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ICQ<br />
In <strong>de</strong>r rabenschwarzen Nacht zum 1. Juni 1996 erfand <strong>de</strong>r von vielen<br />
als Erlöser gepriesene Mirabilis Konzern das dreimal verfluchte<br />
Programm ICQ. Auch als schwerer Schicksalsschlag gegen die Jugend<br />
bekannt breitete es sich unter <strong>de</strong>r Herrschaft von AOL, die<br />
Gesellschaft ver<strong>de</strong>rbend, im gesamten Netzwerk aus, sodass es<br />
heute weite Teile <strong>de</strong>r jüngeren Bevölkerung, aus <strong>de</strong>ssen Leben es<br />
nicht mehr wegzu<strong>de</strong>nken ist, fest in seinem Würgegriff hält. Daher<br />
lag es uns vor kurzem nahe diese nie<strong>de</strong>rträchtige<br />
Kommunikationsorgan objektiv zu beleuchten und seinen<br />
hinterlistigen Übergriffen sowie <strong>de</strong>n Grund für seine Beleibtheit<br />
aufzu<strong>de</strong>cken. In einem gna<strong>de</strong>nlosen Selbstversuch hat sich über<br />
mehrere Wochen hinweg Folgen<strong>de</strong>s zugetragen:<br />
Mittwoch 1. November 2006:<br />
Tapfer und mit ausreichend schlechter Laune bewaffnet installiere ich ICQ 5.1 auf meinem<br />
Rechner. Wenig begeistert nehme ich die Kontakte einiger mir bekannter Personen auf und<br />
beginne mich mit ihnen zu unterhalten. Nach einer halben Stun<strong>de</strong> besitze ich zwölf<br />
Kontakte und ausreichend Gesprächsstoff für eine Stun<strong>de</strong>...<br />
Freitag 3. November 2006:<br />
Nach eintägiger Abstinenz klemme ich mich erneut to<strong>de</strong>smutig hinter mein Gerät. Meiner<br />
Sammlung weitere 34 Kontakte hinzufügend chatte ich bis spät in die Nacht und vergesse<br />
ins Fußballtraining zu gehen.<br />
Samstag 4. November 2006:<br />
Muss chatten. Besitze bereits 400 Kontakte. Habe keinen Hunger. Lasst mich in Ruhe!<br />
Keine Lust auf Fußball o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Aktivitäten, die mich vom PC weglocken.<br />
Sonntag 19. November 2006:<br />
Hatte keine Zeit weiter zu schreiben. Es gab Liebeskrisen, verschie<strong>de</strong>nste<br />
Missverständnisse und tausen<strong>de</strong> neue Bekanntschaften in ICQ. Mehrere Streits haben<br />
mich zweimal vom Aben<strong>de</strong>ssen abgehalten und Arbeiten wird zu einer Belastung, die nicht<br />
länger tragbar ist – pfeif doch auf die Lehrer.<br />
Montag 27. November 2006:<br />
Träge schlage ich meine Augen im Hersbrucker Krankenhaus auf. Nach<strong>de</strong>m ich mich vor<br />
meinen wüten<strong>de</strong>n Eltern im Zimmer eingeschlossen, mehrere Mahlzeiten und <strong>de</strong>n Kontakt<br />
mit frischem Sauerstoff ausgelassen hatte, war mein gesamter Kreislauf zusammengebrochen.<br />
Das nur von 56 Stun<strong>de</strong>n chatten !!! Kann nur an einer Grippe liegen. Hoffentlich<br />
sind die Platzwun<strong>de</strong>n und Schwellungen an meinen Fingern bald wie<strong>de</strong>r verheilt. Sonst<br />
<strong>de</strong>nken meine Freun<strong>de</strong> aus ICQ noch, ich sei tot. Wegen einer klitzekleinen Stromrechnung<br />
und einer minimalen Überreizung <strong>de</strong>r Internetkosten hat mich mein Vater stun<strong>de</strong>nlang<br />
angeschrieen. Lächerlich. Als ob er nie jung war. ICQ ist mein Leben. Niemand darf es mir<br />
mehr wegnehmen! Ich hecke einen Plan aus wie ich die Rechnung vor meinen Eltern<br />
verbergen kann um solche „Unannehmlichkeiten zu vermei<strong>de</strong>n“... nebenher übe ich das<br />
Fälschen <strong>de</strong>r Attestunterschriften.....für Hausaufgaben ist keine Zeit mehr......<br />
Hier en<strong>de</strong>n die Aufzeichnungen unseres verwegenen Mitarbeiters. Frie<strong>de</strong> seiner Asche.<br />
Die aufgeführte Beweislage gegen ICQ ist erdrückend und je<strong>de</strong>r Leser sollte sich<br />
seiner Gefahr bewusst wer<strong>de</strong>n. Es verdirbt <strong>de</strong>n Charakter, zieht Ärger an, senkt die<br />
Lernmoral (wenn vorhan<strong>de</strong>n) und trennt je<strong>de</strong> Verbindung zum persönlichen Kontakt! Sag<br />
auch du nein zu <strong>de</strong>r Gesellschaftsgeisel ICQ und kämpfe für eine Welt ohne<br />
Chatprogramme! Ralf Söhnlein<br />
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