Janet Cardiff & George Bures Miller - Zeit Kunstverlag
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Vorgänger, einen fürstlichen Theater- und Opernsaal, zurückerinnerte.<br />
Das kunstvoll ausstaffierte Innere dieser minimalistischen<br />
Holzbox ließ somit keinen Zweifel, daß <strong>Cardiff</strong> und <strong>Miller</strong><br />
hier explizit künstlerisch in die Tradition des barocken Illusionismus<br />
treten, nur daß die Strategien zur Täuschung und Überwältigung<br />
der Sinne ihres Publikums keine primär optischen<br />
und perspektivischen mehr sind, sondern es nunmehr um ein<br />
artifizielles Zusammenspiel akustischer und visueller Elemente<br />
geht.<br />
Trompe l'oreille? Nicht daß sich das Ohr so einfach täuschen<br />
ließe. Aber im Gegensatz zum Sehsinn ist es für Signale viel<br />
direkter und schneller empfänglich. Auch das internationale<br />
Publikum in Venedig »gehorchte« aufmerksam den Anweisungen<br />
der bereit stehenden Aufsicht, die jetzt in die Rolle einer<br />
Art Filmvorführer übergewechselt war. Man wurde höflichst gebeten,<br />
die bereit liegenden Stereokopfhörer aufzusetzen und<br />
doch bitte erst das Handy auszuschalten, damit die filmische<br />
Fahrt endlich beginnen könnte. Auf der scheinbar weit entfernten,<br />
großen Leinwand startete nun ohne lästigen Werbevorspann<br />
ein titelloser Streifen. In diesem Moment kommt das<br />
große Spiel der Illusionen in Gang, das von den beiden unsichtbaren<br />
Regisseuren <strong>Cardiff</strong> und <strong>Miller</strong> inszeniert wird. Denn<br />
die eigentliche filmische Vorführung ähnelt mehr und mehr einem<br />
Trailer für einen ganz anderen Film im Kopf des jeweiligen<br />
Betrachters. Tatsächlich bildete das schnell zusammengeschnittene,<br />
fragmentarisch wirkende und mit Bildern in Bildern<br />
verschachtelte Filmmaterial ein Mixtum Compositum der hinlänglich<br />
bekannten Klischees und Motive verschiedener Filmgenres:<br />
etwa aus den vielschichtigen und vertrackten Handlungen<br />
eines Film noir entlehnt, der seine Zuschauer lange im<br />
Dunklen tappen läßt und den Protagonisten in mysteriöse Verbrechen<br />
verstrickt, aus Suspense- und Surprise-Effekten eines<br />
Hitchcock-Thrillers oder absurd-phantastischen Science-Fiction-Plots.<br />
All dies wird wiederum modellhaft angelegt und mit<br />
einem höchst suggestiven Soundtrack unterlegt, wobei sich<br />
die akustischen Ebenen der Filmvorführung, des illusionistischen<br />
Kinosaals und des physischen Realraums der Zuschauer<br />
allmählich immer stärker durch den Einsatz einer stark verräumlichten<br />
Akustik täuschend bis zu ihrer verwirrenden<br />
Ununterscheidbarkeit überlagern, synchronisieren oder sich<br />
kontrapunktisch gegeneinander verhaken und verknoten: Klingelt<br />
da nicht das eigentlich ausgeschaltete Mobiltelefon, während<br />
der Protagonist auf der Leinwand davon aus seinem fiebrigen<br />
Traumschlaf erwacht und eine nicht weiter identifizierbare<br />
Sitznachbarin hastig und aufdringlich direkt ins Ohr flüstert, sie<br />
könne den Anruf jetzt nicht entgegennehmen, da sie gerade im<br />
Kinosaal säße?! Man blickt sich vorsichtig um; glaubte man<br />
doch, diese Stimme nicht eben noch im Film auf der Leinwand<br />
6<br />
gehört zu haben? Wie lautet noch einmal die Nummer von David<br />
Lynch?! Am Ende der Filmvorführung beginnen jedenfalls<br />
Stimmen aus dem Off gemeinsam mit dem fiktiven Filmpublikum<br />
im Raum auf ein unsichtbares geheimes Kommando hin<br />
einen bedrohlich anschwellenden Countdown zu zählen... 268,<br />
269, 270... ohne daß der Vorhang fällt. Ein Filmende ohne Ende.<br />
Und hämmerten da draußen nicht gerade schon die nächsten<br />
wartenden Zuschauer an die Türen für Einlaß zu einem<br />
weiteren Film-Loop?<br />
In diesem Augenblick hat das passiv anwesende Publikum in<br />
den Zuschauerrängen des Paradise Institut unversehens seinen<br />
Status eingetauscht, wird immer tiefer in die fiktiven Geschehnisse<br />
physisch und psychisch involviert und genießt – zu<br />
Beginn noch etwas verwirrt und irritiert – mehr und mehr das<br />
raffinierte Spiel aus Illusionen und Emotionen, aus miteinander<br />
subtil synchronisierten Wirklichkeitsebenen und ihren irrig-absurden<br />
Verwechslungen.<br />
Wo hört das Reale auf und wo beginnt das Fiktive, wenn beide<br />
simultan oder synchron erscheinen? Was passiert, wenn das<br />
Fiktive in die Realität drängt (und nicht umgekehrt) – entsteht<br />
dann eine »real virtuality«, mächtiger und mitreißender noch als<br />
jeder virtuelle Cyberspace und weitaus immersiver als jene<br />
dreidimensionalen digitalen virtuellen Realitäten eines Jeffrey<br />
Shaw, zu dessen avancierten physischen Future Cinema-Projekten2<br />
die Arbeiten von <strong>Cardiff</strong> und <strong>Miller</strong> durchaus enge konzeptuelle<br />
Ähnlichkeiten aufweisen, nur daß die beiden für die<br />
Realisation immer noch mehr auf Low Tech und die Hardware<br />
denn auf eine elektronische Software setzen?<br />
Die Faszination des »Scripted Space«<br />
Was ist beim Eintauchen in künstliche Welten wirklich noch real<br />
und objektiv und was lediglich subjektive Einbildung? Was<br />
ist im Paradise Institute nur ein geräuschvolles Zufallsphänomen<br />
und was schon eine kodierte Botschaft? Die konstruierte<br />
Fiktionalität der Medienrealität (Bild und vor allem Ton)<br />
schwappt in The Paradise Institute oder seinen kleineren Vorläufern<br />
Playhouse (1997, Abb. 2 a+b) und The Muriel Lake Incident<br />
(1999) vehement über in den physischen und psychischen<br />
Realraum des Zuschauers, ergreift wie in etlichen paranoiden<br />
Alien-Fantasien Besitz von dessen Bewußtsein und destablisiert<br />
somit die Differenzierungen und Markierungen von real<br />
und imaginär, fiktiv und objektiv. Aus solchen Verknüpfungen<br />
und Verknotungen verschiedener Realitätsebenen und Wirklichkeiten<br />
entstehen erst alle subjektiven Empfindungen und<br />
Erfahrungen.<br />
Der amerikanische Architekturkritiker, Schriftsteller und Medientheoretiker<br />
Norman M. Klein3 nennt das Konzept einer<br />
derartig kondensierten Wahrnehmungs- und Erfahrungssituation,<br />
wie sie uns <strong>Cardiff</strong> und <strong>Miller</strong> mit ausgesprochen elaborier-