Ausgabe 15/2010 - Weingarten im Blick
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6 <strong>Ausgabe</strong> <strong>15</strong>/<strong>2010</strong> Amtsblatt und Bürgerzeitung der Stadt <strong>Weingarten</strong><br />
Ausstellung „Faszination Wasser“ <strong>im</strong> Schlössle<br />
„Dürfen Frauen und Männer gemeinsam<br />
in die Badeanstalt?“<br />
In der Ausstellung „Faszination Wasser – 400 Jahre Wasserversorgung in <strong>Weingarten</strong>“, die noch bis 2. Mai <strong>im</strong><br />
Stadtmuseum <strong>im</strong> Schlössle läuft, wird ein Thema auch dem Freibad gewidmet. Dort sieht man ein Plakat aus dem<br />
Jahr 1930 zu einem Vortrag mit der Überschrift „Warum fordern wir als Christen getrenntes Baden?“. Es geht um<br />
die lebhaft geführte Diskussion in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts um getrenntes Baden <strong>im</strong> 1922 neu eröffneten<br />
Freibad.<br />
Bereits 1886 gab es eine Militär-,<br />
Schw<strong>im</strong>m- und Badeanstalt in <strong>Weingarten</strong><br />
– errichtet und genutzt durch die Soldaten<br />
des hier stationierten Infanterie-Reg<strong>im</strong>ents.<br />
Gebadet wurde <strong>im</strong> Weiher oberhalb<br />
des Mahlweihers, der 1910 durch<br />
eine Umfassungsmauer befestigt wurde.<br />
Ab 1907 war die Garnison damit einverstanden,<br />
dass nun auch die Bevölkerung<br />
das Bad nutzen durfte.<br />
Nach dem 1. Weltkrieg wurde die <strong>Weingarten</strong>er<br />
Garnison aufgelöst. Nun war die<br />
Stadt <strong>Weingarten</strong> bestrebt das Bad selbst<br />
zu betreiben. 1922 pachtete man vom<br />
württembergischen Staat das Grundstück<br />
und erwarb vom Reich die noch vorhandenen<br />
Badeeinrichtungen. 260.000 Mark<br />
sollten die Gesamtkosten betragen, wovon<br />
80.000 Mark durch Spenden von auswärts<br />
lebenden ehemaligen Bürgern (u. a.<br />
Rudolf Walser und Louis Bertsch in Argen-<br />
Veröffentlichung der Öffnungszeiten, 1926.<br />
tinien, William Kiene in New York und<br />
Kaufmann Karl Joos in Frankfurt) aufgebracht<br />
wurden. Im Juni 1922 wurde <strong>im</strong> Gemeinderat<br />
über das getrennte Baden nach<br />
Geschlechtern diskutiert. Mit 13 zu 3 St<strong>im</strong>men<br />
entschied man sich gegen ein gemeinsames<br />
Familienbad, das u. a. „aus<br />
ideellen, sozialen und sittlichen Gründen“<br />
abgelehnt wurde. Dementsprechend<br />
wurden von 8 bis 20 Uhr folgende Badezeiten<br />
eingeführt: „Montag, Mittwoch<br />
und Freitag ganztags sowie Samstag vormittags<br />
für das weibliche Geschlecht -<br />
Dienstag, Donnerstag und Sonntag ganztags<br />
sowie Samstag nachmittags für das<br />
männliche Geschlecht“.<br />
Am 16. Juli 1922 war es soweit – das<br />
„Licht-, Luft- und Schw<strong>im</strong>mbad“ wurde<br />
mit einem festlichen Akt eröffnet. Aufsichtspersonal<br />
und einen Schw<strong>im</strong>mlehrer<br />
stellte die mittlerweile in <strong>Weingarten</strong> ansässige<br />
Polizeischar. Vor der Badesaison<br />
1923 ging es <strong>im</strong> Gemeinderat in einer<br />
zweistündigen Debatte erneut um die Regelung<br />
des Familienbades. Schließlich<br />
kam es bei der Abst<strong>im</strong>mung zu einer St<strong>im</strong>mengleichheit<br />
von 8 zu 8. Nun entschied<br />
die St<strong>im</strong>me des Vorsitzenden Bürgermeister<br />
Wilhelm Braun für eine zu gewissen Tageszeiten<br />
gemeinsame Benutzung des<br />
Wasserbades, unter Aufrechterhaltung<br />
der seitherigen Trennung von Licht- und<br />
Luftbad. Braun hatte zuvor argumentiert,<br />
„dass eine Badeordnung in diesem Rahmen<br />
Anstand und Sittlichkeit keineswegs<br />
verletze und die Badenden selbst keine<br />
Gelegenheit haben, <strong>im</strong> Wasserbad die<br />
christlichen und moralischen Gesetze der<br />
Sitte zu überschreiten. Dabei setze er voraus,<br />
dass die Badeordnung unbedingt<br />
und uneingeschränkt eingehalten werde<br />
und nach Verlassen des Wasserbades sofort<br />
das getrennte Licht- und Luftbad aufzusuchen<br />
sei.“<br />
1925 baten der katholische und der evangelische<br />
Pfarrer in einem Schreiben um<br />
Neuregelung „in der Weise, dass beide<br />
Das Licht-, Luft- und Schw<strong>im</strong>mbad, um 1930.<br />
Geschlechter getrennt zu baden haben“.<br />
Braun hielt fest, dass sich „die Jugend<br />
nicht <strong>im</strong>mer an die bestehende Badeordnung<br />
halte. Übergriffe, die die Sittlichkeit<br />
gefährden, seien nicht vorgekommen“.<br />
Dieses Mal war eine klare Mehrheit für die<br />
Rückkehr zum getrennten Badebetrieb.<br />
Wie hoch war damals die Besucherzahl?<br />
Im Jahr 1926 heißt es, dass die Badeanstalt<br />
6.276 Mal benutzt wurde, 1931 waren<br />
es 8.700 Besucher. Das württembergische<br />
Innenministerium beschäftigte sich<br />
1929 auch mit dem Thema Familienbad<br />
und riet den Betreibern von Badeanstalten<br />
an mindestens zwei Tagen getrenntes Baden<br />
zu schaffen – in <strong>Weingarten</strong> hielt man<br />
weiterhin an sieben Tagen fest. Die Diskussion<br />
hörte jedoch nicht auf. 1930 ist <strong>im</strong><br />
Oberschwäbischen Anzeiger von einem<br />
Boykott des Bades die Rede. Nur Kinder<br />
wären <strong>im</strong> Schw<strong>im</strong>mbad gewesen, während<br />
die Erwachsenen teils zum Strandbad<br />
Friedrichshafen, dem Waldbad und in<br />
besonders starker Zahl zum Rösslerweiher<br />
geströmt seien. Die starken Widerstände<br />
in der Bevölkerung führten zu einer Protestversammlung<br />
<strong>im</strong> Gasthaus zum<br />
Lamm, was eine Gegenversammlung als<br />
„katholische Aktion“ hervorrief. Auch einen<br />
Antrag der Ortsgruppe der NSDAP<br />
auf Änderung der Badeordnung lehnte<br />
der Gemeinderat <strong>im</strong> Mai 1932 ab. Unter<br />
den Nationalsozialisten kam es <strong>im</strong> Mai<br />
1933 schließlich zur Einführung des Familienbades,<br />
nur noch an den sechs Werktagen<br />
vormittags war getrenntes Baden angesagt<br />
– entschieden <strong>im</strong> Gemeinderat äußerst<br />
knapp mit 7 zu 6 St<strong>im</strong>men.<br />
Text: Uwe Lohmann<br />
Bilder: Stadtarchiv <strong>Weingarten</strong>