />

dezentralisierten RIS-Organisation ist aus politischer <strong>und</strong> administrativer Perspektive<br />

eine Entwicklung mit zwei Polen effi zienter gestalt- <strong>und</strong> planbar.<br />

Was spricht dafür?<br />

Nach bisherigen Erfahrungen spricht vieles für eine (weitere) duale RIS-Entwicklung.<br />

Die Innovationsaktivitäten in <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> konzentrieren sich im Regelfall jeweils<br />

auf eines <strong>der</strong> beiden Zentren Bautzen o<strong>der</strong> Görlitz/<strong>Zittau</strong>. Verbindende Aktivitäten sind<br />

eher in den äußeren, mittelbar unterstützenden RIS-Schichten angesiedelt. Für mögliche<br />

unproduktive Konkurrenzsituationen fi nden sich zwar aktuell wenige Hinweise. Einiges<br />

deutet jedoch auf bisher nicht o<strong>der</strong> wenig ausgeschöpfte Kooperationspotentiale hin.<br />

Es gibt bisher beispielsweise kaum Kontakte zwischen <strong>der</strong> Berufsakademie (BA) einerseits<br />

<strong>und</strong> den beiden Hochschulen in Görlitz/<strong>Zittau</strong> an<strong>der</strong>erseits. Dadurch werden<br />

insofern Innovationschancen vergeben, als BA-Absolventen noch sehr viel öfter ihre regionale,<br />

praxisorientierte Ausbildung (demnächst Bachelorabschluss) in Master-Studiengängen<br />

des <strong>IHI</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> Hochschule <strong>Zittau</strong>/Görlitz fortsetzen könnten. Ähnliches gilt<br />

für die jeweiligen Technologiezentren: Gemeinsame Aktivitäten beschränken sich bisher<br />

überwiegend auf die lockere Zusammenarbeit in Arbeitskreisen.<br />

Als drittes <strong>und</strong> Negativszenario ist die RIS-Rückbildung o<strong>der</strong> Entstehung von Satelliten-RIS<br />

denkbar.<br />

Was ist darunter zu verstehen?<br />

Dieses Negativszenario beschreibt die Möglichkeit, dass die RIS-Infrastruktur <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong><br />

langfristig ausgedünnt <strong>und</strong>/o<strong>der</strong> in Zentren mit stärkerer Wirtschaftskraft (wie<br />

z. B. Chemnitz, Dresden o<strong>der</strong> auch Liberec) verlagert wird. Dies könnte z. B. auf dem<br />

Wege <strong>der</strong> Schließung, Verkleinerung o<strong>der</strong> Verlagerung von Hochschulen o<strong>der</strong> Technologiezentren<br />

geschehen. Die bisherigen RIS-Ansätze in Bautzen <strong>und</strong> Görlitz/<strong>Zittau</strong><br />

würden in diesem Falle ihre Eigenständigkeit verlieren <strong>und</strong> zunehmend „fremdgesteuert“<br />

werden.<br />

Was wären die Konsequenzen?<br />

In volkswirtschaftlicher Perspektive mag dieses Szenario unter bestimmten Bedingungen<br />

seine Berechtigung haben: Sofern knappe Ressourcen durch stärkere Bündelung effi zienter<br />

eingesetzt werden können. Aus <strong>der</strong> Sicht einer nachhaltigen Unternehmens- <strong>und</strong><br />

<strong>Regionalentwicklung</strong> besteht jedoch die strukturelle Gefahr, dass langfristig angelegte<br />

Innovationsnetzwerke sowie essentiell wichtige Foren <strong>und</strong> Promotoren für innovationsför<strong>der</strong>liche<br />

Milieus unwie<strong>der</strong>bringlich ihre organisatorische Basis verlieren.<br />

Was spricht dafür?<br />

Akute <strong>und</strong>/o<strong>der</strong> eindeutige Anzeichen für ein <strong>der</strong>artiges Negativszenario hinsichtlich<br />

einer nachhaltigen <strong>Regionalentwicklung</strong> <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> lassen sich <strong>der</strong>zeit auf <strong>der</strong> Basis<br />

öffentlich verfügbarer Informationen (noch) nicht ausmachen. Die von <strong>der</strong> sächsischen<br />

Landesregierung beschlossene Verwaltungs- bzw. Kreisreform („Großkreise“), das Aus-


102 Wolfgang Gerstelberger<br />

laufen des „Hochschulpaktes“ (zeitweilige Bestandsgarantie für die Hochschulen) in<br />

Sachsen <strong>und</strong> die Beendigung <strong>der</strong> laufenden För<strong>der</strong>periode <strong>der</strong> EU-Regionalfonds (2008)<br />

markieren jedoch Ansatzpunkte für bevorstehende RIS-Neuordnungen.<br />

Die Ausgangslage für eine eigenständige RIS-Entwicklung in <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> ist dabei<br />

nicht optimal, da bereits heute überdurchschnittlich viele wichtige innovationspolitische<br />

Entscheidungen regelmäßig außerhalb <strong>der</strong> Region getroffen werden. 9 Die folgenden<br />

kursorischen Beispiele mögen dies veranschaulichen: Entscheidungen über die Verwendung<br />

von Risikokapital o<strong>der</strong> För<strong>der</strong>mittel für regionale Innovationsprojekte werden<br />

regelmäßig in Berlin, Dresden o<strong>der</strong> Leipzig gefällt.<br />

Ein viertes <strong>und</strong> positives Szenario ließe sich schließlich mit Aktive Renaissance <strong>und</strong><br />

Grenzüberschreitendes RIS umschreiben.<br />

Was ist darunter zu verstehen?<br />

Dieses Positivszenario unterstellt einen qualitativen Sprung in <strong>der</strong> RIS-Entwicklung:<br />

Einerseits würde aktiv an traditionelle Stärken <strong>der</strong> <strong>Regionalentwicklung</strong> <strong>und</strong> des Innovationsgeschehens<br />

in <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> angeknüpft („Renaissance“). An<strong>der</strong>erseits ließen<br />

sich diese Stärken zunehmend gemeinsam mit den Nachbarregionen in Polen <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Tschechischen Republik nutzen. Traditionell wichtige, gr<strong>und</strong>sätzlich re-aktivierbare<br />

Innovationspotentiale existieren beispielsweise in <strong>der</strong> Energietechnik (Stichwort „Energiehochschule<br />

<strong>Zittau</strong>“), Bahntechnik, Textilindustrie sowie in den Dienstleistungsbereichen<br />

Tourismus <strong>und</strong> Kultur. Unten neuen Vorzeichen wie „regenerative Energietechnik“<br />

(Stichwort „Regio Sustain“), „Mobilitätsmanagement/Telematik“, „intelligente Textilien“<br />

o<strong>der</strong> „Edutainment“ (Verbindung von Erziehung, Information <strong>und</strong> Unterhaltung,<br />

z. B. in Themenparks) werden diese RIS-Potentiale <strong>der</strong>zeit wie<strong>der</strong> aufgegriffen.<br />

Dabei wird in vielen Projekten <strong>und</strong> Initiativen deutlich, dass eine erfolgreiche Innovationsrenaissance<br />

<strong>der</strong> grenzüberschreitenden Kooperation bedarf. Ein Grenzüberschreitendes<br />

Regionales Innovationssystem, das zumindest die Hochschul- <strong>und</strong> Forschungsstandorte<br />

Bautzen, Görlitz/<strong>Zittau</strong>, Liberec <strong>und</strong> Wrocław/Jelenia Gora umfasst, würde<br />

die diesbezüglichen Bemühungen bündeln.<br />

Was wären die Konsequenzen?<br />

Die Vision des „gemeinsamen Europäischen Forschungsraums“, die beispielsweise<br />

dem 7. Forschungsrahmenprogramm <strong>der</strong> EU-Kommission zugr<strong>und</strong>e liegt, könnte im<br />

Rahmen eines <strong>der</strong>artigen Positivszenarios „mustergültig“ umgesetzt werden. Für die im<br />

Durchschnitt vergleichsweise innovationsschwachen Unternehmen <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> würden<br />

neue Innovations- sowie Wertschöpfungspotentiale in Polen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Tschechischen<br />

Republik erschlossen – <strong>und</strong> umgekehrt.<br />

Als Stichwort seien hier nur die Clusteransätze für intelligente Textilien <strong>und</strong> Industriekeramik<br />

im Umfeld <strong>der</strong> TU Liberec genannt. Grenzüberschreitende Netzwerke für<br />

den Wissens- <strong>und</strong> Technologietransfer könnten durch Aus- <strong>und</strong> Weiterbildungspartnerschaften<br />

sowie län<strong>der</strong>übergreifende Initiativen für Existenzgründungen <strong>und</strong> Finan-<br />

9 Vgl. GERSTLBERGER 2004 a; b für einen diesbezüglichen internationalen Vergleich.


Regionales Innovationssystem <strong>Oberlausitz</strong>: Quo vadis? 103<br />

zierungskooperationen (z. B. zwischen den jeweiligen „Sparkassenfamilien“) fl ankiert<br />

werden.<br />

Was spricht dafür?<br />

Dem Leitbild eines Grenzüberschreitenden RIS folgen bereits heute – explizit o<strong>der</strong><br />

implizit – verschiedene Innovationsnetzwerke <strong>und</strong> -projekte mit Bezug zur <strong>Oberlausitz</strong>.<br />

Beispiele hierfür sind etwa die internationale Konstruktion des <strong>IHI</strong> <strong>Zittau</strong> mit einer Vielzahl<br />

grenzüberschreiten<strong>der</strong> Initiativen, 3CIP, Eurotextilregion, Konzeption für ein polnisch-deutsches<br />

Tourismusbarometer, kleines Dreieck <strong>der</strong> Stadt- <strong>und</strong> Regionalplanung<br />

etc. Allerdings zeigen sich bei <strong>der</strong>artigen Formen <strong>der</strong> Zusammenarbeit immer wie<strong>der</strong><br />

auch nationale <strong>und</strong> regionale Eigeninteressen, welche die Zusammenarbeit begrenzen. In<br />

vielen Bereichen knapper werdende (Human-)Ressourcen sollen (vorrangig) erst einmal<br />

<strong>der</strong> jeweils eigenen Gebietskörperschaft, Hochschule etc. zugute kommen.<br />

Als weiteres Hemmnis ist zu ergänzen, dass viele b<strong>und</strong>esweite sowie sächsische<br />

Programme <strong>der</strong> Mittelstands- <strong>und</strong> Innovationsför<strong>der</strong>ung auf deutsche bzw. sächsische<br />

Antragsteller <strong>und</strong>/o<strong>der</strong> Teilnehmer beschränkt sind. Dezidiert grenzüberschreitende angelegte<br />

För<strong>der</strong>initiativen – z. B. INTERREG IIIA – ermöglichen zwar bilaterale, bisher<br />

nicht jedoch trilaterale Innovationskooperationen. Hier sind jedoch Verbesserungen für<br />

die nächste För<strong>der</strong>periode in Aussicht gestellt.<br />

4. Zusammenfassende Einschätzung <strong>der</strong> RIS-Szenarien<br />

Die skizzierten Szenarien fallen notgedrungen in diesem Rahmen holzschnittartig aus.<br />

Dies hängt zum einen mit <strong>der</strong> Daten- <strong>und</strong> Informationsgr<strong>und</strong>lage zusammen: Während<br />

diese für die <strong>Oberlausitz</strong> noch relativ gut ist, konnten die (möglichen weiteren) polnischen<br />

<strong>und</strong> tschechischen Innovationspotentiale in den Nachbarregionen bisher noch<br />

nicht systematisch erfasst werden. Zum an<strong>der</strong>en sind alle vorliegenden Innovations- <strong>und</strong><br />

Regionalstudien statische Querschnittsanalysen. Belastbare Längsschnittuntersuchungen<br />

(Panels) <strong>und</strong>/o<strong>der</strong> dynamische Simulationsstudien, die Prognosen ermöglichen könnten,<br />

existieren bisher noch nicht.<br />

Darüber hinaus ist anzumerken, dass natürlich Mischformen zwischen den unterschiedlichen<br />

Szenarien durchaus möglich <strong>und</strong> sogar äußerst wahrscheinlich sind. Die<br />

skizzierten „Idealtypen“ <strong>der</strong> vier RIS-Szenarien sind insofern als „heuristisch“ zu verstehen.<br />

Sie erleichtern die Einschätzung <strong>der</strong> längerfristigen Konsequenzen bestimmter<br />

aktueller Entwicklungen <strong>und</strong> Trends.<br />

Trotz dieser empirischen <strong>und</strong> methodischen Einschränkungen soll hier die These<br />

formuliert werden, dass ein „Weiter wie bisher“, Stillstand <strong>und</strong>/o<strong>der</strong> Zersplitterung <strong>der</strong> Innovationsressourcen<br />

in jedem Fall Rückschritt bedeuten. Eine zu starke Dezentralisierung bzw. Bipolarität<br />

<strong>der</strong> RIS-Entwicklung im Sinne unproduktiver Konkurrenz, Warten auf Impulse<br />

„von außen“ <strong>und</strong>/o<strong>der</strong> ein Nachlassen <strong>der</strong> Bemühungen um grenzüberschreitende Innovationskooperationen<br />

steigern die Wahrscheinlichkeit des skizzierten Negativszenarios.<br />

Hemmende externe Einfl üsse <strong>und</strong> „Fremdsteuerungen“ lassen sich demnach am besten


104 Wolfgang Gerstelberger<br />

durch eine intelligent <strong>und</strong> arbeitsteilig koordinierte sowie zugleich stark grenzüberschreitend<br />

ausgerichtete RIS-Entwicklung in <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> vermeiden.<br />

Vor dem Hintergr<strong>und</strong> dieser These können aktuelle politische <strong>und</strong> administrative<br />

Entscheidungen als „intervenierende Variablen“ einen för<strong>der</strong>lichen (o<strong>der</strong> auch hemmenden)<br />

Rahmen schaffen:<br />

• Die bevorstehende Verwaltungs- bzw. Kreisreform („Großkreise“) kann dazu beitragen,<br />

politisch-administrative Grenzen <strong>und</strong> das optimale Einzugsgebiet für ein grenzüberschreitendes<br />

RIS <strong>Oberlausitz</strong> zu harmonisieren;<br />

• eine etwaige Neuordnung <strong>der</strong> sächsischen Hochschullandschaft nach Auslaufen des<br />

Hochschulpaktes im Jahr 2010 kann die Potentiale für den grenzüberschreitenden Wissens-<br />

<strong>und</strong> Technologietransfer in <strong>und</strong> aus <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> heraus weiter stärken;<br />

• die Neugestaltung <strong>der</strong> EU-Regional- sowie Sozialfonds <strong>und</strong> <strong>der</strong> sächsischen Wirtschafts-<br />

bzw. Regionalför<strong>der</strong>ung in <strong>der</strong> nächsten För<strong>der</strong>periode kann die Bedingungen<br />

für eine trinationale RIS-Gestaltung optimieren helfen;<br />

• die Verkehrs- <strong>und</strong> Infrastrukturpolitik von EU, B<strong>und</strong> <strong>und</strong> Land kann dazu beitragen,<br />

interne sowie externe RIS-Grenzen durchlässiger zu machen;<br />

• Bildungs- <strong>und</strong> Kulturpolitik können entsprechende Beiträge zur Stärkung eines<br />

grenzüberschreitenden innovativen Milieus im Dreilän<strong>der</strong>eck leisten (z. B. durch die<br />

Gestaltung des Fremdsprachenunterrichtes).<br />

Derartige intervenierende Variablen müssen über volks- <strong>und</strong> betriebswirtschaftliche<br />

Indikatoren hinaus für realistische RIS-Szenarien berücksichtigt werden.<br />

5. Fazit: Kurzfristige Maßnahmen <strong>und</strong> notwendige Strategien<br />

Was ist also zu tun?<br />

Im Sinne einer nachhaltigen grenzüberschreitenden RIS-Entwicklungsstrategie für die<br />

<strong>Oberlausitz</strong> sind bestimmte Maßnahmen kurzfristig realisierbar:<br />

• Systematische Erhebung <strong>der</strong> Technologie-, Gründungs- <strong>und</strong> Innovationspotentiale<br />

in den angrenzenden polnischen <strong>und</strong> tschechischen Regionen analog <strong>der</strong> vorliegenden<br />

Studien für Ostsachsen (ist teilweise im Rahmen eines EXIST-Vorhabens <strong>der</strong> <strong>Zittau</strong>er<br />

Hochschulen <strong>und</strong> des Zentrums für angewandte Forschung/ZAF e.V. geplant);<br />

• wissenschaftliche Auswertung („Begleitforschung“) aktueller grenzüberschreitend<br />

angelegter Projekte mit RIS-Bezug (z. B. 3CIP, polnisch-deutsches <strong>und</strong>/o<strong>der</strong> tschechischdeutsches<br />

Tourismusbarometer, Eurotextilregion, diverse INTERREG-IIIA-Projekte);<br />

• Aufbau, Weiterentwicklung <strong>und</strong> stärkere horizontale Verknüpfung bestehen<strong>der</strong> bzw.<br />

neuer Innovationsnetzwerke (z. B. im Rahmen <strong>der</strong> NEMO-Initiativen <strong>und</strong> Bemühungen<br />

um einen Regionalen Wachstumskern in Bautzen <strong>und</strong> Görlitz/<strong>Zittau</strong>);<br />

• Aus- <strong>und</strong> Weiterbildung von Promotoren für die Professionalisierung grenzüberschreiten<strong>der</strong><br />

Forschungs- <strong>und</strong> Innovationsprojekte (<strong>IHI</strong>-ESF-Vorhaben);<br />

• Intensivierung von Aus- <strong>und</strong> Weiterbildungspartnerschaften sowie des Wissenschaftleraustausches<br />

(z. B. Verb<strong>und</strong>initiativen des TGZ Bautzen, <strong>IHI</strong>-Master in Abstimmung<br />

mit <strong>der</strong> Hochschule <strong>Zittau</strong>/Görlitz <strong>und</strong> den Partnerhochschulen in Tschechien, Polen<br />

<strong>der</strong> Ukraine <strong>und</strong> Kasachstan).


Regionales Innovationssystem <strong>Oberlausitz</strong>: Quo vadis? 105<br />

Diese kurzfristig realisierbaren Maßnahmen zielen überwiegend auf den RIS-Kern <strong>und</strong><br />

die inneren -Schichten. Sie betreffen vor allem konkrete Innovationsprojekte <strong>und</strong> -netzwerke<br />

sowie <strong>der</strong>en unmittelbare Unterstützung. Die äußeren, mittelbar unterstützenden<br />

RIS-Schichten lassen sich demgegenüber im Regelfall nur langfristiger verän<strong>der</strong>n.<br />

Um <strong>der</strong>artige langfristige <strong>und</strong> zumeist aufwändige Verän<strong>der</strong>ungen Erfolg versprechend<br />

planen zu können, sind – zumindest – ähnlich Organisationsentwicklungen auf <strong>der</strong><br />

Unternehmensebene folgende Strategieelemente notwendig:<br />

• Eine belastbare <strong>und</strong> robuste (in unserem Fall grenzüberschreitende) Ist-Analyse sowie<br />

ein „Benchmarking“ (kennzahlengestützter quantitativer <strong>und</strong> qualitativer Vergleich) mit<br />

vergleichbaren RIS,<br />

• ein explizit formuliertes Ziel <strong>der</strong> RIS-Gestaltung im Sinne eines realistischen <strong>und</strong><br />

möglichst wi<strong>der</strong>spruchsfreien Leitbildes,<br />

• eine fl exibel verän<strong>der</strong>bare Umsetzungsstrategie mit abgrenzbaren, motivierend formulierten<br />

Arbeitspaketen sowie Ressourcen- <strong>und</strong> Zeitplanungen,<br />

• RIS-Promotoren („Kümmerer“, Multiplikatoren) <strong>und</strong> Innovationsforen (Abstimmungsplattformen)<br />

in ausreichen<strong>der</strong> Anzahl, mit klaren Verantwortungsbereichen sowie<br />

angemessenen Kompetenzen, Qualifi kationen <strong>und</strong> Erfahrungen,<br />

• ein den Verän<strong>der</strong>ungsprozess unterstützendes Innovationsklima, das beispielsweise<br />

auch Fehler <strong>und</strong> Umwege in vertretbarem Umfang zulässt,<br />

• Controlling-Instrumente für den Verän<strong>der</strong>ungsprozess, die ein vorausblickendes Gegensteuern<br />

im Falle von Fehlentwicklungen ermöglichen.<br />

Was die <strong>Oberlausitz</strong> angeht, sind alle diese notwendigen Voraussetzungen für die<br />

Umsetzung einer nachhaltigen grenzüberschreitenden RIS-Entwicklungsstrategie bisher<br />

erst in Ansätzen vorhanden.<br />

Die Ist-Analyse wäre (s. o.) grenzüberschreitend <strong>und</strong> um dynamische Betrachtungen<br />

zu ergänzen. Instrumente für ein robustes, kontinuierliches RIS-Benchmarking fehlen<br />

bisher. Was das RIS-Leitbild betrifft, sind bisher lediglich einzelne Elemente formuliert<br />

(vgl. z. B. die Ergebnisse <strong>der</strong> Regionalkonferenz „Wirtschaft – Schule – Wissenschaft“<br />

– März 2006). Dies gilt entsprechend auch hinsichtlich <strong>der</strong> Arbeitspakete, Ressourcen-<br />

<strong>und</strong> Zeitplanungen für die Umsetzung sowie Controlling-Instrumente.<br />

RIS-Promotoren <strong>und</strong> Innovationsplattformen existieren in einzelnen relevanten Bereichen<br />

in ausreichen<strong>der</strong> Quantität <strong>und</strong> Qualität (z. B. Eurotextilregion, NEMO-Projekte,<br />

Verb<strong>und</strong>initiative Bahntechnik), jedoch bei weitem noch nicht fl ächendeckend. Das Innovationsklima<br />

in <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> ist – soweit verifi zierbar – ungleichmäßig ausgeprägt.<br />

Einzelne „Innovationsinseln“ (z. B. in den eben genannten Fel<strong>der</strong>n) prägen das Bild. In<br />

bestimmten an<strong>der</strong>en Branchen <strong>und</strong> Handlungsfel<strong>der</strong>n herrscht demgegenüber eher ein<br />

wenig innovatives o<strong>der</strong> sogar „resignatives“ Klima. 10<br />

Es gibt also viel zu tun – packen wir es an.<br />

10 Vgl. z. B. Besold u. a. 2005 sowie weitere dort angegebene Quellen


106 Wolfgang Gerstelberger<br />

Zitierte <strong>und</strong> verwendete Literatur<br />

BJØRN T. ASHEIM / ARNE ISAKSEN (2002): Regional Innovation Systems: The Integration of Local ‚Sticky‘ and<br />

Global ‚Ubiquitous‘ Knowledge, in: The Journal of Technology Transfer 27 (2002), Nr. 1, S. 77–86.<br />

JÜRGEN BESOLD u. a. (2005): Die Region <strong>Oberlausitz</strong>-Nie<strong>der</strong>schlesien: Innovationspotentiale <strong>und</strong> Perspektiven<br />

im Dreilän<strong>der</strong>eck (ifo Institut für Wirtschaftsforschung, ifo Dresden Studien 38), Dresden 2005.<br />

WOLFGANG GERSTLBERGER (2004a): Regionale Innovationssysteme aus betriebswirtschaftlicher Perspektive: Gestaltungskonzepte<br />

zur För<strong>der</strong>ung einer nachhaltigen Unternehmensentwicklung (Kasseler Wirtschafts- <strong>und</strong><br />

Verwaltungswissenschaften 21), Wiesbaden 2004.<br />

WOLFGANG GERSTLBERGER (2004b): Regional innovation systems and sustainability – selected examples of international<br />

discussion, in: Technovation 24 (2004), Nr. 10, S. 749–758.<br />

http://regiosustain.net/<br />

http://www.3cip.com (abgerufen: 10.07.2006)<br />

http://www.best-innovation.com (abgerufen: 10.08.2006)<br />

http://cmsweb.hs-gigr.de/ (abgerufen: 10.07.2006)<br />

http://www.eurotextilregion.de (abgerufen: 10.08.2006)<br />

http://www.gruen<strong>der</strong>-lausitz.de/<br />

http://www.kegl.de/ (abgerufen: 10.08.2006)<br />

http://www.neisse-nisa-nysa.org (abgerufen: 10.08.2006)<br />

http://www.oberlausitz.com (abgerufen: 10.08.2006)<br />

http://www.tgz-bautzen.de/ (abgerufen: 10.08.2006)<br />

http://www.tz-zittau.de /abgerufen: 10.07.2006)<br />

http://ihi-zittau.de/science/projekt.html (<strong>IHI</strong> <strong>Zittau</strong> 2006; abgerufen: 10.08.2006; Intensivierung <strong>der</strong> grenzüberschreitenden<br />

wissenschaftlichen Kooperation in <strong>der</strong> Euroregion Neiße, EU-Gemeinschaftsinitiative<br />

INTERREG III A, Freistaat Sachsen – Woiwodschaft Nie<strong>der</strong>schlesien, Projektzeitraum 04/2004-09/2006)<br />

http://www.unternehmen-region.de (abgerufen: 10.07.2006)<br />

http://www.zittau.de/wirtschaftsfoer<strong>der</strong>ung.html (abgerufen: 10.08.2006).


Theoretische Anmerkungen zu Problemen <strong>der</strong> Modellierung <strong>und</strong> Operationalisierung 107<br />

Theoretische Anmerkungen zu Problemen <strong>der</strong> Modellierung<br />

<strong>und</strong> Operationalisierung im Anfor<strong>der</strong>ungs- <strong>und</strong><br />

Erwartungsspektrum <strong>der</strong> Regionalforschung<br />

ECKEHARD BINAS<br />

1. Einleitung<br />

Das Bedürfnis, die Entwicklung bzw. Verän<strong>der</strong>ungen des Bisherigen vorherzusagen <strong>und</strong><br />

dabei die möglichen Gefahren zu erkennen, schließlich gar noch die Ursachen selbiger<br />

zu ermitteln <strong>und</strong> Wege <strong>und</strong> Instrumente zu fi nden, solchen auszuweichen o<strong>der</strong> sie zu<br />

bannen, solche Bedürfnisse sind vermutlich so alt wie <strong>der</strong> Mensch, wenigstens so alt<br />

wie unsere Kultur. Wenn im Folgenden also die Rede davon sein soll, welche Möglichkeiten<br />

o<strong>der</strong> auch Grenzen wir fi nden, diesem Bedürfnis zu entsprechen <strong>und</strong> dies gar<br />

noch nach den Maßstäben <strong>der</strong> zeitgenössischen Wissenschaften, so knüpfen wir an eine<br />

alte Tradition an <strong>und</strong> tun auch gut daran, <strong>der</strong>en Erfahrungen zu nutzen. D. h. auch<br />

zu fragen, warum unseren Vorgängern solche Unternehmungen – nennen wir sie mal<br />

Beschreibung <strong>der</strong> Zukunft mit Mitteln <strong>der</strong> Gegenwart bzw. mit Mitteln <strong>der</strong> Erfassung<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Modellierung hochkomlexer Systeme – bis heute immer nur mäßig schlecht<br />

bis recht gelangen <strong>und</strong> sie die Defi zite ihrer Vorher- <strong>und</strong> Aussagen mit Hermeneutik<br />

<strong>und</strong>/o<strong>der</strong> Spekulation bzw. Glaubenssätzen kompensiert haben. Wenn darüber hinaus<br />

auch noch Modelle gef<strong>und</strong>en werden sollen, die zum einen mit gewissem Verallgemeinerungsanspruch<br />

auftreten <strong>und</strong> zum an<strong>der</strong>en im Maßstab nomothetischer Wissenschaften<br />

operabel, in empirischen Untersuchungen quantifi zierend exakt <strong>und</strong> also Aussagen über<br />

Zusammenhänge <strong>und</strong> Abhängigkeiten systematisch verifi zierbar sein sollen, dann können<br />

wir ungefähr erahnen, auf welches unsicheres Gelände wir gelangen. Daran än<strong>der</strong>t<br />

sich auch nichts, wenn eine nun wie<strong>der</strong> neue Rechnergeneration eine um ein Vielfaches<br />

multiplizierte Datenmenge auswerten <strong>und</strong> korrelieren kann. Denn auch diese neuen<br />

Rechner sind auf Daten angewiesen, die für sie aufbereitet <strong>und</strong> eingeordnet wurden.<br />

Bevor also Interdependenzeffekte von Faktoren <strong>der</strong> <strong>Regionalentwicklung</strong> im Modell<br />

dargestellt <strong>und</strong> Entwicklungsverläufe in Szenarien (unter Berücksichtigung z. B. <strong>der</strong> Zyklentheorie,<br />

z. B. Kondratieff-Zyklen <strong>und</strong> den sog. Megatrends) durchgespielt/simuliert<br />

werden können, müssen wir uns <strong>der</strong> Voraussetzungen, <strong>der</strong> selektiven Entscheidungen<br />

<strong>und</strong> auch <strong>der</strong> noch einmal einschränkenden Instrumentarien gewiss sein, auch wenn<br />

sich in ihrer Anwendung diese wie<strong>der</strong> verbessern lassen.<br />

Deshalb möchte ich im Folgenden einige Anmerkungen dazu machen, welche Überlegungen<br />

<strong>und</strong> sicher auch noch ungelösten Probleme zu den Vorleistungen solcher


108 Eckehard Binas<br />

Modellarbeit gehören. Damit soll nicht infrage gestellt sein, dass einzelwissenschaftliche<br />

o<strong>der</strong> bereits interdisziplinäre Forschung zu sehr präzisen Aussagen über Sachverhalte<br />

<strong>und</strong> Entwicklungen in <strong>der</strong> Region kommen. Allerdings gestehen diese auch immer<br />

völlig korrekt ein, dass sie zwangsläufi g ein für das Forschungsprojekt überschaubares<br />

empirisches Material aus einer bestimmten fachlichen Sicht verwenden <strong>und</strong> keine ganzheitlichen<br />

Modelle bzw. Beschreibungen wagen, wie das in völlig an<strong>der</strong>en Kontexten<br />

bereits in den 70er Jahren mit Bezug auf die Grenzen des Wachstums, d. h. als Szenario 1<br />

<strong>der</strong> Multiinterdependenz schon einmal versucht wurde. Wo dies für <strong>Regionalentwicklung</strong><br />

heute unternommen wird, zumeist mit Hilfe <strong>der</strong> sog. Szenariotechnik o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

sog. Delphi-Methode 2 <strong>und</strong> <strong>der</strong> Untersuchung von Entwicklungspfaden bzw. Korridoren<br />

respektive <strong>der</strong> Pfadabhängigkeiten von Entwicklung, bleibt selbstverständlich immer ein<br />

großer Wahrscheinlichkeitsrahmen bestehen.<br />

2. Zur Aktualität <strong>der</strong> wissenschaftlichen Herausfor<strong>der</strong>ung<br />

Was passiert, wenn das nächste Hochwasser <strong>der</strong> Neiße einen neuen Rekordpegel erreicht?<br />

Welche Konsequenzen wird dies für das labile ökologische, wirtschaftliche <strong>und</strong> soziale<br />

Gleichgewicht in <strong>der</strong> Grenzregion Lausitz haben? Wie wirkt das Durchschnittsalter <strong>der</strong><br />

Stadt Görlitz von <strong>der</strong>zeit ca. 50 Jahren auf die soziale Kohärenz <strong>der</strong> Stadt <strong>und</strong> diese<br />

auf die kulturelle Identität <strong>der</strong> immer geringer werdenden jugendlichen Bevölkerung<br />

<strong>und</strong> wie wirkt wie<strong>der</strong>um diese auf die Investitionsbereitschaft von Unternehmern, wie<br />

wie<strong>der</strong>um diese auf die Fähigkeit <strong>der</strong> Wohneigentümer <strong>und</strong> Mieter, die städtischen Infrastrukturkosten<br />

zu tragen <strong>und</strong> wann führt die Buchwertvernichtung im Gewerbe- <strong>und</strong><br />

Wohnimmobilienbestand <strong>der</strong> Stadt zu einem Wettbewerbsvorteil/-nachteil zwischen<br />

Wohn- <strong>und</strong> Investitionsstandorten in Ostdeutschland <strong>und</strong> über die deutsche Grenze<br />

hinaus. Wann <strong>und</strong> unter welchen Bedingungen ist ein Zustand erreicht, <strong>der</strong> irreversibel<br />

den synergetischen Zusammenhang zwischen Stadt als Baukörper, als Wirtschaftgebilde,<br />

als bürgerschaftlichen Handlungsraum, als Projektionsfl äche für kulturelle Identifi kationen,<br />

als Sicherheits- <strong>und</strong> Ordnungsrahmen <strong>und</strong> nicht zuletzt als kommunalen Administrationskörper<br />

zerbricht. Wann erreicht eine Region, eine schrumpfende Stadt einen<br />

Zustand, <strong>der</strong> im Sinne <strong>der</strong> Beschreibung von hochinstabilen Systemen kollabiert <strong>und</strong><br />

sowohl für die Wirtschaft zum unlösbaren Problem, als auch für jegliche Politik zum<br />

Pulverfass zumindest aber zum Modellfall ihres Scheiterns wird?<br />

Nun hat das Problem <strong>der</strong> sog. schrumpfenden Städte inzwischen Eingang in die<br />

Forschung zur <strong>Regionalentwicklung</strong> <strong>und</strong> zur Urbanität gef<strong>und</strong>en. Sie sieht sich zunehmend<br />

mit dem Problem einer Transformation in unserer Gesellschaft, die wir seit dem<br />

1 http://www.itas.fzk.de/tatup/053/meye05a.htm, 12.10.06, S.4-5, 2006<br />

2 Die Delphi-Methode ist ein systematisches, mehrstufi ges Befragungsverfahren bzw. eine Schätzmethode, die dazu dient,<br />

zukünftige Ereignisse, Trends, technische Entwicklungen <strong>und</strong> <strong>der</strong>gleichen möglichst gut einschätzen zu können. Dazu wird<br />

einer Gruppe von Experten ein Fragenkatalog des betreffenden Fachgebiets vorgelegt. Die schriftlich erhaltenen Antworten,<br />

Schätzungen, Ergebnisse etc. werden aufgelistet <strong>und</strong> mit Hilfe einer speziellen Mittelwertbildung zusammengefasst <strong>und</strong> den<br />

Fachleuten anonymisiert erneut für eine weitere Diskussion, Klärung <strong>und</strong> Verfeinerung <strong>der</strong> Schätzungen vorgelegt. Dieser<br />

kontrollierte Prozess <strong>der</strong> Meinungsbildung erfolgt gewöhnlich über mehrere Stufen. Das En<strong>der</strong>gebnis ist eine aufbereitete<br />

Gruppenmeinung, die die Aussagen selbst <strong>und</strong> Angaben über die Bandbreite vorhandener Meinungen enthält.


Theoretische Anmerkungen zu Problemen <strong>der</strong> Modellierung <strong>und</strong> Operationalisierung 109<br />

Ende des zweiten Weltkrieges in diesen Ausmaßen <strong>und</strong> dieser Gründlichkeit nicht erlebt<br />

haben, konfrontiert.<br />

Für uns von beson<strong>der</strong>er Bedeutung sind neben allgemeinen Transformationsmerkmalen<br />

weiter zunehmende regionale Differenzierungen, wachsende Disparitäten, neue<br />

Entwicklungs- <strong>und</strong> neue Schrumpfungsprozesse in <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik, beson<strong>der</strong>s aber in<br />

Ostdeutschland. „Das bedeutet eine gravierende Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>Regionalentwicklung</strong><br />

in <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik. Westdeutschland wurde nach 1945 – im Gegensatz zu an<strong>der</strong>en<br />

großen europäischen Län<strong>der</strong>n – zu einem nahezu homogen entwickelten Wirtschaftsraum<br />

… Die B<strong>und</strong>esrepublik muss nun offensichtlich lernen, mit unterentwickelten<br />

Räumen beson<strong>der</strong>s im Osten zu leben. Politik, Institutionen, die verschiedenen Akteure<br />

stehen vor allem in den neuen B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong>n vor <strong>der</strong> Aufgabe, mit spezifi schen Regionalisierungskonzepten<br />

diesen Trends zu entsprechen <strong>und</strong> ihnen zu begegnen.“ 3<br />

„Am Ende <strong>der</strong> Transformation befi nden sich Ostdeutschland <strong>und</strong> seine Regionen<br />

also nicht, wie angenommen, in <strong>der</strong> klassischen Konsolidierungsphase, son<strong>der</strong>n am<br />

Anfang eines neuen Umwälzungs- <strong>und</strong> Wandlungsprozesses. In diesem neuen Entwicklungsabschnitt<br />

sind Herausfor<strong>der</strong>ungen <strong>und</strong> Aufgaben zu meistern, die über die früheren<br />

Transformations- <strong>und</strong> Vereinigungskrisen <strong>der</strong> Jahre 1989/90 hinaus reichen, <strong>und</strong> die<br />

über die Zukunft Ostdeutschlands <strong>und</strong> seiner Regionen entscheiden. An<strong>der</strong>s als in <strong>der</strong><br />

klassischen Transformationsphase handelt es sich hierbei u. E. um langwierige, komplexe<br />

<strong>und</strong> ergebnisoffene Entwicklungen. Im Gr<strong>und</strong>e steht Ostdeutschland, stehen die<br />

ostdeutschen Regionen an einer neuen Scheidewegssituation. Das Projekt Ostdeutschland<br />

muss deshalb neu verstanden <strong>und</strong> neu defi niert werden.“ (Ebd.) „Unter diesem Aspekt<br />

interessieren gerade auch Fragen nach ostdeutschen Reformpotenzialen, Lerneffekten,<br />

Erfahrungen, Entwicklungsmustern, Blockaden <strong>und</strong> Abstiegsszenarien.“(Ebd.) „Ostdeutschland<br />

– einst als idealer Transformationsfall gepriesen – ist mithin zu einem prekären<br />

Reformfall geworden“ (ebd.), so Rolf Reißig vom Arbeitskreis „Ostdeutschlandforschung“<br />

des „Brandenburg-Berliner Institut(s) für Sozialwissenschaftliche Studien“. Er<br />

formuliert für Ostdeutschland verschiedene Entwicklungsszenarien bis 2015/20:<br />

„•Ostdeutschland – ein strukturschwacher, rückständiger, abgehängter Raum mit einigen<br />

wenigen Wachstumskernen, <strong>der</strong>en Synergieeffekte nicht ausreichen, das Umfeld<br />

‚mitzuziehen‘.<br />

•Ostdeutschland – ein Raum, <strong>der</strong> den Abwärtstrend stoppt, aber weiterhin durch „fragmentierte<br />

Entwicklung“ gekennzeichnet ist <strong>und</strong> sich auf ‚mittlerem Niveau‘ (vergleichbar<br />

etwa mit Spanien, Portugal, Griechenland) stabilisiert.<br />

•Ostdeutschland – ein Raum, dem es über einen längeren Zeitraum gelingt, seine innovativen<br />

Entwicklungspotenziale (insbeson<strong>der</strong>e Sozial- <strong>und</strong> Humankapital) zu entfalten<br />

3 Der gesamte Text von Rolf Reißig <strong>und</strong> Michael Thomas unter: http://www.berlinerdebatte.de/Ostdeutschlandforschung/<br />

Infoseite%20Internet/Ostdeutschland%20allgemein/Reissig%20Thomas%20LIT%20Verlag.pdf#search=%22prek%C3%A4rer<br />

%20Reformfall%20Rei%C3%9Fig%22<br />

Hier heißt es zu den Neuen Herausfor<strong>der</strong>ungen: Erstens ist es <strong>der</strong> unwi<strong>der</strong>rufl iche Übergang von <strong>der</strong> alten Industrie-, Arbeits-<br />

<strong>und</strong> Wachstumsgesellschaft zur Wissensgesellschaft. Zweitens sind es die Prozesse des demografi schen Wandels, die den weiteren Weg<br />

Ostdeutschlands <strong>und</strong> seiner Regionen nachhaltig beeinfl ussen. Drittens nimmt mit dem Ende des alten b<strong>und</strong>esdeutschen<br />

Wachstums- <strong>und</strong> Wohlfahrtsmodells, dem Umbau <strong>der</strong> sozialen Sicherungssysteme die Tendenz sozialer Differenzierung, Ausgrenzung<br />

<strong>und</strong> Polarisierung zu. Dazu kommt das Aufl ösen gesellschaftlicher, familiärer <strong>und</strong> individueller Bindungen sowie traditioneller<br />

Wertorientierungen <strong>und</strong> Einstellungen. Viertens sind weiter zunehmende regionale Differenzierungen, wachsende Disparitäten, neue<br />

Entwicklungs- <strong>und</strong> neue Schrumpfungsprozesse zu erwarten.


110 Eckehard Binas<br />

<strong>und</strong> so den Weg zu einem spezifi schen, jedoch selbsttragenden <strong>und</strong> zukunftsfähigen<br />

Entwicklungspfad zu öffnen.“ (Ebd.)<br />

Unabhängig davon, welches Szenario sich hier durchsetzen wird, ist damit verb<strong>und</strong>en,<br />

dass in Ostdeutschland die Entwicklung zwischen seinen Regionen ungleichartiger<br />

verlaufen wird als bisher angenommen. Bei einer auf „Marktliberalität“ <strong>und</strong> „Standortwettbewerb“<br />

verkürzten Diskussion scheint jedoch gerade für die Regionen des Ostens<br />

eine Lebensortdebatte 4 erfor<strong>der</strong>lich. (vgl. Ebd.)<br />

Wird dieser Prozess, sowie darin das Verhältnis von Praxis <strong>und</strong> Wissenschaft (hier<br />

verstanden als Beziehung zu Praxis), aus einer wissenschaftlich interessierten Beobachterperspektive<br />

betrachtet, so fällt dabei auf, dass<br />

1. das Zusammenwirken <strong>der</strong> Fächer, ihre Interdisziplinarität für die Beschreibung von<br />

Folgen <strong>und</strong> Risiken nicht bzw. nicht ausreichend entwickelt ist,<br />

2. die theoretischen Voraussetzungen für eine verifi zierbare Darstellung von gegenseitigen<br />

Abhängigkeiten zwischen mehr als zwei/drei Variablen nicht ausreichend zu<br />

Verfügung stehen <strong>und</strong><br />

3. gerade auf dem Niveau des Systems bzw. <strong>der</strong> Ganzheit eigene Risiken bestehen bzw.<br />

Prozessalternativen entstehen, die Erkenntnisse <strong>der</strong> Einzeldisziplinen <strong>und</strong> Einzelmaßnahmen<br />

in <strong>der</strong> Praxis zur Steuerung von Entwicklung im Transformationsprozess<br />

relativieren.<br />

Hierbei scheint es aus wissenschaftssystematischer <strong>und</strong> -historischer Sicht so zu sein,<br />

dass uns heute die Aufgabe zukommt, Paradigmenwechsel, Systemrisiken/-labilität, Synergieeffekte<br />

<strong>der</strong> Interdisziplinarität zu formulieren <strong>und</strong> wie<strong>der</strong> eine Beschreibung von<br />

Vielfachabhängigkeiten (multiple Interdependenzen) zu versuchen <strong>und</strong> nicht zuletzt<br />

Diskursfel<strong>der</strong> für eine Selbstvergewisserungs- bzw. Zieldiskussion zu formulieren <strong>und</strong><br />

gegebenenfalls auch die erfor<strong>der</strong>lichen Kooperationen zu stimulieren.<br />

Zum besseren Verständnis des letztgenannten Punktes sei hier an Modelle <strong>der</strong><br />

Klimaforschung erinnert: Hier wird deutlich, dass eine Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Luftdruckgegensätze<br />

in Nordafrika (Sahara) zu einer Verringerung/Vermehrung <strong>der</strong> Emission von<br />

Sand in die Atmosphäre führt (Sandstürme) <strong>und</strong> so zu einer Verringerung/Vermehrung<br />

<strong>der</strong> Kondensationskerne für die Wolken- <strong>und</strong> Regenbildung. Betrachtet man nun die<br />

großen Strömungsrichtungen in <strong>der</strong> Atmosphäre, so wird klar, welche Konsequenzen<br />

dies für den brasilianischen d. h. tropischen Regenwald haben kann. Dieser wie<strong>der</strong>um<br />

ist wichtige Ressource für Süßwasser, Sauerstoff <strong>und</strong> Temperaturregulation mit Einfl uss<br />

auf Golfstrom/Labradorstrom, dieser wie<strong>der</strong> auf das Klima in Europa etc. pp. Klimaforschung<br />

untersucht solche multiplen Interdependenzen, modelliert sie <strong>und</strong> versucht<br />

Stabilität <strong>und</strong> Instabilität von Klimazonen <strong>und</strong> Klimazyklen zu bestimmen. Wichtiger<br />

Indikator für die „Klimastabilität“ im Ganzen ist die Häufi gkeit von Schwankungen <strong>und</strong><br />

die Zahl von Ereignissen bezogen auf einen sog. Normalwert. Wie viel Schwankungen,<br />

wie viel Verän<strong>der</strong>ungen „verträgt“ <strong>der</strong> Zusammenhang ohne zu zerbrechen, wo liegt <strong>der</strong><br />

„point of no return“, was sind die kritischen Größen bzw. Massen <strong>und</strong> Einfl üsse, die<br />

zum „Umkippen“ des Systems führen, wie sind sie zu bestimmen <strong>und</strong> zu verifi zieren<br />

4 Schließlich sind es die Künste, die seit langem vor allem die Probleme aber auch die <strong>Chancen</strong> dieses Wandels thematisieren<br />

<strong>und</strong> versuchen, die Herausbildung von neuen Paradigmen im Umgang damit zu ermitteln.


Theoretische Anmerkungen zu Problemen <strong>der</strong> Modellierung <strong>und</strong> Operationalisierung 111<br />

(hier ja im übrigen wie in <strong>der</strong> Sozial- bzw. Wirtschaftsforschung nur zu verifi zieren im<br />

Modell!), wo <strong>und</strong> wodurch greifen sog. Resonanzen, die vergleichbar mit chaotischen<br />

Zuständen zu nichtkalkulierbaren Reaktionen führen <strong>und</strong> die von ihren Wirkungen<br />

her auch nicht mehr auf Ursachen zurückführbar sind? Im Begriff des „hyperkritischen<br />

Zustands“ kommt <strong>der</strong> für Schlussfolgerungen vielleicht relevanteste Punkt des Wandels,<br />

des Revolvere, des Umdrehens zum Ausdruck. Der „hyperkritische Zustand“ kennzeichnet<br />

eine Situation im Systemverhalten, in dem das System „fern ab“ ist von seinem<br />

Gleichgewicht. Wichtig ist es nun, jene Zeichen lesen zu lernen, die auf solchen hochinstabilen<br />

Zustand verweisen.<br />

Was hier in <strong>der</strong> Klimaforschung unternommen <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Klimafolgenforschung<br />

weitergeführt wird, fi ndet lei<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Forschung zur gesellschaftlichen Transformation<br />

im Allgemeinen <strong>und</strong> zur Regional- <strong>und</strong> Stadtentwicklung im Beson<strong>der</strong>en keine Entsprechung.<br />

Werden dort chemische, physikalische, mathematische, biologische, geologische<br />

<strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Forschungen zusammengeführt <strong>und</strong> in ein ganzheitliches Wahrscheinlichkeitsmodell<br />

überführt, so arbeiten hier viele Wissenschaften noch recht isoliert nebeneinan<strong>der</strong>.<br />

Vor allem Transformationsprozesse in Regionen <strong>und</strong> Städten Ostdeutschlands, insbeson<strong>der</strong>e<br />

im grenznahen Raum, scheinen solchen hyperkritischen Zuständen oft analog<br />

zu sein. Transformation hier verläuft gleichsam im Hochofen, unter Bedingungen einer<br />

Katalyse. Kritisch betrachtet bestehen hier, in den „Zonen des beschleunigten Transformationsprozesses“,<br />

größere Risiken; positiv gesehen, scheinen eben auch mehr <strong>Chancen</strong><br />

im Wandel zu bestehen, <strong>der</strong> die Regionen langfristig wettbewerbsfähiger macht <strong>und</strong><br />

diesen so eine Vorreiterfunktion im gesamtgesellschaftlichen Transformationsprozess<br />

einräumen.<br />

In dieser Situation ist es Aufgabe <strong>der</strong> Wissenschaft, jene Zusammenhänge bzw. (hyper-)<br />

kritischen Situationen zu ermitteln <strong>und</strong> nicht nur (was auch schon viel wert ist!)<br />

die endogen <strong>und</strong> exogenen Faktoren <strong>der</strong> Entwicklung von Institutionen, Technologien,<br />

kultureller Muster etc. mit Hilfe <strong>der</strong> Faktorausstattung von Märkten, Steuerungsinstrumenten<br />

usw. zu beschreiben.<br />

D. h., es sind nicht nur präzise einzelwissenschaftliche Aussagen, son<strong>der</strong>n eben auch<br />

Aussagen über (das Eigene des Zusammenhangs) das Gesamtverhalten von Systemen zu<br />

treffen. So ist z. B. zu prüfen, ob es für das Ineinan<strong>der</strong>wirken von Faktoren bzw. für das<br />

Zusammenwirken von wirtschaftlichen, kulturellen, sozialen, ökologischen, politischadministrativen<br />

(etc.) Einfl üssen <strong>der</strong> Stadt- bzw. <strong>Regionalentwicklung</strong> eine „kritische<br />

Masse“ gibt, die, insofern sie unterschritten wird, den Zusammenhang Region bzw.<br />

Stadt als kohärenten Lebens- bzw. Handlungsraum für Menschen mit ihrer Wirtschaft,<br />

ihrer Politik etc. aufl öst; ab wann ist es unerheblich zu glauben, über Investitions- bzw.<br />

Nachfrageför<strong>der</strong>ung Wirtschaftsstandorte aufwerten zu können, ab wann sind Investitionen<br />

in Stadtsanierung <strong>und</strong> Gewerbefl ächenbereitstellung nicht mehr sinnvoll, obwohl<br />

eine Stadt noch eine hinreichend große Einwohnerzahl für bestimmte Gewerbe bzw. für<br />

den Einzelhandel zu haben scheint, diese Investitionen dann aber aufgr<strong>und</strong> kultureller<br />

Prägungen (DDR-Biografi en, grenznaher Raum <strong>und</strong> deutsch-polnische Beziehungsvergangenheit)<br />

<strong>und</strong> Alterstruktur (Pensionärsdasein) lokale Wirtschaftskreisläufe bzw. Wertschöpfungsketten<br />

nicht mehr in hinreichendem Maße entstehen lassen.


112 Eckehard Binas<br />

Die Erarbeitung von Modellen, die es ermöglichen, solche „(hyper-)kritischen Situationen“<br />

(Kollapsgefährdungen) zu bestimmen, sind ob ihrer Komplexität 5 zwar auch<br />

eine große Herausfor<strong>der</strong>ung, zugleich aber entsprechen sie mit Sicherheit einem großen<br />

Bedürfnis in <strong>der</strong> Praxis, nicht allein <strong>der</strong> Politik <strong>und</strong> <strong>der</strong> strategischen Investitionsplanung<br />

von Unternehmen.<br />

Um ein Beispiel zu geben: welchen Grad an Vernetzung in den Bereichen Energie,<br />

Wasser, Telekommunikation, Transport, Entsorgung etc. <strong>und</strong> somit welchen Grad an<br />

„Netzabhängigkeit“ können sich Kommunen, Unternehmen, Regionen vor dem Hintergr<strong>und</strong><br />

wirtschaftlichen Wettbewerbs <strong>und</strong> politischer Unwägbarkeiten <strong>der</strong> Entwicklung<br />

in Nachbarlän<strong>der</strong>n <strong>und</strong> selbst hier erlauben, um im „kritischen Fall“ noch Handlungsfähig<br />

zu bleiben? Wie sieht das Verhältnis zwischen Autonomie <strong>und</strong> Netzintegration<br />

sinnvoller Weise aus? Und zwar so, dass auch hier noch wettbewerbs- <strong>und</strong> somit entwicklungsrelevante<br />

Innovationen stimuliert werden können? Und wie <strong>und</strong> nach welchen<br />

Regeln bzw. Prinzipien verläuft auch hier ein gr<strong>und</strong>sätzlicher Transformationsprozess?<br />

Interessanterweise glauben wir im Rahmen unserer allgemeinen Kulturvorstellungen <strong>und</strong><br />

geprägt durch das Vertrauen in die Selbstregulationskräfte- <strong>und</strong> in das Lernvermögen unserer<br />

(sozialen) Marktwirtschaft immer mehr Freiheiten zu erringen, eine immer größere<br />

Individualität ausprägen zu können. Zugleich aber reduziert sich dieser Freiheitsgrad<br />

gleichsam stündlich mit jedem Schritt des Ausbaus von Netzabhängigkeiten sowie von<br />

Globalisierung <strong>und</strong> <strong>der</strong>eguliertem Wettbewerb. Wird also nur die ideologische Seite des<br />

Freiheitsverständnisses gesehen, bleibt auch in unserem Selbstverständnis <strong>und</strong> für unsere<br />

Problemwahrnehmung nicht ausreichend Platz, um auch die Risiken <strong>und</strong> neuen Abhängigkeiten<br />

zu verstehen <strong>und</strong> darzustellen, geschweige denn, wir können uns angemessen<br />

auf gewachsene Abhängigkeiten <strong>und</strong> (hyper-) kritische Situationen einstellen o<strong>der</strong>/<strong>und</strong><br />

aber schließlich auf <strong>Chancen</strong>.<br />

Solche <strong>und</strong> weitere Fragen können <strong>und</strong> müssen Gegenstand fach- <strong>und</strong> strukturübergreifen<strong>der</strong><br />

Gespräche werden <strong>und</strong> darüber hinaus einer systematischen, wissenschaftlich<br />

seriösen Forschungsarbeit. Erfor<strong>der</strong>lich <strong>und</strong> in Ansätzen auch bereits sichtbar ist eine<br />

interdisziplinäre Forschung, die aufgefor<strong>der</strong>t ist, ihre Einsichten in eine Modellierung<br />

des sog. „Gesamtverhaltens“ eines regionalen Systems einzubringen <strong>und</strong> so an <strong>der</strong> Erarbeitung<br />

eines Instrumentariums zur Verifi kation von Interdependenzen, wie z. B. <strong>der</strong><br />

Bestimmung von sog. kritischen Größen/Massen/Systemzuständen, mitzuwirken, vorausgesetzt,<br />

dass solche überhaupt unterstellt werden. Doch dazu später.<br />

3. Region <strong>und</strong> Regionalität/Regionalisierung<br />

Wollen wir Regionalisierungsprozesse verstehen, brauchen wir die historische Rekonstruktion<br />

<strong>der</strong> territorialen Bindung von Leistungen produktiver Gemeinschaften <strong>und</strong> die<br />

Refl exion des Eigenen, die sich über die Projektion auf das formiert, was man nicht sein<br />

will o<strong>der</strong> hat. Politische Territorialorganisationen fe<strong>der</strong>n soziale Spannungen dabei ab<br />

<strong>und</strong> sichern Distributions- <strong>und</strong> Re-Produktionsstrukturen.<br />

5 Komplexitätsmaß = Varietät / Anzahl <strong>der</strong> verschiedenen Verhaltensmöglichkeiten eines Systems


Theoretische Anmerkungen zu Problemen <strong>der</strong> Modellierung <strong>und</strong> Operationalisierung 113<br />

Nach dem zweiten Weltkrieg gab es zwei Regionalisierungsimpulse, die auf Mo<strong>der</strong>nisierungsschübe<br />

<strong>der</strong> 70er <strong>und</strong> 90er Jahre reagierten. Zunächst ist „Regionalismus“<br />

eine vom Autonomiestreben „beseelte“ Gegenbewegung zur Globalisierung, die bis zu<br />

Formen neuer Subsistenzwirtschaften <strong>und</strong> Versuchen lokaler Ökonomien geführt hat.<br />

Heute ist Regionalität selbst Teil einer bisweilen nur „nachholenden“ Mo<strong>der</strong>nisierung,<br />

ist planungstechnischer Begriff <strong>und</strong> Marketinginstrument zugleich. „Das Europa <strong>der</strong> Regionen“<br />

ist inzwischen eine ebenso selbstverständliche Denkfi gur wie die „Regulierung<br />

<strong>der</strong> Agrarerträge“ durch die Europäische Kommission o<strong>der</strong> die „Revitalisierung von Industriebrachen“<br />

im Bitterfel<strong>der</strong> Dreieck, als Lausitzer Seenland <strong>und</strong> an den Randzonen<br />

<strong>der</strong> Europäischen Union wurden sog. Euroregionen geschaffen.<br />

Das Finden regionaler Beson<strong>der</strong>heiten wirtschaftlicher Teilräume als Reaktion auf<br />

supranationale Ökonomien stößt bei einer kommerziellen Ökonomie schnell an Grenzen<br />

<strong>der</strong> zwangsläufi g offenen Region. Strategien eigenständiger, endogener Entwicklung<br />

betrachten „Regionen demgegenüber nicht nur als wirtschaftliche Nutzungsräume,<br />

son<strong>der</strong>n ebenso als kulturelle Identitäts-, ökologische Lebens- <strong>und</strong> politische Entscheidungsräume“<br />

6 .<br />

Betrachten wir einen sozio-ökonomisch positiven Begriff von Regionalisierung: hier<br />

wird die regionale Verantwortungsgemeinschaft zum Strukturniveau <strong>der</strong> Herausbildung<br />

von Problemlösungskompetenzen. Das ist insofern wichtig, als eine nationalstaatliche<br />

Politik immer weniger regional griffi ge Lösungsansätze bereithält, Projekte bestenfalls<br />

noch subsidiär för<strong>der</strong>n kann o<strong>der</strong> Subsidiarität sanktioniert. Auf diese Weise treten<br />

die Bereiche erfor<strong>der</strong>licher regionaler Anstrengungen hervor. Das sind vor allem: 1.<br />

die territorialen Rückbindungen <strong>und</strong> Feedbackeffekte des Wirtschaftens, 2. kulturelle<br />

Profi lierung <strong>und</strong> alltagsästhetische Auszeichnung des Beson<strong>der</strong>en, 3. eine eigenständige<br />

bzw. regionale Bewertung <strong>und</strong> so oft auch Umwertung von Arbeit (auch von nicht Erwerbsarbeit)<br />

<strong>und</strong> damit ihrer Neuverteilung – man denke z. B. an kulturelle <strong>und</strong> soziale<br />

Tätigkeiten – <strong>und</strong> schließlich 4. die Rückbindung von Ökologie an Erlebnis <strong>und</strong> persönliche<br />

Verantwortung sowie an generationsübergreifenden nachhaltigen ökologischen<br />

Wandel, <strong>der</strong> nur regional verwirklicht werden kann. Wenn Territorium allein Landschaft<br />

ist, ist Terra bloß Material. Erst als Region, d. h. wo <strong>der</strong> Mensch seine Perspektive <strong>und</strong><br />

die seiner Kin<strong>der</strong> verortet bzw. verräumlicht, macht er aus Territorien auch Kulturlandschaften.<br />

Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> können wir unseren Fragenkreis neu bestimmen <strong>und</strong> einschränken.<br />

Auf eine Formel gebracht: wie kann Region a) lebensweltlich praktischer<br />

Aktionsradius mit Kontur, Kohärenz <strong>und</strong> hinreichen<strong>der</strong> Komplexität sein bzw. werden<br />

<strong>und</strong> b) wie sind die Bedingungen <strong>und</strong> Instrumentarien zur Beför<strong>der</strong>ung eines solchen<br />

Prozesses zu entwickeln?<br />

6 Bereits Max Weber hat die „kulturellen Rahmung“ ökonomischer Prozesse untersucht <strong>und</strong> gefragt wie „konkrete Formen<br />

des Gemeinschaftshandelns“ Wirtschaftsformen begünstigen o<strong>der</strong> hemmen. Er vermutete „Wahlverwandtschaften“ zwischen<br />

Lebensstilen <strong>und</strong> Wirtschaftsformen. Doch warum tritt „Regionalisierung“ wie<strong>der</strong> in den Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong>? Nach Ulrich Beck<br />

sind wir mit vier „Herausfor<strong>der</strong>ungen“ konfrontiert: die Globalisierung, die Individualisierung, das Verschwinden <strong>der</strong> Arbeit<br />

<strong>und</strong> die ökologische Krise. Doch meist steht „nur eine dieser Herausfor<strong>der</strong>ungen im Zentrum <strong>der</strong> öffentlichen Debatten“.<br />

Wie aber kann diesen vier Herausfor<strong>der</strong>ungen gleichzeitig begegnet werden, wenn sich die global operierenden Unternehmen<br />

gleich vierfach subventionieren lassen, „indem sie ihre Infrastrukturmaßnahmen optimieren, direkte Subventionen kassieren,<br />

Steuern minimieren <strong>und</strong> die Kosten für die Arbeitslosigkeit externalisieren <strong>und</strong> damit die Kontroll- <strong>und</strong> Interventionsmöglichkeiten<br />

des Staates verringern?


114 Eckehard Binas<br />

Mit an<strong>der</strong>en Worten: Will strategisches Handeln raumgreifend wirken, muss es sich<br />

seinen Gegenstand <strong>und</strong> sein Ziel bestimmen. Kann dies Region sein?<br />

Ein Territorium, einen Lebensraum als Region zu identifi zieren, verlangt von ihm<br />

Kontur, Kohärenz <strong>und</strong> hinreichende Komplexität. D. h. sie muss sich in ihrer Eigenart<br />

unterscheiden, in ihrer inneren Glie<strong>der</strong>ung einen Zusammenhang, den Raum als Ganzes<br />

erscheinen lassen, auch Wi<strong>der</strong>sprüchliches integrierbar halten. Ein Lebens- bzw. Produktionsraum<br />

von Gemeinschaft, <strong>der</strong> zu wenig angefüllt ist mit differenzierten Merkmalen<br />

des Wie<strong>der</strong>erkennens <strong>der</strong> Verhaltens- <strong>und</strong> Handlungsmöglichkeiten, verhin<strong>der</strong>t letztlich<br />

auch seine Identifi kation als Region.<br />

Der Zusammenhang dieser drei Merkmale („Kontur, Kohärenz, hinreichende Komplexität“)<br />

erscheint in Zeichen bzw. Symbolen. In diesen wird die Region zelebriert.<br />

Das relevante in unserem Zusammenhang daran: solche Repräsentationen erlangen<br />

ihre eigene Wirkmächtigkeit <strong>und</strong> werden als relevante Lebenswelt in das Gefüge jener<br />

Faktoren <strong>der</strong> <strong>Regionalentwicklung</strong> integriert, die letztlich Richtung <strong>und</strong> Dynamik <strong>der</strong><br />

Entwicklung bestimmen.<br />

Heimat wird ins Symbol delegiert. Der nun nächste, heute wirtschaftlich höchst<br />

relevante Schritt ist die Rückkopplung des Symbols in den Alltag. D. h., dass solche<br />

Symbole nicht nur repräsentieren, son<strong>der</strong>n von den Menschen als Instrumente ihrer<br />

Orientierung gebraucht werden. Problematisch ist daran, dass sich oft interregional die<br />

Symbole unterscheiden, aber nicht mehr ihre Bedeutungen, d. h. worauf sie zeigen.<br />

Also: von welcher Region sprechen wir? Ist sie ein Wirtschaftsgebilde, eine Kulturraum,<br />

eine Verwaltungseinheit, eine Sicherheits- bzw. Geborgenheitssphäre? Berücksichtigen<br />

wir noch die an natürliche <strong>und</strong> klimatische Bedingungen geb<strong>und</strong>ene Umweltaneignung<br />

<strong>der</strong> Menschen <strong>und</strong> ihrer Unternehmungen, die Schwerkraft von Konventionen<br />

<strong>und</strong> Interpretationsstandards, einen moralisch sanktionierten selektiven Nachbarschaftsnutzen<br />

<strong>und</strong> die so ermöglichte Kompensation von Mo<strong>der</strong>nisierungszumutungen etc.<br />

pp. sind vielleicht auch noch weitere Regionalitätsbegriffe möglich.<br />

Schließlich eine Kongruenz <strong>der</strong> verschiedenen „Regionen“, besser hier: Regionalitätsbestimmungen<br />

wird in einem Raum oft stillschweigend vorausgesetzt. Dass dies nur in<br />

den seltensten Fällen so ist, sehen wir an den aktuellen Diskussionen hier. Die politische<br />

Organisation von Territorien folgt keiner primären kulturellen Sinngebung. Viel wichtiger<br />

ist die Handlungsfähigkeit <strong>der</strong> Gebietskörperschaft, d.h. ihre organisatorische <strong>und</strong><br />

fi nanzielle wie auch die kontrollierende <strong>und</strong> normative Kraft im Interessenausgleich.<br />

Wichtig ist, wie sie gemeinnützige <strong>und</strong> kommerzielle kommunale Kompetenzen in<br />

Problemlösungen integriert. Über Konfl ikte zwischen regionalen <strong>und</strong> überregionalen<br />

Interessen, z. B. zwischen Landkreis, Regierungspräsidium <strong>und</strong> Ministerien, erleben wir<br />

häufi g, wie Zuständigkeiten <strong>und</strong> Interessen an Kreisgrenzen enden.<br />

Daraus folgen zusammenfassend drei Fragen, die wir aufeinan<strong>der</strong> zu beziehen haben:<br />

1. was stiftet Kohärenz, Kontur <strong>und</strong> Binnenkomplexität einer Region?<br />

2. welche Exekutivinstrumentarien für Problemlösungen <strong>und</strong> Kompetenzintegration<br />

entsprechen dieser Region? <strong>und</strong><br />

3. was ist dem eine optimale territoriale Größe <strong>und</strong> Binnenproportionalität (wirtschaftlich,<br />

infrastrukturell, administrativ-politisch, sozial <strong>und</strong> kulturell)?


Theoretische Anmerkungen zu Problemen <strong>der</strong> Modellierung <strong>und</strong> Operationalisierung 115<br />

4. Probleme <strong>der</strong> wissenschaftlichen Methode als Voraussetzung für Modellbildungen<br />

/ Ausgewählte Probleme <strong>der</strong> Modellierung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Operationalisierung im<br />

Kontext <strong>der</strong> Erwartungen <strong>und</strong> Anfor<strong>der</strong>ungen integrierter <strong>und</strong> ganzheitlicher<br />

Regionalforschung<br />

Was war ursprünglich <strong>der</strong> Stimulus, das Motiv für diesen Beitrag? Doch ein Modell<br />

zu entwerfen, bzw. <strong>der</strong>en Entwurfsbedingungen zu bestimmen, welches <strong>Regionalentwicklung</strong><br />

abbildet, d. h. das zeigt, wie sich defi nierte Regionen unter ebenso defi nierten<br />

Bedingungen entwickeln werden <strong>und</strong> von welchen externen <strong>und</strong> internen Einfl ussfaktoren<br />

<strong>und</strong> mit welcher Stärke diese Entwicklung beeinfl usst wird. Dass dabei auf ein<br />

Multi-Interdependenz-Modell gestoßen wurde, liegt nahe <strong>und</strong> auch, dass Regionen als<br />

ein sich dynamisch entwickelndes System vorgestellt werden, welche aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> hohen<br />

Binnenkomplexität <strong>und</strong> ihrer Merkmalsdichte Eigenschaften <strong>und</strong> Verhaltensweisen<br />

von chaotischen bzw. hyperkomplexen System, also von sog. Nicht-linearen Systemen<br />

aufweisen. Und drittens unter den Bedingungen <strong>der</strong> gegenwärtigen Transformationsprozesse<br />

dieses System „Region“ sich auch noch wie ein „hochinstabiles“ bzw. als eines,<br />

das sich fern ab vom Gleichgewicht befi ndet, verhält. Soweit die schon nicht mehr<br />

banalen, aber doch nahe liegenden Vorüberlegungen mit gewissen Anleihen. Verstärkt<br />

wurden diese Überlegungen noch durch verblüffende Entwicklungen in <strong>der</strong> Informatik,<br />

insbeson<strong>der</strong>e (um nur ein paar Stichworte zu nennen) <strong>der</strong> Fuzzylogic, <strong>der</strong> Algorithmen-<br />

<strong>und</strong> Sequenzanalyse in riesigen Zahlenreihen, damit verb<strong>und</strong>en <strong>der</strong> Clusteranalyse <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> referenziellen Daten- <strong>und</strong> Musterbearbeitung bis hin zu quasi-künstlich-intelligenten<br />

autoreferenziellen Verarbeitungssystemen. Aber – <strong>und</strong> das ABER muss groß geschrieben<br />

werden – davor liegt ein Berg von Problemen, ohne <strong>der</strong>en annähernde Lösungen das<br />

soeben abstrakt Vermutete <strong>und</strong> technisch Instrumentelle <strong>der</strong> wissenschaftlichen Arbeit<br />

we<strong>der</strong> konkretisiert noch angewendet werden kann. Welche Daten können überhaupt<br />

verwendet werden? Wird nicht bereits aus <strong>der</strong> differenzierten Sicht auf sehr verschiedene<br />

Regionalitätsbegriffe deutlich, dass wir es hier schon im Ansatz mit methodologisch<br />

unscharfen Begriffen <strong>und</strong> mit einer gleichsam erzwungenen Verpfl ichtung zur Hermeneutik<br />

zu tun bekommen? Wie werden die Daten erfasst? Welche Implikationen von<br />

Erfassung <strong>und</strong> Verarbeitung müssen berücksichtigt werden? Etc. pp. Also die Probleme<br />

fangen hier erst an – nicht zu vergessen, mit welcher Frage wir konfrontiert werden,<br />

wenn wir die Region als System betrachten <strong>und</strong> die alte Weisheit, dass das „Ganze immer<br />

mehr ist als die Summe <strong>der</strong> Teile“, berücksichtigen wollen. Worin äußert sich <strong>und</strong> welchen<br />

Stellenwert besitzt das eigenständige Merkmal „Ganzheit“, das Ganzheitsverhalten,<br />

die Eigenwertigkeit <strong>und</strong> Eigendynamik des Ganzen? Wie ist etwa politisch o<strong>der</strong> auch<br />

wirtschaftlich eine relative Gleichgültigkeit <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ungen von einzelnen Bausteinen<br />

eines Systems gegenüber dem Verhalten bzw. <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> Ganzheit zu<br />

bewerten? Welche Gravitationskräfte wirken beispielsweise, wenn einmal eingeschlagene<br />

Entwicklungspfade o<strong>der</strong> -korridore verlassen werden sollen, wie sich das leicht beschreiben<br />

lässt für die spiralförmig abwärts verlaufenden Entwicklungen von schrumpfenden<br />

Städten in Ostdeutschland. Voraussetzungen für die Modellierung: ist die Defi nition<br />

einer Region als System. Doch was ist „System“ 7 hier? Welche festen Charakteristika


116 Eckehard Binas<br />

hat Region als System? Was sind Systemfunktion, welche Elementenkonstellation <strong>und</strong><br />

Wirkungsverknüpfungen (Relationen) gibt es? Auf welche Elemente kann nicht verzichtet<br />

werden, ohne die Systemidentität zu zerstören? Was ist hier Systemumwelt? Welche<br />

Wirkungen erzeugen bestimmte Relationen <strong>der</strong> Elemente, wo gibt es Rückkopplung,<br />

wo Hemmung? Wie sind Eigendynamik <strong>und</strong> Systemgleichgewicht zu erfassen usw. <strong>und</strong><br />

so fort? 8 Und was ist schließlich mit nicht-linearen Systemen? Ist es immer möglich, sie<br />

durch Analyse auf lineare zurückzuführen <strong>und</strong> so berechenbar zu machen?<br />

Lassen sie sich angesichts eines nicht zu verbergenden methodologischen Risikos<br />

doch einmal treiben in einem Fluss <strong>der</strong> Herausfor<strong>der</strong>ungen <strong>und</strong> Probleme <strong>der</strong> Vorbereitung<br />

<strong>und</strong> Aufbereitung von Informationen für komplexe Modellbildungen unter<br />

beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung <strong>der</strong> Regionalforschung:<br />

Eine spontane, intuitive Herangehensweise würde zwangsläufi g Interessen <strong>und</strong> Wissenshintergründe<br />

reproduzieren. Z. B. läge es nahe, eine Region daraufhin zu betrachten,<br />

welche wirtschaftlichen, natürlichen, sozialen, politischen, kulturellen, technischen <strong>und</strong><br />

administrativ-juristischen <strong>und</strong> vielleicht noch xyz Faktoren hier aufeinan<strong>der</strong> wirken;<br />

doch hier fransen die Systematisierungen schon gleich wie<strong>der</strong> aus. Sind die politischen<br />

Faktoren nach <strong>der</strong> Gewaltenteilung zu differenzieren o<strong>der</strong> wenden wir hier den etymologischen<br />

Politeia-Begriff an, <strong>der</strong> das Politische eher doch als die geordnete Regelung<br />

<strong>der</strong> öffentlichen Angelegenheiten versteht <strong>und</strong> so das Bürgerschaftliche <strong>und</strong> Zivilgesellschaftliche<br />

notwendig einzuschließen hätte. Gehören die Infrastrukturen zu den technischen<br />

Faktoren, wie ist dann mit einem Begriff wie „kulturelle Infrastruktur“ umzugehen?<br />

Wie sind die fi skalischen Erfor<strong>der</strong>nisse als politische Steuerungsinstrumente von<br />

den wirtschaftlichen Faktoren zu trennen, wo doch das unternehmerische Handeln von<br />

<strong>der</strong>en Last bisweilen für alle Marktteilnehmer (z. B. mit Blick auf 19 Prozent Mwst.) kräftig<br />

beeinträchtigt wird? In einem nächsten Schritt müsste man ja dann herausfi nden, ob<br />

<strong>und</strong> wie <strong>der</strong> eine Faktor den an<strong>der</strong>en beeinfl usst bzw. von ihm abhängig ist? Liegt hier<br />

einfach nur eine Kausalitätsvermutung vor? Wird Interdependenz zu einem Erwartungsmuster,<br />

das wirtschaftliche <strong>und</strong> politische Entscheidungen im Sinne einer sich-selbsterfüllenden<br />

Prophezeiung beeinfl usst? Wie sähe so ein Vektorenbündel aus? Wie sähe<br />

das Bündel aus, wenn ganz an<strong>der</strong>e Faktoren eingesetzt würden o<strong>der</strong> einzelne Faktoren<br />

ausgetauscht bzw. auf an<strong>der</strong>e Weise die Indikatoren, die eine Faktorwirkung anzeigen<br />

sollen mit an<strong>der</strong>en Kriterien <strong>und</strong> so aus an<strong>der</strong>en Datenmengen aggregiert würden? Mit<br />

welchen Unterstellungen arbeitet ein solches Modell dann eigentlich? Und kann es nicht<br />

sein, dass im Sinne <strong>der</strong> Theorie hochkomplexer nicht-linearer Systeme gerade als bislang<br />

unwichtig o<strong>der</strong> zu nebensächlich eingestufte Sachverhalte das Gesamtverhalten des System<br />

maßgeblich steuern <strong>und</strong> eine Pfadän<strong>der</strong>ung etwa von Entwicklungen einleiten? Wie<br />

fl ießen empirisch-quantitative mit qualitativ-interpretatorischen Methoden zusammen?<br />

Wie gehen wir mit Wahrscheinlichkeiten um, bzw. können wir einer Rationalität vertrauen,<br />

die auf Durchschnitte bzw. Mehrheiten <strong>und</strong> sonstigen statistischen Evidenzen<br />

baut? Sind nicht gerade Extreme <strong>und</strong> statistische Spitzen <strong>und</strong> die zarten Keime das für<br />

7 Siehe http://72.14.221.104/search?q=cache:Bc4CQG92OEkJ:www.geo.unizh.ch/~kaeaeb/e%26mhtml/systeme.html+4.+S<br />

ystem,Modell,Simulation&hl=de&gl=de&ct=clnk&cd=1.<br />

8 Systemdurchgänge (Fenster <strong>und</strong> Türen des Systems) / „Stoffwechselprozesse“ z. B. Tausch, Repräsentationen, Ko-Evolutionen,<br />

Ableitungen, Substitute etc.


Theoretische Anmerkungen zu Problemen <strong>der</strong> Modellierung <strong>und</strong> Operationalisierung 117<br />

Entwicklung <strong>und</strong> Innovation Interessante? Wie gehen wir mit Wahrscheinlichkeit <strong>und</strong><br />

Ahnung um im Rahmen unseres nach wie vor in <strong>der</strong> Sozial- <strong>und</strong> Geisteswissenschaft<br />

vorherrschenden Denkparadigmas <strong>der</strong> zweiwertigen Logik von wahr <strong>und</strong> falsch, das<br />

den Denkfi guren des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts verpfl ichtet ist, das Paradoxe z. B. nicht zulässt<br />

<strong>und</strong> eng mit dem Newtonschen Weltbild verknüpft ist <strong>und</strong> an die Rationalität eines<br />

Immanuel Kant geb<strong>und</strong>en scheint? Und nicht zuletzt wächst unser Labyrinth ins Unermessliche,<br />

wenn wir die dimensionale Analyse unserer Ausgangsbegriffe gleichsam<br />

dreidimensional erweitern um solche Aspekte wie dann z. B. Demografi e, Beschäftigung,<br />

Reformprogramm, ordnungspolitische Wünsche, quasireligiöse Glaubenssätze von Wettbewerbsliberalität,<br />

vollkommener Markt, Ressorcenzugangsgerechtigkeit etc. pp.<br />

Lassen sie mich das noch ein wenig am Beispiel <strong>der</strong> Szenariomethode präzisieren:<br />

Szenarios funktionieren nach <strong>der</strong> Methode <strong>der</strong> Hochrechnung. 9 Ein defi niertes System<br />

wird mit einer wachsenden Menge verän<strong>der</strong>ter Faktoren konfrontiert, so das aus dem<br />

heute scharf defi nierten mit dem Wachstum <strong>der</strong> Faktoren- <strong>und</strong> <strong>der</strong> Vermittlungsvielfalt<br />

ein morgen unscharf bzw. sehr offenes System wird. Das steigert die Unsicherheit <strong>der</strong> Beurteilung,<br />

d. h., es fällt die Wahrscheinlichkeit des Eintretens bestimmter Ereignisse bzw.<br />

Entwicklungen. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> ergeben sich einige Fragen für unser Thema.<br />

Ist es möglich, gleichsam die richtigen Stellschrauben des Systems zu ermitteln <strong>und</strong> ihre<br />

Gewichtung zu bestimmen? Können dann bei <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Gewichtung neue<br />

Hochrechnungen bzw. neue Szenarien gef<strong>und</strong>en werden, die sich f<strong>und</strong>amental von den<br />

ersteren unterscheiden? Wie stabil sind die dann jeweiligen Systeme <strong>und</strong> wie resistent<br />

gegen Neues <strong>und</strong> äußere Einfl üsse? Welche Kriterien, welche Oberbegriffe <strong>und</strong> Teile-<br />

Bewertungen <strong>und</strong> Interpretationen von Einzelheiten werden verwendet? Die übliche<br />

Ungleichgewichtigkeit <strong>der</strong> Faktorenbewertung bzw. die Dominanz <strong>der</strong> Wirtschafts- <strong>und</strong><br />

Technikfaktoren als Vorurteil ist dafür oft beredtes Beispiel. Und warum ist das unvermeidlich,<br />

um Einsichten zu Trendaussagen zu verdichten, bzw. wenigstens das konkret<br />

Vielfältige zu einem Faktorindikator zu aggregieren? Wie ist die Verifi kation des Aggregationskriteriums<br />

möglich außer durch rückblickende, d. h. historische Betrachtung real<br />

stattgehabter Entwicklungen? Benötigt nicht jedes wissenschaftliche Szenarioverfahren<br />

eine Trendtransfermethodologie? In wie weit müssen in dieser psychologische <strong>und</strong> kulturelle<br />

Muster berücksichtigt werden, wo doch z. B. quasimimetische Anpassungen an<br />

externe bzw. an<strong>der</strong>norts entstandene, aber erst durch die Massenmedien zu uns herübergeholte<br />

Makro-Trends eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen?<br />

Darüber hinaus: welche nahe liegenden Aufgaben bzw. Probleme einer Methodologie<br />

<strong>der</strong> Simulation in Modellen hätten wir zu berücksichtigen? Vielleicht reicht an<br />

dieser Stelle eine Aufzählung, denn Vertiefungen sprengen letztlich doch den hiesigen<br />

Rahmen.<br />

– Erfassung bzw. Erkennung<br />

– Eichung <strong>der</strong> Indikatoren <strong>und</strong> Messverfahren<br />

– Ordnung, Dimensionalität, Limitierung <strong>und</strong> Aggregation<br />

– Indikation<br />

9 Vgl. den Bezug zu Trend-, Markt- <strong>und</strong> Milieuforschung (Sinus, Sigma <strong>und</strong> Meinungsforschung) Foresight-methode <strong>und</strong><br />

dazu gehörige Projekte.


118 Eckehard Binas<br />

– Problem <strong>der</strong> Vermitteltheit <strong>und</strong> Überlagerung von Ursachen <strong>und</strong> Wirkungen, Kausalität<br />

<strong>und</strong> Interdependenz<br />

– Komplexität<br />

– Punktualität, Problem <strong>der</strong> zeitlichen Erfassungsnähe<br />

– Fakten <strong>und</strong> Systemstabilität<br />

– Interpretation <strong>und</strong> Kompatibilität differenter Faktenpakete für die Korrelation, Proportionalität<br />

– fachliche <strong>und</strong> raumzeitliche Grenzen des Gegenstandes, das Innen- <strong>und</strong> Außenproblem<br />

<strong>der</strong> Systembetrachtung<br />

– Netz <strong>und</strong> Vernetztheit, Verknüpfungen, Distanzen <strong>und</strong> komplementäre Räume (z. B.<br />

Abhängigkeiten von einmal etablierten Entwicklungen aus abgeleiteten Prozessen <strong>und</strong><br />

komplementären Sachverhalten – wie etwa in <strong>der</strong> Wirtschaft Wertschöpfungsprozesse<br />

eben auch komplementäre Wertschöpfungsketten erzeugen z. B. als Dienstleistung <strong>und</strong><br />

diese wie<strong>der</strong>um existenziell für die primären z. B. das produzierende Gewerbe sein können.)<br />

– Induktion, Ansteckung, Erregung von Umfel<strong>der</strong>n<br />

– (schließlich) zufällige Übersprungeffekte (wie sie etwa bei <strong>der</strong> Elektrotechnik o<strong>der</strong> in<br />

Neurophysik zu beobachten sind).<br />

5. Schlussbemerkungen / Annäherungen (Möglichkeitsbedingungen)<br />

Ich möchte an dieser Stelle ein Plädoyer für eine „ständige Konferenz“ <strong>der</strong> systematischen<br />

<strong>und</strong> multidisziplinären Regionalforschung halten unter dem beson<strong>der</strong>en Vorzeichen <strong>der</strong><br />

hier <strong>und</strong> heute forcierten Transformationsprozesse <strong>und</strong> <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>s im Vergleich zu<br />

an<strong>der</strong>en Regionen in Deutschland <strong>und</strong> darüber hinaus eklatanten Entwicklungsprobleme<br />

<strong>und</strong> Ungleichverteilungen von Vorteilen <strong>und</strong> Lasten dieser Entwicklungen. „Ständige<br />

Konferenz“ weil es – wie sich oben hoffentlich gezeigt hat – kaum möglich sein wird, ein<br />

alle Beteiligten <strong>und</strong> Betroffenen befriedigendes Beschreibungs-, Analyse-, Planungs- bzw.<br />

Problemlösungsmodell geben wird <strong>und</strong> geben kann – <strong>und</strong> auch nicht unter zu Hilfenahme<br />

mo<strong>der</strong>nster Rechentechnik. Diese nährt darüber hinaus, wie wir gesehen haben,<br />

einen allzu leichtfertigen Optimismus. Jede Modellierung wird abhängig bleiben von<br />

unserer Wertepräferenz <strong>und</strong> dem Entwicklungsgrad unserer Untersuchungswerkzeuge,<br />

d. h. aber auch unserer politischen <strong>und</strong> moralischen wie auch kulturellen Positionen,<br />

Bedürfnisse <strong>und</strong> Bündnisse bzw. Begünstigungsgemeinschaften. Entscheidungen werden<br />

oft nur suboptimal gefällt. Dafür gibt es nicht nur strukturelle <strong>und</strong> kapazitative Gründe<br />

(Alternativen-Evaluation <strong>und</strong> ihre Kapazitätsprobleme), son<strong>der</strong>n vor allem kulturelle<br />

<strong>und</strong> politisch-moralische (ideologische)! 10<br />

Was es – um ein Ergebnis meiner Überlegungen zusammenzufassen – geben wird,<br />

ständig wie<strong>der</strong>, ist eine Projekt- <strong>und</strong> problemabhängige Gegenstand- <strong>und</strong> Komplexitäts-<br />

10 Denkfi guren <strong>und</strong> Paradigmen als Basis <strong>der</strong> Bestimmung von Suchbegriffen, z.B. Wachstumsparadigma, Wettbewerbsparadigma,<br />

Demokratie, Marktwirtschaft etc. Kausalitäts- <strong>und</strong> Interdependenzunterstellungen, Bewertung von Verstärkung,<br />

Abschwächung <strong>und</strong> Beschleunigung <strong>und</strong> Verlangsamung …


Theoretische Anmerkungen zu Problemen <strong>der</strong> Modellierung <strong>und</strong> Operationalisierung 119<br />

defi nition <strong>der</strong> Regionalforschung, für die dann jeweils spezifi sche <strong>und</strong> durchaus auch<br />

herkömmlich wie auch neu erarbeitete Instrumentarien <strong>der</strong> Forschung genutzt bzw.<br />

aufbereitet werden können, wie eben auch z. B. Cluster- <strong>und</strong> Korrelationsanalyse etc.<br />

Eine „Konferenz“ bzw. Arbeitsgemeinschaft hätte dann auch einen Konsens solcher Prä-<br />

Defi nitionen von Gegenstand <strong>und</strong> Methode zu leisten.<br />

Wettbewerbe werden heute nicht nur noch um primäre materielle <strong>und</strong> monetäre<br />

Ressourcen geführt, son<strong>der</strong>n immer mehr um Standardisierungen, institutionelle Stabilisierungen,<br />

um Erwartungsmuster, Regelungen <strong>und</strong> Normierungen, <strong>und</strong> nicht zuletzt<br />

um Interpretationen <strong>und</strong> Werte. Für Investitionen sind oft nicht <strong>der</strong> reale Kapitalwert<br />

<strong>und</strong> die Marktposition einer Unternehmung von Bedeutung, son<strong>der</strong>n die Wachstumsrate,<br />

die sich über den schwankenden Umsatzwerten in defi nierten Finanzierungszyklen<br />

zusammenfassen lässt bzw. erwartet wird. Investitionen <strong>und</strong> die Generierung endogener<br />

Kräfte verweisen hier deshalb vor allem auf Vertrauen in die richtigen Modelle <strong>und</strong><br />

Konzepte.<br />

Also: Solche zu entwickeln, auch mit von Wissenschaft <strong>und</strong> Forschung, ist ein mühevoller,<br />

aber ereignisreicher Weg. Diesen allein zu gehen, wird sich bald als unsinnig<br />

herausstellen, aber auch gemeinsam gleicht er oft einem Weg ins Labyrinth. Gehen wir<br />

Ihn! Und hinterlassen wir dabei deutliche Spuren!


120 Albert Löhr<br />

Zusammenfassung:<br />

<strong>Regionalentwicklung</strong> <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong><br />

Impulse aus Wirtschaft, Kultur <strong>und</strong> Wissenschaft<br />

ALBERT LÖHR<br />

1. Vorbemerkung<br />

Wi<strong>der</strong>stehen Sie bitte <strong>der</strong> nahe liegenden Versuchung, die Gedanken aus diesem abschließenden<br />

Kapitel zu wörtlich als „Zusammenfassung“ zu nehmen <strong>und</strong> damit insgeheim<br />

zu hoffen, sich die Lektüre <strong>der</strong> restlichen Beiträge ersparen zu können. Dazu<br />

sind die Daten <strong>und</strong> Gedanken in diesem Band zu vielfältig. Eine Zusammenfassung von<br />

Kerngedanken sollte den Autoren dabei besser selbst vorbehalten bleiben, dann ist die<br />

Gefahr von Missverständnissen geringer <strong>und</strong> man könnte nichts „übersehen“, was dem<br />

einen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Autor aus seiner Selbsteinschätzung wichtig scheint.<br />

Bedauerlich muss man in diesem Zusammenhang vielleicht konstatieren, dass es<br />

kaum Gelegenheit zur näheren Diskussion <strong>der</strong> einzelnen Vorträge gab, durch die man<br />

im Einzelfall noch besser hätte herauspräparieren <strong>und</strong> verstehen können, wo diese zentralen<br />

Punkte liegen. Die Redner hatten stets eine Überfülle mitzuteilen – dem einen<br />

o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Beitrag merkt man dies noch in dieser Buchform an. Ob dies ein gutes<br />

Zeichen für die weitere Entwicklung ist – eine überbordende Fülle an Daten, Gedanken,<br />

Ideen? O<strong>der</strong> ist es eher ein Ausdruck unscharfer Verhältnisse, in denen die großen<br />

Leitideen für die zukünftige Entwicklung chronisch fehlen, zumindest stark umstritten<br />

sind? Meine These wäre hier: die Heterogenität <strong>der</strong> vorgetragenen Gedanken ist ein<br />

Symptom für beides, für Engagement <strong>und</strong> großen Willen aller Beteiligten genauso wie<br />

für eine gewisse Orientierungslosigkeit in f<strong>und</strong>amentalen Leitmotiven. Ein eher informativer<br />

als diskursiver Charakter von Tagung <strong>und</strong> Beiträgen muss dann kein Nachteil für<br />

die weitere Entwicklung sein, denn er bildet die Gr<strong>und</strong>lage für den gemeinschaftlichen<br />

Orientierungsprozess über jene Ziele, um die es bei <strong>der</strong> <strong>Regionalentwicklung</strong> gehen soll.<br />

Allerdings ist klar, dass die politische Debatte über Ziele <strong>und</strong> Instrumente <strong>der</strong> Regionalenwicklung<br />

in <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> mit den vorliegenden Gedanken erst eröffnet wurde <strong>und</strong><br />

weiterhin geführt werden will. Ein „Ergebnis“ haben wir noch nicht.<br />

Ich verstehe diesen Abschlusskommentar von daher als Stellungnahme zum Einstieg<br />

in die weitere Ziel- <strong>und</strong> Identitätsfi ndung <strong>der</strong> <strong>Regionalentwicklung</strong> durch einen geneigten<br />

Teilnehmer, <strong>der</strong> gleichwohl mit kritischem Ohr <strong>und</strong> Blick die regionalen Entwicklungen<br />

in <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> verfolgt, als „wissenschaftlicher Begleiter“. Da ist sogleich methodische Vorsicht<br />

geboten, denn mit <strong>der</strong> netten Formel vom „wissenschaftlichen Begleiter“ windet man<br />

sich gern kurzerhand aus <strong>der</strong> Frage heraus, mit welchem Selbstverständnis sich ein Wissenschaftler<br />

mit <strong>der</strong> <strong>Regionalentwicklung</strong> überhaupt auseinan<strong>der</strong>setzen soll, noch dazu mit<br />

<strong>der</strong> eigenen. Als wohlmeinen<strong>der</strong> Berater o<strong>der</strong> „nur“ als (alt)klug kommentieren<strong>der</strong> Analyst?


<strong>Regionalentwicklung</strong> <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> 121<br />

Das ist keine leichte Frage! Im Gegenteil, denn einerseits wird von <strong>der</strong> Gesellschaft <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Politik immer erwartet, dass die lokale Wissenschaft mit ihrem anscheinend so eminenten<br />

Wissen sich doch bitte in die Gestaltung <strong>der</strong> <strong>Regionalentwicklung</strong> beratend einbringen<br />

möge <strong>und</strong> dadurch ihre Existenz, gerade in <strong>der</strong> vom Wissen <strong>der</strong> großen Welt nur beiläufi g<br />

tangierten Peripherie, rechtfertigen soll. An<strong>der</strong>erseits, <strong>und</strong> das wird immer gerne unter den<br />

methodischen Teppich gekehrt, gibt es ja spätestens seit Max Weber eine hergebrachte <strong>und</strong><br />

gut begründete Differenz zwischen Wissenschaft <strong>und</strong> Politik, 1 gemäß <strong>der</strong> man sich aus<br />

dem Tagesgeschäft <strong>der</strong> politischen Meinungsbildung gefälligst werturteilsfrei heraushalten<br />

solle. Demnach sollen die Wissenschaftler soziale Phänomene geistig durchdringen <strong>und</strong><br />

verstehen, die Politiker sollen sie verän<strong>der</strong>n <strong>und</strong> gestalten. Etwas plakativer zugespitzt: Der<br />

Wissenschaftler analysiert (denkt), <strong>der</strong> Politiker handelt (lenkt). 2<br />

Welche Form von Kommentar soll man also von einem nachdenklichen Wissenschaftler<br />

erwarten? Wenn man mir an dieser Stelle einen kurzen Exkurs in die Methodologie gestattet,<br />

so ist man als Wissenschaftler gr<strong>und</strong>sätzlich am Überlegen, ob man die <strong>Regionalentwicklung</strong><br />

als Teilnehmer o<strong>der</strong> als Beobachter zur Kenntnis nehmen <strong>und</strong> geben soll. 3 Der echte<br />

Teilnehmer tut sich für gewöhnlich schwer, sich in seiner Selbstbeobachtung von eingeschliffenen<br />

Selbstverständlichkeiten (Vorurteile, Routinen, Rollen, Stereotype, Machtstrukturen<br />

usw.) zu distanzieren, <strong>der</strong> bloße Beobachter hat dagegen Schwierigkeiten damit, mit<br />

seinen Methoden <strong>der</strong> Fremdbeobachtung die Basis sichtbarer Artefakte zu verstehen – über<br />

„Fragebögen“ lassen sich die in geschichtlichen Prozessen tief verankert gewordenen Eigenarten<br />

einer Region nicht erfassen. Dazu muss man <strong>der</strong>en Hintergründe kennen, was nur<br />

in langer Teilnahme möglich ist. Man müsste also beides sein: vertrauter Teilnehmer <strong>und</strong><br />

distanzierter Beobachter. Aufgr<strong>und</strong> meiner Biographie, die mich „von außerhalb“ in die<br />

<strong>Oberlausitz</strong> geführt hat, vermute ich hier einmal, dass aus mir eine Art „beobachten<strong>der</strong><br />

Teilnehmer“ geworden ist, dem noch mit einem interessierten Blick „von außen“ auf Verhältnisse,<br />

die ihm teilnehmend „von innen“ bereits leidlich vertraut geworden sind, allerlei<br />

charakteristische Eigenarten <strong>der</strong> Interpretationsgemeinschaft <strong>Oberlausitz</strong> aufgefallen sind.<br />

In diesem Sinne sind die nachfolgenden Ausführungen methodisch weniger als statistisch<br />

abgesicherte Bemer kungen einer distanzierten Wissenschaft zu verstehen, son<strong>der</strong>n eher als<br />

qualitative Feststellungen eines aufmerksamen Beobachters <strong>der</strong> Region <strong>und</strong> einer Tagung.<br />

2. Regionale Vorausschau (Regional Forecast)<br />

Ohnehin muss man in diesem Zusammenhang festhalten, dass die akademischen Diskussionen<br />

um <strong>Regionalentwicklung</strong> <strong>der</strong> Methode nach weniger eine „Wissenschaft“ im strengen<br />

Sinne darstellen, son<strong>der</strong>n mehr als eine „geordnete Spekulation“ verstanden werden sollten.<br />

Manches klingt hier für den harten Methodiker sogar ein wenig wie Anstiftung zur<br />

1 6 Vgl. MAX WEBER, Politik als Beruf, Berlin 1977 (Erstaufl age: München 1919) <strong>und</strong> DERS., Wissenschaft als Beruf, München/<br />

Leipzig 31930 (Erstaufl age München 1919); seine berühmten Antrittsreden an <strong>der</strong> Universität München aus dem Jahre 1920.<br />

2 Hier wie überall sei an erster Stelle die weibliche Form <strong>der</strong> Substantive stets respektvoll mitgemeint.<br />

3 Zur Unterscheidung zwischen Beobachtermodell <strong>und</strong> Teilnehmermodell von Wissenschaft vgl. gr<strong>und</strong>legend GARETH MORGAN,<br />

Research as Engagement. A Personal View, in: DERS. (Hrsg.): Beyond Method, Beverly Hills u. a. 1983, S. 11–18; GEERT-LUEKE<br />

LUEKEN, Inkommensurabilität als Problem rationalen Argumentierens, Stuttgart-Bad Cannstatt 1992; ANDREAS GEORG SCHERER,<br />

Pluralismus im Strategischen Management, Wiesbaden 1995, hier S. 181 ff., <strong>und</strong> ALBERT LÖHR, Betriebswirtschaftslehre <strong>und</strong> Unternehmensethik,<br />

Stuttgart 1991, hier S. 20 ff.


122 Albert Löhr<br />

„Kaffeesatzleserei“, wie zum Beispiel das im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Lissabon-Strategie <strong>der</strong><br />

Europäischen Union in Mode gekommene Buzzword „Regional Foresight“ (Regionale Vorausschau),<br />

4 die auch <strong>und</strong> insbeson<strong>der</strong>e für Regionen an <strong>der</strong> Grenze angewendet wird <strong>und</strong><br />

werden soll. 5 Zweifelsohne motivieren solche Initiativen, die in Deutschland hauptsächlich<br />

von VDI <strong>und</strong> BMBF getragen werden, 6 durchaus zu einer intensiveren Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

mit den Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen <strong>der</strong> eigenen Zukunft. Man wird aber die Prognose-<br />

<strong>und</strong> Gestaltungskraft <strong>der</strong> „Vorausschau“ dabei nicht überschätzen dürfen. Denn obwohl<br />

man schon lange mit Hilfe geeigneter Prognose- o<strong>der</strong> Szenariotechniken einen methodisch<br />

halbwegs abgesicherten Blick in die Zukunft zu werfen versucht, stehen „vorausschauende“<br />

Aktivitäten immer unter dem Vorbehalt, dass Zukunftsprognosen (1) in hohem Maße<br />

unsicher, <strong>und</strong> (2) in starkem Maße von politischen Präferenzen abhängig sind. Man sieht<br />

daher oft nur vorher, was man vorhersehen will bzw. soll. An<strong>der</strong>s formuliert: Es ist nicht<br />

„gegeben“, was in <strong>der</strong> Zukunft passiert, so dass man es „schauen“ könnte, son<strong>der</strong>n liegt in<br />

den Händen <strong>der</strong> Politik, die Rahmenbedingungen für das Mögliche zu verän<strong>der</strong>n.<br />

Die refl ektierten Ansätze <strong>der</strong> Regionalen Vorausschau machen sich diese mangelhafte<br />

Objektivität <strong>und</strong> Prognostizierbarkeit daher konstruktiv zum Arbeitsprinzip, indem sie<br />

sagen, dass die „Vorausschau“ nur dem Zweck dienen soll, mit inhaltlichen Argumenten<br />

das Jetzt in seinen Möglichkeiten in Gang zu bringen – um dann womöglich in einer<br />

ganz an<strong>der</strong>en Zukunft als <strong>der</strong> „vorhergeschauten“ zu landen. 7 Als iteratives Prinzip des<br />

strategischen Planens <strong>und</strong> Kontrollierens angesichts einer stets unsicheren Zukunft ist<br />

dieses Vorgehen im übrigen aus <strong>der</strong> betriebswirtschaftlichen Managementlehre hinreichend<br />

bekannt, es braucht für die <strong>Regionalentwicklung</strong> nicht neu erf<strong>und</strong>en, son<strong>der</strong>n<br />

nur in eine geeignete Form gebracht zu werden. 8<br />

In diesem Sinne werden als markante Merkmale <strong>der</strong> Regionalen Vorausschau folgende<br />

Aspekte hervorgehoben: 9<br />

– Regionale Vorausschau ist keine „Vorhersage“ im Stile eines Wetterberichts, son<strong>der</strong>n<br />

argumentative Beschäftigung mit Zukunft auf <strong>der</strong> Basis dessen, was man über eine Region<br />

wissen kann.<br />

– Sie entfaltet eine normative Wirkung, so dass sich aus <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung mit<br />

Visionen konkrete Entwicklungspfade herauskristallisieren.<br />

4 Vgl. zur Übersicht Europäische Kommission (Hrsg.) Praktischer Leitfaden für die regionale Vorausschau in Deutschland,<br />

Luxemburg 2002. Der Mitherausgeber dieser Schrift, Dr. Günter Clar, hielt ein erhellendes Referat zum Thema auf <strong>der</strong> Tagung,<br />

das lei<strong>der</strong> nicht im vorliegenden Band enthalten ist. Für die weborientierte Informationssuche: www.regional-foresight.de <strong>und</strong><br />

www.efmn.info<br />

5 Vgl. dazu insbeson<strong>der</strong>e BMBF (Hrsg.), Regionen an <strong>der</strong> Grenze. Regionale Vorausschau <strong>und</strong> Innovationsentwicklungen in<br />

Ostdeutschland, Bonn/Berlin 2005; <strong>und</strong> die Initiative des BMBF „Unternehmen Region“ mit <strong>der</strong> dokumentierten Veranstaltung<br />

vom 20.–21. 6. 2005 „Regionen an <strong>der</strong> Grenze. Regionale Vorausschau <strong>und</strong> Innovationsentwicklung in Ostdeutschland“ [http:<br />

//www.unternehmen-region.de/de/1088.php]<br />

6 Vgl. gr<strong>und</strong>legend ANETTE BRAUN / AXEL ZWECK, Regionale Vorausschau (Foresight <strong>und</strong> Zukunftsinitiativen) in Deutschland,<br />

Übersichtsstudie, Düsseldorf 2002 <strong>und</strong> ANETTE BRAUN / CHRISTOPH GLAUNER / AXEL ZWECK, Regionale Vorausschau in ostdeutschen<br />

Grenzregionen. Regionalstudie (hrsg. vom VDI Technologiezentrum im Auftrag <strong>und</strong> mit Unterstützung des B<strong>und</strong>esministeriums<br />

für Bildung <strong>und</strong> Forschung), Düsseldorf 2006, sowie praktisch ANETTE BRAUN / CHRISTOPH GLAUNER / AXEL ZWECK, Einführung in<br />

die Praxis <strong>der</strong> „Regionalen Vorausschau“. Hintergründe <strong>und</strong> Methoden, Düsseldorf 2005 (ZTC Working Paper, Nr. 2/2005).<br />

7 Vgl. BRAUN / GLAUNER / ZWECK, Regionale Vorausschau in ostdeutschen Grenzregionen (wie Anm. 6).<br />

8 Vgl. HORST STEINMANN / GEORG SCHREYÖGG, Management. Gr<strong>und</strong>lagen <strong>der</strong> Unternehmens führung, Konzepte – Funktionen<br />

– Fallstudien, Wiesbaden 62005. 9 Vgl. dazu insbeson<strong>der</strong>e BRAUN / GLAUNER / ZWECK, Regionale Vorausschau in ostdeutschen Grenzregionen (wie Anm. 6),<br />

S. 15 ff.


<strong>Regionalentwicklung</strong> <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> 123<br />

– Regionale Vorausschau will einen interdisziplinären, politikfeld-übergreifenden Betrachtungsrahmen<br />

aufspannen, um allen wesentlichen Aspekten eine Chance zu geben.<br />

– Voraussetzung ist dabei eine präzise Analyse <strong>und</strong> Bewertung <strong>der</strong> Gegenwart – eine<br />

„schonungslose Analyse“, wie es Ministerpräsident Milbradt formuliert.<br />

– Die Erarbeitung dieser Analysen muss „von unten“ aus <strong>der</strong> Region selbst heraus vorgenommen<br />

werden, weil dort auch die konkrete Überzeugung für die weitere Entwicklung<br />

geleistet werden muss.<br />

– Ganz wesentlich kommt es dabei auf die breite Partizipation aller relevanten Akteure<br />

an, um den lokalen Sachverstand zu mobilisieren.<br />

– Partizipation darf nicht auf isolierte Meinungsäußerung <strong>und</strong> For<strong>der</strong>ungen reduziert<br />

werden, son<strong>der</strong>n stellt einen Ansatz <strong>der</strong> Vernetzung <strong>und</strong> Zusammenarbeit aller Betroffenen<br />

in <strong>der</strong>en eigenem Interesse dar.<br />

– Regionale Vorausschau ist kein einmaliger Akt, son<strong>der</strong>n ein permanenter, mittel- bis<br />

langfristig angelegter Prozess.<br />

– Um den Prozess <strong>und</strong> seine Ergebnisse nachvollziehbar zu machen, ist volle Transparenz<br />

in allen Schritten nötig.<br />

So verstanden kann das Konzept <strong>der</strong> Regionalen Vorausschau in <strong>der</strong> Tat zu einem<br />

Arbeitsprinzip <strong>der</strong> <strong>Regionalentwicklung</strong> werden, durch das Klärungen <strong>der</strong> politischen,<br />

gesellschaftlichen, kulturellen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Ziele sowie Initiativen zur konkreten<br />

Umsetzungsarbeit in Gang gebracht werden.<br />

3. Herausfor<strong>der</strong>ungen: Regionale Megatrends<br />

Was kann man in diesem Sinne vorausschauend für die Entwicklung <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> sagen?<br />

Ich möchte unter Bezug auf die vorangegangenen Beiträge <strong>und</strong> weitere Überlegungen<br />

zunächst auf die Entwicklung <strong>der</strong> f<strong>und</strong>amentalen Problemlagen aufmerksam machen, um<br />

darauf aufbauend einiges zu den möglichen Perspektiven anzufügen. Der Ausblick soll ja<br />

möglichst positiv enden, <strong>und</strong> ich denke, es gibt durchaus Gr<strong>und</strong> zur Hoffnung, dass unter<br />

dem Strich eine positive Entwicklung einsetzen könnte – wenngleich das doch in vielen Bereichen<br />

ein erhebliches Umdenken <strong>und</strong> Umsteuern <strong>der</strong> Gewohnheiten erfor<strong>der</strong>lich macht.<br />

Verschiedentlich ist <strong>der</strong> Versuch unternommen worden, so insbeson<strong>der</strong>e auch in den<br />

eröffnenden Beiträgen <strong>der</strong> beiden Staatssekretäre Staupe (SMI) <strong>und</strong> Habermann (SMW),<br />

die regionalen Entwicklungen <strong>und</strong> Problemstellungen <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> in übergreifenden<br />

Megatrends zusammenzufassen. Ich denke, an diese Vorgaben kann <strong>und</strong> muss man<br />

sinnvollerweise anknüpfen, auch wenn hier methodisch gesehen Analyse (Fakten) <strong>und</strong><br />

Politik (Bewertung) mitunter ineinan<strong>der</strong> greifen – das gehört wohl mit dazu, wenn sich<br />

die Ministerien zweier durchaus differieren<strong>der</strong> Koalitionsparteien äußern. Deutlich werden<br />

hierbei folgende Randbedingungen, die besorgte Aufmerksamkeit erfor<strong>der</strong>n:<br />

– Vergreisung:<br />

Von ganz einschneiden<strong>der</strong> Bedeutung für sämtliche gesellschaftlichen Bereiche wird sich<br />

in den nächsten Jahren <strong>und</strong> Jahrzehnten die demographische Entwicklung darstellen.<br />

Es ist hier zwar nicht <strong>der</strong> Platz, um alle Auswirkungen dieses bereits seit 1967 in Gang<br />

befi ndlichen Prozesses zu erörtern (vgl. dazu beson<strong>der</strong>s den sehr differenzierten Beitrag


124 Albert Löhr<br />

von Thiele in diesem Band), aber es muss klar werden, dass dieses Thema mit dem<br />

Stichwort <strong>der</strong> „Vergreisung“ nicht differenzierend genug beschrieben ist. Zumindest drei<br />

parallele Entwicklungen laufen zusammen <strong>und</strong> sorgen dabei kumulierend für ungute Effekte:<br />

(1) Geburtenzahl: Die nachwachsenden Generationen bestehen aus immer weniger<br />

Kin<strong>der</strong>n; (2) Lebenserwartung: Die Generation <strong>der</strong> Alten – herkömmlicherweise defi -<br />

niert als über 65-Jährige – wird in <strong>der</strong> Region wegen relativer Immobilität <strong>und</strong> steigen<strong>der</strong><br />

Lebenserwartung immer größer; <strong>und</strong>, häufi g übersehen in seiner Dramatik: (3) Abwan<strong>der</strong>ung:<br />

Die Generation <strong>der</strong> regional präsenten Leistungsträger im mittleren Lebensalter<br />

wird durch Pendlerexistenzen <strong>und</strong> Abwan<strong>der</strong>ungsbewegungen immer schlanker.<br />

Wo aber kaum noch Familien gegründet werden, weil potentielle Eltern abwan<strong>der</strong>n,<br />

verdünnt sich die Bevölkerungspyramide exponentiell. Die ideale Alterspyramide in Glockenform<br />

entwickelt sich so über den Übergangstatus einer Zwiebelform hin zu einer<br />

Pilzform. Allein beim Gedanken an die Folgen für Wohnraum <strong>und</strong> Nahversorgung darf<br />

man dann nicht stehen bleiben, denn was diese Erosion von Nachwuchs für Wirtschaft,<br />

Kultur, Bildung, schlicht das „Humankapital“ einer Region bedeutet, ist als nur schwer<br />

kompensierbarer Verlust von Zukunftspotentialen zu verstehen. Die aktuellen Schulschließungen<br />

sind da nur Vorboten einer möglicherweise grausamen Entleerung <strong>der</strong><br />

Region, falls keine Maßnahmen <strong>der</strong> Gegensteuerung einsetzen.<br />

– Brain Drain:<br />

Viel schlimmer noch werden diese Erosionen, wenn man sich vor Augen hält, dass es in<br />

den Verlustprozessen nicht einfach um Quantität geht, son<strong>der</strong>n ganz massiv um Qualität.<br />

Abwan<strong>der</strong>n können <strong>und</strong> wollen nämlich nur diejenigen, die an<strong>der</strong>orts eine (bessere) Existenzgr<strong>und</strong>lage<br />

fi nden. Die erschreckenden Folgen des Prozesses, dass zwangsläufi g eher die<br />

„<strong>Chancen</strong>reichen“ abwan<strong>der</strong>n als die „<strong>Chancen</strong>losen“, kann man bereits im Schulsystem<br />

erkennen, wo bei <strong>der</strong> Diskussion um Schulenschließungen häufi g übersehen wird, dass<br />

primär <strong>der</strong> Nachwuchs für die höheren Schulabschlüsse ausbleibt, <strong>der</strong> Zustrom zu den<br />

För<strong>der</strong>schulen dagegen sogar steigt. Bildungspolitiker diagnostizieren daher schon eine<br />

dramatische Verschiebung <strong>der</strong> Bildungsschichten in <strong>der</strong> Region, durch die <strong>der</strong> gebildete<br />

Nachwuchs immer seltener <strong>und</strong> bildungsferne Gruppen immer dominanter werden. Nicht<br />

nur die negativen Folgen für die Ausbildungs- <strong>und</strong> Studierfähigkeit <strong>der</strong> jungen Generationen<br />

sind schon sichtbar, son<strong>der</strong>n auch die bedenkliche Anfälligkeit <strong>der</strong> „Generation<br />

Reform“ – o<strong>der</strong> drastischer: <strong>der</strong> „Generation Dummheit“ – für populistische Medienspektakel<br />

(das berüchtigte „Unterschichtenfernsehen“ von Paul Nolte) 10 <strong>und</strong> die Parolen politischer<br />

Rattenfänger vom vorrangig rechten Szenerand. In schleichenden Prozessen entzieht so<br />

ein chronisch mangelhafter Bildungsstand <strong>der</strong> noch vielfältig ausdifferenzierten Bildungslandschaft<br />

den Nachschub an jungen Menschen, was nicht nur zu punktuellen Ausfällen<br />

in <strong>der</strong> Bildungsstruktur führt (Schließung von Gymnasien, Mittelschulen, Bibliotheken,<br />

Kultureinrichtungen), son<strong>der</strong>n die gesamte Bildungskette zu zerreißen droht: Die wenigen<br />

bildungshungrigen Restbürger werden sich vielleicht bald nur noch in den großen Zentren<br />

o<strong>der</strong> per Internet mit Wissensstoff versorgen können.<br />

10 Der Ausdruck „Unterschichtenfernsehen“ stammt wohl ursprünglich aus dem Szenemagazin Titanic 5/1995, S. 10,<br />

wurde von PAUL NOLTE, Generation Reform, München 2004, in die Wissenschaftsszene eingebracht <strong>und</strong> von Harald Schmidt<br />

in seiner Late Night Show popularisiert.


<strong>Regionalentwicklung</strong> <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> 125<br />

– Rückzug des Staates I:<br />

Eine sehr interessante Wende zeichnet sich seit kurzem in <strong>der</strong> Politik <strong>der</strong> knappen Kassen<br />

ab: Aus <strong>der</strong> schieren Not versucht die Politik hier jüngst eine Tugend zu kreieren.<br />

Das öffentliche Bedauern über Finanzierungsengpässe wird immer expliziter durch die<br />

Vorhaltung ersetzt, dass <strong>der</strong> „gute Bürger“ sich doch lieber in Eigenverantwortung um<br />

sich selber kümmern sollte statt stets nach dem Staat zu fragen. Um diesen Erziehungsprozess<br />

zur Eigeninitiative zu för<strong>der</strong>n sei es doch ganz sinnvoll, so die Argumentation,<br />

dass <strong>der</strong> Staat nicht mehr für alles sorgt <strong>und</strong> den Bürger <strong>und</strong> seine Institutionen in die<br />

wohlverdiente „Autonomie“ entlässt. Der Liberalismus müsse endlich ankommen in <strong>der</strong><br />

träge gewordenen Bevölkerung, <strong>und</strong> das sei gut so.<br />

Manchmal sind es nur winzig kleine Ereignisse, die einen solch f<strong>und</strong>amentalen Politikwandel<br />

auslösen, so etwa wenn <strong>der</strong> Ministerpräsident des Freistaats aus den USA<br />

zurückkommt <strong>und</strong> begeistert von einem persönlichen Gespräch mit dem Monetaristen<br />

Milton Friedman berichtet. 11 Plötzlich wird es dann zur politischen Handlungsmaxime,<br />

dass es eigentlich gut ist, wenn die öffentlichen Finanzmittel knapp werden, denn dann<br />

müssen zum Beispiel Hochschulen künftig wie Unternehmungen geführt werden, Studiengebühren<br />

erheben <strong>und</strong> in eine fi nanzielle Selbstverantwortung überführt werden. Es<br />

ist dann nicht mehr als nackte Not <strong>der</strong> klammen Haushalte zu deuten, dass man im Bildungsbereich<br />

zu Einsparungen gezwungen wird, son<strong>der</strong>n es wird zu einer programmatischen<br />

Leitlinie <strong>der</strong> Politik erhoben – bis hin zur Ausgestaltung von mo<strong>der</strong>nen Anreizsystemen<br />

wie zum Beispiel komplexen Mittelverteilungsmodellen o<strong>der</strong> <strong>der</strong> W-Besoldung<br />

mit ihren Leistungszulagen, von denen keiner so recht weiß, wo sie herkommen sollen<br />

(außer von privaten Einnahmen). Die Botschaft lautet neuerdings: Der Rückzug des<br />

Staates ist keine brachiale fi nanzielle Not, wie das die Verfechter des Sozialstaats immer<br />

vermuten, son<strong>der</strong>n es ist gutes Programm, ein Programm zum Ausgang <strong>der</strong> Bürger aus<br />

ihrer selbst verschuldeten ökonomischen Unmündigkeit (um hier einmal Kants Antwort<br />

auf die Frage „Was ist Aufklärung?“ vom Kopf auf die Füße zu stellen). 12<br />

– Rückzug des Staates II:<br />

Ohne an dieser Stelle die Debatte um den Abbau des Sozialstaats führen zu wollen, sei<br />

doch darauf verwiesen, dass das Programm <strong>der</strong> Liberalisierung in vielen Bereichen an<br />

einem durchgängigen Schönheitsfehler leidet. Streng genommen zieht sich „<strong>der</strong> Staat“<br />

nämlich gar nicht zurück, son<strong>der</strong>n er entledigt sich nur geschickt seiner bisherigen Verantwortung<br />

– noch präziser formuliert: <strong>der</strong> Kosten <strong>der</strong> Verantwortung – <strong>und</strong> überwälzt<br />

diese auf die Bürger, Kommunen <strong>und</strong> nachrangigen Behörden. Wer etwas genauer<br />

hinsieht, stellt schnell fest, dass von einem Rückzug des Staates im Sinne des Abbaus<br />

11 Vgl. MILTON FRIEDMAN, Capitalism and Freedom, Chicago 1962 (dt.: Kapitalismus <strong>und</strong> Freiheit, München 2004). Sein<br />

Credo dort: „Der Handlungsraum <strong>der</strong> Regierung muss begrenzt werden. Ihre Hauptaufgabe muss sein, unsere Freiheit zu<br />

beschützen, Ordnung zu gewährleisten, private Verträge durchzusetzen <strong>und</strong> wettbewerbsfähige Märkte zu för<strong>der</strong>n“.<br />

12 Vgl. IMANUEL KANT, Beantwortung <strong>der</strong> Frage: Was ist Aufklärung? in: Berlinische Monatschrift 1783–1811, 5. Dezember<br />

1784, S. 481–494. Hier einmal vollständig zitiert: „Aufklärung ist <strong>der</strong> Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten<br />

Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines an<strong>der</strong>en zu bedienen. Selbstverschuldet<br />

ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache <strong>der</strong>selben nicht am Mangel des Verstandes, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Entschließung <strong>und</strong><br />

des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines an<strong>der</strong>n zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes<br />

zu bedienen ! ist also <strong>der</strong> Wahlspruch <strong>der</strong> Aufklärung.“


126 Albert Löhr<br />

von Bürokratie, Vorschriften, Gesetzen <strong>und</strong> Regulierungen gar keine Rede sein kann.<br />

Im Gegenteil. Die staatlichen Regeln bleiben unverän<strong>der</strong>t bestehen <strong>und</strong> werden sogar<br />

ausgeweitet, <strong>der</strong> Punkt ist nur, dass sich die Machtzentren des Staates die Kosten für<br />

den Vollzug von Regeln sparen möchten. Exemplarisch sei erwähnt: (1) Zentrale Parlamente<br />

<strong>und</strong> Verwaltungen beschließen Maßnahmen, <strong>der</strong>en Vollzugskosten von dezentralen<br />

Einheiten getragen werden sollen. (2) Ministerien werden personell verschlankt, indem<br />

ihre Rechtsverantwortung einfach in nachgelagerte Behörden verschoben wird, ohne diese<br />

jedoch fachlich <strong>und</strong> personell aufzustocken. (3) Es werden Reformen <strong>der</strong> öffentlichen<br />

Organisationsstrukturen verordnet, die vorgeblich „Verbesserungen“ darstellen sollen,<br />

in Wahrheit aber nur auf Kostenersparnis abzielen. Beispiel Kreisreform: Während sich<br />

Otto Normalverbraucher vorrangig mit <strong>der</strong> Frage befasst, welches Autokennzeichen er<br />

künftig zugeteilt bekommt, sollte er vielleicht lieber darüber nachdenken, zu welchen<br />

Leistungen <strong>und</strong> Konsequenzen die angestrengte Kreisgebietsreform in seinem Leben<br />

führen wird, <strong>der</strong>en Kosten nicht mehr vom Staat getragen werden, son<strong>der</strong>n vom Bürger<br />

selbst übernommen werden müssen.<br />

– Wettbewerbsorientierung:<br />

Es dürfte vor diesem Hintergr<strong>und</strong> <strong>der</strong> allgemeinen Umsteuerung <strong>der</strong> Region auf „Markt<br />

statt Staat“ bald Schluss mit <strong>der</strong> Praxis sein, die chronisch mangelhafte eigene Finanzbasis<br />

<strong>der</strong> Kommunen <strong>und</strong> Regionen dadurch zu kaschieren, dass schier unendliche Ströme<br />

an För<strong>der</strong>gel<strong>der</strong>n in die Peripherie gelenkt werden <strong>und</strong> nur angemessen verteilt werden<br />

müssen. Der Rückzug des Staates bedeutet gerade für die bislang stark subventionierten<br />

Institutionen <strong>und</strong> Bürger <strong>der</strong> Region <strong>Oberlausitz</strong> vor allem den Zwang zum Umschalten<br />

hin auf eine marktwirtschaftliche Leistungsorientierung, in <strong>der</strong> nur noch Bestand haben<br />

soll <strong>und</strong> wird, was sich auch überregional als wettbewerbsfähig erweist. Die Dramatik<br />

dieser Prozesse wird wohl noch nicht so ganz verstanden, denn das Auslaufen des Solidarpaktes<br />

<strong>und</strong> seiner Hilfsmittel im Jahr 2019 liegt scheinbar noch in weiter Ferne.<br />

Auch nimmt noch niemand recht zur Kenntnis, dass bei <strong>der</strong> fi nanziellen För<strong>der</strong>ung von<br />

Vorhaben aller Art immer stärker auf einen inhaltlichen Nutzen zu achten ist, <strong>der</strong> sich<br />

als ökonomisch „selbsttragend“ <strong>und</strong> damit wettbewerbsfähig erweist (Stichworte: Business<br />

Plan, Basel II, Profi lschärfung, Marketing usw.). Die Zeit, in <strong>der</strong> man nur antragsfähige<br />

institutionelle „Hüllen“ zu schaffen brauchte, um För<strong>der</strong>gel<strong>der</strong> abzugreifen, <strong>der</strong>en Nutzenstiftung<br />

im offenen Wettbewerb niemand wirklich interessierte, wird aller Voraussicht<br />

nach genauso auslaufen wie die entsprechenden För<strong>der</strong>programme. Dann kommt nur<br />

noch an Geld, wer mit einem schlüssigen Wettbewerbskonzept antritt.<br />

– De-Industrialisierung:<br />

Dass die in <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> ansässigen Schlüsselindustrien <strong>der</strong> späten DDR mittlerweile<br />

<strong>der</strong> Geschichte angehören <strong>und</strong> ihre Arbeitsplätze zu Tausenden verschw<strong>und</strong>en sind, ist<br />

wohl ein Allgemeinplatz. Weniger klar ist dabei jedoch, dass die „kollektive mentale Programmierung“<br />

(Hofstede) 13 immer noch auf das Leitbild <strong>der</strong> Industriearbeit als Standardfall <strong>der</strong><br />

persönlichen Beschäftigung ausgerichtet ist. Die weitaus meisten Bürger <strong>der</strong> Region <strong>und</strong><br />

13 Vgl. GEERT HOFSTEDE, Cultures and Organizations. Software of the Mind, London 1991, defi niert „Kultur zwei“ – im


<strong>Regionalentwicklung</strong> <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> 127<br />

ihre Politiker denken, handeln <strong>und</strong> entscheiden immer noch so, als ob es bei <strong>der</strong> Schaffung<br />

von Arbeitsplätzen nur um eine Revitalisierung <strong>der</strong> verlorenen Industriearbeit mit<br />

an<strong>der</strong>en – mo<strong>der</strong>neren – Industriezweigen ginge. Statt Tagebau, Nutzfahrzeugherstellung<br />

o<strong>der</strong> Textilproduktion sollen Maschinenbau, Oberfl ächentechnik o<strong>der</strong> Automobilzulieferer<br />

den ehemals Werktätigen zu klassisch geregelter Arbeit verhelfen. Man redet hierbei<br />

ganz so, als ob es die bekannte These von Daniel Bell von 1973 über die postindustrielle<br />

Gesellschaft gar nicht gäbe, ein Strukturwandel von <strong>der</strong> industriellen Gesellschaft hin zu<br />

einer Dienstleistungsgesellschaft nicht zur Debatte steht. 14 Dabei wäre er gerade für eine<br />

periphere Grenzregion die einzig realistische Perspektive, scheint mir. Es gibt nämlich<br />

keinen Weg zurück für alle in die Schwerindustrie mit Schichtarbeit, IG Metall <strong>und</strong><br />

Überst<strong>und</strong>enzuschlag – es geht vielmehr um eine kollektive mentale Transformation hin<br />

zur Dienstleistungsmentalität <strong>und</strong> ihren Berufen bis hin zu „Neuen Selbständigen“ <strong>und</strong><br />

„Arbeitskraftunternehmern“ 15 im dritten Sektor. Viele Symptome <strong>der</strong> Beharrung in <strong>der</strong><br />

kollektiven mentalen Programmierung einer Industriegesellschaft (blue collar society) fallen<br />

hier beson<strong>der</strong>s dem Zuwan<strong>der</strong>er ins Auge, so das allgemeine Frühschicht-Leben nach dem<br />

Motto „Morgenst<strong>und</strong>’ hat Gold im M<strong>und</strong>“, das relativ schlechte Image von Dienstleistungsberufen<br />

mit <strong>der</strong> Folge regelrechter Servicewüsten in Handel <strong>und</strong> Tourismus, dem<br />

zögerlichen Werben um Dienstleistungsunternehmen <strong>und</strong> Beratungsagenturen, bis hin<br />

zum weit verbreiteten Unverständnis für die Tatsache, dass Bildungseinrichtungen zu den<br />

wichtigsten Arbeit-Gebern (!) <strong>der</strong> Region gehören. Wo es einmal um Bildung geht, wird diese<br />

entwe<strong>der</strong> nur als Begleitgeräusch zum technikzentrierten Leben wahrgenommen (mit Theater,<br />

Musik, Volkshochschule, Hochschulen als Räume für persönliche Erbauung) o<strong>der</strong><br />

umstandslos mit technisch-ingenieurlicher Bildung gleichgesetzt, so dass es folgerichtig<br />

als nutzloses Ansinnen wie aus einer an<strong>der</strong>en Welt wahrgenommen wird, wenn sich eine<br />

regionale Metropole wie Görlitz um den Titel einer „Kulturhauptstadt Europas“ bewirbt.<br />

Ich bezweifl e, dass die Dimensionen <strong>und</strong> die Bedeutung dieses Vorstoßes in <strong>der</strong> Region<br />

richtig angekommen sind. Dabei wäre es eminent wichtig gewesen zu verstehen, dass mit<br />

„Kulturorientierung“ ein wesentlicher Schritt zur Transformation des technisch dominierten<br />

Denkens geleistet worden wäre. Die richtigen Konsequenzen aus <strong>der</strong> objektiven De-<br />

Industrialisierung müssen also erst noch gezogen werden.<br />

– Internationalisierung:<br />

Es gehört mittlerweile zu den Allgemeinplätzen, dass sich durch die Prozesse <strong>der</strong> Internationalisierung<br />

<strong>und</strong> Globalisierung die sozio-ökonomischen Lebensbedingungen dramatisch<br />

verän<strong>der</strong>n. Das braucht hier nicht ausführlich referiert zu werden, obwohl sich immer noch<br />

viele Menschen schwer mit dem Gedanken abfi nden können, die Textilindustrie unwi<strong>der</strong>rufl<br />

ich nach Asien verloren zu haben. Die Auswirkungen <strong>der</strong> Globalisierung <strong>und</strong> <strong>der</strong> damit<br />

einhergehenden Arbeitsplatzverluste unterstelle ich als bekannt. 16 Internationalisierung<br />

Gegensatz zu „Kultur eins“ <strong>der</strong> Kunst, Literatur etc. – genauer als „… kollektive mentale Programmierung des Geistes, die die<br />

Mitglie<strong>der</strong> einer Gruppe o<strong>der</strong> Kategorie von Menschen von einer an<strong>der</strong>en unterscheidet…“.<br />

14 Vgl. DANIEL BELL, Die nachindustrielle Gesellschaft, Frankfurt/New York 1975.<br />

15 Vgl GÜNTER VOSS, Der Arbeitskraftunternehmer. Ein neuer Typus von Arbeitskraft <strong>und</strong> seine sozialen Folgen, in: HERMANN<br />

REICHOLD / ALBERT LÖHR / GERHARD BLICKLE (Hrsg.), Wirtschaftsbürger o<strong>der</strong> Marktopfer? Neue Beschäftigungsverhältnisse – ein<br />

Risiko für Gesellschaft, Recht <strong>und</strong> Ethik?, München <strong>und</strong> Mering 2001, S. 15–31.<br />

16 Übersichtlich zur Einführung ULRICH BECK, Was ist Globalisierung? Frankfurt/M. 1997.


128 Albert Löhr<br />

bedeutet darüber hinaus in ganz beson<strong>der</strong>em Maße eine Herausfor<strong>der</strong>ung für die offen<br />

gewordenen Grenzregionen, <strong>und</strong> hier für die <strong>Oberlausitz</strong> verschärfend deshalb, weil man<br />

in <strong>der</strong> jüngeren Geschichte durch das Zusammenwirken von Bevölkerungsverschiebungen<br />

<strong>und</strong> <strong>und</strong>urchlässigen Grenzen eine offene Kultur <strong>der</strong> Internationalität, gar Interkulturalität<br />

nicht entwickeln konnte, so wie dies in „offenen“ Dreilän<strong>der</strong>ecken Europas wie zum Beispiel<br />

im Raum Aachen o<strong>der</strong> Basel <strong>der</strong> Fall ist. Die strategischen <strong>Chancen</strong>, die sich aus <strong>der</strong><br />

im Gr<strong>und</strong>e privilegierten geographischen <strong>und</strong> historischen Situation <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> im<br />

tri-nationalen Schnittfeld <strong>der</strong> Kulturen ergeben könnten – erinnert sei nur an die Erfolgsgeschichte<br />

des Sechsstädteb<strong>und</strong>es – werden in <strong>der</strong> Konsequenz bis heute nur unzureichend<br />

genutzt. Nur wenige beispielgebende Ausnahmen wie das von Friedrich hier geschil<strong>der</strong>te<br />

„Kleine Dreieck“ <strong>der</strong> Städtepartner <strong>Zittau</strong>–Hrádek–Bogatynia, die zweisprachig angelegten<br />

Schuleinrichtungen, Einzelprojekte im Bereich <strong>der</strong> Kultur o<strong>der</strong> die Zusammenarbeit <strong>der</strong><br />

regionalen Hochschulen treiben den Prozess <strong>der</strong> Internationalisierung substantiell voran.<br />

Ansonsten wird, wie es ein Teilnehmer formulierte, „viel gewollt <strong>und</strong> wenig erreicht“, so<br />

dass sich die eingeschliffenen Stereotype über Polen, Tschechen <strong>und</strong> Deutsche in mancher<br />

Hinsicht eher verfestigen als lockern. Ein wichtiger Gr<strong>und</strong> hierfür sind sicher auch die sehr<br />

einseitig auf wirtschaftliche Entwicklungsprozesse ausgerichteten Maßnahmen <strong>der</strong> Internationalisierung<br />

nach dem Motto: Die Gesellschaft wird <strong>der</strong> Ökonomie schon folgen. Aus<br />

dem Beitrag von Adamczuk wird hierbei sehr deutlich, dass man mittlerweile sehr viel über<br />

die Angleichung <strong>der</strong> nach Raumordnungskriterien geschichteten Wirtschaftsprozesse weiß.<br />

Erkenntnisse über die Entwicklungen <strong>der</strong> interkulturellen Verständigung <strong>und</strong> sozialen Einungsprozesse<br />

in <strong>der</strong> Europaregion Neisse bleiben demgegenüber eher punktuell <strong>und</strong> nur<br />

behauptend. So erfreulich es ist, dass man mittlerweile Eintrittskarten für Slovan Liberec in<br />

<strong>Zittau</strong> kaufen kann, so bedenklich muss es stimmen, wenn nicht einmal die Einrichtungen<br />

am <strong>Zittau</strong>er Markt mehrsprachig ausgeschil<strong>der</strong>t sind. Dem erfreulichen Durchbruch eines<br />

Projektes wie <strong>der</strong> „Via Sacra“ stehen immer noch zu viele Menschen gegenüber, die mit<br />

dem Begriff Polen lediglich „Tankstelle“ <strong>und</strong> mit dem Begriff Tschechien wenig mehr als<br />

„Biertrinken“ in Verbindung bringen. Was viele <strong>Oberlausitz</strong>er dabei völlig verkennen ist<br />

die starke Dynamik, mit <strong>der</strong> sich die Wirtschaftsräume Wrocław <strong>und</strong> Liberec entwickeln.<br />

Wrocław ist schon länger eine Boomtown, aber es deutet sich auch immer stärker an, dass<br />

Liberec als sozio-ökonomisches Zentrum vor <strong>der</strong> Haustür schon in naher Zukunft eine<br />

Gravitationskraft für weite Teile <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> entfalten wird, die Dresden <strong>und</strong> Görlitz als<br />

Bezugspunkte in den Hintergr<strong>und</strong> rücken lässt. Zumindest die südliche <strong>Oberlausitz</strong> muss<br />

sich darauf einstellen, die alten böhmischen Wurzeln wie<strong>der</strong> zu beleben <strong>und</strong> zu entwickeln<br />

<strong>und</strong> zwar klugerweise vielleicht bevor man feststellt, dass Liberec in <strong>der</strong> „<strong>Regionalentwicklung</strong>“<br />

längst vorbeigezogen ist. Lange dürfte das nicht mehr dauern.<br />

– Parallel-Gesellschaften:<br />

Eine viel zu wenig beachtete Tendenz liegt für mich schließlich in <strong>der</strong> Aufl ösung „<strong>der</strong>“<br />

Gesellschaft hin zu verschiedensten Parallel-Gesellschaften. Möglicherweise trägt eine diffuse<br />

Erinnerung an die klaren Vorgaben <strong>der</strong> Gesellschaftstheorie zu Zeiten des Marxismus dazu<br />

bei zu glauben, dass es sich bei unserer sozialen Umgebung nach wie vor um eine klar<br />

geglie<strong>der</strong>te Gesellschaft handelt, nur eben um eine an<strong>der</strong>e. Ganz sicher werden bestimmte<br />

Missverständnisse dabei mit dadurch verursacht, dass Gr<strong>und</strong>kenntnisse über Sozialwissen-


<strong>Regionalentwicklung</strong> <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> 129<br />

schaften in <strong>der</strong> vom Ansatz her mechanistischen Technikkultur <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> auf wenig<br />

Verständnis treffen. 17 Wenn man jedoch mit dem Blick <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Soziologie, zum Beispiel<br />

mit Zygmunt Bauman 18 o<strong>der</strong> Gerhard Schulze 19 durch die <strong>Oberlausitz</strong> wan<strong>der</strong>t, wird<br />

man schnell feststellen, dass sich hier mittlerweile sehr unterschiedliche Lebens- <strong>und</strong> Deutungsgemeinschaften<br />

entwickelt haben, die teilweise überhaupt nichts miteinan<strong>der</strong> zu tun<br />

haben, forciert: zu tun haben wollen. Die sozialen Welten, o<strong>der</strong> präziser: die „sozialen <strong>Oberlausitz</strong>en“<br />

von Langzeitarbeitslosen, Pendlern, Studenten, Senioren, Migranten, Gewerbetreibenden<br />

o<strong>der</strong> den diversen Kameradschaften von Rechtsradikalen sind in ihrer Wirklichkeitsdeutung<br />

teilweise unterschiedlicher, wie sie nicht sein könnten. Der entscheidende<br />

soziologische Punkt ist dabei, dass diese Welten – Schulze nennt sie „Milieus“, man könnte<br />

hier auch von „Subkulturen“ sprechen – in keinem klar hierarchischen Verhältnis mehr zueinan<strong>der</strong><br />

stehen. Sie entwickeln sich vielmehr isoliert voneinan<strong>der</strong> als parallele, alternative<br />

Lebensentwürfe mit jeweils eigener interner Sozialstruktur <strong>und</strong> Wertegerüst nebeneinan<strong>der</strong><br />

her. Wer also „<strong>Regionalentwicklung</strong>“ sagt, muss wissen, dass es da um ganz verschiedene<br />

kollektive mentale Programmierungen geht, die sehr unterschiedliche, möglicherweise sogar<br />

inkommensurable Ausgangspunkte für die angestrebte Entwicklung darstellen. 20<br />

4. <strong>Regionalentwicklung</strong> als Problem <strong>der</strong> kulturellen Werteordnung<br />

4.1. Ein Orientierungsansatz für die <strong>Regionalentwicklung</strong><br />

Wenn sich ein Wissenschaftler nun mit diesen Megatrends befasst, um in konstruktiver<br />

Absicht positive Entwicklungschancen zu dechiffrieren, sollte er sich möglichst nicht mit<br />

einer Zusammenstellung von gegriffenen Einzelvorschlägen begnügen, son<strong>der</strong>n eine systematische<br />

Orientierung zu Gr<strong>und</strong>e legen, in die sich die verschiedenen Ideen einsortieren<br />

lassen. Man nutzt gewissermaßen die spezielle Perspektive („Brille“) einer Disziplin, um<br />

Entwicklungsvorschläge zu generieren <strong>und</strong> zu beurteilen. Häufi g wird dabei <strong>der</strong> nahe liegende<br />

Versuch gemacht, über eine ökonomisierende Betrachtung klar zu stellen, welche Trends<br />

etwas „Lohnendes“ beinhalten <strong>und</strong> dazu auffor<strong>der</strong>n, diese zu nutzen (Bsp.: „Rückzug des<br />

Staates = Chance für Unternehmertum“). An<strong>der</strong>e suchen nach Entwicklungstrends, die<br />

ihren politischen Interessen passgenau in die Karten spielen (Bsp.: „De-Industrialisierung<br />

= Globalisierungskritik“). Schließlich könnte man in einem „Land <strong>der</strong> Ingenieure“ auf den<br />

Gedanken kommen, das Lösungspotential <strong>der</strong> technischen Innovationen in den Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong><br />

zu stellen („Erfi n<strong>der</strong>geist = technologisch gestützte Existenzgründungen“).<br />

Erschöpft ist die Palette möglicher Perspektiven damit keineswegs, <strong>und</strong> es kann an dieser<br />

Stelle auch nicht <strong>der</strong> Frage nachgegangen werden, inwieweit sie im Sinne einer positiven<br />

Entwicklung erfolgversprechend o<strong>der</strong> eher problemverursachend sind, ob sie zu komplementären,<br />

synergetischen o<strong>der</strong> wi<strong>der</strong>sprüchlichen Ergebnissen führen, <strong>und</strong> inwieweit sie<br />

17 Es wäre schon viel damit gewonnen, wenn wenigstens die relevanten Stellen den kategorialen Unterschied zwischen<br />

dem Studium des Sozialwesens (Sozialarbeit, Heil- <strong>und</strong> Behin<strong>der</strong>tenpädagogik, etc.) <strong>und</strong> den Sozialwissenschaften (Soziologie,<br />

Politologie, Ökonomie) verstehen <strong>und</strong> berücksichtigen würden.<br />

18 Vgl. ZYGMUNT BAUMAN, Postmo<strong>der</strong>ne Ethik, Hamburg 1995; DERS., Flaneure, Spieler <strong>und</strong> Touristen, Hamburg 1997.<br />

19 Vgl. GERHARD SCHULZE, Die Erlebnis-Gesellschaft. Kultursoziologie <strong>der</strong> Gegenwart, Frankfurt/New York 1992.<br />

20 Zum Begriff <strong>der</strong> Inkommensurabilität <strong>und</strong> den Möglichkeiten ihrer Überwindung vgl. LUEKEN, Inkommensurabilität (wie<br />

Anm. 3); SCHERER, Pluralismus (wie Anm. 3).


130 Albert Löhr<br />

realistisch o<strong>der</strong> utopisch sind. Im Sinne <strong>der</strong> oben skizzierten Prinzipien <strong>der</strong> „Regionalen<br />

Vorausschau“ sollte jedoch klar sein, dass die For<strong>der</strong>ung nach einem „multi-disziplinären<br />

Ansatz“ nicht einfach eine beliebige Addition von Geistesblitzen heißen kann, son<strong>der</strong>n<br />

eine systematisch geordnete Zusammenschau erfor<strong>der</strong>t. Wie bereits angedeutet, sind wir<br />

für die <strong>Oberlausitz</strong> davon noch weit entfernt, wir befi nden uns quasi im Stadium <strong>der</strong> Ideensammlung<br />

<strong>und</strong> sind noch nicht beim Konzept, schon gar nicht bei einem Konzept, das von<br />

allen Seiten einvernehmlich getragen wird. Das Vorliegen regionaler Entwicklungspläne ist<br />

da zwar sicher ein Schritt voran, bei dem aber offen bleiben muss, ob er konsequent in die<br />

richtige Richtung geht, wenn man etwa konstatieren muss, dass Bildung <strong>und</strong> Wissenschaft<br />

bislang eher als Fußnoten denn als Schlüsselbranchen vorkommen. 21<br />

Um den bisherigen Gedanken eine neue Perspektive hinzuzufügen, möchte ich es als<br />

Sozialwissenschaftler an dieser Stelle wagen, die Zukunftsperspektiven als ein Problem<br />

<strong>der</strong> f<strong>und</strong>amentalen Werteordnung <strong>der</strong> Gesellschaft zu charakterisieren <strong>und</strong> an einigen Beispielen<br />

aufzeigen, welche Herausfor<strong>der</strong>ungen dies beinhaltet. Als konzeptionellen Orientierungsrahmen<br />

erlaube ich mir ein einfaches Modell des Organisationstheoretikers<br />

Edgar Schein anzubieten, aus dem klar werden soll, wie tief verankert <strong>und</strong> daher schwer<br />

zu transformieren die kulturelle Wertebasis einer Gesellschaft ist.<br />

Schein versteht unter dem Begriff <strong>der</strong> Organisationskultur, den man sinngemäß<br />

auch für eine Regionalkultur unterstellen kann, den „gemeinsam geteilten Bestand an<br />

Verhaltensweisen, gelebten Normen <strong>und</strong> Werten, sowie den dahinter liegenden Basisannahmen“.<br />

22 Er unterscheidet damit drei Ebenen des Kulturbegriffes, die systematisch<br />

aufeinan<strong>der</strong> bezogen sind:<br />

Ebene 1: Artefakte 23<br />

Das sind die sichtbaren Ausdrücke <strong>der</strong> Kultur, die zwar oft schon für „die Kultur“ gehalten<br />

werden, wegen ihrer Oberfl ächlichkeit aber interpretationsbedürftig sind:<br />

Symbole, 24 Rituale, Zeremonien, Feste, Flaggen, Geschichten, Legenden, Anekdoten, Mythen, 25<br />

Dialekt, Sprache, Architektur, Bekleidungsregeln, Machtsymbole usw.<br />

Ebene 2: Bek<strong>und</strong>ete Normen 26 <strong>und</strong> Werte 27<br />

Die notwendigen Interpretationen versucht man als „espoused justifi cations“ teilweise<br />

sichtbar zu machen, sie bleiben aber auch in weiten Bereichen unbewusst:<br />

Leitbil<strong>der</strong>, Strategien, Philosophien, Entwicklungsziele<br />

21 Vgl. hierzu jedoch die Entwicklung <strong>der</strong> Entwürfe zum Kreisentwicklungskonzept Löbau-<strong>Zittau</strong> o<strong>der</strong> das jüngste Projekt<br />

„Integriertes Ländliches Entwicklungskonzept (ILEK) <strong>Oberlausitz</strong>“, in denen „Bildung“ als Faktor verankert wurde; vgl. dazu<br />

ALBERT LÖHR, Bildung als Standortfaktor <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong>, in: ANTON STERBLING (Hrsg.), Migrationsprozesse. Probleme von<br />

Abwan<strong>der</strong>ungsregionen, Identitätsfragen (Beiträge zur Osteuropaforschung 12), Hamburg 2006, S. 235-253.<br />

22 Vgl. hierzu EDGAR HENRY SCHEIN, Coming to a New Awareness of Organizational Culture,:Sloan Management Review,<br />

Vol. 25 (1984), No. 2, S. 3-16.<br />

23 Artefakt = künstliches, durch menschliches Handeln hergestelltes Phänomen.<br />

24 Symbol = Zeichen mit einem Bedeutungsgehalt, <strong>der</strong> über eine bloße Beschreibung hinausgeht in einem Auffor<strong>der</strong>ungscharakter<br />

(Bsp.: ein STOP-Schild an <strong>der</strong> Straßenkreuzung).<br />

25 Mythen = Weltbil<strong>der</strong>, die nicht zwischen deskriptiven <strong>und</strong> normativen Aussagen unterscheiden <strong>und</strong> deshalb nicht kritisierbar<br />

sind (Bsp.: Heldengeschichten <strong>und</strong> Legenden)<br />

26 Normen = Handlungsauffor<strong>der</strong>ungen (Sollens-Sätze), die in einer Kultur als personen- <strong>und</strong> situationen-übergreifende<br />

Regeln relativ stabil gelebt werden.<br />

27 Werte = Zustandsbeschreibungen (Seins-Sätze), von einer bestimmten Gruppe geteilte Lebensziele, die bewahrt, gepfl egt<br />

o<strong>der</strong> erstrebt werden sollen.


<strong>Regionalentwicklung</strong> <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> 131<br />

Ebene 3: Basisannahmen<br />

unterhalb <strong>der</strong> Normen <strong>und</strong> Werte stehen noch tief verwurzelte Basisannahmen, die in<br />

<strong>der</strong> Regel unsichtbar <strong>und</strong> unbewusst das Handeln anleiten. Sie betreffen:<br />

das Menschenbild: hält man ihn prinzipiell für gut o<strong>der</strong> schlecht?<br />

die Beziehungen zur Umwelt: lebt man eher offen o<strong>der</strong> in sich geschlossen?<br />

das Wesen menschlicher Aktivität: ist es eher körperlich o<strong>der</strong> geistig geprägt?<br />

das Wesen sozialer Beziehungen: sind sie eher von Macht o<strong>der</strong> von Fürsorge bestimmt?<br />

die Interpretation <strong>der</strong> Umwelt: stellt sie eher eine Bedrohung o<strong>der</strong> eine Chance dar?<br />

Es könnte für die <strong>Regionalentwicklung</strong> recht hilfreich sein, wenn man sie sich mit dieser<br />

Interpretationshilfe einmal als Transformation <strong>der</strong> Regionalkultur vorstellt, im weiteren Verlauf<br />

natürlich auch als Transformation <strong>der</strong> unterschiedlichen regionalen Subkulturen,<br />

von denen weiter oben schon die Rede war, bis hin zur Transformation <strong>der</strong> unterschiedlichen<br />

nationalen Referenzsysteme, die das Dreilän<strong>der</strong>eck zu einer komplexen multikulturellen<br />

Zone machen, in <strong>der</strong> eine erneuerte gemeinsame Identität noch wachsen muss.<br />

Mit Blick auf die drei Ebenen wird dabei deutlich, dass es darauf ankommt, auch <strong>und</strong><br />

vor allem zu den herrschenden Basisannahmen vorzudringen – gewiss keine leichte <strong>und</strong><br />

im Schnellverfahren lösbare Aufgabe, für die man sicher auch gleich einsieht, dass sie<br />

insbeson<strong>der</strong>e eine Anstrengung in langfristigen Bildungsinitiativen for<strong>der</strong>t.<br />

4.2. Transformationsbedarf von Basiswerten<br />

Lassen Sie mich also im Folgenden den Versuch unternehmen, aus <strong>der</strong> Sichtweise einer<br />

beobachtenden Teilnahme – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – den Transformationsbedarf<br />

einiger Basiswerte herauszuarbeiten, die auffallend sind <strong>und</strong> für eine weitere gedeihliche<br />

Entwicklung zum Gegenstand <strong>der</strong> öffentlichen Auseinan<strong>der</strong>setzung gemacht<br />

werden sollten. Man wird sich hier sozusagen „positionieren“ müssen, wenn man für die<br />

<strong>Regionalentwicklung</strong> <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> etwas erreichen will.<br />

(1) Von Passivität zu Engagement<br />

Wer in einer Kultur aufgewachsen ist, in <strong>der</strong> das unternehmerische Denken <strong>und</strong> Handeln<br />

gewissermaßen zum sozialen Alltag gehört <strong>und</strong> in den sozialen Beziehungen von<br />

Generation zu Generation weitergegeben wird, dem fällt die tief sitzende Enkulturation<br />

<strong>der</strong> unternehmerischen Passivität in den neuen Län<strong>der</strong>n, hier: <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong>, beson<strong>der</strong>s<br />

auf. Es handelt sich dabei nicht nur um das weiland beklagte Fehlen unternehmerischen<br />

Wagemutes <strong>und</strong> eine Kultur des Abwartens, dank <strong>der</strong> sich weite Teile <strong>der</strong> Bevölkerung<br />

eben als Arbeit-Nehmer fühlen, die „auf Arbeit warten“, so als ob es immer noch eine<br />

geheimnisvolle politische Kraft gäbe, die „Arbeit bringt“. Auch dort, wo engagierte Menschen<br />

verstanden haben, dass die Verantwortung für Arbeit <strong>und</strong> Einkommen nicht mehr<br />

bei fürsorglichen Institutionen, son<strong>der</strong>n bei den Bürgern selber liegt, entwickeln sich<br />

allzu oft Praxen des Unternehmertums, die dem Beobachter fremd vorkommen. Exemplarisch<br />

scheint es zum Beispiel die Vorstellung zu geben, man könnte mit einem weiteren<br />

Blumenhandel o<strong>der</strong> einer Gaststätte erfolgreich sein, weil es an demselben Standort<br />

schon mehrere fl orierende Blumenläden o<strong>der</strong> gut besuchte Gaststätten gibt. O<strong>der</strong> man


132 Albert Löhr<br />

trifft auf durchaus erfolgreiche Unternehmer, die meinen, die Kunst <strong>der</strong> Unternehmensführung<br />

erschöpfe sich darin, in ihrem Betrieb irgendwie schwarze Zahlen zu schreiben,<br />

ohne Personal, Kommunikation o<strong>der</strong> gesellschaftliches Umfeld weiter zu beachten.<br />

Worauf es hier also im Kern <strong>der</strong> Werteordnung ankäme, ist nicht einfach das Herausfi<br />

nden aus einer kollektiven Wartestellung, die sich allzu oft schon hin zur individuellen<br />

Depression gesteigert hat, weil die ersehnte Arbeit einfach nicht „kommt“, son<strong>der</strong>n eine<br />

Transformation hin zum gesellschaftlichen Leitbild von individuellem Engagement für<br />

die eigenen Verhältnisse, das sich in Einzelfällen auch zu einem recht verstandenen Unternehmertum<br />

entwickeln kann. Ich sehe hier auch ganz maßgeblich die erfolgreichen<br />

Unternehmen <strong>der</strong> Region in <strong>der</strong> Pfl icht, in einer moralischen Pfl icht genau genommen,<br />

sich an <strong>der</strong> Debatte um ein Unternehmerleitbild zu beteiligen, das den Wert <strong>der</strong> persönlichen<br />

Eigeninitiative <strong>und</strong> unternehmerischen Engagements als positive Gr<strong>und</strong>haltung in<br />

<strong>der</strong> Gesellschaft herausstellt. Wie dies ganz praktisch aussehen kann, versucht Wilfried<br />

Rosenberg in seinem Beitrag <strong>und</strong> mit seinen vielfältigen Aktivitäten in die Region zu<br />

tragen. Ich denke, auf diesen Plattformen <strong>der</strong> verschiedenen Mittelstandsvereinigungen<br />

kann man gut aufsetzen, um die weitere Diskussion in <strong>der</strong> unternehmerischen Leitbildfrage<br />

zu organisieren <strong>und</strong> voranzutreiben.<br />

(2) Von <strong>der</strong> Industriearbeit zur Dienstleistung<br />

Es war in den Megatrends davon die Rede, dass <strong>der</strong> Verlust an Arbeitsplätzen nicht einfach<br />

in <strong>der</strong> mengenmäßigen Abwan<strong>der</strong>ung von Unternehmungen besteht, son<strong>der</strong>n im<br />

Kern die De-Industrialisierung einer früheren Industrielandschaft darstellt. Prozentual betrachtet<br />

sieht man das Problem genauer: Wenn ich die Ausführungen <strong>der</strong> Vorredner richtig<br />

verstanden habe, sind bereits ca. 75 Prozent <strong>der</strong> aktuell Beschäftigten <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong><br />

im Dienstleistungsbereich tätig. Eine enorme Anzahl! Resonanz <strong>und</strong> Anerkennung in<br />

<strong>der</strong> Wertebasis <strong>der</strong> Gesellschaft fi ndet dies jedoch zu wenig. Im Gegenteil, wenn ich hier<br />

wie<strong>der</strong> für einen Moment in die Rolle des permanenten Beobachters schlüpfe stelle ich<br />

fest, dass eine konsequente Orientierung am Prinzip <strong>der</strong> Dienstleistung nicht so recht<br />

in den Köpfen von Bevölkerung <strong>und</strong> politischen Entscheidungsträgern ankommen will.<br />

Natürlich gibt es sie, die vielen kleinen Dienstleistungsoasen, mit Zauberhand nach dem<br />

Zufallsprinzip verstreut in die Region, hier in einer Gaststätte, dort in einem Handelsgeschäft,<br />

bei dem einen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Handwerker, in einzelnen Tourismusbetrieben<br />

o<strong>der</strong> sogar in den Hochschulen. 28 Von einer „kollektiven mentalen Programmierung“<br />

(Hofstede), die im Sinne von Daniel Bell konsequent auf die Transformation von <strong>der</strong><br />

Industriegesellschaft hin zur Dienstleistungsgesellschaft setzen würde, ist die Region<br />

jedoch noch weit entfernt. Folgerichtig haben es dienstleistungsorientierte Konzepte<br />

in <strong>der</strong> <strong>Regionalentwicklung</strong> relativ schwer, Fuß zu fassen. Tourismus, Bildung, Handel,<br />

internationale Beratung, Projektentwicklung, Informations- <strong>und</strong> Kommunikationswesen<br />

usw., <strong>der</strong> im neuen Europa explosionsartig wachsende „dritte Sektor“ entwickelt sich an<br />

<strong>der</strong> Region zielstrebig vorbei. Während man auf den Fluren <strong>der</strong> Agentur für Arbeit in<br />

28 Ich gestatte mir hier stellvertretend ein geradezu symbolisches Beispiel hervorzuheben, das mich immer wie<strong>der</strong> sehr<br />

beeindruckt: die wahrlich Bedienung zu nennende Behandlung des Reisenden im Kiosk des ansonsten verwaisten <strong>Zittau</strong>er<br />

Hauptbahnhofs – eine Serviceoase inmitten <strong>der</strong> Servicewüste.


<strong>Regionalentwicklung</strong> <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> 133<br />

<strong>Zittau</strong> vergeblich auf Schichtarbeitsplätze in <strong>der</strong> metallverarbeitenden Industrie wartet,<br />

lernen unsere Nachbarn Fremdsprachen <strong>und</strong> Europäisches Recht <strong>und</strong> grüßen sogar<br />

noch fre<strong>und</strong>lich jeden Auslän<strong>der</strong>, damit er vielleicht wie<strong>der</strong>kommt. Die <strong>Oberlausitz</strong><br />

verschläft hier womöglich ihre strategischen <strong>Chancen</strong>.<br />

Bedauerlich ist dies insofern, weil genau in diesem dritten Sektor die regionalen<br />

Stärken liegen. Ein peripher gelegenes Dreilän<strong>der</strong>eck mit ungünstiger Verkehranbindung<br />

wird sich nie mehr zum Zentrum <strong>der</strong> Schwerindustrie <strong>und</strong> Automobilzulieferer entwickeln,<br />

die Zukunft liegt in Handel, Dienstleitung, Tourismus, Bildung, Internationalität.<br />

Sich darauf vorzubereiten <strong>und</strong> die inneren Werte einer Grenzregion entsprechend zu<br />

entwickeln, dies sollte die Aufgabe von Wirtschaft, Politik <strong>und</strong> Bildung sein. Kultur <strong>und</strong><br />

Kunst könnten dank ihrer symbolischen Schaffenskraft helfen, diese Transformation zu<br />

unterstützen. Insofern ist <strong>der</strong> Erhalt einer kulturellen Infrastruktur mit Theatern, Bibliotheken,<br />

Weiterbildungsinstituten <strong>und</strong> künstlerischen Ereignissen nicht einfach „Luxus“,<br />

o<strong>der</strong> Beiwerk zur Erbauung arbeitsamer Menschen, son<strong>der</strong>n eine überlebenswichtige Basisarbeit<br />

an <strong>der</strong> Zukunft <strong>der</strong> Region. Gestatten Sie mir in exakt diesem Zusammenhang<br />

noch eine Bemerkung zum Thema „Innenstadtentwicklung“: Die skizzierten Dienstleistungsbranchen,<br />

<strong>und</strong> nur diese, sind die einzig realistische Chance, die enormen Leerstände<br />

in den historischen Innenstädten wie<strong>der</strong> mit Leben zu erfüllen. Im Aufbau einer<br />

Dienstleistungsgesellschaft fallen also gleich mehrere Großaufgaben für die regionale<br />

Entwicklung zusammen, denn das historische Erbe muss angenommen, gepfl egt <strong>und</strong><br />

weiterentwickelt werden.<br />

(3) Von <strong>der</strong> Provinzialität zur Internationalität<br />

Eine immer wie<strong>der</strong> herausgestellte Chance <strong>der</strong> Entwicklung im Dreilän<strong>der</strong>eck ist die<br />

Internationalität, o<strong>der</strong> vielleicht besser: Interkulturalität, denn schon auf deutscher Seite<br />

hat man es historisch gesehen ja mit mindestens vier Kulturkreisen zu tun, die ihr Mit-<br />

<strong>und</strong> Gegeneinan<strong>der</strong> immer wie<strong>der</strong> neu defi niert <strong>und</strong> entwickelt haben: <strong>Oberlausitz</strong>er,<br />

Nie<strong>der</strong>schlesier, Sorben, Sachsen. Zusammen mit den teils sehr heterogen gewordenen<br />

Volksgruppen auf polnischer <strong>und</strong> tschechischer Seite sowie einigen „Zugewan<strong>der</strong>ten“<br />

aus allen Teilen Deutschlands kann man die Region <strong>Oberlausitz</strong> getrost als eine Schnittstelle<br />

<strong>der</strong> Kulturen im neuen Europa betrachten.<br />

Wohin die Entwicklung führen kann <strong>und</strong> muss, darüber kann eigentlich kein Zweifel<br />

mehr bestehen: Es geht um die Entwicklung eines lebendigen Miteinan<strong>der</strong> <strong>der</strong> Kulturen<br />

im Angesicht einer schwierigen Geschichte <strong>der</strong> politischen <strong>und</strong> sozialen Trennung. Die<br />

Probleme sind bekannt, die Lösungen weniger, doch es führt nur ein Weg nach vorne, das<br />

ist <strong>der</strong> des erneuerten Zusammenwachsens. Offen ist dabei lediglich die Frage, wo man<br />

(noch) an historisch gewachsene Strukturen <strong>und</strong> Erinnerungen anknüpfen kann <strong>und</strong> wo<br />

man davon unabhängig etwas völlig Neues gestalten muss. Sicher sind beide Entwicklungsstränge<br />

wichtig, auf <strong>der</strong> einen Seite das Heben von verschütteten Gemeinsamkeiten wie<br />

durch das Projekt „Via Sacra“, auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite das unkonventionelle Experimentieren<br />

mit neuen sozialen Beziehungen wie es etwa von Studierenden gelebt wird.<br />

Der Weg in das neue Miteinan<strong>der</strong> ist allerdings für viele Bürger steinig. Freuen auf<br />

die Entwicklung darf man sich da durchaus bei all jenen, die sich seit den offenen<br />

Grenzen noch etwas hilfl os gegenüberstehen <strong>und</strong> mangels Sprachkenntnissen eher auf


134 Albert Löhr<br />

Distanz neugierig begutachten – wer erinnert sich da nicht an die Feiern zum 1. 5. 2004.<br />

Schwieriger wird es dort, wo statt interkultureller Neugier Rückzug <strong>und</strong> Abschottung in<br />

ein provinzielles Denken um sich greifen. Vorschub leisten diesem Rückzug in eine kulturelle<br />

Autopoiesis <strong>der</strong> Region viele Faktoren, von Kirchturmpolitik über gesellschaftliche<br />

Veranstaltungen <strong>und</strong> nationalstaatlichen Bürokratismus bis hin zu lokal beschränkten<br />

Medien. Man darf diesen provinziellen Selbstbezug dabei nicht sofort verurteilen, denn<br />

zum einen sind lokale Selbstfi ndungsprozesse durchaus nötig für eine kulturelle Identität,<br />

<strong>und</strong> zum an<strong>der</strong>en muss man anerkennen, dass die turbulenten Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong><br />

neuen <strong>Oberlausitz</strong>er Lebenswelt mit ihren allseits hereinstürzenden Zumutungen nach<br />

Jahrzehnten des geregelten Lebens „am Rande“ viele Menschen nicht als Chance, son<strong>der</strong>n<br />

als Bedrohung empfi nden.<br />

Dennoch muss gelten, dass für die Zukunft <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> eine Transformation<br />

von kultureller Geschlossenheit hin zu kultureller Offenheit Erfolgsvoraussetzug ist. An<br />

<strong>der</strong> Schnittstelle <strong>der</strong> Kulturen darf Internationalität kein „Mitlaufposten“ sein, <strong>der</strong> nur<br />

bei Feiern heraufbeschworen <strong>und</strong> in oberfl ächliche Symbole verpackt wird, son<strong>der</strong>n<br />

sie muss zum „gelebten Alltag“ <strong>der</strong> Menschen werden. Erste Maßnahmen in diese<br />

Richtung könnten darin liegen, dass die Zentren <strong>und</strong> wichtigen Punkte – mindestens<br />

– viersprachig ausgeschil<strong>der</strong>t werden <strong>und</strong> „Menschen mit viel Zeit“ sich daran machen,<br />

die Sprachen ihrer Nachbarn zu erlernen <strong>und</strong> ihre Kulturen zu erk<strong>und</strong>en. Da Sprachen<br />

immer ein Kondensat von Kulturen sind, folgt aus dem Erlernen von Fremdsprachen<br />

fast zwangsläufi g jene kulturelle Öffnung, die die <strong>Oberlausitz</strong> noch entwickeln muss.<br />

Irgendwann würde dieses Projekt dann, so die Hoffnung, in ein umfassendes Bedürfnis<br />

nach „Bildung“ münden – eine Eigenschaft, die alle großen Regionen auszeichnet, die<br />

sich als Hort interkultureller Begegnung verstehen <strong>und</strong> Europa als Vision letztlich defi -<br />

nieren. 29 Bildungsinstitutionen hält die <strong>Oberlausitz</strong> übrigens bereit.<br />

(4) Von <strong>der</strong> Konkurrenz zur Kooperation<br />

Ein vierter Aspekt <strong>der</strong> „kollektiven mentalen Programmierung“ betrifft endlich das<br />

spezifi sche Konkurrenzverständnis, dem man in <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> begegnet. Ich denke,<br />

hier gibt es einige tief sitzende Missverständnisse mit <strong>der</strong> Bewertung: Konkurrenz ist<br />

schlecht. Erfolg, den man im wirtschaftlichen Wettbewerb erzielt hat, daher ebenfalls.<br />

Da man aber nicht hinter das Prinzip des Wettbewerbs zurück fallen kann, muss wohl<br />

eine Transformation <strong>der</strong> gr<strong>und</strong>legenden Werte einsetzen hin zu einem recht verstandenen<br />

Wettbewerbsbegriff.<br />

Konkurrenz um knappe Güter <strong>und</strong> Ressourcen sowie um gesellschaftliche Positionen<br />

ist in <strong>der</strong> neuen Gesellschaft, die seit <strong>der</strong> politischen Wende Einzug gehalten hat,<br />

eine Schlüsseltriebkraft <strong>der</strong> Entwicklung. Allerdings muss man diese Konkurrenz in<br />

einem bestimmten Sinn verstehen, <strong>der</strong> sich am ökonomischen Rationalitätsverständnis<br />

ausrichtet: es soll einen Wettbewerb <strong>der</strong> Optimierung von Nutzen-Kosten-Verhältnissen<br />

geben, bei dem sich die Handlungen streng rational nach individuellen Vorteilskalkülen<br />

ergeben. Negativ formuliert haben „Irrationalitäten“ jedwe<strong>der</strong> Art wie Emotionen,<br />

Traditionen, Machtpositionen o<strong>der</strong> Gefälligkeiten in diesem Wettbewerb keinen Platz;<br />

29 Vgl. dazu MANFRED FUHRMANN, Bildung. Europas kulturelle Identität, Stuttgart 2002.


<strong>Regionalentwicklung</strong> <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> 135<br />

denn sie gefährden die Wettbewerbsposition <strong>und</strong> begünstigen an<strong>der</strong>e, die sich diese<br />

„Irrationalitäten“ nicht leisten. Im Wettbewerb zu bestehen, insbeson<strong>der</strong>e auch als<br />

Arbeitgeber, bedeutet also eine Leistung nach bestimmten Spielregeln zu erbringen,<br />

<strong>der</strong> durchaus mehr Achtung <strong>und</strong> Respekt entgegen gebracht werden sollte. Kann es eine<br />

solche Transformation im gesellschaftlichen Bewertungssystem geben?<br />

Dort, wo man als einzelner zu schwach ist, um im Wettbewerb zu bestehen, muss<br />

man Kooperation eingehen, sei es in Form einer Gründung von Institutionen (Unternehmungen,<br />

Verbände, Gewerkschaften usw.) o<strong>der</strong> strategische Allianzen in Form von<br />

Kooperationsnetzwerken. So gesehen würde die Theorie in <strong>der</strong> individuell chronisch<br />

wettbewerbsschwachen <strong>Oberlausitz</strong> im Gr<strong>und</strong>e Kooperationen durch Netzwerk- <strong>und</strong><br />

Institutionenbildung erwarten, um <strong>der</strong> faktischen Marktmacht <strong>der</strong> internationalen Konkurrenten<br />

nicht hoffnungslos zu unterliegen. Chronisch wettbewerbsschwach ist die<br />

<strong>Oberlausitz</strong> in vielen Branchen deshalb, weil wir von „zersplitterten Branchen“ innerhalb<br />

<strong>der</strong> Region ausgehen müssen, die sich im überregionalen Wettbewerb nur schwer<br />

behaupten können. Nach Michael Porter (Strategy) sind „zersplitterte Branchen“ durch<br />

eine Vielzahl kleiner <strong>und</strong> mittelgroßer Unternehmen gekennzeichnet, die relativ unterschiedliche<br />

Leistungen anbieten. Branchenführer, die die Macht besitzen, die Ereignisse<br />

in <strong>der</strong> Branche zu steuern, fehlen. Bei <strong>der</strong> Formulierung einer Wettbewerbsstrategie in<br />

<strong>der</strong>art zersplitterten Branchen gibt es zahlreiche strategische Fallen, zum Beispiel ist das<br />

Streben nach Dominanz sinnlos o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Versuch einer zu starken Zentralisierung <strong>und</strong><br />

Vereinheitlichung gefährlich. 30 Kooperationen müssen daher die vielen unterschiedlichen<br />

Stärken aufgreifen <strong>und</strong> sinnvoll zusammenagieren.<br />

Es ist in diesem Zusammenhang eine spezifi sche Misstrauenskultur zu beobachten,<br />

die die Entwicklung von stabilen Kooperationen hemmten. Ich benenne hier thesenhaft<br />

zwei Faktoren. Zum einen mangelt es an Gr<strong>und</strong>vertrauen in Kooperationspartner,<br />

verschärft im interkulturellen Kontext. Es ist hier nicht <strong>der</strong> nötige Platz, um darüber<br />

zu räsonnieren, wie sich dieses elementare Misstrauen in die Möglichkeit von Kooperationen<br />

begründet. Sicher mögen vergangene Enttäuschungen seit <strong>der</strong> Wendezeit,<br />

eine starke kulturelle Selbstbezogenheit o<strong>der</strong> tief sitzende Vorurteile eine Rolle spielen,<br />

aber auf <strong>der</strong> Suche nach ökonomischen <strong>Chancen</strong> dürften solche „Sentimentalitäten“<br />

mittlerweile eigentlich keinen Platz mehr haben. Die Transformation heraus aus einer<br />

Misstrauenskultur zu einer Vertrauenskultur muss vollzogen werden, 31 um in <strong>der</strong> Region<br />

entscheidende Kooperationsvorteile zu realisieren, sonst kann es keine positive Entwicklung<br />

geben. Ernsthafte Kooperationen können dabei aus dem latenten Misstrauen<br />

heraus nur in Gang gebracht werden, wenn (1) kooperative Abmachungen in Erwartung<br />

ihrer Einhaltung überhaupt getroffen werden <strong>und</strong> (2) diese Erwartungen in Form einer<br />

wechselseitigen Verlässlichkeit permanent bestätigt werden. Vertrauen <strong>und</strong> eine Vertrauenskultur<br />

ergeben sich dann als Resultat solcher Prozesse <strong>und</strong> schaffen eine stabile Basis<br />

für weitere Kooperationen.<br />

30 Hier wäre sicher eine Diskussion zwischen dem Strategieguru MICHAEL E. PORTER, Competitive Strategy. Techniques for<br />

Analyzing Industries and Competitors. New York, Free Press 1980 (dt.: Wettbewerbsstrategie. Frankfurt, Campus 1983, 1999);<br />

<strong>und</strong> den Thesen von KLAUS VON DOHNANYI / EDGAR MOST, Für eine Kurskorrektur beim Aufbau Ost, Thesenpapier, 10. Februar<br />

2004, interessant – brauchen wir Leuchttürme o<strong>der</strong> Lichterketten?<br />

31 Die Unterscheidung zwischen Misstrauenskultur <strong>und</strong> Vertrauenskultur übernehme ich von KNUT BLEICHER, Die Organisation<br />

mit Zukunft, in: IBM-Nachrichten 38 (1988), Heft 292, S. 7–13.


136 Albert Löhr<br />

Wo es jedoch schon schwer fällt, Abmachungen überhaupt zu treffen, weil man<br />

ihre Einhaltung gar nicht erwartet <strong>und</strong> sich daher keinen Vorteil verspricht, kann kein<br />

Vertrauen <strong>und</strong> keine Kooperation entstehen. Zu beobachten ist hier lei<strong>der</strong>, dass kooperative<br />

Abmachungen oft schon deshalb unterbleiben, weil viele Akteure glauben, es<br />

doch irgendwie im Alleingang zu schaffen <strong>und</strong> daher auch für an<strong>der</strong>e unterstellen, dass<br />

diese es letztlich im Alleingang schaffen wollen. Wenn dies dann doch einmal jemandem<br />

gelingt: Erfolg zu haben im unternehmerischen Alleingang, dann tritt häufi g die zweite<br />

kulturelle Eigenart hinzu, die man – ungeschützt – als eine Misslingenskultur bezeichnen<br />

könnte. Es ist zwar beileibe nicht so, dass man wagemutigen Menschen aktiv das Scheitern<br />

wünscht, aber wenn dieses eintritt, ist man doch innerlich beruhigt darüber, dass<br />

es wirklich niemand schafft, im ungeliebten Wettbewerb zu bestehen. Positive Beispiele<br />

müssten ja als Beleg dafür dienen, dass Erfolg im Wettbewerb möglich ist <strong>und</strong> man sich<br />

dann fragen muss, warum man ihn selbst nicht annimmt. Insofern stellt sich die Kultur<br />

<strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> – frei nach Paul Watzlawick – in gewissem Sinne als eine große „Anleitung<br />

zum Unglücklichsein“ dar.<br />

5. Gibt es <strong>Chancen</strong>?<br />

Gibt es also <strong>Chancen</strong> für die Entwicklung <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong>, gar zu einer Transformation<br />

<strong>der</strong> inneren Werte <strong>der</strong> Gesellschaft hin zu einer interkulturellen Dienstleistungsregion?<br />

Sicher sind die hier zusammengetragenen Gedanken nicht umfassend <strong>und</strong> lassen viele<br />

Aspekte offen. Man kann sie auch nicht als methodisch so hinreichend abgesichert<br />

betrachten, dass man von einer „wissenschaftlichen“ Bestandsaufnahme sprechen könnte.<br />

Eher haben sie den Status einer explorativen Begehung des Erk<strong>und</strong>ungsfeldes, das<br />

noch viel eingehen<strong>der</strong> untersucht <strong>und</strong> verstanden werden muss, um seine Perspektiven<br />

realistisch einschätzen zu können. Ohnehin ist regionale Vorausschau ein nie enden<br />

wollen<strong>der</strong> Prozess. Bescheiden wir uns daher mit <strong>der</strong> Feststellung, dass aus unserer Sicht<br />

keinerlei Gr<strong>und</strong> zur Resignation besteht, da Ansätze zur Transformation bestehen.<br />

Wer freilich zu den unglücklich gewordenen Skeptikern gehört <strong>und</strong> sich in diesem<br />

Unglücklichsein (Watzlawick) auch noch wohl fühlt, <strong>der</strong> wird es womöglich gar nicht<br />

wollen, aus seinem Teufelskreis <strong>der</strong> Depression herauszutreten. Denn die sich selbst<br />

erfüllende Prophezeihung des Scheiterns realisiert sich leichter als ein positiver Entwicklungsprozess,<br />

da man einfach nichts tun muss. Wer dagegen die <strong>Chancen</strong> <strong>und</strong> Potentiale<br />

<strong>der</strong> Region zur gedeihlichen Entwicklung erkennt, muss handeln. Es gibt für ihn keinen<br />

Gr<strong>und</strong> anzunehmen, dass die historisch nachweislich günstige Lage <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> im<br />

Schnittfeld europäischer Kulturen in <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne plötzlich ungünstig geworden sein<br />

soll. Ganz im Gegenteil scheint das Dreilän<strong>der</strong>eck mit seinen vergleichsweise vielfältigen<br />

<strong>und</strong> dichten sozialen, ökonomischen <strong>und</strong> kulturellen Standortfaktoren über ein hohes<br />

Entwicklungspotential zu verfügen. Vielleicht wäre es einfach nur notwendig, dass sich<br />

die Politik mehr diesen <strong>Chancen</strong> widmet <strong>und</strong> sie för<strong>der</strong>t als sich vorrangig mit den<br />

schlechten Nachrichten <strong>und</strong> Problemen zu befassen. Denn nach Erich Kästner gilt noch<br />

immer: Es gibt nicht Gutes. Es sei denn, man tut es.


<strong>Regionalentwicklung</strong> <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong> 137<br />

Autorenverzeichnis<br />

Dr. Franciszek Adamczuk, Akademia Ekonomiczna we Wrocławiu. Wydzial Gospodarki Regionalnej i Turystiki<br />

w Jeleniej Górze. Ul. Nowowiejska 3, PL–58-500 Jelenia Góra, E-Mail: franciszek.adamczuk@ae.jgora.pl<br />

Prof. Dr. Eckehard Binas, Hochschule <strong>Zittau</strong>/Görlitz (FH), Brückenstraße 1, 02826 Görlitz,<br />

E-Mail: ebinas@hs-zigr.de<br />

Lars-Arne Dannenberg M.A., Weimarische Straße 9, 01127 Dresden,<br />

E-Mail: lars-arne.dannenberg@mailbox.tu-dresden.de<br />

Katja Friedrich, Atelier Frühlingstraße, Frühlingstraße 11, 01099 Dresden, E-Mail: katja.friedrich@gmx.de<br />

Prof. Dr. em. Wolfgang Geierhos, Präsident <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong>ischen Gesellschaft <strong>der</strong> Wissenschaften,<br />

Steinweg 26, 02826 Görlitz, E-Mail: wolfgang.geierhos@olgdw.de<br />

Prof. Dr. habil. Wolfgang Gerstlberger, Internationales Hochschulinstitut (<strong>IHI</strong>) <strong>Zittau</strong>, Markt 23,<br />

02763 <strong>Zittau</strong>, E-Mail: gerstlberger@ihi-zittau.de<br />

Dr. Holm Große, Geschäftsführer <strong>der</strong> Marketing-Gesellschaft <strong>Oberlausitz</strong>-Nie<strong>der</strong>schlesien <strong>und</strong> des Tourismusverbandes<br />

<strong>Oberlausitz</strong>-Nie<strong>der</strong>schlesien e.V., Tschirnerstraße 14a, 02625 Bautzen,<br />

E-Mail: holm.grosse@oberlausitz.com<br />

Christoph Habermann, Staatssekretär, Sächsisches Staatsministerium für Wirtschaft <strong>und</strong> Arbeit, Wilhelm-<br />

Buck-Straße 2, 01097 Dresden, E-Mail: andrea.decker@smwa-sachsen.de<br />

Dr. Peter Heinrich, Regionaler Planungsverband <strong>Oberlausitz</strong>-Nie<strong>der</strong>schlesien, Käthe-Kollwitz-Straße 17<br />

(Haus 3), 02625 Bautzen, E-Mail: peter.heinrich@rpdd.sachsen.de<br />

Prof. Dr. Albert Löhr, Direktor Internationales Hochschulinstitut <strong>Zittau</strong> (<strong>IHI</strong>). Markt 23, 02763 <strong>Zittau</strong>,<br />

E-Mail: loehr@ihi-zittau.de<br />

Mag. Niklas Perzi, Leiter Waldviertel Akademie, Bahnhofstraße 12, A-3830 Waidhofen an <strong>der</strong> Thaya,<br />

E-Mail: waldviertel.akademie@wfornet.at<br />

Wilfried Rosenberg, Regionalgeschäftsführer B<strong>und</strong>esverband <strong>der</strong> Mittelständischen Wirtschaft – <strong>Oberlausitz</strong>,<br />

Schafbergstraße 4, 02625 Bautzen, E-Mail: Mittelstand@bvmw-oberlausitz.de<br />

Andreas Schaaf, Geschäftsführendes Gremium des Oberzentralen Städteverb<strong>und</strong>es Bautzen–Görlitz–Hoyerswerda.<br />

Stadt Görlitz, Hugo-Keller-Straße 16, 02826 Görlitz, E-Mail: a.schaaf@goerlitz.de<br />

Dr. Jürgen Staupe, Staatssekretär, Sächsisches Staatsministerium des Innern, Wilhelm-Buck-Straße 2, 01097<br />

Dresden, E-Mail: presse@smi-sachsen.de<br />

Prof. Dr. habil. Danuta Strahl, Akademia Ekonomiczna we Wrocławiu. Wydzial Gospodarki Regionalnej i<br />

Turystiki w Jeleniej Górze. Ul. Nowowiejska 3, PL–58-500 Jelenia Góra, E-Mail: danuta.strahl@ae.jgora.pl<br />

Prof. Dr. habil. Gisela Thiele, Hochschule <strong>Zittau</strong>/Görlitz (FH), Fachbereich Sozialwesen, Furtstraße 1, 02826<br />

Görlitz, E-Mail: g.thiele@hs-zigr.de


138 Albert Löhr<br />

Veröffentlichungen<br />

<strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong>ischen Gesellschaft <strong>der</strong> Wissenschaften<br />

Neues Lausitzisches Magazin N. F. Bd. 1, 1998, 176 S., ISBN 978-3-932693-36-6<br />

Neues Lausitzisches Magazin N. F. Bd. 2, 1999, 170 S., ISBN 978-3-932693-41-0<br />

Neues Lausitzisches Magazin N. F. Bd. 3, 2000, 168 S., ISBN 978-3-932693-53-3<br />

Neues Lausitzisches Magazin N. F. Bd. 4, 2001, 168 S., ISBN 978-3-932693-67-0<br />

Neues Lausitzisches Magazin N. F. Bd. 5/6, 2003, 188 S., ISBN 978-3-932693-76-2<br />

Neues Lausitzisches Magazin N. F. Bd. 7, 2004, 184 S., ISBN 978-3-932693-83-0<br />

Neues Lausitzisches Magazin N. F. Bd. 8, 2005, 176 S., ISBN 978-3-932693-72-4<br />

Neues Lausitzisches Magazin N. F. Bd. 9, 2006, 224 S., ISBN 978-3-938583-05-0<br />

Karlheinz Blaschke, Beiträge zur Geschichte <strong>der</strong> <strong>Oberlausitz</strong>.<br />

Gesammelte Aufsätze, Görlitz/<strong>Zittau</strong> 1 2000, 2 2003, 254 S., ISBN 978-3-932693-59-5<br />

(Neues Lausitzisches Magazin, Beiheft 1)<br />

Erkenntnis <strong>und</strong> Wissenschaft. Jacob Böhme (1575–1624),<br />

Internationales Jacob-Böhme-Symposium Görlitz 2000,<br />

Görlitz/<strong>Zittau</strong> 2001, 170 S., ISBN 978-3-932693-64-9 (vergiffen)<br />

(Neues Lausitzisches Magazin, Beiheft 2)<br />

Die <strong>Oberlausitz</strong> <strong>und</strong> Sachsen in Mitteleuropa.<br />

Festschrift zum 75. Geburtstag von Prof. Dr. Karlheinz Blaschke,<br />

Görlitz/<strong>Zittau</strong> 2003, 548 S., ISBN 978-3-932693-74-8<br />

(Neues Lausitzisches Magazin, Beiheft 3)<br />

Böhmen – <strong>Oberlausitz</strong> – Tschechien.<br />

Aspekte einer Nachbarschaft, Görlitz/<strong>Zittau</strong> 2006, 206 S., ISBN 978-3-938583-08-1<br />

(Neues Lausitzisches Magazin, Beiheft 4)<br />

Bestellungen über den Buchhandel o<strong>der</strong> den Verlag.<br />

www.verlag-oettel.de

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