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UKJ-Klinikmagazin 1/2021

Blut - Saft des Lebens

Blut - Saft des Lebens

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01|21<br />

Apr. <strong>2021</strong><br />

DAS GESUNDHEITSMAGAZIN AM UNIVERSITÄTSKLINIKUM JENA<br />

TITELTHEMA<br />

BLUT – SAFT<br />

DES LEBENS<br />

Was ihn so besonders macht<br />

HEILEN<br />

Hirntumor-OP bei<br />

wacher Patientin


Foto: Schroll<br />

LIEBE LESERINNEN<br />

UND LESER,<br />

Blut ist außergewöhnlich: Es verbindet<br />

alle unsere Organe und steuert verschiedenste<br />

Körperfunktionen. Mit Blut<br />

können wir heilen. Und wir können darin<br />

lesen. Ein Blutbild gibt uns Hinweise auf<br />

zahlreiche Erkrankungen. Das Blut selbst<br />

kann aber auch krank werden. Leukämie<br />

ist sicher eine der bekanntesten Erkrankungen.<br />

Aber auch andere typische<br />

Bluterkrankungen stellen wir in diesem<br />

Heft vor. Wir berichten darüber, was den<br />

Lebenssaft ausmacht, und was jeder<br />

einzelne mit einer Blutspende bewirken<br />

kann.<br />

Nach wie vor lässt uns das Thema COVID-<br />

19 nicht los: In dieser Ausgabe stellen<br />

wir Ihnen unsere Long-COVID-Ambulanz<br />

für Kinder vor. Außerdem sprechen wir<br />

mit einem Wissenschaftler darüber,<br />

wie sich sein Arbeitsalltag, aber auch<br />

die Forschungsthemen seit Beginn der<br />

Pandemie gewandelt haben.<br />

Außerdem möchten wir Ihnen mit dieser<br />

Ausgabe unseres Magazins wieder Einblicke<br />

geben, auf welchen Gebieten am<br />

<strong>UKJ</strong> geforscht wird, wo neue Wirkstoffe<br />

die Therapien revolutionieren und was<br />

hinter den Kulissen unseres Universitätsklinikums<br />

passiert.<br />

Wir wünschen Ihnen eine erkenntnisreiche<br />

Lektüre!<br />

BLUT – SAFT DES LEBENS<br />

Was macht Blut aus? Prof. Hochhaus im Gespräch . . . . . . . . . . . . . . . 4<br />

Unser Blut im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .8<br />

Leukämie – Krankheit mit vielen Gesichtern. . . . . . . . . . . . . . . . . . 10<br />

Typische Bluterkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12<br />

Mit Blutplasma Erkrankten helfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14<br />

Transfusionsmedizin - mehr als Blutspende? . . . . . . . . . . . . . . . . . 16<br />

Blutvergiftung? Sepsis! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18<br />

Turbo-Forschung im weltweiten Netz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20<br />

AKTUELLES<br />

Long-COVID-Ambulanz für Kinder. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22<br />

Optimale CT-Bilder im Notfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23<br />

Weiterbildung Notfallpflege gestartet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24<br />

Zurück in die Kinderkrankenpflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25<br />

Studie zu Gewalt an Pflegekräften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26<br />

FORSCHEN<br />

Wie COVID-19 Organe schädigt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27<br />

Stresswächter am Handgelenk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28<br />

Neuer Professor für Hepatologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .29<br />

HEILEN<br />

Neue Chance durch Genersatztherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30<br />

Hirn-OP bei wacher Patientin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31<br />

HINTER DEN KULISSEN<br />

Nicht zum Leben geboren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32<br />

Ihre „<strong>Klinikmagazin</strong>“-Redaktion<br />

KURZ & KNAPP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34<br />

TERMINE UND KONTAKTE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .38<br />

2 01 | 21


STANDPUNKTE<br />

Abwehrzellen im Blut<br />

Wie das Immunsystem zielgerichtet gegen Infektionen<br />

und Krebs arbeitet<br />

Diese Ausgabe des <strong>Klinikmagazin</strong>s<br />

versammelt Beiträge zum Thema Blut.<br />

Es ist mir eine Freude, Ihnen die Sicht<br />

eines Immunologen auf das Thema zu<br />

vermitteln.<br />

Prof. Dr. Thomas Kamradt ist Professor für Immunologie<br />

und seit Januar <strong>2021</strong> Wissenschaftlicher<br />

Vorstand des <strong>UKJ</strong> und Dekan der Medizinischen<br />

Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena.<br />

Im Blutstrom reisen die Zellen des<br />

Abwehrsystems durch den Körper. Die<br />

meisten dieser Zellen üben ihre Funktion<br />

nicht in der Blutbahn aus, sondern<br />

sind, bildlich gesprochen, auf dem<br />

Weg zur Arbeit. Das liegt daran, dass<br />

Infektionserreger üblicherweise nicht<br />

ins Blut gelangen, sondern zunächst<br />

die Barrieren des Körpers, die Haut<br />

und die Schleimhäute, überwinden<br />

müssen. Dort gibt es eine große Zahl<br />

von Abwehrzellen. Sie phagozytieren<br />

(Fachausdruck für „fressen“) und töten<br />

die eingedrungenen Erreger, gleichzeitig<br />

produzieren sie Botenstoffe, die<br />

weitere Zellen des Immunsystems<br />

anlocken. Im einfachsten Fall wäre die<br />

Sache damit erledigt: Erreger beseitigt,<br />

Gefahr gebannt. Doch was, wenn der<br />

Erreger wiederkommt? Für diesen Fall<br />

gibt es spezielle Zellen, die sogenannten<br />

Lymphozyten. Die teilen sich die<br />

Arbeit mit den Fresszellen. Die Fresszellen<br />

sind schnell und effizient, aber<br />

nicht sehr spezifisch. Sie fressen und<br />

vernichten, ohne einen Unterschied<br />

zwischen verschiedenen Mikroben zu<br />

machen. Auch bei der hundertsten<br />

Begegnung mit einem Erreger verhalten<br />

sie sich wie bei der ersten. Die<br />

Lymphozyten arbeiten genauer. Jeder<br />

Lymphozyt erkennt ein spezifisches<br />

Merkmal eines bestimmten Krankheitserregers.<br />

Ein Lymphozyt, der ein<br />

Grippevirus angreifen kann, ist also<br />

nutzlos gegen eine Pilzinfektion. Lymphozyten<br />

können aber lernen. Nach<br />

einer Infektion oder Impfung werden<br />

einige Lymphozyten zu Gedächtniszellen,<br />

die den Erreger bei einer erneuten<br />

Begegnung schneller und effektiver<br />

bekämpfen. Das immunologische<br />

Gedächtnis ist die Grundlage aller<br />

Impfungen. Durch eine Impfung wird<br />

dem Immunsystem eine Infektion vorgegaukelt.<br />

Es wird aktiviert, Gedächtniszellen<br />

werden gebildet und schützen<br />

vor einer realen Infektion. Durch<br />

Impfungen sind viele Infektionskrankheiten,<br />

die mit hoher Sterblichkeit<br />

verknüpft waren, vollständig (Pocken)<br />

oder weitestgehend (z.B. Polio) beseitigt<br />

worden. Impfungen sind die erfolgreichste<br />

medizinische Maßnahme, die<br />

bisher erdacht wurde. Aber nicht nur<br />

Impfungen werden heute eingesetzt,<br />

um das Immunsystem auf bestimmte<br />

Ziele zu lenken. Zellen des Abwehrsystems<br />

können durch Medikamente oder<br />

molekularbiologische Manipulationen<br />

„Impfungen<br />

sind die<br />

erfolgreichste<br />

medizinische<br />

Maßnahme, die<br />

bisher erdacht<br />

wurde.“<br />

dazu gebracht werden, effizient gegen<br />

Tumorzellen vorzugehen. Durch solche<br />

immunologischen Therapien sind<br />

in den letzten Jahren Erfolge gegen<br />

Tumorkrankheiten möglich geworden,<br />

die bis vor kurzem als unheilbar<br />

galten. Im Blut ist also eine Vielzahl<br />

unterschiedlicher Abwehrzellen und<br />

wir Ärzte und Wissenschaftler lernen<br />

gerade, wie diese Zellen immer gezielter<br />

und effektiver gegen Infektionskrankheiten<br />

oder Tumoren gerichtet<br />

werden können.<br />

Prof. Thomas Kamradt<br />

Wissenschaftlicher Vorstand<br />

und Dekan<br />

01 | 21<br />

3


Blut<br />

Saft des Lebens<br />

„Blut ist ein ganz besonderer Saft“, wusste<br />

schon Mephisto in Goethes Faust. Doch was<br />

macht Blut so einzigartig? Ein Gespräch mit<br />

Prof. Dr. Andreas Hochhaus. Er leitet am<br />

Universitätsklinikum Jena die Klinik für<br />

Innere Medizin II, Hämatologie und<br />

Internistische Onkologie.<br />

4 01 | 21


TITELTHEMA<br />

Hatte Mephisto Recht, als er in der<br />

Wette mit Faust Blut als ganz besonderen<br />

Saft bezeichnete?<br />

Prof. Hochhaus: Ja, ich denke, die<br />

Bezeichnung trifft noch heute zu. Weil<br />

Blut für das Leben des Menschen essentiell<br />

ist. Weil es auch viele lebensbedrohliche<br />

Krankheiten gibt, die mit dem<br />

Blut zusammenhängen, wir aber auch<br />

mit Blut heilen können. Und weil Blut<br />

Bande schafft. Wir lasen bei Karl May<br />

von den Blutsbrüdern Winnetou und<br />

Old Shatterhand. Und nicht umsonst<br />

sprechen wir von Blutsverwandtschaft,<br />

wenn wir uns in der Familie bewegen<br />

und ausdrücken möchten, dass wir eine<br />

besondere Verbindung beispielsweise<br />

zu unseren Eltern, Geschwistern oder<br />

Kindern haben.<br />

Welche wesentlichen Aufgaben<br />

schreiben wir dem Blut zu?<br />

Prof. Hochhaus: Blut verbindet alle<br />

Organe unseres Körpers, weil es überall<br />

hindurchfließt und alle Organe mit Sauerstoff<br />

versorgt. Es transportiert zudem<br />

alles ab, was an „Abfall“ übrigbleibt,<br />

gemeint ist natürlich das Kohlendioxid,<br />

das abgeatmet werden muss. Aber es<br />

gibt auch andere Stoffe, die entstehen<br />

und über Leber und Niere abgebaut<br />

werden und dafür erst einmal dorthin<br />

transportiert werden müssen. Blut reguliert<br />

außerdem, indem es stärker oder<br />

weniger stark in die Körperregionen<br />

fließt, Wärme und Kälte unseres Körpers.<br />

Nicht zu vergessen die Blutzellen, hier<br />

zunächst die weißen Blutkörperchen, die<br />

unverzichtbar für unsere Immunabwehr<br />

sind. Hinzu kommen die roten, die, wie<br />

schon erwähnt, für den Sauerstofftransport<br />

verantwortlich sind. Als dritte Zellart<br />

wären die Blutplättchen zu nennen, sie<br />

regeln die zelluläre Blutgerinnung. Last<br />

but not least das Blutplasma, das die<br />

plasmatische Gerinnung steuert, aber<br />

auch im Zusammenhang mit der Immunabwehr<br />

die Antikörper, Komplementfaktoren<br />

und Botenstoffe transportiert.<br />

Stichwort Blutgruppen. Es gibt vier:<br />

A, B, AB und 0. Wie relevant sind sie<br />

bei der Entstehung und Ausprägung<br />

von Krankheiten?<br />

Prof. Hochhaus: Das AB0-System wurde<br />

1901 von Karl Landsteiner beschrieben,<br />

wofür er 1930 den Nobelpreis für<br />

Medizin bekam. Im Zusammenhang mit<br />

COVID-19 hatte eine Meldung die Runde<br />

gemacht, dass eine Blutgruppe einen<br />

besonderen Schutz bieten würde. Das<br />

hat sich als Falschmeldung erwiesen<br />

und wurde widerlegt. Es gibt immer<br />

wieder Berichte über Assoziationen von<br />

Blutgruppen zu bestimmten Krankheiten,<br />

die häufig in Validierungsstudien<br />

nicht belegt werden. Aber die Blutgruppen<br />

spielen natürlich eine große Rolle,<br />

wenn ein Blutersatz erforderlich wird.<br />

Dieser muss natürlich blutgruppenspezifisch<br />

gemacht werden. Ansonsten<br />

würde ich spezielle Blutgruppen mit<br />

bestimmten Krankheiten nicht in Verbindung<br />

bringen wollen. Hier gibt es<br />

keine belastbaren Daten.<br />

Prof. Dr. Andreas Hochhaus<br />

Was bezeichnen wir als typische<br />

Erkrankungen des Blutes?<br />

Prof. Hochhaus: Beginnen wir mit<br />

der Leukämie, da sie immer als<br />

unmittelbar lebensbedrohlich und<br />

für den betroffenen Patienten als<br />

wirklich schlimm verstanden wird.<br />

Hier unterscheiden wir vom Verlauf<br />

chronische und akute Leukämien,<br />

von der betroffenen Zelllinie<br />

myeloische und lymphatische Formen.<br />

Andere schwere Erkrankungen des<br />

Blutes sind die Erkrankungen des<br />

Gerinnungssystems, die angeboren<br />

sein können. Gemeint sind hier die<br />

sogenannten Blutererkrankungen,<br />

medizinisch Hämophilie. Eine weitere<br />

akute Form der Gerinnungsstörung sind<br />

die Erkrankungen der Blutplättchen,<br />

insbesondere die Thrombozytopenien.<br />

Die Immunthrombozytopenie (ITP)<br />

tritt plötzlich auf und ist unmittelbar<br />

lebensbedrohlich, weil sie die Zahl der<br />

Thrombozyten nahe Null bringt und<br />

dadurch den zellulären Teil der Gerinnung<br />

außer Kraft setzt. Nicht zu vergessen<br />

die Anämie, umgangssprachlich<br />

Blutarmut genannt. Hier gibt es sehr<br />

viele unterschiedliche Formen und<br />

Interaktionen mit allen Organsystemen.<br />

Speziell die Eisenmangelanämie ist<br />

die in Deutschland am häufigsten<br />

auftretende Erkrankung des Blutes.<br />

Insgesamt möchte ich aber sagen, dass<br />

wir bei all diesen Erkrankungen – auch<br />

den lebensbedrohlichen – heute sehr<br />

gute Behandlungsmöglichkeiten haben,<br />

die im Einzelfall eine langfristige<br />

Überlebenschance bieten. Voraussetzung<br />

ist natürlich eine schnelle und<br />

gezielte Diagnostik und strukturierte<br />

Therapieplanung, sodass auf deren<br />

Grundlage der Schrecken über die<br />

Erkrankung relativiert werden kann.<br />

Stichwort Blutbild. Es ist in der<br />

Diagnostik immer eines der ersten<br />

Mittel. Spiegelt mein Blut meinen<br />

Gesundheitszustand wirklich so<br />

deutlich wider?<br />

Prof. Hochhaus: Wenn es so einfach<br />

wäre, bräuchten wir nicht diese<br />

angewandte Breite an diagnostischen<br />

→<br />

01 | 21<br />

5


TITELTHEMA<br />

Maßnahmen. Aber in vielen Fällen spiegelt<br />

das Blutbild tatsächlich wider, dass<br />

überhaupt eine Erkrankung vorliegt.<br />

Welche dann konkret vorliegt, muss<br />

mit weiteren Untersuchungen abgeklärt<br />

werden. Aber grundsätzlich können wir<br />

bei richtiger Interpretation am Blutbild<br />

sehr viel ablesen.<br />

Was sagt das kleine, was das große<br />

Blutbild?<br />

Prof. Hochhaus: Das kleine Blutbild<br />

beinhaltet die drei Werte Hämoglobin,<br />

auch als Hb-Wert bekannt, Leukozyten<br />

und Thrombozyten. Das große<br />

Blutbild beinhaltet dann eine sehr viel<br />

feinere Aufgliederung der Leukozyten<br />

in denverschiedenen Subklassen<br />

und Reifungsstufen sowie noch einige<br />

Parameter, die so klingen wie Mainzer<br />

Karnevalsvereine: MCV und MCH. MCV<br />

bedeutet mittleres corpuskuläres<br />

Volumen oder einfaches mittleres Zellvolumen.<br />

Und unter MCH verstehen wir<br />

den mittleren Hämoglobingehalt des<br />

einzelnen Erythrozyten. An diesen Werten<br />

erkennt man, wie reich das einzelne<br />

rote Blutkörperchen mit Hämoglobin<br />

gesättigt ist und folglich, ob es einen<br />

Mangel an für die Blutbildung notwendigen<br />

Stoffen wie beispielsweise Eisen,<br />

Vitamin B12 oder Folsäure gibt.<br />

Gibt es beim Blut eine Altersspezifik<br />

zwischen Kindern und älteren<br />

Menschen?<br />

Prof. Hochhaus: Die Normalwerte, die<br />

wir in der klinischen Chemie zur Blutbildbestimmung<br />

anwenden, sind tatsächlich<br />

unterschiedlich. Kinder haben<br />

zu Beginn des Lebens unmittelbar nach<br />

der Geburt noch eine andere Hämoglobinart.<br />

Es gibt das fetale Hämoglobin,<br />

das im ersten Lebensjahr durch das<br />

typische Hämoglobin der erwachsenen<br />

Menschen ersetzt wird, welches<br />

aus zwei Alpha- und zwei Betaketten<br />

besteht.<br />

Heilen mit Blut? Aus früheren Zeiten<br />

kennen wir einerseits den Aderlass.<br />

Andererseits sind Transfusionen unerlässlich?<br />

Prof. Hochhaus: Der Aderlass ist<br />

eine der ältesten medizinischen<br />

Behandlungsformen, wird aber auch<br />

noch heute angewendet, zum Beispiel<br />

zum Eisenentzug bei Eisenüberladung.<br />

In der Hämatologie kennen wir<br />

Krankheiten, die nicht durch Mangel,<br />

sondern durch zu viel Blut charakterisiert<br />

sind. Wir sprechen von „Polyzythämie“.<br />

Und zu viel Blut führt dazu, dass die<br />

Fließgeschwindigkeit vermindert ist<br />

und dadurch die Organe mit zu wenig<br />

Sauerstoff versorgt werden. Die<br />

Ersttherapie besteht darin, künstlich<br />

einen Eisenmangel herzustellen, um die<br />

Blutbildung zu reduzieren. Das machen<br />

wir mit Aderlass.<br />

Eine Bluttransfusion ist notwendig,<br />

wenn Menschen einen akuten Blutverlust<br />

erleiden, der den Kreislauf so<br />

beeinträchtigt, dass die Organe nicht<br />

mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt<br />

werden können, zum Beispiel bei<br />

einem Unfall beziehungsweise akuter<br />

Lebensgefahr. Bluttransfusionen benötigen<br />

wir aber auch in der Behandlung<br />

von Leukämien, wenn während der Chemotherapien<br />

und als Folge der Erkrankung<br />

die normale Blutbildung zunächst<br />

unterbrochen ist. Diese Unterbrechung<br />

wird mit gespendetem Blut überbrückt.<br />

Und wir benötigen Bluttransfusionen<br />

bei geplanten Operationen, von<br />

denen wir wissen, dass sie mit einem<br />

hohen Blutverlust verbunden sind.<br />

Hier gibt es am <strong>UKJ</strong> aber schon neue<br />

Projekte, unter anderem in Form von<br />

Eigenblutspenden vor der Operation,<br />

um das eigene Blut unter der Operation<br />

wiederzubekommen. Dadurch können<br />

6 01 | 21


haben wir das kennengelernt, als in den<br />

1960er- und 1970er-Jahren Arbeiter aus<br />

Italien, Griechenland und der Türkei<br />

nach Westdeutschland kamen. Und<br />

aus Afrika kennen wir beispielsweise<br />

die Sichelzell-Anämie, dort endemisch<br />

wegen einer Malaria-Resistenz der<br />

Erythrozyten.<br />

die Transfusionen mit gespendetem<br />

Blut sehr klein gehalten werden.<br />

Stimmt es, dass Blut inzwischen auch<br />

synthetisch hergestellt werden kann?<br />

Prof. Hochhaus: Ja, das ist richtig. Es<br />

gibt schon wissenschaftliche Projekte<br />

zur Herstellung von Flüssigkeiten,<br />

mit denen wir kurzfristig die<br />

Sauerstofftransportkapazität ersetzen<br />

können. Das ist längst keine klinische<br />

Routine, aber man kann mit künstlichen<br />

Stoffen neben dem Volumenersatz<br />

die Hämoglobinfunktion, nämlich die<br />

Sauerstoffaufnahme und -abgabe,<br />

ersetzen.<br />

Gibt es regionale beziehungsweise<br />

geographische Besonderheiten bei<br />

der Entstehung von Bluterkrankungen?<br />

Prof. Hochhaus: Ja, es gibt zum Beispiel<br />

die sogenannte Mittelmeer-Anämie.<br />

Das sind genetische Varianten, die<br />

besonders in den Anrainerstaaten<br />

des Mittelmeers vorkommen, also<br />

Südeuropa und Afrika. In Deutschland<br />

Was kann ich für meine Blutgesundheit<br />

tun?<br />

Prof. Hochhaus: Ganz klare Antwort:<br />

gesund leben. Warum? Für die benötigten<br />

Bausteine im Blut wie Eisen oder<br />

Vitamin B12 brauchen wir eine gesunde,<br />

ausgewogene Ernährung und natürlich<br />

Bewegung an der frischen Luft und<br />

Sport.<br />

Interview: Annett Lott<br />

KONTAKT<br />

Prof. Dr. Andreas Hochhaus<br />

Direktor der Abteilung für Hämatologie<br />

und Internistische Onkologie der KIM II<br />

Sprecher des UniversitätsTumor-<br />

Centrums Jena<br />

03641 9-32 42 00<br />

andreas.hochhaus@med.uni-jena.de<br />

Fotos: Schroll<br />

01 | 21<br />

7


UNSER BLUT<br />

Bestandteile 55%<br />

45%<br />

flüssiges<br />

Blutplasma<br />

feste Bestandteile (rote und weiße<br />

Blutkörperchen und Blutplättchen)<br />

Rote Blutkörperchen<br />

Rote Blutkörperchen, auch Erythrozyten<br />

genannt, transportieren Sauerstoff.<br />

Lebensdauer:<br />

100 bis 120 Tage<br />

Blutplättchen<br />

Die Blutplättchen, auch Thrombozyten genannt,<br />

spielen eine wichtige Rolle bei der Blutstillung.<br />

Wird ein Blutgefäß verletzt, bilden sie einen Pfropf,<br />

der die Blutung stoppt.<br />

Lebensdauer:<br />

5 bis 11 Tage<br />

Weiße Blutkörperchen<br />

Die weißen Blutkörperchen, auch Leukozyten genannt,<br />

spielen eine entscheidende Rolle bei der Abwehr<br />

krankheitserregender Mikroorganismen wie Bakterien,<br />

Viren und Parasiten. Die verschiedenen Untergruppen<br />

Neutrophile, Basophile, Eosinophile und Lymphozyten<br />

haben unterschiedliche Aufgaben.<br />

Lebensdauer: einige Tage bis wenige Jahre<br />

Plasma<br />

Ein wichtiger Bestandteil des flüssigen Blutplasmas<br />

sind Gerinnungsfaktoren. Sie sorgen zusammen mit<br />

den Thrombozyten für die Blutstillung.<br />

Abbildung: freepik | pikisuperstar<br />

Rote Blutkörperchen<br />

Weiße Blutkörperchen<br />

mit Blutplättchen<br />

Plasma<br />

8 01 | 21


Aufgaben<br />

Unser Blut ist lebensnotwendig: Es verbindet alle Organe<br />

unseres Körpers. Das Blut versorgt die Organe mit Sauerstoff<br />

und transportiert Kohlendioxid, das abgeatmet werden<br />

muss. Es wehrt Krankheitserreger mithilfe von Antikörpern ab<br />

und verteilt Wärme gleichmäßig im Körper. Außerdem werden<br />

über das Blut nicht nur Nährstoffe wie Eiweiß oder Kohlenhydrate<br />

zu den Zellen transportiert, sondern auch wichtige<br />

Informationen in Form von Hormonen im Körper übermittelt.<br />

Blut lässt sich bisher nicht vollständig durch eine andere<br />

Flüssigkeit ersetzen.<br />

Blutgruppen<br />

Das AB0-Blutgruppensystem – 1901 von Karl Landsteiner<br />

entdeckt – umfasst die Gruppen A, B, AB und 0.<br />

Blutgruppe A weist das Antigen A auf, Blutgruppe B das<br />

Antigen B, Gruppe AB besitzt beide Antigene und Gruppe<br />

0 keines. Die Antigene sind dafür verantwortlich, dass<br />

sich das Blut verklumpt, wenn sich bestimmte Blutgruppen<br />

vermischen. Sie entwickeln Antikörper, sobald<br />

„fremde“ Blutkörperchen auftauchen.<br />

Häufigkeit<br />

AB-<br />

B-<br />

AB+<br />

0-<br />

A-<br />

B+<br />

0+<br />

A+<br />

1%<br />

2%<br />

4%<br />

6%<br />

6%<br />

9%<br />

35%<br />

37%<br />

Rhesus-System<br />

Zusätzlich zur Blutgruppe wird der Rhesusfaktor<br />

angegeben – „positiv“ oder „negativ“.<br />

Etwa 85% der weißen europäischen und amerikanischen<br />

Bevölkerung und fast 100% aller Afrikaner, Asiaten<br />

und Indianer Nordamerikas sind Rhesus-positiv, der<br />

Rest Rhesus-negativ. Von Bedeutung ist der Rhesusfaktor,<br />

wenn es zu einer Schwangerschaft einer Rhesus-negativen<br />

Frau mit einem Rhesus-positivem Kind kommt. Dann droht<br />

eine lebensbedrohliche Antigen-Antikörper-Reaktion.<br />

Farbe<br />

Die Eiweißverbindung Hämoglobin macht 90% unserer<br />

roten Blutkörperchen aus. Hämoglobin<br />

Menge<br />

Ein Baby hat nur etwa 400ml Blut – also etwa<br />

zwei Gläser voll. Ein Erwachsener muskulöser Mann kann<br />

bis zu sieben Liter Blut haben. Im Durchschnitt haben<br />

Männer 5,4l Blut und Frauen rund 4,5l Blut.<br />

Zum einen, weil Frauen meist weniger wiegen als Männer,<br />

zum anderen, weil ihr Körperfettanteil höher ist.<br />

Blutbildung<br />

Viele Blutkörperchen haben nur eine begrenzte Lebensdauer.<br />

Daher müssen sie ständig erneuert werden. Für die<br />

Blutbildung (Hämatopoese) sorgen die blutzellbildenden<br />

Stammzellen. Bei einem erwachsenen Menschen werden<br />

täglich Milliarden reife Blutzellen gebildet.<br />

besteht zu einem großen Teil aus Eisen und verleiht<br />

unserem Blut die rote Farbe.<br />

Bild: freepik | starline<br />

01 | 21<br />

9


TITELTHEMA<br />

Leukämie – eine Krankheit mit vielen Gesichtern<br />

Stammzelltherapie am <strong>UKJ</strong> mit 25-jähriger Geschichte<br />

Leukämie – wer diese Diagnose hört,<br />

verbindet sie mit einer Erkrankung, die<br />

unmittelbar lebensbedrohlich erscheint.<br />

„Hier muss man jedoch genau unterscheiden“,<br />

so Prof. Andreas Hochhaus,<br />

Direktor der Klinik für Innere Medizin<br />

II am <strong>UKJ</strong>. Im Grunde stecken hinter<br />

dem Begriff „Leukämie“ gleich mehrere,<br />

durchaus unterschiedliche Erkrankungen.<br />

Vom Krankheitsverlauf betrachtet unterscheiden<br />

sich akute, sich sehr schnell<br />

entwickelnde Formen von chronischen,<br />

langsam entstehenden Leukämien.<br />

Beide Verlaufsformen lassen sich jeweils<br />

wiederum in zwei Gruppen unterteilen,<br />

je nach den Vorläuferzellen, aus denen<br />

die Tumorzellen entstehen. Mediziner<br />

teilen die Erkrankungen in lymphatische<br />

und myeloische Leukämien ein: Bei den<br />

akuten lymphatischen Leukämien sind<br />

im Blut viele unreife, nicht funktionsfähige<br />

Lymphozyten zu finden, bei den<br />

akuten myeloischen Leukämien sind Zellen,<br />

die sogenannten myeloische Blasten,<br />

verändert und reifen nicht weiter zu<br />

funktionsfähigen Blutzellen aus.<br />

„Bei den chronischen Leukämieformen<br />

handelt es sich um einen schleichenden<br />

Prozess“, so Prof. Hochhaus. Sie werden<br />

nur unbehandelt lebensbedrohlich.<br />

Dank der heutigen Behandlungsmöglichkeiten<br />

ist für die betroffenen<br />

Patienten aber eine nahezu normale<br />

Überlebenswahrscheinlichkeit möglich.<br />

Bei den akuten Formen spielen schnelle<br />

Diagnostik und gezielte Behandlung<br />

eine entscheidende Rolle, weil diese<br />

unbehandelt innerhalb weniger Wochen<br />

einen lebensbedrohlichen Verlauf nehmen.<br />

„Hier ist die Stammzelltherapie<br />

heute Standard – wenn auch nicht für<br />

jeden Patienten“, so Prof. Hochhaus, der<br />

auch Sprecher des UniversitätsTumor-<br />

Centrums Jena ist. Etwa 20 Prozent aller<br />

erwachsenen Leukämie-Erkrankten<br />

sind auf eine Behandlung mit Stammzellen<br />

angewiesen.<br />

Was passiert genau bei einer Stammzelltherapie?<br />

Kommen die Stammzellen<br />

vom Patienten selbst, sprechen<br />

die Experten von einer autologen<br />

Transplantation. Apherese nennt sich<br />

das Verfahren, bei dem die körpereigenen<br />

Stammzellen beispielsweise für die<br />

Behandlung von bestimmten Formen<br />

von Lymphdrüsenkrebs gewonnen werden.<br />

Nach einer hochdosierten Chemotherapie<br />

werden sie dem Erkrankten per<br />

Infusion wieder übertragen. Bei der so<br />

genannten allogenen Transplantation<br />

stammen die Stammzellen von einem<br />

Familienangehörigen oder auch einem<br />

nichtverwandten Spender.<br />

Über das Zentrale Knochenmarkspender-Register<br />

in Deutschland (ZKRD), mit<br />

dem das <strong>UKJ</strong> eng kooperiert, kann auf die<br />

Daten von rund 29 Millionen potenziellen<br />

Spendern weltweit zurückgegriffen<br />

werden. Durch die immer effizienteren<br />

Typisierungsverfahren lassen sich so<br />

auch geeignete Spender außerhalb der<br />

Familie finden – glücklicherweise findet<br />

sich für 90 Prozent der Patienten heutzutage<br />

ein geeigneter Stammzellspender.<br />

Fotos: Schroll<br />

01 | 21


TITELTHEMA<br />

Mehr als 40 Jahre<br />

Stammzelltherapie am <strong>UKJ</strong><br />

Sechs bis acht Wochen verbringen die<br />

Patienten in der Regel auf der José-Carreras-Stammzelltransplantationsstation,<br />

in Zimmern, die mit Vorschleuse und<br />

speziellen Luftfiltern ausgestattet sind –<br />

was Keime jeglicher Art abschirmen soll.<br />

Denn vor einer Stammzelltransplantation<br />

werden die entarteten Zellen des blutbildenden<br />

Systems im Knochenmark des<br />

Erkrankten zerstört. Dies schwächt die<br />

Immunabwehr so sehr, dass die Patienten<br />

sehr anfällig für Infektionen werden<br />

– selbst durch sonst harmlose Keime.<br />

In Thüringen ist das <strong>UKJ</strong> die einzige<br />

Klinik, an der allogene Transplantationen<br />

möglich sind. Weil es früher noch keine<br />

andere Methode gab, Stammzellen zu entnehmen,<br />

wurde in der Anfangszeit primär<br />

Knochenmark transplantiert. Noch<br />

etwas anderes hat sich verändert:<br />

Früher war neben einer Chemotherapie<br />

häufiger als heute eine Ganzkörperbestrahlung<br />

nötig. Inzwischen sind<br />

die Verfahren deutlich schonender<br />

und zugleich wirksamer geworden.<br />

Davon profitieren vor allem ältere Menschen,<br />

bei denen eine Stammzelltherapie<br />

früher nicht in Frage gekommen<br />

wäre. „Vor zwanzig Jahren noch lag der<br />

Altersdurchschnitt unserer Patienten<br />

bei 40 Jahren, heute bei fast 60 Jahren“,<br />

so Prof. Hochhaus. Grund für diese Entwicklung:<br />

Leukämien lassen sich durch<br />

verbesserte labordiagnostische Möglichkeit<br />

genauer typisieren, spezifische<br />

genetische Marker geben Auskunft über<br />

Aggressivität der Erkrankung und Rückfallrisiko<br />

– neben dem Allgemeinzustand<br />

der Patienten sind dies die wichtigsten<br />

Kriterien für die Entscheidung zur<br />

Stammzelltherapie.<br />

(as/km)<br />

Pionier der Stammzelltherapie bei Kindern<br />

Am 1. Oktober 1980 führt Prof. Felix Zintl, damals junger Oberarzt und später<br />

Direktor der Kinderklinik, auf Station 6 der Jenaer Klinik für Kinder- und<br />

Jugendmedizin in der Bachstraße die erste Transplantation von Knochenmark<br />

bei einem Kind durch. Es ist die erste Behandlung dieser Art überhaupt in der<br />

ehemaligen DDR.<br />

Premiere in Ostdeutschland<br />

6. November 1996: An der Klinik für Innere Medizin II (Hämatologie) in Jena-Lobeda<br />

wird die erste Station für Knochenmarktransplantationen (KMT) für Erwachsene<br />

mit zehn Betten eröffnet. Es ist die erste Station dieser Art in Ostdeutschland.<br />

Neue Einheit<br />

Bis zum Umzug der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin im Dezember 2016<br />

fanden Stammzelltransplantationen bei kleinen Patienten am alten Standort<br />

der Kinderklinik in der Innenstadt statt. Diese Einheit wurde zunächst in die<br />

Erwachsenen-Station 520 im Containerbau in Lobeda integriert, bis Ende Juni<br />

2017 dann der gemeinsame Umzug in die neue Einheit A110 vollzogen werden<br />

konnte.<br />

Umzug in moderne Station<br />

Juni 2017: Die neue Station für Stammzelltransplantationen im Gebäudekomplex<br />

A wird eingeweiht. Die hochmoderne Station mit dazugehörigen Ambulanzen<br />

an der Klinik für Innere Medizin II (Hämatologie und Internistische Onkologie/<br />

Palliativmedizin) und der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin ist im Zuge des<br />

zweiten Bauabschnitts des <strong>UKJ</strong> entstanden. Sie verfügt über 20 Betten in Einzelund<br />

Zweibettzimmern. Jährlich erhalten hier circa 120 Erwachsene und 15 Kinder<br />

eine Stammzelltransplantation.<br />

Berühmter Namensgeber<br />

1987 erkrankte José Carreras an Leukämie. Aus Dankbarkeit über die eigene<br />

Heilung gründete der spanische Tenor 1988 die internationale Stiftung, die<br />

ihren Sitz in Barcelona hat. Die in München ansässige Deutsche José-Carreras-<br />

Leukämie-Stiftung existiert seit 1995. Ziel der Stiftung ist es, die Heilungschancen<br />

bei Leukämie zu erhöhen. Dabei setzt sie sich sowohl für bessere<br />

Behandlungseinrichtungen als auch für eine Intensivierung der Forschung zu<br />

Blutkrebs ein. Für den Bau der José-Carreras-Transplantationseinheit am <strong>UKJ</strong><br />

hat sie eine Million Euro zur Verfügung gestellt.<br />

01 | 21<br />

11


TITELTHEMA<br />

Typische Erkrankungen des Blutes –<br />

neben der Leukämie<br />

Hämophilie (Bluterkrankheit)<br />

Die Hämophilie zählt zu den schweren Erkrankungen des<br />

Blutes. Es handelt sich dabei um ererbte Defekte des Gerinnungssystems.<br />

Die Blutgerinnung ist gestört, weil der Körper<br />

die Gerinnungsfaktoren VIII oder IX nicht oder in zu geringer<br />

Menge herstellt. Dadurch werden Wunden nicht oder nur<br />

langsam geschlossen. Die Folgen: innere Blutungen, zerstörte<br />

Gelenke und Lebensgefahr selbst bei kleinen Verletzungen,<br />

wenn die Krankheit nicht rechtzeitig erkannt wird.<br />

Die Hämophilie trifft überwiegend, aber nicht ausschließlich,<br />

Männer, da die Gene für die Gerinnungsfaktoren auf dem<br />

X-Chromosom liegen, von welchem Männer nur eines und<br />

Frauen zwei haben. Etwa eines von 10.000 männlichen Neugeborenen<br />

leidet an der Erbkrankheit.<br />

„Noch vor 30 Jahren konnten wir die Beschwerden nur lindern.<br />

Heute sind Therapie bzw. Präparate so ausgereift, dass die<br />

Bluterkrankheit in den meisten Fällen beherrschbar geworden<br />

ist und somit ihren Schrecken verloren hat“, sagt Prof.<br />

Dr. Andreas Hochhaus, Direktor der Klinik für Innere Medizin<br />

II, Hämatologie und Internistische Onkologie am <strong>UKJ</strong>. Bei der<br />

Therapie wird den Betroffenen der entsprechende fehlende<br />

Gerinnungsfaktor über eine Infusion ergänzt. Diese Gerinnungsfaktoren<br />

werden meist aus Spenderblut gewonnen,<br />

können inzwischen aber auch gentechnisch hergestellt werden.<br />

„Die Hämophilie bleibt aber eine chronische Erkrankung,<br />

die lebenslänglich Ersatz benötigt. Aber noch vor 30 Jahren<br />

lag die mittlere Überlebenszeit bei nur 25 bis 30. Heute können<br />

auch Hämophilie-Patienten alt werden.“<br />

Immunthrombozytopenie (ITP)<br />

Bei der Immunthrombozytopenie (ITP) handelt es sich ebenfalls<br />

um eine akute Form der Gerinnungsstörung, die plötzlich<br />

auftritt und unmittelbar lebensbedrohlich ist. Hierbei richtet<br />

sich das körpereigene Immunsystem gegen die Blutplättchen<br />

(Thrombozyten) und baut sie ab. Der gemessene Thrombozytenwert<br />

kann gegen Null gehen, wodurch der zelluläre Teil der<br />

Gerinnung außer Kraft gesetzt wird. Durch diesen Thrombozytenmangel<br />

werden folglich Blutungen begünstigt.<br />

Filterorgan innerhalb des Blutkreislaufes, gleichzeitig wichtig<br />

für die Immunabwehr, vor allem bei Kindern. Erwachsene können<br />

auch ohne Milz gut weiterleben. „Insofern haben wir auch<br />

bei dieser lebensbedrohlichen Erkrankung heute gute Methoden<br />

der Heilung oder zumindest der Linderung, weshalb der<br />

Schrecken über diese Erkrankung relativiert werden kann.“<br />

Hintergrundbild: getty images | xia yuan<br />

In Deutschland leben etwa 16.000 Patienten mit einer chronischen<br />

ITP, die auch unter dem Namen Morbus Werlhof<br />

bekannt ist. Von einer ITP spricht man, wenn die Thrombozyten<br />

Zahl wiederholt unter 100.000 pro µl liegt. Zum Vergleich:<br />

Als normal werden 150.000 bis 350.000 Thrombozyten pro µl<br />

Blut angesehen. „Bei der ITP sind eine schnelle Diagnostik und<br />

rasche Therapie unbedingt nötig“, so Prof. Hochhaus. „Rasche<br />

Therapie bedeutet in diesem Fall Immunsuppression, in der<br />

Regel zunächst mit Kortison-Präparaten.“ Bei vielen Patienten<br />

sind jedoch noch weitere Behandlungsschritte erforderlich,<br />

um die Thrombozyten wieder zu mobilisieren, vor allen Dingen<br />

aber zu erhalten, so Prof. Hochhaus. In Einzelfällen könne<br />

dies auch zu einer Entfernung der Milz führen. Die Milz ist ein<br />

12 01 | 21


TITELTHEMA<br />

Anämie (Blutarmut)<br />

Bei der Anämie, umgangssprachlich Blutarmut, gibt es sehr<br />

viele unterschiedliche Formen und Interaktionen mit allen<br />

Organsystemen. So verschieden die Formen aber sind, so<br />

unterschiedlich ist auch das Herangehen. Dabei ist speziell<br />

die Eisenmangelanämie die in Deutschland am häufigsten<br />

auftretende Erkrankung des Blutes. Diese Form der Anämie<br />

lässt sich jedoch sehr gut und sehr rasch diagnostizieren,<br />

sodass hier vielen Patienten relativ schnell geholfen werden<br />

kann.<br />

Eisen wird zur Blutbildung im Knochenmark speziell zur Herstellung<br />

von Hämoglobin zwingend gebraucht. Wenn die Blutkörperchen<br />

nicht genügend Hämoglobin enthalten, können<br />

sie nur wenig Sauerstoff speichern und transportieren, es<br />

kommt zu einem Versorgungsengpass. Ein Eisenmangel entsteht<br />

häufig durch chronischen Blutverlust, z.B. als Symptom<br />

einer Tumorerkrankung, aber auch durch vegetarische oder<br />

vegane Ernährung, denn das Spurenelement ist vor allem in<br />

rotem Fleisch enthalten, allerdings auch in Gemüse, einigen<br />

Früchten oder Saft. „Eine Anämie kann sich auch herausbilden,<br />

wenn dem Körper andere wichtige Nährstoffe zur Blutbildung<br />

fehlen. Vor allem Folsäure und Vitamin B12“, so Prof.<br />

Hochhaus. Neben der Blutbildung kann auch Blutverlust das<br />

Problem sein, etwa bei Frauen durch starke Monatsblutungen<br />

oder bei Erkrankungen wie einem Tumor. „Wenn der Körper<br />

diesen Blutverlust nicht mehr ausgleichen kann, tritt eine<br />

Anämie auf“, so der Hämatologe weiter. „In seltenen Fällen<br />

kann sie aber auch von verschiedenen Krebsarten, etwa von<br />

Leukämie, ausgelöst werden.“ Die Behandlung einer Eisenmangelanämie<br />

ist stets eine kombinierte, sie beginnt aber<br />

meist mit der Therapie der Ursache und mit einer medikamentösen<br />

Eisengabe.<br />

Polycythaemia vera (PV)<br />

Die Polycythaemia vera (kurz „PV“) ist eine relativ seltene,<br />

bösartige Bluterkrankung, die nicht durch Mangel, sondern<br />

durch zu viel Blut charakterisiert sind. Die Zahl der roten<br />

Blutkörperchen (Erythrozyten) ist aufgrund einer Überproduktion<br />

deutlich erhöht. Und zu viel Blut führt dazu, dass die<br />

Blutgeschwindigkeit vermindert ist und dadurch die Organe<br />

mit zu wenig Sauerstoff versorgt werden. „Patienten mit PV<br />

haben oft eine auffallende Gesichtsröte, die nicht selten als<br />

Zeichen von Gesundheit fehlgedeutet wird. Tatsächlich sind<br />

die Symptome gerade zu Beginn sehr unspezifisch, weshalb<br />

sie oft nicht bemerkt oder falsch zugeordnet werden und eine<br />

Diagnose nicht selten erst spät getroffen wird, meist im Alter<br />

von 60 bis 65“, so Prof. Hochhaus.<br />

„Die Ersttherapie besteht darin, künstlich einen moderaten<br />

Eisenmangel herzustellen, um die Blutbildung zu reduzieren.<br />

Das machen wir mit wiederholten Aderlässen, wobei dem<br />

Patienten bis zu 500 ml Blut abgenommen werden.“ Außerdem<br />

erfolgt eine medikamentöse Therapie mit blutverdünnenden<br />

Medikamenten. Zur Therapie gehört aber auch, durch Linderung<br />

belastender Symptome die Lebensqualität parallel zu<br />

verbessern.<br />

Annett Lott<br />

Symptome der PV sind unter anderem Erschöpfung (Fatigue),<br />

Konzentrationsstörungen, Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen<br />

sowie teils eine starke Vergrößerung der Milz, verbunden<br />

mit Oberbauchschmerzen. Auch Entzündungserscheinungen<br />

können auftreten, verbunden mit Fieber, brennendem Juckreiz<br />

oder Nachtschweiß. Die Schwere der Krankheit wirkt sich<br />

dadurch auch auf die Lebensqualität der Betroffenen aus.<br />

01 | 21<br />

13


TITELTHEMA<br />

Das geben, was (fast) keiner kann<br />

Gottfried Schumann spendet Blutplasma für Corona-Erkrankte<br />

Im November 2020 erkrankt Gottfried<br />

Schumann an Corona – so schwer, dass er<br />

im Krankenhaus behandelt werden muss.<br />

„Dort habe ich gesehen, wie belastend<br />

die Behandlung von Corona-Patienten<br />

für Pfleger und Ärzte ist – körperlich<br />

und psychisch“, blickt Schumann zurück.<br />

„Schon da wusste ich, dass ich später<br />

etwas zurückgeben möchte.“ Dass dieses<br />

„etwas“ sein Blutplasma sein wird, hat er<br />

damals noch nicht geahnt.<br />

Nach seiner Erkrankung erfährt der Jurist<br />

von einem Therapieansatz am <strong>UKJ</strong>, bei<br />

dem akut an COVID-19 Erkrankte mit den<br />

Antikörpern im Blutplasma von Genesenen<br />

behandelt werden – und meldet sich<br />

sofort als potenzieller Spender für das<br />

sogenannte Rekonvaleszenten-Plasma.<br />

Mittlerweile blickt er bereits auf sieben<br />

Plasmaspenden zurück. Schumann ist<br />

einer von neun Corona-Genesenen,<br />

die regelmäßig am Jenaer Uniklinikum<br />

Plasma spenden.<br />

„Wir sind bis heute das einzige Klinikum<br />

thüringenweit, dass dieses Plasma<br />

Pathogen inaktiviert herstellt“, sagt Dr.<br />

Silke Rummler, Direktorin des Instituts<br />

für Transfusionsmedizin am <strong>UKJ</strong>. „Mithilfe<br />

einer speziellen UV-Bestrahlung zerstören<br />

wir dabei mögliche Krankheitserreger,<br />

die sogenannten Pathogene, im Blut.“<br />

Das Prinzip des Therapieansatzes: Nach<br />

einer Corona-Erkrankung findet sich häufig<br />

ein Repertoire an Antikörpern im Blut<br />

der Genesenen. Bei einer Plasmaspende<br />

werden diese aus dem Vollblut herausgetrennt,<br />

mit dem speziellen Verfahren<br />

aufbereitet und anschließend an den<br />

Betroffenen übertragen. „Die Antikörper<br />

unterstützen den Empfänger dann im<br />

Kampf gegen das Virus“, so die Transfusionsmedizinerin.<br />

Die bisherigen Erfahrungen<br />

zeigen, dass das Plasma den Verlauf<br />

der Erkrankungen positiv beeinflusst,<br />

wenn es frühzeitig eingesetzt wird. „Die<br />

Nachfrage nach unserem aufbereiteten<br />

Plasma war anfangs zurückhaltend –<br />

sicherlich auch, weil die Therapie ein<br />

ungewöhnlicher Ansatz in der Behandlung<br />

von COVID-19 ist. Doch mittlerweile<br />

kommen Kliniken aus Thüringen auf uns<br />

zu“, so Dr. Rummler.<br />

Nach einer überstandenen Corona-Infektion kann Gottfried Schumann jetzt anderen Erkrankten helfen.<br />

Foto: Hellmann<br />

Aber nicht jeder Corona-Genesene<br />

eignet sich als Plasmaspender. „Denn<br />

nicht bei allen Genesenen können<br />

Antikörper nachgewiesen werden oder<br />

es sind nicht genug Antikörper im Blut<br />

vorhanden. Außerdem verringert sich<br />

deren Anzahl, abhängig davon, wie lang<br />

die Krankheit bereits überstanden ist“,<br />

beschreibt Dr. Rummler die Grenzen<br />

des Ansatzes. Deshalb rufen die Jenaer<br />

Transfusionsmediziner regelmäßig dazu<br />

auf, sich nach einer Corona-Erkrankung<br />

als Plasmaspender anzumelden.<br />

Prinzipiell können sich alle Spender<br />

melden, die positiv auf das Virus SARS<br />

CoV-2, dem Erreger der COVID-19-Erkrankung,<br />

getestet worden und nun<br />

mindestens vier Wochen genesen sind.<br />

Potenzielle Spendeninteressierte wenden<br />

sich für Terminabstimmungen oder<br />

weitere Informationen zum Ablauf an<br />

die Mitarbeiter des Instituts für Transfusionsmedizin<br />

unter 03641 9-32 55 58.<br />

Bei einer ersten Vollblutspende überprüfen<br />

die Experten die generelle<br />

Spendentauglichkeit des Genesenen<br />

und bestimmen die Anzahl und Art<br />

der Antikörper. „Stimmen diese Werte,<br />

kann der Genesene beim nächsten Termin<br />

Plasma spenden“, so Dr. Rummler.<br />

„Einmal pro Woche ist die Spende dann<br />

möglich – so lange, wie ausreichend<br />

Antikörper vorhanden sind.“ Die Menge<br />

der Antikörper wird daher bei jeder<br />

Spende im Labor geprüft. Gottfried<br />

Schumanns Werte sind nach wie vor<br />

sehr gut. Deshalb nimmt er den Weg<br />

von Eisenberg nach Jena gern weiterhin<br />

auf sich. Weil er damit etwas geben<br />

kann, das anderen hilft – und das (fast)<br />

kein anderer geben kann.<br />

Anne Curth<br />

14 01 | 21


Foto: Rodigast<br />

Fakten, die für sich sprechen – und für eine Blutspende<br />

Blut ist lebenswichtig – das ist bekannt. Aber wussten Sie, dass man mit jeder Blutspende tatsächlich Leben retten kann,<br />

es aber viel zu wenige Blutspender gibt? Allein bei einer Bypass-Operation am Herzen erhalten Patienten vier Blutkonserven,<br />

während einer Chemotherapie wöchentlich etwa acht und nach einem Verkehrsunfall sogar bis zu 50 Blutkonserven.<br />

Für all diese Behandlungen benötigen die Experten des <strong>UKJ</strong> etwa 100 Blutprodukte – und zwar täglich. Ohne Blutspender<br />

ist dieser Bedarf nicht zu decken. Deshalb sind regelmäßige Blutspender dringend gesucht.<br />

Doch wer darf spenden? Wie läuft eine Spende ab? Und wie lang ist Blut eigentlich haltbar?<br />

Allgemeines<br />

mindestens 1 Mal im Leben ist jeder<br />

auf gespendetes Blut angewiesen<br />

3 % der Deutschen spenden regelmäßig Blut<br />

Eine Blutspende kann bis zu 3 Patienten helfen<br />

450 ml Blut wird pro Vollblutspende<br />

abgenommen<br />

Spendenhäufigkeit pro Jahr<br />

Vollblut: 6 Mal Männer<br />

Thrombozyten: 26 Mal<br />

, 4 Mal Frauen<br />

Spendendauer in Minuten<br />

5-10: Vollblutspende<br />

45: Plasmaspende<br />

60: Thrombozytenspende<br />

Haltbarkeit<br />

4 Tage: Thrombozytenkonzentrate<br />

(Blutplättchen)<br />

35 Tage: Erythrozytenkonzentrate<br />

(rote Blutkörperchen)<br />

2 Jahre: Plasma<br />

Plasma: 60 Mal<br />

Spender<br />

ab 18 Jahren<br />

mind. 50 kg<br />

01 | 21<br />

15


TITELTHEMA<br />

Transfusionsmedizin – mehr als die Blutspende?<br />

Die Transfusionsmedizin setzen viele mit der Blutspende gleich. Doch wie sieht<br />

das am Universitätsklinikum Jena aus? Darüber klärt Dr. Silke Rummler auf. Sie<br />

leitet das Institut für Transfusionsmedizin am <strong>UKJ</strong>.<br />

Welche Bereiche umfasst die Transfusionsmedizin am <strong>UKJ</strong>?<br />

Dr. Rummler: Das Institut für Transfusionsmedizin (ITM)<br />

ist für die Herstellung von Arzneimitteln aus Blut, die<br />

sachgerechte Übertragung von Blut und Blutbestandteilen,<br />

die labordiagnostische Untersuchung von Blut und für<br />

die Behandlung von Patienten mit Erkrankungen des<br />

Immunsystems zuständig.<br />

Dr. Silke Rummler, Fotos: Schroll<br />

Dafür gliedert sich das Institut in drei Bereiche: In unseren Laboren<br />

betrachten wir das Blut unserer Patienten ganz genau.<br />

Im Transplantationsimmunologischen Labor untersuchen wir<br />

vor allem Patienten vor oder nach Transplantationen. Beispielsweise,<br />

ob die Blutwerte von Spender und Empfänger<br />

zusammenpassen oder, ob sich nach der Transplantation<br />

Antikörper im Blut der Empfänger gebildet haben, die sich<br />

negativ auf das Transplantat und spätere Blutübertragungen<br />

auswirken. Im Immunhämatologischen Labor überprüfen<br />

wir das Blut von Patienten vor Blutübertragungen oder bei<br />

Transfusionsreaktionen. Zu diesem Labor gehört übrigens<br />

auch unser Blutdepot. Hier lagern die Blutprodukte – allein<br />

mindestens 400 Erythrozytenkonzentrate, d.h. Konzentrate mit<br />

roten Blutkörperchen. Im Arbeitsbereich für therapeutische<br />

Apheresen behandeln wir Patienten, die an immunologischen<br />

Erkrankungen leiden, mithilfe sogenannter „Blutwäschen“.<br />

Außerdem helfen wir in unserer transfusionsmedizinischen<br />

Praxis Patienten ambulant bei Fragen zur Übertragung von<br />

Blutprodukten.<br />

Und was ist mit der Blutspende?<br />

Dr. Rummler: Die Blutspende an sich gibt es am <strong>UKJ</strong> natürlich<br />

auch. Seit 2015 haben wir unsere Kompetenzen in diesem<br />

Bereich gemeinsam mit dem DRK-Blutspendedienst NSTOB<br />

im Institut für Klinische Transfusionsmedizin Jena gGmbH<br />

gebündelt. Neben der Blutspende in der Bachstraße umfasst<br />

das Gemeinschaftsunternehmen auch die Herstellung<br />

von Routine-Blutprodukten wie Erythrozyten- und<br />

Thrombozytenkonzentrate. Diese Produkte bezieht das<br />

Klinikum dann vom IKTJ, um seine Patienten zu versorgen.<br />

Führen Transfusionsmediziner alle blutbezogenen<br />

Therapien aus?<br />

Dr. Rummler: Das kommt immer auf die jeweilige Therapie an.<br />

Spezielle Therapien liegen in der Regel bei uns. Beispielsweise<br />

die Immunadsorption. Bei diesem therapeutischen Verfahren<br />

entfernen wir krankheitsauslösende Substanzen wie Antikörper<br />

aus dem Blut von Patienten mit autoimmunologischen,<br />

neurologischen Erkrankungen wie Gehirnentzündung. Auch<br />

bei der Lipoproteinapherese reinigen wir das Blut der<br />

Betroffenen – hierbei entfernen wir jedoch Risikofaktoren<br />

wie das LDL-Cholesterin, beispielsweise bei Patienten mit<br />

schweren Fettstoffwechselstörungen. Außerdem gehören<br />

auch Photopheresen zu unseren Schwerpunkten. Vor allem<br />

Patienten nach Herz- oder Lungentransplantation behandeln<br />

wir mit diesem Verfahren, um chronische Abstoßungen<br />

aufzuhalten. Dabei trennen wir die Leukozyten, die weißen<br />

Blutkörperchen, aus dem Vollblut heraus, versetzen diese mit<br />

Psoralen genannten Naturstoffen, belichten sie und führen<br />

sie dem Patienten wieder zurück.<br />

Allein mehr als 400 Erythrozytenkonzentrate<br />

lagern im Blutdepot.<br />

16<br />

01 | 21


Neben diesen häufigsten Therapiemethoden bieten wir<br />

auch ganz andere Verfahren an, wie Augentropfen aus<br />

Eigenblut oder die Hämodilution. Oft werden Patienten<br />

mit Durchblutungsstörungen am Auge wie einer<br />

Augenvenenthrombose damit behandelt – oder Patienten<br />

nach einem Hörsturz. Diese Erkrankungen entstehen, wenn<br />

das Blut zu dick ist und kleine, zarte Gefäße verstopft. Wir<br />

reduzieren das Blutvolumen und es fließt dadurch wieder<br />

schneller.<br />

Bei welchen Therapien arbeiten Sie eng mit<br />

anderen Fachbereichen zusammen?<br />

Dr. Rummler: Vor allem im Bereich Onkologie gibt es<br />

Überschneidungspunkte. Beispielsweise stellen wir die<br />

Stammzellpräparate her, die die Onkologen zur Therapie<br />

von Patienten mit Krebserkrankungen einsetzen. Aber auch<br />

bei der neuartigen CAR-T-Zell-Therapie für Patienten mit<br />

aggressivem Lymphdrüsenkrebs in der Klinik für Innere<br />

Medizin II unterstützen wir.<br />

Stimmt es, dass Eigenblutspenden immer seltener werden?<br />

Dr. Rummler: Früher war es normal, vor größeren Eingriffen<br />

wie Hüft- oder Kniegelenk-OPs Eigenblut zu spenden. Sollte<br />

eine Bluttransfusion während der OP notwendig sein, konnte<br />

auf das eigene Blut zurückgegriffen werden. Davon ist man<br />

mittlerweile abgekommen. Im vergangenen Jahr haben wir gar<br />

keine Eigenblutkonserve abgenommen. Ein Grund dafür ist,<br />

dass Fremdblutkonserven so sicher geworden sind.<br />

Aber was macht die Blutprodukte so sicher?<br />

Dr. Rummler: Unsere Zulassung regelt, wie unsere<br />

Blutprodukte beschaffen sein müssen, um wirklich sicher zu<br />

sein. Zum einen sind das gewisse Qualitätsanforderungen. So<br />

dürfen die Konserven ein gewisses Volumen nicht über- oder<br />

unterschreiten, es gibt einen Maximalwert für Kalium und einen<br />

Minimalwert für Hämoglobin, dem Sauerstoffträger im Blut.<br />

Zum anderen untersuchen wir das gespendete Blut natürlich<br />

auf viele verschiedene Krankheitserreger wie Hepatitis A, B<br />

und C, HIV, West-Nil oder auch auf Erkrankungen wie Syphilis.<br />

Und nur wenn all diese Anforderungen eingehalten werden,<br />

darf die Spende in unser Blutdepot – und schließlich zum<br />

Patienten.<br />

Testen Sie Blutspenden auch auf das SARS-CoV-2-Virus?<br />

Dr. Rummler: Nein, wir testen weder die Spender noch das<br />

gespendete Blut auf COVID-19. Denn es gibt bisher keinen<br />

Hinweis darauf, dass das Virus über Blutkonserven übertragen<br />

werden kann. Mit einem umfangreichen Fragebogen und<br />

Temperaturmessung prüfen wir bei jedem Spender, ob das<br />

Risiko einer COVID-19-Erkrankung vorliegt und entscheiden<br />

im Einzelfall, ob eine Spende möglich ist. Übrigens bewerten<br />

auch unsere Mitarbeiter nach diesem Schema regelmäßig ihr<br />

Erkrankungsrisiko.<br />

Nach der Spende wird das Blut im Labor umfangreich getestet.<br />

Wie hat die Corona-Pandemie die Transfusionsmedizin<br />

beeinflusst?<br />

Dr. Rummler: Wir waren zu Beginn verunsichert – sowohl in<br />

der Therapie als auch in der Blutspende. Können wir unsere<br />

Therapien noch durchführen? Wie stellen wir sicher, dass<br />

unsere chronischen Patienten Corona-frei sind? Und wie<br />

kann eine Blutspende unter Corona-Bedingungen ablaufen?<br />

Das war eine echte Herausforderung. Mit umfangreichen<br />

Hygienekonzepten, erweiterten Räumlichkeiten in der<br />

Therapie und einem Bestellsystem in der Blutspende haben<br />

wir uns aber zum Glück sehr schnell an die neue Situation<br />

angepasst.<br />

Stichwort: Patient Blood Management. Was genau verbirgt<br />

sich hinter dem Konzept, das 2017 am Jenaer Uniklinikum<br />

eingeführt wurde?<br />

Dr. Rummler: Das Patient Blood Management, kurz PBM,<br />

ist ein fächerübergreifendes Behandlungskonzept, um den<br />

Verbrauch von Fremdblut zu verringern. Bei diesem Konzept<br />

geht man prinzipiell davon aus, dass vor allem zu viele<br />

Erythrozytenkonzentrate übertragen werden. Und das kann<br />

– ohne richtige Indikation – dem Patienten auch schaden,<br />

von Fieber über Sepsis bis hin zum Tod. Deshalb setzt man<br />

an drei Säulen an: Bei geplanten Eingriffen betrachtet man<br />

die Blutwerte der Patienten vor der eigentlichen Operation.<br />

Liegt bei ihnen eine Blutarmut vor, kann diese bereits vor<br />

dem Eingriff entsprechend behandelt werden. Außerdem<br />

haben die Beteiligten des PBM auch die sogenannten<br />

Transfusionstrigger überarbeitet. Sie zeigen an, in welchen<br />

Fällen Fremdblut überhaupt notwendig und sinnvoll ist. Die<br />

letzte Säule besteht aus verschiedenen fremdblutsparenden<br />

Maßnahmen vor, während und nach den Eingriffen. Mit<br />

modernen blutsparenden Operationstechniken oder<br />

optimierten Blutentnahmen zu labordiagnostischen Zwecken<br />

lassen sich zusätzliche Blutverluste vermeiden. Und das alles<br />

war erfolgreich: Seit Einführung des PBM verbrauchen wir nun<br />

etwa 1.000 Erythrozytenkonzentrate weniger pro Jahr.<br />

Interview: Anne Curth<br />

KONTAKT<br />

Dr. Silke Rummler<br />

Direktorin des Instituts für<br />

Transfusionsmedizin am <strong>UKJ</strong><br />

03641 9-32 55 25<br />

sekretariat.itm@med.uni-jena.de<br />

01 | 21<br />

17


Blutvergiftung? Sepsis!<br />

CSCC koordiniert die Forschung im Schwerpunkt Sepsis<br />

und Infektionsmedizin am <strong>UKJ</strong><br />

Foto: freepik | onlyyouqj<br />

„Mitglieder des<br />

CSCC beraten<br />

Landes- und<br />

Bundesregierung,<br />

arbeiten in<br />

Gremien der WHO<br />

und forschen<br />

an besseren<br />

Behandlungsoptionen<br />

für<br />

COVID-19-<br />

Patienten“<br />

Prof. Michael Bauer,<br />

Sprecher des CSCC<br />

Vor zehn Jahren wurde am <strong>UKJ</strong> das<br />

Zentrum für Sepsis und Sepsisfolgen,<br />

kurz CSCC, als eines von bundesweit<br />

acht Integrierten Forschungs- und<br />

Behandlungszentren gegründet. Mit<br />

Förderung des Bundesforschungsministeriums,<br />

immerhin 50 Millionen<br />

Euro, widmete es sich der Erforschung<br />

der Sepsis – von den molekularen<br />

Mechanismen, über Prävention<br />

und schnellere Diagnostik, bis hin<br />

zu besseren Behandlungs- und<br />

Nachsorgemöglichkeiten dieser<br />

Erkrankung. Insgesamt arbeiteten die<br />

CSCC-Forscher in über 160 Projekten,<br />

davon 37 klinische Studien mit mehr als<br />

20.000 Teilnehmern, ihre Ergebnisse<br />

veröffentlichten sie in über 800<br />

Fachpublikationen. Nach dem Ende<br />

der Förderung besteht das CSCC als<br />

Forschungszentrum am <strong>UKJ</strong> fort und<br />

koordiniert die Arbeit im Schwerpunkt<br />

Sepsis und Infektionsmedizin.<br />

Was ist das eigentlich für eine<br />

Erkrankung, eine Sepsis? Der Begriff<br />

„Blutvergiftung“ trifft nicht das<br />

eigentliche Problem – denn das<br />

sind nicht die Krankheitserreger im<br />

Blut, sondern eine fehlregulierte<br />

Immunantwort auf die Infektion.<br />

Diese überschießende Reaktion führt<br />

zu Kollateralschäden an Gefäßen<br />

und Geweben, die die Funktion von<br />

Organen beeinträchtigen können bis<br />

hin zum Organversagen. Eine Sepsis ist<br />

lebensbedrohlich! An der aktualisierten<br />

wissenschaftlichen Definition der<br />

Sepsis waren die Jenaer CSCC-Forscher<br />

maßgeblich beteiligt.<br />

Infektionen sind weiterhin für die<br />

gesamte Gesellschaft gefährlich, trotz<br />

der Fortschritte der Forschung und<br />

Behandlungsmöglichkeiten. "Nichts<br />

unterstreicht die Bedeutung der<br />

Notwendigkeit einer am Patienten<br />

orientierten Forschung zur Sepsis mehr<br />

als die Jahrhundert-Pandemie durch<br />

COVID-19", betont Prof. Konrad Reinhard,<br />

der Initiator des Jenaer Sepsis-Clusters.<br />

Denn auch Virusinfektionen können<br />

eine Sepsis auslösen und viele COVID-<br />

19-Patienten auf den Intensivstationen<br />

leiden an einer COVID-19-assoziierten<br />

Sepsis mit Organversagen. „Die über 400<br />

Wissenschaftler der verschiedensten<br />

Disziplinen, die im CSCC gefördert<br />

wurden, arbeiten jetzt in regionalen,<br />

nationalen und internationalen<br />

Studien und Forschungsnetzwerken<br />

an der Bekämpfung der SARS-CoV-2-<br />

Pandemie“, beschreibt der Sprecher<br />

des CSCC, Prof. Dr. Michael Bauer, die<br />

Einbindung der Jenaer Sepsis- und<br />

Infektionswissenschaftler in die<br />

weltweite Corona-Forschung.<br />

Mehr Informationen:<br />

www.uniklinikum-jena.de/cscc<br />

Uta von der Gönna<br />

18<br />

01 | 21


TITELTHEMA<br />

Fakten<br />

» 280.000 Sepsis-Fälle und über 80.000 Todesfälle<br />

pro Jahr in Deutschland.<br />

» Knapp 50 Millionen Sepsis-Fälle und etwa 11 Millionen<br />

Todesfälle pro Jahr weltweit.<br />

Ursachen<br />

Eine Sepsis kann als Komplikation jeder akuten Infektion,<br />

wie Lungenentzündung oder Harnwegsinfektionen, aber<br />

auch nach Wundinfektionen auftreten. Eine Sepsis kann<br />

durch Bakterien, Viren oder Pilze ausgelöst werden.<br />

Symptome der Sepsis<br />

Sepsis kann zu Schock, multiplem Organversagen und<br />

letztlich zum Tod führen, insbesondere, wenn sie nicht früh<br />

erkannt und schnell behandelt wird. Durch häufig unspezifische<br />

Symptome wird eine Sepsis jedoch oft erst spät<br />

erkannt.<br />

Verwirrung,<br />

Orientierungslosigkeit<br />

Atemnot,<br />

Schnelle<br />

Atmung<br />

Niedriger<br />

Blutdruck,<br />

Hohe Herzfrequenz<br />

Extreme<br />

Krankhei<br />

gefühl<br />

Verwirrung,<br />

Orientierungslosigkeit<br />

Confusion,<br />

Disorientation<br />

Atemwege<br />

Atemwege<br />

Respiratory Atemwege<br />

tract<br />

Atemwege Atemwege<br />

Respiratory Respiratory Atemwege Respiratory tract tract<br />

tract<br />

Respiratory tract Respiratory Haut und/oder tract<br />

Weichteilgewebe<br />

Haut und/oder Skin Haut Weichteilgewebe<br />

and/or und/oder soft Weichteilgewebe<br />

tissue<br />

Haut and/or soft tissue<br />

Skin und/oder and/or Haut Skin Weichteilgewebe<br />

soft and/or tissue und/oder soft Weichteilgewebe<br />

tissue<br />

Skin and/or soft Skin Abdomen/ tissue and/or Gastrointestinaltrakt<br />

soft tissue<br />

Abdomen/ Gastrointestinaltrakt<br />

Abdomen/ gastrointestinal Gastrointestinaltrakt<br />

tract<br />

tract<br />

Abdomen/ Abdomen/ Gastrointestinaltrakt<br />

gastrointestinal Abdomen/ Gastrointestinaltrakt<br />

gastrointestinal tract tract<br />

Abdomen/ Atemnot, gastrointestinal Niedriger<br />

Genitourinary Abdomen/ Urogenitalsystem<br />

gastrointestinal tract tract<br />

Urogenitalsystem<br />

Schnelle<br />

Genitourinary Urogenitalsystem<br />

system Blutdruck,<br />

Urogenitalsystem<br />

Genitourinary Atmung Urogenitalsystem<br />

Genitourinary system<br />

Genitourinary system Genitourinary system<br />

Shortness of breath<br />

Rapid breathing<br />

Hohe Herzfrequenz<br />

Low blood pressure<br />

High heart rate<br />

Confusion,<br />

Disorientation<br />

Extremes<br />

Krankheitsgefühl<br />

Extreme<br />

discomfort<br />

Shortness of breath<br />

Rapid breathing<br />

Fieber, Schüttelfrost<br />

(gel. auch Hypothermie)<br />

Fever, shivering<br />

(sometimes hypothermia)<br />

Low blood pressure<br />

High heart rate<br />

Schwitzen,<br />

feuchte Haut<br />

Sweating,<br />

clammy skin<br />

Extrem<br />

discomfo<br />

Visualisierungen: Margit Leitner/CSCC<br />

COVID-19-Sepsis und<br />

Herz-Kreislauf-Komplikationen<br />

Intensivmedizinische Studie am <strong>UKJ</strong><br />

Prof. Dr. Dr. Sina Coldewey erforscht mit ihrer Arbeitsgruppe<br />

am ZIK Septomics, wie eine Sepsis das Herz-<br />

Kreislaufsystem schädigen kann. Vor kurzem konnte ihr<br />

Team die ersten Intensivpatienten mit COVID-19 in ein<br />

multizentrisches Studienprojekt aufnehmen, das sich<br />

auf die virale Sepsis konzentriert. Im Fokus stehen die<br />

kardiovaskulären Schädigungen, die in Verbindung mit<br />

einer COVID-19- bzw. einer Influenza-assoziierten Sepsis<br />

auftreten können. Das können z.B. Herzmuskelentzündungen,<br />

Herzrhythmusstörungen Gefäßschädigungen<br />

sein.<br />

In die prospektive kontrollierte Studie sollen kritisch<br />

kranke Patienten mit COVID-19 oder Grippe, mit und ohne<br />

Herzmuskelschädigung aufgenommen werden.<br />

Die Teilnehmer werden anhand eines weit gefassten<br />

Spektrums von klinischen Untersuchungen und molekular-<br />

und zellbiologischen Analysen intensiv charakterisiert.<br />

Um zusätzlich auch mögliche längerfristige<br />

Folgeschädigungen erkennen zu können, werden sie<br />

sechs Monate nach der Entlassung von der Intensivstation<br />

nachverfolgt.<br />

„Wenn wir die Mechanismen besser verstehen, mit denen<br />

sich COVID-19-Verläufe mit schwerem Organversagen und<br />

kardiovaskulären Komplikationen entwickeln, gibt uns<br />

das die Möglichkeit, Risikopatienten schnell zu identifizieren<br />

und passgenaue Therapien zu entwickeln“, so Sina<br />

Coldewey. Bereits erhobene Daten zur bakteriellen Sepsis<br />

nutzt das Team, um die Besonderheiten der viralen Sepsis<br />

und insbesondere der COVID-19-assoziierten Sepsis<br />

besser zu verstehen. Insgesamt 160 Patienten sollen in<br />

den kommenden zwölf Monaten in die Studie aufgenommen<br />

werden, an bis zu zehn Kliniken in Deutschland.<br />

01 | 21 19


TITELTHEMA<br />

Turbo-Forschung mit Kollegen aus aller Welt<br />

Prof. Frank Brunkhorst hat die Professur für Klinische Sepsisforschung am <strong>UKJ</strong><br />

inne und leitet hier das Zentrum für Klinische Studien. Seit Beginn der COVID-19-<br />

Pandemie hat sich für ihn vieles verändert.<br />

Wie steht es derzeit um die klinische Sepsis-Forschung?<br />

Prof. Brunkhorst: Viele Studien, die wir hätten beenden wollen,<br />

mussten auf Eis gelegt werden – und das gilt für nahezu<br />

die gesamte Forschung auch auf anderen Gebieten der Medizin.<br />

Die Rekrutierung von Patienten für klinische Studien<br />

ist mit der Pandemie zusammengebrochen. Und viele Ärzte<br />

haben jetzt einfach anderes zu tun.<br />

Aber geforscht wird zurzeit dennoch?<br />

Prof. Brunkhorst: Das ganze Interesse der Forschung richtet<br />

sich jetzt natürlich auf COVID-19 – die Erkrankung zeigt im<br />

schweren Verlauf übrigens auch klassische Aspekte einer<br />

Sepsis. Für uns Wissenschaftler ist es eine Herausforderung,<br />

die es so noch nie in der Geschichte der Medizin gegeben hat:<br />

Es gilt, innerhalb von wenigen Monaten zu Fortschritten in der<br />

Therapie zu kommen. Ich spreche also nicht von Maßnahmen<br />

zur Prävention oder über die Impfung, sondern um die konkrete<br />

Therapie von schwer Erkrankten.<br />

Was bedeutet dies für Sie persönlich?<br />

Prof. Brunkhorst: Seit Februar letzten Jahres arbeite ich<br />

ausschließlich an Maßnahmen, die das Therapieergebnis von<br />

schwer erkrankten COVID-19-Patienten verbessern. Man muss<br />

sich die Situation so vorstellen: Aus Hilflosigkeit setzen die<br />

Ärzte in Krankenhäusern Medikamente ein, obwohl deren<br />

Nutzen in diesem Zusammenhang nicht wissenschaftlich<br />

belegt ist. 50 Prozent aller COVID-19-Patienten entwickeln<br />

beispielsweise eine Thrombose. Millionenfach wurde daher<br />

in den letzten Monaten Heparin gegeben – ein Wirkstoff, der<br />

verhindert, dass das Blut im Körper gerinnt. Wir haben dann<br />

in großem Maßstab eine weltweite Studie gemacht und festgestellt,<br />

dass es sich um eine COVID-spezifische Thrombose<br />

handelt und dass die Heparintherapie bei schwer Erkrankten<br />

nichts nützt und sogar eher schadet.<br />

20 01 | 21


TITELTHEMA<br />

Unter Hochdruck arbeiten Forscher an der<br />

Frage, welche Therapien schwer erkrankten<br />

COVID-Patienten helfen. Foto: <strong>UKJ</strong><br />

Gibt es weitere Erkenntnisse dieser Art?<br />

Prof. Brunkhorst: Die REMAP-CAP-Studiengruppe ist ein von<br />

Intensivmedizinern und Infektiologen aufgebauter Zusammenschluss,<br />

an dem derzeit Intensivstationen in 14 Ländern<br />

in Europa, Kanada, USA, Australien, Neuseeland, Japan und<br />

Saudi-Arabien mitwirken. Die beteiligten Intensivstationen<br />

in Deutschland koordinieren wir vom Zentrum für klinische<br />

Studien am <strong>UKJ</strong>. Wir konnten unter anderem zeigen, dass<br />

intravenös verabreichtes Hydrokortison dem Organversagen<br />

bei COVID-19-Patienten mit schwerer Lungenentzündung<br />

entgegenwirkt und die Überlebenschancen erhöht. In einer<br />

anderen Studie wurden die Wirkstoffe Tocilizumab und Sarilumab<br />

untersucht, die seit Jahren bei rheumatischer Arthritis<br />

eingesetzt werden. Die Vermutung, dass diese die organschädigende<br />

Entzündungsantwort bei schwer Erkrankten<br />

COVID-19-Patienten abmildern, hat sich bestätigt. Das sind<br />

Meilensteine. Und so untersuchen wir in dieser einzigartigen<br />

weltweiten Kooperation gerade parallel die Wirksamkeit von<br />

15 verschiedenen Interventionen.<br />

Was ist für Sie besonders bemerkenswert?<br />

Prof. Brunkhorst: Unser Verständnis von COVID hat sich massiv<br />

verbessert. Heute wissen wir, dass eines der wesentlichen<br />

Merkmale der Erkrankung ist, dass es im Körper zu einer<br />

ausgeprägten Ausbildung von Blutgerinnseln kommt – auch<br />

in anderen Organen als der Lunge, also in den Darmgefäßen<br />

oder der Leber. So einen Fortschritt im Verständnis der<br />

Erkrankung und auch in der Behandlung hat es beispielsweise<br />

bei der Sepsis in 30 Jahren nicht gegeben. Was wir früher in<br />

einem Jahr gemacht haben, passiert heute in sechs Wochen.<br />

So etwas habe ich noch nie erlebt. Die neuen Erkenntnisse<br />

werden auch bei unserem Sepsis-Kongress im September in<br />

Weimar eine maßgebliche Rolle spielen.<br />

Warum sind diese schnellen Erkenntnisse möglich?<br />

Prof. Brunkhorst: Wir arbeiten in einem globalen Konsortium<br />

– nur so kann es gehen. In der Pandemie muss man die besten<br />

Köpfe suchen – und die sind nun einmal nicht alle in einem<br />

Land versammelt. Wir stehen mit Arbeitsgruppen in aller Welt<br />

in Verbindung, um zu neuen Erkenntnissen zu kommen. Das<br />

können wir nicht kleinteilig an einer einzigen Uniklinik angehen,<br />

denn wir benötigen die Ergebnisse jetzt. Drei Mal in der<br />

Woche sitze ich in Zoom-Konferenzen mit den Kollegen aus<br />

aller Welt zusammen, da wird sehr fokussiert und konzentriert<br />

diskutiert. Das funktioniert hervorragend. Und wenn wir durch<br />

die Studien die Zeit verkürzen können, die Patienten auf den<br />

Intensivstationen verbringen müssen, dann schaffen wir dort<br />

auch wieder Kapazitäten für anderen Patienten.<br />

Warum passiert dies erst jetzt?<br />

Prof. Brunkhorst: Es war ein riesiger Fehler, dass wir in der<br />

gesamten Infektionsforschung den Faktor der respiratorischen<br />

Viren unterschätzt haben – und das weltweit. Es gibt<br />

einen mittlerweile viel zitierten Artikel aus dem Jahr 2018, in<br />

dem Bill Gates beschreibt, dass wir Milliarden dafür ausgeben,<br />

um Kriegsführung zu vermeiden, aber kaum Geld für Vorhersageparameter<br />

für respiratorische Pandemien. Diese Warnung<br />

war sehr weitsichtig. Christian Drosten war in Deutschland<br />

einer der wenigen, die nach den ersten SARS-Erfahrungen<br />

weiter auf diesem Gebiet geforscht haben. Wenn auf einem<br />

Gebiet bereits Expertise vorhanden ist, ist es leichter, diese<br />

auszubauen, als etwas neu aufzubauen. Das kann niemand<br />

allein schaffen, sondern funktioniert nur im Netzwerk mit<br />

internationalen Partnern. Man kann in der Forschung nicht<br />

darauf setzen, dass ein Land die Probleme allein löst. Und<br />

das gilt nicht nur für COVID-19. Wir haben durch die Pandemie<br />

gelernt, wie leicht es heutzutage ist, mit allen möglichen<br />

Kollegen regelmäßig Kontakt zu haben – das sollten wir in<br />

Zukunft auch für andere Forschungsgebiete nutzen.<br />

Interview: Anke Schleenvoigt<br />

Foto: www.lindgruen-gmbh.com<br />

„Erfolgreiche<br />

Forschung braucht<br />

ein internationales<br />

Netzwerk.“<br />

Prof. Frank Brunkhorst


AKTUELLES<br />

Auch Kinder leiden an Long-COVID<br />

Kinderklinik des <strong>UKJ</strong> richtet interdisziplinäre Long-COVID-Ambulanz für Kinder ein<br />

Corona-Infektionen nehmen mittlerweile<br />

bei Kindern und Jugendlichen<br />

stark zu – damit steigt auch die Anzahl<br />

an Kindern, die nach überstandener<br />

Infektion an Langzeitfolgen, dem so<br />

genanntem Long-COVID-Syndrom, leiden.<br />

Abgeschlagenheit, Erschöpfung,<br />

Konzentrationsstörungen, Muskel- und<br />

Gliederschmerzen, Schlafstörungen,<br />

Luftnot oder Herzklopfen gehören<br />

hier zu den häufigsten Beschwerden.<br />

Für erwachsene Patienten gibt es am<br />

Uniklinikum Jena schon eine Spezial-<br />

Ambulanz. Nun hat die Jenaer Kinderklinik<br />

für Kinder und Jugendliche eine<br />

Long-COVID-Ambulanz eingerichtet.<br />

Sie ist, den vielfältigen Beschwerden<br />

der jungen Patienten entsprechend,<br />

interdisziplinär angelegt: Spezialisten<br />

für Kinderherz-, Lungen-, Nieren-,<br />

Blut-, Magen-Darm-Erkrankungen,<br />

Kinderröntgen, Kinderschlaf- und Kinderintensivmedizin<br />

beteiligen sich und<br />

bieten für die Betroffenen umfassende<br />

Diagnose- und Therapiemöglichkeiten.<br />

„Wir wissen, dass nicht nur Erwachsene,<br />

sondern auch Kinder leider in erheblichem<br />

Maß von Langzeitfolgen nach<br />

einer COVID-19-Infektion betroffen sein<br />

können. Und das nicht nur nach schweren<br />

Verläufen, sondern auch nach milden<br />

oder sogar symptomlosen Erkrankungen,<br />

wie es gerade bei Kindern oft der Fall ist“,<br />

so Dr. Daniel Vilser, Leitender Oberarzt<br />

und Kardiologe in der Kinderklinik. „Deswegen<br />

werden die Langzeitfolgen bei<br />

Kindern viel schwieriger als solche wahrgenommen<br />

und oft eben nicht diagnostiziert.“<br />

Aktuelle Studien aus Italien zeigten,<br />

dass mehr als die Hälfte der Kinder vier<br />

Monate nach ihrer COVID-19-Erkrankung<br />

noch mindestens an einer der häufigsten<br />

Langzeitbeschwerden leiden und<br />

diese bei einem Großteil der Betroffenen<br />

den Alltag beeinträchtigten. „Gerade<br />

diesen Patienten möchten wir mit der<br />

Spezial-Ambulanz für Long-COVID eine<br />

Anlaufstelle bieten“, so Michael Lorenz,<br />

Oberarzt und Pneumologe/Allergologe<br />

an der Kinderklinik.<br />

Sprechstunde nach<br />

vorheriger Anmeldung:<br />

Montag bis Donnerstag: 8 bis 15.00 Uhr<br />

Freitag:<br />

8 bis 13.30 Uhr<br />

Für die Anmeldung müssen die Eltern<br />

einen Anmeldebogen ausfüllen, der auf<br />

der Homepage der Kinderklinik heruntergeladen<br />

werden kann:<br />

www.uniklinikum-jena.de/kinderklinik/<br />

Katrin Bogner<br />

KONTAKT<br />

03641 9-32 95 35<br />

pulmo.ambulanz@med.uni-jena.de<br />

Federführend kümmert sich unter anderem<br />

Dr. Daniel Vilser um die interdisziplinäre<br />

Long-COVID-Ambulanz für<br />

Kinder und Jugendliche. Foto: Rodigast


Professor Ulf Teichgräber und<br />

Professor Wilhelm Behringer (li).<br />

Foto: Rodigast<br />

Optimale Aufnahmen auch im Notfall<br />

Upgrade für Bildgebung in der Zentralen Notfallaufnahme<br />

Gestochen scharf zeigt das Bild die Arterien, die das Herz<br />

umgeben. Die Aufnahme stammt von einem Notfallpatienten<br />

am Universitätsklinikum Jena. Dies ist möglich, weil das<br />

Computer-Tomographie-Gerät – kurz: CT – der Zentralen Notfallaufnahme<br />

(ZNA) mit einer der derzeit leistungsfähigsten<br />

Röhren aufgerüstet worden ist. Als erste Uniklinik deutschlandweit<br />

verfügt das <strong>UKJ</strong> jetzt über diese Technologie. CT-<br />

Geräte machen mit Hilfe von Röntgenstrahlung detaillierte<br />

Querschnittsaufnahmen von Organen und Strukturen im<br />

Körper möglich.<br />

„Die neue Röntgenröhrentechnologie in Verbindung mit<br />

Künstlicher Intelligenz (KI) ist ein Meilenstein in der Bildgebung<br />

– insbesondere in der Angiographie der Herzkranzgefäße“,<br />

so Professor Dr. Ulf Teichgräber, Direktor des Instituts<br />

für Diagnostische und Interventionelle Radiologie (IDIR) am<br />

<strong>UKJ</strong>. Die neue Röhre ist leistungsfähiger, obwohl die Strahlenexposition<br />

für die Patienten geringer ausfällt. Der 16 Zentimeter<br />

breite Detektor erlaubt es, ein gesamtes Organ wie<br />

beispielsweise das Herz, in weniger als einer halben Sekunde<br />

vollständig zu erfassen. Das Bild muss nicht mehr aus mehreren<br />

Aufnahmen zusammengesetzt werden. Da die neue<br />

Technik gleichzeitig mit zwei verschiedenen Röntgenenergien<br />

arbeitet, können auch Gewebe genauer als bisher analysiert<br />

werden. Und noch etwas verbessert die Qualität der Aufnahmen:<br />

Zur Bildrekonstruktion kommt KI zum Einsatz, so dass<br />

vollkommen „rauschfreie“ Bilder entstehen.<br />

Nicht nur die geringere Strahlenexposition macht die<br />

Untersuchung schonender für die Patienten. „Wir passen<br />

die Menge an Kontrastmitteln, die die Patienten vor der<br />

Untersuchung gespritzt bekommen, individuell an – sie verringert<br />

sich teilweise um die Hälfte im Vergleich zu früheren<br />

Untersuchungen“, so Professor Wilhelm Behringer, Direktor<br />

der ZNA am <strong>UKJ</strong>.<br />

Seit 2016 befindet sich ein modernes CT-Gerät direkt in<br />

den Räumen der ZNA. „Unsere Technik war vorher bereits<br />

sehr gut, aber mit der Aufrüstung können wir jetzt sagen,<br />

dass die Untersuchungsbilder perfekt sind“, so Prof. Teichgräber.<br />

Die Methode kommt für alle Organe in Frage. „Wichtig<br />

in einer Notfallsituation ist auch, dass wir mit einer<br />

Untersuchung gleich mehrere Erkrankungen erkennen<br />

können“, so Prof. Behringer. Am häufigsten kommt das CT-<br />

Gerät in der ZNA für Untersuchungen des Schädels und der<br />

Lunge zum Einsatz. Untersuchungen der Hauptschlagader,<br />

der Lungen- und der Herzkranzgefäße gehörten ebenfalls<br />

zur täglichen Routine, so Prof. Behringer – um gefährliche<br />

Aussackungen oder Verschlüsse der Blutgefäße schnell zu<br />

erkennen und im Zweifel Leben zu retten. Von der durch<br />

Fördermittel der EU möglich gewordenen Aufrüstung des<br />

CT-Geräts profitiere somit jeder Thüringer, der einmal als<br />

Notfall am <strong>UKJ</strong> untersucht werden muss.<br />

Anke Schleenvoigt<br />

01 | 21 23


Weiterbildungsleiterin Nadine Petsch (re.)<br />

mit Teilnehmerin Alexandra Reinhold in der<br />

Zentralen Notaufnahme. Foto: Rodigast<br />

Auf Notfälle bestens vorbereitet<br />

Erstmals in Thüringen ist am <strong>UKJ</strong> die Weiterbildung „Notfallpflege“ gestartet<br />

Alexandra Reinhold ist Feuer und Flamme für ihren Job<br />

in der Notfallpflege. Seit Mai 2019 gehört sie zum Team<br />

des Notfallzentrums am <strong>UKJ</strong>. Sie kommt aber nicht klassisch<br />

von der Notfallpflege, sondern war vorher in der<br />

Geburtsmedizin im Einsatz. Auch wenn sie schon wertvolle<br />

Erfahrungen gesammelt hat, möchte sie ihr bisheriges<br />

Wissen erweitern. Deshalb hat die 24-Jährige im März die<br />

Notfallpflege-Weiterbildung begonnen, die erstmals am<br />

<strong>UKJ</strong> und thüringenweit nur im <strong>UKJ</strong> angeboten wird. „Wir sind<br />

stolz darauf, dass wir die Weiterbildung etablieren können,<br />

bauen damit unser schon breites Spektrum an DKGzertifizierten<br />

Fachweiterbildungen aus und schaffen hier<br />

ein Angebot höchster Qualität in Thüringen, das Fachkräfte<br />

bestmöglich für die Notfallpflege qualifiziert“, so Evelyn<br />

Voigt, Pflegedirektorin am <strong>UKJ</strong>.<br />

Insgesamt 720 Stunden Theorie und 1800 Stunden Praxis<br />

stehen auf dem Programm. „Nicht nur Einsätze im Notfallzentrum,<br />

sondern Praxiszeiten unter anderem auf den<br />

Intensivstationen, im Rettungsdienst, im Herzkatheterlabor<br />

und auf der Stroke Unit sorgen für eine abwechslungsreiche<br />

Zeit“, so Weiterbildungsleiterin Nadine Petsch. Ein großes<br />

Plus sei die enge Zusammenarbeit mit den Ärzten. „Unsere<br />

Teilnehmer haben hier die Chance, fachlich intensiv zu<br />

lernen und gleichzeitig über den Tellerrand zu schauen.<br />

Davon profitieren sie enorm. Denn Notfallpatienten zu versorgen<br />

heißt, hochkomplexe Pflegesituationen zu bewältigen.<br />

Es gibt immer wieder unvorhersehbare Wechsel der<br />

Arbeitsabläufe und des Arbeitspensums. Wir behandeln<br />

alle Altersgruppen und die unterschiedlichsten Schweregrade<br />

an Patienten“, erklärt Nadine Petsch. Gemeinsam mit<br />

Marlene Stellenberger, Leitung für die Theorie, und einer<br />

Kollegin im Notfallzentrum hat sie das Curriculum erstellt.<br />

Im Regelfall absolvieren die Teilnehmer die Weiterbildung<br />

in zwei Jahren, haben aber die Möglichkeit, diese in maximal<br />

fünf Jahren abzuschließen. Für den Unterricht werden<br />

sie freigestellt. Zulassungsvoraussetzungen sind eine<br />

abgeschlossene Berufsausbildung in der Gesundheits- und<br />

Krankenpflege oder der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege<br />

und sechs Monate Erfahrung in der innerklinischen<br />

Notfallmedizin.<br />

Alexandra Reinhold bringt diese Voraussetzungen natürlich<br />

mit. Wie Nadine Petsch hat sie als Auszubildende am<br />

<strong>UKJ</strong> angefangen, arbeitete nach ihrem Abschluss auf der<br />

Wöchnerinnenstation der Klinik für Geburtsmedizin, bis<br />

eine Hospitation sie schließlich in die Notfallpflege führte.<br />

Von der Weiterbildung verspreche sie sich, noch mehr fachliches<br />

Wissen, um die Notfallmedizin besser zu verstehen.<br />

„In der Notfallpflege muss man einfach Allrounder sein,<br />

da wir hier die gesamte Bandbreite der Medizin sehen, und<br />

jede Notfallsituation so individuell ist.“<br />

Nicht nur Mitarbeiter des <strong>UKJ</strong> sind unter den Teilnehmern.<br />

Die weiteste Anfahrt liegt bei rund 130 Kilometern. Was<br />

Teilnehmer laut Petsch anzieht, sich am <strong>UKJ</strong> auf die Notfallpflege<br />

zu spezialisieren: „Wir zählen rund 30.000 Patienten<br />

jährlich, haben ein großes Einzugsgebiet und versorgen auch<br />

viele seltene Krankheitsbilder. Also werden unsere Teilnehmer<br />

sehr viel lernen können."<br />

Michelle Korneli<br />

24 01 | 21


AKTUELLES<br />

Zurück in die Kinderkrankenpflege<br />

Er hatte als erster Mann die Kinderkrankenpflege-Ausbildung am <strong>UKJ</strong> abgeschlossen.<br />

Das war 1994. Danach zog es Raik Rosmus in die OP-Pflege, dann zum<br />

Medizincontrolling, seit 2014 arbeitet er im Personalrat und seit zweieinhalb<br />

Jahren im Gleichstellungsbüro. Nun ist er wieder in Teilzeit in die Kinderkrankenpflege<br />

zurückgekehrt.<br />

Wie kam es dazu?<br />

Rosmus: Im Frühjahr 2020 meldete ich mich als Coronahelfer<br />

und kam wieder in aktiver Rolle zur Pflege. Erst war ich<br />

mir unsicher, in welchem Bereich ich helfen kann. In<br />

der OP-Pflege, die ich von früher gut kenne, oder doch<br />

etwas Neues, aber trotzdem Bekanntes, also wieder<br />

zurück zur Kinderkrankenpflege? Letztlich hat mich die<br />

Pflegedienstleitung Kerstin Pechmann dazu ermutigt, etwas<br />

zu wagen und so wurde ich im März und April 2020 auf der<br />

E220, der Kinderintensivstation, eingearbeitet und eingesetzt.<br />

Und da habe ich mich wieder daran erinnert, warum ich vor so<br />

vielen Jahren diesen Beruf gelernt habe: Dieses einzigartige<br />

Gefühl, wenn man anderen hilft und von unseren kleinen<br />

Patienten und deren Eltern so viel zurückbekommt. Und<br />

seit September bin ich nun offiziell in Teilzeit auf unserer<br />

Kinderintensivstation tätig. Es war und ist für mich einfach<br />

eine Herzensentscheidung.<br />

War die Rückkehr in die Kinderkrankenpflege schwierig?<br />

Rosmus: Ich habe mich zunächst schon gefragt, gelingt mir<br />

das? Und natürlich gab es auch skeptische Stimmen, weil<br />

ich keine ITS-Erfahrung mitbrachte. Doch für mich hat es<br />

sich nicht wie ein Sprung ins kalte Wasser angefühlt. Denn<br />

ich wurde so gut vom Team aufgenommen und sie haben<br />

mich super bei der Einarbeitung unterstützt. Mich begeistert<br />

wirklich das Fachwissen und der Enthusiasmus meiner<br />

Kolleginnen und Kollegen, egal ob sehr jung oder schon<br />

langjährig erfahren, man kann so viel von ihnen lernen. Und<br />

auch der Zusammenhalt mit den Ärzten hat mich beeindruckt.<br />

Was mir meinen Start erleichtert hat, ist dieses besondere<br />

Zusammenhaltsgefühl in der Kinderklinik.<br />

Was sind die Besonderheiten der Kinderkrankenpflege,<br />

speziell in der Kinderintensivpflege?<br />

Rosmus: In der Kinderkrankenpflege hat sich in den Jahren<br />

natürlich viel getan und im Vergleich zur OP-Pflege bei<br />

Erwachsenen ist die Arbeit mit Kindern einfach anders. Kinder<br />

sind keine kleinen Erwachsenen. Das hat mir vor vielen Jahren<br />

schon Frau Kasper, meine Klassenlehrerin in der Ausbildung,<br />

gesagt. Hinzu kommt die Schwere der Erkrankungen der<br />

kleinen Patienten. Hier ist die psychische Komponente nicht<br />

zu unterschätzen. Ich selbst habe zwei Kinder und da gibt es<br />

selbstverständlich Situationen, die mir nah gehen, weil man<br />

häufiger den Vergleich zu den eigenen Kindern zieht. In der<br />

Kinderintensivpflege kümmert sich die Pflege nicht nur um die<br />

Patienten, sondern genauso um deren Eltern.<br />

Welche Tipps haben Sie für diejenigen, die überlegen<br />

wieder in die Pflege zurückzukommen?<br />

Rosmus: Wer mit dem Gedanken spielt, sollte nicht warten,<br />

sondern sich trauen und einfach auf die Pflegeleitung des<br />

Wunschbereiches zugehen. Im Gespräch wird als erstes geklärt,<br />

ob man als Rückkehrer geeignet ist und welcher Bereich sich<br />

anbietet. Wenn es dann an die Einarbeitung geht, wird man<br />

auf verschiedene Weise begleitet. Es gibt ein individuelles<br />

Einarbeitungskonzept und es wird versucht, dass man einen<br />

festen Ansprechpartner in der Einarbeitungszeit an die Hand<br />

bekommt. Auch wenn vielleicht Zweifel da sind, den ersten<br />

Schritt muss man selbst wagen. Und ich bin froh, dass ich nach<br />

vielen Jahren am <strong>UKJ</strong> genau das gemacht habe und zu meinen<br />

Wurzeln zurückgekehrt bin.<br />

Foto: Szabó<br />

Interview: Michelle Korneli<br />

01 | 21<br />

25


Foto: gettyimages | alvarez<br />

Schimpfen, Spott oder Schläge<br />

Studie analysiert Gewalterfahrungen von Pflegekräften<br />

Es beginnt mit harschen Worten eines<br />

Patienten, kann in Beschimpfungen<br />

übergehen oder von verbaler in körperliche<br />

Aggression umschlagen: Gewalt<br />

von Patienten gegenüber Pflegekräften<br />

ist ein Thema in Krankenhäusern, wenn<br />

auch nach wie vor ein Tabuthema. In welcher<br />

Form erleben Pflegekräfte Gewalt<br />

von Patienten? Was sind die Ursachen?<br />

Und wie geht das Pflegepersonal damit<br />

um? Dies sind nur einige Fragen, die<br />

Franziska Rusam, Doktorandin am Institut<br />

für Psychosoziale Medizin, Psychotherapie<br />

und Psychoonkologie am <strong>UKJ</strong><br />

in ihrer Studie umfassend am Thüringer<br />

Universitätsklinikum untersucht – und<br />

das deutschlandweit erstmals in dieser<br />

Qualität. Denn bislang existieren nur<br />

Literaturstudien zu dem Thema.<br />

Ihre Studie soll deshalb ein Meinungsbild<br />

aus der Praxis gewinnen. 230 Pflegekräfte<br />

des <strong>UKJ</strong> haben einen umfassenden<br />

Fragebogen zum Thema „Gewalt<br />

von Patienten gegenüber Pflegekräften“<br />

anonym beantwortet. „Insgesamt wurde<br />

der viereinhalbseitige Fragebogen an<br />

850 Pflegekräfte verteilt. Durch eine<br />

detaillierte, quantitative Befragung<br />

sollte in einer Vorstudie herausgefunden<br />

werden, ob Pflegekräfte in den vergangenen<br />

zwölf Monaten Gewalt erlebt<br />

haben, wie sie Gewalt prinzipiell wahrnehmen,<br />

wie sich Gewalterlebnisse<br />

emotional auf die Beteiligten auswirken<br />

und wie sie seitdem damit umgehen“, so<br />

Franziska Rusam.<br />

„Egal ob verbale, sexuelle oder körperliche<br />

Gewalt: Sie hat viele unterschiedliche<br />

Formen. Die Literatur spricht von<br />

einer hohen Dunkelziffer hinsichtlich<br />

Gewalt, die Pflegekräfte durch Patienten<br />

bei ihrer täglichen Arbeit erfahren“, so<br />

Rusam. Aber beginnt Gewalt schon beim<br />

Anschreien oder erst bei Handgreiflichkeiten?<br />

„Das ist eine wesentliche Frage,<br />

die erörtert werden muss. Nach wie vor<br />

ist nicht greifbar, welcher Gewaltart<br />

Pflegekräfte besonders ausgesetzt sind<br />

und wie sich das auf die Pflegekräfte<br />

und ihre Tätigkeit auswirkt“, ergänzt sie.<br />

Auch interessiert Rusam, inwiefern die<br />

Arbeitszufriedenheit die Bewertungen<br />

hinsichtlich Gewalt am Arbeitsplatz<br />

und dem Umgang mit entsprechenden<br />

Folgen beeinflusst. Sie untersucht, ob<br />

es bestimmte Pflegebereiche gibt, in<br />

denen Gewalt gehäuft auftritt. Rusam:<br />

„Psychiatrie und die Notaufnahme sind<br />

Bereiche, die in der Literatur häufig<br />

genannt werden. Trifft das auch am <strong>UKJ</strong><br />

zu oder gibt es andere Bereiche, die<br />

vermehrt von Gewalt betroffen sind?“<br />

Außerdem analysiert Rusam in ihrer<br />

Arbeit, welche Anlaufstellen das <strong>UKJ</strong> im<br />

Fall von Gewalterfahrungen anbietet.<br />

Aus den gewonnenen Erkenntnissen soll<br />

ein Maßnahmenkatalog zur Früherkennung,<br />

Gegensteuerung, Vorbeugung und<br />

Meldung von Gewaltvorfällen abgeleitet<br />

werden. Rusam: „Das <strong>UKJ</strong> nimmt hier eine<br />

Vorreiterrolle ein, was die Aufarbeitung<br />

und Prävention von Gewalt gegenüber<br />

dem Pflegepersonal betrifft. Mit der<br />

Studie wird einem bisher im Pflegealltag<br />

eher nachgeordnetem Thema Brisanz<br />

und Transparenz verliehen.“<br />

Die Studie wird als Kooperationsprojekt<br />

durch Professor Bernhard Strauß vom<br />

Institut für Psychosoziale Medizin, Psychotherapie<br />

und Psychoonkologie und Dr.<br />

Norbert Hebestreit, Pflegewissenschaftler<br />

der Pflegedirektion, am <strong>UKJ</strong> betreut<br />

und soll <strong>2021</strong> abgeschlossen werden.<br />

Michelle Korneli<br />

26 01 | 21


FORSCHEN<br />

COVID-19-Atlas der Gewebeschäden und Viruslast in Organen<br />

Jenaer Forschungsteam veröffentlicht Studie im Onlinefachjournal eLife<br />

In der seit über einem Jahr währenden Pandemie wurden<br />

bereits über 100 Millionen SARS-CoV-2-Infektionen weltweit<br />

registriert. Vieles konnte in der biomedizinischen und<br />

klinischen Erforschung von COVID-19 schon erreicht werden,<br />

jedoch sind weiterhin noch wesentliche Krankheitsmechanismen<br />

unverstanden. Ein Forschungsteam aus Virologie und<br />

Mikrobiologie, Rechtsmedizin und Pathologie sowie Intensivmedizin<br />

und Elektronenmikrospie am Universitätsklinikum<br />

Jena untersuchte die Körper von elf Patienten, die an COVID-<br />

19 verstorben sind. Sie erfassten die SARS-CoV-2-Viruslast in<br />

einer Vielzahl von Organen und Geweben und brachten die<br />

Verteilung des Virus in Zusammenhang mit den festgestellten<br />

Gewebeschäden. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie jetzt<br />

im Onlinejournal eLife. Die Studie wurde von der Carl-Zeiss-<br />

Stiftung gefördert.<br />

Umfassendes mikrobiologisches<br />

und histologisches Bild von COVID-19<br />

auch in verschiedenen anderen Geweben und Organen, wie<br />

Verdauungsorganen, Nieren oder den Herzgefäßen nachgewiesen.<br />

Aber nur in der Lunge hatte das Virus das Gewebe<br />

angegriffen“, so der Rechtsmediziner und Koautor PD Dr.<br />

Daniel Wittschieber. Die untersuchten Entzündungsmarker<br />

und Gerinnungsfaktoren waren bei allen Patienten erhöht.<br />

Mit ihrer Studie, die erstmals die Viruslast und Gewebeschäden<br />

bei COVID-19 umfassend kartiert, bestätigen die Jenaer<br />

Forscher den systemischen Charakter der Erkrankung. „Dass<br />

nur das Lungengewebe geschädigt, aber im gesamten Körper<br />

Virus-RNA verteilt ist, stützt die Vermutung, dass unser<br />

Immunsystem nicht angemessen auf das Vorhandensein des<br />

Virus im Blut reagieren kann. Das ist das eigentliche Problem<br />

bei COVID-19“, so Stefanie Deinhardt-Emmer.<br />

Uta von der Gönna<br />

„Klinische Beobachtungen, insbesondere auch die Erfahrungen<br />

mit dem Post-COVID-Syndrom legen nahe, dass COVID-<br />

19 eine systemische Erkrankung ist, die nicht nur die Lunge,<br />

sondern den gesamten Körper betrifft“, so Autorin Dr. Stefanie<br />

Deinhardt-Emmer. „Geeignete experimentelle Modelle zur<br />

Untersuchung von COVID-19 fehlen jedoch.“ Um ein umfassendes<br />

Bild der Erkrankung bezüglich der Mikrobiologie und<br />

Histologie beim sehr schweren Verlauf zu erhalten, führten<br />

die Wissenschaftler jeweils nur wenige Stunden nach den Tod<br />

Autopsien an COVID-19-Patienten durch. So konnten Abbauprozesse<br />

an den Geweben und der Virus-RNA gering gehalten<br />

werden. Pro Patient dokumentierten sie an über 60 Proben<br />

in verschiedenen Organen die Viruslast von SARS-CoV-2, Entzündungsmarker<br />

und Gewebeschäden. Mit elektronenmikroskopischen<br />

Aufnahmen konnten sie intakte Viruspartikel im<br />

Lungengewebe nachweisen.<br />

Gewebeschäden nur in der Lunge<br />

Wie erwartet fanden die Wissenschaftler Virus-RNA vor<br />

allem in der Lunge, und dort war das Gewebe auch schwer<br />

betroffen. „Interessanterweise haben wir SARS-CoV-2-RNA<br />

COVID-19-Gewebeschaden in der Lunge: Im gestreiften Bereich fehlt die<br />

äußere Zellschicht, die für Funktion und Stabilität des Lungenbläschens<br />

notwendige oberflächenaktive Substanzen produziert. Rot: Blutkörperchen,<br />

blau: Atemluft. Transmissionselektronenmikroskop, nachkoloriert<br />

Bild: Dr. Sandor Nietzsche, Elektronenmikroskopisches Zentrum, <strong>UKJ</strong><br />

01 | 21<br />

27


FORSCHEN<br />

Smarter Stresswächter am Handgelenk<br />

Mit selbstlernender App Stresssituationen erkennen und ihnen entgegenwirken<br />

„Pling! - Fühlen Sie sich im Moment unter Druck? – Wollen<br />

Sie bei einigen Atemübungen entspannen?“, so könnte sich<br />

die Cello-App bei Träger oder Nutzerin melden, wenn deren<br />

Fitnesstracker oder Smartwatch auffällige Werte misst. Diese<br />

modernen, am Körper getragenen „Wearables“ können Atemfrequenz<br />

und Herzfunktion erfassen – wann diese auffällig<br />

sind für ein erhöhtes Stresslevel des Nutzers und wie die<br />

Trägerin am wirksamsten entspannen kann, das soll die Cello-<br />

App wissen, und zwar ganz individuell, weil sie es von und mit<br />

dem Nutzer gelernt hat.<br />

Ein Team aus Ärzten, Psychologen, Informatikern und Anwendungsentwicklern<br />

startet jetzt die Entwicklungsarbeit an<br />

dem System, das Methoden des maschinellen Lernens nutzt.<br />

„Zunächst werden wir aufwendige Studien zur Erfassung<br />

von Stressfaktoren und zur Charakterisierung individueller<br />

Stressunterschiede planen und durchführen, um in sehr<br />

genauen Messungen die Trainingsdaten für den Algorithmus<br />

zu erzeugen“, beschreibt Prof. Dr. Martin Walter das Vorgehen.<br />

Der Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am<br />

<strong>UKJ</strong> koordiniert das Projekt und leitet die Studien. Darin werden<br />

neben detaillierten Interviews physiologische Parameter<br />

wie Puls, Atemfrequenz, EKG und Hautwiderstand, Daten aus<br />

EEG- und MRT-Messungen sowie genetische und hormonelle<br />

Daten erfasst.<br />

Diese genauen Stressmarker dienen als Referenzsystem für<br />

die von den Fitnesstrackern gemessene Herzfrequenzvariabilität,<br />

die die Fähigkeit beschreibt, die Herzfrequenz den<br />

körperlichen und mentalen Anforderungen anzupassen.<br />

„Diese Fähigkeit lässt nach, wenn das Stresslevel über längere<br />

Zeit erhöht ist. Dem kann man zum Beispiel mit Biofeedback-<br />

Training entgegenwirken und die Herzfrequenzvariabilität<br />

steigern“, so Prof. Dr. Veronika Engert vom Institut für Psychosoziale<br />

Medizin, Psychotherapie und Psychoonkologie am<br />

<strong>UKJ</strong>. Sie wird im Projekt Studiendaten zur Wirksamkeit dieses<br />

Trainings sammeln, an denen sich die App auch messen lassen<br />

muss. Denn das System soll nicht nur personalisiert auf<br />

das Stresslevel aufmerksam machen, sondern auch individualisierte<br />

Empfehlungen geben.<br />

Parallel zu diesen Studien entwickeln IT-Spezialisten der<br />

Universität des Saarlandes, des Fraunhofer Instituts für Grafische<br />

Datenverarbeitung in Rostock und der mHealth Pioneers<br />

GmbH in Berlin den maschinellen Lernalgorithmus, die<br />

Schnittstelle zum Fitnesstracker und die Software-Oberfläche<br />

für die App, deren Rohversion dann mit den Studiendaten<br />

trainiert wird. Dabei stellen die Einbindung der verschiedenen<br />

Gerätestandards, die Berücksichtigung der verschiedensten<br />

Alltagssituationen und der Datenschutz besondere Herausforderungen<br />

dar.<br />

Ist der Algorithmus justiert, folgen Feldstudien, in denen<br />

Testnutzer handelsübliche Smartwatches tragen werden<br />

und in den Dialog mit der App treten. Mit jeder Rückmeldung<br />

des Nutzers lernt die Software ihn besser kennen, kann in<br />

den richtigen Situationen warnen, immer bessere Prognosen<br />

erstellen und passgenauere Hilfsangebote unterbreiten.<br />

Anhand des Lernverhaltens der App und der Treffsicherheit<br />

ihrer Warnungen und Vorschläge erfolgt dann iterativ die<br />

Kalibrierung und Optimierung des Systems. Prof. Walter: „Mit<br />

der Cello-App wollen wir ein einfaches und geräteunabhängiges<br />

Tool zum personalisierten Stressmonitoring entwickeln.<br />

Allein das Bewusstmachen stressauslösender Faktoren ist<br />

ein Gewinn für die Nutzer. Die App soll mit Hilfe von künstlicher<br />

Intelligenz und im Dienst der Gesundheit den Dialog<br />

von Mensch und Maschine vermitteln.“ Das BMBF fördert die<br />

Partner in Jena, Rostock, Berlin und Saarbrücken mit knapp<br />

einer Million Euro.<br />

Uta von der Gönna<br />

Die geräteunabhängige und selbstlernende Cello-App soll personalisiert in<br />

Stresssituationen warnen und Angebote zur Stressreduktion unterbreiten.<br />

Foto: Uta von der Gönna<br />

28 01 | 21


FORSCHEN<br />

Medizin rund um die Leber<br />

Prof. Alexander Zipprich ist neuer Professur für Hepatologie am <strong>UKJ</strong><br />

Hintergrundbild: getty images | SEBASTIAN KAULITZKI<br />

„Die medikamentöse Therapie der Hepatitis<br />

C hat sich in den letzten Jahren<br />

durch neue Wirkstoffe dramatisch<br />

geändert, mit Heilungsraten weit über<br />

90 Prozent und wesentlich besserer<br />

Verträglichkeit“, beschreibt Prof. Dr.<br />

Alexander Zipprich einen bedeutenden<br />

Fortschritt in seinem Fachgebiet. Der<br />

49-jährige Internist und Gastroenterologe<br />

ist Spezialist für Lebererkrankungen,<br />

seit März hat er die neu eingerichtete<br />

Professur für Hepatologie am <strong>UKJ</strong> inne,<br />

die an der Klinik für Innere Medizin IV<br />

angesiedelt und mit der stellvertretenden<br />

Leitung dieser Klinik verbunden ist.<br />

Foto: Szabó<br />

Die Leber ist die Stoffwechselzentrale<br />

unseres Körpers: Sie verarbeitet fast<br />

alles, was wir zu uns nehmen. Sie entgiftet,<br />

sie produziert Eiweißstoffe und<br />

reguliert so wichtige Prozesse wie zum<br />

Beispiel die Blutgerinnung. Ihr können<br />

Infektionen zusetzen, wie die durch<br />

Viren verursachte Hepatitis C. Häufiger<br />

aber sind Gifte, allen voran Alkohol,<br />

oder ein Zuviel von Fett und Zucker<br />

die Ursache für Schädigungen an dem<br />

Organ. Die Leber ist sehr widerstandsfähig<br />

und kann moderate Schäden lange<br />

ausgleichen, wegen ihrer Schmerzunempfindlichkeit<br />

sendet sie auch keine<br />

Warnsignale. „Langfristig kommt es<br />

jedoch zu Entzündungserscheinungen<br />

und Umbauprozessen, in deren Folge<br />

das normale Gewebe der Leber umgebaut<br />

wird. Bei der Leberzirrhose büßt<br />

das Gewebe seine Funktion ein und es<br />

kommt zur Bauchwassersucht und Entstehung<br />

von Krampfadern in der Speiseröhre,<br />

auch das Risiko für Leberkrebs<br />

erhöht sich“, so Prof. Zipprich.<br />

Nur durch rechtzeitige Diagnosestellung<br />

und Therapie lässt sich verhindern,<br />

dass eine weitere Verschlechterung<br />

eintritt und eine Transplantation notwendig<br />

wird, „einen Organersatz für die<br />

Leber, wie die Dialyse für die Nieren,<br />

gibt es leider nicht.“ Für die Fettleber,<br />

eine durch Übergewicht bedingte<br />

Vorstufe der Leberzirrhose, sind vielversprechende<br />

Wirkstoffe in der Entwicklung.<br />

Alexander Zipprich: „An den<br />

klinischen Studien für diese Wirkstoffe<br />

werden wir uns beteiligen, um unseren<br />

Patienten solche neuen Behandlungsmöglichkeiten<br />

zu eröffnen.“ Ziel ist<br />

es, den fortschreitenden Verlust der<br />

Organfunktion zu bremsen oder aufzuhalten.<br />

Ist das nicht mehr möglich,<br />

kann zumindest die Notwendigkeit einer<br />

Transplantation hinausgezögert werden.<br />

Zum Beispiel lässt sich durch einen<br />

TIPS genannten Kurzschluss zwischen<br />

den Lebergefäßen die akute Gefahr der<br />

Krampfaderblutung und der Bauchwassersucht<br />

vermindern. „Zusammen<br />

mit den Kollegen der Chirurgie und<br />

Radiologie wollen wir die Betreuung<br />

der Patienten eng verzahnen und auch<br />

im ambulanten Bereich gemeinsame<br />

Sprechstunden etablieren“, so Zipprich.<br />

Der gebürtige Hallenser hat in seiner<br />

Heimatstadt Medizin studiert und<br />

beschäftigte sich schon in seiner Promotion<br />

mit der Leberdurchblutung.<br />

Seine Facharztausbildung in der Inneren<br />

Medizin und Gastroenterologie am Universitätsklinikum<br />

Halle unterbrach er<br />

für einen zweijährigen Forschungsaufenthalt<br />

an der Yale University. In Halle<br />

habilitierte sich Alexander Zipprich zur<br />

hepatisch-arteriellen Durchblutung<br />

der zirrhotischen Leber und leitete<br />

eine eigene Arbeitsgruppe „Molekulare<br />

Hepatologie“. Zuletzt arbeitete er als<br />

leitender Oberarzt der Klinik für Innere<br />

Medizin I am Uniklinikum Halle.<br />

In der Grundlagenforschung untersucht<br />

Alexander Zipprich die molekularen<br />

Mechanismen des zirrhotischen Gewebeumbaus,<br />

bei dem Leberzellen durch<br />

Bindegewebszellen ersetzt werden.<br />

Zum Beispiel erforscht er mit Förderung<br />

der DFG die Beteiligung eines Steroidhormonrezeptors<br />

am Fortschreiten<br />

des Umbauprozesses. „Wir wollen den<br />

Übergang von der Fibrose zur Zirrhose<br />

besser verstehen, um daraus neue<br />

Therapie- oder Präventionsansätze<br />

entwickeln zu können“, erklärt Zipprich.<br />

„Denn es gilt, durch weitere Fortschritte<br />

in der Lebermedizin die Funktion dieses<br />

faszinierenden Organs noch besser zu<br />

schützen und zu erhalten.“<br />

Uta von der Gönna<br />

KONTAKT<br />

Prof. Dr. Alexander Zipprich<br />

Klinik für Innere Medizin IV<br />

(Gastroenterologie,<br />

Hepatologie, Infektiologie)<br />

Universitätsklinikum Jena<br />

03641 9-32 44 40<br />

alexander.zipprich@med.uni-jena.de<br />

01 | 21<br />

29


HEILEN<br />

Lebensverändernde Chance für kleine Patienten<br />

Neue Genersatztherapie hält seltene Muskelerkrankung auf<br />

Bereits seit dem vierten Lebensmonat ist die motorische Entwicklung<br />

von Sina auffällig. Aber erst im Alter von 13 Lebensmonaten<br />

erhielt sie die Diagnose „Spinale Muskelatrophie“,<br />

kurz SMA. Charakteristisch für die seltene Erkrankung ist eine<br />

voranschreitende Muskelschwäche. Um diese aufzuhalten,<br />

erhielt die kleine Patientin im Sommer 2020 eine neuartige<br />

Genersatztherapie in der Klinik für Neuropädiatrie am <strong>UKJ</strong>,<br />

dem einzigen Zentrum in Thüringen, welches dieses Verfahren<br />

anbietet. „Wir sehen in der neuen Therapie einen enormen<br />

Fortschritt, denn sie könnte lebensverändernd sein. Noch vor<br />

wenigen Jahren verlief die schwerste Form der Erkrankung<br />

dramatisch. Erkrankte Kinder verstarben in den ersten beiden<br />

Lebensjahren, weil es keine effektiven Medikamente gab“, so<br />

der behandelnde Oberarzt Dr. Ralf Husain.<br />

Die Eltern des damals eineinhalbjährigen Mädchens bemerkten<br />

bereits kurze Zeit nach der Genersatztherapie Fortschritte:<br />

„Auch, wenn es für andere nur kleine Veränderungen sind, für<br />

uns sind es große Fortschritte. Wir hatten tatsächlich Gänsehaut,<br />

als wir gesehen haben, dass sie ihren Kopf selbstständig halten<br />

kann und auch die Flasche nicht mehr einfach aus der Hand<br />

rutscht.“ Und auch Dr. Husain sieht Fortschritte: „Ihre Rumpfund<br />

Halsmuskulatur ist stabiler geworden, sodass sie nun frei<br />

sitzen kann. Das ist ein wesentlicher Schritt in der kindlichen<br />

Entwicklung, vor dem Stehen und Laufen. Regelmäßig bekommt<br />

Dr. Ralf Husain. Foto: Szabó<br />

sie Physiotherapie, um ihr motorische Entwicklung zu fördern.<br />

Wie schnell weitere Fortschritte kommen, wird die Zeit zeigen.“<br />

Die Genersatztherapie wird nur einmal durchgeführt. Husain:<br />

„Über die Vene wird einmalig ein Medikament verabreicht, das<br />

in betroffenen Nervenzellen im Rückenmark wirkt. Ich nutze<br />

gern den Vergleich mit einem trojanischen Pferd, denn in dem<br />

Medikament sind nicht krankmachende Viruszellen enthalten,<br />

in denen eine voll funktionsfähige Kopie des betroffenen<br />

Gens ,versteckt‘ ist. Diese Gen-Kopie übernimmt ersatzweise<br />

die Funktion in den Nervenzellen und die notwendigen<br />

Eiweißstoffe werden wieder gebildet.“<br />

Damit gibt es nun erstmals zwei Therapieoptionen für die<br />

zuvor unheilbare Erkrankung. Bereits seit 2017 wird die SMA<br />

am <strong>UKJ</strong> mit einem Medikament behandelt, das über das Nervenwasser<br />

verabreicht wird. „Bisher konnten wir mit dieser<br />

Therapie in unserer Klinik 21 Patienten vom Säugling bis zum<br />

Jugendlichen behandeln. Im Gegensatz zur neuen Therapie<br />

muss es allerdings dreimal jährlich dauerhaft verabreicht<br />

werden. Üblicherweise schreiten die Symptome bei beiden<br />

Therapieformen nicht weiter voran. Im besten Fall kommt es<br />

zu Fortschritten der motorischen Entwicklung“, sagt der Neuropädiater.<br />

„Und im Frühjahr <strong>2021</strong> steht die Zulassung eines<br />

weiteren Medikamentes an, welches als Saft täglich eingenommen<br />

wird. Einigen unserer Patienten wird dieses Medikament<br />

bereits im Rahmen eines Härtefallprogramms verabreicht.“<br />

Die SMA tritt bei ungefähr einem von 10.000 Menschen<br />

auf. Je früher die Diagnose erfolge, umso besser seien die<br />

Erfolgsaussichten. Dr. Husain begrüßt es deshalb, dass die<br />

Untersuchung auf SMA im Herbst <strong>2021</strong> in das bundesweite<br />

Neugeborenenscreening aufgenommen wird. Am Stoffwechselzentrum<br />

der Kinderklinik wird auch die Diagnostik und<br />

Therapie der bisher im Neugeborenenscreening untersuchten<br />

Erkrankungen für Thüringen koordiniert.<br />

Die kleine Patientin wird weiter engmaschig von den Experten<br />

am <strong>UKJ</strong> begleitet. Mittlerweile konnten drei weitere<br />

Kinder mit der neuen Genersatztherapie behandelt werden.<br />

Und die Hoffnung ist groß, dass die einst unheilbare<br />

Erkrankung bei diesen und anderen kleinen Patienten weiter<br />

zurückgedrängt wird.<br />

Michelle Korneli<br />

30 01 | 21


HEILEN<br />

Bei der ersten Wach-Operation am <strong>UKJ</strong> arbeiteten Neurochirurgen, Neurologen, Anästhesisten und OP-Pflegepersonal Hand in Hand. Foto: <strong>UKJ</strong><br />

Hirntumor bei wacher Patientin entfernt<br />

Jenaer Neurochirurgen operieren am Tumor in Nähe des Sprachzentrums<br />

Eine Wach-Operation ist auch für den erfahrenen Neurochirurgen<br />

und neuen Klinikdirektor der Jenaer Neurochirurgie, Prof. Dr.<br />

Christian Senft, ein ganz besonderer Eingriff. Erstmals operierten<br />

er und seine Kollegen am <strong>UKJ</strong> eine Patientin an einem Hirntumor<br />

in der Nähe des Sprachzentrums, indem sie während der Operation<br />

aus der Narkose geholt wurde und Sprachtests absolvierte.<br />

Die Patientin konnte bereits wenige Tage nach der Operation<br />

nach Hause entlassen werden - ohne Sprachstörungen.<br />

„Operationen am Gehirn sind immer etwas Spezielles und erst<br />

recht, wenn man es ‚live‘ miterlebt. Aber auf diese Art und Weise<br />

können wir heute Patienten helfen, bei denen eine Tumorentfernung<br />

vor ein paar Jahren noch undenkbar gewesen wäre. Und nur<br />

so konnte unsere Patientin funktionserhaltend am Tumor operiert<br />

werden“, erklärt Prof. Dr. Christian Senft. Er selbst hat bisher<br />

bereits über 50 solcher Wach-Operationen durchgeführt und<br />

miterlebt. Für seine Kollegen am <strong>UKJ</strong> war es aber eine gelungene<br />

Premiere, auf die sich ein Team aus Neurochirurgen, Anästhesisten<br />

und OP-Pflegepersonal intensiv vorbereitet hat. „Insbesondere<br />

für unser Anästhesieteam bestand die Herausforderung<br />

darin, die Patientin erst gut und schnell wach werden zu lassen,<br />

um dann die Operation fortzusetzen. Eine solche Wach-OP war<br />

auch für die Anästhesie ein Novum und alle haben es sehr gut<br />

gemeistert“, so das Fazit von Dr. Michael Winkens, Oberarzt der<br />

Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin am <strong>UKJ</strong>.<br />

Der Verlauf klingt spektakulär: Zunächst wurde die Patientin<br />

normal in Narkose versetzt und ihre Kopfhaut mittels Lokalanästhesie<br />

betäubt. Nachdem die Schädeldecke geöffnet war,<br />

wurde sie schonend von den Anästhesie-Experten des <strong>UKJ</strong> aus<br />

der Narkose geholt. Dann unterhielt sich Neurologin Dr. Irina<br />

Gepfner-Tuma mit der Patientin und testete ihre Sprache. Ihr<br />

Gehirn wurde dabei mit Strom stimuliert, um herauszufinden,<br />

wo nicht sprachrelevante Areale liegen, in die das Team zum<br />

Tumor vordringen konnte. Der Tumor konnte so weitestmöglich<br />

und schonend entfernt werden. Ob eine Wach-OP die geeignete<br />

Methode ist, muss vorher umfassend geprüft werden. Prof.<br />

Senft: „Dieses Verfahren kommt insbesondere für Patienten in<br />

Frage, bei denen Tumore in Gehirnarealen liegen, die für das<br />

Verständnis oder die Produktion von Sprache wichtig sind. Denn<br />

diese Funktionen können während der sonst bei Operationen<br />

üblichen Allgemeinnarkose nicht überwacht werden. Eine Operation<br />

in Vollnarkose hätte bei unserer Patientin ein hohes Risiko<br />

für bleibende Sprachstörungen gehabt.“<br />

Welche Patienten für einen solchen Eingriff geeignet sind, wird<br />

im interdisziplinären Austausch zwischen Neurochirurgen, Neurologen<br />

und Anästhesisten festgelegt. „Unsere Patientin haben<br />

wir behutsam darauf vorbereitet, was sie während der Operation<br />

erwartet. Deshalb wurde sie von einem Team aus Psychologen<br />

und Neurologen nicht nur vor, sondern auch nach der Operation<br />

begleitet. Und sie hat sich wirklich vertrauensvoll in unsere<br />

Hände begeben“, so Dr. Irina Gepfner-Tuma von der Klinik für<br />

Neurologie am <strong>UKJ</strong>. Für die Patientin sind dank der Wach-OP nun<br />

die bestmöglichen Voraussetzungen für die weitere Therapie<br />

geschaffen.<br />

Michelle Korneli<br />

KONTAKT<br />

Prof. Dr. Christian Senft<br />

Klinik für Neurochirurgie<br />

neurochirurgie@med.uni-jena.de<br />

01 | 21<br />

31


Stille Geburt<br />

Wenn der Lebensbogen sich schließt, bevor er begonnen hat<br />

Die Geburt. Der Inbegriff des Lebens.<br />

Der Lebensfreude. Vielleicht ist es deshalb<br />

häufig immer noch ein Tabu, über<br />

stille Geburten zu sprechen. Vielleicht<br />

möchte man schlicht nicht darüber<br />

nachdenken, dass es einen selbst<br />

treffen kann. Dass aus dem eigentlich<br />

schönsten, freudigsten Ereignis<br />

im Leben ein tieftrauriges wird. Aber<br />

ja: Es gibt sie. Stille Geburten. Eltern,<br />

deren Kind nicht zum Leben geboren<br />

wird, brauchen dann Unterstützung.<br />

Brauchen Einfühlsamkeit. Brauchen<br />

Menschen, die Erfahrung mit ihrer<br />

Situation haben. Und das vor, während<br />

und nach der Geburt. Das Team der<br />

Geburtsmedizin bietet all das: Hilfe,<br />

Empathie, Erfahrung. Saskia Selleng,<br />

Hebamme im Kreißsaal des <strong>UKJ</strong>, und<br />

Dr. Judith Rothaug, Psychologin in der<br />

Geburtsmedizin, sprechen über stille<br />

Geburten und möchten damit vor allem<br />

den betroffenen Eltern Mut machen<br />

und Mut geben.<br />

Sternenkinder oder auch Sternchen<br />

nennen Eltern liebevoll ihre Kinder,<br />

die den Weg ins Leben nicht gefunden<br />

haben. In den allermeisten Fällen<br />

wissen die Eltern schon bevor sie ins<br />

Klinikum zur Entbindung kommen, dass<br />

ihr Kind ein Sternchen ist. Grundsätzlich<br />

wird empfohlen, das Kind dennoch<br />

natürlich zu gebären und nicht per<br />

Kaiserschnitt zu holen. Am <strong>UKJ</strong> ist das<br />

Team der Geburtsmedizin auf diese<br />

Situation vorbereitet und hat entsprechende<br />

Strukturen etabliert, damit die<br />

Eltern eine bestmögliche Betreuung<br />

und Begleitung erfahren. Ganz wichtig:<br />

Sie sind nicht alleine in dieser Situation,<br />

sondern können auf die Unterstützung<br />

von erfahrenen Ärztinnen und Ärzten,<br />

Hebammen, Psychologinnen und Seelsorgern<br />

zählen. Und das Team nimmt<br />

sich alle Zeit und Ruhe, die es braucht,<br />

um mit den Eltern zu besprechen, was<br />

auf sie zukommt, was passieren kann<br />

und wie es nach der Geburt weitergeht.<br />

„Selbstverständlich kann der Partner<br />

oder eine andere vertraute Person die<br />

schwere Zeit an der Seite der Schwangeren<br />

sein“, so Hebamme Saskia. „Wir<br />

gewährleisten eine 1:1-Betreuung durch<br />

uns Hebammen, damit die Eltern vertraute<br />

Gesichter um sich haben.“<br />

Für die Eltern ist die Situation eine extreme<br />

und emotional sehr belastend.<br />

„Daher ist die empathische Begleitung<br />

im Kreißsaal auch so wichtig und kann<br />

später bei der Trauerbewältigung<br />

helfen“, erklärt Psychologin Judith<br />

Rothaug. Auch Hebamme Saskia weiß,<br />

wie prägend eine Geburt ist – das gilt<br />

umso mehr für eine stille Geburt. Umso<br />

wichtiger ist es ihr, der Frau die Geburt<br />

so behütet wie möglich zu gestalten.<br />

Trotz dieser großen Trauer und Traurigkeit.<br />

„Am Ende soll sie sagen können,<br />

dass es eine schöne Geburt war“, so die<br />

Hebamme.<br />

Behutsamer Umgang<br />

mit Eltern und Kind<br />

Der Begriff stille Geburt stammt<br />

ursprünglich aus dem Englischen und<br />

beschreibt das Fehlen des charakteristischen<br />

Schreis eines Neugeborenen.<br />

Dieser Moment ist ein ganz besonderer,<br />

den die Mutter, den die Eltern sehr<br />

individuell erleben und verarbeiten. Die<br />

Reaktionen reichen von tiefster Trauer<br />

bis hin zum Schweigen. Die Geburt gibt<br />

den Eltern aber auch die Möglichkeit,<br />

wertvolle Augenblicke mit ihrem Kind zu<br />

erleben und Erinnerungen zu schaffen.<br />

„Manche Eltern möchten ihr Sternchen<br />

gleich auf die Brust oder in den Arm<br />

nehmen. Andere brauchen Zeit. Und<br />

natürlich gibt es auch Eltern, die ihr<br />

Kind zunächst nicht sehen können, weil<br />

Angst und Schmerz in diesem Moment<br />

zu groß sind. Wir drängen die Eltern<br />

hier auf gar keinen Fall, sondern gehen<br />

ganz behutsam mit der Situation um“,<br />

beschreibt es Hebamme Saskia. Behutsam<br />

und mit aller Würde und Fürsorge<br />

kümmern sich die Hebammen zudem<br />

um das Kind. So kleiden sie das Kind<br />

liebevoll ein. „Natürlich können das<br />

die Eltern auch jederzeit selbst übernehmen.<br />

Manche haben auch eigene<br />

Kleidung mitgebracht. Wir unterstützen<br />

hier, wo wir können und wie es den<br />

Eltern guttut“, sagt Hebamme Saskia.<br />

Erinnerungen sind kostbar. Daher fertigt<br />

das Kreißsaal-Team für die Eltern – und<br />

bei Wunsch gemeinsam mit den Eltern –<br />

Hand- und Fußabdrücke des Kindes an.<br />

Eine professionelle Fotografin der Klinik<br />

fotografiert das Kind, wenn die Eltern<br />

das wünschen. Wann die Eltern diese<br />

Erinnerungen an ihr Kind ansehen und<br />

haben möchten, entscheiden sie selbst.<br />

32 01 | 21


„Alles, was wir machen, ist ein Angebot.<br />

Die Entscheidung liegt bei den Eltern.<br />

Immer“, beschreibt es die Hebamme.<br />

Abschied nehmen<br />

Wie geht es nach der Geburt weiter?<br />

Kann das Kind beerdigt werden? Woher<br />

bekommt man eine Sterbeurkunde?<br />

Das sind alles Fragen, die den Eltern<br />

sicherlich nicht als Erstes durch den<br />

Kopf gehen, aber die beantwortet werden<br />

müssen. Auch hier steht das Team<br />

der Geburtsmedizin mit Rat und Tat zur<br />

Seite. Um die Sterbeurkunde kümmert<br />

sich die Klinik genauso wie um eine<br />

Möglichkeit, das Kind beizusetzen. So<br />

besteht in Deutschland zwar keine<br />

Bestattungspflicht, wenn das Kind<br />

weniger als 500 Gramm wiegt. Aber das<br />

<strong>UKJ</strong> hat am Jenaer Nordfriedhof eigens<br />

eine Grabstelle für Sternenkinder.<br />

„Es kann für die Eltern ein tröstlicher<br />

Gedanke sein zu wissen, dass ihr Kind<br />

nicht alleine irgendwo begraben liegt,<br />

sondern mit anderen Sternenkindern“,<br />

erklärt Judith Rothaug. Zwei Mal im Jahr<br />

findet eine Beisetzungsfeier statt, einmal<br />

im Jahr eine Gedenkfeier, zu der die<br />

Klinik die Eltern einlädt.<br />

Auch im Wochenbett<br />

für die Eltern da<br />

genauso zu“, bekräftigt Hebamme Saskia.<br />

Gerade nach einer stillen Geburt sei<br />

es wichtig, dass jemand da ist und fragt<br />

und schaut, wie es ihr geht. „Männer<br />

und Frauen trauern da durchaus unterschiedlich,<br />

insofern kann ein weiterer<br />

Ansprechpartner sehr hilfreich sein“,<br />

weiß Psychologin Rothaug. Wer möchte,<br />

kann direkt in der Klinik nach einer Hebamme<br />

für die Nachsorge fragen. Gerne<br />

übernimmt das auch die Hebamme, die<br />

bei der Geburt dabei war.<br />

Trauerarbeit<br />

Jeder Mensch, jedes Familienmitglied,<br />

geht mit der Situation anders um und<br />

trauert auf seine eigene Weise. „Es ist<br />

völlig normal, tieftraurig zu sein.<br />

Die akute Situation ist tieftraurig“, weiß<br />

Psychologin Judith Rothaug. „Und es ist<br />

auch wichtig, diese Trauer zuzulassen<br />

und den Betroffenen dafür einfach Zeit<br />

zu geben. Denn Trauer braucht Zeit.“ Ihr<br />

ist es jedoch ein großes Anliegen, den<br />

Familien auch langfristig ein Angebot<br />

zu geben, ihre Trauer bewältigen zu<br />

können: mithilfe einer Trauergruppe.<br />

Etwa ein Jahr nach der stillen Geburt<br />

lädt sie die Eltern hierzu ein. Die Treffen<br />

finden abends statt, um Berufstätigen<br />

die Möglichkeit zu geben, teilzunehmen.<br />

„Es kann helfen, sich mit anderen<br />

Betroffenen auszutauschen“, weiß die<br />

Psychologin. Vor allem aber bietet sie<br />

ihre professionelle psychologische<br />

Unterstützung an, das Erlebte zu verarbeiten.<br />

Denn nicht immer schafft man<br />

das alleine. „Und das müssen die Eltern<br />

auch nicht.“ Die stille Geburt und vor<br />

allem das Sternenkind werden immer<br />

in Erinnerung bleiben. „Aber es kann<br />

gelingen, seinen Frieden mit diesem<br />

schlimmen Ereignis zu schließen und<br />

das Erlebte nicht nur mit Schmerz und<br />

Trauer zu verbinden, sondern auch mit<br />

der Liebe gegenüber dem Kind.“<br />

Katrin Bogner<br />

Bei einer stillen Geburt macht eine<br />

Frau alle körperlichen und hormonellen<br />

Veränderungen genauso durch wie<br />

jede andere Schwangere. „Ihr steht eine<br />

Hebammenbegleitung im Wochenbett<br />

Bild: getty images | Emilie Drd / EyeEm<br />

01 | 21<br />

33


KURZ UND KNAPP<br />

Startschuss für Deutsches Zentrum<br />

für Psychische Gesundheit<br />

Strahlungsärmere Diagnostik<br />

für die Kleinsten<br />

Jährlich sind in Deutschland fast 18 Millionen Erwachsene<br />

von psychischen Krankheiten betroffen. Deshalb<br />

entsteht für Mitteldeutschland in den ausgewählten<br />

Standorten Jena, Magdeburg und Halle (Saale) ein bundesweit<br />

einmaliges Deutsches Zentrum für Psychische<br />

Gesundheit, gefördert vom Bundesministerium für<br />

Bildung und Forschung (BMBF).<br />

Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg<br />

Röntgenaufnahmen des Brustkorbs sind bei kleinen<br />

Frühgeborenen oder bei Kindern häufig notwendig,<br />

wenn sie auf der neonatologischen und pädiatrischen<br />

Intensivstation behandelt werden müssen. Wie diese<br />

Untersuchungen optimiert werden können, um die<br />

Strahlenbelastung so gering wie möglich zu halten und<br />

eine bestmögliche Bildqualität zu erzielen, untersuchte<br />

Katharina Ebeling, Doktorandin der Sektion Kinderradiologie<br />

des Instituts für diagnostische und interventionelle<br />

Radiologie am <strong>UKJ</strong>, in einer aktuellen Studie.<br />

Dabei hat sie den Nutzen aktueller Softwaresysteme<br />

evaluiert, die unter anderem mit künstlicher Intelligenz<br />

arbeiten. „Einen signifikanten Nutzen konnten wir bei<br />

Kindern ab einem Körpergewicht von circa zehn Kilogramm<br />

zeigen. Das macht die Software vor allem für<br />

die Kinderintensivstation gut nutzbar. Außerdem können<br />

Katheter durch die neue Technik besser erkennbar<br />

gemacht werden. Das ist sehr sinnvoll für den Einsatz<br />

bei Frühgeborenen.“<br />

Ein mehr als 60-köpfiges Expertenteam aus den Bereichen<br />

der Psychiatrie, Neurowissenschaften, Psychotherapie<br />

und Psychologie hat dazu eine gemeinsame Initiative<br />

unter dem Namen C-I-R-C gestartet, um neuartige<br />

Konzepte für die Prävention, Diagnose und Behandlung<br />

psychischer Störungen zu entwickeln. Daran beteiligt<br />

sind Universitätsklinikum und Friedrich-Schiller-Universität<br />

Jena, die Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg,<br />

die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg,<br />

die Leibniz-Institute für Neurobiologie in Magdeburg<br />

und für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie<br />

in Jena sowie das DLR-Institut für Datenwissenschaft<br />

in Jena.<br />

Eine weitere wesentliche Erkenntnis von Ebeling:<br />

Durch neue technische Möglichkeiten und Anwendung<br />

künstlicher Intelligenz können verschiedene Aspekte<br />

des Röntgenbildes besser beurteilt werden und bei<br />

besserer Bildqualität kann die Strahlendosis reduziert<br />

werden. Für ihre Arbeit wurde die Doktorandin deshalb<br />

im vergangenen Herbst mit dem Vortragspreis der<br />

internationalen Gesellschaft für Pädiatrische Radiologie<br />

ausgezeichnet.<br />

(me)<br />

Foto: Schroll<br />

Der Name C-I-R-C ist angelehnt an das englische Wort<br />

circuit für Netzwerk und bezieht sich u.a. auf die Netzwerke<br />

der Nervenzellen in Gehirn und Körper. Prof.<br />

Dr. Martin Walter, Direktor der Klinik für Psychiatrie<br />

und Psychotherapie und Sprecher der Initiative: „Wir<br />

wollen zur Erhaltung der psychischen Gesundheit und<br />

zur Behandlung ihrer Störungen den ganzen Patienten<br />

in den Blick nehmen und vor allem den Einfluss von<br />

Immunfaktoren, aber auch vom Darm-Mikrobiom auf<br />

die Gehirnfunktion erforschen.“<br />

(vdg/ane)<br />

34 01 | 21


Kein Babyboom in Thüringen<br />

Kontaktbeschränkungen, viel Zeit Zuhause, viel Zweisamkeit<br />

– und dadurch auch mehr Geburten? Was während<br />

des ersten Lockdowns im Frühjahr viel spekuliert<br />

wurde, hat sich zumindest in Thüringen nicht bestätigt.<br />

„Es gab keinen Babyboom im Herbst“, sagt Professor<br />

Ekkehard Schleußner, Direktor der Klinik für Geburtsmedizin<br />

am <strong>UKJ</strong>. Im Vergleich zum Jahr 2019 seien sogar<br />

insgesamt weniger Kinder geboren worden. „Allein in<br />

Thüringen sank die Anzahl der Geburten um fast sechs<br />

Prozent. Das sind im Jahr 2020 mit 14.950 Geburten fast<br />

1.000 Geburten weniger als im Jahr zuvor“.<br />

Foto: Schroll<br />

Buch Liebe<br />

Auch wenn am <strong>UKJ</strong> tatsächlich mehr Kinder als 2019 das<br />

Licht der Welt erblickten, lässt sich der Geburtenzuwachs<br />

vor allem im Frühjahr zwischen Januar und Mai<br />

verzeichnen – Zeugungszeitpunkt war damit eindeutig<br />

und lange vor dem Lockdown. Für den generellen<br />

Geburtenrückgang hat Schleußner auch eine Erklärung:<br />

„Unsichere Zeiten, wie es die Corona-Pandemie zweifelsohne<br />

ist, führen nicht zu mehr Geburten. Stattdessen<br />

schieben Paare ihren Kinderwunsch auf, soweit<br />

es möglich ist.“ Dies habe sich beispielsweise in den<br />

1990er-Jahren gerade in den neuen Bundesländern<br />

gezeigt, wo zur Wendezeit die Geburtenzahlen deutlich,<br />

teils um mehr als die Hälfte, zurückgingen und erst<br />

langsam wieder anstiegen.<br />

Auch eine weitere These zu Geburten während der<br />

Corona-Pandemie lässt sich bisher in Thüringen nicht<br />

bestätigen, nämlich dass es während des Lockdowns<br />

weniger Frühgeburten gab. Hier liegen allerdings erst<br />

die Zahlen für das erste Halbjahr 2020 vor. Diese zeigen<br />

aber bislang keinen Unterschied zum Vorjahr.<br />

Und selbstverständlich gilt für alle Schwangeren<br />

auch in Pandemie-Zeiten: „Gehen Sie regelmäßig zur<br />

Schwangerschaftsvorsorge.“<br />

(kbo)<br />

Jenaer<br />

Universitätsbuchhandlung<br />

Thalia<br />

Neue Mitte Jena«<br />

Leutragraben 1 · 07743 Jena<br />

Tel. 03641 4546-0<br />

E-Mail: thalia.jenaneuemitte@thalia.de<br />

01 | 21<br />

35


KURZ UND KNAPP<br />

Für die Seele sorgen<br />

Ulrike Spengler verstärkt das Team der Seelsorge am <strong>UKJ</strong><br />

Ein Gefühl dafür zu bekommen, welche<br />

Fragen einen erkrankten Menschen<br />

beschäftigen, ist das wichtigste bei<br />

Ulrike Spenglers Tätigkeit. Seit Februar<br />

ist sie als Evangelische Klinikseelsorgerin<br />

am <strong>UKJ</strong> tätig und macht damit<br />

das Seelsorge-Quartett am Klinikum<br />

komplett. „Krankheit verunsichert<br />

oft auch die Seele. Auch sie braucht<br />

Zuwendung – wie das gebrochene<br />

Bein den Gipsverband oder das kranke<br />

Herz den Bypass“, so Spengler. „Daher<br />

verstehen wir Seelsorge als Teil eines<br />

ganzheitlichen Heilungsansatzes, den<br />

wir gern in das System Krankenhaus<br />

mit einbringen.“<br />

Nur den Namen und die Zimmernummer,<br />

mehr kennt die Seelsorgerin nicht<br />

von den Patienten, die sie besucht.<br />

„Mehr benötige ich auch nicht. Denn<br />

allein der Patient bestimmt das Thema<br />

des Gesprächs“, sagt Spengler. Ob<br />

Smalltalk, existenzielle Fragen oder<br />

Glaubensfragen – die Bandbreite ist<br />

groß. „Manchmal helfe ich den Patienten<br />

dabei, die eigenen Gefühle zu sortieren,<br />

die konkrete Angst zu benennen<br />

oder ein Gebet zu sprechen. In anderen<br />

Situationen bin ich da, um die Schwere<br />

einer Krise mitzutragen, gemeinsam<br />

nach Hoffnung in einer scheinbar hoffnungslosen<br />

Situation zu suchen oder<br />

einfach nur, um zuzuhören“, beschreibt<br />

die Klinikseelsorgerin.<br />

in Meiningen anzutreten. Zurück in Jena<br />

arbeitet die Theologin neun Jahre als<br />

Gemeindepfarrerin in Jena-Ost, bevor<br />

sie eine Stelle als Referentin für Seelsorge<br />

im Landeskirchenamt in Erfurt<br />

antritt. Weitere neun Jahre später ist<br />

sie nun wieder in Jena angekommen.<br />

„Und damit auch wieder an der ‚Basis‘“,<br />

so Spengler. „Denn Menschen in<br />

schwierigen Situationen zu begleiten,<br />

ist für mich das wesentliche in meinem<br />

beruflichen Selbstverständnis.“<br />

Gerade in Corona-Zeiten wird deutlich,<br />

wie wichtig die Seelsorge in einem Klinikum<br />

ist. „Für Patienten ist ein Krankenhaus<br />

oft ein Ort voller Umbrüche<br />

und Veränderungen. Und wir haben<br />

zum Glück weiterhin das Privileg, die<br />

Patienten auf Station dabei begleiten<br />

zu können“, freut sich Spengler. Aber<br />

nicht nur die strengen Hygienevorschriften<br />

stellen sie und ihre Kollegen<br />

vor neue Herausforderungen. „Teilweise<br />

sind wir nun mit ganz anderen<br />

Problemen konfrontiert: Wie soll sich<br />

ein Patient beispielsweise von einem<br />

geliebten Verstorbenen verabschieden,<br />

wenn er nicht an der Trauerfeier<br />

teilnehmen kann?“, fragt die Theologin.<br />

Eine Lösung: via Video an der Beerdigung<br />

teilnehmen und mit den Anwesenden<br />

ins Gespräch kommen. Auch<br />

das kann sehr bewegend sein – nicht<br />

nur für den Patienten.<br />

Ulrike Spengler pendelt nun täglich<br />

zwischen den Standorten des <strong>UKJ</strong>. Denn<br />

sie betreut nicht nur die Patienten der<br />

Geriatrie und Strahlentherapie in der<br />

Bachstraße, sondern auch die Patienten<br />

der A-Gebäude sowie die onkologischen<br />

Patienten der B-Gebäude am<br />

Standort Lobeda. Außerdem hat sie<br />

auch für die Mitarbeiter des <strong>UKJ</strong> stets<br />

ein offenes Ohr – in beruflichen wie<br />

privaten Belangen.<br />

Natürlich gehen die Gespräche mit Patienten<br />

und Mitarbeitern nicht spurlos an<br />

der Klinikseelsorgerin vorüber. Neue<br />

Kraft schöpft sie vor allem auf dem spirituellen<br />

Weg, beispielsweise im Gebet<br />

vor Gott. Oder mit Sport: Denn wenn sie<br />

mit dem Fahrrad von Lobeda durch den<br />

Paradiespark in die Bachstraße radelt,<br />

bekommt sie den Kopf wieder frei, um<br />

auch für die Seele des nächsten Patienten<br />

zu sorgen.<br />

Anne Curth<br />

Foto: Rodigast<br />

Die Nähe zum Thema Seelsorge durchzieht<br />

Spenglers Biografie wie ein roter<br />

Faden – genauso wie ihre Verbundenheit<br />

zur Stadt Jena. Direkt nach ihrem<br />

Theologie-Studium in Jena zieht die<br />

gebürtige Jenenserin mit ihrer Familie<br />

zunächst nach Südthüringen, um dort<br />

ihre erste Stelle als Klinikseelsorgerin<br />

36 01 | 21


KURZ UND KNAPP<br />

Was ist das?<br />

Erkennen Sie, was auf diesem Foto<br />

zu sehen ist?<br />

Schreiben Sie uns Ihre Antwort (unbedingt<br />

mit Angabe Ihrer Postadresse)<br />

bis zum 15. Mai <strong>2021</strong> an die Redaktion<br />

<strong>Klinikmagazin</strong>, Bachstraße 18, 07743<br />

Jena oder per Mail an presse@med.<br />

uni-jena.de. Unter den Einsendern<br />

mit der richtigen Antwort verlosen<br />

wir unter Ausschluss des Rechtswegs<br />

einen Büchergutschein im Wert von<br />

40 Euro sowie drei Büchergutscheine<br />

im Wert von je zehn Euro, die von<br />

der Jenaer Universitätsbuchhandlung<br />

gesponsert werden.<br />

Auflösung<br />

In Heft 136 suchten wir:<br />

„DaVinci“ Operationsroboter<br />

Gewinner des 40-Euro-Gutscheins:<br />

Rosel Herrmann<br />

Gewinner der 10-Euro-Gutscheine:<br />

David Buckreus, Dirk Traber,<br />

Renate Schweigel<br />

Impressum<br />

Ausgabe: 1|<strong>2021</strong>, Nummer 137<br />

Herausgeber:<br />

V.i.S.d.P.:<br />

Redaktionsleitung:<br />

Redaktionsteam:<br />

Layout:<br />

Druck:<br />

Auflage:<br />

Universitätsklinikum Jena | Bachstraße 18 | 07743 Jena<br />

<strong>UKJ</strong> Förderverein | Am Klinikum 1 | 07747 Jena<br />

Annett Lott, Stabsstelle Unternehmenskommunikation<br />

Anke Schleenvoigt<br />

Katrin Bogner (kbo), Anne Curth (ac), Dr. Uta von der Gönna (vdG), Michelle Korneli (me), Annett Lott (ane),<br />

Anke Schleenvoigt (as)<br />

Klinisches Medienzentrum des Universitätsklinikums Jena<br />

Druckhaus Gera<br />

8 000 Exemplare<br />

Erscheinungsweise: 4 Ausgaben pro Jahr / Die nächste Ausgabe erscheint im Juli <strong>2021</strong><br />

Kontakt:<br />

Tel.: 03641 9-39 11 81, E-Mail: presse@med.uni-jena.de<br />

Wenn aus Gründen der besseren Lesbarkeit im Text die männliche Form gewählt wurde, beziehen sich die Angaben auf Angehörige<br />

beider Geschlechter. Nachdruck von Inhalten nur mit Genehmigung der Unternehmenskommunikation des Universitätsklinikums Jena<br />

(<strong>UKJ</strong>) gestattet.<br />

01 | 21<br />

37


TERMINE & KONTAKTE<br />

Veranstaltungen April bis Juni <strong>2021</strong><br />

GEBURTSVORBEREITUNGSKURSE<br />

25. / 26.5.<strong>2021</strong><br />

Dienstag: 17.00 bis 20.00 Uhr und Mittwoch: 16.00 bis 20.30 Uhr<br />

Der Kompaktpaarkurs zur Geburtsvorbereitung vermittelt die wesentlichen Abläufe und Informationen rund um die Geburt<br />

und möchte werdenden Eltern Sicherheit für die bevorstehende Geburt geben. Die Kurse finden derzeit online statt.<br />

Weiterer Termin: 8./9.6.<strong>2021</strong><br />

Weitere Informationen und Anmeldung unter:<br />

geburtsvorbereitung@med.uni-jena.de<br />

https://www.uniklinikum-jena.de/geburtsmedizin/Geburtsvorbereitungskurse.html<br />

FORTBILDUNGEN FÜR PFLEGENDE<br />

3.5.<strong>2021</strong><br />

9.00 bis 16.30 Uhr<br />

Basale Stimulation<br />

in der Kinderkrankenpflege<br />

– Grundlagenwissen<br />

Weiterer Termin: 4.5.<strong>2021</strong><br />

5.5.<strong>2021</strong><br />

9.00 bis 16.30 Uhr<br />

Basale Stimulation<br />

in der Kranken- und<br />

Kinderkrankenpflege<br />

für<br />

Fortgeschrittene<br />

6.5.<strong>2021</strong><br />

14.00 bis 16.00 Uhr<br />

Rechtsgrundlagen in<br />

der Krankenpflege<br />

(Teil 1)<br />

7.5.<strong>2021</strong><br />

14.00 bis 15.30 Uhr<br />

Wenn das Essen<br />

zur Qual wird –<br />

Essstörung, eine<br />

psychosomatische<br />

Erkrankung<br />

11.5.<strong>2021</strong><br />

9.00 bis 16.00 Uhr<br />

Konfliktmanagement<br />

für leitende<br />

Pflegefachkräfte<br />

Weiterer Termin: 4.5.<strong>2021</strong><br />

18.5.<strong>2021</strong><br />

14.00 bis 15.30 Uhr<br />

Postoperative<br />

Versorgung von<br />

Patienten mit<br />

Drainagen<br />

19.5.<strong>2021</strong><br />

14.00 bis 16.00 Uhr<br />

Pflege international<br />

21.5.<strong>2021</strong><br />

11.00 bis 15.00 Uhr<br />

Kultursensible<br />

Pflege – Verständnis<br />

fördert Heilung<br />

26.5.<strong>2021</strong><br />

14.00 bis 15.30 Uhr<br />

Medikamente und<br />

ihre Wirkung bei<br />

älteren Patienten<br />

28.5.<strong>2021</strong><br />

9.00 bis 12.30 Uhr<br />

Intersexualität –<br />

gendergerecht<br />

pflegen<br />

Informationen und Anmeldung über: pflegefortbildung@med.uni-jena.de / Tel. 03641 9-39 51 54<br />

ONKO-KREIS<br />

Die Thüringische Krebsgesellschaft e.V. und die Ambulanz für Naturheilkunde und Integrative Onkologie der Klinik<br />

für Innere Medizin II bieten Krebserkrankten und ihren Angehörigen regelmäßig Vorträge an. Die Teilnahme ist<br />

kostenfrei, eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Im Rahmen der Vorträge werden gerne Ihre Fragen beantwortet.<br />

Alle Veranstaltungen finden derzeit virtuell als Online-Seminar statt. Wenn es die Pandemiebedingungen zum Zeitpunkt<br />

der Veranstaltung zulassen, wird diese zusätzlich als Präsenzveranstaltung in den neuen Geschäftsräumen<br />

der TKG, Am Alten Güterbahnhof 5 in 07743 Jena, durchgeführt. Bitte informieren Sie sich im Vorfeld auf der Webseite:<br />

https://krebsgesellschaft-thueringen.de/alle-veranstaltungen.html<br />

17.5.<strong>2021</strong><br />

16.00 bis 17.00 Uhr<br />

Patientenverfügung:<br />

wichtig – aber<br />

richtig!<br />

Referent:<br />

Dr. Albrecht Seifert,<br />

Facharzt für<br />

Anästhesiologie i.R.<br />

31.5.<strong>2021</strong><br />

16.00 bis 17.00 Uhr<br />

Krebs und Psyche –<br />

Wie kann ich<br />

Betroffenen helfen?<br />

Referentin:<br />

Luisa Heydt,<br />

Thüringische<br />

Krebsgesellschaft e.V.<br />

14.6.<strong>2021</strong><br />

16.00 bis 17.00 Uhr<br />

Ernährung bei<br />

laufenden<br />

Therapien – kann<br />

ich Nebenwirkungen<br />

lindern?<br />

Referentin:<br />

Viktoria Matthies,<br />

UniversitätsTumor-<br />

Centrum Jena<br />

21.6.<strong>2021</strong><br />

16.00 bis 17.00 Uhr<br />

Die zehn größten<br />

Bewegungsmythen<br />

Referent:<br />

Dr. Steffen Derlien,<br />

Institut für<br />

Physiotherapie, <strong>UKJ</strong><br />

24.6.<strong>2021</strong><br />

16.30 bis 17.45 Uhr<br />

Komplementäre<br />

Medizin - Was kann<br />

mir helfen?<br />

Referentin:<br />

Prof. Dr. Jutta Hübner,<br />

Klinik für<br />

Innere Medizin II<br />

38 01 | 21


TERMINE & KONTAKTE<br />

Wegweiser für Patienten<br />

ZENTRALE<br />

RUFNUMMERN<br />

KLINIK-<br />

SOZIALDIENST<br />

KLINIK-<br />

SEELSORGE<br />

Zentrale Klinikum<br />

Tel.: 03641 9-300<br />

Empfang Haupteingang<br />

Tel.: 03641 9-32 08 50<br />

Empfang Haus E<br />

Tel.: 03641 9-32 80 20<br />

Beratung u.a. zu Anschlussheilbehandlung<br />

und Rehabilitation,<br />

häuslicher Krankenpflege,<br />

Pflegestufen, Schwerbehindertenausweis;<br />

pychosoziale Beratung<br />

Kontakt:<br />

Yvonne Wiese (Leiterin)<br />

Tel.: 03641 9-32 02 91<br />

yvonne.wiese@med.uni-jena.de<br />

EVANGELISCHE KLINIKSEELSORGE:<br />

Pastorin Babet Lehmann<br />

Tel.: 0151-17 10 14 93<br />

Pastorin Ulrike Spengler<br />

Tel.: 0151-17 10 14 94<br />

KATHOLISCHE KLINIKSEELSORGE:<br />

Dominik Gehringer<br />

Tel.: 01523-21 87 679<br />

FÖRDERVEREIN<br />

WIR FÖRDERN PROJEKTE<br />

für Patienten und Mitarbeiter – in<br />

Forschung und Lehre – zur Vernetzung<br />

und Öffentlichkeitsarbeit<br />

Spendenkonto:<br />

Sparkasse Jena-Saale-Holzland<br />

IBAN: DE89830530300000028010<br />

BIC: HELADEF1JEN<br />

Vorsitzender:<br />

PD Dr. Dr. Michael Kiehntopf<br />

foerderverein@med.uni-jena.de<br />

Tel.: 03641 9-32 50 01<br />

BESUCHS-<br />

DIENST DER<br />

KLINIKSEELSORGE<br />

Die ehrenamtlich Tätigen nehmen<br />

sich Zeit zum Zuhören, Plaudern,<br />

Spielen, Vorlesen & erledigen<br />

kleine Besorgungen.<br />

Kontakt:<br />

Babet Lehmann<br />

Tel.: 0151 17 10 14 93<br />

PATIENTENFÜR-<br />

SPRECHERINNEN<br />

KLINISCHES<br />

ETHIKKOMITEE<br />

Beratung und Hilfestellung<br />

für Patienten, Angehörige und<br />

medizinisches Personal bei<br />

ethischen Konflikten in Therapie<br />

und Pflege<br />

Kontakt:<br />

Dr. Ulrike Skorsetz<br />

(Leiterin Geschäftsstelle)<br />

Tel.: 03641 9-33 775<br />

Mobil: 0151-16 35 93 41<br />

ulrike.skorsetz@med.uni-jena.de<br />

EINKAUFS-<br />

MÖGLICHKEITEN<br />

Blumen im Klinikum<br />

Mo bis Fr: 8 - 17 Uhr<br />

Sa: 13 - 17 Uhr<br />

Tel.: 03641 - 35 01 30<br />

Imbiss und Shop<br />

Mo bis Fr: 8 - 18 Uhr<br />

Sa: 9 - 12.30 Uhr & 13 - 17 Uhr<br />

So und Feiertage: 13 - 18 Uhr<br />

Tel.: 03641- 22 62 95<br />

Ansprechpartner für Anregungen<br />

und Beschwerden von Patienten<br />

KLINIKUM LOBEDA, Mitarbeiterservice<br />

in der Magistrale<br />

Christine Börner | 0170-45 89 890<br />

Maria Lasch | 0151-12 21 16 05<br />

Sprechzeit: Mi. 13.30 – 15.00 Uhr<br />

Klinik für Psychiatrie<br />

Dr. Edgar Becker<br />

Antje Standau-Gröschner<br />

patientenfuersprecher<br />

@med.uni-jena.de<br />

Tel. 03641 9-39 01 01<br />

01 | 21<br />

39


Wir spenden Blut.<br />

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www.blut-ist-leben.de<br />

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Institut für Klinische Transfusionsmedizin Jena gGmbH | Universitätsklinikum Jena | Bachstraße 18 | 07743 Jena

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