15.02.2013 Aufrufe

Die Vertreibung Böhmen als Lehrstück

Die Vertreibung Böhmen als Lehrstück

Die Vertreibung Böhmen als Lehrstück

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

herren wollten zinstragende Dörfer.Also bestellten sie so genannte<br />

Lokatoren, erfahrene und bemittelte Siedlungsunternehmer,<br />

die den Auftrag zur Dorf- und Stadtgründung bekamen.<br />

<strong>Die</strong> Lokatoren warben die Siedler, brachten sie an Ort<br />

und Stelle, teilten ihnen ihre »Hufen« zu, unterstützten sie<br />

während der schweren Anfangsjahre und erhielten dafür große<br />

Privilegien: abgabefreies Eigengut, Zinsen von einem Teil der<br />

Hufen,den Vorsitz im niederen Gericht und so fort. <strong>Die</strong>se Lokatoren<br />

waren sowohl Tschechen <strong>als</strong> auch Deutsche, allerdings<br />

häufiger Deutsche.Warum es mehr Deutsche <strong>als</strong> Tschechen<br />

waren, weiß niemand genau.Vermutlich wählte man die zähesten<br />

Waldroder und die treuesten Zinszahler im Westen.<strong>Die</strong> »Kolonisierung«<br />

war <strong>als</strong>o im Prinzip gemischtsprachig, und es gab<br />

im Verlauf der Jahrhunderte auch immer wieder Assimilationsprozesse,<br />

sprachlichen Ausgleich. Der Melniker Stadtrat zum<br />

Beispiel hatte im Jahr 1357 sechs Deutsche und vier Tschechen,<br />

schon 1377 aber nur noch zwei Deutsche und zehn Tschechen.<br />

So ging es hin und her. Aber da die großen weltlichen und<br />

geistlichen Grundherren das brauchten, was man heute Fachkräfte<br />

nennen würde, Bauern mit bestimmten Ackermethoden,Waldarbeiter<br />

mit bestimmten neuen Künsten des Holztransports,<br />

später Bergleute, Glashüttenleute oder Leineweber,<br />

lag es nahe, sich aus dem Reservoir zu bedienen, das später, vor<br />

allem ab dem 19. Jahrhundert, »Deutschland« hieß.<br />

Zuerst – im 12. und 13. Jahrhundert – kamen Bauern, die zu<br />

Hause viele Tage im Jahr für die Grundherren fronen mussten,<br />

denen harte Vögte oder Meier weit mehr <strong>als</strong> den »Zehnten«,<br />

manchmal auch ein Drittel oder die Hälfte der Ernte abnahmen<br />

und deren Höfe oft genug durch Fehden,Raub und Brand gelitten<br />

hatten. Es gibt keinen Grund, diese bäuerliche Abwanderung<br />

zu romantisieren.Wer den langen, beschwerlichen Weg in<br />

eine ungewisse Zukunft auf sich nahm, floh vor Verhältnissen,<br />

die er nicht mehr ertrug.Säumigkeit bei Entrichtung des Zinses<br />

konnte mit Exkommunikation bestraft werden – im Mittelalter<br />

eine fürchterliche Drohung. <strong>Die</strong> Städte verschlossen den geflohenen<br />

Unfreien ihre Türen, weil die Grundherren dies viel-<br />

23

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!