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51. GRIMME-PREIS 2015<br />
Korrespondenten. Beim ZDF warf der langjährige Korrespondent<br />
Ulrich Tilgner aus Protest über redaktionelle Inkompetenz, sinnfreie<br />
„Bildteppiche“ und einen „merkwürdigen Gleichklang in allen<br />
Medien“ das Handtuch. Auslöser war das Thema Afghanistan. Auslandsthemen,<br />
bestätigten andere ZDF-Kollegen, seien „nur noch selten<br />
prime-time-fähig.“<br />
Dabei stemmen sich wackere Redakteure durchaus gegen den Trend,<br />
ermutigen echte Recherche, entwickeln neue, hintergründige Formate<br />
und moderne Varianten des „Storytelling“. Mutige Reporterinnen und<br />
Autoren reisen weit – um mehr nach Hause zu bringen als die gängigen<br />
Klischees. Doch der Standard, darüber herrscht wohl Einvernehmen,<br />
sinkt. Auch das Rollenverständnis wandelt sich. Der reisende Weltentdecker<br />
und Kulturforscher stirbt aus. Gefragt ist der kostengünstige<br />
Zulieferer von buntem Stoff. Abweichende Sichtweisen gelten als störend.<br />
„Der Meinungskorridor war schon mal breiter“, beklagte selbst<br />
der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier im November<br />
2014: „Der Konformitätsdruck in den Köpfen der Journalisten scheint<br />
mir ziemlich hoch.“<br />
Es ist auch eine Frage der Prioritäten. Der Medienforscher Lutz Mükke<br />
(„Journalisten der Finsternis“), der sich seit langem mit Auslandsberichterstattung<br />
beschäftigt, stellte 2008 in einem Dossier für das Netzwerk<br />
Recherche die Kernfrage: „Weshalb bringen die öffentlich-rechtlichen<br />
Rundfunkanstalten Zeit, Personal, Sendeplatz und Finanzen auf, um<br />
die Berichterstattung zu Olympia in Peking zwei Jahre im Voraus zu<br />
planen, dann 650 Mitarbeiter nach China zu schicken und wochenlang<br />
zu berichten, halten es jedoch nicht für nötig, auch nur einen einzigen<br />
Korrespondenten in Afghanistan zu stationieren?“<br />
Die Frage bleibt, wie so viele Fragen an Deutschlands Top-Medienmacher,<br />
unbeantwortet.<br />
Tom Schimmeck<br />
Tom Schimmeck, Jahrgang 1959, ist seit Jahrzehnten<br />
als Reporter und Autor in aller Welt unterwegs. Einst<br />
war er Redakteur bei taz, Tempo, Spiegel, profil und<br />
Woche. Seine Radiofeature wurden unter anderem mit<br />
dem Ernst-Schneider-Preis und dem Deutschen Sozialpreis<br />
ausgezeichnet. Auch mit dem Otto-Brenner-Preis<br />
und dem Bremer „Rüdi“ wurde er ausgezeichnet. 2010<br />
erschien seine Medien-Fundamentalkritik „Am besten<br />
nichts Neues“.