Create successful ePaper yourself
Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.
51. GRIMME-PREIS 2015 17<br />
Zu kurze Zeiten im Ausland seien aber auch nicht sinnvoll: „Man braucht<br />
rund zwei Jahre, um anzukommen. Vielleicht ist man in Ländern wie den<br />
USA oder Frankreich schneller drin, in der arabischen Welt dauert es<br />
sicherlich länger.“ Nach drei „Durchgängen“ Russland hat Ruck nun ihr<br />
„kleines Instrumentarium für Kreml-Astrologie“ beisammen. „Man weiß<br />
nach einiger Zeit einfach, bestimmte Äußerungen zu deuten. Wer wann<br />
was gesagt hat, sind Teile, die man zu einem Puzzle zusammensetzen<br />
kann – und muss.“ All das biete Raum für Deutungen, „das kann man<br />
lesen, wenn man das Land kennt“. Und trotzdem „bin ich fest davon<br />
überzeugt, dass es richtig ist, die Leute nach fünf Jahren für mindestens<br />
ein Jahr wieder herauszuholen“. Doch nun ist alles anders: Die Auslandsberichterstattung<br />
der etablierten Medien wird teilweise lautstark debattiert<br />
und ihre Glaubwürdigkeit in Zweifel gezogen. Die Kreml- Astrologen<br />
gelten als unverbesserliche Putin-Feinde. „Das kam schon sehr überraschend“,<br />
sagt Ruck: „Wir standen als Russlandberichterstatter immer<br />
schon in der Kritik der Wirtschaft.“ Denn die will ihre Geschäfte mit<br />
Russland machen und warf den Korrespondenten immer mal wieder<br />
Schwarzmalerei vor. „Aus der Richtung kannten wir das schon. Dass es<br />
nun so massiv und kampagnenartig kam, hat uns alle sehr überrascht“.<br />
Ein guter Freund von Ruck ist im Krieg in der Ost ukraine<br />
umgekommen, andere wenden sich von ihr ab.<br />
Bei diesem Thema ist Ruck spürbar berührt, gar nicht nur wegen der<br />
deutschen Reaktionen. „Wie sich die russische Öffentlichkeit, auch meine<br />
Freunde, plötzlich von der totalen Propaganda beeinflussen lassen, schockiert<br />
mich schon.“ Jetzt klingt sie ein bisschen wie ein kalter Krieger, und<br />
sagt trotzig: „Aber ich bin keiner, es ist tatsächlich so. Es gibt mittlerweile<br />
eine fast komplette Gleichschaltung der Medien bis auf ein paar Zeitungen<br />
und Radiostationen, die aber nur einen Bruchteil der Bevölkerung<br />
erreichen“. Dass sich nun „vernünftige Leute reinreißen lassen in diesen<br />
Sog gegen alles Westliche, alles Amerikanische oder gegen die Ukrainer,<br />
die noch vor drei Tagen unsere Brüder waren“, nimmt sie sichtlich mit.<br />
Ein guter Freund von Ruck ist im Krieg in der Ostukraine umgekommen,<br />
andere wenden sich von ihr ab: „Plötzlich waren da Misstrauen und<br />
Fragen: Warum kannst du eigentlich so gut Russisch? Was hast du zwischendurch<br />
in den USA gemacht? Das war ein richtiger Schlag für mich.“<br />
Denn Russland ist bei aller professionellen Distanz ihre zweite Heimat,<br />
gerade deswegen trifft sie dieser Konflikt so schmerzhaft persönlich: „Das<br />
ist wie eine Scheidung - obwohl ich ja vom Land nicht geschieden bin.“<br />
Und es ist ein Resultat dessen, was Ruck unverblümt „Informationskrieg“<br />
nennt, den sich die russische Führung einiges kosten lässt: „Da wird viel Geld<br />
reingesteckt.“ Die Frage, warum dieser Informationskrieg allerdings auch in<br />
Deutschland einen Teil der Öffentlichkeit erobern konnte, warum plötzlich<br />
Menschen dankbar die aus dem Kreml gelieferten Erklärungsmuster<br />
annehmen, treibt Ruck um. „Wie können Menschen ein deutlich vom Staat<br />
instrumentalisiertes Medium wie das russische Auslandsfernsehen mit den<br />
öffentlich-rechtlichen Sendern hierzulande gleichsetzen und sagen: ‚Die<br />
Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte’?“. Wobei das ja schon den harmloseren<br />
Fall darstelle: „Oft heißt es ja auch ganz lapidar, wir lügen.“<br />
Dass Fehler in der Berichterstattung gemacht werden, streitet natürlich auch<br />
Ruck nicht ab. Genau so wenig, dass man diese offen zugeben und korrigieren<br />
müsse: „Aber dass man uns, die wir der journalistischen Sorgfalt verpflichtet<br />
sind, wo es redaktionelle Kontrollen gibt, plötzlich mit den Propagandamedien<br />
eines autoritären Staates gleichsetzt, das hat mich umgehauen.“<br />
Dass in der Krisen- und Kriegsberichterstattung Fehler passieren, sei<br />
ärgerlich, aber mehr als nachvollziehbar, sagt Ruck: „Ich habe selber aus<br />
Kriegen berichtet und kenne den Stress, wenn man da in Tschetschenien<br />
steht und vielleicht ein Bataillon falsch benennt oder einen Angriff der<br />
falschen Seite zuordnet.“<br />
Was also ist da los in der eigentlich ja aufgeklärten und medial gut versorgten<br />
deutschen Gesellschaft? Für Ruck hat die Debatte viel mit einem<br />
allgemeinen Unmut gegen die öffentlich-rechtlichen Sender zu tun, der<br />
sich nun mit „latent-dumpfen Anti-Amerikanismus“ und einer verständlichen<br />
Sehnsucht nach Ausgleich und Harmonie paart. Das Ziel Russlands<br />
dahinter sei dabei offensichtlich: „Der Auftrag lautet Destabilisieren - und<br />
das läuft ganz gut“, so Ruck. Russland unterstütze schließlich auch sämtliche<br />
europakritischen Parteien von rechts bis links. „Mich erstaunt sehr,<br />
dass das funktioniert. Aber so sehr wir diese Informationskriegsführung<br />
unterschätzen: Die, die jetzt ‚Lügenpresse’ brüllen, sind<br />
nicht die große Mehrheit. Da sollten wir die Kirche im Dorf<br />
lassen.“<br />
Wobei Ruck einer kritischen Debatte keinesfalls ausweicht:<br />
Dass angesichts der deutschen Berichterstattung der Eindruck<br />
eines „Putin-Bashings“ entstehen kann, sieht auch sie so, hält es<br />
für fatal und sagt mit der ihr eigenen Höflichkeit: „ Diese Personalisierung<br />
des Ganzen auf den bösen Putin hin ist nicht hilfreich.“ Magazintitel oder<br />
Talkshows mit dem Tenor „Wer stoppt diesen Mann“ oder „Wie gefährlich<br />
ist Putin wirklich“ mit ihrer Skandalisierung und Banalisierung von<br />
komplexen Zusammenhängen seien „ kontraproduktiv“, sagt Ruck. Man<br />
könnte auch sagen: unjournalistisch. „Doch genau diese Tendenz haben<br />
wir in der deutschen Medienlandschaft an vielen Ecken.“<br />
Doch auch hier gilt: Das Gros der Berichterstattung ist weiterhin in Ordnung,<br />
auch und gerade aus dem Ausland. Ruck hat lange in Russland und<br />
den USA gelebt – „in keinem der Länder habe ich mich im Fernsehen vernünftig<br />
über das Ausland informieren können“. Nach ihrer Rückkehr nach<br />
Deutschland im vergangenen Jahr ist das für sie „eine Wohltat gewesen“,<br />
erzählt Ruck: „Im deutschen Fernsehen laufen hervorragende Dokumentationen<br />
und Reportagen, die Nachrichten sind sehr gut - das weiß man<br />
eigentlich erst so richtig zu schätzen, wenn man mal draußen war.“<br />
Das Internet bietet heute allerdings Informationen zuhauf. Doch die Sache<br />
hat einen Haken, den Ruck so umreißt: „Wir haben uns da lange Zeit sicher<br />
gefühlt und gesagt, wir haben tolle Journalisten, gute Pressegesetze, wir<br />
können all dem vertrauen.“ Doch nun stiften neuen Medien und diese<br />
„Wahnsinnsflut an Informationen“ Verwirrung, sagt Ruck und gibt ihre oft<br />
leicht unterkühlt wirkende Distanz einen kurzen Moment auf: „ Wenn ich<br />
bei Facebook sehe, dass da ein Beitrag der BBC oder von der ARD oder aus<br />
den ZDF-Nachrichten eingestellt wurde, und im ‚Das könnte Dich auch<br />
interessieren‘-Hinweis steht dann völliger Propaganda-Scheiß ohne jede<br />
Quellenangabe scheinbar gleichwertig daneben, finde ich das unglaublich!“<br />
Wie solle denn ein 15jähriger wissen, dass der BBC-Beitrag 100fach<br />
hinterfragt und gegenrecherchiert wurde - im Gegensatz zu dem, was da<br />
ein No Name posted, fragt Ruck. „Wir müssen das Publikum viel stärker in<br />
Medienkompetenz unterrichten.“<br />
Ihr Publikum unterrichtet Ruck ab dem Sommer aus Washington - in<br />
Sachen US-Politik. Sie übernimmt in der US-Hauptstadt für zwei Jahre die<br />
Studioleitung in Nachfolge von Tina Hassel - obwohl es sie klimatechnisch<br />
eigentlich gar nicht so in die gemäßigten Breiten zieht: „Grundsätzlich<br />
habe ich es gerne eher kälter und karger. In Rom würde ich mich, glaub<br />
ich, nicht wohl fühlen.“<br />
Daher würde sie am liebsten ein neues ARD-Korrespondentenbüro in<br />
Ulan Bator eröffnen, sagt Ruck zum Abschied: „Ich habe mich total in die<br />
Mongolei verliebt“. Ihre Reisereportage „Abenteuer Mongolei“ können die<br />
ARD-Zuschauer am Karfreitag und Ostersonntag sehen.