Blut Saft des Lebens „Blut ist ein ganz besonderer Saft“, wusste schon Mephisto in Goethes Faust. Doch was macht Blut so einzigartig? Ein Gespräch mit Prof. Dr. Andreas Hochhaus. Er leitet am Universitätsklinikum Jena die Klinik für Innere Medizin II, Hämatologie und Internistische Onkologie. 4 01 | 21
TITELTHEMA Hatte Mephisto Recht, als er in der Wette mit Faust Blut als ganz besonderen Saft bezeichnete? Prof. Hochhaus: Ja, ich denke, die Bezeichnung trifft noch heute zu. Weil Blut für das Leben des Menschen essentiell ist. Weil es auch viele lebensbedrohliche Krankheiten gibt, die mit dem Blut zusammenhängen, wir aber auch mit Blut heilen können. Und weil Blut Bande schafft. Wir lasen bei Karl May von den Blutsbrüdern Winnetou und Old Shatterhand. Und nicht umsonst sprechen wir von Blutsverwandtschaft, wenn wir uns in der Familie bewegen und ausdrücken möchten, dass wir eine besondere Verbindung beispielsweise zu unseren Eltern, Geschwistern oder Kindern haben. Welche wesentlichen Aufgaben schreiben wir dem Blut zu? Prof. Hochhaus: Blut verbindet alle Organe unseres Körpers, weil es überall hindurchfließt und alle Organe mit Sauerstoff versorgt. Es transportiert zudem alles ab, was an „Abfall“ übrigbleibt, gemeint ist natürlich das Kohlendioxid, das abgeatmet werden muss. Aber es gibt auch andere Stoffe, die entstehen und über Leber und Niere abgebaut werden und dafür erst einmal dorthin transportiert werden müssen. Blut reguliert außerdem, indem es stärker oder weniger stark in die Körperregionen fließt, Wärme und Kälte unseres Körpers. Nicht zu vergessen die Blutzellen, hier zunächst die weißen Blutkörperchen, die unverzichtbar für unsere Immunabwehr sind. Hinzu kommen die roten, die, wie schon erwähnt, für den Sauerstofftransport verantwortlich sind. Als dritte Zellart wären die Blutplättchen zu nennen, sie regeln die zelluläre Blutgerinnung. Last but not least das Blutplasma, das die plasmatische Gerinnung steuert, aber auch im Zusammenhang mit der Immunabwehr die Antikörper, Komplementfaktoren und Botenstoffe transportiert. Stichwort Blutgruppen. Es gibt vier: A, B, AB und 0. Wie relevant sind sie bei der Entstehung und Ausprägung von Krankheiten? Prof. Hochhaus: Das AB0-System wurde 1901 von Karl Landsteiner beschrieben, wofür er 1930 den Nobelpreis für Medizin bekam. Im Zusammenhang mit COVID-19 hatte eine Meldung die Runde gemacht, dass eine Blutgruppe einen besonderen Schutz bieten würde. Das hat sich als Falschmeldung erwiesen und wurde widerlegt. Es gibt immer wieder Berichte über Assoziationen von Blutgruppen zu bestimmten Krankheiten, die häufig in Validierungsstudien nicht belegt werden. Aber die Blutgruppen spielen natürlich eine große Rolle, wenn ein Blutersatz erforderlich wird. Dieser muss natürlich blutgruppenspezifisch gemacht werden. Ansonsten würde ich spezielle Blutgruppen mit bestimmten Krankheiten nicht in Verbindung bringen wollen. Hier gibt es keine belastbaren Daten. Prof. Dr. Andreas Hochhaus Was bezeichnen wir als typische Erkrankungen des Blutes? Prof. Hochhaus: Beginnen wir mit der Leukämie, da sie immer als unmittelbar lebensbedrohlich und für den betroffenen Patienten als wirklich schlimm verstanden wird. Hier unterscheiden wir vom Verlauf chronische und akute Leukämien, von der betroffenen Zelllinie myeloische und lymphatische Formen. Andere schwere Erkrankungen des Blutes sind die Erkrankungen des Gerinnungssystems, die angeboren sein können. Gemeint sind hier die sogenannten Blutererkrankungen, medizinisch Hämophilie. Eine weitere akute Form der Gerinnungsstörung sind die Erkrankungen der Blutplättchen, insbesondere die Thrombozytopenien. Die Immunthrombozytopenie (ITP) tritt plötzlich auf und ist unmittelbar lebensbedrohlich, weil sie die Zahl der Thrombozyten nahe Null bringt und dadurch den zellulären Teil der Gerinnung außer Kraft setzt. Nicht zu vergessen die Anämie, umgangssprachlich Blutarmut genannt. Hier gibt es sehr viele unterschiedliche Formen und Interaktionen mit allen Organsystemen. Speziell die Eisenmangelanämie ist die in Deutschland am häufigsten auftretende Erkrankung des Blutes. Insgesamt möchte ich aber sagen, dass wir bei all diesen Erkrankungen – auch den lebensbedrohlichen – heute sehr gute Behandlungsmöglichkeiten haben, die im Einzelfall eine langfristige Überlebenschance bieten. Voraussetzung ist natürlich eine schnelle und gezielte Diagnostik und strukturierte Therapieplanung, sodass auf deren Grundlage der Schrecken über die Erkrankung relativiert werden kann. Stichwort Blutbild. Es ist in der Diagnostik immer eines der ersten Mittel. Spiegelt mein Blut meinen Gesundheitszustand wirklich so deutlich wider? Prof. Hochhaus: Wenn es so einfach wäre, bräuchten wir nicht diese angewandte Breite an diagnostischen → 01 | 21 5