Herzrhythmus- störungen heute - Bagso
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<strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
<strong>heute</strong><br />
Herausgegeben von der<br />
Deutschen Herzstiftung
Impressum<br />
<strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> <strong>heute</strong><br />
3. vollständig überarbeitete Auflage, November 2006<br />
ISBN 3-9806604-8-6<br />
Herausgeber<br />
Deutsche Herzstiftung • Vogtstraße 50 • 60322 Frankfurt<br />
am Main • Telefon 0 69 955128-0 • Telefax 0 69 955128-313<br />
www.herzstiftung.de • info@herzstiftung.de<br />
Redaktion<br />
Prof. Dr. med. Thomas Meinertz<br />
Dr. Irene Oswalt<br />
Renate Horst<br />
Redaktionsassistenz<br />
Christine Dehn<br />
Gestaltung: www.neufferdesign.de<br />
Produktionsleitung: Renate Horst<br />
Druck: apm, alpha print medien AG, Darmstadt<br />
Der Nachdruck und die elektronische Verbreitung<br />
von Artikeln aus <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> <strong>heute</strong> ist nur<br />
mit Genehmigung der Redaktion möglich.<br />
Bildnachweis<br />
Celestino Piatti (Logo); Ulrike Eberius (S. 47); Prof. Dr. med.<br />
Stefan H. Hohnloser (S. 40); Vorhofflimmern: Herz aus dem<br />
Takt, Patienteninformation des Kompetenznetzes Vorhofflimmern,<br />
S. 17 (S. 12), RWTH Aachen, S. 23 (S. 39), S. 36 (S. 62);<br />
W. A. Mozart, Entführung aus dem Serail, C. F. Peters Musikverlag<br />
(S. 4); Jan Neuffer (S. 6/7, 8/9, 14, 16/17, 22/23, 24, 28, 31,<br />
37, 41, 43, 49, 69, 71, 74, 77, 80, 95); Universitäres Herzzentrum<br />
Hamburg (S. 36, 38, 57).
<strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
<strong>heute</strong><br />
Herausgegeben<br />
von der<br />
Deutschen Herzstiftung<br />
Es gibt kaum ein medizinisches Thema, das so großes<br />
Interesse findet wie <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong>.<br />
Dieses Buch ist für Patienten und Ärzte geschrieben.<br />
Hervorragende Rhythmusspezialisten haben<br />
es verfasst, um über den heutigen Stand der Medizin<br />
auf diesem Gebiet und die großen Fortschritte,<br />
die in den letzten Jahren erzielt wurden, zu<br />
informieren. Auch die aktuellen Leitlinien 2006<br />
sind berücksichtigt.<br />
Prof. Dr. med. Hans-Jürgen Becker<br />
Vorsitzender des Vorstandes<br />
der Deutschen Herzstiftung
<strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> <strong>heute</strong><br />
Fragen zu <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4<br />
Thomas Meinertz<br />
Der normale <strong>Herzrhythmus</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11<br />
Dietrich Andresen<br />
Langsamer <strong>Herzrhythmus</strong>:<br />
Wann braucht man einen Herzschrittmacher? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15<br />
Andreas Schuchert<br />
Gutartiges Herzjagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21<br />
Paulus Kirchhof, Günter Breithardt<br />
Das Stolperherz: Extrasystolen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29<br />
Berndt Lüderitz<br />
Am häufigsten: Vorhofflimmern<br />
Das vollständig arrhythmische Herz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35<br />
Michael Oeff<br />
Medikamente gegen Vorhofflimmern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41<br />
Wirkungen, Nebenwirkungen, Pill in the Pocket<br />
Berndt Lüderitz<br />
Vorhofflimmern: wenn Medikamente nicht mehr helfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48<br />
Heilung durch Katheterablation<br />
Gerhard Hindricks, Hans Kottkamp<br />
Vorhofflimmern: eine lange Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56<br />
Patientenbericht von Thomas Meinertz<br />
Vorhofflimmern: chirurgische Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61<br />
Nicolas Doll, Friedrich W. Mohr<br />
2
Vorhofflimmern: das Schlaganfallrisiko senken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65<br />
Christa Gohlke-Bärwolf<br />
Vorhofflattern: ein Fall für die Katheterbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70<br />
Stephan Willems, Boris Lutomsky, Daniel Steven, Thomas Rostock<br />
Lebensbedrohliche <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75<br />
Michael Ulbrich, Uwe Dorwarth, Christopher Reithmann, Gerhard Steinbeck<br />
Schutz vor dem plötzlichen Herztod: der Defibrillator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82<br />
Hans-Joachim Trappe<br />
Leben mit dem Defi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88<br />
Patientenbericht von Hermann Wessels<br />
<strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> nach der Operation angeborener Herzfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90<br />
Joachim Hebe, Karl-Heinz Kuck<br />
Das hilft Ihnen weiter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95<br />
Was kann die Deutsche Herzstiftung für Sie tun?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96<br />
3
Leben und <strong>Herzrhythmus</strong> gehören zusammen.<br />
Da das Leben voller Bewegung ist,<br />
kann auch das Herz nicht wie ein Uhrwerk<br />
schlagen.Wenn wir uns freuen, wenn wir uns<br />
aufregen, schlägt es schneller, das wissen wir.<br />
Aber wir wissen auch, dass es <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
gibt, die nicht nur lästig, sondern<br />
gefährlich sind.<br />
Wie kann man da unterscheiden? Oder noch<br />
einfacher gefragt: Was ist ein normaler Puls?<br />
■ Die normale Herzschlagfolge, die normale<br />
Herzfrequenz im Alltag, liegt etwa zwischen<br />
60 und 100 pro Minute 1 . Bei seelischer<br />
oder körperlicher Belastung kann<br />
der Puls ohne weiteres bis auf eine Frequenz<br />
von 160 bis 180 steigen. Dieser<br />
Anstieg des Pulses ist völlig normal. Aber:<br />
Krankhaft ist ein schlagartiges Umspringen<br />
des Pulses von einer normalen Herzschlagfolge<br />
auf eine sehr hohe oder sehr<br />
niedrige Herzfrequenz.<br />
Wo liegt die Grenze nach unten?<br />
■ Nachts sinkt die Herzfrequenz ab und liegt<br />
bei vielen Menschen zwischen 45 und 55<br />
pro Minute. Doch auch tiefere Herzfrequenzen<br />
können ohne krankhafte Bedeutung sein. So<br />
kann z. B. beim Leistungssportler die Herzfrequenz<br />
auf 30 bis 35 pro Minute abfallen. Eine<br />
solch niedrige Herzfrequenz ist natürlich für<br />
einen Untrainierten nicht normal. Die untere<br />
Grenze zum krankhaften Befund liegt bei etwa<br />
40 Schlägen pro Minute.<br />
4<br />
Fragen zu <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
Interview mit Professor Dr. med. Thomas Meinertz, Universitäres Herzzentrum Hamburg,<br />
Klinik und Poliklinik für Kardiologie/Angiologie<br />
„O wie ängstlich, o wie feurig klopft mein liebevolles Herz“, singt Belmonte, als<br />
er endlich seine entführte Geliebte wiedersehen soll, in Mozarts „Entführung aus<br />
dem Serail“. Zugleich ist sein Herzschlag in der Orchesterbegleitung zu hören.<br />
Was wir fühlen und empfinden, drückt sich im Rhythmus unseres Herzens aus.<br />
Darauf weist Musik hin – bei Mozart und bei anderen Komponisten.<br />
Wann muss man anfangen, sich Sorgen zu<br />
machen? Wann werden <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
gefährlich?<br />
■ <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> können etwas völlig<br />
Normales sein. Praktisch jeder Mensch hat<br />
irgendwann in seinem Leben Unregelmäßig-
keiten des Herzschlags – häufig, ohne<br />
es zu merken.<br />
Oft sind <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> Folge<br />
einer Herzkrankheit (z. B. Hochdruckherz,<br />
koronare Herzkrankheit,<br />
Klappenfehler). Selten sind <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
Vorläufer und<br />
Warnzeichen eines drohenden plötzlichen<br />
Herztodes.<br />
Der Übergang zwischen normal und<br />
krankhaft ist fließend. Krankhaft bedeutet<br />
nicht immer gefährlich. Die<br />
Grenze ist im Einzelfall schwierig zu<br />
ziehen. Ob <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
harmlos, weniger harmlos oder lebensbedrohlich<br />
sind, kann nur der Arzt, ein<br />
Internist oder Kardiologe, nach ausführlicher<br />
Untersuchung des Patienten entscheiden.<br />
Was sind <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong>?<br />
■ Man kann sie mit Fehlzündungen eines Motors<br />
vergleichen. Normalerweise bilden die elektrischen<br />
Taktgeber im Herzen regelmäßig ihre<br />
Impulse (s. Abb. S. 12). Daher schlägt das Herz<br />
regelmäßig. Diese elektrischen Taktgeber sind<br />
störanfällig und Störungen (Fehlzündungen)<br />
können zu Extraschlägen führen.<br />
Die Taktgeber können auch in ihrer Funktion<br />
versagen, vorübergehend oder ganz, dann<br />
kommt es zu einer Verlangsamung der Herzschlagfolge.<br />
Dabei kann die Störung sowohl in den elektrischen<br />
Impulsgebern liegen als auch überall im<br />
Herzmuskel. Denn bei Herzkrankheiten kann<br />
der Herzmuskel selbst elektrische Aktivität entwickeln<br />
und zu fehlgebildeten Impulsen Anlass<br />
geben.<br />
<strong>Herzrhythmus</strong>störung ist also nicht gleich <strong>Herzrhythmus</strong>störung.<br />
■ So ist es. Zu unterscheiden ist zwischen:<br />
■ harmlosen <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong>, die als<br />
Fehlzündungen eines normalen Herzens<br />
angesehen werden können,<br />
■ <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong>, die durch eine<br />
Erkrankung der elektrischen Impulsgeber<br />
hervorgerufen werden (als Beispiele: AV-<br />
Block und das Sinusknoten-Syndrom),<br />
■ am häufigsten und am bedeutsamsten: <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong>,<br />
die Folge einer Herzkrankheit<br />
sind,<br />
■ und <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong>, die Folge anderer<br />
Krankheiten sind wie z. B. einer Schilddrüsenüberfunktion.<br />
<strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> sind also in der Regel<br />
– wenn sie nicht angeboren sind – keine eigene<br />
Erkrankung, sondern meistens die Folge von<br />
Herzkrankheiten oder anderen Einflüssen, die<br />
das Herz aus dem Takt bringen.<br />
Welche Einflüsse sind das?<br />
Prof. Dr. med.<br />
Thomas Meinertz<br />
■ Besonders wichtig ist die Störung der Zusammensetzung<br />
der Blutsalze, der Elektrolyte: Kaliummangel,<br />
Magnesiummangel. Dadurch werden<br />
sowohl gutartige wie bösartige <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
verstärkt oder ausgelöst. Daher<br />
ist darauf zu achten, dass es zu keinem Kaliumoder<br />
Magnesiummangel zum Beispiel bei regelmäßigem<br />
Gebrauch von Diuretika (Entwässerungsmitteln)<br />
kommt.<br />
Auch Genussgifte (reichlicher Konsum von<br />
Alkohol, Kaffee oder Nikotin), Medikamente<br />
und Schlafmangel können <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
auslösen.<br />
5
Was ist die beste Strategie?<br />
■ Die beste Strategie gegen <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
ist die Ausschaltung von Faktoren, die <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
begünstigen, und die Behandlung<br />
der Grundkrankheit, die die <strong>Herzrhythmus</strong>störung<br />
verursacht.<br />
Wann müssen darüber hinaus <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
direkt behandelt werden?<br />
■ Früher haben wir viele <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
für bedrohlich gehalten. In den letzten Jahren<br />
hat man gelernt, dass dies nicht der Fall ist.Viele<br />
<strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> müssen überhaupt<br />
nicht behandelt werden 2 .<br />
Heute behandelt man <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
nur, wenn dies zwingend erforderlich ist. Dann<br />
aber sollten sie konsequent und nur vom Fachmann<br />
behandelt werden. Die Entscheidung für<br />
eine Behandlung ist Sache des Kardiologen, die<br />
regelmäßige Verlaufskontrolle kann auch durch<br />
den Internisten bzw. Hausarzt erfolgen.<br />
6<br />
Wann ist die Behandlung notwendig?<br />
■ Eine <strong>Herzrhythmus</strong>störung muss behandelt werden,<br />
■ wenn sie die Gefahr eines plötzlichen Herztodes<br />
mit sich bringt,<br />
■ wenn sie zu einem Schlaganfall führen kann,<br />
■ wenn sie sich auf die körperliche Leistungsfähigkeit<br />
auswirkt,<br />
■ wenn sie den Patienten belastet, zum Beispiel<br />
durch Schwindelanfälle, durch das<br />
Gefühl von Herzrasen oder durch ausgeprägtes<br />
Unwohlsein.<br />
Erst dann wird eine Therapie eingeleitet – in<br />
den meisten Fällen zunächst mit Medikamenten,<br />
bei langsamen <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> mit<br />
einem Herzschrittmacher 3.<br />
Was ist mit Medikamenten gegen <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
zu erreichen?<br />
■ Diese Medikamente können die <strong>Herzrhythmus</strong>störung<br />
unterdrücken oder zumindest dafür sorgen,<br />
dass sie seltener, kürzer oder erträglicher<br />
auftritt. Dafür stehen verschiedene Medikamente<br />
zur Verfügung. Aber deren Wirkung im Einzelfall<br />
ist nicht sicher vorauszusehen. Da die<br />
Patienten unterschiedlich auf die Medikamente<br />
ansprechen, braucht man Geduld und unter<br />
Umständen auch mehrfachen Medikamentenwechsel,<br />
bis das richtige Medikament und die<br />
richtige Dosierung gefunden sind.<br />
Eines können Rhythmusmedikamente nach<br />
neueren Erkenntnissen nicht leisten: bei lebensbedrohlichen<br />
<strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> den<br />
plötzlichen Herztod verhindern. Dafür ist der<br />
Defibrillator erfunden worden 4 .
Welche Nachteile haben die Rhythmusmedikamente?<br />
■ Das Hauptproblem besteht darin, dass alle<br />
Rhythmusmedikamente – von Betablockern<br />
abgesehen – selten (im Bereich weniger Prozente)<br />
selbst Rhythmus<strong>störungen</strong> verstärken<br />
und so im Einzelfall dramatische und lebensbedrohliche<br />
Situationen hervorrufen können –<br />
am häufigsten zu Beginn einer Therapie. Deshalb<br />
muss man mit diesen Medikamenten vorsichtig<br />
umgehen. Man muss sie kritisch und<br />
gezielt einsetzen.<br />
Wie lässt sich das Risiko begrenzen?<br />
■ Man kann die Gefährdung der Patienten verringern,<br />
wenn man die Patienten sorgfältig einstellt.<br />
Besonders gefährdet durch die Nebenwirkungen<br />
von Rhythmusmedikamenten sind Patienten<br />
mit einer begleitenden Herzkrankheit.<br />
Die Therapie sollte in diesen Fällen – Ausnahme<br />
Betablocker – in der Klinik eingeleitet werden,<br />
wo die Nebenwirkungen optimal am EKG-<br />
Monitor überwacht werden können.<br />
Bei Patienten mit <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> ohne<br />
begleitende Herzkrankheit ist der Rhythmusspezialist<br />
gefragt.<br />
Auch wenn der Patient gut eingestellt ist, darf<br />
man ihn nicht – wie es häufig geschieht – allein<br />
lassen, sondern man muss ihn etwa alle drei<br />
Monate kontrollieren.<br />
Seit einigen Jahren gibt es einen neuen Weg, <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
zu bekämpfen: die Katheterablation.<br />
■ Dabei handelt es sich um ein Verfahren, bei dem<br />
Herzzellen gezielt durch Hochfrequenzstrom<br />
oder Kälte so verödet werden, dass <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
nicht mehr entstehen können.<br />
Die Prozedur wird mit Hilfe der Kathetertechnik<br />
durchgeführt, bei der millimeterdünne Sonden<br />
über die Arm- und Beinvenen ins Herz<br />
geschoben werden 5 .<br />
Das Besondere an diesem Verfahren ist, dass es<br />
<strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> heilen kann, während<br />
Medikamente sich nur gegen die Beschwerden<br />
richten.<br />
Für wen kommt die Katheterablation in Betracht?<br />
■ Für die Katheterablation gibt es <strong>heute</strong> gesicherte<br />
Einsatzbereiche:<br />
häufige und belastende, schnelle <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
aus dem Bereich der Herzvorhöfe<br />
und des AV-Knotens sowie der Herzkammern.<br />
Zum Beispiel: AV-Knoten-Umkehrtachykardien,<br />
atriale Tachykardien, Vorhofflattern,<br />
Kammertachykardien und das WPW-Syndrom,<br />
das auf überzählige Erregungsleitungsbahnen<br />
zwischen den Vorhöfen und Herzkammern<br />
zurückgeht 6 . Diese Patienten sollten immer dann<br />
mit einer Katheterablation behandelt werden,<br />
wenn die Anfälle der Rhythmusstörung so häufig<br />
sind, dass eine Dauertherapie mit Medika-<br />
7
8<br />
menten notwendig wäre. Eine solche Dauertherapie<br />
ist mit Nebenwirkungen belastet. Deshalb<br />
ist eine Katheterablation vorzuziehen.<br />
Patienten mit WPW-Syndrom wird man in jedem<br />
Fall zu einer Hochfrequenz-Katheterablation<br />
raten, wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass<br />
das WPW-Syndrom – was selten vorkommt –<br />
lebensbedrohlich ist. Natürlich auch immer<br />
dann, wenn gehäuft Anfälle von Herzjagen vorliegen.<br />
Besonders interessant ist die Entwicklung der<br />
Katheterablation beim Vorhofflimmern. Vor Jahren<br />
noch experimentell, ist sie <strong>heute</strong> ein Standardverfahren<br />
– mit guten Ergebnissen.<br />
Vorhofflimmern ist die häufigste <strong>Herzrhythmus</strong>störung.<br />
Allein in Deutschland leiden 800 000<br />
Menschen daran. Welche Therapiemöglichkeiten<br />
gibt es?<br />
■ Vorhofflimmern ist nicht nur die häufigste <strong>Herzrhythmus</strong>störung,<br />
es ist auch die <strong>Herzrhythmus</strong>störung,<br />
bei deren Therapie die größten Fortschritte<br />
erzielt wurden 7 . Betrachtet man die Entwicklung<br />
der nichtmedikamentösen Therapie<br />
in den letzten zehn Jahren, so ist es nicht<br />
übertrieben, von spektakulären Fortschritten<br />
zu sprechen.<br />
Oft ist es sinnvoll, Vorhofflimmern bei<br />
seltenen Anfällen (weniger als<br />
1/Monat z. B.) zunächst nicht zu<br />
behandeln, bzw. nur die Grundkrankheit,<br />
die das Vorhofflimmern verursacht,<br />
zu therapieren. Der nächste Schritt ist der<br />
Einsatz von Medikamenten 8 . Allerdings<br />
muss man relativ rasch handeln, damit sich<br />
die Anfälle nicht mehr und mehr häufen<br />
und das Vorhofflimmern chronisch wird.<br />
Dann ist die Chance, mit Medikamenten,<br />
aber auch mit der Katheterablation etwas<br />
auszurichten, viel geringer.<br />
Lässt sich durch Medikamente ein dauerhafter<br />
Erfolg erzielen?<br />
■ Leider kann man meist auf Dauer mit Medikamenten<br />
die Anfälle von Vorhofflimmern nicht<br />
verhindern. Aber dann gibt es eine andere Form<br />
der Behandlung, nämlich das durch Vorhofflimmern<br />
bedingte Herzrasen, die schnelle Herzschlagfolge<br />
(100 – 160 Schläge/Minute) zu normalisieren<br />
(Frequenzkontrolle), das Vorhofflimmern<br />
als solches aber bestehen zu lassen. Damit<br />
kommen viele ältere Patienten gut zurecht.<br />
Eine andere neue Möglichkeit der Behandlung<br />
ist das Pill in the Pocket-Konzept, eine Therapie,<br />
bei der der Patient selbst den Anfall beenden<br />
kann 9 .
Wie ist das zu verstehen?<br />
■ Herzgesunde Patienten können Anfälle von Vorhofflimmern<br />
beenden, wenn sie im Anfall ein<br />
Rhythmusmedikament nehmen. Amiodaron<br />
kommt nicht in Frage, da die Wirkung zu langsam<br />
eintritt, wirksam ist Flecainid oder Propafenon.<br />
In der Mehrzahl der Fälle sind diese Medikamente<br />
erfolgreich: Sie beenden in 60 – 120<br />
Minuten den Anfall. Vorsichtshalber sollten die<br />
Patienten die ersten Male das Medikament unter<br />
Aufsicht in der Klinik oder in der kardiologischen<br />
Praxis einnehmen, um sicherzustellen,<br />
dass keine gefährlichen <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
auftreten.<br />
Wann wird zur Katheterablation geraten?<br />
■ Wenn Medikamente nicht erfolgreich sind oder<br />
nicht vertragen werden und die Patienten erheblich<br />
unter dem Vorhofflimmern leiden, kommt<br />
die Katheterablation in Frage 10 . Man braucht<br />
allerdings manchmal zwei oder mehr Prozeduren,<br />
um Vorhofflimmern dauerhaft zu beseitigen.<br />
Wenn ein Patient ohnehin am Herzen operiert<br />
werden muss, bietet es sich an, Vorhofflimmern<br />
während der Operation durch eine Ablation zu<br />
heilen. Die Operationsrisiken erhöhen sich<br />
dadurch nicht 11 .<br />
Da die Entwicklung auf diesem Gebiet schnell<br />
vorangeht, ist zu erwarten, dass die Katheterablation<br />
in Zukunft sich immer mehr durchsetzen<br />
wird.<br />
9
Bei der Behandlung von Vorhofflimmern sind große<br />
Fortschritte erzielt worden. Wo sonst noch?<br />
■ Neben den Erfolgen bei der Behandlung des<br />
Vorhofflimmerns sehe ich in der Vorbeugung<br />
des plötzlichen Herztodes große Fortschritte 12 .<br />
Heute kennen wir einige Patientengruppen, die<br />
durch den plötzlichen Herztod besonders<br />
gefährdet sind. Ihnen können wir durch den<br />
Defibrillator helfen 4 .<br />
Viele Patienten hoffen auf neue Medikamente<br />
gegen <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong>. Wie sind da die<br />
Aussichten?<br />
■ Langfristig durchaus nicht schlecht. Kurz- und<br />
mittelfristig, innerhalb von Monaten oder wenigen<br />
Jahren, sind keine Medikamente gegen<br />
<strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> in Sicht, die einen wirklichen<br />
Durchbruch darstellen 13 .<br />
Bisher haben wir davon geredet, was die heutige<br />
Medizin für den Rhythmuspatienten tun kann.<br />
Was können die Patienten selbst tun?<br />
■ Der Patient hat viel in der Hand. Er kann die<br />
Faktoren ausschalten, die Rhythmus<strong>störungen</strong><br />
auslösen oder verstärken: Rauchen, Alkohol,<br />
Koffein, Schlafmangel. Er kann darauf achten,<br />
dass er ausreichend Elektrolyte – Kalium, Magnesium<br />
– zu sich nimmt, insbesondere, wenn<br />
er fiebert oder schwitzt oder mit Entwässerungsmitteln<br />
behandelt wird.<br />
Wichtig ist ein gesunder Lebensstil, der nicht<br />
nur für genug Bewegung und genug Schlaf<br />
sorgt, sondern auch ein Gleichgewicht zwischen<br />
Belastung und Entspannung herstellt.<br />
Damit kommen wir zum Stress. Fast alle Menschen<br />
bringen <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> mit Stress in Verbindung.<br />
Der Mensch ist zwar auf die Bewältigung<br />
von Herausforderungen, also auf das Leben mit<br />
Stress, angelegt. Aber gibt es nicht Formen von<br />
Stress – lebensgeschichtliche Ereignisse, dauernde<br />
seelische Belastung oder ständige Überarbei-<br />
10<br />
tung – die <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> auslösen oder<br />
verstärken können?<br />
■ Ja, die Frage ist wichtig. Stress – in jeder Form –<br />
ist zwar nicht die Ursache von <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong>,<br />
kann diese jedoch auslösen und verstärken.<br />
Dies gilt z. B. für die häufigste <strong>Herzrhythmus</strong>störung,<br />
anfallsweise auftretendes Vorhofflimmern.<br />
Paradoxerweise können Anfälle<br />
dieser Rhythmusstörung bei dem einen Patienten<br />
durch Stress, bei dem anderen durch Ruhe<br />
– z. B. auch nachts – ausgelöst werden.<br />
Wie soll man mit <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> umgehen?<br />
■ Mit Gelassenheit. Von <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
darf man sich nicht verrückt machen lassen. Mit<br />
harmlosen Rhythmus<strong>störungen</strong> muss man leben<br />
lernen.<br />
Andererseits muss man bei bedeutsamen <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
konsequent vorgehen. Hier<br />
sollte man, wenn man einen Arzt gefunden hat,<br />
dem man vertraut, dessen Ratschlägen folgen.<br />
Die Angst vor Herzschrittmachern oder technischen<br />
Geräten wie Defibrillatoren sollte man<br />
überwinden. Auch mit einem Herzschrittmacher<br />
oder mit einem Defibrillator kann man gut und<br />
lange leben, ohne dauernd an die Rhythmusstörung<br />
zu denken.<br />
Interview: Dr. Irene Oswalt<br />
1 Der normale <strong>Herzrhythmus</strong>, S. 11 ff.<br />
2 Das Stolperherz: Extrasystolen, S. 29 ff.<br />
3 Langsamer <strong>Herzrhythmus</strong>:Wann braucht man einen<br />
Herzschrittmacher? S. 15 ff.<br />
4 Schutz vor dem plötzlichen Herztod: der Defibrillator, S. 82 ff.<br />
5 Gutartiges Herzjagen, S. 25 ff.<br />
6 Gutartiges Herzjagen, S. 22 ff.<br />
7 Am häufigsten: Vorhofflimmern, S. 35 ff.<br />
8 Medikamente gegen Vorhofflimmern, S. 41 ff.<br />
9 Medikamente gegen Vorhofflimmern, S. 46<br />
10 Vorhofflimmern: wenn Medikamente nicht<br />
mehr helfen, S. 48 ff.<br />
11 Vorhofflimmern: chirurgische Therapie, S. 61 ff.<br />
12 Lebensbedrohliche <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong>, S. 75 ff.<br />
Schutz vor dem plötzlichen Herztod: der Defibrillator, S. 82 ff.<br />
13 Prof. Dr. med. Thomas Meinertz: Helfen Medikamente bei <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong>?<br />
Sonderdruck der Deutschen Herzstiftung.
Der normale <strong>Herzrhythmus</strong><br />
Prof. Dr. med. Dietrich Andresen, Vivantes GmbH, Klinikum Am Urban/Im Friedrichshain<br />
Medizinische Klinik I – Kardiologie und Intensivmedizin, Berlin<br />
Jeder weiß, dass das Herz die Aufgabe hat, das Blut<br />
durch unseren Kreislauf zu befördern und damit<br />
die Organe unseres Körpers mit Sauerstoff, Nährstoffen<br />
und anderen lebensnotwendigen Substanzen<br />
zu versorgen.<br />
Wenig bekannt ist, wie die Arbeit des Herzens gesteuert<br />
wird. Zwei Eigenschaften zeichnen die<br />
Steuerung des Herzens aus:<br />
■ Das Herz hat ein eigenes Reizbildungs- und<br />
Reizleitungssystem, das aus Zellen besteht, die<br />
sich auf das Rhythmusgeben spezialisiert haben.<br />
■ Das Reizleitungssystem des Herzens ist mehrfach<br />
gesichert. Mehrere Schrittmacherzentren<br />
sind hintereinander geschaltet, um zu gewährleisten,<br />
dass das Herz auch weiterschlägt, wenn<br />
ein Zentrum ausfällt.<br />
Der Zusammenhang zwischen der Herzaktivität<br />
und ihrer Steuerung soll im folgenden skizziert werden.<br />
Das Herz-Kreislauf-System<br />
Das Herz erfüllt die Funktion einer Pumpe. Es<br />
besteht aus zwei Vorkammern (Vorhöfe) und zwei<br />
Hauptkammern (Kammern). Beide Vorhöfe und<br />
Kammern sind jeweils durch eine Scheidewand<br />
(Septum) getrennt. Zwischen den Vorhöfen und<br />
den Kammern befinden sich Herzklappen, die wie<br />
Ventile das Blut nur in eine Richtung passieren lassen<br />
(Abb. 1, S. 12).<br />
Das sauerstoffarme Blut wird über zwei große Blutgefäße<br />
(Venen) in den rechten Vorhof transportiert.<br />
Von dort wird es über die sich öffnende Segelklappe<br />
in die rechte Hauptkammer gesogen, indem der<br />
Muskel der rechten Kammer erschlafft. Am Ende<br />
dieser Saugphase wird ein zusätzlicher Teil durch<br />
aktives Zusammenziehen (Kontraktion) des rechten<br />
Vorhofs in die rechte Hauptkammer gepumpt.<br />
Von der rechten Hauptkammer wird das Blut über<br />
die Lungenschlagader (Lungenarterie) in den Lungenkreislauf<br />
befördert. Hierbei verzweigen sich<br />
die Lungenarterien in immer kleiner werdende<br />
Äste, die schließlich zu kleinen Haargefäßen (Kapillaren)<br />
werden und als solche ein dichtes Geflecht<br />
um die Lungenbläschen bilden. An dieser<br />
Stelle findet der Gasaustausch statt: Das Kohlendioxyd<br />
wird an die Lungenbläschen abgegeben und<br />
dann mit unserer Atemluft ausgeatmet. Der Sauerstoff<br />
wird als Austausch dafür in das Blut aufgenommen.<br />
Das sauerstoffreiche Blut fließt über die Lungenvenen<br />
in den linken Vorhof. Aus dem linken Vorhof<br />
wird das Blut dann über eine weitere Segelklappe<br />
in die linke Kammer gesogen und von dort<br />
mit hohem Druck in die Hauptschlagader (Aorta)<br />
gepumpt. Die Hauptschlagader verzweigt sich in<br />
zunächst größere und später kleinere Adern (Arterien),<br />
die sich als Haargefäße (Kapillaren) in den<br />
einzelnen Organen (Gehirn, Leber, Verdauungsorgane,<br />
Muskeln etc.) verzweigen. Über sie werden<br />
Sauerstoff und Nährstoffe an die Organe geliefert<br />
und Abfallstoffe abtransportiert. Die Haargefäße<br />
fließen wieder zu größeren Blutgefäßen<br />
(Venen) zusammen und münden schließlich im<br />
rechten Vorhof. Damit ist der Kreislauf geschlossen.<br />
Etwa 60- bis 80-mal pro Minute (100 000-mal<br />
pro Tag) schlägt unser Herz und fördert am Tag<br />
rund 9 000 bis 10 000 Liter Blut.<br />
Warum schlägt das Herz?<br />
Damit sich der Herzmuskel zusammenzieht, sind<br />
elektrische Impulse notwendig (Abb. 1, S. 12).<br />
Der Taktgeber, der mit elektrischen Impulsen dafür<br />
sorgt, dass der Herzmuskel sich in ständigem<br />
Wechsel zusammenzieht und erschlafft, ist der<br />
11
Sinusknoten<br />
erzeugt elektrische Signale und dient<br />
damit als natürlicher Herzschrittmacher<br />
des Herzens<br />
Rechter Herzvorhof<br />
sammelt über die Hohlvenen<br />
sauerstoffarmes Blut aus dem Körper<br />
AV-Knoten<br />
bündelt die elektrischen Reize aus den<br />
Vorhöfen und gibt sie geordnet weiter<br />
Trikuspidalklappe<br />
(hier offen)<br />
Purkinje-Fasern<br />
verzweigen sich in die Herzkammer<br />
und bringen diese zur Kontraktion<br />
Untere Hohlvene<br />
Sinusknoten, der im Bereich des rechten Vorhofs<br />
an der Einmündung der großen oberen Vene liegt.<br />
Es handelt sich dabei um ein Geflecht von Zellen,<br />
das die Fähigkeit besitzt, sich elektrisch aufzuladen<br />
und durch die anschließende Entladung den<br />
Strom auf die umgebenden Herzmuskelabschnitte<br />
weiterzuleiten (Reizbildungszentrum). Von dort<br />
pflanzt sich die Erregung über spezifische Muskelbahnen<br />
(Reizleitungssystem) auf beide Vorhöfe<br />
fort. Durch die elektrische Erregung ziehen sich<br />
diese zusammen und pumpen Blut über die geöffneten<br />
Segelklappen in die rechte bzw. linke Herzkammer.<br />
Dann dringen die elektrischen Impulse<br />
durch den AV-Knoten (Atrioventrikular-Knoten),<br />
12<br />
Abb. 1: So wird der <strong>Herzrhythmus</strong> gesteuert.<br />
Lungenvenen<br />
der zwischen dem Vorhof und der Herzkammer<br />
liegt. Im AV-Knoten werden die elektrischen Reize<br />
aus den Vorhöfen gebündelt und ihre Weiterleitung<br />
gezielt gebremst.<br />
Die elektrische Erregungswelle passiert dann die<br />
schnell leitenden Fasern des His-Bündels und<br />
durchläuft den rechten und linken Tawara-Schenkel<br />
(Abb. 2). Die Tawara-Schenkel ziehen sich durch<br />
die Scheidewand (Septum). Beide Schenkel weisen<br />
eine unterschiedliche Struktur auf. Der rechte Tawara-Schenkel<br />
verzweigt sich erst spät und versorgt<br />
die rechte Herzkammer. Der linke Tawara-<br />
Schenkel verzweigt sich dagegen schon sehr früh<br />
in zwei Bahnen: eine vordere und eine hintere<br />
Bahn, die in die linke Herzkammer münden.
Obere Hohlvene<br />
Aorta<br />
Lungenarterie<br />
Linker Herzvorhof<br />
nimmt sauerstoffreiches Blut<br />
aus den Lungenvenen auf<br />
Mitralklappe<br />
(hier offen)<br />
Aortenklappe<br />
(hier geschlossen)<br />
Linke Herzkammer<br />
Rechte Herzkammer<br />
Herzmuskel<br />
Von den Tawara-Schenkeln gelangt die elektrische<br />
Erregungswelle über ein feinverzweigtes Reizleitungsnetz<br />
(Purkinje-Fasern) auf die Muskeln beider<br />
Kammern, die sich infolge der Erregung zusammenziehen<br />
und das Blut in die Lungengefäße<br />
(durch die rechte Kammer) bzw. Hauptschlagader<br />
(durch die linke Kammer) pumpen.<br />
Dass das Herz schlägt, hängt in diesem System nicht<br />
allein von dem Hauptimpulsgeber, dem Sinusknoten,<br />
ab. Fällt der Sinusknoten durch eine Störung<br />
aus, so springt der AV-Knoten als Rhythmusgeber<br />
ein. Er hat allerdings mit etwa 50 Schlägen<br />
pro Minute eine geringere Entladungsfrequenz.<br />
Versagt auch der AV-Knoten, so übernimmt das<br />
His-Bündel die Rolle des Schrittmachers und treibt<br />
das Herz mit etwa 40 Schlägen pro Minute an. Das<br />
heißt: Je weiter entfernt vom Sinusknoten die<br />
Schrittmacherimpulse entstehen, desto langsamer<br />
ist die Herzschlagfolge und desto eher können Beschwerden<br />
auftreten, z. B. Schwindel oder Bewusstlosigkeit.<br />
Arbeitet hingegen der Hauptimpulsgeber einwandfrei,<br />
so dominiert er alle anderen Rhythmusgeber.<br />
Sie ordnen sich ihm unter. Deswegen heißt der normale<br />
regelmäßige <strong>Herzrhythmus</strong> Sinusrhythmus.<br />
Abb. 2<br />
Wie messe ich die elektrische<br />
Erregung des Herzens?<br />
AV-Knoten<br />
linker vorderer<br />
Tawara-Schenkel<br />
His-Bündel<br />
linker hinterer<br />
Tawara-Schenkel<br />
rechter<br />
Tawara-Schenkel<br />
Der größte Teil der elektrischen Erregungsabläufe<br />
lässt sich mit Hilfe des Elektrokardiogramms<br />
(EKG) darstellen (Abb. S. 14).<br />
Den Aufbau eines elektrischen Impulses im Sinusknoten<br />
können wir im EKG nicht sehen. Erfasst<br />
wird dagegen die Erregung des Vorhofs (P-Welle).<br />
Die P-Welle ist gefolgt von einem hohen Ausschlag<br />
(R-Zacke), die Ausdruck der Erregung (Depolarisierung)<br />
der Kammermuskeln ist.<br />
Die danach registrierte T-Welle ist Ausdruck der<br />
elektrischen Erholung (Repolarisation) der Kammermuskeln.<br />
Der Vorgang der Erregungsbildung<br />
im Sinusknoten, die Weitergabe des Stromes auf<br />
den Vorhofmuskel, gefolgt von der Erregung der<br />
Kammermuskeln, wiederholt sich 60- bis 80-mal<br />
pro Minute. Unter körperlicher Belastung sowie<br />
13
1 Sekunde<br />
unter psycho-emotionalem Stress schlägt das Herz<br />
bis zu 160-mal, unter Ruhebedingungen (Schlaf)<br />
lediglich 60- bis minimal 40-mal pro Minute. Verantwortlich<br />
für diese unterschiedliche situationsbedingte<br />
Herzschlagfolge ist ein Geflecht von Nerven,<br />
das in den Sinusknoten mündet und seine Entladungsfrequenzen<br />
beeinflusst. Es handelt sich dabei<br />
um Fasern des vegetativen Nervensystems. Also<br />
Nerven, die unserem Willen nicht unterworfen sind.<br />
Denn man kann dem Herzen nicht sagen, es soll<br />
schneller oder langsamer schlagen oder gar, es soll<br />
vorübergehend aufhören zu schlagen.<br />
Wir unterscheiden beim vegetativen Nervensystem<br />
zwischen sympathischen (Sympathikus) und<br />
parasympathischen (Vagus) Nervenfasern. Der<br />
Sympathikus führt zur allgemeinen Stimulation des<br />
Herzens mit Anstieg der Herzschlagfolge (Herzfrequenz).<br />
Der Vagus dämpft die Herztätigkeit mit<br />
Abfall der Herzfrequenz. Sympathikus und Vagus<br />
fungieren also als Gegenspieler. Wer sich z. B. beim<br />
Anblick von Blut erschreckt, kann in Ohnmacht<br />
fallen, weil sich das Gehirn über den Vagusnerv<br />
ausbremst.<br />
Neben direkten Einflüssen, die das vegetative Nervensystem<br />
ausübt, werden Änderungen der Herzschlagfolge<br />
auch durch Hormone vermittelt. Das<br />
bekannteste Hormon ist das Adrenalin. Da es verantwortlich<br />
ist für den Anstieg der Herzfrequenz<br />
14<br />
P-Welle T-Welle<br />
R-Zacke<br />
Abb. 3: Herzstromkurve: EKG<br />
unter psychischem und körperlichem Stress, wird<br />
es auch als Stresshormon bezeichnet. Unter Stress<br />
schüttet die Nebenniere Adrenalin aus. Das Adrenalin<br />
kommt auf dem Blutweg zum Sinusknoten<br />
und hebt die Pulsfrequenz an, dann schlägt das<br />
Herz als Reaktion auf den Stress schneller. Auch<br />
erhöhte Körpertemperatur bei Fieber führt dazu,<br />
dass die Herzschlagfolge rascher wird.<br />
Zusammenfassung<br />
Unser Herz ist ein Hohlmuskel, der sich regelmäßig<br />
(rhythmisch) ca. 60- bis 80-mal pro Minute zusammenzieht<br />
und wieder erschlafft und auf diese<br />
Weise sechs bis acht Liter Blut pro Minute durch<br />
unsere Blutgefäße pumpt. Damit sich der Herzmuskel<br />
zusammenzieht, muss er durch einen elektrischen<br />
Reiz (Impuls) „angestoßen” werden. Der<br />
elektrische Impuls entsteht im Bereich des rechten<br />
Herzvorhofs und breitet sich in weniger als einer<br />
Drittelsekunde (200 bis 250 msec.) über den gesamten<br />
Herzmuskel aus, worauf sich dieser ebenso<br />
schnell zusammenzieht und in der nächsten Sekunde<br />
wieder erschlafft.<br />
Störungen der Impulsbildung und Impulsleitung<br />
sowie die Bildung von Zusatzimpulsen führen beim<br />
Patienten zu unregelmäßiger Herztätigkeit. Von<br />
diesen Rhythmus<strong>störungen</strong> und ihren Konsequenzen<br />
soll in den folgenden Artikeln die Rede sein.
Langsamer <strong>Herzrhythmus</strong>: Wann braucht<br />
man einen Herzschrittmacher?<br />
Wenige Wochen nach Beginn seines Ruhestands<br />
fiel Walter R. beim Besuch in einem Kaufhaus plötzlich<br />
um und wachte am Boden liegend wieder auf.<br />
Zunächst dachte er, es sei eine vorübergehende<br />
Kreislaufschwäche gewesen. In den nächsten<br />
Wochen folgten zwei weitere Ohnmachtsanfälle,<br />
wobei er sich beim zweiten Mal am Kopf verletzte.<br />
Zur Abklärung der Ohnmachtsanfälle suchte er<br />
seinen Hausarzt auf.<br />
Der Hausarzt untersuchte ihn gründlich, aber fand<br />
keine Erklärung für die Ohnmachtsanfälle. Deshalb<br />
schickte er Walter R. zu einem Internisten mit<br />
kardiologischem Schwerpunkt. Das Ruhe-EKG<br />
zeigte keine krankhaften Veränderungen. Es folgte<br />
ein Langzeit-EKG über 24 Stunden, ebenfalls<br />
ohne krankhaften Befund. Erst ein weiteres Langzeit-EKG,<br />
diesmal über mehrere Tage,<br />
brachte Klarheit. In dieser Zeit wurde<br />
Walter R. erneut bewusstlos.<br />
Das EKG zeigte zu diesem Zeitpunkt<br />
eine Pause von fünf Sekunden<br />
– bedingt durch eine vorübergehende<br />
Blockierung der<br />
elektrischen Erregungsausbreitung<br />
im Herzen. Damit war die<br />
Ursache für die wiederholten<br />
Ohnmachtsanfälle gefunden. Der<br />
Internist erklärte Walter R., dass für<br />
ihn ein Herzschrittmacher notwendig<br />
sei.<br />
Was leistet der Herzschrittmacher?<br />
Prof. Dr. med. Andreas Schuchert, Medizinische Klinik,<br />
Friedrich-Ebert-Krankenhaus Neumünster<br />
Der Herzmuskel hat ein eigenes elektrisches Leitungssystem,<br />
bestehend aus Sinusknoten, Atrioventrikulär(AV)-Knoten<br />
und dem spezifischen Leitungssystem<br />
in den Herzkammern (s. Abb. 1 und<br />
Abb. 1, S. 12). Die Aufgabe des elektrischen Leitungssystems<br />
ist, die Arbeit des Herzmuskels zu<br />
steuern und das zeitliche Zusammenspiel sowohl<br />
zwischen den beiden Vorhöfen zu den beiden<br />
Kammern als auch für jede Kammer zu synchronisieren.<br />
Zu diesem Zweck gibt der Sinusknoten wie<br />
ein Taktgeber regelmäßige elektrische Impulse ab,<br />
die zunächst die Muskelzellen der Vorhöfe erregen.<br />
Der AV-Knoten als einzige elektrische Verbindung<br />
zwischen den Vorhöfen und den Kammern<br />
leitet die Erregung auf die Herzkammern über. Das<br />
spezifische elektrische Leitungssystem in den Kammern<br />
erregt die Herzmuskelzellen der Kammern<br />
und bewirkt, dass sie sich gleichmäßig zusammenziehen<br />
und mit jedem Herzschlag Blut in den Körper<br />
pumpen.<br />
Wenn Teile des elektrischen Leitungssystems krankhaft<br />
verändert sind, können sie zeitweilig oder<br />
Abb. 1<br />
Sinusknoten<br />
Vorhöfe<br />
AV-Knoten<br />
Herzkammer<br />
andauernd ausfallen. Häufige Störungen<br />
betreffen die Taktfunktion<br />
des Sinusknotens und die Reizleitung<br />
des AV-Knotens. Bei solchen Störungen<br />
ist es die Aufgabe des Herzschrittmachers,<br />
die elektrischen Funktionen zu übernehmen.<br />
Der Schrittmacher gibt dazu regelmäßige elektrische<br />
Impulse ab, die das Herz erregen und es dazu<br />
bringen, sich zusammenzuziehen.<br />
Vor mehr als 45 Jahren erhielt zum ersten Mal ein<br />
Patient einen Herzschrittmacher. Heute ist die<br />
15
Schrittmachertherapie eine der erfolgreichsten Therapien<br />
in der Herzmedizin. In Deutschland werden<br />
jährlich mehr als 60 000 Schrittmacher eingesetzt.<br />
16<br />
Wer bekommt einen<br />
Herzschrittmacher?<br />
Das Einsetzen des Herzschrittmachers<br />
soll die durch den langsamen Herzschlag<br />
bedingten Beschwerden wie die wiederholte<br />
Bewusstlosigkeit bei Walter R. beseitigen.<br />
Ferner soll die elektrische Stimulation<br />
des Herzschrittmachers den Patienten<br />
vor einem anhaltenden, möglicherweise<br />
tödlichen Herzstillstand bewahren und so seine<br />
Lebenserwartung verlängern. Das bedeutet, dass<br />
Patienten auch ohne Beschwerden einen Herzschrittmacher<br />
erhalten, wenn bei ihnen in naher<br />
Zukunft ein Herzstillstand zu befürchten ist.<br />
Ein Schrittmacher ist bei Patienten mit krankhaft<br />
langsamen Herzschlägen, d.h. länger dauerndem<br />
Absinken der Herzfrequenz unter 40 Schläge pro<br />
Minute (Bradykardie) oder bei Pausen über fünf<br />
Sekunden (Asystolie), angezeigt, wenn sie durch<br />
Krankheit bedingt sind. Wir wissen, dass viele Menschen,<br />
insbesondere Leistungssportler, einen langsamen<br />
Herzschlag haben. Niemand würde ihnen<br />
einen Herzschrittmacher empfehlen, da dieser langsame<br />
Herzschlag Folge ihres körperlichen Trainings<br />
und nicht Folge krankhafter Veränderungen<br />
ist. Ein Herzschrittmacher ist nur bei krankhaft niedrigem<br />
Herzschlag nötig. Dabei ist zu klären, ob<br />
der langsame Herzschlag Folge einer kurzfristigen<br />
heilbaren Erkrankung (z. B. Schilddrüsenunterfunktion)<br />
ist oder dauernd bestehen bleiben wird.<br />
Im ersten Fall ist die Erkrankung, die<br />
den langsamen Herzschlag verursacht,<br />
zu behandeln. Häufig wird<br />
dann der Herzschrittmacher überflüssig.<br />
In den übrigen Fällen sollte der Patient<br />
einen Herzschrittmacher erhalten.<br />
Typische Beschwerden für einen krankhaft langsamen<br />
Herzschlag sind kurzfristige Bewusstlosigkeiten,<br />
Schwindel und eine verminderte körperliche<br />
Belastbarkeit. Manche Patienten mit langsamen<br />
Herzschlägen oder Pausen haben erhebliche<br />
Beschwerden, andere wenige oder gar keine.<br />
Der Nachweis eines langsamen Herzschlags erfolgt<br />
bei andauernden Störungen mit dem Ruhe-EKG<br />
und bei vorübergehenden Störungen mit einem<br />
Ereignis- oder Monitor-EKG. Leitungs<strong>störungen</strong> im<br />
Bereich des Sinusknotens oder des AV-Knotens<br />
machen in Verbindung mit Beschwerden eine<br />
Schrittmacherversorgung erforderlich. Da vor allem<br />
krankhafte Leitungsblockierungen im Bereich<br />
des AV-Knotens einen anhaltenden Herzstillstand<br />
zu Folge haben können, erhalten Patienten mit Leitungsblockierungen<br />
im AV-Knoten frühzeitig einen<br />
Herzschrittmacher – auch wenn sie noch beschwerdefrei<br />
sind.<br />
Ein Teil der Patienten mit dauernd unregelmäßigen<br />
Herzschlägen infolge schneller, aber ineffek-
tiver elektrischer Entladungen im Vorhof, sogenanntes<br />
Vorhofflimmern, kann zusätzlich eine verzögerte<br />
Leitung im Reizleitungssystem auf die Kammer<br />
und dadurch langsame, unregelmäßige Kammerherzschläge<br />
haben. Wenn diese langsamen<br />
Herzschläge zu Beschwerden wie Schwindel oder<br />
zu unzureichender Belastbarkeit führen, sollte der<br />
Patient einen Herzschrittmacher erhalten. Ein<br />
Schrittmacher ist auch angezeigt bei bestimmten<br />
selten vorkommenden Erkrankungen (z. B. hypersensitives<br />
Karotis-Sinus-Syndrom).<br />
Welche Schrittmachertypen gibt es?<br />
Seit der erste Schrittmacher im Jahr 1959 eingesetzt<br />
wurde, sind verschiedene Schrittmachertypen entwickelt<br />
worden. Alle Herzschrittmachersysteme<br />
haben gemeinsam, dass sie sich aus einer Sonde<br />
und dem Schrittmacheraggregat zusammensetzen.<br />
Die Schrittmachersonde ist ein isoliertes Kabel mit<br />
Elektroden an der Spitze, die die Impulse von dem<br />
Schrittmacheraggregat zum Herzen und die Herzsignale<br />
zum Schrittmacheraggregat leiten. Das Kabel<br />
wird über eine große Körpervene in die rechte<br />
Herzkammer eingeführt und dort verankert. Damit<br />
die Schrittmachersonde an der gewünschten<br />
Stelle im Herzen bleibt, hat die Schrittmachersonde<br />
an der Spitze entweder eine Silikonversteifung,<br />
die sich wie ein Anker in den Muskeln der rechten<br />
Herzkammer festsetzt, oder eine kurze Schraube,<br />
die in den Herzmuskel hineingedreht wird.<br />
Einkammersystem heißt die Kombination von einer<br />
Kammersonde mit dem entsprechenden Schrittmacheraggregat.<br />
Das Einkammersystem stellt zwar<br />
die ausreichende Kammerfrequenz (Herzschlag-<br />
folge) sicher. Der Nachteil dieses Systems ist, dass<br />
es nicht immer das Zusammenspiel zwischen den<br />
Vorhöfen und den Herzkammern wiederherstellt.<br />
Das ermöglicht ein Zweikammerschrittmacher, der<br />
an zwei Sonden angeschlossen ist, von denen eine<br />
im rechten Vorhof und die andere in der rechten<br />
Herzkammer plaziert ist.<br />
Heutige Herzschrittmacher bestehen im wesentlichen<br />
aus elektrischen Schaltkreisen, einer Lithiumbatterie,<br />
die im Durchschnitt Laufzeiten von sieben<br />
bis zehn Jahren erreicht, und den Konnektoren<br />
zur Befestigung der Schrittmachersonde. Die<br />
elektrischen Schaltkreise steuern die Zeitfolge der<br />
elektrischen Impulse. Dabei lassen sie dem natürlichen<br />
Herzschlag den Vortritt. Nur wenn dieser zu<br />
langsam ist, setzen sie einen Impuls. Die individuelle<br />
Einstellung der zahlreichen Schrittmachersteuergrößen<br />
ist bei jedem Patienten Voraussetzung<br />
für die optimale Arbeitsweise des Schrittmachers.<br />
Moderne Schrittmacher haben zusätzlich<br />
zahlreiche Speicher, mit denen sie den <strong>Herzrhythmus</strong><br />
und wichtige Rhythmusereignisse aufzeichnen.<br />
Ein Buchstabencode beschreibt die verschiedenen<br />
Schrittmachertypen: Der erste Buchstabe gibt den<br />
Ort der Stimulation, der zweite den Ort der Wahrnehmung<br />
und der dritte die Arbeitsweise an. Am<br />
häufigsten sind VVI- und DDD-Schrittmacher. Ein<br />
VVI-Schrittmacher stimuliert in der Kammer (Ventrikel),<br />
nimmt in der Kammer (Ventrikel) wahr, und<br />
die Eigenaktion inhibiert (hemmt) die Stimulation.<br />
Der DDD-Schrittmacher stimuliert im Vorhof und<br />
in der Kammer (dual), nimmt wahr im Vorhof und<br />
in der Kammer (dual) und dies kann die Stimulation<br />
auslösen oder hemmen (dual).<br />
17
Langzeit-EKG von Walter R.<br />
während der erneuten<br />
Bewusstlosigkeit: Der EKG-<br />
Streifen zeigt eine vorübergehende<br />
höhergradige<br />
Blockierung im AV-Knoten.<br />
18<br />
Biventrikulärer Schrittmacher<br />
In den letzten Jahren wurde die Schrittmachertherapie<br />
weiterentwickelt. Dabei geht es nicht mehr<br />
allein darum, den langsamen Herzschlag zu beschleunigen,<br />
sondern bei Patienten mit Herzschwäche<br />
den Blutfluss im Herzen zu verbessern<br />
und die Herzkraft zu stärken (kardiale Resynchronisationstherapie).<br />
Kandidaten für solche biventrikulären Schrittmacher<br />
sind Patienten mit fortgeschrittener Herzschwäche,<br />
die trotz optimaler Behandlung mit herzwirksamen<br />
Medikamenten weiterhin Beschwerden<br />
wie Luftnot bei leichter bis mäßiger Belastung<br />
haben. Ungefähr 5 – 20 % dieser Patienten zeigen<br />
eine verzögerte elektrische Erregungsausbreitung<br />
im Herzen. Das zeigt sich im EKG, wo ein bestimmter<br />
Teil der elektrischen Herzkurve, nämlich der<br />
QRS-Komplex, deutlich verbreitert ist. Bei diesen<br />
Patienten ist das Zusammenspiel zwischen den bei-<br />
Nach Einsetzen des<br />
Zweikammerschrittmachers:<br />
Der Schrittmacher erkennt den<br />
Vorhofrhythmus und stimuliert<br />
mit der gleichen Frequenz<br />
die Herzkammern, auch wenn<br />
der AV-Knoten blockiert ist.<br />
den Hauptkammern gestört und dadurch die Auswurfleistung<br />
des Herzens vermindert. Die Schrittmachertherapie<br />
stellt das Zusammenspiel wieder<br />
her, indem speziell zu diesem Zweck entwickelte<br />
Schrittmachersonden über die Herzvenen an der<br />
Seitenwand des linken Herzens plaziert werden.<br />
Die feinen Sonden verankern sich in der Gefäßwand.<br />
Sie werden in Verbindung mit einer Sonde<br />
im rechten Vorhof und einer in der rechten Hauptkammer<br />
an einen Dreikammerschrittmacher angeschlossen.<br />
Dadurch lassen sich zeitgleich beide Seiten<br />
der linken Herzkammer erregen, so dass sie<br />
sich wieder zeitgleich zusammenziehen. Wenn Patienten<br />
einen biventrikulären Schrittmacher erhalten<br />
haben, berichten die meisten über weniger<br />
Atemnot und bessere körperliche Belastbarkeit.<br />
Neuere Studien zeigen, dass die biventrikulären<br />
Schrittmacher das Leben der Patienten verlängern<br />
können.
Der obere EKG-Streifen zeigt<br />
einen Vorhofextraschlag,<br />
dem eine Pause und dann<br />
eine schnelle Vorhofrhythmusstörung<br />
folgt.<br />
Im unteren EKG-Streifen hat<br />
der Patient einen Herzschrittmacher<br />
erhalten, der nach<br />
Auftreten des Vorhofextraschlags<br />
den Vorhof stimuliert<br />
und das Auftreten der Vorhofrhythmusstörung<br />
verhindert.<br />
Leben mit dem Herzschrittmacher<br />
Der Schrittmacher wird unter lokaler Betäubung<br />
rechts- oder linksseitig im Bereich des großen Brustmuskels<br />
eingesetzt, da in diesem Bereich große<br />
Venen verlaufen, über die sich die Sonden zum<br />
Herzen einführen lassen. Nach rund zehn Tagen<br />
werden die Fäden entfernt. Dann nimmt der Patient<br />
seinen üblichen Lebensstil wieder auf. Der<br />
Arm, an dem der Schrittmacher eingesetzt wurde,<br />
sollte für etwa zwei Wochen nicht über Brusthöhe<br />
gehoben werden.<br />
Komplikationen beim Einsetzen des Schrittmachers<br />
sind selten. Die Sonde, die den Impuls zum Herzen<br />
leitet, kann verrutschen. Dann ist ein zweiter<br />
Eingriff nötig, um sie an den richtigen Ort zu bringen.<br />
Noch seltener sind Blutergüsse oder Infektionen,<br />
die ebenfalls einen Zweiteingriff erforderlich<br />
machen können.<br />
Regelmäßige Kontrollen sind unbedingt einzuhalten,<br />
um den Ladestand der Batterie zu prüfen, die<br />
Schrittmacherspeicher abzufragen und um festzustellen,<br />
ob die Schrittmachereinstellung weiterhin<br />
für den Patienten optimal ist. Dafür sind niedergelassene<br />
Kardiologen oder die Schrittmacherambulanz<br />
des jeweiligen Krankenhauses zuständig.<br />
Voraussetzung für die fachgerechte Kontrolle ist<br />
ein auf den jeweiligen Schrittmacher zugeschnittenes<br />
Programmiergerät. Mit Hilfe elektrischer Impulse<br />
lässt sich damit der Schrittmacher abfragen<br />
und umstellen. Der Schrittmacher wird bei Entlassung<br />
aus dem Krankenhaus, ein bis drei Monate<br />
nach dem Einsetzen und danach in Abständen von<br />
sechs bis zwölf Monaten kontrolliert. Bei beginnender<br />
Batterieerschöpfung verkürzen sich diese<br />
Abstände.<br />
19
Störungen von außen, die den Schrittmacher beeinflussen,<br />
sind selten. Seit der Verwendung moderner<br />
Sonden kommt es nur ganz vereinzelt zu<br />
Störungen wie mit externen elektromagnetischen<br />
Wellen. Eine potentielle Störquelle kann ein mobiles<br />
Telefon (Handy) bei älteren und, sehr selten,<br />
bei neueren Schrittmachern sein. Trotzdem sollte<br />
vor der Verwendung eines Handys der Arzt gefragt<br />
werden, der den Schrittmacher regelmäßig kontrolliert.<br />
Dasselbe gilt bei der Verwendung anderer<br />
elektrischer Geräte in unmittelbarer Nähe des<br />
Schrittmachers.<br />
Manchmal wollen Patienten sich einen Schrittmacher<br />
nicht einsetzen lassen, weil sie Angst haben,<br />
nicht mehr sterben zu können. Diese Angst<br />
beruht auf einem Missverständnis: Der Schrittmacher<br />
kann nur die elektrischen Taktgeber im<br />
Herzen ersetzen, aber nicht das Herz.<br />
20<br />
I<br />
II<br />
III<br />
aVR<br />
aVL<br />
aVF<br />
Linkes EKG: Vor Einsetzen<br />
eines Schrittmachers hatte der Patient einen Linksschenkelblock<br />
mit deutlicher Verbreiterung des Kammerkomplexes.<br />
Rechtes EKG: Nachdem der Zweikammerschrittmacher eingesetzt<br />
worden war, ist der Schrittmacherimpuls vor der Herzaktion<br />
zu sehen, wobei der Kammerkomplex schmaler geworden ist.<br />
Andere Patienten haben Angst vor dem Schrittmacher,<br />
weil sie meinen, dass dann ihr Leben von<br />
dem technischen Funktionieren eines Geräts abhängt.<br />
Diese Angst ist unbegründet: Heutige Schrittmacher<br />
garantieren eine sehr hohe Sicherheit. Plötzliches<br />
Versagen eines Schrittmachers ist eine absolute<br />
Rarität. Hinzu kommt, dass nahezu alle Patienten<br />
noch einen langsamen eigenen <strong>Herzrhythmus</strong><br />
haben, der ausreicht, das Überleben zu sichern.<br />
Die Erfahrungen von Patienten, die mit einem<br />
Schrittmacher leben, sind sehr positiv, zumal sich<br />
die Beschwerden, die ein zu langsamer <strong>Herzrhythmus</strong><br />
verursacht hat, wie Schwindel und Schwäche,<br />
rasch bessern. Walter R. hat seit dem Einsetzen des<br />
Herzschrittmachers keine Bewusstlosigkeit mehr<br />
erlebt, ist im Alltag wieder leistungsfähig und spielt<br />
gern und völlig beschwerdefrei mit seinen Enkeln<br />
Fußball.
Annette A., 28 Jahre alt, leidet seit etwa 2 1/2 Jahren<br />
an immer wiederkehrenden Anfällen: Plötzlich,<br />
wie angeschaltet, beginnt ihr Herz zu rasen,<br />
ihr wird schwindlig und der Kopf dröhnt, als würde<br />
er platzen. Die ersten Anfälle konnte sie noch<br />
durch kleine Tricks selbst beenden, etwa indem<br />
sie ein Glas kaltes Wasser schnell trank oder tief<br />
einatmete. Inzwischen wartet sie jedoch – manchmal<br />
eine Stunde lang – liegend darauf, dass der Anfall<br />
aufhört. Aus Angst vor den Anfällen, die ohne<br />
Vorwarnung beginnen, hat sie aufgehört Auto zu<br />
fahren.<br />
Jeder von uns kennt Situationen, in denen sein Herz<br />
rasend bis zum Hals klopft, etwa nach einem Langstreckenlauf<br />
oder vor dem ersten Kuss. Dieses<br />
Herzjagen ist Ausdruck der normalen Funktion des<br />
Herzens, das bei Anstrengung oder Aufregung<br />
schneller schlägt und mehr Blut pumpt. Einige Menschen,<br />
in Deutschland wahrscheinlich mehrere<br />
hunderttausend, leiden jedoch wie Annette A. an<br />
anfallsartigem Herzjagen. Die in diesem Beitrag<br />
beschriebenen Formen von Herzjagen sind in der<br />
Regel nicht lebensgefährlich, deswegen gelten sie<br />
als gutartig. Für die Betroffenen sind die Anfälle<br />
jedoch oft mit einer erheblichen Einschränkung<br />
der Lebensqualität verbunden. So sind Menschen<br />
während eines Anfalls oft fahr- und arbeitsunfähig,<br />
einige werden ohnmächtig, und das unberechenbare<br />
Auftreten der Anfälle schränkt den Alltag deutlich<br />
ein.<br />
Die Unterscheidung zwischen einer Neigung zu<br />
Herzjagen und dem physiologischen schnellen<br />
Herzschlag unter Belastung ist oft schwierig. Es<br />
gibt deshalb auch immer wieder Patienten, bei denen<br />
eine Neigung zu gutartigem Herzjagen erst<br />
nach langer Zeit erkannt und richtig behandelt wird.<br />
In den folgenden Absätzen sollen zunächst das Er-<br />
Gutartiges Herzjagen<br />
PD Dr. med. Paulus Kirchhof, Prof. Dr. med. Günter Breithardt,<br />
Medizinische Klinik und Poliklinik C (Kardiologie und Angiologie), Universitätsklinikum Münster<br />
kennen von gutartigem Herzjagen und danach die<br />
verschiedenen Möglichkeiten seiner Behandlung<br />
erläutert werden.<br />
Wie kann ich gutartiges<br />
Herzjagen erkennen?<br />
Die Diagnose von gutartigem Herzjagen ruht auf<br />
drei Säulen:<br />
Zunächst ist eine genaue Kenntnis der Anfälle wichtig.<br />
Hierfür helfen Ihre Angaben über die Symptome<br />
während des Anfalls dem Arzt erheblich weiter.<br />
Wenn die Anfälle plötzlich beginnen und plötzlich<br />
enden, einige Minuten andauern, nicht von<br />
bestimmten Situationen abhängen, typischerweise<br />
einige Stunden nach Belastung auftreten, durch<br />
Manöver wie Trinken eines Glases kalten Wassers,<br />
Schlucken, in den Bauch Pressen, tiefes Atmen,<br />
seltener auch durch akrobatische Manöver wie<br />
Handstand beendet werden können, wenn das<br />
Herz während eines Anfalls regelmäßig schlägt und<br />
dabei Schwindel, ein Druck auf der Brust, ein großer,<br />
dicker Kopf und leichte Übelkeit verspürt werden,<br />
so spricht das für ein gutartiges, behandelbares<br />
Herzjagen (s. Tab. 1, S. 24). Die Herzschlagfolge<br />
(Herzfrequenz) liegt zwischen 140 und 220,<br />
meist bei 160 bis 180 Schlägen pro Minute. Häufig<br />
ist die Herzfrequenz so hoch, dass der Puls praktisch<br />
kaum noch fühlbar ist.<br />
Die zweite Säule der Diagnose von gutartigem<br />
Herzrasen ist das von einem erfahrenen Arzt beurteilte<br />
Elektrokardiogramm (EKG), das sowohl in<br />
Ruhe als auch möglichst während eines Anfalls aufgezeichnet<br />
werden sollte. Die Aufzeichnung eines<br />
EKG während eines Anfalls ist oft schwierig. Wenn<br />
Sie selbst an Herzjagen leiden und schon einmal<br />
mit einem Anfall beim Arzt oder in einem Kranken-<br />
21
haus waren, existiert dort oft ein EKG während des<br />
Anfalls. Dieses sollte bei weiteren Beratungen immer,<br />
notfalls als Fotokopie, vorliegen. Einige Formen<br />
von gutartigem Herzjagen lassen sich nämlich<br />
im EKG nur während des Anfalls erkennen.<br />
Die dritte Säule, auf die sich die Diagnose gutartiges<br />
Herzjagen stützt, ist schließlich der Ausschluss<br />
von anderen Erkrankungen des Herzens und die<br />
Unterscheidung von potentiell lebensbedrohlichen<br />
<strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong>. Dazu können manchmal<br />
aufwendige Untersuchungen notwendig sein, insbesondere<br />
bei älteren Patienten, wenn zusätzlich<br />
zum Herzjagen ein Schmerz im Brustkorb bei Anstrengung<br />
oder eine zunehmende Atemnot bei<br />
leichteren Belastungen bemerkt werden, oder<br />
wenn ein Patient schon einmal bewusstlos gewesen<br />
ist.<br />
22<br />
Kann man gutartiges<br />
Herzjagen behandeln?<br />
Gutartiges Herzjagen ist <strong>heute</strong> in den meisten Fällen<br />
heilbar. In leichten Fällen, d. h. bei eher selten<br />
auftretendem, nicht sehr störendem Herzjagen, genügt<br />
oft das Erlernen von Techniken, um das Herzjagen<br />
zu unterbrechen (s. Tab. 2, S. 24). Es stehen<br />
auch Medikamente zur Verfügung, die nebenwirkungsarm<br />
die Anfälle in fast allen Fällen beenden<br />
können. Während die zuverlässigsten Medikamente<br />
direkt in die Blutbahn abgegeben werden müssen<br />
und damit in der Regel nur einem Arzt zur Verfügung<br />
stehen, gibt es auch Tabletten, die Anfälle<br />
von Herzjagen beenden können – jedoch nur in<br />
wenigen Fällen und mit einiger Verzögerung. Da<br />
diese Medikamente gegen Herzjagen Nebenwirkungen<br />
haben können, sollten sie nur eingenommen<br />
werden, wenn ein Arzt sie verordnet.<br />
Oft stellt sich jedoch nach einiger Zeit heraus, dass<br />
die Medikamente nicht mehr oder nicht immer wirken.<br />
Wenn die Anfälle starke Beschwerden verursachen,<br />
sich häufen oder nur noch schwer zu beenden<br />
sind, wird man versuchen, die Anfälle dauerhaft<br />
zu verhindern. Herzjagen lässt sich in einigen<br />
Fällen durch die dauerhafte Einnahme von<br />
Medikamenten, sogenannter Antiarrhythmika, unterdrücken.<br />
In vielen Fällen ist es jedoch heutzu-<br />
tage möglich, die Ursache von gutartigem Herzjagen<br />
in einer speziellen Herzkatheteruntersuchung,<br />
der sogenannten elektrophysiologischen<br />
Untersuchung, zu erkennen und durch die sogenannte<br />
Hochfrequenz-Katheterablation dauerhaft<br />
zu beheben.<br />
Um die Behandlung des gutartigen Herzjagens zu<br />
verstehen, lohnt es sich, die verschiedenen Formen<br />
von gutartigem Herzjagen näher zu erläutern.<br />
Hierzu ist es hilfreich, den normalen Ablauf eines<br />
Herzschlags zu verstehen:<br />
Die normale Erregung des Herzens<br />
Bei jedem Herzschlag wird das Herz durch einen<br />
kleinen elektrischen Strom erregt, der bewirkt, dass<br />
sich die Herzmuskelzellen zusammenziehen. Dieser<br />
Strom entsteht im sogenannten Sinusknoten,<br />
dem Schrittmacher des Herzens (s. Abb. 1, S. 25).<br />
Von dort aus fließt der Strom durch die beiden Vorhöfe<br />
zum sogenannten Atrioventrikular-Knoten,<br />
kurz AV-Knoten,<br />
der einzigen elektrisch leitenden<br />
Verbindung zwischen Vorhöfen<br />
und Kammern. Der AV-Knoten<br />
verzögert den Stromfluss, bevor der<br />
Strom aus dem AV-Knoten heraus die<br />
beiden Kammern des Herzens erregt.
Der Strom endet in den Kammern, und das Herz<br />
wartet auf den nächsten Impuls aus dem Sinusknoten.<br />
Wie entsteht gutartiges Herzjagen?<br />
Einige Formen von gutartigem Herzjagen werden<br />
dadurch ausgelöst, dass neben dem Sinusknoten<br />
noch andere Bezirke des Herzens in schneller Folge<br />
Stromstöße abgeben, die wie der Sinusknoten<br />
das Herz erregen. Es sind sogenannte ektope, d. h.<br />
am falschen Ort gelegene Schrittmacher. In den<br />
meisten Fällen wird gutartiges Herzjagen jedoch<br />
durch eine zusätzliche elektrische Verbindung zwischen<br />
Vorhöfen und Kammern verursacht. In bestimmten<br />
Situationen kann der Strom, der über die<br />
eine Verbindung vom Vorhof in die Kammer fließt,<br />
über die andere Verbindung wieder zurück in den<br />
Vorhof gelangen und dann in einem Kreislauf unaufhörlich<br />
zwischen Vorhof und Kammer kreisen<br />
(kreisende Erregung). Jedes Mal, wenn der Strom<br />
durch die Kammer fließt, schlägt diese, und das<br />
Herz rast. Diese zusätzliche Verbindung zwischen<br />
Vorhöfen und Kammern kann entweder direkt im<br />
AV-Knoten (doppelt leitender AV-Knoten) oder an<br />
einer anderen Stelle des Herzens (akzessorische<br />
Leitungsbahn) liegen (Abb. 2, S. 25). Andere Formen<br />
von Herzrasen entstehen durch kreisende Erregungen<br />
in den Herzvorhöfen, z. B. das sogenannte<br />
Vorhofflattern.
Tab. 1: Fragen, die helfen, Anfälle von Herzjagen besser einzuordnen:<br />
Wann war der erste Anfall?<br />
Wann war der letzte Anfall?<br />
Wie oft treten die Anfälle auf (täglich, wöchentlich, monatlich)?<br />
Wie beginnen die Anfälle (plötzlich/allmählich)?<br />
Beginnen die Anfälle im Zusammenhang mit bestimmten Ereignissen<br />
oder erst in einem zeitlichen Abstand dazu (z.B. Aufregung, Anstrengung, Schlaf)?<br />
Wie oft schlägt das Herz während des Anfalls pro Minute? Ist der Puls schwer zu tasten?<br />
(Fühlen Sie Ihren Puls!)<br />
Schlägt der Puls während des Anfalls regelmäßig oder unregelmäßig?<br />
Wie lange dauern die Anfälle?<br />
Was spüren Sie während des Anfalls (Druck auf der Brust, Atemnot, Schwindel,<br />
Übelkeit, ein Gefühl, als ob der Kopf platzt o. Ä.)?<br />
Wie enden die Anfälle (plötzlich/allmählich)?<br />
Können Sie die Anfälle durch Manöver oder Tricks selbst beenden? Wenn ja, durch welche?<br />
Können die Anfälle durch Medikamente beendet werden?<br />
Sind Sie schon einmal bewusstlos geworden?<br />
Wenn ja, haben Sie davor Herzjagen gespürt?<br />
Haben Sie Verwandte, die an Herzjagen oder anderen <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> leiden?<br />
Tab. 2: Techniken, mit denen gutartiges Herzjagen<br />
beendet werden kann. Bewahren Sie die Ruhe. Sie wissen,<br />
dass es unangenehm, aber nicht gefährlich ist.<br />
24<br />
Empfohlene Techniken<br />
Schnelles Trinken eines Glases kalten Wassers<br />
Tief einatmen, Luft anhalten und eine Bauchpresse<br />
machen (d. h. das Zwerchfell und die Bauchmuskeln<br />
anspannen)<br />
Eiswasser ins Gesicht spritzen<br />
Luft anhalten<br />
Gelegentlich empfohlene, aber unter Umständen<br />
gefährliche Techniken<br />
Massage der Halsschlagadern (Vorsicht,<br />
hierbei kann ein Schlaganfall verursacht werden)<br />
Druck auf die Augäpfel
Sinusknoten<br />
AV-Knoten<br />
Sinusknoten<br />
doppelt leitender<br />
AV-Knoten<br />
Vorhöfe<br />
zusätzliche Verbindung<br />
(akzessorische „Leitungsbahn“)<br />
Was passiert bei einer<br />
elektrophysiologischen Untersuchung?<br />
Die Ursache für gutartiges Herzjagen kann man in<br />
vielen Fällen nur durch eine spezielle Katheteruntersuchung,<br />
die sogenannte elektrophysiologische<br />
Untersuchung (EPU), feststellen, bei der die<br />
Ströme, die durch das Herz fließen, direkt analysiert<br />
werden. Bei dieser Untersuchung werden dünne<br />
Kabel mit einer elektrisch leitenden Spitze, sogenannte<br />
Elektrodenkatheter, über die Leistenvenen<br />
oder die Armvenen zum Herzen vorgeschoben.<br />
Die Einstichstelle in der Leiste wird örtlich<br />
betäubt. Das Vorschieben der Katheter<br />
zum Herzen und ihre<br />
Plazierung während der Untersuchung<br />
sind in aller Regel<br />
nicht schmerzhaft. Mit<br />
Kammern<br />
Abb. 1: Normaler Erregungsablauf des<br />
Herzens. Vom Sinusknoten geht ein elektrischer<br />
Impuls aus, der über die Vorhöfe<br />
den AV-Knoten erreicht. Von dort aus wird<br />
der Impuls nach einer Verzögerung in die<br />
Kammern weitergeleitet. Nach vollständiger<br />
Erregung der Kammern versiegt der<br />
Impuls, das Herz wartet auf den nächsten.<br />
Sinusknoten<br />
AV-Knoten<br />
Abb. 2:<br />
Zwei Beispiele<br />
für eine zusätzliche<br />
Verbindung zwischen<br />
Vorhöfen und Kammern, die zu gutartigem<br />
Herzjagen führen kann.<br />
Oben: zusätzliche Leitungsbahn.<br />
Links: doppelt leitender AV-Knoten.<br />
In beiden Fällen kann der Strom über die<br />
zweite Verbindung von den Kammern in die<br />
Vorhöfe zurückfließen und unter bestimmten<br />
Umständen zu einer kreisenden Erregung<br />
führen. Dadurch entsteht Herzjagen.<br />
mehreren Kathetern wird die Ausbreitung der elektrischen<br />
Erregung im Herzen gemessen (Abb. 3a,<br />
S. 26). Durch eine kurze Stromabgabe über die Katheter<br />
(nicht schmerzhafte, elektrische Impulse)<br />
kann das Herz zum schnelleren Schlagen gebracht<br />
werden (elektrische Stimulation des Herzens). So<br />
kann gutartiges Herzjagen hervorgerufen werden.<br />
Während das Herz rast, können für das Herzjagen<br />
verantwortliche Strukturen erkannt werden wie<br />
z. B. zusätzliche Leitungsbahnen, ein doppelt leitender<br />
AV-Knoten oder Schrittmacherzentren am<br />
falschen Ort. Es kann auch zwischen gutartigem<br />
und potentiell gefährlichem Herzjagen unterschieden<br />
werden. Das während der Untersuchung ausgelöste<br />
Herzjagen kann durch die Abgabe nicht<br />
spürbarer, elektrischer Impulse über die Katheter<br />
beendet werden.<br />
25
26<br />
Abb. 3 a Abb. 3 b<br />
Katheter im<br />
Vorhofohr<br />
Neuartige Mappingsysteme<br />
Ablationskatheter<br />
Katheter im<br />
Koronarsinus<br />
Katheter in der Spitze der<br />
rechten Herzkammer<br />
Abb. 3 a (links): Typische Lage der Katheter im Herzen bei<br />
einer Katheterablation einer zusätzlichen Leitungsbahn in<br />
der üblichen Röntgendurchleuchtung. Die Abbildung<br />
zeigt einen Katheter, der in der großen Herzvene (dem sogenannten<br />
„Coronarsinus“) liegt, und einen weiteren Katheter,<br />
mit dem Hochfrequenzenergie zur Ablation abgegeben<br />
werden kann. Die Katheterspitze liegt an der Mitralklappe<br />
direkt auf der zusätzlichen Leitungsbahn (der<br />
„Kurzschlussverbindung“) kurz vor Abgabe der Hochfrequenzenergie.<br />
Abb. 3 b (rechts): Darstellung der gleichen Katheter wie im<br />
linken Bild mit einem nicht-fluoroskopischen Katheterlokalisationssystem<br />
(LocaLisa®), mit dem die Katheterpositi-<br />
Die Positionierung der Katheter bei der elektrophysiologischen<br />
Untersuchung erfolgt zumeist unter<br />
Kontrolle mit Röntgenstrahlen. Seit Mitte der<br />
90er Jahre stehen sogenannte Mappingsysteme zur<br />
Verfügung, die die Position von elektrophysiologischen<br />
Kathetern im Herzen durch die Messung<br />
von sehr kleinen Strom- oder Magnetfeldern messen<br />
und auf einem Computerbildschirm darstellen<br />
können. Mit solchen Systemen kann die Position<br />
der Katheter während der Untersuchung ohne<br />
Röntgenstrahlen dargestellt werden (Abb. 3 b, 4).<br />
Dies hilft, Röntgenstrahlen zu sparen. Zudem kann<br />
durch die Kombination der gemessenen elektrischen<br />
Daten von der Katheterspitze und der Position<br />
der Katheter die Erregungsausbreitung während<br />
des Herzjagens präzise am Computerbildschirm<br />
dargestellt und analysiert werden. Diese<br />
technisch aufwendigen Systeme tragen schon <strong>heute</strong><br />
dazu bei, dass Katheterablationen und elektrophysiologische<br />
Untersuchungen schonender, d.h.<br />
Ablationskatheter<br />
Katheter im Koronarsinus<br />
on während der Untersuchung ohne Röntgenstrahlen in<br />
Echtzeit dargestellt werden kann. Die nicht-fluoroskopische<br />
Darstellung erfolgt nicht nur ohne Röntgenstrahlen,<br />
sie ermöglicht auch eine dreidimensionale Darstellung<br />
der Katheterposition. Es gibt inzwischen mehrere<br />
solcher Systeme (vgl. Abb. 4). Augenblicklich werden<br />
aus Sicherheitsgründen während der Untersuchung zusätzlich<br />
zu solchen Katheterlokalisationssystemen Röntgenstrahlen<br />
eingesetzt. Die Katheterlokalisationssysteme<br />
helfen jedoch, die Röntgenstrahlenbelastung deutlich zu<br />
senken. Vielleicht ist es in Zukunft möglich, durch den<br />
Einsatz solcher Systeme vollständig auf Röntgenstrahlen<br />
bei der Katheterablation zu verzichten.<br />
unter weniger Verwendung von Röntgenstrahlen,<br />
durchgeführt werden können. Außerdem ermöglicht<br />
die Darstellung der Erregungsausbreitung am<br />
Computer in vielen Fällen eine Katheterablation<br />
auch bei seltenen, schwierig zu verstehenden Formen<br />
von gutartigem Herzjagen, die z. B. nach Herzoperationen<br />
oder bei Patienten mit angeborenen<br />
Herzfehlern auftreten können. Einige Systeme erlauben<br />
schon <strong>heute</strong>, die Katheterpositionen auf ein<br />
zuvor angefertigtes Bild des Herzens (z. B. eine<br />
Computertomographie oder Magnetresonanztomographie<br />
des Herzens) zu projizieren. Dies soll<br />
schwierige Katheterablationen noch einfacher und<br />
sicherer machen.<br />
Was ist eine Hochfrequenz-<br />
Katheterablation?<br />
Während der elektrophysiologischen Untersuchung<br />
können durch eine Erwärmung der Katheterspitze<br />
mit Hochfrequenzstrom kleinste Areale des Herzens<br />
gezielt verödet, auf lateinisch abladiert, werden.<br />
Durch diese Technik, die sogenannte Hochfrequenz-Katheterablation,<br />
gelingt es in den meis-
Abb. 4: Computergestützte<br />
Darstellung der kreisenden<br />
Erregung während Vorhofflatterns<br />
mit dem CARTO®-<br />
System.<br />
ten Fällen, zusätzliche Verbindungen zwischen Vorhof<br />
und Kammern und Schrittmacherzentren am<br />
falschen Ort gezielt zu zerstören. Dadurch kann<br />
die endgültige Heilung von plötzlichem Herzjagen<br />
in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle erreicht<br />
werden. Seit der Einführung dieser Methode vor<br />
rund 15 Jahren konnten schon viele tausend Patienten<br />
vollständig von ihrer Neigung zum Herzjagen<br />
geheilt werden.<br />
Neben der Hochfrequenz-Katheterablation werden<br />
in sehr seltenen Fällen auch andere Energiequellen,<br />
z. B. Kälte, zur Ablation von gutartigem<br />
Herzjagen eingesetzt.<br />
Ist die Katheterablation gefährlich?<br />
Die Katheterablation ist eine invasive Maßnahme,<br />
d. h. man muss oft mehrere Katheter ins Herz einführen,<br />
und daher ist dieses Verfahren nicht ohne<br />
Risiken. Das Gesamtrisiko ist klein. Dennoch sol-<br />
Abb. 5: Vergrößerte Ansicht<br />
eines Katheters für die Katheterablation.<br />
len die spezifischen Risiken nicht unerwähnt bleiben:<br />
Für die Plazierung der Katheter sind Röntgenstrahlen<br />
erforderlich. Das bedeutet eine Strahlenbelastung.<br />
Außerdem kann es zu Blutergüssen an<br />
den Stellen kommen, an denen Katheter in Blutgefäße<br />
eingeführt werden. Durch die Verödungen<br />
(Ablation) können in sehr seltenen Fällen der Herzmuskel<br />
oder die Blutgefäße an Stellen geschädigt<br />
werden, die nicht Ziel der Ablationsbehandlung<br />
sind. Dies kann dazu führen, dass ein Herzschrittmacher<br />
oder eine Gefäßstütze (Stent) eingesetzt<br />
werden muss. Auch sind in seltenen Fällen Schlaganfälle<br />
beobachtet worden. Insgesamt ist die Gefahr<br />
ernsthafter Komplikationen so gering, dass die<br />
Katheterablation die Behandlung der ersten Wahl<br />
für die meisten Formen von gutartigem Herzrasen<br />
darstellt.<br />
Ist die Katheterablation schmerzhaft?<br />
Die Verödung mit Hochfrequenzstrom kann zu unangenehmen<br />
Brennen in der Brust, manchmal auch<br />
zu Brustschmerzen führen. Daher erhält der Patient<br />
in der Regel vor der Ablation sowohl ein Beruhigungs-<br />
wie ein Schmerzmittel.<br />
27
Gibt es Medikamente, die das Auftreten<br />
von Herzjagen verhindern können?<br />
Das Auftreten von Herzjagen kann in einigen Fällen<br />
durch die dauerhafte Einnahme von Medikamenten<br />
verhindert werden. Diese Medikamente<br />
(z. B. Betablocker, Calciumantagonisten vom<br />
Verapamil-Typ, Natriumkanalblocker und Kaliumkanalblocker)<br />
wirken, indem sie die Leitung der<br />
elektrischen Erregung zwischen Vorhof und Kammer<br />
verlangsamen oder kurzzeitig unterbinden,<br />
oder indem sie die falschen (ektopen) Schrittmacherzentren<br />
hemmen. In einigen Fällen gelingt<br />
es, die Anfälle vollständig zu unterdrücken, in anderen<br />
Fällen werden die Anfälle durch die Medikamentenwirkung<br />
seltener, kürzer und erträglicher.<br />
Wie bei der Katheteruntersuchung müssen<br />
Nutzen und Risiken der Medikamentenbehandlung<br />
im Einzelfall gegeneinander abgewogen werden.<br />
Die oben erwähnten Manöver zur Beendigung eines<br />
Anfalls von Herzjagen (s. Tab. 2, S. 24) wirken<br />
übrigens ähnlich wie die Medikamente, die Herzjagen<br />
beenden: Durch tiefes Atmen oder das Trinken<br />
von kaltem Wasser werden bestimmte Nerven,<br />
insbesondere der sogenannte Vagus, angeregt. Dadurch<br />
kommt es zu einer kurzzeitigen Verlangsamung,<br />
eventuell sogar zur Unterbrechung der<br />
Erregungsleitung im AV-Knoten und letztendlich<br />
zur Beendigung des Herzjagens.<br />
Zusammenfassung<br />
Gutartiges Herzjagen ist eine relativ häufige<br />
<strong>Herzrhythmus</strong>störung, die durch die<br />
genaue Kenntnis der Anfälle und<br />
des Elektrokardiogramms in<br />
Ruhe und während eines<br />
Anfalls vom normalen schnellen Herzschlag während<br />
Anstrengung oder Aufregung und von anderen<br />
<strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> in der Regel unterschieden<br />
werden kann. In manchen Fällen ist es<br />
dagegen erst durch eine elektrophysiologische<br />
Herzkatheteruntersuchung möglich, gutartiges von<br />
gefährlichem Herzjagen zu unterscheiden.<br />
Wenn gutartiges Herzjagen festgestellt wird, ist es<br />
durch eine Hochfrequenz-Katheterablation oft<br />
möglich, die Ursache des Herzjagens dauerhaft zu<br />
beseitigen. Diese Maßnahme ist sinnvoll und notwendig,<br />
wenn die Anfälle häufiger auftreten<br />
und/oder mit erheblichen Beschwerden einhergehen.<br />
Alternativ oder beim sehr seltenen Nichtgelingen<br />
der Ablation kann eine dauerhafte Medikamenteneinnahme<br />
zur Verhinderung oder Linderung<br />
der Beschwerden erwogen werden. In leichten<br />
Fällen genügt es manchmal, Techniken zu<br />
erlernen, die die Anfälle beenden, oder Medikamente<br />
zur Beendigung mit sich zu führen.<br />
Die Beschwerden, unter denen Annette A. leidet,<br />
lassen sich mit großer Wahrscheinlichkeit durch<br />
eine Hochfrequenz-Katheterablation beheben,<br />
dann kann sie auch wieder Auto fahren.
Das Stolperherz: Extrasystolen<br />
Im Jahre 1713 publizierte Valentini<br />
in der von ihm in Frankfurt<br />
herausgegebenen Medicina novantiqua<br />
ein „Schema pulsuum“.<br />
In Form eines Notenblattes ist<br />
folgendes zu erkennen: Der gleichmäßige<br />
Puls (Pulsus aequalis)<br />
und der ungleichmäßige Puls<br />
(Pulsus inaequalis); der tanzende<br />
oder hüpfende Puls, der am<br />
ehesten das Stolperherz repräsentiert<br />
(Pulsus caprizans, eigentlich:<br />
launenhaft, eigenwillig)<br />
und schließlich der doppelschlägige<br />
Puls, der Pulsus dicrotus.<br />
Herzstolpern heißt in der medizinischen Fachsprache<br />
Palpitation und bedeutet eigentlich Herzzucken,<br />
Herzklopfen. Umgangssprachlich werden<br />
auch die Bezeichnungen Herzkasper oder Herzklabastern<br />
und ähnliches verwendet. Äußerungen<br />
wie „Mir blieb vor Schreck das Herz stehen.“; „Vor<br />
Angst (oder Freude) schlug mir das Herz bis zum<br />
Halse.“ zeigen, wie sehr das Stolperherz in allen<br />
Varianten im Volksmund verbreitet ist. So kann das<br />
Herz auch im Volkslied wie in der Dichtkunst klopfen<br />
und schlagen, hämmern und pochen, flimmern<br />
und flattern, zittern und stocken und sogar stehenbleiben.<br />
Dabei handelt es sich stets um das unangenehme<br />
Bewusstwerden der eigenen Herzaktionen,<br />
wie es sowohl bei Gesunden wie bei Herzkranken<br />
beobachtet werden kann.<br />
Insgesamt können die subjektiv empfundenen<br />
Herzaktionen bei Herzklopfen sowohl verlangsamt,<br />
beschleunigt oder unregelmäßig sein. Sie sind prinzipiell<br />
nur sicher zu interpretieren, wenn sie durch<br />
eine Herzstromkurve, ein Elektrokardiogramm,<br />
aufgezeichnet wurden. Herzstolpern wird nach Extraschlägen<br />
aus den Herzvorhöfen oder – häufiger<br />
– nach solchen aus den Herzkammern mit verlängerten<br />
Pulsabständen gespürt. Vielfach lässt sich<br />
Prof. Dr. med. Dr. h.c. Berndt Lüderitz, Bonn<br />
die Ursache gar nicht erfassen. Insofern wurde diese<br />
Form des Herzstolperns von dem berühmten<br />
Rhythmusspezialisten Wenckebach als Unfug der<br />
Natur bezeichnet.<br />
Zur Geschichte des Stolperherzens<br />
Seit alters her beeindruckt wohl kaum ein Symptom<br />
den Patienten und den Arzt mehr, als der unregelmäßige<br />
Herzschlag. Wie eng Leben und <strong>Herzrhythmus</strong><br />
zusammenhängen, lässt sich bereits bei<br />
Friedrich II., dem „Großen”, erfahren. Wenn er in<br />
einem Brief an seine Schwester Wilhelmine, den<br />
er als Kronprinz 1738 verfasste, schrieb: „... ich<br />
fürchtete Erstickungsanfälle, am meisten aber belästigen<br />
mich Schlaflosigkeit und unerträgliches<br />
Herzklopfen ...”, dann ist dieses Herzklopfen wohl<br />
nicht Folge einer Herzkrankheit, sondern eher Ausdruck<br />
einer unsteten, zerrissenen Natur.<br />
Obwohl die Messung der Pulse seit dem Altertum<br />
in Mitteleuropa allgemein bekannt war, konnte der<br />
Puls erst, nachdem die Uhr mit Sekundenzeigern<br />
um das Jahr 1700 erfunden worden war, genau gemessen<br />
werden. Aber erst Willem Einthoven (1860<br />
– 1927) hat mit der Elektrokardiographie begon-<br />
29
nen, <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> zu erfassen (Abb.<br />
S. 34). 1895 hatte er ein in seinem Labor mit dem<br />
Kapillarreflektometer aufgezeichnetes und ein konstruiertes<br />
Elektrokardiogramm angegeben, das alle<br />
Details heutiger Elektrokardiogramme aufwies<br />
(Abb. S. 34). Das konstruierte Elektrokardiogramm<br />
zeigte fünf Wellen, für die Einthoven die Bezeichnungen<br />
P, Q, R, S, T einführte, die noch <strong>heute</strong> verwendet<br />
werden. 1902 leitete Einthoven erstmals<br />
Elektrokardiogramme mit dem Saitengalvanometer<br />
ab, wobei er eine sehr gute Übereinstimmung<br />
mit den zuvor konstruierten Kurven fand. 1924 erhielt<br />
Einthoven für seine Pionierarbeiten über den<br />
Mechanismus des Elektrokardiogramms den Nobelpreis.<br />
30<br />
Ursachen des Stolperherzens<br />
Grundlagen des Stolperherzens sind meist Extraschläge<br />
aus den Vorhöfen oder Kammern des Herzens<br />
(Extrasystolen). Es finden sich auch doppelschlägige<br />
Extrasystolen oder Salven wie auch<br />
anfallsweise Formen der Pulsbeschleunigung, Herzjagen<br />
oder ein (krankhaft) verlangsamter unregelmäßiger<br />
Puls. Dieses Herzstolpern kann beim Gesunden<br />
auftreten, emotional hervorgerufen durch<br />
Stress, Aufregung, Angst, Freude oder Nervosität,<br />
aber natürlich auch beim herzkranken Patienten<br />
mit koronarer Herzkrankheit, Herzinfarkt, Herzklappenfehler<br />
und degenerativen Erkrankungen,<br />
bei Schilddrüsenüberfunktion, bei Unfällen und<br />
Operationen, bei Kaliummangel und anderen Elektrolyt<strong>störungen</strong>.<br />
Schließlich bei Medikamentenüberdosierung<br />
bzw. Vergiftung (z. B. mit Digitalis<br />
aus dem Fingerhut) und als Nebenwirkung verschiedener<br />
Arzneimittel. Nicht zuletzt können die<br />
Genussgifte Alkohol, Koffein und Nikotin zu Extrasystolen<br />
und somit zum Stolperherzen führen.<br />
Eine weitere wichtige Ursache des Stolperherzens<br />
ist das Vorhofflimmern, d.h. das völlig unkoordinierte,<br />
unregelmäßige schnelle Zucken der Herzvorhöfe,<br />
das zu einem unregelmäßigen Puls mit<br />
unterschiedlich langen Pausen führt. Herzstolpern<br />
ist mit etwa 75 % das bei weitem häufigste klini-<br />
sche Symptom bei Vorhofflimmern, das den Patienten<br />
zum Arzt führt (s. Tab. S. 31). Vorhofflimmern<br />
gilt als die verbreitetste Rhythmusstörung.<br />
Insgesamt ist davon auszugehen, dass etwa<br />
800 000 Patienten in Deutschland an Vorhofflimmern<br />
und damit zum großen Teil am Stolperherzen<br />
leiden. In der Europäischen Union sind schätzungsweise<br />
4,5 Mio. Menschen von Vorhofflimmern<br />
betroffen.<br />
Als Ursachen des Vorhofflimmerns sind zu nennen:<br />
Herzklappenfehler, Bluthochdruck, koronare Herzkrankheit,<br />
Schilddrüsenüberfunktion, Herzinfarkt<br />
und Alkohol. In etwa 10 % der Fälle lässt sich keine<br />
Ursache feststellen.<br />
Diagnostik des Stolperherzens<br />
Am Anfang stehen die Beschwerden (s. Tab., S. 31),<br />
die den Patienten zum Arzt führen. Hier stellt sich<br />
dann die Frage: Liegt überhaupt eine Rhythmusstörung<br />
vor? Die subjektiven Angaben des Patienten<br />
und die objektiven Befunde sind also mit <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
in Verbindung zu bringen. Im<br />
Einzelnen ist nach Vorhofflimmern, nach Extraschlägen<br />
und anderen Rhythmus<strong>störungen</strong> zu fahnden,<br />
die sich mit dem Begriff Stolperherz bezeichnen<br />
lassen.<br />
Das Elektrokardiogramm weist in vielen Fällen bereits<br />
den Weg zur Diagnose. Das einfache EKG als<br />
Dokumentation der <strong>Herzrhythmus</strong>störung kann<br />
ergänzt werden durch ein Belastungs-EKG, um<br />
krankhaft erniedrigte Herzschlagfolgen (z. B. sogenannte<br />
pathologische Bradykardie) zu erkennen<br />
oder belastungsabhängige Extraschläge, die<br />
in den Vorhöfen oder Hauptkammern des Herzens<br />
ihren Ursprung haben, zu beurteilen. Die größte<br />
Bedeutung bei der Aufklärung von <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
kommt dem 24-Stunden-Langzeit-EKG<br />
zu.<br />
Da die meisten <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> nur gelegentlich<br />
auftreten, wächst die Zahl krankhafter Befunde<br />
mit der zeitlichen Dauer der Dokumentation.<br />
Vielfach ist in diesem Zusammenhang ein
Symptome des Stolperherzens<br />
(nach Häufigkeit)<br />
Herzklopfen (Palpitationen)<br />
Kurzatmigkeit<br />
Schwitzen<br />
Brustbeschwerden, Druckgefühl<br />
Müdigkeit<br />
Übelkeit, Kopfschmerzen<br />
Angst<br />
Schwindel<br />
verstärktes Wasserlassen<br />
keine Beschwerden (selten)<br />
Rhythmusstreifen im EKG hilfreich, d. h. mehrere<br />
Minuten währende EKG-Ableitungen mit möglichst<br />
gut erkennbaren Vorhoferregungen und niedriger<br />
Papiervorschubgeschwindigkeit. Gelingt mit dem<br />
Rhythmusstreifen die Diagnose nicht, so ist ein<br />
Langzeit-EKG anzufertigen, das in den meisten Fällen<br />
dann die Diagnose zulässt. Wenn nicht, ist eine<br />
weitergehende Herzdiagnostik eventuell unter Einschluss<br />
einer Katheteruntersuchung angezeigt.
32<br />
Zur Behandlung des Stolperherzens<br />
1. Das durch Extraschläge bedingte Stolperherz<br />
ohne zugrundeliegende Erkrankung (eine Ausschlussdiagnose!)<br />
braucht nicht behandelt zu werden<br />
– es sei denn, heftige Beschwerden erzwingen<br />
eine Therapie. Dann kommen z. B. Betablocker<br />
in Frage.<br />
Sonst ist das Grundleiden der Patienten, z. B. koronare<br />
Herzkrankheit, Schilddrüsenerkrankungen,<br />
Hochdruck etc. zu behandeln. Nur in hartnäckigen<br />
Fällen, wenn die Rhythmusstörung das Leben<br />
sehr belastet, können Rhythmusmittel im engeren<br />
Sinne verordnet werden, die wegen ihrer möglichen<br />
Nebenwirkungen jedoch nicht unkritisch<br />
genommen werden sollten. Eine Lebensverlängerung<br />
wird dadurch nicht erreicht, häufig aber eine<br />
Verbesserung der Lebensqualität.<br />
2. Ist das Stolperherz durch Vorhofflimmern oder<br />
eine andere Rhythmusstörung verursacht, so geht<br />
es auch hier zunächst darum, die zugrundeliegende<br />
Erkrankung zu therapieren. Der Arzt behandelt<br />
nicht das EKG, sondern den leidenden Patienten.<br />
Dabei sind <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> für sich genommen<br />
keine eigene Krankheit, sondern nur<br />
Symptom oder Komplikation eines zugrundeliegenden<br />
Leidens, das meist eine Herzerkrankung<br />
ist. Insofern stellen die Rhythmus<strong>störungen</strong>, Extrasystolen<br />
ebenso wie Vorhofflimmern und andere<br />
Rhythmus<strong>störungen</strong>, nur die Spitze des Eisbergs<br />
über Wasser dar. Es obliegt dem behandelnden<br />
Arzt, die gleichsam unter Wasser liegenden fünf<br />
Sechstel des Krankheitsbildes zu ergründen, d. h.<br />
das Grundleiden zu identifizieren, zu behandeln<br />
und damit die symptomatische Spitze über Wasser<br />
zum Schmelzen zu bringen.<br />
Zugleich sollte jedoch versucht werden, das Vorhofflimmern<br />
zu beseitigen und den normalen regelmäßigen<br />
<strong>Herzrhythmus</strong> wiederherzustellen.<br />
Dies geschieht elektrisch (z. B. durch Elektroschock<br />
von außen oder im Herzen selbst, in besonderen<br />
Fällen durch ein Elektroschock-Schrittmachersystem)<br />
oder mit Medikamenten, die dann meist auf<br />
Dauer eingenommen werden müssen. Ist eine Regularisierung<br />
nicht zu erreichen, so sollte durch<br />
Rhythmusmittel wenigstens eine annähernd normale<br />
Herzschlagfolge zwischen 60 und 90 Schlägen<br />
pro Minute wiederhergestellt werden. Wichtig<br />
ist bei Vorhofflimmern die blutverdünnende,<br />
d. h. gerinnungshemmende Therapie,<br />
um Gerinnsel mit nachfolgenden Gefäßverschlüssen<br />
(Embolien) zu vermeiden.<br />
Die medikamentöse Therapie<br />
der <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
(z. B. Extrasystolie und<br />
Vorhofflimmern als Ursache<br />
des Stolperherzens)<br />
setzte – historisch<br />
gesehen –<br />
erst mit der systematischenErprobung<br />
pflanzlicher<br />
Inhaltsstoffe ein.<br />
Der französische<br />
Arzt Jean-Baptiste<br />
Sénac (1693 –<br />
1770) hat bereits<br />
1749 auf die günstige<br />
Wirkung des<br />
Chinins bei Herzklopfen<br />
hingewiesen
Pulsanalyse im alten Tibet<br />
(17./18. Jahrhundert). Ausschnitt<br />
aus einer tibetischen<br />
Bildtafel (Thangka) im Hospital<br />
für traditionelle tibetische<br />
Medizin in Lhasa. Ende des<br />
17. Jahrhunderts wurden in<br />
Tibet bereits in höchst differenzierter<br />
Weise Pulse gemessen.<br />
Auch den unregelmäßigen<br />
Herzschlag, das „Herzstolpern“,<br />
kannte man bereits.<br />
und damit eine Substanz genannt, die später<br />
für die Behandlung von Vorhofflimmern<br />
eingesetzt wurde, obwohl dieses<br />
bitter schmeckende weiße Kristall<br />
der Chinarinde seit der Mitte des<br />
17. Jahrhunderts hauptsächlich als<br />
Malaria-Mittel verwendet wurde.<br />
Das von den Matrosen auf den<br />
nach Südostasien fahrenden<br />
Schiffen zur Vorbeugung gegen<br />
Malaria getrunkene chininhaltige<br />
Bitterwasser wurde zur<br />
Geschmacksaufbesserung mit<br />
Genever und später mit Gin vermischt<br />
und entwickelte sich danach<br />
zu dem bekannten Gesellschaftsgetränk<br />
Gin-Tonic. Zu<br />
beobachten war, dass bei den<br />
Seefahrern deutlich weniger<br />
<strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> auftraten.<br />
Aber erst 1914 beschrieb<br />
Karel Frederick Wenckebach,<br />
wie er durch die<br />
Gabe von 1 g Chinin Vorhofflimmern<br />
beseitigen konnte.<br />
33
Aufzeichung eines Elektrokardiogramms<br />
mit Kapillarelektrometer (oben)<br />
und konstruiertes Elektrokardiogramm<br />
mit P-, Q-, R-, S- und T-Wellen.<br />
Durch Walter Frey wurde dann 1918 das Chinidin,<br />
eine chemische Abwandlung des Chinin in die antiarrhythmische<br />
Therapie eingeführt. Heute stehen<br />
uns zahlreiche moderne, hochwirksame und nebenwirkungsärmere<br />
pharmakologische Substanzen<br />
und auch elektrische Verfahren zur Verfügung.<br />
Das Stolperherz ist daher in den allermeisten Fällen<br />
erfolgreich zu kontrollieren – sofern es überhaupt<br />
behandlungsbedürftig ist.<br />
34<br />
Willem Einthoven (1860 – 1927)<br />
Tendenzen <strong>heute</strong><br />
Immer mehr Menschen sind von <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
betroffen. Entsprechend der<br />
veränderten Alterspyramide werden die Menschen<br />
älter und ab dem 60. Lebensjahr plagt<br />
viele von ihnen Herzstolpern oder ein langsamerer<br />
Herzschlag. Doch nicht nur alte Leute<br />
leiden an Rhythmus<strong>störungen</strong>. Risikofaktoren<br />
wie Rauchen, übermäßiger Alkoholgenuss,<br />
Stress, Bluthochdruck oder Zuckerkrankheit<br />
können auch bei Jüngeren die<br />
Symptome auslösen.<br />
Der Umgang der Ärzte mit den Rhythmus<strong>störungen</strong><br />
wandelt sich. Mehrere Studien haben ergeben,<br />
dass es in vielen Fällen besser wäre, mit leichtem<br />
Herzstolpern, also dem Stolperherz, unbehandelt<br />
zu leben, als potentiell nebenwirkungsbelastete<br />
Medikamente dagegen einzunehmen. Im Notfall<br />
oder bei schweren Störungen kann man natürlich<br />
nicht auf Medikamente verzichten, doch grundsätzlich<br />
werden sie auch <strong>heute</strong> noch zu leichtfertig<br />
eingenommen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel<br />
und Medizinprodukte hat ihren Anwendungsbereich<br />
eingeschränkt. Ein kritischer Umgang<br />
mit diesen Mitteln ist wichtig.<br />
Schließlich ist zu bedenken, dass Rhythmusmittel<br />
nicht die Ursache des Stolperherzens behandeln,<br />
sondern nur gegen die Beschwerden wirken. Eine<br />
<strong>Herzrhythmus</strong>störung zu heilen, gelingt nur mit einer<br />
Therapie, die auf das Grundleiden ausgerichtet<br />
ist, das die <strong>Herzrhythmus</strong>störung hervorgerufen<br />
hat.
Am häufigsten: Vorhofflimmern<br />
Das vollständig arrhythmische Herz<br />
Prof. Dr. med. Michael Oeff, Klinik für Innere Medizin I,<br />
Städtisches Klinikum Brandenburg GmbH, Brandenburg an der Havel<br />
Vorhofflimmern ist die häufigste <strong>Herzrhythmus</strong>störung.<br />
Wie sie sich beim ersten Auftreten in vielen<br />
Fällen äußert, zeigt die Geschichte des 51-jährigen<br />
Norbert B.<br />
Norbert B. kommt mit seinem anstrengenden Beruf<br />
als Klimatechniker gut zurecht. Die Arbeit ist aufreibend,<br />
aber er hat Freude daran, und es bleibt<br />
ihm auch genug Zeit, Freunde zu treffen, zu joggen<br />
und Rad zu fahren: Er ist ein gesunder, lebensfroher,<br />
vitaler Typ.<br />
Diesen Abend jedoch ist alles anders. Norbert B.<br />
fühlt sich plötzlich unruhig und schwach. Sein<br />
Herz schlägt heftig bis in den Hals hinauf, und<br />
als er die Treppe in seine Wohnung hinaufgeht,<br />
spürt er eine ganz ungewohnte Luftnot. Jetzt<br />
beginnt er, sich Sorgen zu machen. Was ist los mit<br />
seinem Herzen? Es stottert in seinem Brustkorb wie<br />
ein Motor mit zu hoher Drehzahl und heftigen<br />
Fehlzündungen. Als er sich auf sein Bett legt, wird<br />
es nicht besser. Wenn er in sich hineinhorcht,<br />
bemerkt er unregelmäßiges Rattern verbunden mit<br />
einem leichten Druckgefühl im Brustkorb und<br />
Hals. Er tastet nach seinem Puls. Der Puls ist mal<br />
kräftig, mal kaum mehr fühlbar. Die Pulsschläge<br />
sind völlig unregelmäßig und sehr schnell. Er zählt<br />
142 Schläge in der Minute. Auch in der Nacht normalisiert<br />
sich der Herzschlag nicht. Er ist froh, als<br />
der Tag anbricht.<br />
Wie sich am nächsten Morgen beim Arzt herausstellt,<br />
handelt es sich um eine sogenannte Arrhythmia<br />
absoluta, nämlich um einen vollständig unregelmäßigen<br />
Herzschlag bei Vorhofflimmern.<br />
Häufigkeit<br />
Vorhofflimmern tritt so häufig auf, dass man von<br />
einer Volkskrankheit spricht. Insgesamt leiden in<br />
Deutschland 800 000 Menschen an Vorhofflimmern.<br />
Das Risiko, von Vorhofflimmern betroffen zu wer-<br />
den, steigt mit dem Alter. Bei Menschen unter 50<br />
Jahren liegt die Häufigkeit bei deutlich unter 1 %,<br />
bei den über 60-Jährigen liegt sie bei 4 – 6 % und<br />
bei den über 80-Jährigen bei 9 – 16 %.<br />
Männer sind in jüngeren Jahren häufiger betroffen<br />
als Frauen. Weil Frauen länger leben, gibt es jedoch<br />
gleich viele männliche wie weibliche Patienten mit<br />
Vorhofflimmern.<br />
Beschwerden<br />
Meistens tritt Vorhofflimmern so in Erscheinung:<br />
Das Herz ist völlig außer Takt – chaotisch folgen<br />
die Herzschläge aufeinander. Das Herz rast mit<br />
einem Puls von bis zu 160 Schlägen pro Minute,<br />
selten sogar noch schneller. Oft sind Herzstolpern<br />
und Herzrasen verbunden mit innerer Unruhe,<br />
Angstgefühlen, Abgeschlagenheit, einer Neigung<br />
zu schwitzen, Atemnot und einer Einschränkung<br />
der körperlichen Leistungsfähigkeit.<br />
Patienten, die schon herzkrank sind, leiden häufig<br />
besonders unter Atemnot, Brustschmerz und<br />
Schwindel, denn ihr schon angeschlagenes Herz<br />
kann die <strong>Herzrhythmus</strong>störung schlechter vertragen.<br />
Allerdings: Viele Menschen wissen nicht, dass sie<br />
Vorhofflimmern haben. Vorhofflimmern tritt bei ihnen<br />
ohne Beschwerden auf und wird nur durch<br />
Zufall beim Arzt entdeckt. Manchmal zu spät, nämlich<br />
erst dann, wenn Vorhofflimmern zu einem<br />
Schlaganfall geführt hat.<br />
Vorhofflimmern in vielfältiger Gestalt<br />
In der Regel tritt Vorhofflimmern zunächst in<br />
einem plötzlichen Anfall (akutes Vorhofflimmern)<br />
auf. Die <strong>Herzrhythmus</strong>störung beginnt plötzlich<br />
und hört meist innerhalb von 24 Stunden, seltener<br />
auch nach 48 bis 72 Stunden ebenso plötzlich<br />
35
wieder auf. Wenn<br />
bei einem jungen<br />
Menschen ein einmaliges<br />
Ereignis,<br />
z. B. zuviel Alkohol,<br />
einen solchen Anfall ausgelöst hat, kann es bei<br />
dieser einen Episode bleiben.<br />
Meist aber hat diese <strong>Herzrhythmus</strong>störung die<br />
Eigenschaft, wieder aufzutreten und chronisch zu<br />
werden. Zunächst tritt das Vorhofflimmern anfallsweise<br />
auf (paroxysmales Vorhofflimmern). Im weiteren<br />
Verlauf werden die Anfälle häufiger und je<br />
öfter sie auftreten, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit,<br />
dass die Zeit bis zum nächsten Anfall sich<br />
verkürzt. Denn jeder Anfall von Vorhofflimmern<br />
hat die Tendenz, das Herz elektrisch empfindlicher<br />
zu machen.<br />
Schließlich springt das Herz nicht mehr in den normalen<br />
<strong>Herzrhythmus</strong> zurück, das Vorhofflimmern<br />
bleibt bestehen (persistierendes Vorhofflimmern).<br />
Durch Medikamente oder durch eine Kardioversion<br />
lässt sich der <strong>Herzrhythmus</strong> wieder normalisieren.<br />
Bei der Kardioversion erhält der Patient<br />
über eine Infusion für wenige Minuten eine Kurznarkose.<br />
Auf Brust und Rücken werden Elektroden<br />
aufgesetzt, die einen Stromschlag auf das Herz<br />
abgeben. Diese Behandlung ist absolut schmerzfrei<br />
und hat in der überwiegenden Mehrzahl der<br />
Fälle Erfolg. Allerdings kommt es häufig zu Rückfällen.<br />
Wenn Vorhofflimmern fortschreitet, kann ein Zustand<br />
eintreten, in dem sich der <strong>Herzrhythmus</strong> jedem<br />
Normalisierungsversuch widersetzt. Es kommt<br />
zu Dauerflimmern (permanentes Vorhofflimmern).<br />
36<br />
oben: EKG-Ableitung im Herzen (linker Vorhof) bei Vorhofflimmern<br />
unten: Oberflächen-EKG bei Vorhofflimmern<br />
Was geschieht im Herzen?<br />
Bei Vorhofflimmern kreisen in den Herzvorhöfen<br />
elektrische Erregungswellen, die zu einer Vorhoffrequenz<br />
bis zu 350 Schlägen pro Minute führen.<br />
Dann können die Vorhöfe sich nicht mehr zusammenziehen,<br />
sie flimmern nur noch. An der Pumpleistung<br />
des Herzens können sie nicht mehr teilnehmen.<br />
Das leisten dann nur noch die Herzkammern<br />
selbst. Damit entfällt bis zu 20 % der Herzleistung.<br />
Fatal wäre es, wenn die hohe Frequenz der Vorhöfe<br />
auf die Herzkammern übergeleitet würde.<br />
Zum Glück hat der AV-Knoten, die einzige elektrische<br />
Verbindung zwischen Vorhöfen und Herzkammern,<br />
eine Wächterfunktion. Auch wenn er<br />
mit elektrischen Impulsen bombardiert wird, gibt<br />
er nur einem Teil dieser Impulse die Bahn zu den<br />
Herzkammern frei – das allerdings in unregelmäßigen<br />
Abständen. So entsteht in den Herzkammern<br />
eine ungeordnete, chaotische Herzschlagfolge,<br />
meistens mit hohen Frequenzen.<br />
Liegt der normale Herzschlag zwischen 60 – 100<br />
Schlägen pro Minute, so kann sich dieser bei Vorhofflimmern<br />
auf bis zu 160 Schlägen und mehr steigern.<br />
Allerdings kommt es auch vor, dass der AV-Knoten<br />
bei Vorhofflimmern zu sehr bremst, so dass die<br />
Pulsfrequenz zu niedrig wird und zu einer sogenannten<br />
Bradyarrhythmia absoluta wird, die mit<br />
einem Herzschrittmacher behandelt werden muss.
Ursachen<br />
Störende elektrische Impulse, die Vorhofflimmern<br />
hervorrufen können, kommen meist aus dem Bereich,<br />
in dem die Lungenvenen in die Hinterwand<br />
des linken Vorhofs münden. Eine wichtige Rolle<br />
für die Entstehung dieser <strong>Herzrhythmus</strong>störung<br />
spielt die Beschaffenheit des Herzmuskelgewebes.<br />
Narben und Entzündungen verändern dessen<br />
Struktur und bereiten dadurch den Boden für die<br />
Entstehung von Vorhofflimmern. Insbesondere<br />
Herzkrankheiten führen zu solchen schädigenden<br />
Veränderungen des Herzmuskelgewebes: vor allem<br />
der hohe Blutdruck, der bei fast 40 % der Patienten<br />
mit Vorhofflimmern vorliegt, aber auch die koronare<br />
Herzkrankheit, Herzklappenerkrankungen,<br />
dilatative und hypertrophe Kardiomyopathie, Myokarditis.<br />
Auch eine Überfunktion der Schilddrüse<br />
kann Vorhofflimmern verursachen. Chronische<br />
Lungenerkrankungen und schwere Allgemeininfektionen<br />
gehen ebenfalls in erhöhtem Maße mit<br />
dieser Rhythmusstörung einher.
Bei etwa 10 % der Patienten finden sich jedoch keine<br />
Erkrankungen, die das Vorhofflimmern erklären<br />
können. In diesen Fällen sprechen die Ärzte<br />
von idiopathischem, d. h. eigenständigem Vorhofflimmern<br />
(lone atrial fibrillation). Gerade bei Patienten<br />
mit Herzerkrankungen, aber auch bei Gesunden,<br />
gibt es Reize (sogenannte Trigger), die<br />
Vorhofflimmern auslösen können: Alkohol, Schlafentzug,<br />
emotionaler Stress, Koffein, opulente Mahlzeiten.<br />
38<br />
Persistierendes Vorhofflimmern<br />
vor Kardioversion<br />
Folgen<br />
Vorhofflimmern an sich ist nicht lebensbedrohlich.<br />
Aber es kann zu schwerwiegenden Folgen führen,<br />
wenn es nicht behandelt wird.<br />
Beim Vorhofflimmern verlangsamt sich die Geschwindigkeit<br />
des Blutflusses in den Vorhöfen. Dadurch<br />
entstehen Blutgerinnsel, besonders in einer<br />
Ausbuchtung des Vorhofs, dem sogenannten Herzohr<br />
(s. Abb. S. 39). Werden diese Gerinnsel vom<br />
Blutstrom mitgeschleppt, dann können sie Arterien<br />
verschließen. Besonders gefürchtet ist der Verschluss<br />
einer Gehirnarterie: Schlaganfall. Der<br />
Elektrokardioversion<br />
Sinusrhythmus<br />
nach Kardioversion<br />
Schlaganfall ist die größte Gefahr, die vom Vorhofflimmern<br />
ausgeht. Die Gefährdung ist jedoch<br />
sehr unterschiedlich. Junge, herzgesunde Menschen<br />
mit Vorhofflimmern sind wenig gefährdet.<br />
Alte, herzkranke Patienten haben ein hohes Risiko.<br />
Um sie vor dem Schlaganfall zu schützen, müssen<br />
konsequent gerinnungshemmende Medikamente<br />
gegeben werden (siehe im Einzelnen S. 65).<br />
Eine weitere Gefahr besteht darin, dass das Herz<br />
durch die schnelle Herzschlagfolge geschädigt wird,<br />
so dass es zu einer Herzschwäche kommen kann.<br />
Dieser Prozess kann schleichend erfolgen, aber<br />
auch plötzlich zu einem akuten Herzversagen führen,<br />
wenn die hohe Pulsfrequenz wochenlang anhält.<br />
Man spricht dann von einer Tachymyopathie.<br />
So ist es dem 44-jährigen Betriebswirt Gerhard W.<br />
ergangen. Er hatte gemeinsam mit seiner Frau den<br />
dringend benötigten Urlaub auf Mallorca angetreten.<br />
Schon in der Woche vor Urlaubsbeginn hatte<br />
er sich wenig leistungsfähig gefühlt. Trotz des<br />
wunderbaren Wetters und eines exzellenten Hotels<br />
wurde das Befinden nicht besser, im Gegenteil, er<br />
hatte oft Mühe, Luft zu bekommen, nahm deutlich<br />
an Gewicht zu, die Beine wurden immer
Linker Vorhof<br />
Gerinnsel im<br />
Vorhof bei<br />
Vorhofflimmern<br />
dicker. Aufgefallen war ihm, dass das Herz sehr<br />
viel schneller als sonst schlug, aber darüber dachte<br />
er nicht weiter nach.<br />
Erst Tage nach seiner Rückkehr suchte er den Arzt<br />
auf. Der wies ihn sofort in eine Klinik ein: Ein<br />
offenbar seit Wochen bestehender schneller unregelmäßiger<br />
Herzschlag bei Vorhofflimmern, eine<br />
sogenannte Tachyarrhythmia absoluta, hatte zu<br />
einer schweren Schwächung der Herzfunktion<br />
geführt. Durch die andauernd hohe Herzschlagfolge<br />
und die damit verbundene Herzbelastung<br />
war die Auswurfleistung des Herzens auf etwa<br />
30 % verringert. In der Klinik wurde der <strong>Herzrhythmus</strong><br />
durch eine Kardioversion regularisiert,<br />
das Herz durch Medikamente entlastet. Zur Weiterbehandlung<br />
erhielt Gerhard W. einen Betablocker<br />
und eine Gerinnungshemmung wurde<br />
eingeleitet.<br />
Gerhard W. fühlte sich rasch besser. Die Pumpfunktion<br />
des Herzens hat sich aber erst nach vielen<br />
Monaten wieder erholt.<br />
Die Ultraschallaufnahme<br />
zeigt ein Gerinnsel im linken<br />
Vorhof, das im Blutstrom<br />
mitgerissen einen Schlaganfall<br />
verursachen kann.<br />
Wichtig: Bei Herzschwäche kann ein Anfall<br />
von Vorhofflimmern den Krankheitszustand<br />
akut verschlechtern. Das Vorhofflimmern<br />
muss daher durch eine Kardioversion beendet<br />
werden.<br />
Untersuchungen<br />
In vielen Fällen wird die Vorgeschichte, die<br />
körperliche Untersuchung sowie ein Ruhe-<br />
EKG die Diagnose des Vorhofflimmerns sichern.<br />
Das EKG gibt Auskunft über die elektrische<br />
Aktivität des Herzens. Dadurch lässt<br />
sich Vorhofflimmern eindeutig diagnostizieren,<br />
z. B. während eines Anfalls.<br />
Im Langzeit-EKG wird die Pulsschlagfolge bei<br />
Vorhofflimmern unter Alltagsbedingungen<br />
kontrolliert. Es können dadurch auch mehr<br />
oder weniger lange Vorhofflimmerepisoden<br />
bei sonst normalem Rhythmus entdeckt werden.<br />
Bei nur selten auftretenden Episoden hilft sehr gut<br />
ein Telemonitoring zur Diagnostik: Ein scheckkartengroßes<br />
EKG-Gerät trägt der Patient ständig bei<br />
sich. Dieses registriert den <strong>Herzrhythmus</strong>, wenn<br />
das Vorhofflimmern auftritt. Nach der Übertragung<br />
des EKGs über ein normales Telefon wird es vom<br />
Arzt ausgewertet. Selten auftretende Störungen<br />
können damit erfolgreich identifiziert werden.<br />
Blutuntersuchungen überprüfen die Nieren-, Leber-<br />
und Schilddrüsenfunktion ebenso wie die Elektrolyte<br />
Magnesium und Kalium.<br />
Abgeklärt werden muss, ob eine Herzerkrankung<br />
dem Vorhofflimmern zugrundeliegt: Belastungs-<br />
EKG, Herzecho, evtl. auch die Herzkatheteruntersuchung<br />
können dies klären. Insbesondere ist dabei<br />
nach einem Herzklappenfehler, einem schlecht<br />
eingestellten hohen Blutdruck, einer Verengung<br />
der Herzkranzgefäße oder einer eingeschränkten<br />
Pumpfunktion des Herzens (Herzschwäche) zu suchen.<br />
Bei jungen Patienten, bei erheblichen Beschwerden<br />
und bei bestimmten anderen Herzrhyth-<br />
39
mus<strong>störungen</strong> wie z. B. Vorhofflattern oder WPW-<br />
Syndrom (Wolff-Parkinson-White-Syndrom), ist<br />
eine sogenannte elektrophysiologische Untersuchung<br />
erforderlich. Dabei können die elektrischen<br />
Ströme, die durch das Herz fließen, direkt gemessen<br />
werden.<br />
Auch die Lungenfunktion muss überprüft werden.<br />
40<br />
Therapie<br />
Neu auftretendes Vorhofflimmern sollte den Patienten<br />
zum Arzt führen, möglichst innerhalb der<br />
ersten 24, spätestens aber nach 48 Stunden, damit<br />
die Rhythmusstörung abgeklärt und so rechtzeitig<br />
behandelt werden kann, dass keine gefährlichen<br />
Blutgerinnsel in den Herzvorhöfen entstehen.<br />
Soll Vorhofflimmern erfolgreich therapiert werden,<br />
kommt es darauf an, Herzkrankheiten wie Bluthochdruck,<br />
koronare Herzkrankheit, Klappenerkrankungen,<br />
Kardiomyopathie, die als Ursache<br />
der <strong>Herzrhythmus</strong>störung in Frage kommen, zu<br />
diagnostizieren und konsequent zu behandeln. Bei<br />
einem großen Teil der Patienten handelt es sich<br />
um einen hohen Blutdruck, der zuverlässig einge-<br />
Herzfrequenzverlauf in einem Langzeit-EKG eines<br />
Patienten mit zwei Episoden von anfallsweisem Vorhofflimmern.<br />
Eingefügte EKG-Streifen während Sinusrhythmus<br />
(links) und während Arrhythmia absoluta (rechts).<br />
stellt werden muss. Dabei trifft es sich gut, dass Medikamente<br />
wie ACE-Hemmer und Sartane, die den<br />
Blutdruck senken, nach neueren Erkenntnissen zugleich<br />
direkt das Vorhofflimmern günstig beeinflussen.<br />
Anzumerken ist, dass Übergewicht nicht nur ein<br />
Risikofaktor für hohen Blutdruck und andere Herzkrankheiten<br />
ist, sondern auch direkt das Risiko für<br />
Vorhofflimmern erhöht. Um Vorhofflimmern zu<br />
verhindern oder einzudämmen, sollte Normalgewicht<br />
angestrebt werden.<br />
Heute stehen für die Behandlung von Vorhofflimmern<br />
viele spezielle Therapien zur Verfügung. Hier<br />
hat es in den letzten Jahren große Fortschritte gegeben.<br />
Das gilt für die Behandlung mit<br />
■ Medikamenten,<br />
■ nicht-medikamentösen Verfahren, bei denen<br />
<strong>heute</strong> die Katheterablation von Vorhofflimmern<br />
im Vordergrund steht,<br />
■ operativen Verfahren.<br />
Der heutige Stand der verschiedenen Therapiemöglichkeiten<br />
wird in den folgenden Kapiteln erörtert.<br />
Dabei wird besonders auf die Probleme der<br />
Gerinnungshemmung eingegangen.
Medikamente gegen Vorhofflimmern<br />
Wirkungen, Nebenwirkungen, Pill in the Pocket<br />
Helfen Medikamente bei Vorhofflimmern?<br />
Wie steht es mit den Nebenwirkungen?<br />
Sind Medikamente überhaupt<br />
nötig, wenn das Vorhofflimmern keine<br />
oder nur wenige Beschwerden auslöst?<br />
Kann man nicht auf sie verzichten?<br />
Vorhofflimmern ist zwar nicht lebensbedrohend,<br />
kann aber schwerwiegende<br />
Folgen haben. Wichtige Gründe<br />
sprechen dafür,Vorhofflimmern durch<br />
Medikamente zu behandeln. Die Möglichkeiten<br />
der Rhythmustherapie sind<br />
<strong>heute</strong> vielfältiger und effektiver, aber<br />
auch komplizierter als noch vor wenigen<br />
Jahren. Sie hat folgende Ziele:<br />
■ Anfälle von Vorhofflimmern zu verhindern.<br />
Vorhofflimmern hat die Tendenz, sich<br />
selbst zu verstärken und immer häufiger aufzutreten.<br />
Die Medikamente sollen diesen Prozess<br />
aufhalten oder abbremsen.<br />
■ das Herz zu schützen, damit die Belastung durch<br />
Herzrasen nicht zur Herzschwäche führt oder<br />
eine bestehende Herzschwäche noch weiter<br />
verschlimmert.<br />
■ die Beschwerden erträglicher zu machen und<br />
die Lebensqualität zu verbessern – auch<br />
dadurch, dass weniger Arztbesuche und Krankenhausaufenthalte<br />
notwendig werden.<br />
Da Vorhofflimmern meist durch andere Krankheiten<br />
verursacht wird, ist es wichtig, die Grunder-<br />
Prof. Dr. med. Dr. h.c. Berndt Lüderitz, Bonn<br />
krankung möglichst effektiv<br />
zu behandeln. Zum Beispiel<br />
muss der Bluthochdruck, der bei<br />
der Entstehung von Vorhofflimmern<br />
eine so große Rolle spielt, gut<br />
eingestellt werden. Dasselbe gilt für eine<br />
gestörte Schilddrüsenfunktion, für Klappenund<br />
Lungenerkrankungen und für die koronare<br />
Herzkrankheit. Das ist die Voraussetzung<br />
dafür, dass die Therapie mit Rhythmusmedikamenten<br />
erfolgreich ist. Möglichkeiten<br />
und Grenzen dieser Therapie,<br />
auch die neuen Entwicklungen, die sich<br />
in den letzten Jahren ergeben haben, sollen<br />
im folgenden dargestellt werden.<br />
Zwei Möglichkeiten<br />
Für die Therapie mit Rhythmusmedikamenten<br />
(Antiarrhythmika) gibt es zwei Möglichkeiten:<br />
■ die Rhythmuskontrolle: d. h. das Vorhofflimmern<br />
zu beseitigen und einen regelmäßigen<br />
<strong>Herzrhythmus</strong> aufrechtzuerhalten;<br />
■ die Frequenzkontrolle: d. h. nur das Herzrasen<br />
(die schnelle Herzschlagfolge von bis zu 160<br />
Schlägen pro Minute) zu normalisieren, so dass<br />
die Herzfrequenz in Ruhe zwischen 60 und 90<br />
und unter Belastung zwischen 90 und 115 Schlägen<br />
pro Minute liegt. Das Vorhofflimmern selbst<br />
wird belassen.<br />
41
Rhythmuskontrolle: Rhythmuskontrolle ist vor allem<br />
bei Patienten sinnvoll, bei denen die Rhythmusstörung<br />
neu aufgetreten ist, und bei Patienten,<br />
die durch den chaotischen <strong>Herzrhythmus</strong> ausgeprägte<br />
Beschwerden haben. Eine ganze Reihe von<br />
Medikamenten steht dafür zur Verfügung. Sie haben<br />
verschiedene Wirkprofile und verschiedene<br />
Nebenwirkungen. Eine genaue Diagnose, auch aller<br />
Begleiterkrankungen, ist Voraussetzung der Therapie.<br />
Jedes Rhythmusmittel – Ausnahme Betablocker –<br />
bringt ein großes Problem mit sich. Es kann selten<br />
– im Bereich weniger Prozente – die Rhythmusstörung<br />
verstärken und lebensbedrohliche <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
hervorrufen – am häufigsten zu Beginn<br />
einer Therapie. Deshalb wird die Therapie<br />
mit <strong>Herzrhythmus</strong>medikamenten mit besonderen<br />
Vorsichtsmaßnahmen eingeleitet (s. Nebenwirkungen<br />
S. 45).<br />
Zunächst werden fast immer Betablocker (Metoprolol,<br />
Bisoprolol) eingesetzt, weil sie keine <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
auslösen. Sie sind die Grundlage<br />
der Therapie. Reicht ihre Wirksamkeit nicht<br />
42<br />
aus, werden zusätzlich andere Medikamente empfohlen.<br />
Um bestimmte Nebenwirkungen der anderen<br />
Rhythmusmedikamente abzumildern, werden<br />
oft die Betablocker – meist in niedriger Dosierung<br />
– weitergegeben. Die Tabelle gibt modifiziert<br />
die Empfehlungen der neuen Leitlinien zu<br />
Vorhofflimmern 2006 der American Heart Association<br />
und European Society of Cardiology wieder.<br />
Die Entscheidung, welches Rhythmusmedikament<br />
gewählt wird, hängt von der begleitenden<br />
Herzkrankheit ab, vor allem von der Leistungsfähigkeit<br />
des Herzens.<br />
Liegt keine oder nur eine minimale Herzerkrankung<br />
vor, wird Flecainid oder Propafenon empfohlen. Ist<br />
damit kein Erfolg zu erzielen, kommt Amiodaron<br />
in Betracht. Bei koronarer Herzerkrankung empfehlen<br />
die Leitlinien Sotalol, obwohl Sotalol wegen<br />
seines Potentials <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> auszulösen<br />
von vielen Herzspezialisten kritisch beurteilt<br />
wird. Für Patienten mit schwerer Pumpschwäche<br />
kommt als Medikament nur Amiodaron in Frage.<br />
Vereinzelt werden in Deutschland noch Klasse IA-<br />
Antiarrhythmika verordnet (Chinidin, Cordichin).<br />
Empfehlungen zur medikamentösen Therapie bei Vorhofflimmern,<br />
wenn ein regelmäßiger <strong>Herzrhythmus</strong> erreicht werden soll<br />
Zunächst werden fast immer Betablocker eingesetzt. Sind sie unwirksam, werden die folgenden<br />
Medikamente empfohlen:<br />
1. Wahl 2. Wahl<br />
keine oder minimale Flecainid Amiodaron<br />
Herzerkrankung Propafenon oder Katheterablation<br />
Bluthochdruck ohne deutliche Flecainid Amiodaron<br />
Vergrößerung der linken Herzkammer Propafenon oder Katheterablation<br />
Sotalol<br />
Bluthochdruck mit deutlicher Amiodaron Katheterablation<br />
Vergrößerung der linken Herzkammer<br />
koronare Herzerkrankung Sotalol Amiodaron<br />
oder Katheterablation<br />
schwere Pumpschwäche Amiodaron Katheterablation
Diese Medikamente werden in dem Behandlungsschema<br />
der neuen Leitlinien nicht empfohlen.<br />
Je früher das Vorhofflimmern behandelt wird, desto<br />
besser sind die Aussichten, dass Medikamente<br />
weitere Anfälle verhindern können.<br />
Auf Dauer lassen sich leider trotz mehrfachen Medikamentenwechsels<br />
und Dosissteigerung die Anfälle<br />
von Vorhofflimmern meist nicht verhindern.<br />
Eine Neuerung ist, dass die Leitlinien bei Patienten<br />
mit ausgeprägten Beschwerden, bei denen Medikamente<br />
nicht mehr helfen, die Katheterablation<br />
(s. S. 48) als Routineverfahren empfehlen – zum Beispiel<br />
als Alternative zur Therapie mit Amiodaron.<br />
Frequenzkontrolle: Dagegen ist die Frequenzkontrolle<br />
angebracht nach erfolgloser Rhythmuskontrolle<br />
sowie bei Patienten, denen das Vorhofflimmern<br />
keine Beschwerden bereitet, und bei Patienten,<br />
bei denen das Vorhofflimmern eine Pumpschwäche<br />
des Herzens hervorruft. Hier kommen<br />
folgende Medikamente in Frage:<br />
■ Betablocker (Metoprolol, Atenolol, Esmolol)<br />
■ Calciumantagonisten (Verapamil, Diltiazem)<br />
■ Digitalisglykoside (Digoxin, Digitoxin)<br />
■ Sonstige (Amiodaron, Sotalol)<br />
44<br />
rechter Vorhof<br />
rechte Herzkammer<br />
Vorhofflimmern<br />
linker Vorhof<br />
linke Herzkammer<br />
Für gesunde und leicht geschädigte Herzen sind<br />
Betablocker und Calciumantagonisten die erste<br />
Wahl, bei Patienten mit einem geschädigten Herzen<br />
(Herzschwäche) Digitalisglykoside. Wenn diese<br />
Medikamente oder eine Kombination dieser Medikamente<br />
nicht ausreichend wirksam sind, werden<br />
Amiodaron oder Sotalol eingesetzt.<br />
Die Diskussion, bei welchen Patienten eine Aufrechterhaltung<br />
eines normalen <strong>Herzrhythmus</strong> angestrebt<br />
werden sollte, und bei welchen Kranken<br />
lediglich die Herzfrequenz zu kontrollieren ist, wurde<br />
durch zwei richtungsweisende Studien nachhaltig<br />
belebt: einmal durch die AFFIRM-Studie und<br />
zum anderen durch die RACE-Studie. Beide Studien<br />
zeigen eindeutig, dass die Frequenzkontrolle<br />
im allgemeinen der Rhythmuskontrolle nicht unterlegen<br />
ist und dass die Wiederherstellung des<br />
normalen <strong>Herzrhythmus</strong> nicht um jeden Preis erzwungen<br />
werden sollte.<br />
Die Erfahrung zeigt, dass sich Patienten in aller Regel<br />
ans Vorhofflimmern gewöhnen, wenn die Frequenz<br />
normal ist. Dazu braucht es allerdings Geduld.<br />
Es können viele Monate vergehen, bis eine<br />
vollständige Gewöhnung erreicht ist.
Nebenwirkungen<br />
Antiarrhythmika haben Nebenwirkungen wie<br />
alle wirksamen Medikamente. Da sie die Besonderheit<br />
haben, dass sie in seltenen Fällen paradoxerweise<br />
das Vorhofflimmern verstärken oder sogar<br />
zu anderen bedrohlichen <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
führen, müssen vor Einleitung der Therapie<br />
die Voraussetzungen gründlich abgeklärt<br />
werden. Bei jedem Patient muss sorgfältig der Nutzen<br />
der Therapie gegen ihr Risiko abgewogen<br />
werden.<br />
Bei Patienten mit Herzerkrankungen sollte die<br />
Behandlung mit <strong>Herzrhythmus</strong>medikamenten –<br />
Ausnahme Betablocker – in der Klinik eingeleitet<br />
und überwacht werden, damit lebensbedrohliche<br />
<strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong>, die unter Umständen<br />
auftreten, mit einem Elektroschock beendet<br />
werden können. Bei Patienten ohne begleitende<br />
Herzerkrankung ist die Einleitung der<br />
Therapie Sache des Kardiologen. Die regelmäßige<br />
Verlaufskontrolle kann auch beim Internisten<br />
oder Hausarzt erfolgen.<br />
Der Organismus muss genug Kalium und Magnesium<br />
aufweisen, weil das Herz sonst für Rhythmus<strong>störungen</strong><br />
anfällig wird. Während einer<br />
Behandlung mit <strong>Herzrhythmus</strong>mitteln sollten<br />
Kalium und Magnesium regelmäßig überprüft<br />
werden, am besten im Abstand von zwei bis drei<br />
Monaten.<br />
Vorhofflimmern:<br />
Oberflächen-EKG (oben)<br />
EKG aus dem rechten Vorhof (unten)<br />
Auf die Schilddrüsenfunktion, die Funktion der<br />
Nieren und die Leistungsfähigkeit des Herzens<br />
muss geachtet werden, um nicht Nebenwirkungen<br />
der Antiarrhythmika zu provozieren.<br />
Für die Wahl des Medikamentes ist die Sicherheit<br />
des Patienten ausschlaggebend. Besonders gut<br />
verträglich sind Betablocker, aber oft reichen sie<br />
nicht aus, um Vorhofflimmern zu unterdrücken.<br />
Sotalol nimmt eine Sonderstellung ein. Es ist effektiver<br />
als die reinen Betablocker, aber das wird<br />
erkauft mit der typischen Eigenschaft der Antiarrhythmika,<br />
in seltenen Fällen erhebliche <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
hervorzurufen. Flecainid und<br />
Propafenon sind wirkungsvoll, setzen aber voraus,<br />
dass der Patient nicht an einer Pumpschwäche<br />
des Herzens oder an einer koronaren Herzkrankheit<br />
leidet. Amiodaron ist besonders effektiv<br />
und kann auch bei Patienten mit schweren<br />
Herzkrankheiten eingesetzt werden, ohne dem<br />
Herzen zu schaden. Aber auf lange Sicht und vor<br />
allem in höheren Dosierungen hat es gelegentlich<br />
schwerwiegende Nebenwirkungen, die es<br />
nötig machen, den Patienten sorgfältig zu überwachen:<br />
z. B. Funktionsstörung der Schilddrüse<br />
und Leber, Lichtempfindlichkeit der Haut und Ablagerungen<br />
in der Hornhaut. Deshalb sind engmaschige<br />
Kontrolluntersuchungen in dreimonatigen<br />
Abständen notwendig.<br />
45
46<br />
Begleitmedikamente<br />
Von Nutzen ist häufig eine bestimmte Begleitmedikation.<br />
Erst jüngst ergaben sich Hinweise dafür,<br />
dass cholesterinsenkende Statine bei Patienten<br />
mit koronarer Herzkrankheit dem Vorhofflimmern<br />
vorbeugen.<br />
Sartane (Angiotensin-II-Rezeptor-Antagonisten)<br />
verringern das Auftreten von Vorhofflimmern einschließlich<br />
Rückfällen, vermutlich weil sie verhindern,<br />
dass sich die Vorhöfe des Herzens strukturell<br />
verändern. Entsprechende Befunde liegen für<br />
die Wirkstoffe Candesartan, Valsartan und Irbesartan<br />
vor – speziell in Kombination mit Amiodaron.<br />
Ähnliche Wirkungen sind von den ACE-Hemmern<br />
zu erwarten.<br />
Neue Medikamente?<br />
Bisher gibt es kein ideales Medikament gegen <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong>.<br />
Die Therapie ist oft ein mühsamer<br />
Prozess, der in vielen Fällen auch das Wechseln<br />
der Medikamente erfordert, weil Patienten auf<br />
die Medikamente nicht ausreichend ansprechen<br />
oder die Nebenwirkungen zu groß sind. Deshalb<br />
richten sich die Hoffnungen auf die Entwicklung<br />
neuer Arzneimittel. Eine Reihe neuer Substanzen<br />
zur Behandlung von Vorhofflimmern wird zurzeit<br />
in großen Studien erprobt. Zu diesen Studienmedikamenten<br />
zählen Azimilide, Dofetilide, Dronedarone,<br />
Tedisamil, Ambasilide und andere. Leider<br />
steht der definitive Nachweis, dass sie überzeugend<br />
wirken und weniger Nebenwirkungen haben<br />
als die bisher verwandten Antiarrhythmika,<br />
noch aus. Dofetilide ist in den USA zugelassen,<br />
aber die Herstellerfirma plant nicht, diesen Wirkstoff<br />
in absehbarer Zeit in Deutschland auf den<br />
Markt zu bringen.<br />
Pill in the pocket<br />
Bei Anfällen von Vorhofflimmern (paroxysmales<br />
Vorhofflimmern) hat das neue Konzept der Pill in<br />
the pocket-Therapie für herzgesunde Patienten besonderes<br />
Interesse gefunden. Die in der Tasche<br />
des Patienten mitgeführte Rhythmuspille wird nur<br />
bei einem Anfall, nicht auf Dauer, eingenommen.<br />
Mit der Rhythmuspille lässt sich der normale, regelmäßige<br />
Rhythmus meist innerhalb von einer bis<br />
zwei Stunden wiederherstellen. Die Erfolgsquote<br />
liegt <strong>heute</strong> bei mehr als 80 %.<br />
Voraussetzung für einen sinnvollen Einsatz der Therapie<br />
ist, dass die Anfälle nicht zu oft auftreten,<br />
maximal zwei- bis dreimal im Monat, und Beschwerden<br />
verursachen. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen<br />
werden vor allem Flecainid und Propafenon<br />
empfohlen. Patienten mit einem Körpergewicht unter<br />
75 kg nehmen einmal 200 bis 300 mg Flecainid<br />
oder einmal 600 mg Propafenon ein, sobald Vorhofflimmern<br />
auftritt. Amiodaron kommt nicht in Frage,<br />
da die Wirkung zu langsam eintritt.<br />
Die erste Anwendung muss im Krankenhaus oder<br />
in der kardiologischen Praxis erfolgen, um sicherzustellen,<br />
dass keine lebensbedrohlichen <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
entstehen. Der Patient darf die<br />
festgelegte Dosis auf keinen Fall selbständig ändern<br />
oder gar das Medikament von sich aus wechseln.<br />
Deshalb kommen für die Therapie nur Patienten<br />
in Betracht, von denen zu erwarten ist, dass<br />
sie sich strikt an die Vorgaben der Ärzte halten.<br />
Wenn das Vorhofflimmern nach sechs bis acht Stunden<br />
nach Einnahme des Medikaments nicht verschwindet<br />
oder wenn Nebenwirkungen auftreten<br />
(krankhafte Pulsverlangsamung oder -beschleunigung,<br />
Schwindel, Bewusstlosigkeit), muss der Patient<br />
den Arzt oder die Klinik aufsuchen.<br />
Der Vorteil besteht darin, dass statt der üblichen<br />
Dauertherapie Medikamente nur gelegentlich –<br />
nämlich im Anfall – eingenommen werden. Weniger<br />
Medikamente bedeuten auch weniger Nebenwirkungen.<br />
Die Blutverdünnung wird genauso<br />
durchgeführt, wie es sonst bei Vorhofflimmern nach<br />
den Leitlinien gehandhabt wird (s. S. 65 ff.).<br />
Das Pill in the pocket-Prinzip kommt nicht in Frage<br />
bei Herzkrankheiten, Pulsverlangsamung, Erregungsleitungs<strong>störungen</strong>,<br />
Alter über 75 Jahre, Nieren-<br />
und Leberfunktionsschwäche, Schwangerschaft<br />
oder Kaliummangel sowie Unverträglichkeit<br />
oder Gegenanzeigen bei bestimmten Rhythmusmitteln.
Welche Ergebnisse die Pill in the<br />
pocket-Therapie auf lange Sicht<br />
hat, ist noch nicht bekannt. Aber<br />
schon <strong>heute</strong> ist dieses Verfahren<br />
eine wesentliche Bereicherung<br />
der Behandlungsmöglichkeiten<br />
von anfallsweisem Vorhofflimmern.<br />
Begünstigende Faktoren<br />
Wissenschaftliche Untersuchungen<br />
zeigen, dass Übergewicht<br />
Vorhofflimmern begünstigt.<br />
Maßgeblich ist der<br />
Bauchumfang, der bei Männern<br />
94 cm und bei Frauen<br />
80 cm nicht überschreiten<br />
sollte. Eine Normalisierung<br />
des Gewichts unterstützt die<br />
Therapie. Sie ist eine Maßnahme<br />
mit nur positiven Nebenwirkungen.<br />
Ein zweiter Punkt ist Alkohol. Die<br />
Herzvorhöfe sind besonders empfindlich<br />
gegen Alkohol. Deswegen sollte,<br />
wer unter Vorhofflimmern leidet, auf jeden<br />
Fall alle scharfen, hochprozentigen<br />
Alkoholika wie Schnäpse, Liköre, Cocktails,<br />
Whisky, Gin, etc. unbedingt meiden.<br />
Wer aus Gründen der Lebenslust<br />
nicht ganz auf Alkohol verzichten<br />
will, dem empfehle ich Weinschorle<br />
oder, wenn er schon ein Glas Wein genießen<br />
will, dazu reichlich Mineralwasser<br />
zu trinken.<br />
Ein Wort zur körperlichen Aktivität:<br />
Manche Menschen sind durch Vorhofflimmern<br />
so verängstigt, dass sie<br />
sich möglichst wenig bewegen. Das<br />
ist falsch. Auf Bewegung sollte auf<br />
keinen Fall verzichtet werden, außer,<br />
wenn schwere Herzkrankheiten<br />
wie Kardiomyopathie<br />
oder Myokarditis körperliche<br />
Schonung erfordern. Besonders<br />
zu empfehlen ist Bewegung, die<br />
auf Ausdauer angelegt ist, tägliches Spazierengehen,<br />
Radfahren, Joggen, Nordic Walking,<br />
Schwimmen.<br />
Alternativen<br />
Wenn Medikamente nicht oder nicht mehr<br />
helfen, steht die heutige Medizin nicht mit<br />
leeren Händen da. In den letzten Jahren<br />
haben sich alternative Verfahren, vor<br />
allem die sogenannte Katheterablation,<br />
vielversprechend entwickelt.<br />
Mit Hochfrequenzstrom werden<br />
Herzmuskelbereiche so verödet,<br />
dass Isolationslinien in den Herzvorhöfen<br />
entstehen, die die Ausbreitung<br />
des Vorhofflimmerns verhindern<br />
(s. S. 48).<br />
Eine Ergänzung kann die Hybridtherapie<br />
sein: Denn bei 10 – 20 % der Patienten<br />
kommt es unter antiarrhythmischer<br />
Therapie des Vorhofflimmerns zu einem<br />
Umschlag in Vorhofflattern.<br />
Dieses kann relativ einfach durch eine<br />
Katheterablation beseitigt werden<br />
(s. S. 70). Bei geeigneten Patienten kann<br />
durch die Hybridtherapie in 90% der<br />
Fälle ein normaler <strong>Herzrhythmus</strong> erreicht<br />
werden. Nachteil dieser Therapie<br />
ist, dass die Behandlung mit<br />
Antiarrhythmika zur Verhinderung<br />
des Vorhofflimmerns weitergeführt<br />
werden muss.<br />
47
48<br />
Vorhofflimmern:<br />
wenn Medikamente nicht mehr helfen<br />
Joseph H. stellt die schwarze Reisetasche ab und<br />
setzt sich auf die Bettkante. Unsicher und etwas<br />
angespannt sieht er sich um. „Schon wieder im<br />
Krankenhaus, dieses verdammte Vorhofflimmern“,<br />
denkt er. Sein Kardiologe hatte ihm als Therapie<br />
eine Katheterablation vorgeschlagen und ihn dafür<br />
in eine Klinik mit besonderer Erfahrung in der<br />
Behandlung von <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> eingewiesen.<br />
Er hatte Joseph H. Mut gemacht, weil dadurch<br />
<strong>heute</strong> bei vielen Patienten mit Vorhofflimmern<br />
eine Heilung erreicht werden kann. „Heilung<br />
von Vorhofflimmern – nie wieder Vorhofflimmern“,<br />
dachte Joseph H. und wollte es kaum glauben. Aber<br />
fest entschlossen, den Eingriff durchführen zu lassen,<br />
war er noch nicht. Er wollte sich zuvor ein Bild<br />
von den Möglichkeiten, den Erfolgsaussichten und<br />
auch den Risiken der Katheterablation machen.<br />
Was hatte er nicht alles schon versucht, um das Vorhofflimmern<br />
loszuwerden? Joseph H. denkt zurück:<br />
1997 die ersten kurzen Anfälle von Vorhofflimmern.<br />
20 Minuten bis maximal zwei Stunden<br />
hatten die Episoden von Vorhofflimmern zunächst<br />
gedauert und waren im ersten Jahr immer wieder<br />
von selbst in einen normalen <strong>Herzrhythmus</strong> zurückgesprungen.<br />
Damals hatte er noch über Wochen,<br />
manchmal über Monate völlige Ruhe. Zwei<br />
Jahre später hatten die Anfälle deutlich zugenommen.<br />
Zunächst einmal im Monat, dann jede Woche,<br />
teilweise auch mehrfach in der Woche über<br />
viele Stunden Vorhofflimmern. Joseph H. fiel es<br />
dann schwer, wie gewohnt in seinem Beruf als Betriebsschlosser<br />
zu arbeiten. Immer, wenn das Vorhofflimmern<br />
auftrat und das Herz raste, war er körperlich<br />
nicht belastbar, die Luft blieb einfach weg.<br />
Und zusätzlich diese innere Unruhe, die es ihm unmöglich<br />
machte sich zu konzentrieren.<br />
Heilung durch Katheterablation<br />
Prof. Dr. med. Gerhard Hindricks und Prof. Dr. med. Hans Kottkamp,<br />
Leitende Ärzte, Abteilung für Rhythmologie, Universitätsklinik Leipzig/Herzzentrum<br />
Dann hatte er Rhythmusmedikamente bekommen<br />
(Antiarrhythmika). Innerhalb der ersten sechs Monate<br />
lief es relativ gut. Das Vorhofflimmern trat viel<br />
seltener auf, und die Anfälle waren kürzer. Aber<br />
der Behandlungserfolg war leider nicht von Dauer.<br />
Kurz vor Ostern war die Rhythmusstörung trotz<br />
der Medikamente wieder heftig aufgetreten. Als<br />
nach einer Woche immer noch kein normaler <strong>Herzrhythmus</strong><br />
zurückgekehrt war, empfahl ihm sein<br />
Kardiologe eine Kardioversion (Elektroschockbehandlung).<br />
Sie war erfolgreich, und Joseph H.<br />
erinnert sich gut, wie erleichtert er damals gewesen<br />
war. Doch die Freude hielt nicht lange an. Bereits<br />
drei Tage später – wieder Vorhofflimmern.<br />
„Wir müssen ein stärkeres Medikament einsetzen,<br />
um den Rhythmus zu stabilisieren“, sagte ihm sein<br />
Kardiologe. Joseph H. stimmte zu und nahm die<br />
stärkeren Medikamente ein, obwohl er deren Nebenwirkungen<br />
fürchtete. Nach einigen Monaten<br />
Ruhe trat das Vorhofflimmern trotzdem wieder auf.<br />
Joseph H. war verzweifelt. „Jetzt gibt es nur noch<br />
zwei Möglichkeiten, den <strong>Herzrhythmus</strong> in den Griff<br />
zu bekommen“, sagte der Kardiologe. Entweder<br />
die AV-Knotenablation, bei der die elektrische<br />
Überleitung von Vorkammern auf Hauptkammern<br />
komplett durchtrennt wird, oder die Katheterbehandlung<br />
des Vorhofflimmerns.<br />
Nach einer AV-Knotenablation muss, um den <strong>Herzrhythmus</strong><br />
zu steuern, in jedem Fall ein Herzschrittmacher<br />
eingesetzt werden. Das wollte Joseph H.<br />
nicht. Ihn interessierte die Katheterablation, zumal<br />
der Kardiologe ihm gesagt hatte: „Da hat sich in<br />
den letzten Jahren wirklich viel getan. Dieses Verfahren<br />
wird zunehmend häufig angewandt.“<br />
Joseph H. wollte es genau wissen: Was ist eine Katheterablation<br />
bei Vorhofflimmern? Für wen kommt
sie in Frage? Wie geht der Eingriff vor sich? Was<br />
sind die Erfolge? Was die Risiken?<br />
Neuland<br />
Vorhofflimmern wird ausgelöst durch zusätzliche<br />
elektrische Impulse aus den Lungenvenen – das<br />
haben wissenschaftliche Untersuchungen gezeigt.<br />
Die Katheterablation hat zum Ziel, mit Hochfrequenzstrom<br />
Herzmuskelzellen so zu veröden, dass<br />
Isolationslinien im Herzen entstehen, die die Ausbreitung<br />
dieser störenden Impulse blockieren und<br />
damit auch das Vorhofflimmern verhindern.<br />
Diese Behandlungsmethode wurde vor etwa zehn<br />
Jahren neu eingeführt. Über die Jahre hat sich das<br />
Verfahren ständig weiterentwickelt und breitere<br />
Anwendung gefunden. Heute wird die Katheterablation<br />
von Vorhofflimmern in spezialisierten Zentren<br />
weltweit jährlich bei tausenden Patienten<br />
durchgeführt. Trotz der zunehmenden Verbreitung<br />
bleibt die Katheterablation von Vorhofflimmern zunächst<br />
noch Neulandmedizin.<br />
Neulandmedizin bedeutet, dass ein Verfahren wie<br />
z. B. die Katheterablation von Vorhofflimmern noch<br />
nicht so lange eingesetzt wird, dass die Möglichkeiten<br />
und Risiken im Langzeitverlauf vollständig<br />
bekannt sind. Neulandmedizin hat jedoch nichts<br />
mit einem Experiment zu tun. Die bei der Katheterablation<br />
von Vorhofflimmern eingesetzten Technologien<br />
sind seit vielen Jahren erprobt und ihre<br />
Wirksamkeit und Behandlungssicherheit sind gut<br />
belegt. Trotzdem bleiben immer Risiken bestehen,<br />
die Arzt und Patient bewusst gemeinsam tragen<br />
müssen.<br />
49
50<br />
Punktionsnadel<br />
linker Vorhof<br />
Für welche Patienten?<br />
Wirbelsäule<br />
Abb. 1: Der Weg in die linke Vorkammer (Transseptale Punktion):<br />
Auf der Abbildung A erkennt man rechts die Wirbelsäule<br />
und unten Anteile des großen Atemmuskels (Zwerchfell). Zwei<br />
Elektrodenkatheter sind im Herzen plaziert. Ein Katheter befindet<br />
sich in der rechten Hauptkammer, ein zweiter Katheter in<br />
einer großen Herzvene (Sinus coronarius). Links erkennt man<br />
Zur Behandlung von Vorhofflimmern kommt in<br />
erster Linie eine medikamentöse Therapie in Frage.<br />
Durch die regelmäßige Einnahme von rhythmusstabilisierenden<br />
Medikamenten (Antiarrhythmika)<br />
wird versucht, das Herz im normalen Rhythmus,<br />
dem Sinusrhythmus, zu halten. Häufig kann<br />
der <strong>Herzrhythmus</strong> über einige Zeit, manchmal auch<br />
über viele Jahre durch Medikamente stabilisiert<br />
werden. Wenn trotzdem Rhythmus<strong>störungen</strong> auftreten,<br />
kann ein Versuch mit einem anderen, vielleicht<br />
etwas stärkeren Medikament gemacht werden.<br />
Aber was tun, wenn Medikamente nicht mehr<br />
helfen – insbesondere bei Patienten, die unter Vorhofflimmern<br />
erhebliche Beschwerden wie Herzstolpern,<br />
Herzrasen, Luftnot oder auch Schwindelgefühl,<br />
Brustschmerzen und Angst haben?<br />
Die Katheterablation wird <strong>heute</strong> fast ausschließlich<br />
bei Patienten eingesetzt, bei denen ganz massive<br />
Beschwerden aufgrund des Vorhofflimmerns<br />
bestehen und bei denen Medikamente die Rhythmusstörung<br />
nicht mehr in den Griff bekommen.<br />
Rechte<br />
Herzkammer<br />
Herzscheidewand A<br />
Zwerchfell Zwerchfell<br />
Ablationskatheter<br />
die spitze Nadel, die mit einem kleinen Ruck durch ein dünnes<br />
Häutchen in der Herzvorhofscheidewand vorgeführt wird.<br />
Über die kleine Nadel wird dann ein weicher Kunststoffschlauch<br />
in der linken Herzvorkammer plaziert und über den<br />
Kunststoffschlauch kann letztlich der Verschorfungskatheter<br />
in die linke Vorkammer eingebracht werden (Abbildung B).<br />
Wie wird es gemacht?<br />
Koronarvenensinuskatheter<br />
Die Katheterablation von Vorhofflimmern sollte<br />
nur in einem spezialisierten und ausgewiesenen<br />
Rhythmuszentrum durchgeführt werden, da die<br />
sichere Durchführung der Behandlung viel Erfahrung<br />
voraussetzt. Ein Krankenhausaufenthalt von<br />
drei bis fünf Tagen ist erforderlich.<br />
Welche Voruntersuchungen sind nötig? Neben der<br />
Aufzeichnung eines Ruhe-EKGs und eines Belastungs-EKGs<br />
wird das Herz mit Hilfe des Ultraschalls<br />
(Echokardiographie) sowohl durch den Brustkorb<br />
als auch über die Speiseröhre untersucht. Zur<br />
Durchführung der Ultraschalluntersuchung über<br />
die Speiseröhre (transösophageale Echokardiographie)<br />
muss ein dünner Ultraschallschlauch geschluckt<br />
werden. Diese Untersuchung ist etwas unangenehm,<br />
aber in aller Regel ungefährlich. Sie ist<br />
notwendig, um mögliche Veränderungen im Herzen<br />
beurteilen zu können und auch, um Blutgerinnsel<br />
(Thromben), die sich bei Patienten mit Vorhofflimmern<br />
im Herzen bilden können, zu erkennen.<br />
Außerdem kann vor der Durchführung der<br />
Katheterablation eine Herzkatheteruntersuchung<br />
B
erforderlich sein, um eine möglicherweise bestehende<br />
Herzerkrankung (z. B. koronare Herzkrankheit)<br />
aufzudecken.<br />
Nach Abschluss der Voruntersuchungen wird die<br />
Katheterablation im Herzkatheterlabor durchgeführt.<br />
Der Eingriff dauert etwa zwei bis vier Stunden.<br />
Um den Patienten so schonend wie möglich<br />
zu behandeln, werden Medikamente gegeben, die<br />
ihn in einen Dämmer- oder Schlafzustand versetzen.<br />
Dann werden von der Leiste aus mehrere millimeterdünne<br />
Kunststoffschläuche (Katheter) zum<br />
Herzen vorgeschoben und dort plaziert. Mit diesen<br />
Kathetern kann der Kardiologe die elektrischen<br />
Ströme, die durch das Herz fließen, aufzeichnen<br />
und beurteilen. Die eigentliche Behandlung erfolgt<br />
dann mit dem sogenannten Ablationskatheter. Auch<br />
dieser Spezialkatheter wird von der Leiste aus eingeführt<br />
und im Herzen in der linken Herzvorkammer<br />
(linker Vorhof) plaziert. Um die linke Vorkammer<br />
zu erreichen, muss der Katheter durch die<br />
Herzscheidewand (Septum) gebracht werden. Dies<br />
geschieht durch eine Herzscheidewandpunktion<br />
(transseptale Punktion, s. Abb. 1): Dabei wird die<br />
Herzscheidewand von der Leiste aus mit einer sehr<br />
dünnen Nadel durchstochen. Über diese Nadel<br />
wird ein weicher Schlauch in die linke Herzvorkammer<br />
vorgeschoben und über den Schlauch der<br />
Ablationskatheter plaziert.<br />
Mit Hilfe von Hochfrequenzstrom werden Punkt<br />
für Punkt Herzmuskelzellen verödet, so dass eine<br />
Isolationslinie entsteht, die die Ausbreitung der<br />
störenden elektrischen Impulse unterbricht und<br />
dadurch das Vorhofflimmern verhindert (s. Abb. 2,<br />
S. 52). Im wesentlichen werden die Übergangsbereiche<br />
zwischen der linken Vorkammer und den<br />
Lungenvenen (Pulmonalvenen) elektrisch isoliert,<br />
weil bekannt ist, dass sie für die Entstehung von<br />
Vorhofflimmern verantwortlich sind. Die Isolationslinien<br />
werden in aller Regel nach einem vorgegebenen<br />
Schema gesetzt. Mit Hilfe modernster<br />
Technologien, die eine millimetergenaue Steuerung<br />
des Ablationskatheters in der linken Herzvorkammer<br />
möglich machen, können die einzelnen<br />
Verschorfungsimpulse exakt plaziert werden. Dieser<br />
Teil der Ablationsbehandlung dauert etwa<br />
ein bis zwei Stunden. Der Arzt kann dabei durch die<br />
Veränderungen der elektrischen Signale des Herzens<br />
erkennen, wie wirksam die Behandlung ist.<br />
Damit sich während der Behandlung keine Blutgerinnsel<br />
am Ablationskatheter bilden, wird die<br />
Blutgerinnung für die Dauer des Eingriffs mit<br />
einem gerinnungshemmenden Medikament deutlich<br />
herabgesetzt. Nach Abschluss der Behandlung<br />
werden die Katheter aus dem Herzen zurückgezogen,<br />
und der Patient wird noch im Herzkatheterlabor<br />
wieder wach. Anschließend wird er zur<br />
Sicherheit einige Stunden auf einer Wachstation<br />
beobachtet. Dort werden dann auch die Zugänge<br />
in den Leisten (Schleusen) entfernt.<br />
Erfolge und Risiken<br />
Bei etwa 50 % der Patienten kann mit einem einzigen<br />
Eingriff das Vorhofflimmern beseitigt werden.<br />
Bei anfallsartigem Vorhofflimmern (paroxysmales<br />
Vorhofflimmern) sind die Erfolgschancen größer<br />
als bei Vorhofflimmern, das schon Wochen und<br />
Monate andauernd besteht.<br />
Bei den Patienten, bei denen durch den ersten Eingriff<br />
keine ausreichende Unterdrückung des Vorhofflimmerns<br />
gelungen ist, wird in der Regel ein<br />
zweiter Eingriff, in seltenen Fällen auch ein dritter<br />
Eingriff erforderlich. Damit lässt sich die Erfolgsrate<br />
auf 70 – 80 % steigern. Auch bei den übrigen<br />
Patienten ergibt sich oft eine deutliche Besserung<br />
durch die Behandlung: Sie müssen zwar weiter<br />
Rhythmusmedikamente nehmen, aber diese Medikamente,<br />
die vorher nicht mehr helfen konnten,<br />
sind jetzt wirksamer.<br />
Der Behandlungserfolg stellt sich bei einem Teil<br />
der Patienten bereits direkt nach der Ablationsbehandlung<br />
ein. Bei diesen Patienten tritt nach der<br />
Ablation gar kein Vorhofflimmern mehr auf. Bei einem<br />
anderen Teil der Patienten kommt es insbesondere<br />
innerhalb der ersten zwei bis vier Wochen<br />
nach der Behandlung zu weiteren Anfällen von<br />
Vorhofflimmern. In diesen Fällen wird durch die<br />
Gabe von Medikamenten versucht, den Rhythmus<br />
weiter zu beruhigen. Oft gehen die Anfälle von<br />
Vorhofflimmern zurück, und es kann im Verlauf<br />
von Wochen – trotz des Auftretens von Vorhofflimmern<br />
direkt nach der Ablationsbehandlung – doch<br />
noch eine vollständige Unterdrückung der <strong>Herzrhythmus</strong>störung<br />
erreicht werden. Das bedeutet,<br />
dass sich das Endergebnis der Behandlung erst<br />
nach etwa drei Monaten sicher abschätzen lässt.<br />
51
Die Katheterablation von Vorhofflimmern ist <strong>heute</strong><br />
in geübter Hand erfolgreich und sicher durchführbar.<br />
Bei etwa 95 % der Patienten treten keine<br />
Komplikationen auf. Dennoch ist der Eingriff natürlich<br />
nicht ohne Risiken:<br />
■ In den Wochen und Monaten nach dem Eingriff<br />
kann sich eine Verengung oder gar ein Verschluss<br />
einer Lungenvene entwickeln. Das zeigt<br />
sich dadurch, dass beim Patienten Atemnot bei<br />
Belastung, Husten oder auch eine Anfälligkeit<br />
für Lungenentzündung auftreten. Bei diesen<br />
Beschwerden kommt es darauf an, dass der<br />
Patient sofort die Klinik, die die Katheterablation<br />
durchgeführt hat, aufsucht, denn die Verengung<br />
muss unverzüglich behandelt werden,<br />
sei es durch eine Aufdehnung oder durch das<br />
Einsetzen einer Gefäßstütze (Stent). Das Risiko<br />
für eine Verengung der Lungenvenen beträgt<br />
etwa zwei Prozent.<br />
■ Ein weiteres Risiko der Katheterablation besteht<br />
darin, dass es durch den Eingriff zu einem<br />
Schlaganfall kommen kann, weil die erhitzte<br />
Katheterspitze die Bildung von Blutgerinnseln<br />
begünstigt. Das Risiko für einen Schlaganfall<br />
liegt bei etwa zwei Prozent. Um dieser Gefahr<br />
52<br />
Abb. 2: Bei der Katheterablation von Vorhofflimmern wird<br />
modernste Technologie eingesetzt. Die Abb. A zeigt eine Nachbildung<br />
des linken Vorhofs. Das „Loch“ in der Mitte der Abbildung<br />
entspricht der Herzklappe, die zwischen linkem Vorhof<br />
und linker Hauptkammer liegt (Mitralklappe). Die bunten<br />
Röhren sind Nachbildungen der Lungenvenen, die die Verbindung<br />
zwischen Herz und Lunge herstellen. Im Übergangsbereich<br />
zwischen den Lungenvenen und dem linken Vorhof sind<br />
sehr häufig die „Fehlzündkerzen“ lokalisiert, die das Vorhofflimmern<br />
auslösen. Um die Anatomie jedes einzelnen<br />
Patienten originalgetreu bearbeiten zu können, wird in<br />
einem zweiten Schritt (Abb. B) ein Bild des linken Vorhofs,<br />
das am Vortag mit Hilfe von Computertomographie erstellt<br />
wurde, über die Nachbildung des linken Vorhofs gelegt, so<br />
dass beide Anteile optimal zueinander passen.<br />
vorzubeugen, wird die Blutgerinnung durch<br />
Medikamente gehemmt.<br />
■ Sehr selten bildet sich eine Fistel, d. h. eine Verbindung<br />
zwischen Speiseröhre und Vorhof,<br />
durch die Luft in das Herz eindringen kann –<br />
eine Komplikation, die fast immer zum Tod<br />
führt. Bisher sind weltweit nur wenige solcher<br />
Fälle (weniger als 30) bekannt. Daher ist das<br />
Risiko für diese Komplikation als sehr gering<br />
anzusehen.<br />
■ Bei der Durchführung der transseptalen Punktion<br />
kann eine Blutung in den Herzbeutel auftreten<br />
(Herzbeuteleinblutung oder Perikardtamponade).<br />
Diese Blutung kann in aller Regel<br />
durch das sofortige Absaugen des Blutes problemlos<br />
beherrscht werden. In sehr seltenen<br />
Fällen macht die Blutung aber auch eine Herzoperation<br />
notwendig. Das Risiko dieser Komplikation<br />
liegt unter einem Prozent.<br />
Bei der Risikoabwägung ist zu bedenken, dass auch<br />
die Behandlung des Vorhofflimmerns durch rhythmusstabilisierende<br />
Medikamente nicht risikolos ist.<br />
Auch hier muss mit schwerwiegenden Komplikationen<br />
bei etwa ein bis zwei Prozent der behandelten<br />
Patienten gerechnet werden.
Der Abbildungsteil C zeigt das Verschmelzen beider Anteile.<br />
Der Untersucher weiß jetzt genau, wie der linke Vorhof<br />
des Patienten aussieht und kann die Ablation beginnen.<br />
Die roten Punkte zeigen die ersten Verödungszonen. Wie<br />
an einer Kette werden die einzelnen Verödungspunkte<br />
aufgereiht, um möglichst kontinuierliche elektrische Blocklinien<br />
zu schaffen. Der Abbildungsteil D zeigt das Ergebnis<br />
Wie geht es weiter?<br />
Nach der Katheterablation bleibt der Patient noch<br />
etwa zwei bis drei Tage im Krankenhaus. Zur Überwachung<br />
des <strong>Herzrhythmus</strong> werden regelmäßig<br />
EKGs abgeleitet. Außerdem wird die Herzfunktion<br />
noch einmal durch eine Ultraschalluntersuchung<br />
geprüft. Beim unkomplizierten Verlauf geht es nach<br />
etwa drei Tagen nach Hause. Innerhalb der ersten<br />
Monate muss die Blutverdünnung fortgeführt werden,<br />
um das Risiko der Bildung von Blutgerinnseln<br />
zu verringern. Außerdem werden in den ersten<br />
Wochen nach der Katheterablation regelmäßig<br />
Langzeit-EKGs durchgeführt, um beurteilen zu können,<br />
ob jetzt tatsächlich ein normaler <strong>Herzrhythmus</strong><br />
besteht. Wenn das durchgehend nachgewiesen<br />
ist, kann einige Monate nach der Ablation in<br />
Absprache mit dem behandelnden Arzt die Blutverdünnung<br />
wieder abgesetzt werden. Erst dann<br />
ist das volle Behandlungsziel erreicht: durchgehend<br />
normaler <strong>Herzrhythmus</strong>, keine Blutverdünnung.<br />
Rhythmusmedikamente werden nicht mehr<br />
gebraucht.<br />
einer Ablationsbehandlung: Jetzt sind die elektrischen<br />
Blocklinien, die um die Lungenvenen gelegt worden sind,<br />
komplett zu erkennen. (Die Lungenvenen sind in dieser<br />
Abbildung gelöscht worden, um eine bessere Sicht auf die<br />
Ablationslinien zu ermöglichen.) Die rosa Punkte zeigen<br />
an, dass hier sehr vorsichtig gearbeitet wurde, weil sich<br />
eine große Nähe zur Speiseröhre gezeigt hatte.<br />
Welche Alternativen gibt es?<br />
AV-Knotenablation: Ziel der AV-Knotenablation ist<br />
es, die elektrische Verbindung zwischen dem flimmernden<br />
Vorhof und den Herzkammern, den AV-<br />
Knoten, zu durchtrennen. Der Vorhof wird von den<br />
Kammern elektrisch abgeschnitten. Das Verfahren<br />
ist einfach, relativ rasch und sicher durchführbar.<br />
Die Katheterablation des AV-Knotens dauert etwa<br />
30 Minuten. Ein wesentlicher Unterschied zur direkten<br />
Ablation von Vorhofflimmern besteht in der<br />
Tatsache, dass bei der Katheterablation des AV-<br />
Knotens das Vorhofflimmern nicht direkt behandelt<br />
wird, sondern nur die Auswirkungen des Vorhofflimmerns<br />
auf die Herzkammern. Das bedeutet,<br />
dass das Vorhofflimmern langfristig weiter bestehen<br />
bleibt. Dementsprechend ist in fast allen<br />
Fällen nach der Katheterablation des AV-Knotens<br />
eine Blutverdünnung (s. S. 65 ff.) notwendig. Außerdem<br />
muss nach der Katheterablation des AV-<br />
Knotens in allen Fällen ein Herzschrittmacher eingesetzt<br />
werden. Es besteht eine lebenslange Abhängigkeit<br />
vom Herzschrittmacher. Dieser Eingriff<br />
kann nicht rückgängig gemacht werden, ein einmal<br />
durchtrennter AV-Knoten wird immer durchtrennt<br />
bleiben.<br />
53
54<br />
nachher:<br />
vorher:<br />
Vorkammern im Flimmern<br />
AV-Knoten<br />
Hauptkammern<br />
in absoluter Arrhythmie<br />
Herzschrittmacher<br />
Vorkammern im Flimmern<br />
Hauptkammern im<br />
regelmäßigen<br />
Schrittmacherrhythmus<br />
Abb. 3: Vorhofflimmern vor<br />
und nach AV-Knotenablation.<br />
Der unregelmäßige und<br />
schnelle Herzschlag (etwa<br />
140 Schläge pro Minute) ist<br />
vor der Ablation im EKG gut<br />
zu sehen. Nach der Ablation<br />
werden die Hauptkammern<br />
von einem Herzschrittmacher<br />
stimuliert. Der Herzschlag<br />
ist jetzt deutlich langsamer<br />
(etwa 60 Schläge pro Minute)<br />
und regelmäßig.
Aufgrund der immer besser werdenden Behandlungsergebnisse<br />
der direkten Ablation von Vorhofflimmern<br />
wird die AV-Knotenablation <strong>heute</strong> nur<br />
noch selten durchgeführt. Diese Prozedur sollte<br />
nur in Betracht gezogen werden, wenn das Vorhofflimmern<br />
zu einer sehr schnellen und unregelmäßigen<br />
Herzschlagfolge im Bereich der Herzkammern<br />
führt, Medikamente das Herzrasen nicht ausreichend<br />
kontrollieren können und wenn eine direkte<br />
Katheterablation des Vorhofflimmerns nicht<br />
in Frage kommt.<br />
Diese Methode kommt <strong>heute</strong> fast ausschließlich<br />
bei älteren Patienten, die die Risiken der Direktkatheterablation<br />
von Vorhofflimmern nicht eingehen<br />
möchten, in Betracht. Jüngeren Patienten mit<br />
Vorhofflimmern sollte dieses Verfahren in aller Regel<br />
nicht empfohlen werden.<br />
Herzschrittmacherstimulation: In den letzten Jahren<br />
wird zunehmend versucht, durch eine gezielte<br />
Herzschrittmacherstimulation im Bereich der<br />
Vorhöfe die Häufigkeit und/oder Dauer von Vorhofflimmern<br />
positiv zu beeinflussen. Dabei wird<br />
versucht, das Auftreten von Vorhofflimmern dadurch<br />
zu verhindern, dass bestimmte Rhythmus-<br />
muster, z. B. Extrasystolen, die einem Anfall vorausgehen<br />
können, durch spezielle Schrittmacherprogramme<br />
unterbrochen werden (vorbeugende<br />
Stimulation).<br />
Das Einsetzen eines Herzschrittmachers nur mit<br />
dem Ziel, das Auftreten von Vorhofflimmern zu<br />
verhindern, ist in der Regel nicht gerechtfertigt.<br />
Eine solche Therapie kommt nur in Frage bei<br />
Patienten, die ohnehin, z. B. wegen eines kranken<br />
Sinusknotens, einen Schrittmacher erhalten. Bei<br />
solchen Patienten kann in bis zu 30 % der Fälle das<br />
Vorhofflimmern günstig beeinflusst werden.<br />
Fazit<br />
Wenn Medikamente nicht mehr helfen, stellt die<br />
Katheterablation einen wesentlichen Fortschritt für<br />
die Therapie des Vorhofflimmerns dar. Patienten,<br />
die trotz medikamentöser Behandlungsversuche<br />
unter Vorhofflimmern sehr leiden, sollten die Katheterablation<br />
als attraktive, weil heilende Behandlungsmethode<br />
bereits <strong>heute</strong> in Betracht ziehen. Für<br />
die Zukunft ist zu erwarten, dass sich diese Therapie<br />
als Behandlung der ersten Wahl für diese Patienten<br />
durchsetzen wird.<br />
Blutdruckmessung bei <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
Die Blutdruckmessung ist bei <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> dann erschwert, wenn entweder in kurzen Abständen<br />
gehäuft Extraschläge (Extrasystolen) auftreten oder Vorhofflimmern mit einer unregelmäßigen<br />
Kammertätigkeit besteht. Das vom Herzen ausgeworfene Blut (Schlagvolumen) kann sich dann von<br />
Schlag zu Schlag ändern und damit erreicht auch der systolische Blutdruck von Schlag zu Schlag eine<br />
andere Höhe.<br />
Was bedeutet eine unregelmäßige Herztätigkeit für die Blutdruckmessung? Hierbei muss die Messung<br />
mit dem Stethoskop und die automatische (oszillometrische) Messung der <strong>heute</strong> meist verwendeten Blutdruckmessgeräte<br />
unterschieden werden. Besteht ein unregelmäßiger Herzschlag, kann man bei einmaliger<br />
Messung mit dem Stethoskop zufällig in eine Herzaktion mit einem besonders niedrigen oder besonders<br />
hohen systolischen Blutdruck geraten. Deshalb soll man bei der Blutdruckmessung mit dem Stethoskop<br />
mehrere (vier bis sechs) Messungen vornehmen und aus diesen Messungen einen Mittelwert<br />
bilden, um unterschiedliche Messwerte auszugleichen.<br />
In den meisten Geräten mit automatischer Blutdruckmessung wird die Unregelmäßigkeit des Pulsschlags<br />
nicht angezeigt, so dass es bei einer nur einmaligen Messung zu einer fehlerhaften Blutdruckmessung<br />
kommen kann. Neuerdings sind zwei Geräte auf den Markt gekommen, die eine Unregelmäßigkeit<br />
des Pulsschlags anzeigen und damit auf die Notwendigkeit mehrfacher Blutdruckmessung hinweisen:<br />
OMRON M5 Professional und boso-medicus uno.<br />
Nach wie vor ist die Blutdruckmessung bei <strong>Herzrhythmus</strong>störung am genauesten durch mehrmalige<br />
Messungen mit dem Stethoskop und der Berechnung des Mittelwertes aus vier bis sechs Messungen. Ob<br />
die automatische Blutdruckmessung mit den beiden genannten Blutdruckmessgeräten bei <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
gleich gute Ergebnisse liefert, muss noch überprüft werden.<br />
Prof. Dr. med. Dieter Klaus<br />
55
Seit etwa 20 Jahren nervt mich diese Rhythmusstörung.<br />
An das erste, vorübergehende Auftreten kann<br />
ich mich nicht mehr genau erinnern. Es muss vor<br />
mehr als 20 Jahren gewesen sein, als ich noch Oberarzt<br />
in Freiburg war. Vom Fühlen des Pulses und<br />
vom Empfinden des Herzschlags war die Diagnose<br />
für mich klar. Ein EKG zu schreiben, hielt ich<br />
erst nach wiederholtem Auftreten für notwendig.<br />
Es bestätigte meine Diagnose: eindeutig Vorhofflimmern,<br />
offensichtlich anfallsweise, sogenanntes<br />
paroxysmales Vorhofflimmern.<br />
Mir ging es nicht anders als meinen Patienten: Zuerst<br />
glaubte ich an ein einmaliges oder ganz seltenes<br />
Ereignis, dann an vermeidbare Auslöser der<br />
Anfälle und daraus folgende Vermeidungsstrategien.<br />
Was zunächst zu helfen schien, war auf längere<br />
Sicht unwirksam: Vermeidung jeglichen Alkohols<br />
und Kaffees, Vermeidung von Schlafmangel<br />
und Extrembelastung. Da die Anfälle jeweils nur<br />
wenige Stunden andauerten und nur etwa einmal<br />
im Monat auftraten, ließ ich der Natur ihren Lauf –<br />
vielleicht auch ein bisschen mit Verdrängung der<br />
Realität und in dem Bewusstsein, als Herzspezialist<br />
alles im Griff zu haben.<br />
Innerhalb der nachfolgenden Jahre kam es zu einer<br />
allmählichen Zunahme von Häufigkeit und<br />
Dauer der Anfälle. Das Ende jedes Anfalls war wie<br />
eine Erlösung: Herzklopfen, ausgesprochenes Unwohlsein<br />
und Beklemmungsgefühl in der Brust mit<br />
Atemnot verschwanden jeweils schlagartig. Selbstverständlich:<br />
Der zwischenzeitlich festgestellte hohe<br />
Blutdruck wurde zunächst mit Betablockern, später<br />
zusätzlich mit ACE-Hemmern und letztlich mit<br />
Angiotensin-Rezeptorblockern behandelt. Magnesium<br />
und Kalium im Blut wurden kontrolliert und<br />
über Monate zugeführt.<br />
Dann: Vor etwa drei Jahren schien ein Anfall überhaupt<br />
nicht enden zu wollen. Ich ging in „meine<br />
Klinik“, um ein Belastungs-EKG sowie ein Echo-<br />
56<br />
Vorhofflimmern: eine lange Geschichte<br />
Prof. Dr. med. Thomas Meinertz, Universitäres Herzzentrum Hamburg,<br />
Klinik und Poliklinik für Kardiologie/Angiologie<br />
kardiogramm machen zu lassen. Beide waren in<br />
Ordnung, aber der linke Vorhof im Echo doch<br />
schon etwas vergrößert. Unmittelbar während des<br />
Belastungs-EKGs – auf der höchsten Belastungsstufe<br />
– trotz Vorhofflimmerns 200 Wattsekunden –<br />
kam es schlagartig zum Umspringen in den normalen<br />
Rhythmus. Rein zufällig? Oder lag hier ein<br />
therapeutischer Ansatz? Wiederholt konnte ich Vorhofflimmern<br />
durch hohe Belastungen beenden.<br />
Aber dann war diese Technik nach einigen Monaten<br />
nicht mehr erfolgreich.<br />
Nun blieb auch mir – wie meinen Patienten – nichts<br />
anderes als eine medikamentöse Therapie. Ich<br />
begann mit Flecainid. Zunächst war das Antiarrhythmikum<br />
wirksam. Dann aber nicht mehr. Es<br />
war wie verhext. Die Anfälle kamen zunehmend<br />
häufiger. Ich musste die Dosis steigern.<br />
Unter hoher Dosierung gab es zunächst nur noch<br />
selten Anfälle. Aber beim Umspringen von Vorhofflimmern<br />
in den Sinusrhythmus hatte ich ein ungutes<br />
Gefühl mit kurz andauerndem Schwindel<br />
und auch einmal nahezu mit Bewusstlosigkeit. Im<br />
Langzeit-EKG konnte eine Pause von etwa vier<br />
Sekunden beim Umschlagen von Vorhofflimmern<br />
in Sinusrhythmus dokumentiert werden.<br />
Das war vor etwa zwei Jahren. Naturgemäß stellte<br />
sich für mich die Frage, was tun, wenn dieses<br />
Medikament – wie andere (ich hatte es inzwischen<br />
auch mit Propafenon probiert) – auch in hohen<br />
Dosierungen nicht mehr wirksam ist.<br />
Und dies trat rascher ein, als ich erwartet hatte. In<br />
den Sommerferien 2004 auf Kreta bei optimaler<br />
Entspannung, trotz maximaler Therapie mit Medikamenten,<br />
erlebte ich erneut lang dauernde Anfälle.<br />
Nun hatte ich zum ersten Mal das Gefühl: Jetzt muss<br />
etwas passieren, sonst hast du bald dauerhaftes<br />
Vorhofflimmern. Mit einem Mal sah ich die Patienten<br />
mit Schlaganfall, vermutlich als Folge von Vorhofflimmern,<br />
mit anderen Augen: Das kann dich
Blick ins EPU-Labor<br />
57
auch treffen. Du hast zwar noch nicht die kritische<br />
Altersgrenze (65 Jahre) erreicht, aber zumindest<br />
einen weiteren Risikofaktor für das Auftreten von<br />
Schlaganfällen: den zwar behandelten, aber trotzdem<br />
im oberen Normbereich liegenden Blutdruck.<br />
Der Schritt zur Gerinnungshemmung mit Marcumar<br />
fiel mir nicht leicht – nicht anders als meinen<br />
Patienten. Aber ich ging ihn, denn das Risiko<br />
eines Schlaganfalls erschien mir erheblich größer<br />
als das von Blutungskomplikationen.<br />
Gleichzeitig begann ich, über alternative Behandlungsverfahren<br />
nachzudenken. Ich war an dem<br />
Punkt, über den ich häufig mit meinen Patienten<br />
spreche: Noch ein letzter Versuch mit dem Medikament<br />
Amiodaron – wirksamer als alle anderen<br />
Antiarrhythmika, aber auch gerade bei Dauertherapie<br />
mit schweren Nebenwirkungen belastet.<br />
Amiodaron ist in meinem Alter allenfalls eine<br />
vorübergehende Lösung.<br />
Um überhaupt noch einmal für eine gewisse Zeit<br />
im normalen Rhythmus zu bleiben, entschloss ich<br />
mich zu Amiodaron. Während der Aufsättigungsphase<br />
(hohe Dosis in den ersten zwei Wochen der<br />
Therapie) kam es bei mir zu einem unangenehmen<br />
– auch subjektiv als bedrohlich empfundenen<br />
– Erlebnis. Plötzlich ging der Herzschlag aus völliger<br />
Unregelmäßigkeit – nachts im Hotel in Potsdam<br />
– in einen schnellen regelmäßigen Rhythmus<br />
(etwa 130 – 140 Schläge/Minute) über. Mir wurde<br />
ganz flau, ich stand nachts auf, setzte mich an den<br />
Schreibtisch und arbeitete, um mich abzulenken.<br />
Am nächsten Morgen ging ich gleich in die Medizinische<br />
Notaufnahme des St. Josef-Krankenhauses.<br />
Meine Verdachtsdiagnose (Amiodaron-induziertes<br />
Vorhofflattern) wurde im EKG bestätigt. Die<br />
mir angebotene elektrische Kardioversion ließ ich<br />
mit der Hoffnung, bald wieder in Sinusrhythmus<br />
„umzuspringen“, nicht durchführen. Und tatsächlich,<br />
während der Heimfahrt von Berlin nach Hamburg,<br />
hatte ich im Zug plötzlich wieder Sinusrhythmus<br />
– doch nur für einige Stunden.<br />
Kam für mich eine sogenannte Hybridtherapie in<br />
Frage, bei der ein durch Rhythmusmedikamente<br />
ausgelöstes Vorhofflattern durch eine Flatterabla-<br />
58<br />
tion (Isthmusblockade) beseitigt wird (s. S. 70)? Da<br />
ich Amiodaron nicht langfristig einnehmen wollte,<br />
zog ich diese therapeutische Alternative nicht<br />
ernsthaft in Erwägung.<br />
Wie sollte es weitergehen?<br />
Meine Empfehlung für die Patienten – zumindest<br />
für die ohne zusätzliche schwere Herzkrankheit –<br />
lautet: Ablationstherapie des Vorhofflimmerns. Dabei<br />
handelt es sich um ein Verfahren, bei dem<br />
Herzzellen gezielt so verödet werden, dass <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
nicht mehr entstehen können<br />
(s. S. 48). Ich entschied mich – aller Risiken bewusst<br />
(s. S. 51) – für die Ablation.<br />
Eine Alternative wäre gewesen, Vorhofflimmern<br />
im natürlichen Verlauf zunächst ohne Einnahme<br />
von Rhythmusmitteln zu belassen und lebenslang<br />
weiter Marcumar einzunehmen. Wahrscheinlich mit<br />
zusätzlicher Gabe eines Betablockers, um die Kammerfrequenz<br />
entsprechend zu vermindern. Diese<br />
Alternative hätte ich gewählt, wenn ich nicht durch<br />
Vorhofflimmern massive Beschwerden (ausgesprochenes<br />
Unwohlsein, Beklemmungsgefühl in der<br />
Brust, Atemnot) gehabt hätte.<br />
Wohin zur Ablation?<br />
In Deutschland gibt es nur wenige Zentren – ebenso<br />
wie in der übrigen Welt –, in denen große Erfahrungen<br />
mit der Ablation dieser Rhythmusstörung<br />
bestehen. Gott sei Dank aber einige! In die<br />
früher von mir geleitete Klinik (St. Georg) wollte<br />
ich ebenso wenig wie in die eigene (UKE). Weniger<br />
aus sachlichen als aus psychologischen Gründen.<br />
Ich entschied mich für Bordeaux. Herzspezialisten<br />
werden das verstehen. Diese Klinik ist eines der<br />
weltweit führenden Zentren in der Elektrophysiologie<br />
und insbesondere der Ablationstherapie von<br />
Vorhofflimmern. Hier wurden in dem von Prof.<br />
Haissaguerre geleiteten Zentrum bahnbrechende<br />
Fortschritte erzielt.
Auf dem Weg nach Bordeaux gab es noch Hindernisse:<br />
der Termin für die Ablation. Einmal entschlossen,<br />
wollte ich einen möglichst raschen Termin.<br />
Außerdem sollte kurz vor der Ablation eine transösophageale<br />
echokardiographische Untersuchung<br />
(durch die Speiseröhre) zum Ausschluss von Blutgerinnseln<br />
im linken Herzen erfolgen.<br />
Schließlich war das geschafft, und ich machte mich<br />
auf den Weg. Am Montag dann in das Centre Hospitalier<br />
Haut-Lévêque. Alles war gut organisiert,<br />
vom Empfang direkt ins Bett. Innerhalb von 30 Minuten<br />
erfolgte EKG, Blutentnahme, Anlage eines<br />
Venenzugangs, Rasieren und Waschen beider Leisten.<br />
Routiniert und rasch, aber durchaus persönlich<br />
und freundlich mit angenehmem Ton der Mitarbeiter<br />
auch untereinander, wurde alles erledigt.<br />
Dann der berühmte, das darf man sagen, da jedem<br />
Kardiologen der Welt bekannt, Chef der Arrhythmieeinheit<br />
Prof. Michel Haissaguerre, freundlich,<br />
zugewandt lächelnd, ohne jede Starallüren. Ein<br />
paar kurze Fragen, am Ende „Sie sind ja bestens<br />
über alles informiert, dann kann es ja gleich losgehen“.<br />
Der Eingriff<br />
Schon auf der Station bekam ich ein Beruhigungsmittel.<br />
Bei vollem Bewusstsein kam ich in den elektrophysiologischen<br />
Operationssaal (sog. EPU-<br />
Labor): vom Bett direkt auf den Kathetertisch, Desinfektion<br />
beider Leisten, Abdecken mit sterilen Tüchern<br />
und Anlage der EKG-Elektroden. Ich sah jetzt<br />
alles auf einmal von der anderen Seite. Ich hatte<br />
Zeit herumzuschauen. Die Röntgenanlage war nicht<br />
das allerletzte Modell, dafür aber waren alle elektrophysiologischen<br />
Apparate auf dem neuesten<br />
Stand. Ich selbst konnte das Durchleuchtungsbild<br />
– mir so vertraut von vielen Patienten – ebenso mitverfolgen<br />
wie die EKG-Signale aus dem Herzen.<br />
Noch ehe ich mir dessen richtig bewusst wurde,<br />
spürte ich ein kurzes Brennen und Druckgefühl in<br />
der rechten Leiste, schon waren die Elektrodenkatheter<br />
im Herzen. Auch vom Durchstechen der<br />
Vorhofscheidewand spürte ich nichts.<br />
Zunächst wurde das Gebiet im rechten Vorhof zwischen<br />
Trikuspidalklappe und unterer Hohlvene<br />
(rechter Isthmus) abladiert (verödet). Diese Prozedur<br />
ist Routine. Ich muss eingeschlafen sein. Wach<br />
wurde ich vom Gefühl eines raschen und kräftig<br />
stolpernden Herzschlags. Man hatte Vorhofflimmern<br />
ausgelöst, das aber zunächst von selbst wieder<br />
stoppte. Zwischenzeitlich arbeitete Prof. Haissaguerre<br />
bereits im linken Herzen. Ich erkannte<br />
auf dem Röntgenbildschirm den Lasso-Katheter zunächst<br />
in den beiden linken, anschließend in den<br />
rechten Pulmonalvenen. Bei Abgabe von niederfrequentem<br />
Strom zur Isolation der Pulmonalvenen<br />
spürte ich jetzt Schmerzen, aber sie waren<br />
erträglich. Vorhofflimmern ließ sich erneut auslösen,<br />
obwohl die Lungenvenen blockiert waren.<br />
Also wurde nach weiteren Ursprungsorten des Vorhofflimmerns<br />
gesucht. Sie wurden nahe der flachen,<br />
ovalen Vertiefung in der rechten Seite der<br />
Vorhofscheidewand geortet und ebenfalls verödet.<br />
Schließlich – nach gut drei Stunden – war Vorhofflimmern<br />
nicht mehr auslösbar. Ende der Prozedur.<br />
Am nächsten Morgen ging es mir sehr viel besser.<br />
Die Schwestern hatten sich während der Nacht rührend<br />
um mich gekümmert. Puls, Blutdruck, EKG,<br />
Druckverband kontrolliert, sogar Temperatur und<br />
Körpergewicht wurden gemessen. Dreimal täglich<br />
bekam ich Heparinspritzen unter die Bauchhaut,<br />
weil Marcumar abgesetzt war.<br />
Plötzlich, während eines leichten Mittagessens, erneut<br />
das Gefühl von Extrasystolen, zunächst selten,<br />
dann zunehmend häufiger. Gegen Abend kam<br />
Prof. Haissaguerre noch einmal: „Sie haben viele<br />
und zum Teil auch kurz angekoppelte Extrasystolen,<br />
außerdem kurze Salven, es kann also sein, dass<br />
wir morgen noch einmal ran müssen“.<br />
War es seine persönliche und fachliche Autorität<br />
oder mein dringender Wunsch, das Vorhofflimmern<br />
los zu werden – ich dachte keinen Moment<br />
daran, einen erneuten Eingriff zu verweigern oder<br />
auch nur zu diskutieren. Außerdem war ich vor der<br />
ersten Prozedur über die eventuelle Notwendigkeit<br />
eines zweiten Eingriffs aufgeklärt worden.<br />
59
Am nächsten Morgen eröffnete mir Prof. Haissaguerre,<br />
womit ich ohnehin gerechnet hatte: „Heute<br />
Nachmittag machen wir einen zweiten Eingriff.“<br />
Wahrscheinlich hatte sich die Leitung aus den rechten<br />
Pulmonalvenen teilweise erholt.<br />
Selbst die immer länger werdende Wartezeit auf<br />
die zweite Prozedur ließ mich nicht unruhig werden.<br />
Zu groß war mein Vertrauen in die behandelnden<br />
Ärzte. Alles andere wie Warten etc. war Nebensache.<br />
Sie werden sicher nicht Karten spielen<br />
und mich deshalb warten lassen. Der Patient, der<br />
derzeit auf dem Kathetertisch liegt, hat ebenso das<br />
Recht auf eine vollständige und ausführliche Behandlung<br />
wie ich.<br />
Und dann lag ich zum zweiten Mal auf dem Herzkathetertisch.<br />
Erneut wurde Vorhofflimmern durch<br />
kurze Stromabgaben ausgelöst, diesmal aus einem<br />
anderen Herd, dem Koronarvenensinus. Ablation<br />
nun auch hier. Identifikation eines weiteren Herdes.<br />
Hier erneute Ablation. Dann endlich war Vorhofflimmern<br />
nicht mehr auslösbar. Ende der Prozedur,<br />
erneut drei Stunden Dauer. Die Schmerzen<br />
in der Brust während der Stromabgabe waren unangenehm,<br />
aber erträglich.<br />
Zunächst wurden die Therapie mit Heparin bzw.<br />
Marcumar für die nächsten drei Monate und natürlich<br />
auch die blutdrucksenkende Therapie fortgesetzt.<br />
Der endgültige Therapieerfolg lässt sich erst<br />
nach etwa drei Monaten beurteilen.<br />
Am nächsten Tag verließ ich noch etwas erschöpft,<br />
aber glücklich die Klinik.<br />
60<br />
Der Rückfall<br />
Auf einen Rückfall von Vorhofflimmern war ich gefasst,<br />
daher durch erneut auftretende kurze Anfälle<br />
nicht allzu irritiert. Außerdem waren diese – im<br />
Gegensatz zum Zeitpunkt vor der Ablation – viel<br />
kürzer. Trotzdem war ich unzufrieden, ich wollte<br />
einfach frei von Vorhofflimmerattacken sein und<br />
dies ohne dauerhafte Therapie mit Rhythmusmedikamenten.<br />
Für mich bedurfte es keiner langen<br />
Überlegung, ich benötigte offensichtlich eine<br />
weitere Ablationsprozedur, um die Neigung zu Vorhofflimmern<br />
endgültig zu beseitigen.<br />
Etwa sechs Monate nach meiner ersten Behandlung<br />
ging ich erneut nach Bordeaux. Gleiche Kli-<br />
nik, gleiche Station, gleiches Zimmer und Bett.<br />
Kommentar der Schwestern: „Dass Sie so eine<br />
Sehnsucht nach uns haben!“ Die etwa dreistündige<br />
Prozedur – diesmal von Dr. Pierre Jaïs durchgeführt<br />
– verlief problemlos. Am Ende war anhaltendes<br />
Vorhofflimmern auch durch alle möglichen<br />
Provokationsmaßnahmen nicht mehr auslösbar.<br />
Und dies blieb auch in der Folgezeit so.<br />
Seit dieser Zeit habe ich keine Attacken von Vorhofflimmern<br />
mehr gehabt – und das ohne jede antiarrhythmische<br />
Therapie. Einen solchen Zustand<br />
habe ich seit 20 Jahren nicht mehr erlebt. Hierdurch<br />
hat sich mein Leben verändert.<br />
Was habe ich daraus gelernt?<br />
Mein Krankheitsverlauf vom anfallsweisen zum<br />
dauerhaften Vorhofflimmern ist offensichtlich normal.<br />
Der Zeitverlauf kann aber von Patient zu Patient<br />
unterschiedlich sein.<br />
Da die Ablationstechnik sich erst in den letzten Jahren<br />
vom experimentellen zum klinischen Routineverfahren<br />
entwickelt hat, habe ich die Ablationsprozedur<br />
möglichst lange hinausgezögert. Wahrscheinlich<br />
wäre eine frühzeitigere Ablationstherapie<br />
weniger schwierig und zeitaufwendig gewesen.<br />
Ich empfehle derzeit die Ablationsbehandlung für<br />
Patienten mit anfallsweisem Vorhofflimmern, sofern<br />
sie erheblich unter anfallsbedingten Beschwerden<br />
leiden und nicht mehr auf die üblichen Rhythmusmittel<br />
ansprechen. Amiodaron kommt dabei<br />
aus meiner Sicht, vor allem bei jüngeren Patienten,<br />
nur als vorübergehende Maßnahme in Frage. Bei<br />
diesen Patienten dürfte ein zu langes Herauszögern<br />
der Ablationsprozedur eher von Nachteil sein.<br />
An mir selbst habe ich erlebt, dass eine anscheinend<br />
einfache Ausgangslage (anfallsweise auftretendes<br />
Vorhofflimmern bei sonstiger Herzgesundheit)<br />
sich im Einzelfall als doch kompliziert erweisen<br />
kann und dies eine große Erfahrung vom behandelnden<br />
Ärzteteam erfordert. Daher sollte die<br />
Ablation nur in einem Zentrum durchgeführt werden,<br />
das mit dieser Therapie große Erfahrung besitzt.
Vorhofflimmern: chirurgische Therapie<br />
Das erste Operationsverfahren<br />
zur Behandlung<br />
von Vorhofflimmern<br />
wurde Anfang<br />
der 90er Jahre von dem<br />
amerikanischen Chirurgen<br />
Professor J. L. Cox<br />
entwickelt. Es fand bei<br />
den Patienten Anwendung,<br />
die mit Medikamenten<br />
nicht erfolgreich<br />
behandelt werden<br />
konnten. Die Vorhöfe<br />
wurden durch<br />
eine Schnitt- und Naht-<br />
PD Dr. med. Nicolas Doll, Prof. Dr. med. Friedrich W. Mohr<br />
Universität Leipzig, Herzzentrum, Klinik für Herzchirurgie<br />
technik in viele Segmente unterteilt, um die Ausbreitung<br />
der Flimmerwellen einzugrenzen. Der<br />
sehr aufwendige Eingriff wurde als Maze-Operation<br />
(Labyrinth-Operation) bekannt. Dieses Verfahren<br />
wurde in der Folgezeit abgewandelt und<br />
vereinfacht. Trotzdem hat es sich aufgrund seiner<br />
Komplexität, Dauer sowie der technisch hohen Anforderungen<br />
nicht durchgesetzt.<br />
Inzwischen sind große Fortschritte in der Weiterentwicklung<br />
chirurgischer Verfahren zur Behandlung<br />
des Vorhofflimmerns erzielt worden. Sie sind<br />
weniger zeitaufwendig, schonender und bringen<br />
gute Ergebnisse.<br />
Chirurgische Ablationstechniken<br />
Abb. 1: Schematische Darstellung der bei der Maze-Operation<br />
durchgeführten Schnitte (aus: Cox JL et al. Semin Thorac<br />
Cardiovasc Surg 1989; 1:67)<br />
Heute werden die aufwendigen Schnitt- und Nahttechniken<br />
der Maze-Operation praktisch nicht<br />
mehr angewandt. Stattdessen wird über spezielle<br />
Katheter (dünne Kunststoffschläuche) mit gezielter<br />
Energie (Hochfrequenz-, Mikrowellen-, Laser,<br />
Ultraschall- oder Kälteenergie) die für das Vorhofflimmern<br />
verantwortlichen Herzmuskelbereiche<br />
in den Vorhöfen verödet. Mit dieser Technik werden<br />
Isolationslinien angelegt, die die Entstehung<br />
und Aufrechterhaltung<br />
von Vorhofflimmern<br />
verhindern (Ablation).<br />
Zur Ablation werden<br />
drei verschiedene Operationsverfahrenangewandt:<br />
1. Normalerweise wird<br />
bei Herzoperationen<br />
der Brustkorb ohnehin<br />
eröffnet, zum Beispiel<br />
bei einer Bypass-Operation<br />
oder Klappenoperation.<br />
Im Rahmen<br />
dieses operativen Eingriffs kann Vorhofflimmern<br />
durch Anlage von Isolationslinien von der<br />
Innenseite der Vorhöfe her abladiert werden.<br />
Dies ist das bei der überwiegenden Zahl der<br />
Patienten praktizierte Verfahren.<br />
2. Die Vorhofflimmerablation kann als zusätzliches<br />
Verfahren angewandt werden bei einer ohnehin<br />
notwendigen Herzoperation, die in minimal-invasiver<br />
Technik, d. h. ohne Spaltung des<br />
Brustbeins, durchgeführt wird, zum Beispiel bei<br />
einer minimal-invasiven Wiederherstellung der<br />
Mitralklappe oder bei einem Verschluss eines<br />
Vorhofscheidewanddefekts. Allerdings muss<br />
auch dieser Eingriff unter Einsatz der Herz-Lungen-Maschine<br />
erfolgen.<br />
3. Eine Operation kann auch durchgeführt werden<br />
allein wegen Vorhofflimmerns, also nicht<br />
als zusätzliches Verfahren zu einer ohnehin notwendigen<br />
Operation. Auch dieser Eingriff erfolgt<br />
minimal-invasiv. Der Zugang zum Herzen beschränkt<br />
sich auf kleine Schnitte, die Isolationslinien<br />
im Vorhof werden unter Videokontrolle<br />
angelegt. Dies kann ohne Eröffnung des<br />
linken Vorhofes und ohne Einsatz der Herz-Lungen-Maschine<br />
– quasi von außen – erfolgen.<br />
61
62<br />
Linkes Vorhofohr<br />
Linke untere Lungenvene<br />
Linke obere Lungenvene<br />
rote Linien:<br />
Verödungslinien<br />
Diese Technik befindet sich derzeit in der Entwicklung<br />
und wird weltweit nur an wenigen<br />
Zentren praktiziert.<br />
Für welche Patienten?<br />
Bei der Mehrzahl der Patienten kommt die Ablation<br />
– wie schon gesagt – als zusätzlicher Eingriff<br />
für Patienten in Frage, die sich ohnehin einer Herzoperation,<br />
zum Beispiel wegen eines Bypasses oder<br />
einer künstlichen Herzklappe, unterziehen müssen.<br />
Die Rhythmusstörung wird dann zusätzlich<br />
beseitigt. In der Regel ist dieser zusätzliche Aufwand<br />
(geringe Verlängerung der Operationszeit<br />
mit der Herz-Lungen-Maschine) sinnvoll. Nach der<br />
Operation kann so vielen Patienten die Behandlung<br />
mit Marcumar zur Gerinnungshemmung erspart<br />
werden.<br />
Die minimal-invasive chirurgische Behandlung des<br />
Vorhofflimmerns ist auch für die Patienten geeignet,<br />
bei denen ein minimal-invasives Operationsverfahren,<br />
zum Beispiel bei einer Wiederherstellung<br />
der Mitralklappe oder zum Verschluss eines<br />
Vorhofscheidewanddefekts, durchgeführt wird.<br />
In Ausnahmefällen wird eine minimal-invasive chirurgische<br />
Vorhofflimmerablation bei Patienten vorgenommen,<br />
bei denen der Eingriff allein wegen<br />
des Vorhofflimmerns durchgeführt wird. Ein solcher<br />
Eingriff ist unter folgenden Gesichtspunkten<br />
zu erwägen:<br />
■ Hoher Leidensdruck des Patienten mit erheblichen,<br />
durch Vorhofflimmern bedingten Beschwerden<br />
und<br />
■ erfolglose Therapie mit Medikamenten gegen<br />
<strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> (Antiarrhythmika und<br />
Antiarrhythmika-Kombinationen) und<br />
■ mehrfach vergeblicher Eingriff mit Kathetertechnik<br />
zur Ablation von Vorhofflimmern.<br />
Wie wird operiert?<br />
Bei einer offenen Herzoperation mit Herz-Lungen-<br />
Maschine wird üblicherweise vom Operateur die<br />
linke Herzvorkammer eröffnet. Dabei wird der Kreislauf<br />
durch die Herz-Lungen-Maschine versorgt. Mit<br />
einem speziellen Katheter wird im folgenden die<br />
Ablation im Bereich der linken Herzvorkammer<br />
durchgeführt (s. Abb. 2). Um die Lungenvenen<br />
herum werden Herzzellen gezielt verödet, so dass<br />
Isolationslinien entstehen, die die Ausbreitung des<br />
Vorhofflimmerns unterbrechen. Eine weitere Verödungslinie<br />
wird zwischen den rechten und linken<br />
Lungenvenen hinuntergezogen bis zum Mitralklappenring.<br />
Die Behandlung des Vorhofflimmerns<br />
selbst dauert, in Abhängigkeit von der Energiequelle,<br />
zwischen 5 und 20 Minuten. Wenn die Linienführung<br />
abgeschlossen ist und die linke Herzvorkammer<br />
verschlossen wurde, übernimmt das Herz wieder<br />
die Pumparbeit. Die Operation wird durch den<br />
Verschluss der geschaffenen Öffnungen des Herzens,<br />
des Brustkorbs und der Leiste beendet.
Mitralklappe<br />
Mitralklappenring<br />
Schnitt in den linken Vorhof<br />
rechte untere Lungenvene<br />
rechte obere Lungenvene<br />
Abb. 2:<br />
Schematische Darstellung der<br />
Ablationslinienführung im Bereich<br />
der linken Herzvorkammer<br />
Eine besondere Entwicklung der letzten Jahre stellt<br />
die minimal-invasive Operation dar, die am häufigsten<br />
zur Wiederherstellung einer defekten Mitralklappe<br />
eingesetzt wird. Dieser Eingriff dauert etwa zwei<br />
bis drei Stunden. Die Operationstechnik ist so gewählt,<br />
dass der Eingriff möglichst klein und wenig<br />
belastend ist. Die Blutgefäße in der rechten Leiste<br />
werden durch einen kleinen Schnitt (ca. 3 cm lang)<br />
freigelegt und für die Dauer der Operation an eine<br />
Herz-Lungen-Maschine angeschlossen. Gleichzeitig<br />
wird seitlich, in Höhe des vierten, rechten Rippenzwischenraums<br />
ein weiterer kleiner Schnitt parallel<br />
zum Verlauf der Rippen angelegt. Durch diese<br />
kleine Öffnung kann der Operateur die linke<br />
Herzvorkammer erreichen. Die Hauptschlagader<br />
(Aorta) wird oberhalb des Herzens durch eine spezielle<br />
Klemme verschlossen. Auf diese Weise kann<br />
der Operateur arbeiten, während das Herz stillsteht,<br />
und der Kreislauf durch die Herz-Lungen-Maschine<br />
versorgt wird. Ähnlich wie bei der offenen<br />
Herzoperation wird dann mit einem speziellen Katheter<br />
die Ablation im Bereich der linken Herzvorkammer<br />
durchgeführt. Auch hier werden Isolationslinien<br />
um die Lungenvenen herum angelegt. Eine<br />
weitere Verödungslinie wird zwischen den rechten<br />
und linken Lungenvenen bis zum Mitralklappenring<br />
hinuntergezogen.<br />
Ein weiteres neues Verfahren ist die Isolierung der<br />
Lungenvenen, ausgehend von der Oberfläche des<br />
Herzens. Hierzu ist eine Eröffnung des linken Vor-<br />
hofs nicht mehr nötig. Die Lungenvenen werden<br />
von außen kurz abgeklemmt und mit einer Hochfrequenz-,<br />
Ultraschall-, Kryo-, Mikrowellen- oder<br />
Laserenergie behandelt. Diese Technik der Behandlung<br />
von Vorhofflimmern wird überwiegend bei<br />
Patienten eingesetzt, bei denen man, zum Beispiel<br />
im Rahmen einer Bypass-Operation, auf den Einsatz<br />
der Herz-Lungen-Maschine verzichten möchte.<br />
Dieses Verfahren befindet sich derzeit noch in<br />
der Entwicklung.<br />
Nach allen vorgenannten Operationen ist eine<br />
intensivmedizinische Weiterbehandlung für etwa<br />
einen Tag notwendig. Anschließend erfolgt, je nach<br />
Erholungsverlauf, eine etwa vier- bis achttägige<br />
Behandlung auf einer Normalstation. In den Tagen<br />
nach der Operation (etwa am zweiten bis vierten<br />
Tag) ist das Auftreten von Vorhofrhythmus<strong>störungen</strong><br />
nicht ungewöhnlich. Das Herz muss sich<br />
nach dem lange bestehenden Vorhofflimmern quasi<br />
elektrisch erholen und sich wieder an den normalen<br />
<strong>Herzrhythmus</strong> gewöhnen.<br />
Ergebnisse<br />
Die Erfolgsaussichten mit den genannten Verfahren,<br />
einen normalen <strong>Herzrhythmus</strong> dauerhaft wiederherzustellen,<br />
liegen im Durchschnitt bei rund<br />
70 – 90%. Dabei sind die Chancen, dauerhaft<br />
einen normalen <strong>Herzrhythmus</strong> (Sinusrhythmus) zu<br />
erreichen, von verschiedenen Vorbedingungen abhängig:<br />
63
Welche Herzerkrankungenliegen<br />
zusätzlich vor?<br />
Wie lange besteht<br />
das Vorhofflimmern<br />
schon?<br />
Wie gedehnt sind<br />
die Herzvorhöfe?<br />
Wie schwerwiegend<br />
sind die<br />
Herzvorhöfe verändert,<br />
zum Beispiel<br />
durch Narbenbildung?<br />
Bei<br />
Patienten, bei denen keine begleitende Herzkrankheit<br />
besteht, ist eine langfristige Erfolgsrate von bis<br />
zu 90 % erreichbar.<br />
64<br />
Komplikationen<br />
Bei Patienten, die sich ohnehin einer Herzoperation<br />
unterziehen müssen, gibt es selten schwerwiegende<br />
Komplikationen, die mit der Ablation von<br />
Vorhofflimmern zusammenhängen. Bei richtiger<br />
Technik werden heutzutage Sterblichkeit und Komplikationen<br />
maßgeblich durch die zugrundeliegende<br />
Herzoperation bestimmt. Insbesondere bei Verwendung<br />
der Kältetechnik (Kryo-Therapie) sind<br />
ernsthafte Komplikationen bei Anwendung von<br />
Temperaturen um - 60 °C praktisch nicht mehr aufgetreten.<br />
Ausblick<br />
Chirurgische Ablationsverfahrenwerden<br />
in zahlreichen<br />
Zentren als sichere<br />
und standardisierte<br />
Therapieverfahren<br />
zur Beseitigung von<br />
Vorhofflimmern<br />
eingesetzt. In der<br />
Regel werden diese<br />
Verfahren bei Patienten<br />
angewandt,<br />
die sich ohnehin<br />
Abb. 3: Eine chirurgische Ablation kann Vorhofflimmern heilen. Normalerweise einem herzchirur-<br />
als zusätzliches Verfahren bei ohnehin notwendigen Herzoperationen.<br />
gischen Eingriff unterziehen<br />
müssen.<br />
Bei der Mehrzahl der Patienten ist dies ein Eingriff<br />
mit Eröffnung des Brustkorbs und Anschluss an<br />
die Herz-Lungen-Maschine. Die zusätzliche Ablation<br />
von Vorhofflimmern verlängert die Operationszeit<br />
bei dieser Technik nur unwesentlich.<br />
Ebenfalls heutige Routine ist der Einsatz der chirurgischen<br />
Ablationstechnik als zusätzliche Maßnahme<br />
bei minimal-invasiver Herzchirurgie, zum Beispiel<br />
an der Mitralklappe und bei der Behandlung<br />
des Vorhofscheidewanddefekts. Hier sind die Ergebnisse<br />
ähnlich gut wie bei dem Einsatz im Rahmen<br />
einer offenen Herzoperation. Die endoskopische<br />
Ablationstechnik (geschlossener Brustkorb<br />
und Anwendung der Energie zur Isolation der Lungenvenen<br />
von außen) wird derzeit nur an wenigen<br />
Zentren durchgeführt und befindet sich noch<br />
in der Entwicklung.
Vorhofflimmern:<br />
das Schlaganfallrisiko senken<br />
Vorhofflimmern ist an sich nicht lebensbedrohend,<br />
aber es bringt Gefahren mit sich, vor allem die Gefahr<br />
eines Schlaganfalls. Da durch das Flimmern<br />
die Herzvorhöfe sich nicht mehr regelmäßig zusammenziehen,<br />
entstehen Blutgerinnsel, die, im<br />
Blutstrom mitgerissen, Gefäße verschließen können.<br />
Verschließt ein solches Blutgerinnsel ein Gefäß<br />
im Gehirn, kommt es zum Schlaganfall.<br />
Mindestens 10 – 15 % aller Schlaganfälle sind auf<br />
Vorhofflimmern zurückzuführen. Im höheren<br />
Lebensalter stellt es die häufigste Ursache für<br />
Schlaganfälle dar, insbesondere für schwere Schlaganfälle<br />
bei älteren Frauen. Die Hälfte aller Schlaganfälle<br />
im Zusammenhang mit Vorhofflimmern treten<br />
bei Patienten im Alter von über 75 Jahren auf.<br />
Diese Zahlen zeigen, wie wichtig es ist, die Patienten<br />
durch gerinnungshemmende Medikamente vor<br />
dem Schlaganfall zu schützen. Allerdings sind nicht<br />
alle Patienten gleichermaßen gefährdet. Das Risiko<br />
und damit die Therapie hängt vom Lebensalter<br />
und den Begleiterkrankungen ab.<br />
ASS oder Marcumar<br />
Verschiedene Medikamente stehen zur Verhinderung<br />
von Schlaganfällen und anderen Gefäßverschlüssen<br />
zur Verfügung: Patienten werden entweder<br />
mit ASS (Acetylsalicylsäure) oder Marcumar<br />
bzw. anderen Medikamenten, die ähnlich wie Marcumar<br />
wirken (z. B. Falithrom, Coumadin), behandelt.<br />
ASS und Marcumar haben verschiedene Ansatzpunkte:<br />
■ ASS hemmt die Verklumpung der Blutplättchen<br />
(Thrombozyten).<br />
■ Marcumar, Falithrom oder Coumadin sind<br />
Gegenspieler von Vitamin K und hemmen die<br />
Bildung von Gerinnungsfaktoren. Diese Medikamente<br />
greifen tiefer in die Blutgerinnung ein<br />
als ASS. Die Patienten müssen deshalb genau<br />
eingestellt werden (siehe unten). Eine zu star-<br />
Dr. med. Christa Gohlke-Bärwolf, Bad Krozingen<br />
ke Gerinnungshemmung bedeutet eine erhöhte<br />
Blutungsgefahr, eine zu schwache Gerinnungshemmung<br />
bietet keinen ausreichenden<br />
Schutz vor Gerinnselbildung. Deshalb wird die<br />
Blutgerinnung in den sogenannten therapeutischen<br />
Bereich gesenkt (s. Empfehlungen S. 66,<br />
67). Das ist jener Bereich, der einen optimalen<br />
Schutz vor Gerinnselbildung mit einer möglichst<br />
geringen Blutungsgefahr gewährleistet.<br />
Welches Medikament in jedem einzelnen Fall vorzuziehen<br />
ist, hängt davon ab, wie hoch das erwartete<br />
Schlaganfallrisiko ist. In vielen Studien konnte<br />
gezeigt werden, dass die Behandlung mit Marcumar<br />
der Behandlung mit ASS deutlich überlegen<br />
ist bei Patienten, die ein hohes Schlaganfallrisiko<br />
haben. Diese Patienten haben einen großen Nutzen<br />
von Marcumar.<br />
Patienten, bei denen das Risiko für einen Schlaganfall<br />
jedoch deutlich niedriger ist, haben keinen<br />
Nutzen von einer Behandlung mit Marcumar im<br />
Vergleich zu ASS.<br />
Wie hoch ist das Risiko?<br />
Um herauszufinden, welche Patienten besonders<br />
gefährdet sind, wurde eine Reihe von großen Studien<br />
durchgeführt (z. B. AFI, SPAF, CHADS2). Dabei<br />
hat sich herausgestellt, dass das Risiko, einen<br />
Schlaganfall zu erleiden, bei den einzelnen Patienten<br />
sehr unterschiedlich ist.<br />
Zum Beispiel ist bei Patienten mit Vorhofflimmern,<br />
die jünger als 65 Jahre sind und die keine Herzerkrankung<br />
und keine weiteren Risikofaktoren haben,<br />
eine Therapie nicht erforderlich, da bei ihnen<br />
das Risiko für einen Schlaganfall sehr niedrig ist.<br />
Patienten, die ein hohes Risiko haben für Thromboembolien<br />
(Verschluss eines Gefäßes durch ein<br />
verschlepptes Gerinnsel), bedürfen der Therapie<br />
mit gerinnungshemmenden Medikamenten (Marcumar,<br />
Falithrom oder Coumadin). Nach den heutigen<br />
Erkenntnissen kann eine Kombination von<br />
65
ASS und Clopidogrel diese Medikamente nicht ersetzen.<br />
Zu den Faktoren, die mit einem hohen Risiko verbunden<br />
sind, gehören:<br />
■ Schlaganfall oder Embolien in der Vorgeschichte<br />
■ Mitralstenose (Verengung der Mitralklappe)<br />
■ künstliche Herzklappen<br />
Zu den Faktoren, die mit einem mittleren Risiko<br />
verbunden sind, gehören:<br />
■ Alter: 75 Jahre und darüber<br />
■ Bluthochdruck<br />
Allgemein geht man davon aus, dass auch ein<br />
ausreichend behandelter Hochdruck weiterhin<br />
ein Risikofaktor für Thromboembolien ist. Aber<br />
ein gut eingestellter Hochdruck geht insgesamt<br />
mit weniger Schlaganfällen einher und auch mit<br />
weniger Neigung zu Vorhofflimmern.<br />
■ Herzschwäche mit einer Auswurffraktion der<br />
linken Herzkammer unter 35 %<br />
■ Diabetes<br />
66<br />
Empfehlungen zur gerinnungshemmenden Therapie<br />
bei Patienten mit Vorhofflimmern<br />
■ Patienten ohne Herzerkrankung und ohne Risikofaktoren<br />
(lone atrial fibrillation) unter 65 Jahren<br />
■ Patienten mit mittlerem und niedrigem Risiko für<br />
Thromboembolien, d. h. mit nur 1 Risikofaktor:<br />
■ Alter gleich oder über 65 Jahre,<br />
■ Bluthochdruck,<br />
■ Herzschwäche (Auswurffraktion der linken<br />
Herzkammer unter 35 %),<br />
■ Diabetes,<br />
■ koronare Herzkrankheit,<br />
■ Schilddrüsenüberfunktion.<br />
■ Patienten mit hohem Risiko, d. h. mit 2 oder mehr<br />
mittleren Risikofaktoren oder 1 hohem Risikofaktor wie:<br />
■ Schlaganfall,<br />
■ Embolien in der Vorgeschichte,<br />
■ Mitralstenose,<br />
■ künstliche Herzklappen (zum INR-Wert s. Tab. S. 67).<br />
Zu den Faktoren, die mit einem niedrigen Risiko<br />
verbunden sind, gehören:<br />
■ Alter: 65 bis 74 Jahre<br />
■ koronare Herzkrankheit<br />
■ Schilddrüsenüberfunktion<br />
Je mehr Risikofaktoren ein Patient auf sich vereint,<br />
umso höher ist sein Risiko für Thromboembolien<br />
und so dringender ist die Behandlung mit Marcumar.<br />
In der folgenden Tabelle wird dargestellt, was<br />
die internationalen Leitlinien (American Heart<br />
Association, American College of Cardiology und<br />
European Society of Cardiology) <strong>heute</strong> empfehlen.<br />
Der Unterschied zu den bisher geltenden Leitlinien<br />
von 2001 besteht darin, dass im Bereich des<br />
mittleren Risikos Patienten und Ärzten eine größere<br />
Freiheit eingeräumt wird, sich je nach der individuellen<br />
Situation des Patienten für ASS oder Marcumar<br />
zu entscheiden. Dabei ist immer das Risiko<br />
für einen Schlaganfall mit dem Risiko für Blutungen<br />
abzuwägen.<br />
keine Therapie<br />
ASS (100 – 300 mg) oder<br />
Marcumar/Falithrom (INR 2 – 3)<br />
Entscheidung im Einzelfall (siehe<br />
Text)<br />
Gerinnungshemmung<br />
mit Marcumar/Falithrom<br />
(INR 2 – 3)
Wieviel Blutverdünnung?<br />
Die Blutverdünnung durch Marcumar muss kontrolliert<br />
werden und wird mit dem weltweit standardisierten<br />
INR-Wert gemessen. Der INR-Wert von<br />
1 bedeutet keine Gerinnungshemmung. Der INR-<br />
Wert von 2, dass die Gerinnungszeit auf das Zweifache<br />
verlängert ist, der INR-Wert von 3 auf das<br />
Dreifache. Leider wird in manchen Arztpraxen und<br />
Krankenhäusern immer noch der veraltete Quick-<br />
Wert verwendet. Eine zuverlässige Kontrolle der<br />
Blutverdünnung ist damit nicht möglich, weil der<br />
Quick-Wert von Labor zu Labor schwanken kann.<br />
Zu ihrer Sicherheit sollten die Patienten darauf bestehen,<br />
dass immer ihr INR-Wert gemessen wird.<br />
Bei einem INR von 2 – 3 wird eine Blutverdünnung<br />
erzielt, die zur Verhinderung von Embolien ausreicht.<br />
Oberhalb von 3 steigt das Blutungsrisiko<br />
deutlich an. Daher sollte bei Patienten mit Vorhofflimmern<br />
der INR-Wert in der Regel zwischen 2 und<br />
3 liegen. Damit kann das Risiko für Schlaganfälle<br />
um 80 % gesenkt werden. Nur bei Patienten mit extrem<br />
erhöhtem Risiko für Thromboembolien (z. B.<br />
mehr als 10 % im Jahr) ist eine stärkere Gerinnungshemmung<br />
nötig.<br />
Ein hohes Risiko für Gerinnselbildung haben<br />
Patienten mit Klappenerkrankungen oder künstlichen<br />
Herzklappen. Für sie gelten die untenstehenden<br />
Empfehlungen.<br />
Anfallsweises Vorhofflimmern<br />
und Vorhofflattern<br />
Wie werden Patienten behandelt, die nicht ständig,<br />
sondern immer wieder auftretende Episoden<br />
von Vorhofflimmern (paroxysmales Vorhofflimmern)<br />
haben?<br />
Die Therapie dieser Patienten unterscheidet sich<br />
nicht von denen, die unter ständigem Vorhofflimmern<br />
leiden (chronisches Vorhofflimmern). Auch<br />
Patienten mit Vorhofflattern werden genauso behandelt.<br />
Empfehlungen zur Gerinnungshemmung<br />
bei Patienten mit Herzklappenerkrankungen und Herzklappenprothesen<br />
INR-Zielbereich<br />
ohne Vorhofflimmern mit Vorhofflimmern<br />
Herzklappenerkrankung<br />
Aortenklappenfehler kein Marcumar 2,5 – 3,0<br />
schwere Mitralklappenstenose 2,5 – 3,0 3,0 – 3,5<br />
Biologische Herzklappen<br />
Aortenposition kein Marcumar 2,5 – 3,0<br />
Mitralposition kein Marcumar 3,0 – 3,5<br />
Kunstklappenprothesen<br />
1. Generation 3,0 – 3,5 3,5 – 4,0<br />
z . B. Starr-Edwards,<br />
Björk-Shiley-Standard<br />
2. Generation<br />
z . B. St. Jude Medical, Medtronic Hall<br />
Aortenposition 2,5 – 3,0 3,0 – 3,5<br />
Mitralposition 3,0 – 3,5 3,5 – 4,0<br />
67
68<br />
Vor und nach Kardioversion<br />
Wenn bei lang anhaltendem Vorhofflimmern durch<br />
Medikamente oder durch einen elektrischen<br />
Schock in Kurznarkose der normale <strong>Herzrhythmus</strong><br />
wiederhergestellt werden soll (Kardioversion),<br />
dann muss mindestens drei Wochen vorher Marcumar<br />
gegeben und diese Therapie mindestens für<br />
vier Wochen nach erfolgreicher Kardioversion fortgeführt<br />
werden. Dabei sollte der INR-Wert zwischen<br />
2 und 3 liegen.<br />
Patienten, die ein hohes Risiko für ein Wiederauftreten<br />
von Vorhofflimmern nach Kardioversion haben,<br />
sind Patienten mit Bluthochdruck, Patienten,<br />
die älter als 55 sind, Patienten, bei denen Vorhofflimmern<br />
für länger als drei Monate bestanden hat,<br />
und Patienten mit Herzschwäche. Bei diesen sollte<br />
die Marcumar-Therapie zumindest drei Monate<br />
fortgeführt werden.<br />
Was kann erreicht werden?<br />
Bei Vorhofflimmern, das nicht mit Herzklappenerkrankungen<br />
verbunden ist, kann zum Beispiel<br />
bei einem 73-jährigen Patienten mit Bluthochdruck<br />
und Zuckerkrankheit über ein Jahr das geschätzte<br />
persönliche Risiko einer Embolie von rund 4 % auf<br />
unter 1,5 % gesenkt werden. Eine Behandlung mit<br />
ASS ist in diesen Fällen nicht ausreichend, es<br />
kommt dabei nur zu einer Senkung des Risikos<br />
auf 3%.<br />
Besondere Beachtung verdient die Tatsache, dass<br />
ältere Patienten das höchste Risiko für Thromboembolien<br />
und Schlaganfälle haben und bei ihnen<br />
der größte Nutzen durch die Gerinnungshemmung<br />
erzielt werden kann. Allerdings erhalten gegenwärtig<br />
gerade diese Patienten noch selten Marcumar<br />
bzw. Falithrom.<br />
Bei älteren Patienten über 70 muss man berücksichtigen,<br />
dass sie eine höhere Empfindlichkeit gegenüber<br />
Marcumar haben. Deswegen sollte die<br />
Dosierung, insbesondere zu Beginn der Behandlung<br />
mit Marcumar, um durchschnittlich 30 % verringert<br />
und nur mit ein bis maximal zwei Tabletten<br />
täglich begonnen werden.<br />
Die Kontrolle des INR-Wertes bei älteren Patienten<br />
sollte sehr engmaschig sein. Weiterhin ist zu<br />
berücksichtigen, dass eine Reihe von Medikamenten,<br />
z. B. Cordarex, das häufig zur Behandlung von<br />
Vorhofflimmern eingesetzt wird, den Marcumar-<br />
Bedarf stark vermindert (siehe Broschüre der Deutschen<br />
Herzstiftung Gerinnungshemmung, S. 7/8).<br />
Kontrolle schafft Sicherheit<br />
Das Blutungsrisiko beträgt unter einer Marcumarbehandlung<br />
etwa 2 – 3 %/Jahr und unter ASS<br />
0,9 %/Jahr. Um das Risiko für Blutungen weiter zu<br />
vermindern, muss der INR-Wert alle ein bis zwei<br />
Wochen kontrolliert werden.<br />
Die Einhaltung des therapeutischen Bereichs (INR-<br />
Wert 2 – 3) ist für die Sicherheit des Patienten entscheidend.<br />
Nur dann werden Embolien verhindert,<br />
denn bei einem INR-Wert von 1,8 oder darunter<br />
ist das nicht mehr gesichert. Wenn Medikamente<br />
geändert werden, wenn Erkrankungen wie z. B.<br />
Grippe oder Darminfektionen und Durchfall auftreten,<br />
sollte häufiger getestet werden. Besonders<br />
bewährt hat sich die Selbstbestimmung der Gerinnungshemmung<br />
durch den Patienten mit Hilfe<br />
eines kleinen Messgeräts (Gerinnungsmonitor).<br />
Die Selbstmessung erlaubt es dem Patienten, jederzeit<br />
den INR-Wert festzustellen. Bei Änderung<br />
von Medikamenten, im Krankheitsfall oder auf Reisen<br />
mit den nicht zu vermeidenden Änderungen<br />
der Essgewohnheiten kann der Patient mit einer<br />
schnellen Dosisanpassung reagieren. Damit ist eine<br />
genauere Einhaltung des therapeutischen Zielbereichs<br />
möglich. Das steigert die Wirksamkeit der<br />
Marcumar-Therapie und senkt das Risiko für Komplikationen.<br />
Neue Hoffnung?<br />
Eine neue Gruppe von Medikamenten (sogenannte<br />
Thrombinantagonisten) wie Ximelagatran ist in<br />
mehreren Studien mit Patienten mit Vorhofflimmern<br />
untersucht worden. Es handelt sich hier um<br />
ein gerinnungshemmendes Medikament, das anders<br />
als Marcumar wirkt. Die Wirkung beginnt und<br />
endet rasch. Die Ergebnisse dieser ersten Studien<br />
zeigten, dass dieses Medikament ebenso wirksam<br />
ist wie Warfarin (das amerikanische Marcumar).<br />
Schwere Blutungen traten mit gleicher Häufigkeit<br />
auf. Allerdings waren Erhöhungen der Leberenzyme<br />
mit diesem neuen Medikament deutlich<br />
häufiger.
Aufgrund der Nebenwirkungen wurde dieses neue<br />
Medikament nach kurzer Zulassungszeit zu Beginn<br />
dieses Jahres wieder vom Markt genommen.<br />
Zusammenfassung<br />
Auch bei Vorhofflimmern und dem damit verbundenen<br />
Schlaganfall-Risiko gilt: Vorbeugen ist besser<br />
als heilen. Die strikte Behandlung des hohen<br />
Blutdrucks, der häufigsten Ursache für Vorhofflimmern,<br />
und Vermeidung größerer Alkoholmengen<br />
vermindern das Auftreten von Vorhofflimmern. Ist<br />
es jedoch dazu gekommen, verhindert die Behandlung<br />
mit Marcumar bei den Patienten mit einem erhöhten<br />
Risiko am sichersten den Schlaganfall.<br />
Weltweit erhalten immer noch zu wenig Patienten<br />
Dieser Lastwagenfahrer war<br />
einer der ersten, der die Selbstbestimmung<br />
lernte. Die Wirkung war<br />
exzellent: Es gab keine Komplikationen,<br />
weder Embolien noch Blutungen.<br />
Er fährt regelmäßig seine großen europaweiten<br />
Touren – ohne für die Gerinnungskontrolle<br />
auf Arztbesuche angewiesen zu sein.<br />
diese gerinnungshemmenden Medikamente aus<br />
Furcht vor Nebenwirkungen. Bei guter Einstellung<br />
und Kontrolle – wobei vor allem die Selbstkontrolle<br />
sehr hilfreich ist – ist der Nutzen dieser Medikamente,<br />
weil sie Schlaganfälle verhindern, wesentlich<br />
größer als die Gefahr von Blutungen. Voraussetzung<br />
ist, dass immer der INR-Wert gemessen<br />
wird, weil mit dem veralteten Quick-Wert, der in<br />
Deutschland noch allzu oft in Arztpraxen und Krankenhäusern<br />
genutzt wird, die Kontrolle unzuverlässig<br />
ist.<br />
69
Christiane K. ist eine beruflich viel beschäftigte,<br />
sportlich aktive 45-jährige Frau. Gegen Ende ihres<br />
abendlichen Waldlaufs bemerkt Christiane K. plötzlich<br />
einen ungewöhnlich raschen Herzschlag mit<br />
starkem Herzklopfen. Auch als sie aufhört zu laufen,<br />
normalisiert sich der Herzschlag nicht. Sie hat<br />
das Gefühl, „der Motor läuft die ganze Zeit mit doppeltem<br />
Tempo – wie auf Vollgas“. Sie misst die Pulsfrequenz:<br />
145 Schläge/Minute. Auch in den folgenden<br />
Stunden hält das Herzrasen an, sie fühlt sich<br />
ausgesprochen unwohl. Erst zu später Stunde<br />
kommt Christiane K. an diesem Abend zur Ruhe<br />
und schläft ein. Auch am nächsten Morgen ist der<br />
Herzschlag immer noch schnell und unangenehm,<br />
so dass sie ihren Hausarzt aufsucht. Auf dem Weg<br />
dorthin springt das Herz plötzlich wieder auf die<br />
normale „Taktfrequenz“ um, so dass das EKG unauffällig<br />
ist. In der Folgezeit treten diese <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
immer häufiger auf und halten länger<br />
an. Mit einer Langzeit-EKG-Registrierung wurde<br />
dann die Diagnose „Vorhofflattern“ gesichert<br />
(s. Abb. S. 74).<br />
70<br />
Vorhofflattern: ein Fall für die<br />
Katheterbehandlung<br />
Prof. Dr. med. Stephan Willems, Dr. med. Dipl.-Ing. Boris Lutomsky, Dr. med. Daniel Steven,<br />
Dr. med. Thomas Rostock, Universitäres Herzzentrum Hamburg,<br />
Klinik und Poliklinik für Kardiologie/Angiologie<br />
Was ist Vorhofflattern?<br />
Ähnlich wie beim Vorhofflimmern hat beim Vorhofflattern<br />
der Sinusknoten seine normale Funktion<br />
als Taktgeber zumindest zeitweilig verloren<br />
(s. Abb. S. 12). Der normale <strong>Herzrhythmus</strong> ist regelmäßig<br />
und wird durch körperliche Belastung in<br />
seiner Frequenz beeinflusst. Im Gegensatz dazu<br />
besteht das Vorhofflattern in einer kreisenden Erregung<br />
im Bereich der rechten Vorkammer mit<br />
einer Frequenz von 240 – 340 Schlägen/Minute.<br />
Weil der AV-Knoten wie ein Filter wirkt, werden<br />
nicht alle elektrischen Impulse aus dem Vorhof in<br />
die Herzkammer übergeleitet. Wie hoch die Puls-<br />
frequenz wird, hängt davon ab, wie schnell der AV-<br />
Knoten die Erregung vom Vorhof auf die Kammer<br />
überleitet. Meistens handelt es sich um eine sogenannte<br />
2:1-Überleitung. Es wird also nur jede zweite<br />
Vorhoferregung auf die Kammer übergeleitet. Es<br />
resultiert daraus eine Herzfrequenz von 120 – 170<br />
Schlägen/Minute. Allerdings kann, ähnlich wie<br />
beim Vorhofflimmern, auch eine unregelmäßige<br />
Herzschlagfolge, je nach Leitungsvermögen des<br />
AV-Knotens, die Folge von Vorhofflattern sein. Vorhofflattern<br />
kann wie bei unserer Patientin von allein<br />
zu Ende gehen (intermittierendes Vorhofflattern)<br />
oder in anhaltender Form (persistierendes<br />
oder chronisches Vorhofflattern) auftreten. Allerdings<br />
ist bei anhaltendem Vorhofflattern der Übergang<br />
in Vorhofflimmern mit einer völlig ungeordneten<br />
Kreiserregung im Vorhof häufig. Daher können<br />
bei demselben Patienten zu verschiedenen<br />
Zeitpunkten einmal Vorhofflattern, dann wieder<br />
Vorhofflimmern registriert werden.<br />
Wie entsteht Vorhofflattern?<br />
Genaue elektrophysiologische Untersuchungen<br />
(s. S. 25) haben ergeben, dass es sich beim Vorhofflattern<br />
in den allermeisten Fällen um eine Kreiserregung<br />
im Bereich des rechten Vorhofs handelt<br />
(s. Abb. S. 72). Sie verläuft in der Mehrzahl der<br />
Fälle entgegen dem Uhrzeigersinn entlang der Trikuspidalklappe.<br />
Dort besteht eine für das Vorhofflattern<br />
wichtige anatomische Engstelle (rechtsatrialer<br />
Isthmus), durch welche die Erregungsfront<br />
geführt wird, und zwar zwischen dem Mündungsbereich<br />
der unteren Hohlvene in den rechten Vorhof<br />
und der Trikuspidalklappe. Begünstigt wird<br />
das Auftreten von Vorhofflattern durch eine Vergrößerung<br />
oder Druckbelastung des rechten Vor-
hofs, wie dies bei chronischen Lungenerkrankungen,<br />
koronarer Herzkrankheit, Kardiomyopathien,<br />
Herzklappenfehlern, aber auch hohem Blutdruck<br />
der Fall sein kann.<br />
Was sind die Beschwerden?<br />
In den meisten Fällen ist Vorhofflattern mit einer<br />
im Vergleich zum normalen <strong>Herzrhythmus</strong> rascheren<br />
Kammerfrequenz verbunden. Je nach Alter und<br />
je nach Grunderkrankung nimmt der Patient den<br />
schnellen <strong>Herzrhythmus</strong> unterschiedlich wahr. Die<br />
häufigsten Beschwerden sind Herzklopfen, innere<br />
Unruhe, Herzjagen, Luftnot, allgemeine körperliche<br />
Schwäche und schnellere Ermüdbarkeit.<br />
Ähnlich wie beim Vorhofflimmern kann das Vorhofflattern<br />
grundsätzlich zwei Probleme mit sich<br />
bringen:<br />
■ Die Herzleistung ist verringert, weil der Vorhof<br />
nicht effektiv arbeitet und die Herzkammer in<br />
vielen Fällen mit konstant hoher Frequenz<br />
pumpt. Diese hohe Frequenz passt sich dann<br />
auch nicht – wie beim gesunden Herzen – den<br />
individuellen Erfordernissen, wie z. B. der körperlichen<br />
Belastung, an.<br />
■ Wenn Vorhofflattern länger besteht und unter<br />
Umständen in Vorhofflimmern übergeht, verlangsamt<br />
sich der Blutstrom, so dass sich Blutgerinnsel<br />
im linken Vorhofohr bilden können.<br />
Dabei besteht die Gefahr, dass sie über die<br />
Hauptschlagader in das Gehirn verschleppt werden<br />
(zerebrale Embolie) und zum Schlaganfall<br />
führen können.<br />
Beschwerden und Auswirkungen des Vorhofflatterns<br />
hängen im wesentlichen davon ab, ob der<br />
Patient an einer Herzkrankheit leidet und wie<br />
71
72<br />
Vorhofflattern<br />
Schnitt durch das menschliche<br />
Herz in Höhe der Herzklappenebene:<br />
Links: Trikuspidalklappe,<br />
Pfeile: Verlauf der Vorhofflatterwelle<br />
um den Herzklappenring,<br />
Mitte oben: Pulmonalklappe,<br />
Rechts unten: Mitralklappe,<br />
Rechts oben: Aortenklappe,<br />
unter der Mitralklappe<br />
befindet sich bogenförmig<br />
der Koronarvenensinus.<br />
schwer seine Herzkrankheit ist. Junge, herzgesunde<br />
Patienten vertragen Vorhofflattern in der<br />
Regel problemlos. Auf der anderen Seite kann ein<br />
z. B. durch einen Herzinfarkt vorgeschädigtes Herz<br />
rasch und manchmal akut bedrohlich beeinträchtigt<br />
werden. Durch länger bestehendes Vorhofflattern<br />
mit einer hohen Kammerfrequenz kann auch<br />
die Leistungsfähigkeit der Herzkammer durch das<br />
„hochtourige Laufen des Motors“ herabgesetzt werden.<br />
Welche Untersuchungen<br />
sind notwendig?<br />
Nach der körperlichen Untersuchung sichert das<br />
EKG während des Anfalls die Diagnose Vorhofflattern.<br />
Wenn Vorhofflattern gelegentlich auftritt, ist<br />
es hilfreich, mehrere Langzeit-EKGs zu erstellen.<br />
Neben Laboruntersuchungen zum Ausschluss<br />
einer hormonell bedingten Ursache (z. B. Schilddrüsenüberfunktion)<br />
gehört die Ultraschalluntersuchung<br />
des Herzens zum Standardvorgehen.<br />
Wenn Vorhofflattern länger besteht, kann zwischenzeitlich<br />
Vorhofflimmern aufgetreten sein. Deswegen<br />
ist auch bei länger anhaltendem Vorhofflattern<br />
eine Gerinnungshemmung (Marcumar) notwendig.<br />
Eine Schluckechountersuchung (transösophageale<br />
Echokardiographie) muss sichern, dass sich<br />
keine Blutgerinnsel gebildet haben, wenn kein ausreichender<br />
Gerinnungsschutz besteht und der Patient<br />
in den normalen Rhythmus zurückgebracht<br />
werden soll. Eine elektrophysiologische Untersuchung<br />
ist nur sinnvoll, wenn in gleicher Sitzung<br />
eine Hochfrequenzstrom-Katheterablation geplant<br />
ist.<br />
Wie wird Vorhofflattern behandelt?<br />
Grundsätzlich gibt es, wie beim Vorhofflimmern,<br />
zwei Ziele der Behandlung:<br />
■ die Kontrolle der Herzfrequenz bei weiterbestehendem<br />
Vorhofflattern.<br />
■ die Wiederherstellung des normalen <strong>Herzrhythmus</strong><br />
(Sinusrhythmus).<br />
Bei länger bestehendem Vorhofflattern kann in einzelnen<br />
Fällen die Herzfrequenz durch Medikamente<br />
(Betablocker (z.B. Metoprolol), Calciumantagonisten<br />
(z. B. Verapamil)), die die Filterfunktion des<br />
AV-Knotens verstärken, kontrolliert werden.<br />
In der Regel ist das Ziel der Behandlung von Vorhofflattern<br />
jedoch die dauerhafte Wiederherstellung<br />
des normalen Rhythmus. Zur Unterbrechung<br />
des Vorhofflatterns können Medikamente (Antiarrhythmika)<br />
verwendet werden. Diese Rhythmisierungsversuche<br />
sollten nur unter zumindest kurzer<br />
stationärer Betreuung in der Klinik erfolgen,<br />
weil dort eine Monitorüberwachung möglich ist.<br />
Häufig sind Medikamente jedoch nicht wirksam.<br />
Es müssen dann nichtmedikamentöse Verfahren<br />
angewendet werden. In Zentren mit entsprechender<br />
Ausrüstung kann über ein Schrittmacherkabel,<br />
wie es auch bei der elektrophysiologischen Untersuchung<br />
verwendet wird, nach Plazierung im Bereich<br />
des rechten Vorhofs eine sogenannte Über-
stimulation (Overdrive-Stimulation) durchgeführt<br />
werden. Bei der gewöhnlichen Form des Vorhofflatterns<br />
kann in 80 – 90 % der Fälle durch eine<br />
hochfrequente Stimulation die Kreiserregung unterbrochen<br />
und ein normaler Rhythmus erzeugt<br />
werden. Wenn die Überstimulation nicht möglich<br />
bzw. nicht wirksam ist, wird das Vorhofflattern wie<br />
Vorhofflimmern durch einen elektrischen Schock<br />
(Kardioversion) in Kurznarkose unterbrochen. Dies<br />
ist in fast allen Fällen möglich und zumindest kurzfristig<br />
erfolgreich.<br />
Tritt Vorhofflattern wiederholt auf, so stellt sich die<br />
Frage, wie man zukünftige Attacken verhindern<br />
kann. Früher wurden ausschließlich Medikamente<br />
(Betablocker oder Antiarrhythmika) eingesetzt.<br />
Diese Behandlungsverfahren sind jedoch häufig<br />
wenig effektiv.<br />
Die Verödung mit Kathetern (Katheterablation)<br />
sollte <strong>heute</strong> als Therapiemöglichkeit frühzeitig in<br />
Betracht gezogen werden. Dabei werden unter örtlicher<br />
Betäubung Elektrodenkatheter über die Leistenvenen,<br />
in seltenen Fällen auch über die Schlüsselbeinvene,<br />
zum Herzen geführt und unter Röntgenkontrolle<br />
plaziert (s. Abb.). Der Patient erhält<br />
Schmerz- und Beruhigungsmittel. Dann wird mit<br />
einzelnen Hochfrequenzstromimpulsen eine Verbindungslinie<br />
zwischen der Trikuspidalklappe und<br />
der Mündung der unteren Hohlvene gezogen. Ziel<br />
ist die elektrische Unterbrechung der in diesem<br />
Bereich verlaufenden Kreiserregung des Vorhofflatterns.<br />
Dies gelingt <strong>heute</strong> bei über 95 % der Patienten.<br />
Aufgrund der Länge der Verbindungslinie<br />
von 1,5 – 2 cm besteht die Möglichkeit, dass sich<br />
an einzelnen Stellen das verödete Herzmuskelgewebe<br />
wieder erholt und erneut elektrisch leitfähig<br />
wird: Es kann dann in etwa 5 % der Fälle zum<br />
Wiederauftreten von Vorhofflattern kommen. Dann<br />
muss die Prozedur wiederholt werden. Grundsätzlich<br />
gilt, dass die Verödung (Katheterablation) von<br />
Vorhofflattern <strong>heute</strong> nicht nur ein sehr wirksames,<br />
sondern auch ein sehr sicheres Verfahren ist. Die<br />
Risiken der Ablation sind im rechten Vorhof geringer<br />
als im linken Vorhof und liegen bei 1 % für<br />
schwere Komplikationen. Bei zusätzlich bestehendem<br />
Vorhofflimmern ist zu beachten, dass häufig<br />
eine medikamentöse Therapie einschließlich einer<br />
Blutverdünnung auch nach Katheterablation von<br />
Vorhofflattern notwendig ist.<br />
Obwohl das Risiko von Hirnembolien bei Vorhofflattern<br />
als etwas geringer eingeschätzt wird als bei<br />
Vorhofflimmern, gilt <strong>heute</strong> die Grundregel, dass<br />
Patienten, die länger als zwei Tage unter Vorhofflattern<br />
leiden, entweder mit Medikamenten zur<br />
Blutverdünnung behandelt werden müssen oder<br />
Darstellung einer Vorhofflatterablation: Sie sehen den<br />
Verödungskatheter im rechten Vorhof am Isthmus und einen<br />
Stimulationskatheter im Koronarvenensinus.<br />
73
Langzeit-EKG-Registrierung bei einem Patienten mit Vorhofflattern.<br />
Die „sägezahnartigen“ Flatterwellen sind gut erkennbar.<br />
ein Schluckecho (transösophageale Echokardiographie)<br />
durchgeführt wird, das überprüft, ob sich<br />
Blutgerinnsel gebildet haben.<br />
74<br />
Zusammenfassung<br />
Vorhofflattern ist eine <strong>Herzrhythmus</strong>störung, die<br />
bei Patienten mit oder ohne zusätzlicher Herzerkrankung<br />
vorkommen kann. Über die Ursachen<br />
und den Mechanismus (Kreiserregung im rechten<br />
Vorhof) der gewöhnlichen Form gibt es <strong>heute</strong> sehr<br />
genaue Kenntnis. Dies hat auch die Entwicklung<br />
von neuen Behandlungsansätzen wesentlich beeinflusst.<br />
Die Behandlungsstrategien richten sich<br />
nach Beschwerden und Häufigkeit der Anfälle von<br />
Vorhofflattern. Die häufigsten Beschwerden sind<br />
dabei verminderte Belastbarkeit, Luftnot und das<br />
Gefühl von Herzrasen. Wenn Patienten unter Vorhofflattern<br />
leiden und diese Rhythmusstörung wiederholt<br />
auftritt, ist <strong>heute</strong> die Katheterablation ein<br />
etabliertes und sicheres Verfahren zur dauerhaften<br />
Beseitigung dieser Rhythmusstörung.<br />
Nach wiederholt auftretendem Vorhofflattern entschied<br />
sich auch Christiane K. für diese Behandlung.<br />
Nach einem zweitägigen Aufenthalt in der<br />
Klinik mit erfolgreicher Katheterablation des Vorhofflatterns<br />
konnte sich Christiane K. bereits nach<br />
vierzehn Tagen wieder voll belasten. Seither ist das<br />
Vorhofflattern nicht mehr aufgetreten.
Lebensbedrohliche<br />
<strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
Dr. med. Michael Ulbrich, Medizinische Klinik und Poliklinik I,<br />
Klinikum Großhadern, Ludwig-Maximilians-Universität München<br />
Dr. med. Uwe Dorwarth, Medizinische Klinik I, Krankenhaus Bogenhausen, München<br />
PD Dr. med. Christopher Reithmann, Prof. Dr. med. Gerhard Steinbeck,<br />
Klinikum Großhadern, Ludwig-Maximilians-Universität München<br />
Herbert W., ein 64-jähriger pensionierter Postbeamter,<br />
war froh, seinen Hinterwandinfarkt vor<br />
einem Jahr gut überstanden zu haben. Sein Leben<br />
verlief in ruhigen Bahnen. Eine halbe Stunde nach<br />
einem gemütlichen Spaziergang wurde ihm aus<br />
vollem Wohlbefinden heraus schlagartig übel, und<br />
es blieb ihm die Luft weg. Er konnte gerade noch<br />
nach seiner Frau rufen, die ihn auf dem Flur liegend<br />
vorfand. Schockiert blickte sie in sein blasses<br />
Gesicht, auf dem sich kalter Schweiß bildete.<br />
Sie spürte sofort, dass ihr Mann in Gefahr war. Er<br />
brachte nur noch ein paar leise, undeutliche Worte<br />
hervor, bis er die Augen nach oben verdrehte<br />
und nicht mehr reagierte. Zum Glück war der 35jährige<br />
Sohn zu Besuch. Er tastete beim Vater keinen<br />
Puls mehr und begann geistesgegenwärtig mit<br />
Wiederbelebung, während seine Mutter den Rettungswagen<br />
mit Notarzt alarmierte. Die Zeit bis<br />
zum Eintreffen des Notarztes erschien ihnen wie<br />
eine Ewigkeit. Doch dann ging alles ganz schnell.<br />
Dem Notarzt gelang es, durch einen Elektroschock<br />
mit Hilfe eines Defibrillators das Herz wieder anzuwerfen.<br />
Herbert W. wurde sofort in die Klinik<br />
gebracht: Er hatte eine lebensbedrohliche <strong>Herzrhythmus</strong>störung<br />
überlebt.<br />
Welche Rhythmusstörung<br />
ist lebensbedrohlich?<br />
<strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> können lebensbedrohlich<br />
werden, wenn der Kreislauf aufgrund eines zu langsamen<br />
oder zu schnellen Herzschlags zusammenzubrechen<br />
droht. Der zu langsame Herzschlag, der<br />
häufig auf einer Blockierung der elektrischen Überleitung<br />
vom Vorhof auf die Kammern beruht und<br />
das Einsetzen eines Herzschrittmachers erforder-<br />
lich macht, ist in einem anderen Kapitel dieser Broschüre<br />
ausführlich behandelt (S. 15).<br />
Der lebensbedrohliche, zu schnelle Herzschlag,<br />
von dem hier die Rede ist, hat seinen Ursprung in<br />
der Regel in einer erhöhten elektrischen Aktivität<br />
der linken oder seltener der rechten Herzkammer.<br />
Es kommt zu einer Verselbständigung der elektrischen<br />
Erregung der Herzkammern, die unabhängig<br />
vom natürlichen Impulsgeber, dem Sinusknoten,<br />
zu rasen beginnt. Dieser schnelle Herzschlag<br />
kann als sogenannte Kammertachykardie<br />
mit regelmäßigen Herzfrequenzen im Bereich von<br />
150 bis 250 Schlägen/Minute bedrohlich werden:<br />
Beim Kammerflattern (meist über 250 Schläge/<br />
Minute) findet sich zwar noch eine regelmäßige<br />
Erregung der Herzkammern, die Pumpleistung des<br />
Herzens fällt aufgrund der hohen Schlagfrequenz<br />
jedoch soweit ab, dass der Kreislauf innerhalb kürzester<br />
Zeit zusammenbricht. Kammertachykardie<br />
und Kammerflattern können in Kammerflimmern<br />
übergehen, bei dem die Kammermuskulatur aufgrund<br />
einer völlig ungeordneten elektrischen Erregung<br />
nur noch unkoordinierte, ineffektive Zuckungen<br />
aufweist. Das flimmernde Herz bringt keine<br />
nennenswerte Blutförderung mehr zustande.<br />
Diese Situation entspricht einem Herzstillstand, der<br />
unbehandelt innerhalb weniger Minuten aufgrund<br />
von Sauerstoffmangel zum Tod führt.<br />
Welche Beschwerden treten auf?<br />
Typische Beschwerden von bedrohlichen <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
sind plötzlich auftretendes<br />
Herzrasen, Schwindel oder Bewusstlosigkeit (Synkopen).<br />
Teilweise kehrt das Bewusstsein bereits<br />
nach kurzer Zeit wieder zurück. Lebensbedrohli-<br />
75
che <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> sind oft dadurch unberechenbar,<br />
dass sie aus vollem Wohlbefinden<br />
heraus ohne vorherige Warnzeichen auftreten können.<br />
Sie sind meist nicht direkt abhängig von körperlichen<br />
Belastungen und treten häufig in Ruhe<br />
auf. 67 % der Patienten sind zum Zeitpunkt des Ereignisses<br />
körperlich nicht aktiv. Herz-Kreislauf-<br />
Probleme und plötzliche Herztodesfälle treten gehäuft<br />
während der Morgenstunden auf. Zwischen<br />
sechs und neun Uhr morgens besteht ein ungefähr<br />
zwei- bis dreifach höheres Risiko im Vergleich zu<br />
anderen Tageszeiten.<br />
Häufig ist das Auftreten lebensbedrohlicher <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
oder des plötzlichen Herztodes<br />
der erste Hinweis auf eine Herzerkrankung.<br />
Lebensbedrohliche <strong>Herzrhythmus</strong>störung (oben: Kammertachykardie,<br />
unten: Übergang in Kammerflimmern)<br />
Viele Patienten haben jedoch eine bekannte koronare<br />
Herzerkrankung oder bereits einmal einen<br />
Herzinfarkt durchgemacht. Die Schwere der Beschwerden<br />
hängt dabei im wesentlichen von drei<br />
Faktoren ab: der Herzfrequenz im Anfall, dem Zustand<br />
der herz- und gehirnversorgenden Gefäße<br />
sowie der Leistungsfähigkeit des Herzmuskels. Je<br />
schneller das Herz schlägt, desto schlechter kann<br />
es sich mit Blut füllen, so dass Blutdruck und Herzleistung<br />
abfallen. Mit zunehmender Herzfrequenz<br />
werden die Symptome daher bedrohlicher und die<br />
Rhythmusstörung gefährlicher. Zunächst kann der<br />
Patient nur Herzrasen spüren, das sich, wenn es<br />
länger dauert oder sich weiter beschleunigt, zu<br />
Schwächegefühl, Atemnot, Engegefühl in der Brust,<br />
Übelkeit, Angst, Schwarzwerden vor den Augen,<br />
Schwindel, Kreislaufzusammenbruch und Kollaps<br />
steigert.<br />
Tritt plötzlich Kammerflattern oder Kammerflimmern<br />
auf, kommt es innerhalb weniger Sekunden<br />
76<br />
zu einem Herz-Kreislauf-Stillstand mit Bewusstlosigkeit.<br />
Verengungen der Arterien, die Herz und<br />
Gehirn versorgen, können zu einer Verstärkung<br />
der Beschwerden führen. Bei einer Vorschädigung<br />
des Herzens mit Zeichen einer Herzinsuffizienz<br />
(Herzschwäche) kann Herzrasen schneller zu einem<br />
Herz-Kreislauf-Versagen führen als bei einem<br />
sonst organisch gesunden Herzen.<br />
Häufigkeit<br />
In Deutschland erleiden pro Jahr mehr als 100 000<br />
Menschen einen plötzlichen Herztod. Etwa alle<br />
fünf Minuten stirbt in Deutschland ein Mensch daran.<br />
In etwa 80 % der Fälle wird der Herz-Kreislauf-<br />
Stillstand dabei durch eine sehr schnelle <strong>Herzrhythmus</strong>störung<br />
(Kammertachykardie, Kammerflattern,<br />
Kammerflimmern) hervorgerufen. Etwa ein Viertel<br />
der Patienten mit einem akuten Herzinfarkt erleidet<br />
außerhalb der Klinik einen plötzlichen Herztod.<br />
Die Wahrscheinlichkeit, einen akuten Herz-Kreislauf-Stillstand<br />
durch eine rechtzeitige Wiederbelebung<br />
(Reanimation) zu überleben, ist auch <strong>heute</strong><br />
noch trotz verbesserter Rettungssysteme leider<br />
gering und liegt in Deutschland nur bei 5 – 10 %.<br />
Die Wiederbelebungsmaßnahmen müssen sehr<br />
schnell begonnen werden, da es bereits bei einem<br />
Herz-Kreislauf-Stillstand von über vier Minuten<br />
durch Sauerstoffmangel zu einer dauerhaften Schädigung<br />
des Gehirns kommt.<br />
Ursachen<br />
Lebensbedrohliche <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> entstehen,<br />
wenn die elektrische Pulsbildung und -leitung<br />
im Herzmuskel gestört sind. Bei schnellen<br />
<strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> kommt es durch schnelle<br />
elektrische Impulse zu einem völlig veränderten<br />
Erregungsablauf im Herzmuskel (Abb. S. 78)<br />
Häufig sind lebensbedrohliche <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
mit Erkrankungen des Herzens verbunden.<br />
In vielen Fällen liegen Durchblutungs<strong>störungen</strong><br />
oder ein Herzinfarkt vor. Etwa 80 % der Patienten<br />
haben eine koronare Herzerkrankung. Das jährliche<br />
Risiko des plötzlichen Herztods nach einem<br />
Herzinfarkt liegt bei etwa 1 %.<br />
Erkrankte und verengte Herzkranzgefäße neigen
zur Bildung von kleinen Blutgerinnseln, die zum<br />
plötzlichen Verschluss eines Herzkranzgefäßes,<br />
d. h. zu einem Herzinfarkt, führen können. Bei<br />
einem Gefäßverschluss werden Herzmuskelgebiete<br />
von der Sauerstoffversorgung abgeschnitten und<br />
sterben ab. In der Akutphase dieses Prozesses ist<br />
das Herz elektrisch sehr instabil. Diese Tatsache ist<br />
verantwortlich dafür, dass Patienten mit einem akuten<br />
Herzinfarkt an einer Rhythmusstörung, z. B.<br />
dem Kammerflimmern, sterben können.<br />
Auch andere Erkrankungen des Herzmuskels (Kardiomyopathie)<br />
sind mit einem gehäuften Auftreten<br />
von <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> verbunden. Das<br />
Risiko für lebensbedrohliche <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
erhöht sich deutlich bei einer eingeschränkten<br />
Pumpleistung des Herzmuskels (Herzinsuffizienz).<br />
In selteneren Fällen liegen angeborene Ursachen<br />
vor (z. B. Herzfehler, Ionenkanalerkrankungen,<br />
atypische Leitungsbahnen). Störungen der Schilddrüsenfunktion,<br />
des Elektrolythaushaltes (besonders<br />
Kalium, Calcium, Magnesium), starker Alkoholkonsum,<br />
Sauerstoffmangel und bestimmte Medikamente<br />
können ebenso zu <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
führen. In etwa 5 % der Fälle lassen sich<br />
keine besonderen Ursachen erkennen.<br />
Wie wird der Patient untersucht?<br />
Um genau zu wissen, mit welcher Rhythmusstörung<br />
man es überhaupt zu tun hat, sollte zunächst<br />
versucht werden, sie auf einem EKG zu erfassen<br />
und mitzuschreiben. In Notfallsituationen außer-<br />
77
halb der Klinik hat die sofortige Behandlung<br />
natürlich Vorrang, so dass dann häufig eine Dokumentation<br />
der Rhythmusstörung nicht möglich ist.<br />
Hat ein Patient eine lebensbedrohliche <strong>Herzrhythmus</strong>störung<br />
erlitten, muss er sich unbedingt sofort<br />
einer ausführlichen stationären Abklärung in einem<br />
Krankenhaus unterziehen. Am Anfang jeder<br />
Untersuchung steht die Befragung des Patienten,<br />
die Hinweise auf eine mögliche Ursache der Rhythmusstörung<br />
geben soll. Von Interesse ist ebenso,<br />
ob bereits früher Rhythmus<strong>störungen</strong> bemerkt wurden.<br />
Dann wird man sich einen Überblick über den<br />
<strong>Herzrhythmus</strong> des Patienten in verschiedenen Situationen<br />
verschaffen. Hierfür wird ein Elektrokardiogramm<br />
(EKG) in Ruhe, unter Belastung sowie<br />
ein Langzeit-EKG, das der Patient für 24 Stunden<br />
am Körper trägt, angefertigt. Außerdem kommt der<br />
sogenannte Event-Recorder zum Einsatz, der den<br />
<strong>Herzrhythmus</strong> nicht dauerhaft registriert, sondern<br />
so programmiert ist, dass er nur bei einem Event,<br />
d. h. bei einer <strong>Herzrhythmus</strong>störung aufzeichnet.<br />
Weiterführende Untersuchungen sollen helfen, die<br />
auslösende Ursache der <strong>Herzrhythmus</strong>störung zu<br />
finden. Dazu gehören Laboruntersuchungen des<br />
Blutes, eine Röntgenaufnahme von Herz und Lungen<br />
sowie die Ultraschalluntersuchung des Herzens.<br />
Die genauesten Informationen über eine bestehende<br />
Herzerkrankung und deren Schweregrad<br />
ergeben sich durch eine Herzkatheteruntersuchung.<br />
Daher ist diese Untersuchung für Patienten nach<br />
einem lebensbedrohlichen Ereignis unverzichtbar.<br />
Hierbei werden Katheter über Blutgefäße in der<br />
Leiste ins Herz vorgeschoben und mit Hilfe von<br />
Kontrastmittel die Herzkranzgefäße und die linke<br />
Herzkammer dargestellt. So können eventuelle Ver-<br />
78<br />
Sinusknoten<br />
AV-Knoten<br />
Vorhöfe<br />
Kammern<br />
Die Erregung des Herzens entsteht normalerweise<br />
im Sinusknoten, dem natürlichen Impulsgeber,<br />
und wird über den sogenannten AV-Knoten<br />
auf die Kammern übertragen. Beim<br />
Kammerflimmern verliert der Sinusknoten seine<br />
Steuerfunktion. Die Kammern entwickeln eine<br />
eigene chaotische elektrische Erregung, die nur<br />
noch zu ungeordneten Zuckungen des<br />
Herzmuskels und damit zum Herzstillstand führt.<br />
engungen von Herzkranzgefäßen festgestellt und<br />
gegebenenfalls aufgedehnt werden.<br />
Bei der elektrophysiologischen Untersuchung wird<br />
das Herz über Elektrodenkatheter in der rechten<br />
Herzkammer stimuliert, um festzustellen, an welcher<br />
Rhythmusstörung der Patient leidet und wie<br />
anfällig das Herz für diese Rhythmusstörung ist.<br />
Unter Umständen kann es erforderlich sein, eine<br />
kleine Probe aus dem Herzen zu entnehmen und<br />
mikroskopisch zu untersuchen, um eine Herzmuskelerkrankung<br />
festzustellen.<br />
Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?<br />
Bei der Therapie ist zwischen der Akut-Situation<br />
und der langfristigen Behandlung der Patienten zu<br />
unterscheiden.<br />
Akut-Situation<br />
Da bei lebensbedrohlichen <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
die Gefahr des Herz-Kreislauf-Versagens besteht<br />
und die Folgeschäden sehr rasch eintreten<br />
können, ist in der Akut-Situation schnelles Handeln<br />
von großer Bedeutung. Entscheidend für das<br />
Überleben der Betroffenen ist das schnelle und gezielte<br />
Reagieren der Beobachter. Neben der Verständigung<br />
des Notarztes ist bei Bewusstlosigkeit<br />
eine sofortige Herz-Lungen-Wiederbelebung wichtig,<br />
um die lebenswichtigen Organe weiter mit Sauerstoff<br />
zu versorgen (Abb. S. 80).<br />
Bei sehr schnellen lebensbedrohlichen <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
(z. B. Kammerflimmern) sollte als<br />
rettende Maßnahme die möglichst frühzeitige Anwendung<br />
eines Elektroschocks mit Defibrillator erfolgen.<br />
Da bis zum Eintreffen des Notarztes oft
Keine HLW<br />
verzögerte<br />
Defibrillation<br />
Frühe HLW<br />
verzögerte<br />
Defibrillation<br />
Frühe HLW<br />
frühe<br />
Defibrillation<br />
Frühe HLW<br />
sehr frühe Def.<br />
frühe ACLS<br />
Minuten<br />
2 4 6 8 10<br />
Durch eine sofortige Herz-Lungen-Wiederbelebung,<br />
den frühzeitigen Einsatz der Defibrillation und den<br />
möglichst frühen Beginn erweiterter lebensrettender<br />
Herz-Lungen-Wiederbelebung Defibrillator ACLS<br />
wertvolle Zeit verstreicht und sich die Überlebenschance<br />
dabei in jeder Minute um etwa 10 % verringert,<br />
werden in öffentlichen Bereichen zunehmend<br />
Automatisierte Externe Defibrillatoren (AED) installiert,<br />
die durch geschulte Laienhelfer problemlos<br />
angewendet werden können (Abb. S. 81).<br />
Die Deutsche Herzstiftung und andere Initiativen<br />
bemühen sich derzeit um eine vermehrte Verfügbarkeit<br />
dieser Geräte an öffentlichen Plätzen und<br />
Gebäuden und um ein breites Training der Bevölkerung<br />
in der Anwendung dieser Geräte.<br />
Behandlung des Grundleidens<br />
Bei Patienten, die einmal eine lebensbedrohliche<br />
<strong>Herzrhythmus</strong>störung überlebt haben, besteht ein<br />
Risiko von etwa 10 %, innerhalb der ersten sechs<br />
Monate nach dem Ereignis plötzlich zu sterben.<br />
Aus diesem Grund sind eine konsequente Abklärung<br />
möglicher Ursachen und eine entsprechende<br />
Therapie erforderlich. Je nach zugrundeliegender<br />
Erkrankung stehen verschiedene medikamentöse<br />
und nicht-medikamentöse Therapieformen<br />
zur Verfügung. Beispielsweise muss ein Patient mit<br />
einer koronaren Herzerkrankung optimal mit<br />
Medikamenten eingestellt werden (z.B. mit ASS,<br />
0–2%<br />
überleben<br />
2–8%<br />
überleben<br />
20%<br />
überleben<br />
30%<br />
überleben<br />
Maßnahmen (ACLS) kann die Überlebenswahrscheinlichkeit<br />
bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand<br />
deutlich verbessert werden.<br />
Betablocker, ACE-Hemmer, Lipidsenker). Liegen<br />
höhergradige Engstellen der Herzkranzgefäße vor,<br />
kann eine Ballonaufdehnung, gegebenenfalls mit<br />
Einsetzen einer Gefäßstütze (Stent), erforderlich<br />
sein. Kardiomyopathien oder Störungen des Mineralhaushaltes<br />
(Kalium, Magnesium etc.) werden<br />
mit Medikamenten behandelt. Substanzen, die an<br />
der Entstehung von Rhythmus<strong>störungen</strong> beteiligt<br />
sein können, müssen abgesetzt werden.<br />
Die Behandlung der Grunderkrankung soll durch<br />
eine Stabilisierung oder Besserung des Grundleidens<br />
die Neigung zu Rhythmus<strong>störungen</strong> verringern.<br />
In vielen Fällen kann es gelingen, ein Fortschreiten<br />
der zugrundeliegenden Erkrankung zu<br />
verhindern. Das Risiko für das Auftreten von <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
besteht aber möglicherweise<br />
weiterhin.<br />
Rhythmusmittel und Defibrillator<br />
In der Behandlung lebensbedrohlicher <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
wurden in den vergangenen Jahren<br />
große Fortschritte gemacht. Zunächst standen nur<br />
Medikamente zur Behandlung der <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
(Antiarrhythmika) zur Verfügung. Inzwi-<br />
79
80<br />
Leben retten kann man lernen.<br />
Das Vorgehen ist relativ einfach.<br />
Aber es muss in Herz-Lungen-<br />
Wiederbelegungskursen gelernt<br />
und geübt werden.<br />
Wo? Fragen Sie die Herzstiftung<br />
(Telefon 069 955128-111).
schen ist bekannt, dass diese Antiarrhythmika häufig<br />
nicht wirksam sind und bei herzkranken Patienten<br />
nicht selten zur Zunahme der Rhythmusstörung<br />
oder sogar zum Herzstillstand führen können.<br />
Aus diesem Grund war es wichtig, für Patienten<br />
mit lebensbedrohlichen <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
alternative Therapiekonzepte zu entwickeln.<br />
Da lebensbedrohliche Rhythmus<strong>störungen</strong> zuverlässig<br />
durch einen Elektroschock beendet werden<br />
können und die Zeit vom Auftreten bis zur Unterbrechung<br />
der <strong>Herzrhythmus</strong>störung für das Überleben<br />
entscheidend ist, kommt bei Patienten mit<br />
erhöhtem Risiko für einen plötzlichen Herztod zunehmend<br />
der implantierbare Defibrillator (ICD =<br />
implantable cardioverter defibrillator) zum Einsatz.<br />
Das Gerät kann sehr zuverlässig lebensbedrohliche<br />
<strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> erkennen und behandeln.<br />
Dadurch kann die Lebenserwartung von<br />
Risikopatienten wesentlich beeinflusst werden<br />
(s. S. 82).<br />
Wenn es bei einem Patienten zu häufigen Entladungen<br />
des Defibrillators kommt, können Medikamente<br />
(z. B. Betablocker, Amiodaron) durch Unterdrückung<br />
der Rhythmusstörung die Häufigkeit<br />
der Schockabgabe verringern.<br />
Was kann die Katheterablation?<br />
Ein interessantes und vor allem bei gutartigen Formen<br />
von Herzrasen sehr erfolgreiches Verfahren<br />
stellt die Katheterablation dar. Hier wird im Rahmen<br />
eines Herzkathetereingriffs gezielt Strukturen<br />
am Herzen verödet, die für die Rhythmusstörung<br />
verantwortlich sind. Dadurch kann die Rhythmusstörung<br />
oft geheilt werden. Dieses Vorgehen<br />
kommt jedoch nur für bestimmte Patienten mit<br />
lebensbedrohlichen <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> in<br />
Frage. Dabei kann durch diese Behandlung allein<br />
in der Regel aber kein ausreichender Schutz vor<br />
gefährlichen Rhythmus<strong>störungen</strong> erreicht werden.<br />
Bei Patienten mit ICD kann jedoch in einigen Fällen<br />
durch eine Ablation in Kombination mit einer<br />
optimalen medikamentösen Behandlung die Häufigkeit<br />
der notwendigen Schocktherapien und damit<br />
die Lebensqualität deutlich verbessert werden.<br />
Eine Strategie der Vorbeugung<br />
Das Hauptproblem lebensbedrohlicher <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
ist die Tatsache, dass die meisten<br />
Patienten an ihrer ersten lebensbedrohlichen <strong>Herzrhythmus</strong>störung<br />
sterben, bevor ärztliche Hilfe sie<br />
erreichen kann. Deswegen ist das Hauptziel vorbeugender<br />
Strategien die frühzeitige Erkennung<br />
und Behandlung von Risikopatienten. Neben regelmäßigen<br />
Untersuchungen ist es für den Patienten<br />
wichtig, auf Beschwerden zu achten, die auf<br />
eine Herzkrankheit hinweisen. Dazu zählen z. B.<br />
ein Engegefühl oder Schmerzen in der Brust, die<br />
unter körperlicher Belastung auftreten. Atembeschwerden<br />
oder ein allgemeines Schwächegefühl<br />
können erste Hinweise für eine Herzschwäche sein.<br />
Bei Patienten nach Herzinfarkt oder einer bekannten<br />
Herzschwäche sind Episoden mit anhaltendem<br />
Herzrasen von großer Bedeutung. Plötzlich auftretender<br />
Schwindel und Ohnmachtsanfälle<br />
sind als mögliche<br />
Warnsymptome für eine lebensbedrohliche<strong>Herzrhythmus</strong>störunganzusehen.<br />
In diesen Fällen<br />
sollte dringend eine weitere<br />
Abklärung erfolgen.<br />
Automatisierter Externer<br />
Defibrillator (AED).<br />
81
Lange Zeit musste der plötzliche Herztod als unentrinnbares<br />
Schicksal hingenommen werden.<br />
Männer und Frauen wurden plötzlich aus dem Leben<br />
gerissen, ohne dass man ihnen helfen konnte.<br />
Dann wurden die modernen Antiarrhythmika (Medikamente<br />
gegen <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong>) entwickelt.<br />
Die Ergebnisse blieben unbefriedigend.<br />
Eine Wende zeichnete sich erst ab, als der Herzspezialist<br />
Michel Mirowski einen engen Freund<br />
durch plötzlichen Herztod verlor. Dieser Tod ließ<br />
ihm keine Ruhe: Er erfand den implantierbaren Defibrillator<br />
(im Volksmund Defi, in der Fachsprache<br />
ICD, nämlich implantable cardioverter defibrillator).<br />
Der erste wurde 1980 in Baltimore einer Patientin<br />
eingesetzt. Inzwischen sind weltweit viele<br />
100 000 Patienten mit Defibrillatoren behandelt<br />
worden.<br />
82<br />
Schutz vor dem plötzlichen Herztod:<br />
der Defibrillator<br />
Prof. Dr. med. Hans-Joachim Trappe, Medizinische Klinik II,<br />
(Schwerpunkte Kardiologie und Angiologie), Marienhospital Herne, Ruhr-Universität Bochum<br />
Ursache des plötzlichen Herztodes<br />
Der plötzliche Herztod wird nahezu immer durch<br />
lebensbedrohliche <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> ausgelöst,<br />
die zum Zusammenbruch des Kreislaufs<br />
führen: Es sind krankhaft schnelle Herzschläge, sogenannte<br />
Kammertachykardien, die das Herz mit<br />
einer Frequenz von 150 – 300 Schlägen pro Minute<br />
schlagen lassen. Dieses Herzrasen geht oft innerhalb<br />
von Sekunden bis Minuten in eine völlig<br />
ungeordnete elektrische Erregung über, das sogenannte<br />
Kammerflimmern. Das Herz zuckt nur noch<br />
und kann deshalb keine Leistung mehr erbringen.<br />
Der Kreislauf bricht zusammen, die Gehirnfunktion<br />
erlischt. Nur ein Elektroschock kann das Herz<br />
wieder in den richtigen Rhythmus bringen. Dieser<br />
Schock kann abgegeben werden durch externe<br />
Defibrillatoren, die <strong>heute</strong> z. B. nicht nur in Kliniken,<br />
sondern auch in Flugzeugen und Flughäfen<br />
zur Verfügung stehen, oder durch schrittmacherähnliche<br />
Geräte, die gefährdeten Patienten eingesetzt<br />
werden.<br />
Für welche Patienten?<br />
Seit 1980 der erste Defibrillator eingesetzt wurde,<br />
haben sich unsere Kenntnisse über Häufigkeit und<br />
Ursachen des plötzlichen Herztodes wesentlich erweitert.<br />
So hat man auch lernen müssen, dass durch<br />
eine Therapie mit Medikamenten das Risiko des<br />
plötzlichen Herztodes nicht gesenkt werden kann.<br />
Neben der Behandlung der Grunderkrankung ist<br />
daher der Defibrillator das einzig wirksame Verfahren,<br />
das Risiko des plötzlichen Herztodes zu<br />
verringern.<br />
Bei welchen Patienten sollte ein Defibrillator eingesetzt<br />
werden?<br />
■ Heute besteht kein Zweifel, dass Patienten, die<br />
eine lebensbedrohliche Rhythmusstörung überlebt<br />
haben, von einem Defibrillator profitieren.<br />
Entsprechend empfehlen weltweit alle Leitlinien,<br />
einen Defibrillator bei diesen Patienten einzusetzen.<br />
■ Ebenfalls allgemein anerkannt ist <strong>heute</strong> die Notwendigkeit,<br />
einen Defibrillator bei Patienten<br />
einzusetzen, deren anhaltende Rhythmus<strong>störungen</strong><br />
in den Herzkammern (z. B. anhaltende<br />
Kammertachykardie) zu einer Beeinträchtigung<br />
der Herz- und Kreislaufleistung führen wie Blutdruckabfall,<br />
Minderdurchblutung des Gehirns<br />
mit Benommenheit (Präsynkope) oder Bewusstlosigkeit<br />
(Synkope).<br />
■ Patienten mit koronarer Herzkrankheit und deutlich<br />
eingeschränkter Leistungsfähigkeit der linken<br />
Herzkammer (meist nach mehrfachen Herzinfarkten)<br />
haben ein erheblich erhöhtes Risiko<br />
für einen plötzlichen Herztod. Wenn diesen<br />
Patienten ein Defibrillator eingesetzt wird, kann<br />
ihr Risiko plötzlich zu sterben, deutlich vermindert<br />
werden. Diese Patienten sollten einen Defibrillator<br />
erhalten, wenn die Auswurffraktion der<br />
linken Herzkammer unter 30 % und die Breite
Röntgenaufnahme des Brustkorbes eines Patienten nachdem<br />
ein Einkammer-Defibrillator eingesetzt ist. Eine Elektrode ist zur<br />
Entdeckung von gefährlichen <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong>, zur<br />
Stimulation und zur Schockabgabe in der Spitze der rechten<br />
Kammer zu erkennen. Der Generator ist links über den Rippen<br />
zu sehen.<br />
des Kammerkomplexes im EKG über 120 ms<br />
liegt. Diese Empfehlung gilt nicht innerhalb der<br />
ersten Monate nach einem Herzinfarkt, sondern<br />
erst später, wenn der Zustand chronisch geworden<br />
ist.<br />
■ Weniger klar ist die Situation bei Patienten, bei<br />
denen die Leistungsfähigkeit des Herzens nicht<br />
durch koronare Herzkrankheit, sondern durch<br />
andere Herzerkrankungen eingeschränkt ist.<br />
Auch diese Patienten haben ein deutlich erhöhtes<br />
Risiko, unerwartet und plötzlich zu sterben,<br />
aber die Leitlinien empfehlen derzeit nur im Ausnahmefall<br />
(z. B. bei familiärer Belastung durch<br />
plötzlichen Herztod bei dieser Erkrankung) das<br />
Einsetzen eines Defibrillators.<br />
■ Andere Krankheitsbilder, bei denen das Einsetzen<br />
eines Defibrillators bei besonderer Gefährdung<br />
des Patienten erwogen werden sollte:<br />
angeborene QT-Syndrome, Brugada-Syndrom<br />
sowie Patienten mit hypertropher Kardiomyopathie.<br />
Patienten, die einen Herzstillstand infolge eines<br />
niedrigen Kaliumspiegels oder während eines Herzinfarkts<br />
oder bei einem schweren Angina pectoris-<br />
Anfall erlitten haben, erhalten dagegen in der Regel<br />
keinen Defibrillator. In diesen Fällen reicht normalerweise<br />
die Behandlung der Grundkrankheit<br />
aus.<br />
Was kann ein Defibrillator?<br />
Der Defibrillator besteht aus einem Elektrodensystem,<br />
das gefährliche <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
erkennt sowie einem Generator, der in der Lage<br />
ist, die Spannung aufzubauen, die zur Schockabgabe<br />
gebraucht wird. Das Gerät überwacht den<br />
<strong>Herzrhythmus</strong> kontinuierlich. Wird eine gefährliche<br />
<strong>Herzrhythmus</strong>störung erkannt, dann gibt es einen<br />
Gleichstromimpuls ab, der den regulären <strong>Herzrhythmus</strong><br />
wiederherstellt. Die dazu benötigte Energie<br />
liegt zwischen 3 – 25 Joule. Moderne Defibrillatoren<br />
verfügen über eine ausgefeilte Technik, so<br />
dass die Stärke des Elektroschocks auf die Bedürfnisse<br />
des einzelnen Patienten abgestimmt werden<br />
kann.<br />
Außerdem speichert der Defibrillator durch ein eingebautes<br />
Langzeit-EKG alle Rhythmus<strong>störungen</strong>.<br />
Je nach Diagnose stehen unterschiedliche Geräte<br />
zur Verfügung:<br />
■ Als Standard der heutigen Defibrillator-Therapie<br />
gilt der Einkammer-Defibrillator, bei dem<br />
lediglich eine Elektrode über eine Vene im Herzen<br />
plaziert wird. Sie ermöglicht es, <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
zu erkennen, das Herz zu stimulieren<br />
und elektrische Schocks abzugeben. Der<br />
Generator, der die Energie für den Schock liefert,<br />
wird unter die Haut im Bereich der Brustmuskulatur<br />
eingesetzt.<br />
Eine wichtige Aufgabe des Defibrillators ist es,<br />
schnelle <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> zu erkennen,<br />
die dem Kammerflimmern vorausgehen. Dann<br />
reagiert das Gerät mit dem sogenannten Overdrive<br />
(Abb. S. 84). Das heißt: Es unterbricht das<br />
Kammerrasen durch noch schnellere Impulse<br />
und bringt das Herz in den normalen Rhythmus.<br />
Wenn das gelingt, bleibt dem Patienten der Elektroschock<br />
erspart. Gelingt die Unterbrechung<br />
nicht, dann bereitet die elektrische Entladung<br />
der <strong>Herzrhythmus</strong>störung ein Ende.<br />
Um den Patienten gegen einen zu langsamen<br />
<strong>Herzrhythmus</strong> abzusichern, verfügt der Einkammer-Defibrillator<br />
zusätzlich über eine Schrittmacherfunktion.<br />
83
84<br />
Zweikammer-Defibrillator<br />
Bei einem Zweikammer-Defibrillator wird nicht<br />
nur wie bei einem Einkammer-Defibrillator eine<br />
Elektrode an der Spitze der rechten Herzkammer<br />
eingesetzt, sondern zusätzlich eine weitere im rechten<br />
Vorhof. Dieser Defibrillator ist besonders bei<br />
Patienten von Nutzen, die neben den bösartigen<br />
Kammerrhythmus<strong>störungen</strong> auch Vorhofflimmern<br />
(phasenweise oder anhaltend) haben. Warum?<br />
Vorhofflimmern verursacht häufig eine rasche Kammerfrequenz,<br />
die bei einem Einkammer-Defibrillator<br />
unnötige Schockabgaben hervorruft. Das<br />
Zweikammer-System kann die schnellen <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
besser unterscheiden und beugt so<br />
einer unnötigen Schockabgabe vor. Vollständig<br />
kann man sie allerdings durch einen Zweikammer-<br />
Defibrillator nicht verhindern.<br />
Der biventrikuläre Defibrillator<br />
Bei einer Reihe von Patienten (etwa ein Drittel) mit<br />
schwerer Herzschwäche breitet sich die Erregung<br />
im Herzen verzögert und nicht gleichzeitig aus. Damit<br />
ist das Zusammenziehen der linken Hauptkammer<br />
gestört und die Auswurfleistung des Herzens<br />
vermindert. Bei einem biventrikulären Defibrillator<br />
werden nicht nur der Vorhof und die Spitze der<br />
rechten Herzkammer stimuliert, sondern zusätzlich<br />
die Seitenwand der linken Herzkammer (Dreikammer-System).<br />
Hierdurch wird das Zusammenspiel<br />
der einzelnen Abschnitte der linken Herzkammer<br />
verbessert und die Herzleistung gesteigert.<br />
Durch diese Art der Stimulation wird auch die Häufigkeit<br />
bösartiger <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> vermindert,<br />
allerdings nicht so, dass solche Rhythmus<strong>störungen</strong><br />
nicht mehr auftreten könnten. Daher kombiniert<br />
man diese Art der Stimulation mit einem Defibrillator.<br />
So erhalten solche Patienten einen<br />
Zweikammer-Defibrillator mit einer zusätzlichen<br />
Elektrode, der die Seitenwand der linken Herzkammer<br />
stimuliert.<br />
A<br />
B<br />
I<br />
Abb. A: Overdrive: Durch Abgabe von vier Impulsen<br />
[ATP = antitachykardes Pacing (Stimulation)] wird das Herzrasen<br />
vom Defibrillator ohne Elektroschock beendet.<br />
Abb. B: Diese Aufzeichnung zeigt eine Kammertachykardie,<br />
eine Stimulation des Herzens, die nicht wirkt, und deswegen<br />
gibt der Defibrillator einen Schock ab. Nach der Schockabgabe<br />
schlägt das Herz etwas langsamer, dann sorgt die Schrittmacherfunktion<br />
des Defibrillators dafür, dass das Herz wieder<br />
normal schlägt.<br />
II<br />
III<br />
Wie lange hält ein Defibrillator?<br />
Die Batterie eines Defibrillators hat eine Funktionsdauer<br />
von fünf bis zehn Jahren. Die Haltbarkeit<br />
ist abhängig von der Stärke und der Häufigkeit<br />
der abgegebenen Schocks. Eine Erschöpfung<br />
der Batterien zeigt das Gerät frühzeitig an. Dann<br />
muss der Generator in einer Operation ausgetauscht<br />
werden.<br />
I<br />
II<br />
III<br />
I<br />
II<br />
III
Wie wird der Defibrillator<br />
eingesetzt?<br />
Voraussetzung für das Einsetzen eines<br />
Defibrillators ist eine Reihe von Untersuchungen:<br />
EKG, Echokardiographie,<br />
Röntgenaufnahme des Brustkorbs.<br />
Eine Herzkatheteruntersuchung<br />
klärt den Zustand der Herzkranzgefäße<br />
und die Herzleistung. Die elektrophysiologische<br />
Untersuchung gibt Informationen<br />
über die Art der Rhythmusstörung und wie ihr<br />
am besten begegnet werden kann.<br />
Während in den Anfängen der ICD-Therapie kein<br />
Zweifel daran bestand, dass der Einbau von Defibrillatoren<br />
durch einen Herzchirurgen vorgenommen<br />
werden sollte, nehmen <strong>heute</strong> in einer Reihe<br />
von Zentren die Kardiologen allein oder gemeinsam<br />
mit dem Herzchirurgen diesen Eingriff vor;<br />
denn in den vergangenen Jahren sind die Defibrillatoren<br />
wesentlich kleiner geworden.<br />
Durch die kleinen Aggregate ist eine Vollnarkose<br />
zum Einsetzen des Gerätes nicht nötig. Nur wenn<br />
während der Operation die Stärke des Elektroschocks<br />
bestimmt wird, erhält der Patient eine Kurzzeitnarkose.<br />
24 Stunden lang muss der Patient nach<br />
der Operation überwacht werden, um frühzeitig<br />
Probleme wie Blutungen (Hämatome), Ansammlung<br />
von Gewebeflüssigkeit (Serome) oder Verschiebungen<br />
der Elektrode(n) zu erkennen. Dann<br />
kann der Patient auf eine Allgemeinstation verlegt<br />
werden. Die Dauer des stationären Aufenthaltes<br />
ist in Abhängigkeit von der Grundkrankheit des<br />
Patienten zwischen zwei und vier Tagen. Vor der<br />
Entlassung sollte eine Kontrolle und Feineinstellung<br />
des Defibrillators erfolgen.<br />
Wann zum Arzt?<br />
Nach dem Einsetzen des Defibrillators muss der<br />
Patient in drei- bis sechsmonatigen Abständen zu<br />
einer ambulanten Untersuchung kommen, damit<br />
Störungen oder Komplikationen erkannt und beseitigt<br />
werden. Ein weiterer Vorteil der regelmäßigen<br />
Kontrollen liegt darin, dass der Patient, der oft<br />
schwer herzkrank ist, engmaschig betreut wird.<br />
Modell eines Defibrillators.<br />
Außerdem raten wir den Patienten,<br />
in die Klinik zu kommen:<br />
■ nach der ersten Schockabgabe,<br />
■ wenn sich der Patient nach<br />
einer Schockabgabe nicht wohl<br />
fühlt und<br />
■ wenn die Schockabgaben sich<br />
häufen. Die Ursachen vermehrter<br />
ICD-Entladungen müssen umgehend abgeklärt<br />
werden.<br />
Komplikationen<br />
Infektionen gehören zu den schwerwiegenden<br />
Komplikationen nach dem Einsetzen eines Defibrillators.<br />
Die Infektionsrate ist mit 2 % relativ niedrig,<br />
etwa die Hälfte der Patienten stirbt, wenn sich<br />
die Infektion unbehandelt im Körper ausbreitet.<br />
Das kann vermieden werden, wenn der Patient<br />
schnell in die Klinik kommt. In einzelnen Fällen<br />
hat eine antibiotische Behandlung Erfolg gehabt.<br />
Die meisten Herzspezialisten sehen diese Behandlung<br />
als ungeeignet an und empfehlen bei einer<br />
Infektion, das gesamte Defibrillator-System zu entfernen.<br />
Dann muss gewartet werden, bis die Infektion ausgeheilt<br />
ist, um erneut einen Defibrillator einzusetzen.<br />
Wie kann der Patient eine Infektion entdecken?<br />
Zeichen einer Infektion sind Rötungen und Schwellungen<br />
in dem Bereich, in dem der Defi eingesetzt<br />
wurde. Bei der Hälfte der Patienten stellt sich auch<br />
erhöhte Temperatur ein. Da die Infektion sich<br />
schleichend entwickelt, kann sie Tage bis Wochen<br />
nach Einsetzen des Defibrillators auftreten. Die Gefahr<br />
ist größer beim Wechsel des Geräts als beim<br />
Ersteinsetzen.<br />
Komplikationen des Elektrodensystems werden in<br />
etwa 5 – 10 % der Fälle beobachtet. Es kann zur<br />
Bei jedem Verdacht einer Infektion von Elektrodensystem<br />
und/oder Generator sollte der Patient<br />
umgehend das Zentrum, das den Defibrillator<br />
eingesetzt hat, aufsuchen.<br />
85
Verschiebung der Elektroden kommen, zur Verlagerung<br />
der Sonden, zu Kabelbrüchen usw. Diese<br />
Defekte zeigen sich in häufigen Entladungen.<br />
Typisch ist in solchen Fällen, dass die Entladung<br />
durch bestimmte Bewegungen hervorgerufen wird.<br />
Einer unserer Patienten hatte immer elektrische<br />
Entladungen, wenn er seinen Enkel hochhob. Das<br />
Gerät war defekt. Solche Defekte müssen rasch<br />
chirurgisch behoben werden.<br />
Beim Auftreten häufiger ICD-Entladungen sollten<br />
die gespeicherten Elektrogramme so schnell<br />
wie möglich analysiert werden. Ein Defekt des<br />
Elektrodensystems muss unverzüglich durch eine<br />
Operation beseitigt werden.<br />
86<br />
Häufige Entladungen<br />
Häufige Entladungen können nicht nur durch Defekte<br />
des Elektrodensystems hervorgerufen werden,<br />
sondern auch durch Rhythmus<strong>störungen</strong>, die<br />
an sich nicht gefährlich sind wie z. B. Vorhofflimmern<br />
oder Vorhofflattern. Der Verdacht, dass Defi-<br />
Entladungen auf Rhythmus<strong>störungen</strong> aus dem Vorhof<br />
zurückgehen, ergibt sich häufig schon aus dem<br />
Beschwerdebild des Patienten: Oft haben solche<br />
Patienten mehrere Schocks hintereinander, ohne<br />
dass sie schwindlig oder bewusstlos werden. Bei<br />
der Mehrzahl dieser Patienten ist eine Behandlung<br />
mit Medikamenten (Digitalis, Verapamil, Betablocker,<br />
Antiarrhythmika) erfolgreich, und nur bei<br />
sehr wenigen Patienten (etwa 5 %) sind andere<br />
Maßnahmen notwendig.<br />
Eine wiederholte Schockabgabe in kurzen Abständen<br />
stellt eine Notfallsituation dar, da der Patient<br />
zum einen durch die meist schmerzhaften Schockimpulse<br />
erheblich psychisch beeinträchtigt ist und<br />
zum anderen eine unangemessene Schockabgabe<br />
<strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> fördern kann und damit<br />
eine Gefährdung für den Patienten darstellt. Unangemessen<br />
ist eine Schockabgabe, wenn sie nicht<br />
durch schnelle <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> in den<br />
Herzkammern ausgelöst ist. Eine Klinikeinweisung<br />
ist in der Regel unumgänglich.<br />
Allerdings gibt es häufige ICD-Entladungen auch<br />
durch lebensgefährliche <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
bei schwer herzkranken Patienten. Sie werden vor<br />
allem bei einer Verschlechterung der Herzleistung<br />
beobachtet. In solchen Fällen muss die Therapie<br />
in erster Linie darauf abzielen, die Herzschwäche<br />
zu behandeln und/oder den <strong>Herzrhythmus</strong> zu stabilisieren.<br />
Wechselwirkungen mit Medikamenten<br />
Patienten mit einem Defibrillator müssen oft Medikamente<br />
einnehmen; auch Medikamente gegen<br />
<strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong>, die den <strong>Herzrhythmus</strong><br />
stabilisieren sollen.<br />
Zwischen Medikamenten und Defibrillator gibt es<br />
keine Wechselwirkungen mit einer wichtigen Ausnahme:<br />
Amiodaron (z. B. in: Cordarex, Amiohexal).<br />
Wenn Patienten, die einen Defibrillator tragen,<br />
Amiodaron verordnet bekommen, muss ihr<br />
Gerät neu programmiert werden. Die elektrische<br />
Energie bei der Schockabgabe muss erhöht werden,<br />
damit Kammerflimmern zuverlässig beendet<br />
werden kann.<br />
Mit dem Defi leben<br />
Wie empfindet man den Schock, den das Gerät bei<br />
Kammerflimmern abgibt?<br />
Das ist sehr unterschiedlich. Manche haben dabei<br />
nur ein unangenehmes Gefühl. Die Mehrzahl der<br />
Patienten empfinden einen mehr oder weniger starken<br />
Stoß in der Brust. Manche fühlen sich benommen,<br />
bei 8 – 10 % der Patienten tritt eine vorübergehende<br />
Bewusstlosigkeit auf. Vielen Patienten<br />
zeigt ein warnendes Vorgefühl, dass eine elektrische<br />
Entladung folgt. Sie haben dann die Möglichkeit,<br />
sich darauf vorzubereiten, indem sie sich hinsetzen<br />
oder hinlegen.<br />
Für die Lebensqualität der Patienten hängt viel davon<br />
ab, dass die Ärzte den Patienten umfassend<br />
aufklären und auf seine Besorgnisse und Ängste<br />
eingehen. Deshalb haben wir wie viele Kliniken<br />
eine Defi-Ambulanz, in der die Patienten rund um<br />
die Uhr immer einen Ansprechpartner für ihre Probleme<br />
finden.<br />
Gut informierte Patienten wissen, dass der Defi das<br />
beste Mittel gegen den plötzlichen Herztod ist, und<br />
dass es keine Alternative gibt, die so zuverlässig
ihr Leben rettet. Die Zahl<br />
der Patienten, die mit ihrem<br />
Defibrillator gut zurechtkommen,<br />
ist erstaunlich<br />
hoch: Es sind rund<br />
95 %.<br />
Ja, es gibt Leute, die die erste Entladung ihres Defis<br />
feiern, weil sie darin den Beweis sehen, dass ihr<br />
Defi sie vor dem plötzlichen Herztod schützt.<br />
Wichtig für die Lebensqualität ist, dass der Defibrillator<br />
wenig Einschränkungen bringt. Gegen Einflüsse<br />
von außen ist er gut geschützt. Nur starke<br />
Magnetfelder, z. B. Transformatoren, große Industriemaschinen<br />
wie Generatoren und Elektromotoren,<br />
sind zu meiden. Die Magnetresonanztomographie<br />
(MRT) als Untersuchungsverfahren darf – zumindest<br />
im Brustkorbbereich – nicht angewandt<br />
werden.<br />
Ein heikler Punkt, der viele Patienten beschäftigt,<br />
ist das Autofahren. Autofahren ist in den ersten<br />
sechs Monaten nach Einsetzen eines Defis nicht erlaubt,<br />
damit beobachtet werden kann, ob Entladungen<br />
des Defis stattfinden und wenn ja, welche<br />
Beschwerden auftreten. Wenn der Elektroschock<br />
zu Bewusstseinstrübungen oder gar zur Bewusstlosigkeit<br />
führt, ist selbstverständlich das<br />
Autofahren auch auf Dauer nicht möglich.<br />
Dagegen gibt es im Sport kaum Einschränkungen.<br />
Nur von Kampfsportarten, die dem Gerät etwas anhaben<br />
können, ist abzuraten. Für sexuelle Aktivitäten<br />
bringt der Defi keine Probleme. Die elektrische<br />
Spannung geht bei Berührung auf den Partner<br />
nicht über.<br />
Handys können genutzt werden, man sollte sie<br />
15 cm vom Defibrillator entfernt halten. Am besten<br />
sollte man das Telefon auf der dem ICD gegenüberliegenden<br />
Seite tragen und auf dem gegenüberliegenden<br />
Ohr telefonieren.<br />
Schematische Darstellung eines Defibrillators mit Aufzeichnung eines im Herzen<br />
abgeleiteten EKGs.<br />
An sich selbstverständlich: Sicherheitsgurte und<br />
Gurte mit schweren Taschen sollten nicht direkt<br />
über dem Defibrillator getragen werden, weil sonst<br />
die Elektroden beschädigt werden können.<br />
Flugreisen sind unproblematisch. Eine Studie unserer<br />
Arbeitsgruppe, die von der Deutschen Herzstiftung<br />
unterstützt wurde, hat gezeigt, dass Sicherheitsschleusen<br />
und Handdetektoren auf Flughäfen<br />
den Defi nicht beeinträchtigen. Dasselbe gilt<br />
bei Diebstahlsicherungen von Kaufhäusern.<br />
Vor Auslandsreisen empfiehlt es sich, den Hersteller<br />
des Defibrillators anzurufen, um sich Adressen<br />
im Ausland zu beschaffen, die bei Zwischenfällen<br />
Hilfe leisten können.<br />
Es darf nicht vergessen werden, dass die Einschränkungen,<br />
die den Alltag der Patienten beeinträchtigen,<br />
z. B. mangelnde Belastbarkeit, nicht auf den<br />
Defibrillator zurückzuführen sind, sondern auf die<br />
Grundkrankheit. Die meisten Träger eines Defibrillators<br />
leiden an einer koronaren Herzkrankheit<br />
oder an einer Kardiomyopathie. Nur bei 5 % der<br />
Patienten tritt Kammerflimmern auf, obwohl sie<br />
sonst gesund sind. Ein typischer Fall: Eine 42-jährige<br />
Frau brach plötzlich beim Kartenspiel zusammen:<br />
Herzstillstand. Ihr Mann rettete sie durch<br />
Herz-Lungen-Wiederbelebung. Ein Defibrillator,<br />
sagte die sonst rundum gesunde Frau, käme für<br />
sie nicht in Frage. Sie habe keine Lust Lebensqualität<br />
einzubüßen. Als die Ärzte ihr erklärten, wie<br />
wenig ihr Leben eingeschränkt würde, entschied<br />
sie sich für den Defibrillator und lebt seither sehr<br />
zufrieden.<br />
87
Als mein Arzt das erste Mal vom Defi sprach, war<br />
ich skeptisch. Die Vorstellung, in meiner Brust ein<br />
Gerät zu tragen, das mir gelegentlich Elektroschocks<br />
versetzt, war mir unangenehm. Damals<br />
1997 hatte ich drei Klappenoperationen mit schweren<br />
Komplikationen hinter mir. Einen Herzstillstand<br />
hatte ich überlebt, und danach verordneten mir die<br />
Ärzte Amiodaron und Betablocker. Diese Medikamente<br />
bewährten sich zunächst: Ein Herzstillstand<br />
kam nicht mehr vor. Aber nach eineinhalb Jahren<br />
traten schwere Nebenwirkungen auf. Deshalb<br />
brachten die Ärzte den Defi ins Gespräch. Nur sehr<br />
zögerlich ließ ich mich überzeugen. Erst nach mehreren<br />
Gesprächen mit meinen Ärzten und nachdem<br />
ich eine zweite Meinung in einem großen<br />
Herzzentrum eingeholt hatte, entschloss ich mich<br />
zum Defi.<br />
Die Operation, in der der Defibrillator eingesetzt<br />
wurde, war problemlos. Trotzdem sah<br />
ich mit Bangen der Zukunft entgegen.<br />
Ich quälte mich mit den Problemen,<br />
die auf mich zukommen sollten. Wie<br />
würde das Leben mit dem Defi aussehen?<br />
Vor allem wie würden die<br />
Elektroschocks auf mich wirken?<br />
In dieser Situation war es für mich<br />
sehr wichtig, mit Menschen<br />
sprechen zu können, die<br />
schon länger mit einem<br />
Defi lebten. In der Klinik<br />
besuchte mich die Vorsitzende<br />
des ICD-Arbeitskreises<br />
Links der<br />
Weser und in der<br />
Reha-Klinik traf ich<br />
auf eine Patientin,<br />
die mir von ihren Erfahrungen<br />
mit Elek-<br />
88<br />
Leben mit dem Defi<br />
troschocks erzählte. Dadurch wurden mir meine<br />
Ängste zum großen Teil genommen. Eine große<br />
Hilfe waren auch die Gespräche mit dem Elektrophysiologen<br />
und den Psychologen der Reha-<br />
Klinik.<br />
Die ersten Monate gab der Defi keine Schocks ab.<br />
Es gelang ihm durch sogenannte Stimulationen das<br />
Herzrasen zu unterbrechen, das dem Herzstillstand<br />
vorausgeht. Ich wurde immer sicherer, zumal nun<br />
auch die Nebenwirkungen der vorher verabreichten<br />
Medikamente schwanden. Die<br />
erste Schockabgabe war nicht so<br />
schlimm, wie von mir befürchtet.<br />
So lernte ich meinen Defi lieb gewinnen.<br />
Ich vertraute ihm, da ich auf dem<br />
Ausdruck der Defi-Abfrage die<br />
Rhythmus<strong>störungen</strong> und das<br />
Eingreifen des Defis selbst<br />
sehen konnte. Mir wurde<br />
bewusst, wie der<br />
Defi mein Leben<br />
schützt.<br />
Mein kleiner „Aufpasser<br />
in der Brust“<br />
bringt mir ein sehr<br />
positives, gutes und<br />
sicheres Lebensgefühl.<br />
Denn ich<br />
weiß, kein Medikament<br />
ist bei gefähr-
Unterwegs mit der Herzsportgruppe.<br />
lichen <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> so sicher wie der<br />
Defi. Meine Sorgen wurden immer geringer. Die<br />
Rhythmus<strong>störungen</strong> sind zwar immer noch vorhanden<br />
und ab und zu gibt der Defi Stimulationen<br />
oder in wenigen Fällen auch Schocks ab. Da ich<br />
die Rhythmus<strong>störungen</strong> in der Regel rechtzeitig<br />
merke, kann ich mich auf die Reaktion des Defis<br />
vorbereiten. Die Stimulationen merke ich nicht;<br />
der Schock ist zwar unangenehm, aber zu ertragen.<br />
Da nach dem Schock in den meisten Fällen die<br />
unangenehmen Rhythmus<strong>störungen</strong> vorbei sind,<br />
fühle ich mich nach wenigen Stunden wesentlich<br />
besser.<br />
2004 erhielt ich einen neuen Defi. Er ist technisch<br />
ein großer Schritt nach vorn – ähnlich, wie es bei<br />
den Computern zur selben Zeit zu beobachten war.<br />
Das Gerät erkennt jetzt die dem Kammerflimmern<br />
vorausgehenden <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> besser,<br />
so dass es zu weniger Schockabgaben kommt.<br />
Mein Lebensalltag ist sehr befriedigend. Da ich<br />
erfahren habe, wie wichtig es ist, sich mit anderen<br />
Patienten auszutauschen, arbeite ich intensiv in<br />
verschiedenen Selbsthilfe- und Herzgruppen.<br />
Inzwischen habe ich die Regionalgruppe Emsland/Ostfriesland<br />
des ICD-Arbeitskreises Links der<br />
Weser gegründet. Seither arbeite ich dort als stellvertretender<br />
Vorsitzender. Über zu wenig Abwechslung<br />
kann ich mich nicht beklagen. In meiner Freizeit<br />
freue ich mich an der Natur und an der Pflege<br />
von Haus und Garten. Bei den täglichen Spaziergängen<br />
und wenn das Wetter es erlaubt, begleitet<br />
mich beim Fahrradfahren mein Schäferhund. Mit<br />
meiner Lebensgefährtin gehe ich gern auf Reisen<br />
– was früher nicht möglich war.<br />
Fazit: Ich komme mit dem Defibrillator gut zurecht,<br />
weil ich mich sicherer fühle.<br />
Hermann Wessels, Neubörger<br />
89
Yvonne, eine 15-jährige Schülerin, hatte eigentlich<br />
nicht so recht Lust, schon wieder zur Routineuntersuchung<br />
zu ihrem Kardiologen zu gehen. Ihr Leben<br />
wurde schon zu lange von medizinischen Eingriffen<br />
und Kontrollen diktiert.<br />
Nur dieses eine Mal wollte sie den vorgegebenen<br />
Termin noch wahrnehmen. Denn in den letzten<br />
Monaten waren Phasen aufgetreten, bei denen sie<br />
besonders bei körperlichen Anstrengungen ein ungewohnt<br />
starkes Herzjagen spürte. Es war ihr dabei<br />
schwindlig, und sie hatte auch Atemnot. Sie<br />
selbst fand das nicht so schlimm, aber da war die<br />
Mutter, die sich Sorgen um sie machte.<br />
Als sie zur Welt kam, so wurde ihr erzählt, sei sie<br />
am ganzen Körper blau gewesen, was die Ärzte<br />
auf einen schweren angeborenen Herzfehler zurückführten.<br />
Im Gegensatz zu anderen Kindern<br />
mischte sich in ihrem Herzen das blaue Blut aus<br />
dem Körper mit dem roten Blut aus der Lunge.<br />
Schon in den ersten Lebensmonaten war eine Operation<br />
(Fontan-Operation) und eine weitere im Alter<br />
von zehn Jahren durchgeführt worden.<br />
Jetzt, nach den einzelnen Untersuchungen, wartete<br />
sie auf die abschließende Besprechung. Der Doktor<br />
erklärte, dass das Herz von Yvonne viel zu<br />
schnell schlage, vermutlich schon eine ganze Weile.<br />
Er sprach von einer tachykarden (schnellen)<br />
<strong>Herzrhythmus</strong>störung und empfahl dringend die<br />
Einweisung in das nächstgelegene Krankenhaus,<br />
das auf jugendliche und erwachsene Patienten mit<br />
operierten angeborenen Herzfehlern spezialisiert<br />
sei. Dort sollte Yvonne sich einer sogenannten elektrophysiologischen<br />
Untersuchung unterziehen. Über<br />
einen Herzkatheter solle die Ursache für den zu<br />
schnellen Herzschlag geklärt und wenn möglich<br />
auch beseitigt werden. Dabei werde über den Ka-<br />
90<br />
<strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> nach der<br />
Operation angeborener Herzfehler<br />
Dr. med. Joachim Hebe, Praxis für Elektrophysiologie/Kardiologie,<br />
Klinikum Links der Weser, Bremen<br />
Prof. Dr. med. Karl-Heinz Kuck, Abt. II., Medizin/Kardiologie,<br />
Asklepios Klinik St. Georg, Hamburg<br />
theter Strom abgegeben und dadurch die Herzmuskelzonen<br />
verödet, die für das Herzrasen verantwortlich<br />
seien.<br />
Am nächsten Tag folgte der Eingriff: Yvonne bekam<br />
fast gar nichts davon mit. Sie erhielt ein Beruhigungsmittel,<br />
mit dem sie schnell tief und fest einschlief.<br />
Ein sanftes Rütteln an ihrer rechten Hand<br />
holte sie wieder zurück: Ihr erster Blick richtete<br />
sich auf das glückliche Gesicht ihrer Mutter, die ein<br />
paar Freudentränen in den Augen hatte. Alles war<br />
überstanden. Die Ärzte sprachen von einem erfolgreichen<br />
Eingriff, der vier Stunden gedauert habe.<br />
Yvonne fühlte sich nur noch etwas schlapp und<br />
müde, als sie am nächsten Morgen das Bett verlassen<br />
durfte. Einen Tag später wurde sie entlassen<br />
und konnte wenige Tage darauf wieder zur Schule<br />
gehen.<br />
Die letzten Kontrolluntersuchungen zeigten einen<br />
normalen und stabilen <strong>Herzrhythmus</strong>. Yvonnes Leben<br />
änderte sich: Jetzt erst merkte sie, wie leicht<br />
ermüdbar sie früher gewesen war. Auch reichte die<br />
Luft wieder bis in die vierte Etage. Jetzt konnte sie<br />
sich in der Schule besser konzentrieren und in der<br />
Gruppe ungebremst an allen Unternehmungen teilnehmen.<br />
Das neue Verfahren hat die <strong>Herzrhythmus</strong>störung<br />
geheilt.<br />
Yvonnes Geschichte ist exemplarisch: Die Medizin<br />
hat in den letzten zwei Jahrzehnten enorme<br />
Fortschritte in der Diagnose, der Operation und<br />
der Nachsorge komplexer angeborener Herzfehler<br />
gemacht. Dadurch erreichen immer mehr Patienten<br />
das mittlere und hohe Erwachsenenalter<br />
mit einer annehmbaren bis guten Lebensqualität.<br />
Allerdings: Trotz aller Fortschritte bleiben bei diesen<br />
Patienten häufig Fehlbelastungen einzelner<br />
Anteile des Herzens bestehen. Bei ihnen treten in
obere Hohlvene<br />
Vorhof-Reentry-<br />
Tachykardie<br />
untere Hohlvene<br />
Darstellung des Herzens nach einer Operation zur<br />
Korrektur eines angeborenen Herzfehlers. Der Chirurg<br />
stellte eine direkte Verbindung vom rechten Vorhof zur<br />
Lungenarterie her. Im Vorhof läuft eine schnelle kreisende<br />
<strong>Herzrhythmus</strong>störung (Reentry-Tachykardie)<br />
entlang der Narbe, die von dem chirurgischen Eingriff<br />
herrührt. Der gelb unterlegte Bereich der kreisenden<br />
Tachykardie ist eine Zone, die für die <strong>Herzrhythmus</strong>störung<br />
verantwortlich ist. Eine Hochfrequenzstromablation,<br />
die diese Zone verödet, kann das Auftreten<br />
der <strong>Herzrhythmus</strong>störung dauerhaft verhindern.<br />
zunehmender Zahl wiederkehrende und chronische<br />
<strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> auf.<br />
Diese <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> sind von großer Bedeutung,<br />
weil Patienten, die wegen angeborener<br />
Herzfehler operiert wurden, <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
erheblich schlechter vertragen als Menschen<br />
mit normalen Herzen. Die Lebensqualität dieser<br />
Patienten ist wesentlich stärker beeinträchtigt und<br />
zugleich ist das Risiko einer vitalen Bedrohung relativ<br />
hoch.<br />
Aorta<br />
Lungenarterie<br />
rechter Vorhof<br />
Ursachen erworbener<br />
<strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
chirurgische Narbe<br />
rechte Kammer<br />
Es gibt angeborene <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> wie<br />
das Wolff-Parkinson-White-Syndrom (WPW-Syndrom),<br />
wo die Ursache – eine zusätzliche Reizleitung<br />
– bereits bei der Geburt angelegt ist.<br />
Abzugrenzen sind hiervon die erworbenen <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong>,<br />
die durch Erkrankungen (z. B.<br />
Herzmuskelentzündung), Fehlbelastungen (Druck-<br />
/Volumenüberlastung) oder Sauerstoffunterversorgung<br />
(Koronarsklerose) des Herzens entstehen<br />
können. Dazu gehören auch <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong>,<br />
die ein nicht operierter Herzfehler im Lauf der<br />
Zeit hervorruft. Ein Beispiel dafür ist Vorhofflimmern,<br />
das bei Patienten mit einem nicht operierten<br />
Vorhofseptumdefekt bei mehr als 50 % der Fälle<br />
zu finden ist.<br />
Weiterhin können erworbene <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
direkt oder mittelbar durch chirurgische<br />
91
92<br />
Rechts: 12-Kanal-Oberflächen-EKG der gleichen Patientin<br />
während der Vorhoftachykardie mit 1:1-Überleitung<br />
auf die Kammerebene und der sich daraus ergebenden<br />
Kammerfrequenz von 220/min. Jetzt hat die Patientin<br />
Beschwerden: Herzrasen, Schwindel, Atemnot.<br />
Eingriffe hervorgerufen werden. Diese können akut<br />
im direkten zeitlichen Zusammenhang mit der Operation<br />
(z. B. als Folge der chirurgischen Durchtrennung<br />
des AV-Knotens) oder mehrere Jahre später<br />
auftreten z. B. als Folge von Vernarbungen.<br />
Typisch ist hier der Ausfall des Sinusknotens nach<br />
ausgedehnter Vorhof-Chirurgie (z. B. bei Vorhofumkehr<br />
nach Mustard/Senning, bei einer Transposition<br />
der großen Gefäße) oder der AV-Block III°<br />
(nach Korrektur eines AV-Kanals oder einer Fallot’schen<br />
Tetralogie).<br />
Welche Beschwerden treten auf?<br />
Zu langsame Herzschlagfolge (Bradykardie)<br />
Wenn der Hauptimpulsgeber des Herzens, der<br />
Sinusknoten, zu langsam arbeitet oder die Überleitung<br />
gestört ist (AV-Block), sinkt die Herzfrequenz<br />
unter 40 bis 50 Schläge pro Minute. Dabei<br />
kann es zu einer kritischen Unterversorgung des<br />
Links: 12-Kanal-Oberflächen-EKG der jungen Patientin<br />
Yvonne bei der Aufnahme ins Krankenhaus. Yvonne<br />
empfindet keine Beschwerden. Zu sehen ist eine Vorhof-<br />
Reentry-Tachykardie mit einem 2:1-Verhältnis von Vorhof<br />
zur Kammeraktivierung bei einer Vorhoffrequenz von<br />
220/min und einer sich daraus ergebenden Kammerfrequenz<br />
von 110/min. Offensichtlich hatte sich die Patientin<br />
an die dauerhaft hohe Herzfrequenz gewöhnt.<br />
Kreislaufs kommen, die sich durch Schwindel oder<br />
gar durch Verlust des Bewusstseins (Synkope) äußern<br />
kann. Eine höchstgradige AV-Überleitungsstörung<br />
(totaler AV-Block) in Kombination mit dem<br />
Fehlen eines ausreichenden Ersatzrhythmus kann<br />
zum Kreislaufzusammenbruch führen.<br />
Zu schnelle Herzschlagfolge (Tachykardie)<br />
Schnelle <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> im Vorhof (atriale<br />
Tachykardien) wirken sich je nach Dauer und<br />
Herzfrequenz verschieden aus. Bei Vorhoffrequen-
zen von bis zu 350/min kann je nach Bremswirkung<br />
des AV-Knotens das Herz bis zu mehr als 200<br />
mal in der Minute schlagen. Es ist leicht vorstellbar,<br />
dass bei Vorliegen einer Herzerkrankung solche<br />
Herzfrequenzen schlecht vertragen werden.<br />
Hinzu kommt, dass dann auch die Zusammenarbeit<br />
zwischen Vorhof und Kammer gestört ist und<br />
dadurch die Pumpkraft des Herzens deutlich verringert<br />
wird.<br />
Auch bei schnellen <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> in den<br />
Herzkammern sind herzoperierte Patienten besonders<br />
betroffen. Während bei einem sonst herzgesunden<br />
Patienten Kammerfrequenzen von 220/min<br />
bis zu mehreren Stunden durchaus vertragen werden,<br />
können bereits wesentlich langsamere Kammerfrequenzen<br />
bei Patienten mit angeborenen<br />
Herzfehlern zu schwersten klinischen Beschwerden<br />
bis hin zum Zusammenbruch der Herz-Kreislauf-Funktion<br />
führen.<br />
Es kommt auch vor, dass Patienten die schnellen<br />
<strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> nicht wahrnehmen, so<br />
dass sie nur durch einen Zufall aufgedeckt werden.<br />
In anderen Fällen treten Beschwerden auf:<br />
Herzrasen, Herzstolpern, Schwindel („Es wird mir<br />
schwarz vor Augen“), Brustschmerzen, Atemnot,<br />
plötzliche Bewusstlosigkeit und sogar Herz-Kreislauf-Stillstand<br />
(schnelle ventrikuläre Tachykardie,<br />
Kammerflimmern). Wichtig zu wissen ist: Auch Patienten,<br />
die ihre <strong>Herzrhythmus</strong>störung nicht spüren,<br />
können vital gefährdet sein. Deswegen muss<br />
der <strong>Herzrhythmus</strong> von Patienten, die wegen angeborener<br />
Herzfehler operiert wurden, regelmäßig<br />
vom Arzt kontrolliert werden.<br />
Welche Möglichkeiten<br />
der Behandlung bestehen?<br />
Langsame <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
(Bradykardien)<br />
Patienten mit langsamen <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
können <strong>heute</strong> mit individuell abgestimmten Schrittmachersystemen<br />
trotz der angeborenen Fehlbildung<br />
des Herzens meist hervorragend versorgt werden.<br />
Einschränkungen der Lebensqualität, auch<br />
der Berufsausübung, gehören in der Regel der Vergangenheit<br />
an.<br />
Schnelle <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> (Tachykardien)<br />
Je nachdem, welche Beschwerden schnelle <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
auslösen und welche Bedrohung<br />
von ihnen ausgeht, kommen unterschiedliche<br />
Behandlungsstrategien in Betracht:<br />
■ keine Therapie<br />
■ Korrektur der Fehlbelastungen des Herzens<br />
durch Medikamente, durch Operation oder<br />
Herzkathetereingriff<br />
■ antiarrhythmische Therapie durch Medikamente,<br />
Hochfrequenzstromablation oder Einsetzen<br />
eines Cardioverters/Defibrillators<br />
Nicht alle schnellen <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> bedürfen<br />
einer Behandlung. Voraussetzung ist, dass<br />
diese <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> keine vitale Bedrohung<br />
oder auch auf Dauer keine Schädigung der<br />
Herzfunktion mit sich bringen. Bei Patienten mit<br />
angeborenen Herzfehlern ist das jedoch selten der<br />
Fall. Daher muss man sich in den meisten Fällen<br />
zu einer Behandlung der <strong>Herzrhythmus</strong>störung<br />
entschließen.<br />
Oft ist bei Patienten, die wegen angeborener Herzfehler<br />
operiert sind, später schwer auseinanderzuhalten,<br />
welche Schäden die Operationsnarben und<br />
welche Schäden die Fehlbelastungen, die nach der<br />
Operation bleiben, hervorrufen. Falls der Nachweis<br />
gelingt, dass <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> auf Fehlbelastungen<br />
zurückgehen, sollte in erster Linie versucht<br />
werden, sie durch Medikamente oder durch<br />
Operation zu verringern oder zu beseitigen. Gegebenenfalls<br />
kann dieses Vorgehen mit einer antiarrhythmischen<br />
Therapie kombiniert werden.<br />
93
94<br />
Antiarrhythmische Therapie<br />
Medikamente<br />
Mit Medikamenten gegen <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
(Antiarrhythmika) versucht man, die <strong>Herzrhythmus</strong>störung<br />
zu unterdrücken oder zumindest das<br />
durchschnittliche Niveau der Kammerfrequenz im<br />
Normbereich zu halten. Die überwiegende Zahl<br />
dieser Antiarrhythmika hat eine Reihe von Nebenwirkungen,<br />
die sich unter anderem negativ auf die<br />
Funktion des Herzens (z.B. Pumpkraft) auswirken<br />
kann.<br />
Elektrophysiologische Untersuchung (EPU)/Hochfrequenzstromablation<br />
Therapie der Wahl für schnelle <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
nach Operation angeborener Herzfehler<br />
ist heutzutage die Hochfrequenzstromablation<br />
(s. S. 26). Während Medikamente derartige <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
zeitweise unterdrücken, lassen<br />
sie sich mit dieser Technik dauerhaft heilen.<br />
Das Verfahren kann vom Säuglings- bis zum Erwachsenenalter<br />
eingesetzt werden. Behandelt werden<br />
neben den herzoperierten Patienten auch Säuglinge<br />
und Kinder, die „nur“ an einer <strong>Herzrhythmus</strong>störung<br />
leiden, ohne dass eine Herzoperation<br />
durchgeführt werden muss.<br />
Die Erfolgsquote der Hochfrequenzstromablation<br />
liegt für die Mehrzahl der <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
bei über 90 %. Wesentliche Voraussetzung für den<br />
Erfolg ist große Erfahrung mit dieser Behandlung.<br />
Außerdem müssen besondere zusätzliche bildgebende<br />
Techniken zum Auffinden (Lokalisation)<br />
und Analyse der <strong>Herzrhythmus</strong>störung (sogenannte<br />
Mapping-Techniken) zur Verfügung stehen. Die<br />
Eingriffszeiten sind heutzutage deutlich kürzer als<br />
früher und liegen in der Regel bei zwei bis vier<br />
Stunden.<br />
Das Risiko dieser Therapie hängt von der zugrundeliegenden<br />
Herzkrankheit, von der Art der Rhythmusstörung<br />
und vom Alter des Patienten ab. Je<br />
schwerer die Herzkrankheit und je jünger der<br />
Patient, desto höher das Risiko. Ebenso ist die Behandlung<br />
von <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> mit Ursprung<br />
in den Herzkammern im allgemeinen risikoreicher<br />
als die Behandlung von <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
aus den Herzvorhöfen. Heutzutage sind<br />
schwerwiegende Komplikationen selten und liegen<br />
in einer Größenordnung von zwei bis drei Prozent.<br />
Eine Notwendigkeit der Behandlung mit der<br />
Hochfrequenzstromablation besteht immer dann,<br />
wenn die <strong>Herzrhythmus</strong>störung lebensbedrohlich<br />
ist oder zu einer Pumpschwäche des Herzens führt.<br />
Implantierbarer-Cardioverter-Defibrillator<br />
Bei Patienten mit lebensbedrohlichen <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong>,<br />
deren Behandlung z. B. durch<br />
Hochfrequenzstromablation nicht gelingt, sollte<br />
das Einsetzen eines Cardioverters/Defibrillators<br />
(ICD) erwogen werden (s. S. 82). Dieses System ist<br />
in der Lage, schnelle <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> zu<br />
beenden. Es ist besonders bei Patienten angebracht,<br />
bei denen bereits in der Vergangenheit schnelle<br />
<strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> zum Zusammenbruch der<br />
Herz-Kreislauf-Funktion (plötzlicher Herzstillstand)<br />
geführt hatten.<br />
Fortschritte der Medizin<br />
In den letzten Jahren sind große Fortschritte in der<br />
Behandlung von <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> erreicht<br />
worden, die gerade Patienten zugute kommen, die<br />
wegen angeborener Herzfehler operiert wurden.<br />
Herzschrittmacher helfen bei langsamen <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
(Bradykardien). Bei schnellen <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
(Tachykardien) ist in zunehmendem<br />
Maße die Hochfrequenzstromablation<br />
erfolgreich. Dadurch können diese Patienten eine<br />
oft lebenslange Einnahme von Medikamenten<br />
(Antiarrhythmika) vermeiden.<br />
Das Einsetzen eines Cardioverters/Defibrillators<br />
kann ausgewählte Patienten, bei denen ein lebensbedrohliches<br />
Risiko erkannt wurde, vor dem plötzlichen<br />
Herztod schützen.<br />
Das heutige breite Therapiespektrum wird in Zentren<br />
praktiziert, die auf die Versorgung von Patienten<br />
im Jugend- und Erwachsenenalter mit angeborenen<br />
Herzfehlern und auf die neuen Verfahren<br />
zur Therapie von <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> spezialisiert<br />
sind.
Wichtige Informationen können Sie den folgenden<br />
Broschüren, Sonderdrucken und Faltblättern entnehmen,<br />
die hervorragende Herzexperten für Sie<br />
geschrieben haben:<br />
■ Sonderdruck Nr. 24<br />
Helfen Medikamente bei<br />
<strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong>?<br />
■ Sonderdruck Nr. 32<br />
Störeinflüsse auf Herzschrittmacher<br />
■ Sonderdruck Nr. 13<br />
Bluthochdruck – das verkannte Risiko<br />
Das hilft Ihnen weiter<br />
■ Broschüre Gerinnungshemmung<br />
■ Broschüre dolce vita – herzgesund leben<br />
■ Gesundheits-Pass<br />
■ Notfallausweis<br />
■ Ausweis zur Gerinnungskontrolle bei Behandlung<br />
mit Marcumar, Falithrom oder Coumadin<br />
Diese Informationsmaterialien erhalten Sie als Mitglied<br />
kostenlos, ansonsten gegen eine Versandkostenpauschale<br />
von 1,45 Euro pro Artikel in Briefmarken.<br />
Ihre Anforderung schicken Sie an:<br />
Deutsche Herzstiftung e.V.<br />
Vogtstraße 50<br />
60322 Frankfurt am Main<br />
Wir hoffen, dass Sie durch die vorliegende Broschüre <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong> besser verstehen werden<br />
und dadurch auch besser mit ihnen umgehen können. Wenn das so ist, freuen wir uns und sind Ihnen<br />
dankbar, wenn Sie unsere Arbeit mit einer Spende unterstützen, zum Beispiel:<br />
mit einer Überweisung auf unser<br />
Spendenkonto 903000<br />
Frankfurter Sparkasse<br />
BLZ 500 502 01<br />
mit einem Anruf aus dem deutschen Festnetz:<br />
Spendenhotline 0900 1 444 224<br />
Der Anruf kostet 5,- Euro und die Verrechnung<br />
dieser Spende erfolgt über Ihre Telefonrechnung.<br />
95
Die Deutsche Herzstiftung hilft Ihnen, gesund zu<br />
bleiben – oder, wenn Sie krank sind, mit Ihrer<br />
Krankheit besser fertig zu werden:<br />
■ Sprechstunde<br />
Die Deutsche Herzstiftung bietet ihren Mitgliedern<br />
eine telefonische Arztsprechstunde mit Herzspezialisten<br />
und Herzchirurgen zweimal im Monat an.<br />
Außerdem können sich die Mitglieder jederzeit<br />
schriftlich an die Sprechstunde: Patienten fragen<br />
– Ärzte antworten der Zeitschrift der Deutschen<br />
Herzstiftung wenden oder die Fragen online stellen.<br />
Jedes Jahr werden Tausende von Anfragen bearbeitet.<br />
■ Zeitschrift<br />
Die Deutsche Herzstiftung gibt für ihre Mitglieder<br />
viermal im Jahr die Zeitschrift Herz <strong>heute</strong> heraus,<br />
in der Spezialisten über neue Entwicklungen auf<br />
allen Gebieten der Medizin informieren: über koronare<br />
Herzkrankheit und Herzinfarkt, über Bypass-<br />
und Klappenoperationen, über Rhythmus<strong>störungen</strong><br />
und Schrittmacher, über neue Behandlungsmethoden,<br />
Medikamente und ihre Nebenwirkungen,<br />
über Ernährung und Cholesterin, auch<br />
über alternative Medizin. Zusätzlich berichten Patienten<br />
über ihre Erfahrungen.<br />
Auf den Internetseiten der Deutschen Herzstiftung<br />
können Mitglieder auch auf Artikel aus früheren<br />
96<br />
Was kann die Deutsche Herzstiftung<br />
für Sie tun?<br />
Ausgaben der Zeitschrift und Sprechstunden zurückgreifen.<br />
■ Informationsdienst<br />
Besonders wichtige Themen haben wir für unsere<br />
Mitglieder als Sonderdrucke zusammengefasst:<br />
Herzuntersuchungen, Herzinfarkt, Ballondilatation,<br />
Herzklappe, Stress usw. Darüber hinaus informieren<br />
wir über Warnsignale vor Herzinfarkt<br />
und Schlaganfall, Reisetipps für Herzkranke, Endokarditis-Prophylaxe,<br />
Selbstkontrolle des Gerinnungswertes<br />
und vieles andere. Jedem Mitglied<br />
steht der Notfallausweis für Herzpatienten zur Verfügung.<br />
Das Informationsmaterial kann ebenfalls<br />
online bestellt werden.<br />
Unter www.herzstiftung.de können sich Besucher<br />
über die Ziele und die Struktur der Herzstiftung<br />
und deren Aktivitäten informieren. Das Lexikon<br />
erklärt medizinische Fachbegriffe. Interessierte können<br />
sich über Veranstaltungstermine informieren,<br />
den Newsletter beziehen, Broschüren und Ratgeber<br />
anfordern oder herunterladen und Kontakt zu<br />
Selbsthilfegruppen knüpfen u.v.m. Mit der Suche-<br />
Funktion können schnell und gezielt die gewünschten<br />
Inhalte gefunden werden.<br />
■ Herz-Seminare und Vorträge<br />
Warum muss ich welche Medikamente regelmäßig<br />
einnehmen? Was geschieht bei einer Bypass-Ope-<br />
An dieser Stelle sollte ein Aufnahmeantrag kleben, mit dem Sie<br />
Mitglied in der Deutschen Herzstiftung werden können.<br />
Wenn er fehlt und Sie Mitglied werden wollen, rufen Sie uns einfach an:<br />
Telefon 069 955128-0 oder<br />
online unter www.herzstiftung.de.<br />
Natürlich können Sie uns auch schreiben:<br />
Deutsche Herzstiftung<br />
Vogtstraße 50<br />
60322 Frankfurt am Main
ation? Was ist Herzschutzkost? Wie ist sie im Alltag<br />
zu erreichen? Wie stark soll ich mich körperlich<br />
belasten? Antworten auf diese und andere Fragen<br />
geben Ihnen nicht nur unsere Informationsschriften,<br />
sondern auch Herzspezialisten auf<br />
unseren Herz-Seminaren und Vortragsveranstaltungen.<br />
Eine vollständige Übersicht der Termine<br />
finden Sie auf den Internetseiten der Deutschen<br />
Herzstiftung.<br />
■ Herzwoche/Herzmonat<br />
Die Deutsche Herzstiftung führt jedes Jahr eine bundesweite<br />
Aufklärungsaktion durch: die Herzwoche<br />
z. B. zur Früherkennung des Herzinfarktes oder den<br />
Herzmonat z. B. zum Thema <strong>Herzrhythmus</strong><strong>störungen</strong><br />
oder Herzklappenerkrankungen.<br />
■ Reisen für Herzkranke<br />
Die Deutsche Herzstiftung bietet gemeinsam mit<br />
Reiseveranstaltern fachärztlich und sporttherapeutisch<br />
betreute Reisen an, die auf die Wünsche<br />
und Bedürfnisse chronisch kranker Menschen abgestimmt<br />
sind.<br />
■ Gesprächs- und Selbsthilfegruppen<br />
Unter dem Dach der Deutschen Herzstiftung haben<br />
sich über 90 Gruppen für Bypass-, Schrittmacher-<br />
und Herzklappen-Patienten gegründet. Hier<br />
treffen sich Patienten und ihre Angehörigen zum<br />
Erfahrungsaustausch.<br />
■ Kinderherzstiftung<br />
Die Deutsche Herzstiftung engagiert sich mit ihrer<br />
Kinderherzstiftung für herzkranke Kinder und unterstützt<br />
ihre Familien durch Information und Rat.<br />
Mit der Zeitschrift Herzblatt erhalten Eltern eines<br />
herzkranken Kindes viermal im Jahr wichtige Informationen<br />
über angeborene Herzfehler und ihre Behandlung.<br />
Kinderkardiologen, Herzchirurgen und Psychologen<br />
schreiben in Herzblatt, aber auch Eltern selbst.<br />
Sie vermitteln Erfahrungen über ihr Leben mit einem<br />
herzkranken Kind und berichten über Probleme,<br />
die sie bewältigen müssen.<br />
■ Forschung<br />
Im Kampf gegen die Herz-Kreislauf-Krankheiten ist<br />
die Forschung von besonderer Bedeutung. Alle wesentlichen<br />
Fortschritte der letzten Jahrzehnte wurden<br />
durch die Förderung der Wissenschaft erzielt.<br />
Die Förderung der Forschung ist ein besonderes Anliegen<br />
der Deutschen Herzstiftung in Verbindung mit<br />
der Deutschen Stiftung für Herzforschung.<br />
Die Stärke der Deutschen Herzstiftung ist ihre enge<br />
Bindung zur Wissenschaft: Sie ist nicht nur mit der<br />
Deutschen Gesellschaft für Kardiologie – Herzund<br />
Kreislaufforschung eng verbunden, sie ist auch<br />
die offizielle Vertretung Deutschlands in der internationalen<br />
Gemeinschaft der Herzstiftungen. Dem<br />
Wissenschaftlichen Beirat gehören fast alle führenden<br />
Kliniker und Wissenschaftler an, die auf<br />
dem Gebiet der Herz-Kreislauf-Erkrankungen arbeiten.<br />
■ Wir setzen uns für Ihre Gesundheit<br />
und Ihr Leben ein<br />
Die Deutsche Herzstiftung kämpft für eine bessere<br />
Versorgung der Herzpatienten. Sie hat ihren Einfluss<br />
erfolgreich geltend gemacht gegen die lebensgefährlichen<br />
Wartelisten in der Herzchirurgie. Sie<br />
setzt sich energisch für eine einheitliche medizinische<br />
Notrufnummer in Deutschland und gegen<br />
den Pflegenotstand ein. Sie vertritt auf politischer<br />
Ebene die Interessen der Patienten gegenüber<br />
Krankenkassen und dem Gesetzgeber, was <strong>heute</strong><br />
von besonderer Wichtigkeit ist.<br />
■ Mehr als 55 000 Mitglieder<br />
Die Deutsche Herzstiftung wurde 1979 von bedeutenden<br />
Medizinern gegründet. Sie ist ein gemeinnütziger<br />
Verein, der sich ausschließlich aus<br />
Mitgliedsbeiträgen und Spenden finanziert. Die<br />
Deutsche Herzstiftung steht unter der Schirmherrschaft<br />
von Barbara Genscher.<br />
Immer mehr Herzpatienten und Gesunde werden<br />
Mitglied in der Deutschen Herzstiftung, weil sie ihnen<br />
hilft, gesund zu bleiben oder, wenn sie krank<br />
sind, mit ihrer Krankheit besser fertig zu werden.<br />
Zur Zeit hat die Deutsche Herzstiftung mehr als<br />
55 000 Mitglieder. Und jeden Tag kommen neue<br />
dazu.<br />
97
Deutsche<br />
Herzstiftung<br />
ISBN 3-9806604-8-6