Die Vertreibung Böhmen als Lehrstück

Stadtteilen endgültig beendet.Aussig wurde, so würden nationalistische
Deutsche sagen, »vertschecht«.
Nationale Kämpfe gab es also schon lange vor dem 19. Jahrhundert.
Der moderne Nationalismus aber,zu dem der friedfertige
Herder die ersten Ideen beisteuerte, wurde erst um die
Mitte des 19. Jahrhunderts wirksam. Deshalb beginnt unsere
Geschichte 1848.
Die Methoden, Kunstgriffe, Konfliktmechanismen allerdings,
die zwischen 1848 und 1945 immer häufiger und immer
radikaler angewandt wurden und schließlich im Terror der Nazis
im »Protektorat« und in der Vertreibung der Deutschen in
den böhmischen Ländern ihren Höhepunkt fanden, sind früher
erfunden worden. So heißt es immer, die ersten Vertreibungen
hätten am Anfang des 20. Jahrhunderts stattgefunden,
die Vertreibung und massenhafte Tötung von Armeniern zum
Beispiel oder der Bevölkerungsaustausch zwischen Griechenland
und der Türkei – letzterer war 1923. In Wirklichkeit gab
es sie schon früher. Und immer gab es neutrale Begriffe für die
Brutalitäten. Seit 1945 sprach man von Bevölkerungstransfer,
Abschub. Im 18. Jahrhundert redete man von »Fernwanderungen«.
Österreich hatte zum Beispiel 1734 das System der
»Transmigration« entwickelt. Man reinigte die alten habsburgischen
Länder von Ketzern, indem man sie zwangsweise nach
Ungarn oder in das ohnehin evangelische Siebenbürgen verpflanzte.
Eine raffinierte Verbindung von Vertreibung und staatlicher
Kolonisierung: Man war die Protestanten los und erhielt
dennoch ihre Wirtschafts- und Siedlungskraft dem Staat. Die
Fantasie guter Bürokraten ist unerschöpflich.
Ist Versöhnung möglich? Immer wieder einmal. Aber für
wie lange? Irgendwie finden die Menschen die Kraft, neu anzufangen.
Das mag daran liegen, dass ihnen nichts anderes
übrig bleibt. Die folgende Chronik schildert einen Modellfall,
der immer wieder nach ganz ähnlichen Mustern abläuft. Und
ablaufen wird.
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