UKJ-Klinikmagazin 1/2021
Blut - Saft des Lebens
Blut - Saft des Lebens
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FORSCHEN<br />
Smarter Stresswächter am Handgelenk<br />
Mit selbstlernender App Stresssituationen erkennen und ihnen entgegenwirken<br />
„Pling! - Fühlen Sie sich im Moment unter Druck? – Wollen<br />
Sie bei einigen Atemübungen entspannen?“, so könnte sich<br />
die Cello-App bei Träger oder Nutzerin melden, wenn deren<br />
Fitnesstracker oder Smartwatch auffällige Werte misst. Diese<br />
modernen, am Körper getragenen „Wearables“ können Atemfrequenz<br />
und Herzfunktion erfassen – wann diese auffällig<br />
sind für ein erhöhtes Stresslevel des Nutzers und wie die<br />
Trägerin am wirksamsten entspannen kann, das soll die Cello-<br />
App wissen, und zwar ganz individuell, weil sie es von und mit<br />
dem Nutzer gelernt hat.<br />
Ein Team aus Ärzten, Psychologen, Informatikern und Anwendungsentwicklern<br />
startet jetzt die Entwicklungsarbeit an<br />
dem System, das Methoden des maschinellen Lernens nutzt.<br />
„Zunächst werden wir aufwendige Studien zur Erfassung<br />
von Stressfaktoren und zur Charakterisierung individueller<br />
Stressunterschiede planen und durchführen, um in sehr<br />
genauen Messungen die Trainingsdaten für den Algorithmus<br />
zu erzeugen“, beschreibt Prof. Dr. Martin Walter das Vorgehen.<br />
Der Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am<br />
<strong>UKJ</strong> koordiniert das Projekt und leitet die Studien. Darin werden<br />
neben detaillierten Interviews physiologische Parameter<br />
wie Puls, Atemfrequenz, EKG und Hautwiderstand, Daten aus<br />
EEG- und MRT-Messungen sowie genetische und hormonelle<br />
Daten erfasst.<br />
Diese genauen Stressmarker dienen als Referenzsystem für<br />
die von den Fitnesstrackern gemessene Herzfrequenzvariabilität,<br />
die die Fähigkeit beschreibt, die Herzfrequenz den<br />
körperlichen und mentalen Anforderungen anzupassen.<br />
„Diese Fähigkeit lässt nach, wenn das Stresslevel über längere<br />
Zeit erhöht ist. Dem kann man zum Beispiel mit Biofeedback-<br />
Training entgegenwirken und die Herzfrequenzvariabilität<br />
steigern“, so Prof. Dr. Veronika Engert vom Institut für Psychosoziale<br />
Medizin, Psychotherapie und Psychoonkologie am<br />
<strong>UKJ</strong>. Sie wird im Projekt Studiendaten zur Wirksamkeit dieses<br />
Trainings sammeln, an denen sich die App auch messen lassen<br />
muss. Denn das System soll nicht nur personalisiert auf<br />
das Stresslevel aufmerksam machen, sondern auch individualisierte<br />
Empfehlungen geben.<br />
Parallel zu diesen Studien entwickeln IT-Spezialisten der<br />
Universität des Saarlandes, des Fraunhofer Instituts für Grafische<br />
Datenverarbeitung in Rostock und der mHealth Pioneers<br />
GmbH in Berlin den maschinellen Lernalgorithmus, die<br />
Schnittstelle zum Fitnesstracker und die Software-Oberfläche<br />
für die App, deren Rohversion dann mit den Studiendaten<br />
trainiert wird. Dabei stellen die Einbindung der verschiedenen<br />
Gerätestandards, die Berücksichtigung der verschiedensten<br />
Alltagssituationen und der Datenschutz besondere Herausforderungen<br />
dar.<br />
Ist der Algorithmus justiert, folgen Feldstudien, in denen<br />
Testnutzer handelsübliche Smartwatches tragen werden<br />
und in den Dialog mit der App treten. Mit jeder Rückmeldung<br />
des Nutzers lernt die Software ihn besser kennen, kann in<br />
den richtigen Situationen warnen, immer bessere Prognosen<br />
erstellen und passgenauere Hilfsangebote unterbreiten.<br />
Anhand des Lernverhaltens der App und der Treffsicherheit<br />
ihrer Warnungen und Vorschläge erfolgt dann iterativ die<br />
Kalibrierung und Optimierung des Systems. Prof. Walter: „Mit<br />
der Cello-App wollen wir ein einfaches und geräteunabhängiges<br />
Tool zum personalisierten Stressmonitoring entwickeln.<br />
Allein das Bewusstmachen stressauslösender Faktoren ist<br />
ein Gewinn für die Nutzer. Die App soll mit Hilfe von künstlicher<br />
Intelligenz und im Dienst der Gesundheit den Dialog<br />
von Mensch und Maschine vermitteln.“ Das BMBF fördert die<br />
Partner in Jena, Rostock, Berlin und Saarbrücken mit knapp<br />
einer Million Euro.<br />
Uta von der Gönna<br />
Die geräteunabhängige und selbstlernende Cello-App soll personalisiert in<br />
Stresssituationen warnen und Angebote zur Stressreduktion unterbreiten.<br />
Foto: Uta von der Gönna<br />
28 01 | 21