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Pieks_2021_02_26

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AUSGABE<br />

1 / <strong>2<strong>02</strong>1</strong><br />

Deutschland 7,90 €<br />

Österreich 8,90 €<br />

Schweiz 12,50 CHF<br />

Luxemburg 9,30 €<br />

Impfen<br />

WAS SIE<br />

WIRKLICH ÜBERS<br />

WISSEN MÜSSEN<br />

KINDER UND IMPFEN<br />

Ein Ratgeber für Eltern<br />

mit Corona-Special<br />

DIE GROSSE ANGST<br />

10 Sorgen vorm Impfen:<br />

der Faktencheck<br />

WIRD ES WIEDER NORMAL?<br />

Wie das Leben nach<br />

der Impfung weitergeht


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PIEKS ∙ EDITORIAL<br />

UNSER NEUES HEFT<br />

Die Schlüsse müssen<br />

Sie schon selbst ziehen<br />

Herzlich willkommen zu pieks! Sie halten unser neues Magazin in Händen.<br />

Unter dem Motto „Ehrlich. Sachlich. Kompetent.“ wollen wir künftig<br />

Themen „anpieksen“, die Menschen interessieren, aufregen oder ängstigen.<br />

Dabei möchten wir Fakten darstellen, Positionen aufzeigen, Argumente bringen<br />

– und Ihnen all das verständlich erklären. Denn wer mitreden und sich eine eigene<br />

Meinung bilden will, der muss zuerst eines tun: sich informieren. Lesen. Und<br />

zwar mehr als Social Media in<br />

der eigenen Filterblase. Dafür ist<br />

pieks da. Wir wollen nicht Stellung<br />

beziehen und schon gar nicht<br />

„ missionieren“. Wir wollen, dass<br />

Sie nach dem Lesen des Hefts selbst<br />

die Schlüsse ziehen können.<br />

Gleich in dieser ersten Ausgabe<br />

haben wir uns das wohl meistdiskutierte<br />

Thema dieser Tage<br />

vorgenommen: Impfen. Was<br />

spricht für eine Corona-Impfung?<br />

Was dagegen? Wie erfolgreich waren<br />

Impfungen in der Geschichte? Welche<br />

Gefahren haben sie mit sich gebracht? Wie bewertet man überhaupt die Risiken?<br />

Zu all diesen Fragen und mehr finden Sie auf den folgenden Seiten Antworten.<br />

Wir hoffen, wir können Sie mit dieser Ausgabe über das Impfen überzeugen.<br />

Nicht dazu, sich impfen zu lassen. Sondern dass unser neues Magazin pieks eine<br />

gute Quelle für alle Fakten und Sichtweisen rund um ein wichtiges Thema ist.<br />

Übrigens: Die laut Duden „falsche“ Schreibweise pieks finden wir schöner, sie<br />

ist zudem vielfach in Gebrauch – deshalb bleiben wir dabei.<br />

Wir freuen uns auf Ihre Zuschriften unter redaktion@pieks-magazin.de.<br />

Bleiben Sie gesund!<br />

Thomas Borchert<br />

Chefredakteur pieks<br />

Wer mitreden will,<br />

muss sich<br />

schlaumachen!<br />

Thomas Borchert<br />

Chefredakteur pieks<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong> 3


INHALT<br />

IMPFEN<br />

INHALT<br />

CORONA-SPECIAL<br />

‸ Menschen Corona ist eine Herausforderung<br />

für jeden. Wir stellen<br />

zehn Persönlichkeiten vor, die uns<br />

besonders aufgefallen sind ......... Seite 6<br />

‸ 15 Fragen Einfache Antworten auf<br />

die meistgestellten und nicht immer<br />

einfachen Fragen zu Corona ....... Seite 12<br />

‸ Skepsis Was treibt Menschen um, die<br />

sich nicht impfen lassen wollen? Welche<br />

Ängste beschäftigen sie? Wir haben<br />

einige getroffen ......................... Seite 18<br />

‸ Apotheker Ständig wird uns sein Rat<br />

empfohlen. Wir sprechen mit einem<br />

über die Corona-Impfstoffe ........ Seite 22<br />

‸ Impfstoffe Gesucht: der richtige, der<br />

passende, der unbedenklichste<br />

Impfstoff. Die wichtigsten Vakzinen<br />

im Steckbrief-Format ................. Seite <strong>26</strong><br />

‸ Impft die Massen! Aber funktioniert<br />

das auch? Wir haben uns ein Impfzentrum<br />

von innen angesehen und die<br />

Lieferketten verfolgt ................. Seite 32<br />

‸ Impfpflicht durch die Hintertür?<br />

Vorteile für Geimpfte – was spricht<br />

dafür, was dagegen? ................... Seite 36<br />

44<br />

Forschung:<br />

Warum bei<br />

Corona alles so<br />

schnell ging<br />

18<br />

Skepsis: Stellvertretend<br />

für viele erklärt<br />

Alexander Heß<br />

seinen Standpunkt<br />

FORSCHUNG ERKLÄRT<br />

‸ Wie Impfen funktioniert Was<br />

im Körper passiert, sobald die Spritze<br />

zugestochen hat ...................... Seite 38<br />

‸ Wo der Impfstoff herkommt<br />

Das Schaubild zeigt, wie Impfstoffe<br />

entwickelt und zugelassen werden –<br />

und erklärt, warum es bei Corona so<br />

schnell ging ..............................Seite 44<br />

ANGST & SKEPSIS<br />

‸ Impfangst Welche Gründe sie hat,<br />

wann sie berechtigt ist und wie man<br />

mit ihr umgeht .........................Seite 48<br />

‸ 10 Corona-Ängste Gerüchte,<br />

Fehlinformationen, Vorurteile – Impfängste<br />

im Faktencheck ............Seite 54<br />

‸ Risiken Wie man die Gefahren von<br />

Krankheiten, Impfungen und<br />

anderen Alltagsrisiken vernünftig<br />

einschätzen kann ..................... Seite 58<br />

KINDER-RATGEBER<br />

‸ Kinder impfen? Dieser unter<br />

Eltern umstrittenen Frage widmet<br />

sich ein ganzes Kapitel,<br />

zeigt die Probleme auf und liefert<br />

Antworten ................................Seite 64<br />

GESCHICHTE<br />

‸ Seuchen Verheerende Krankheiten<br />

gab es schon immer. Ein spannender<br />

Gang durch die Geschichte<br />

der schlimmsten Epidemien der<br />

Menschheit ............................... Seite 72<br />

‸ Impfklassiker Viele Krankheiten, die<br />

den Menschen zusetzten, wurden mit<br />

Impfungen besiegt – doch dabei ging<br />

nicht immer alles glatt. Was Impfstoffe<br />

gegen Polio, Masern, Tetanus<br />

und Pocken bewirkt haben ....... Seite 78<br />

4<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong>


78<br />

Vergangene<br />

Schrecken:<br />

Gegen Krankheiten<br />

wie Kinderlähmung<br />

wurde geimpft<br />

WISSEN<br />

‸ Impfplan Wissen Sie, wogegen Sie<br />

geimpft sind – oder sein sollten? Und<br />

wann? Wir zeigen es Ihnen ............. Seite 84<br />

‸ Behandlung Gibt es ein Mittel für Corona-<br />

Erkrankte, bei denen eine Impfung zu<br />

spät kommt? Die Antwort – und wie die<br />

Medikamente funktionieren ........... Seite 88<br />

‸ Alles wieder normal? Wie unser Leben<br />

weitergeht, wenn erst einmal alle<br />

geimpft sind – ein Ausblick ............. Seite 94<br />

MARC DIETENMEIER, GETTY IMAGES (2), THOMAS KAPPES<br />

94<br />

Das neue Normal:<br />

Wann wird es<br />

wieder wie früher?<br />

Und wird es das?<br />

RUBRIKEN<br />

‸ Editorial .......................................... Seite 3<br />

‸ Impressum ......................................Seite 77<br />

‸ Reaktionen ..................................... Seite 98<br />

IMPFEN<br />

Wir freuen uns auf Ihre Meinung, Kritik und Themenideen für weitere Ausgaben<br />

E-Mail: redaktion@pieks-magazin.de<br />

Facebook: @pieksmagazin<br />

Instagram: @pieksmagazin<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong> 5


CORONA ∙ MENSCHEN<br />

GANZ NORMAL<br />

IMPFSTOFF<br />

ZAHLT SICH AUS<br />

An der Kasse im Supermarkt<br />

hätte sie bis vor Kurzem niemand<br />

erkannt: Özlem Türeci und Uğur<br />

Şahin. Heute weiß jeder: Das Mainzer<br />

Mediziner- und Forscherehepaar<br />

brachte in der EU den ersten<br />

Impfstoff gegen Corona auf den<br />

Markt. Mit ihrer börsennotierten<br />

Firma Biontech setzen Türeci<br />

und Şahin ein ursprünglich zur<br />

Krebsbekämpfung in der Entwicklung<br />

befindliches Impfprinzip gegen<br />

Covid-19 ein. Auch finanziell hat sich<br />

die Impfstoff-Entwicklung für die<br />

beiden Forscher gelohnt. Laut<br />

Finanzportal Bloomberg beläuft<br />

sich der Börsenwert ihrer<br />

Firmenanteile derzeit auf rund<br />

vier Milliarden Euro.<br />

Mehr zu den Impfstoffen ab Seite <strong>26</strong><br />

FOTO: BIONTECH SE (2), DPA PICTURE-ALLIANCE<br />

6<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong>


PROMIS GEGEN IMPFEN<br />

IMPFUNG SCHULD AN AUTISMUS?<br />

US-Moderatorin und Ex-Playmate Jenny McCarthy ist Mutter eines an Autismus erkrankten Sohns.<br />

Verantwortlich für Evans Zustand machte sie lange Zeit die Impfungen, die er erhalten hatte. Auch sonst hielt sie<br />

sich mit ihrer Meinung zu krank machenden Impfungen kaum zurück, wie hier auf einer Kundgebung 2008 mit<br />

ihrem damaligen Lebensgefährten, US-Schauspieler Jim Carrey. Inzwischen hat McCarthy ihre vehemente Abneigung<br />

gegen das Impfen relativiert. „Ich bin nicht gegen alle Impfungen“, erklärte sie dem Onlinedienst<br />

The Daily Beast. „Aber man sollte aufmerksam sein, sich informieren und Fragen stellen.“ Carrey selbst zieht<br />

­weiterhin­für­saubere­Impfstoffe­ohne­schädliche­Zusätze­ins­Feld­–­meist­per­Twitter.<br />

Mehr zur Angst vorm Impfen ab Seite 48<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong> 7


CORONA ∙ MENSCHEN<br />

DER RUHESTÄNDLER<br />

HAMBURGS IMPFCHEF<br />

Mehr als 2000 Kindern half er als Chefgynäkologe<br />

des bekannten Hamburger Marienkrankenhauses<br />

auf die Welt. Die „Bild“-Zeitung nennt ihn liebevoll<br />

den Baby-Papst. Nun ist Prof. Dr. Hans-Peter<br />

Scheidel (71) aus dem Ruhestand zurückgekehrt<br />

und arbeitet im zentralen Impfzentrum in den<br />

Hamburger Messehallen. Der sportliche Jeansträger<br />

ist hier als leitender Arzt unterwegs. „Ich<br />

unterstütze unsere jungen Impfärzte. Wenn da ein<br />

84-Jähriger seine 79-jährige Frau als angeblich 80<br />

verkauft, damit sie in die erste Prioritätengruppe<br />

rutscht, muss ich entscheiden“, sagt er lachend.<br />

Impfen findet er wichtig: „Ich war der Erste, der in<br />

den Messehallen geimpft wurde.“ Sein Rezept bei<br />

Impfangst: „Als erfahrener Arzt merkt man schnell,<br />

ob es einen inneren Widerstand gibt. Dann rate<br />

ich: Sprechen Sie mal mit jemandem, der Ihnen<br />

nahesteht und eine andere Meinung hat.“<br />

Mehr zu Abläufen und Problemen in<br />

den Impfzentren ab Seite 32<br />

8<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong>


FOTO: GETTY IMAGES, LAURA NENZ<br />

DIE KÄMPFERIN<br />

ITALIENS CORONA-GESICHT<br />

Lucia Premoli wird geimpft und zum prägenden Gesicht Europas bei der Corona-Impfung. Die Intensivkrankenschwester<br />

aus Codogno südöstlich von Mailand war unter den Allerersten des Krankenhauspersonals,<br />

die geimpft wurden. Sie sei dankbar für „die Gelegenheit, die das Krankenhaus mir bot: ein Vorbild für all<br />

meine Kollegen zu sein“, sagte sie danach. Premoli wusste genau, wovon sie redet. Schließlich war sie es, die<br />

Anfang 2<strong>02</strong>0 als Erste einen schwerstkranken Patienten pflegte: Mattia Maestri, Italiens Coronainfizierten<br />

Nummer 1. Der war bis Februar 2<strong>02</strong>0 ein gewöhnlicher junger Mann, 37 Jahre alt, sportlich. Wie Premoli wohnte<br />

er in Codogno. Er kam mit Lungenentzündung in ihr Krankenhaus. Covid-19, wie sich herausstellte, der<br />

erste bekannte Fall in Italien. Er hat es nach schwerem Kampf überlebt, auch dank Premoli.<br />

Mehr zu Impfungen ab Seite 38<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong> 9


CORONA ∙ MENSCHEN<br />

FRANKREICH<br />

WISSEN DIE<br />

FRANZOSEN<br />

MEHR?<br />

FOTO: GETTY IMAGES (2), PRIVAT (2)<br />

Dass ausgerechnet unsere Lieblingsnachbarn,<br />

die Franzosen,<br />

schon wieder Weltmeister sind,<br />

sieht manch einer leicht irritiert.<br />

Denn die Franzosen führen mit<br />

dem größten Anteil von Impfgegnern<br />

und -skeptikern in der<br />

Bevölkerung. Rund 63 Prozent<br />

der Franzosen wollen sich, Stand<br />

Ende Januar, der Corona-Impfung<br />

verweigern. Nur, warum?<br />

Was wissen die Franzosen, was<br />

uns vorenthalten bleibt? Viele<br />

meinen, die hohen Zahlen seien<br />

schlicht Ausdruck der französischen<br />

Grundskepsis gegenüber<br />

der Politik.<br />

Mehr zur Impfskepsis in<br />

Deutschland ab Seite 18<br />

INTENSIVSTATION<br />

NEBENWIRKUNGEN<br />

Als Krankenschwester auf der Intensivstation eines<br />

bayerischen Klinikums weiß Tanja S. sehr genau,<br />

warum sie die Impfungen wollte. Wo Menschen<br />

sterben, wird alles andere egal. So krempelte<br />

sie ohne zu zögern ihren Ärmel hoch. Die erste Dosis<br />

im Dezember lief gut. Mitte Januar aber, mit der<br />

zweiten Dosis, da wurde es heftig. Es hat sie mit<br />

voller Härte erwischt. Knapp 40 Grad Fieber, Schüttelfrost.<br />

Kopfschmerzen schlimmer, als es die migräneerfahrene<br />

Aschaffenburgerin bis dato kannte.<br />

36 Stunden lang. Doch damit nicht genug. Viele Tage<br />

danach noch Schlappheit, Vergesslichkeit. Am<br />

ersten Arbeitstag aber stand sie wieder in Schutzkleidung<br />

auf Station. Muss ja. Würde sie alles<br />

wieder machen. Besser, als selbst dort zu liegen.<br />

Mehr dazu, wie Impfen wirkt, ab Seite 38<br />

Sind Sie<br />

bereits geimpft?<br />

Schreiben Sie uns Ihre<br />

Erfahrung an<br />

redaktion@<br />

pieks-magazin.de<br />

10<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong>


WELTRANGLISTE<br />

NUMMER 1 IMPFT NICHT<br />

„Ich persönlich bin gegen Impfungen. Ich möchte<br />

nicht, dass mich jemand zwingt, einen Impfstoff<br />

einzunehmen, um reisen zu können“, war Mitte<br />

2<strong>02</strong>0 auf Facebook und Instagram zu lesen. Die<br />

Aussage stammte von der aktuellen Nummer 1 der<br />

Tennisweltrangliste, dem Serben Novak Đoković.<br />

Zwischenzeitlich forderten andere Spieler im<br />

Gegenzug eine Impfpflicht, so etwa der Brite Andy<br />

Murray. Die gab es für die Australian Open im<br />

Februar noch nicht. Die Spieler mussten vor dem<br />

Turnier für 14 Tage in strenge Quarantäne.<br />

Mehr zur Impfpflicht ab Seite 36<br />

EX-IMPFGEGNERIN<br />

EINFACH RECHERCHIERT<br />

Mit Alt-68er-Eltern und einer zuckerfreien Ernährung aufgewachsen,<br />

hat Viola Morgenbrod Impfungen lange Zeit abgelehnt.<br />

„Als ich schwanger war, war ich überzeugt, dass Impfen den plötzlichen<br />

Kindstod auslösen kann“, sagt sie. Das schrieb sie in einem<br />

Internetforum. Die vielen positiven wie negativen Reaktionen<br />

brachten sie zum Nachdenken: „Ich habe angefangen, genauer<br />

zu recherchieren, und festgestellt, dass meine Ansichten nicht zu<br />

halten waren“, erklärt die 38-Jährige. Diese Neugier führte dazu,<br />

dass sie selbst Medizin und Biologie studierte. Ihre drei Kinder hat<br />

sie übrigens vollständig impfen lassen.<br />

Mehr zu Fragen und Befürchtungen ab Seite 12 und 54<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong> 11


CORONA ∙ FRAGEN<br />

Die 15 wichtigsten<br />

Fragen rund um die<br />

Corona-Impfung<br />

Text: Verena Fischer Was bedeutet eigentlich mRNA-Technologie,<br />

was ist ein Vektor-Impfstoff, und welche Risiken gehe ich beim<br />

Impfen ein? Es gibt viele gute Fragen zur Covid-19-Impfung.<br />

Wir geben Antworten, die verständlich sind und dabei helfen,<br />

eine persönliche Impfentscheidung zu treffen<br />

12<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong>


1<br />

Die Verteilung des Covid-19-<br />

Impfstoffs erfolgt zunächst<br />

über Impfzentren. Zusätzlich gibt<br />

es mobile Impfteams, die beispielsweise<br />

in Altenheime fahren.<br />

In Einrichtungen wie Krankenhäusern<br />

können Impfungen<br />

von den dortigen Ärzten vorgenommen<br />

werden. In Hausarztpraxen<br />

wird erst mal nicht<br />

gegen Covid-19 ge impft. Das hat<br />

verschiedene Gründe. Zum einen<br />

können in großen Zentren mehr<br />

Menschen in kürzerer Zeit geimpft<br />

werden; das Ziel, die Pandemie<br />

mithilfe einer guten Impfquote<br />

Wo kann ich mich<br />

impfen lassen?<br />

einzudämmen, lässt sich so also<br />

am schnellsten erreichen. Auch<br />

für die ordnungsgemäße Lagerung<br />

mancher der neuen Impfstoffe<br />

eignen sich große Zentren besser<br />

– der Impfstoff von Biontech/<br />

Pfizer etwa muss bei Temperaturen<br />

von minus 70 Grad gelagert werden,<br />

was in Hausarztpraxen oder<br />

Apotheken nicht ohne Weiteres<br />

möglich ist. Impfzentren sind mit<br />

der nötigen Technik ausgestattet,<br />

und es können, indem täglich Hunderte<br />

Menschen vor Ort geimpft<br />

werden, große Impfstoff-Mengen<br />

aufgebraucht werden, bevor sie<br />

Impfzentren helfen, möglichst schnell eine hohe Impfquote zu erreichen.<br />

Grund: Hier können mehr Menschen in kurzer Zeit geimpft werden<br />

möglicherweise verfallen. Sobald<br />

mehr Impfstoff-Dosen zur Verfügung<br />

stehen – und auch Impfstoffe<br />

mit weniger hohen Ansprüchen an<br />

die Lagerung –, sollen aber, wie bei<br />

den meisten Impfungen, die niedergelassenen<br />

Ärzte und Ärztinnen<br />

ebenfalls impfen.<br />

2<br />

Muss ich<br />

mich selbst<br />

um einen Termin<br />

kümmern, oder werde<br />

ich eingeladen?<br />

In Bayern,<br />

Berlin, Bremen,<br />

Hamburg,<br />

Hessen,<br />

Nordrhein-<br />

Westfalen und<br />

Mecklenburg-<br />

Vorpommern kommen persönliche<br />

Einladungen per Post. Um Warteschlangen<br />

zu vermeiden, soll sich<br />

jeder Impfbereite anmelden, etwa<br />

unter der bundesweiten Rufnummer<br />

116117 (8 bis 22 Uhr) oder<br />

unter impfterminservice.de. Einige<br />

Bundesländer haben allerdings<br />

auch eigene Nummern und<br />

eigene Online-Buchungssysteme<br />

geschaltet. Eine Übersicht dazu<br />

finden Sie auf Seite 34 dieses Hefts.<br />

Wichtig zu wissen: Impfzentren<br />

laden derzeit nicht telefonisch zu<br />

Impfterminen ein. Also Achtung:<br />

Kriminelle versuchen, die teilweise<br />

verworrene Lage auszunutzen,<br />

und bieten telefonisch angebliche<br />

Hausimpfungen an.<br />

3<br />

Wie wirksam<br />

ist die Impfung?<br />

Für jeden Covid-19-Impfstoff, der zugelassen<br />

wird, muss die Wirksamkeit in klinischen<br />

Prüfungen nachgewiesen worden sein. Beispiel:<br />

Für die Zulassung des Biontech/Pfizer-Impfstoffs<br />

mit mehr als 43 000 Versuchspersonen erhielten<br />

21 700 Personen den Impfstoff, also etwa<br />

die Hälfte. Die übrigen ein unwirksames Scheinmedikament<br />

(Placebo). Von den Geimpften<br />

sind acht Teilnehmer nachweislich an Covid-19<br />

erkrankt. Unter den Teilnehmern, die ein Placebo<br />

erhielten, waren es 162 Personen. Hieraus<br />

errechnet sich für den Impfstoff von Biontech/<br />

Pfizer eine Schutz wirkung von 95 Prozent.<br />

Die zugrunde liegende Annahme: Auch in der<br />

anderen Gruppe wären ohne Impfung 162 Fälle<br />

aufgetreten, aufgrund des Impfschutzes sind es<br />

aber nur acht. Einer davon erkrankte schwer.<br />

Der Impfstoff von Moderna erreichte ähnliche<br />

Ergebnisse – er senkte das Infektionsrisiko in<br />

Studien um 94,1 Prozent. Impfstoffe gegen andere<br />

Krankheiten, etwa Grippe, gelten selbst bei<br />

nur 60 Prozent Wirksamkeit als sinnvoll.<br />

FOTO: ADOBE STOCK<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong> 13


CORONA ∙ FRAGEN<br />

4<br />

Die Nebenwirkungen und ihre<br />

Häufigkeit variieren je nach<br />

Impfstoff. Generell wird zwischen<br />

Impfreaktionen, -komplikationen<br />

und -schäden unterschieden. Impfreaktionen<br />

sind Schmerzen an der<br />

Einstichstelle, meist einhergehend<br />

mit Rötungen oder Schwellungen.<br />

Welche Nebenwirkungen gibt es?<br />

Auch kann es kurzzeitig zu (hohem)<br />

Fieber oder auch (stärkeren) Kopfund<br />

Gliederschmerzen kommen.<br />

Berichtet wurde ebenfalls von<br />

Schlappheit und Müdigkeit in den<br />

folgenden Tagen. Diese Symptome<br />

zeigen an, dass das Immunsystem<br />

auf den Impfstoff reagiert, und<br />

sollten nach wenigen Stunden,<br />

spätetens aber ein paar Tagen<br />

abklingen.<br />

Impfkomplikationen dagegen<br />

sind sehr seltene, schwerwiegende<br />

Nebenwirkungen einer Impfung.<br />

Ärzte melden sie über das Gesundheitsamt<br />

anonymisiert an das<br />

5<br />

Paul-Ehrlich-Institut, wo sie in<br />

eine Datenbank gespeist werden.<br />

Ein Impfschaden ist definiert<br />

als die gesundheitliche und wirtschaftliche<br />

Folge einer über das übliche<br />

Ausmaß einer Impfreaktion<br />

hinausgehenden gesundheitlichen<br />

Schädigung durch die Impfung.<br />

Variieren Nebenwirkungen<br />

mit<br />

dem Alter der Geimpften?<br />

Bei den zwei zugelassenen mRNA-<br />

Impfstoffen zeigt sich, dass Nebenwirkungen<br />

wie Erschöpfung, Kopfschmerzen<br />

oder Fieber bei der zweiten Impfung<br />

häufiger auftreten – vor allem bei<br />

Jüngeren. Eine Ursache dafür kann sein,<br />

dass das Immunsystem in jüngeren Jahren<br />

aktiver ist und daher stärker reagiert,<br />

wenn es in Kontakt mit Fremdstoffen<br />

oder Erregern kommt. In Norwegen und<br />

einigen anderen Ländern kam es nach<br />

der Impfung zu mehreren Todesfällen bei<br />

älteren, gebrechlichen Menschen. Allerdings<br />

konnte ein Zusammenhang mit der<br />

Impfung oder deren Nebenwirkungen<br />

bislang nicht nachgewiesen werden, die<br />

Untersuchung läuft weiter.<br />

6<br />

Schützt mich die Impfung<br />

auch gegen neue<br />

Virusvarianten?<br />

Drei Mutanten waren zu Redaktionsschluss bekannt: die britische<br />

(B.1.1.7), die südfrikanische (501.Y.V2) und die brasilianische<br />

(P1). Offenbar haben die Mutationen keine Auswirkungen auf<br />

den Schutz der mRNA-Impfstoffe, etwa von Biontech/Pfizer oder<br />

Moderna. Die Wirkung der AstraZeneca-Vakzine gegen die<br />

südafrikanische Variante scheint hingegen begrenzt zu sein. Es ist<br />

möglich, dass die Mutanten auch Menschen krank machen,<br />

die bereits mit Corona infiziert waren oder geimpft sind.<br />

Vorteil der mRNA-Impfstoffe: Sie können sehr schnell<br />

ver änderten Viren angepasst werden. Nur bedarf es dann<br />

erneuter Impfungen – wie bei der Grippe.<br />

14<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong>


7<br />

Was ist eigentlich<br />

mRNA?<br />

Möchte eine Körperzelle ein bestimmtes<br />

Eiweiß herstellen, wird<br />

der entsprechende Bauplan der DNA<br />

benötigt. Die DNA befindet sich<br />

im Zellkern mitten in der Zelle. Damit<br />

das Eiweiß produziert werden kann,<br />

braucht es zunächst eine Abschrift der<br />

relevanten Informationen. Und dafür<br />

gibt es die mRNA – sie ist sozusagen eine<br />

transportable Kopie der DNA, die aus<br />

dem Zellkern ins Zellinnere geschleust<br />

wird, wo dann das gewünschte Eiweiß<br />

produziert wird. Deswegen wird sie auch<br />

Boten-RNA genannt (englisch: messenger<br />

RNA). Bei der mRNA-Impfung enthält<br />

die mRNA den Bauplan für das stachlige<br />

Oberflächenprotein von Coronaviren.<br />

Es wird in der Zellflüssigkeit produziert,<br />

sodass anschließend das Immunsystem<br />

in Kontakt damit kommt und passende<br />

Antikörper bildet. Diese können „echte“<br />

Coronaviren im Falle einer Infektion<br />

bekämpfen. Übrigens: Coronaviren enthalten<br />

ebenfalls RNA und nutzen so<br />

die Mechanismen der Körperzelle, um<br />

sich zu vervielfältigen.<br />

FOTO: ADOBE STOCK<br />

8<br />

Wie oft muss ich mich impfen<br />

lassen, und welche Intervalle<br />

gelten dabei?<br />

Bei den bisher zugelassenen Impfstoffen sind zwei Dosen<br />

im Abstand von 21 Tagen (Biontech/Pfizer) beziehungsweise<br />

28 Tagen (Moderna sowie AstraZeneca) nötig. Es gab Diskussionen,<br />

die Intervalle zu verlängern, weil es zu wenig Impfstoff<br />

gibt. Die Ständige Impfkommission (STIKO) des Robert-Koch-<br />

Instituts rät jedoch davon ab. Es bestünde die Möglichkeit, dass es<br />

dann ein Fenster gäbe, in dem bis zur zweiten Impfung kein<br />

oder zumindest kein ausreichender Impfschutz besteht. Das aber<br />

sollte laut STIKO besser nicht sein. Denn wenn die Menschen<br />

denken, sie seien geschützt, aber nur einen Schutz von 50 Prozent<br />

oder weniger haben, wäre das eine kritische Situation.<br />

9<br />

Was passiert, wenn ich<br />

meinen zweiten Impftermin<br />

verpasst habe?<br />

Derzeit haben wir es ausschließlich mit Mitteln zu tun,<br />

die ihre volle Schutzwirkung erst nach der zweiten<br />

Impfdosis entfalten. Anders wird es lediglich bei dem Impfstoff<br />

von Janssen sein. Noch ist der aber nicht zugelassen.<br />

Deshalb sollte der zweite Termin unbedingt eingehalten<br />

werden. Gibt es triftige Gründe, den Termin nicht wahrzunehmen,<br />

wird empfohlen, die Impfung zum nächstmöglichen<br />

Zeitpunkt nachzuholen. Es gibt Daten aus den<br />

Zulassungsstudien von Biontech/Pfizer und Moderna,<br />

bei denen auch zu einem späteren Zeitpunkt geimpft<br />

wurde. Aber das waren maximal 42 Tage. Nach allem, was<br />

man aus anderen Impfungen kennt, kann man nach nur<br />

einer Impfung auch später die Immun antwort verstärken.<br />

Das könnte im Extremfall noch nach einem oder zwei<br />

Jahren sein. Aktuell liegen aber keine Daten darüber vor,<br />

wie hoch der Impfschutz in solch einem Fall ist.<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong> 15


CORONA ∙ FRAGEN<br />

Muss ich bei einem<br />

Präparat bleiben?<br />

10<br />

11<br />

Eine begonnene Impfserie<br />

muss mit dem gleichen<br />

Produkt abgeschlossen werden,<br />

auch wenn zwischenzeitlich<br />

andere Impfstoffe zugelassen<br />

worden sind – so die Empfehlung<br />

der Ständigen Impfkommission.<br />

Die Vervollständigung<br />

der Impfserie bei Personen,<br />

die bereits die erste der beiden<br />

notwendigen Impfstoff-Dosen<br />

erhalten haben, hat Priorität<br />

vor dem Beginn einer Impfung<br />

von Personen, die noch keine<br />

Impfung erhalten haben. Dafür<br />

wurde bislang Impfstoff zurückgelegt;<br />

das ändert sich wegen<br />

der Knappheit aber gerade.<br />

Was sind<br />

vektorbasierte<br />

Impfstoffe?<br />

Der AstraZeneca-Impfstoff gehört zu dieser neuen Klasse von<br />

Impfstoffen. Vektor-Impfstoffe nutzen harmlose Trägerviren,<br />

die nicht krank machen. In dem AstraZeneca-Impfstoff sind es beispielsweise<br />

Viren, die Schimpansen entnommen und so modifiziert<br />

wurden, dass sie sich nicht vermehren können. Die Vektorviren<br />

docken an Körperzellen an und entlassen ihre Gene ins Zellinnere.<br />

Mit dabei ist ein Bauplan für das Antigen – im Fall einer Covid-19-<br />

Impfung für das virale Oberflächen-Spike-Protein, das dann von<br />

der Körperzelle gebaut wird, sodass das Immunsystem Antikörper<br />

dagegen ausbilden kann.<br />

FOTO: ADOBE STOCK<br />

12<br />

Man weiß es schlicht noch<br />

nicht. Aber mal angenommen,<br />

ein Geimpfter wird von einem<br />

Covid-19-Erkrankten angehustet<br />

– dann lässt sich natürlich nicht<br />

ausschließen, dass Viren in Mund<br />

und Nase des Geimpften gelangen.<br />

Würde sich das Virus jetzt trotz<br />

Impfung in der Nase und im Mund<br />

vermehren, dann könnte der Geimpfte<br />

ansteckend sein und, auch<br />

wenn er selbst nicht erkrankt,<br />

die Viren über Aerosole auf andere<br />

übertragen.<br />

Der Punkt ist jedoch wie gesagt,<br />

dass aktuell schlichtweg keine<br />

belastbaren Daten zu dieser Frage<br />

existieren. Was aber feststeht:<br />

„Wenn die Impfung Krankheit verhindert,<br />

dann reduziert sie damit<br />

auch die Ausbreitung des Erregers“,<br />

Kann ich trotz<br />

Impfung das Virus<br />

übertragen?<br />

erklärt Prof. Christian Bogdan,<br />

Mitglied der STIKO. „Wenn also<br />

von ursprünglich 100 Leuten,<br />

die krank werden, nur noch 10<br />

krank werden, dann bedeutet das<br />

eine 90-prozentige Schutzquote.“<br />

Und: Wer nicht an Covid-19<br />

erkrankt, verbreitet das Virus auch<br />

etwas weniger. Denn Krankheitssymptome<br />

wie Husten, die das<br />

Virus verbreiten helfen, fallen weg.<br />

Es wird aber trotz Impfung<br />

weiterhin erforderlich bleiben, die<br />

empfohlenen Schutzmaßnahmen<br />

einzuhalten. Jedenfalls so lange, bis<br />

genügend Menschen geimpft sind<br />

oder feststeht, dass eine geimpfte<br />

Person das Virus tatsächlich nicht<br />

weiterverbreiten kann.<br />

Die Notwendigkeit anhaltender<br />

Schutzmaßnahmen und<br />

Einschränkungen zeigt sich beim<br />

Thema Reisen. Denn sind wir in<br />

Deutschland erst einmal geimpft,<br />

besteht dennoch die Gefahr, bei<br />

Reisen in Gebiete mit niedriger<br />

Impfquote dort die Menschen<br />

anzustecken. So lautet die Devise<br />

also erst einmal: abwarten.<br />

Laut Robert-Koch-Institut<br />

sind derzeit verschiedene Studien<br />

zu der Frage in Planung oder<br />

laufen bereits. Wann Ergebnisse<br />

vorliegen, hängt auch von der<br />

Teilnehmeranzahl an den Studien<br />

sowie von dem weiteren Verlauf<br />

der Pandemie ab.<br />

16<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong>


13<br />

Zurzeit nicht. Das soll sich aber nach Vorstellung von Bundesgesundheitsminister<br />

Jens Spahn ändern, wenn die Impfstoff-Knappheit<br />

beendet ist. Er geht davon aus, dass es in einigen Monaten bei der<br />

Corona-Impfung eine Wahlmöglichkeit beim Impfstoff geben wird.<br />

„Dann wird es auch möglich sein, ein Stück Auswahl möglich zu<br />

machen“, sagte er. Noch sei dafür die Knappheit zu groß.<br />

Christian Bogdan, Mitglied der Ständigen Impfkommission, sieht<br />

das ähnlich. „Natürlich wird das irgendwann so sein“, versichert<br />

er, „wie jetzt schon bei anderen Impfungen. Am Ende wird es verschiedene<br />

Anbieter und verschiedene Impfstoffe geben, und das kann<br />

sich der Einzelne dann sicherlich aussuchen.“ Gleichzeitig gibt Bogdan<br />

zu bedenken: „Wobei halt die Frage ist, ob der Impfwillige die jeweilige<br />

Kompetenz dazu besitzt, sich überhaupt entscheiden zu können.<br />

Also braucht es dann eine kompetente Beratung durch den entsprechenden<br />

Arzt.“<br />

Ein Aspekt, der dabei eine Rolle spielen könnte, sind Erfahrungswerte<br />

über seltene Nebenwirkungen. Tritt eine Häufung bei bestimmten<br />

Personengruppen auf, könnte das Präparat eines anderen Anbieters<br />

die Risiken minimieren. Das wäre eine Wahl, die der impfende Arzt<br />

treffen müsste.<br />

14<br />

Wenn verschiedene Impfstoffe da sind, kann ich mir<br />

dann aussuchen, welchen ich bekommen möchte?<br />

Wie lange wird es dauern, bis eine<br />

Vielzahl der Deutschen geimpft ist?<br />

Eine klare Antwort auf diese Frage gibt<br />

es leider nicht. Verschiedene Parameter wie<br />

das Zulassungsverfahren, die Anzahl an<br />

Impfdosen, deren Verteilung und das Personal<br />

spielen eine Rolle. Bis Mitte Januar wurden<br />

in Deutschland pro Tag maximal 100 000 Menschen<br />

geimpft. Wenn das Ziel ist, mindestens<br />

60 Prozent aller Deutschen zu impfen, um eine<br />

Herdenimmunität zu erreichen, würde das<br />

mehr als 450 Tage dauern – wir wären nach<br />

dieser Rechnung frühestens Mitte des kommenden<br />

Jahres so weit. Mit steigenden Produktions<br />

kapazitäten der Impfstoff-Hersteller und<br />

zusätzlichen zugelassenen Impfstoffen soll aber<br />

die Zahl der täglichen Impfungen deutlich gesteigert<br />

werden. So kommt die Bundesregierung<br />

zu ihrer ambitionierten Aussage, dass bis Ende<br />

des Sommers jedem ein Impfangebot gemacht<br />

werden könne. Mitglieder der Impfkommission<br />

gehen dennoch davon aus, dass es viele Monate<br />

dauern wird, bis so viele Bürger geimpft sind,<br />

dass Coronaeinschränkungen wie die Maskenpflicht<br />

oder das Distanzgebot aufgehoben<br />

werden können.<br />

15<br />

Muss ich Repressalien<br />

fürchten, wenn ich mich<br />

nicht impfen lasse?<br />

Privatrechtlich wird es höchstwahrscheinlich auch<br />

bei uns Spielräume geben“, sagt Jurist Prof. Steffen<br />

Augsberg vom Ethikrat. „So könnte etwa der Inhaber<br />

eines Theaters gute Gründe haben, nur noch Kunden mit<br />

Impfnachweis einzulassen.“ Zugleich dürfe das Leben nicht<br />

generell beschnitten werden, mahnt der Experte. „Es gibt<br />

natürlich eine staatliche Verantwortung, dass Nicht geimpfte<br />

und ganz besonders Personen, die aus gesundheitlichen<br />

Gründen nicht geimpft werden können, nicht von zentralen<br />

Dienstleistungen ausgeschlossen werden.“<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong> 17


CORONA ∙ IMPFSKEPSIS<br />

Der Kampf um<br />

Anerkennung<br />

Je nach Umfrage wollen sich rund 20 Prozent<br />

der in Deutschland lebenden Menschen<br />

nicht gegen Corona impfen lassen. Vier von ihnen<br />

erklären ihre Ängste und Sorgen<br />

vor Risiken oder Folgen der Impfung<br />

FOTO: XXXXXXXXXXXXX<br />

Alexander Heß auf seinem Hof.<br />

Seine Schwester entwickelte vor<br />

Jahren nach der Pockenpflichtimpfung<br />

eine starke Immunschwäche<br />

18<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong>


Text: Verena Fischer<br />

Große Bauernhöfe, alte Steinhäuser und<br />

immer wieder Wiesen, Bäume und<br />

Schneeflocken. Ein sehr idyllischer Weg<br />

führt zu Alexander Heß an den Rand<br />

des Wendlands. In einem alten Fachwerkhaus<br />

neben der Kirche eines kleinen Orts wohnt der<br />

Kunsthandwerker mit seiner Familie. Im Jahr<br />

2001 kam seine erste Tochter zur Welt – und<br />

damit trat das Thema Impfen in sein Leben. Um<br />

Empfehlungen nicht einfach blind zu folgen,<br />

informierte sich Heß selbst und versuchte,<br />

sowohl Pro- als auch Kontra-Argumente zu<br />

berücksichtigen. Er besuchte eine Veranstaltung<br />

für impfkritische Eltern. „Ich konnte nicht<br />

glauben, was da erzählt wurde“, staunt der Vater<br />

von mittlerweile vier Kindern noch heute.<br />

Also recherchierte er weiter, auch bei Institutionen<br />

wie dem Robert-Koch-Institut (RKI), und<br />

las Bücher von Impfkritikern.<br />

„Ich fand die Argumente der Impfgegner<br />

insgesamt viel schlüssiger“, fasst Heß zusammen<br />

und kritisiert, dass manche Impfungen potenziell<br />

schädliche Hilfsstoffe wie Aluminium, Phenol<br />

oder Formaldehyd enthalten. „Mittlerweile<br />

steht das auch auf der Seite des RKI. Es heißt<br />

dann immer, dass die Dosis zu gering sei, um<br />

zu schaden. Aber Aluminium ist ein Stoff, der<br />

»Kein Arzt wird Impfwilligen<br />

den Beipackzettel<br />

von Impfungen<br />

vorlesen, weil die<br />

meisten Mediziner<br />

einfach wollen,<br />

dass Menschen Ja zur<br />

Impfung sagen.«<br />

Alexander Heß<br />

FOTO: MARC DIETENMEIER<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong> 19


CORONA ∙ IMPFSKEPSIS<br />

FOTO: PRIVAT<br />

natürlich im Körper gar nicht vorkommt.“ Dass<br />

über solche Hilfsstoffe überhaupt auf der Institutsseite<br />

berichtet wird, gehöre zu den Erfolgen<br />

der Impfskeptiker, so Heß, der sich mehr offene<br />

Kommunikation und Transparenz hinsichtlich<br />

möglicher Impfrisiken wünscht. „Kein Arzt wird<br />

Impfwilligen den Beipackzettel von Impfungen<br />

vorlesen, weil die meisten Mediziner wollen, dass<br />

Menschen Ja zur Impfung sagen.“<br />

IMPFSCHÄDEN IN JEDER FAMILIE?<br />

„Ich werde mich auf keinen Fall gegen Corona<br />

impfen lassen. mRNA-Impfungen hat es noch<br />

nie gegeben, das ist mir zu riskant – und auch<br />

nicht notwendig“, sagt der gebürtige Berliner.<br />

„Ich glaube, dass jeder in seiner Familie<br />

Impfgeschädigte finden kann, wenn er oder sie<br />

nur richtig hinsieht.“ So sei es auch in seiner<br />

Familie: Heß’ Schwester entwickelte vor vielen<br />

Jahren nach der Pockenpflichtimpfung ein<br />

halbes Jahr lang eine so starke Immunschwäche,<br />

dass sich die Mutter beurlauben lassen musste,<br />

berichtet er. „Obwohl meine Mutter keinen<br />

Zweifel an der Ursache für den Immunschaden<br />

meiner Schwester hat, glaubt sie immer noch an<br />

die Wirksamkeit von Impfungen“, wundert sich<br />

Heß. „Sie hat zwar nie befürchtet, dass meine<br />

Schwester an Pocken erkranken könnte, sie aber<br />

dennoch impfen lassen.“<br />

Er selbst vermutet, dass auch seine chronisch<br />

wiederkehrende Angina in der Kindheit mit<br />

den Impfungen zusammenhängen könnte, und<br />

zweifelt an der Wirksamkeit von Impfungen:<br />

„Bei der Masernimpfung wurde offiziell angegeben,<br />

dass sie zu 30 Prozent nicht wirkt. Ich<br />

glaube, die Dunkelziffer ist generell viel höher.“<br />

»Ich kann<br />

oft nicht unterscheiden,<br />

ob<br />

Experten eigene<br />

wirtschaftliche<br />

Interessen<br />

verfolgen.«<br />

Kathrin Müller-Struß<br />

Kathrin Müller-Struß ist<br />

Kunsttherapeutin und anthroposophisch-ganzheitlich<br />

ausgerichtet<br />

»Für mich kommt so<br />

eine Impfung keinesfalls<br />

infrage, obwohl<br />

ich kein genereller<br />

Impfgegner bin. Aber<br />

es muss sinnvoll und<br />

verhältnismäßig sein.«<br />

Manuela Maaß<br />

Für Heß ist Verantwortung der Schlüsselbegriff.<br />

„Wenn man sich gegen Impfungen entscheidet,<br />

übernimmt man selber die Verantwortung für<br />

die eigene Gesundheit oder die der Kinder.<br />

Folgt man medizinischen Empfehlungen, fühlt<br />

man sich von der Verantwortung befreit“,<br />

sagt er und vermutet, dass Gewissensbisse der<br />

Grund sind, dass über Impfschäden häufig<br />

nicht gesprochen werde. Hinzu komme die Angst<br />

der Ärzte vor rechtlichen Konsequenzen.<br />

ELF JAHRE BIS ZUR ANERKENNUNG<br />

An einem offiziell anerkannten Impfschaden<br />

leidet die heute 23 Jahre alte Tochter von<br />

Ramona Gerlinger aus Schmelz im Saarland.<br />

Als das Kind sechs Monate alt war, bekam<br />

es die gängige Fünffachimpfung, in der auch<br />

der Impfstoff gegen Keuchhusten enthalten<br />

ist. Zwei Tage später entwickelte die Kleine<br />

sogenannte Myoklonien, das sind Muskelzuckungen<br />

und Vorboten einer Epilepsie. Dazu<br />

kamen ein ungewöhnlich starkes Schlafbedürfnis<br />

und Erbrechen. Diese Symptome<br />

hielten an und fielen auch beim zweiten<br />

Termin zur Fünffachimpfung auf. „Doch für<br />

die Ärztin waren das normale Nebenwirkungen,<br />

die nicht so schlimm waren“, erinnert<br />

sich die Mutter.<br />

Krampfanfälle kamen hinzu. Mehrmals<br />

musste die Tochter ins Krankenhaus. Ein<br />

Zusammenhang mit der Impfung wurde ausgeschlossen.<br />

Die Mediziner rieten sogar zur<br />

dritten Impfung, der Gerlinger schweren<br />

Herzens zustimmte. Doch die Anfälle hielten<br />

an – jetzt zudem mit hohem Fieber. Ein<br />

gerufener Notarzt bestätigte, dass die Symptome<br />

zu 99,9 Prozent mit der Impfung zusammenhängen.<br />

„Doch zwei Stunden später haben<br />

die Ärzte diese Aussage wieder zurückgezogen.<br />

Von da an habe ich nichts mehr geglaubt“,<br />

sagt Gerlinger.<br />

Die ausgebildete Sozialpädagogin begab sich<br />

selbst auf die Suche nach Antworten und fand<br />

Studien, die einen Zusammenhang zwischen<br />

Keuchhustenimpfungen und Epilepsie belegen.<br />

Ein Gutachter bestätigte ihren Verdacht. „Dann<br />

habe ich mir eine Anwältin gesucht<br />

und den Impfschaden beantragt.“<br />

Bis zu der offiziellen<br />

Anerkennung dauerte<br />

Sind auch Sie<br />

skeptisch?<br />

Schreiben Sie uns an<br />

redaktion@<br />

pieks-magazin.de<br />

Manuela Maaß<br />

ist studierte<br />

Gesundheitsberaterin<br />

es elf Jahre. Während<br />

der Prozess lief, gab<br />

es einen weiteren<br />

Tiefschlag: Im Alter<br />

von fünf Jahren erlitt<br />

Gerlingers Tochter<br />

einen so schweren<br />

20<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong>


Epilepsieanfall, dass sie ins Krankenhaus<br />

musste, wo sie ins Koma fiel und schließlich als<br />

Vollpflegefall nach Hause zurückkehrte.<br />

HILFE FÜR IMPFGESCHÄDIGTE<br />

Heute ist Ramona Gerlinger voller Tatendrang.<br />

In ihrer Funktion als erste Vorsitzende des<br />

Bundes vereins Impfgeschädigter unterstützt sie<br />

seit Jahren andere Impfgeschädigte. Dazu<br />

sichtet sie die Krankenakten und stellt Studien<br />

zusammen, die Zusammenhänge zwischen den<br />

Beschwerden und Impfungen belegen.<br />

Offiziell tritt ein Impfschaden ein, wenn eine<br />

Nebenwirkung einer Pflichtimpfung über mehr<br />

als ein halbes Jahr anhält. Und wenn durch<br />

den gesundheitlichen auch ein wirtschaftlicher<br />

Schaden entsteht – Betroffene also in ihrer Berufstätigkeit<br />

massiv eingeschränkt sind. Ein Antrag<br />

auf Impfschaden muss beim zuständigen<br />

Versorgungsamt eingereicht werden. Dann wird<br />

ein Fragebogen zugesandt, in den Betroffene sämtliche<br />

aufgetretenen Nebenwirkungen eintragen<br />

müssen. Es werden alle behandelnden Ärzte angeschrieben<br />

und Informationen eingeholt, bevor<br />

eine Bewertung stattfindet. „Impfgeschädigte<br />

kämpfen bei den Behörden gegen Windmühlen.<br />

Da hilft ihnen keiner“, warnt die Vorsitzende.<br />

Ramona Gerlinger ist Vorsitzende des<br />

Bundesvereins Impfgeschädigter e. V.<br />

und Mutter einer betroffenen Tochter<br />

„Unser Verein ist momentan die einzige Möglichkeit,<br />

Unterstützung zu bekommen.“<br />

Wie groß die Erfolgsaussichten sind, lässt sich<br />

bei Prozessbeginn nicht absehen. „Der kürzeste<br />

Fall, bei dem ich dabei war, wurde ab Antragstellung<br />

nach sechs Monaten anerkannt. Und<br />

es gab Fälle, die 40 Jahre gebraucht haben“, so<br />

Gerlinger. Selbst möchte sich Ramona Gerlinger<br />

nicht mehr impfen lassen: „Ich sehe ja täglich<br />

die Sorgen und Ängste von Menschen und auch,<br />

wie viele Impfschäden es gibt.“ Natürlich seien<br />

Impfungen nicht gemacht, um Menschen zu<br />

schädigen. „Es wird aber in Kauf genommen,<br />

dass das passiert. Genau wie es eben auch<br />

bei anderen Medikamenten Nebenwirkungen<br />

gibt“, fügt sie hinzu.<br />

Ramona Gerlinger fordert mehr Transparenz:<br />

„Es sollte klar kommuniziert werden,<br />

dass Schäden auftreten können und welche<br />

das sein können. Und dass, wenn Schäden<br />

auftreten, diese auch entschädigt werden.<br />

Denn sonst entsteht Misstrauen gegenüber<br />

Institutionen.“<br />

NICHT GRUNDSÄTZLICH DAGEGEN<br />

An Vertrauen mangelt es auch Kathrin Müller-<br />

Struß aus Langwedel in Niedersachsen. „Ich<br />

habe das Gefühl, oft nicht unterscheiden zu<br />

können, ob Experten Impfungen aus medizinischer<br />

Sicht empfehlen oder ob sie wirtschaftliche<br />

Interessen verfolgen“, sagt die 39-Jährige,<br />

die sich mit der Geburt ihrer ersten Tochter<br />

im Jahr 2012 aktiv mit Impfungen auseinanderzusetzen<br />

begann. „Auch die STIKO, die<br />

Ständige Impfkommission, scheint mir eher<br />

ein Wirtschaftsunternehmen zu sein“, bemerkt<br />

die frischgebackene Dreifach-Mutter, die eine<br />

ganzheitliche Betrachtung anstrebt.<br />

Ein kritisches Bewusstsein zum Impfthema<br />

besteht bei der Kunsttherapeutin schon seit<br />

»Impfgeschädigte<br />

kämpfen bei den<br />

Behörden gegen<br />

Windmühlen. Da hilft<br />

ihnen keiner. Es<br />

gab Fälle, die 40 Jahre<br />

gebraucht haben.«<br />

Ramona Gerlinger<br />

ihrem anthroposophisch-ganzheitlich ausgerichteten<br />

Studium. „Krankheiten und vor<br />

allem Infektionen im Kindesalter werden dort<br />

als nützlich angesehen, da sie den Körper und<br />

die Selbstheilungskräfte stärken und vor zukünftigen<br />

Erkrankungen schützen“, erklärt sie.<br />

Sie selbst wurde im Kindesalter ganz<br />

normal geimpft und kennt auch niemanden<br />

mit Impfschaden. „Ich bin auch nicht grundsätzlich<br />

gegen Impfungen, ich informiere mich<br />

im Einzelfall über die Chancen und Risiken<br />

und entscheide dann, ob das für meine Kinder<br />

infrage kommt.“<br />

Bei der Masernimpfung hatte die aktive<br />

Bloggerin keine Wahl: „Die ist für Kinder ja<br />

Pflicht, wenn sie in die Schule wollen.“ Einen<br />

solchen Impfzwang empfindet sie generell als<br />

belastend. Sie ist froh, dass die Corona-Impfung<br />

für sie noch kein Thema ist. „Mein Kritikpunkt<br />

ist vor allem, dass es keine Langzeitstudien<br />

gibt und alles so schnell gegangen ist. Der<br />

Covid-Impfstoff gehört zu einem völlig neuen<br />

Impfstoff-Typ, der zuvor noch nicht zugelassen<br />

worden ist. Ich habe ein mulmiges Gefühl!<br />

Besonders weil ich befürchte, dass eine Impfpflicht<br />

kommen könnte.“<br />

IMMUNSYSTEM STÄRKEN<br />

Warum werden neben Impfungen nicht auch<br />

natürliche Alternativen diskutiert? Darüber<br />

wundert sich Manuela Maaß und erinnert an<br />

das Immunsystem als wichtige Säule der Gesundheit.<br />

Immunstärkende Maßnahmen sollten<br />

daher mitbedacht werden, rät die medizinischtechnische<br />

Laborassistentin, die früher in einer<br />

Praxis tätig war. Sie betont: „Bei Erregern ist<br />

immer die Frage, auf welchen Boden sie fallen.“<br />

Durch Präventionsmaßnahmen stünden<br />

die Chancen besser, eine Infektion schadlos<br />

zu überstehen.<br />

Die studierte Gesundheitsberaterin fordert<br />

mehr Präventionsaufklärung und weist auf das<br />

Vitamin D3 hin. „Das Sonnenvitamin ist nicht<br />

bloß ein Vitalstoff, sondern ein Hormon mit<br />

wichtigen Aufgaben im gesamten Körper und<br />

für die Immunregulation. Viele Studien belegen<br />

die Wirksamkeit“, klärt sie auf und empfiehlt:<br />

„Eine Einnahme von frei verkäuflichen Mengen<br />

reicht nicht. Es braucht eine bedarfsgerechte<br />

Substitution durch den Arzt.“ Maaß empfindet<br />

die Strategie „Angst und Einsamkeit“ als<br />

falsch, weil sie aus ihrer Sicht das Immunsystem<br />

extrem schwächt.<br />

FLUCHT VOR DER IMPFUNG<br />

Statt nur auf Impfungen zu setzen, sollte mehr<br />

Geld in die Entwicklung von Medikamenten<br />

zur Behandlung schwerer Verläufe investiert<br />

werden. Niemand wisse, ob und wie lange<br />

Impfungen wirken, und Nebenwirkungen seien<br />

unklar, kritisiert die Schleswig-Holsteinerin.<br />

„Für mich ist kein Nutzen erkennbar, wenn die<br />

Weltbevölkerung als Versuchslabor für halb<br />

erforschte Impfstoffe fungiert. Viele Viren und<br />

ihre Mutanten werden uns in Zukunft noch begegnen.<br />

Wir brauchen eine Strategie, mit ihnen<br />

zu leben. Dieser aussichtslose Machtkampf<br />

hinterlässt Kollateralschäden auf vielen Ebenen.<br />

Wollen wir uns wirklich immer wieder neue,<br />

unsichere Stoffe impfen lassen, nur für eine<br />

Scheinsicherheit?“, fragt Maaß und merkt an:<br />

„Für mich kommt so eine Impfung keinesfalls<br />

infrage, obwohl ich kein genereller Impfgegner<br />

bin. Aber es muss sinnvoll und verhältnismäßig<br />

sein. Restriktionen würde ich in Kauf nehmen,<br />

notfalls auch außerhalb Deutschlands.“<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong> 21


CORONA ∙ WISSEN<br />

Bei zwei bis acht Grad Celsius ist<br />

der Impfstoff von Biontech<br />

immerhin fünf Tage lang haltbar<br />

»Die Unsicherheit<br />

kann ich absolut verstehen<br />

und will mich als Person<br />

da nicht ausnehmen«<br />

„Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder<br />

Apotheker“ – unsere Autorin hat es getan. Ein Gespräch<br />

mit Dominic Fenske, Apotheker am Helios-Klinikum in Erfurt, über<br />

den Impfstoff, seine Handhabung und darüber, warum er auch<br />

für sich selbst prüfen musste, was davon zu halten ist<br />

Trockeneis sorgt beim Transport für Kühlung.<br />

Am Ziel kommt der Impfstoff in den Ultratiefkühler<br />

22<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong>


Interview: Iunia Mihu<br />

FOTO: CHRISTIAN FISCHER/HELIOS KLINIKUM ERFURT GMBH, GETTY IMAGES (3)<br />

Corona hält die Welt in Atem, bestimmt<br />

unser aller Dasein. Im Kampf um Leben<br />

stehen Ärzte, Krankenschwestern und<br />

Pfleger an vorderster Front. Gefordert<br />

sind jetzt aber auch Apotheker, insbesondere<br />

Krankenhausapotheker, sind sie doch zuständig<br />

für die Lagerung und Vorbereitung des Corona-<br />

Impfstoffs. Einer von ihnen ist Dominic Fenske,<br />

Apotheker mit Leib und Seele am Helios-<br />

Klinikum in Erfurt. Bei ihm in der Apotheke<br />

lagern die Ampullen. Mehr als 200 Impfdosen<br />

ziehen er und sein Team derzeit pro Tag<br />

in der Spritze auf. Er könne die Skepsis in der<br />

Be völkerung durchaus verstehen, sagt er. Warum<br />

er dennoch den Impfstoff mit der Abkürzung<br />

mRNA (Boten-RNA, siehe auch Seite 38)<br />

empfiehlt und vor welchen Herausforderungen<br />

er steht, darüber spricht der promovierte Apotheker<br />

im Interview.<br />

pieks: Herr Dr. Fenske, wie hat sich Ihr<br />

Arbeitsalltag als Apotheker seit Ausbruch<br />

der Coronapandemie verändert?<br />

Dominic Fenske: Covid-19 hält uns die ganze<br />

Zeit in Atem. Angefangen hat es mit Lieferschwierigkeiten<br />

für bestimmte Arzneimittel<br />

wie Narkotika und Schmerzmittel, die auf der<br />

Intensivstation gebraucht werden. Das haben<br />

wir inzwischen gemeistert, aber wir müssen<br />

uns weiterhin um die Nachlieferung kümmern.<br />

Plötzlich mussten wir – wie fast alle Apotheken<br />

in Deutschland – in großen Mengen Handdesinfektionsmittel<br />

herstellen, weil es nicht genug<br />

davon gab. Schließlich hatten wir mit<br />

der Beschaffung der ersten Antigen-Tests gut<br />

zu tun, und heute ist es der ersehnte Impfstoff<br />

– langweilig wird uns nicht.<br />

Als eine der großen Herausforderungen beim<br />

Impfstoff wird immer wieder dessen Lagerung<br />

erwähnt. Der Biontech-Impfstoff wird meist<br />

auf Trockeneis transportiert und muss anschließend<br />

bei minus 70 Grad Celsius gelagert<br />

werden. Der Moderna-Impfstoff hingegen<br />

braucht es nicht ganz so kalt. Wie schwierig ist<br />

die Lagerung und Aufbewahrung des Impfstoffs<br />

in der Praxis wirklich?<br />

Ehrlich gesagt hört sich das komplizierter an,<br />

als es ist. Ich plädiere für mehr Gelassenheit.<br />

Man muss zwar etwas aufpassen, aber jeder<br />

ausgebildete Apotheker kann mit diesen Bedingungen<br />

umgehen. Wir haben schon vor dem<br />

Biontech-Impfstoff mit Trockeneis gearbeitet,<br />

wenn zum Beispiel bestimmte Laborartikel<br />

bei minus 70 Grad Celsius gekühlt werden müssen,<br />

bis sie eingesetzt werden. Wenn der Impfstoff<br />

per Frachtflug transportiert werden muss,<br />

ist das natürlich eine ganz andere Hausnummer,<br />

aber für mein kleines Apotheken-Biotop<br />

hier in Erfurt ist das gut machbar.<br />

Die größte Herausforderung vor allem beim Impfstoff von Biontech ist der Transport bei Minusgraden. Ist er<br />

einmal in den Zentren oder Apotheken angekommen, macht die Handhabung den Profis keine Probleme mehr<br />

Dennoch muss es dann schnell gehen. Wie läuft<br />

das konkret ab, wenn der Impfstoff bei Ihnen in<br />

der Krankenhausapotheke ankommt?<br />

Der Impfstoff von Biontech wird aus dem Ultratiefkühlschrank<br />

herausgenommen. Dann<br />

muss er bei zwei bis acht Grad gehalten werden<br />

und ist noch 120 Stunden verwendbar, also<br />

fünf Tage lang. Wenn man ihn dann aus dem<br />

Kühlschrank herausnimmt, um ihn zu verdünnen<br />

und zu verabreichen, hat man noch einen<br />

Spielraum von circa sechs Stunden. Innerhalb<br />

dieser sechs Stunden muss er gespritzt werden.<br />

DR. DOMINIC FENSKE<br />

Leiter der Krankenhausapotheke<br />

am Helios-Klinikum in Erfurt<br />

Dominic Fenske (47) ist Apotheker<br />

mit den beruflichen Schwerpunkten<br />

Mikrobiologie und Kardiologie.<br />

Er studierte in seiner Heimatstadt<br />

Bonn. Seine Promotion hat er an der<br />

Universität Mainz abgelegt. Als<br />

Leiter der Apotheke und des Zentralen<br />

Dienstes Apotheke verantwortet<br />

er die Pharmazie bei Helios und<br />

koordiniert die Entwicklung aller<br />

Helios-Apotheken.<br />

Und wie ist die Handhabung beim Moderna-<br />

Impfstoff?<br />

Der Impfstoff von Moderna ist da eine Nummer<br />

einfacher, weil er nur bei minus 20 statt minus<br />

70 Grad gelagert werden muss. Das schaffen<br />

normale Tiefkühlschränke, wie sie im Haushalt<br />

üblich sind. Er ist auch ein bisschen robuster,<br />

wenn man ihn bei normaler Kühlschranktemperatur<br />

oder bei Raumtemperatur lagert.<br />

Auch ist er gleich fertig für die Anwendung.<br />

Man muss ihn also nicht verdünnen, sondern<br />

bringt ihn auf Raumtemperatur und zieht ihn<br />

direkt mit der Spritze aus der Ampulle auf. Aber<br />

auch hier muss man sagen: Ein Arzneimittel<br />

zu nehmen und es mit einer anderen Lösung<br />

zu verdünnen ist für eine Pflegekraft in der<br />

Praxis ein ganz normaler Vorgang. Dafür sind<br />

die Kollegen ausgebildet. Der Zwischenschritt<br />

mit der Verdünnung ist kein Hindernis – es ist<br />

einfacher, wenn man es nicht machen muss,<br />

aber es ist kein Knock-out-Kriterium. Auch da<br />

empfiehlt sich mehr Gelassenheit.<br />

Viele Menschen sind unsicher und fragen sich,<br />

ob sie einem so schnell zugelassenen Impfstoff<br />

wirklich trauen können. Normalerweise<br />

dauert es viele Jahre, bis ein Impfstoff erprobt<br />

ist – hier hingegen nur wenige Monate.<br />

Ich kann die Unsicherheit absolut verstehen<br />

und will mich als Person da nicht ausnehmen.<br />

Die Impfstoffe von Biontech und Moderna, die<br />

sogenannten mRNA-Impfstoffe, sind ja vom<br />

Wirkprinzip her anders als die bisherigen, die<br />

wir kennen. Ich musste mich auch erst einmal<br />

informieren und für mich selbst prüfen, was<br />

davon zu halten ist. Aber ich bin inzwischen<br />

überzeugt und der Auffassung, dass dies ein<br />

sehr guter Weg ist, einen Impfstoff herzustellen.<br />

Um die Geschwindigkeit des Zulassungsverfahrens<br />

einordnen zu können, muss man<br />

verschiedene Dinge wissen. Ganz wichtig:<br />

Im europäischen Zulassungsverfahren wurde<br />

kein Schritt ausgelassen. Da wurde nichts<br />

übersprungen, nur damit es schneller geht.<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong> 23


CORONA ∙ WISSEN<br />

Eine der größten<br />

Sorgen ist, dass der<br />

neue mRNA-Impfstoff<br />

in das menschliche<br />

Erbgut eingreifen<br />

könnte. Was ist dran?<br />

Vielmehr wurden die einzelnen Schritte<br />

sehr schnell und sehr gut miteinander koordiniert.<br />

Dadurch konnte der gesamte Prozess<br />

beschleunigt werden. Forscher müssen ja in<br />

der Regel sehr geduldig sein. Sie stellen einen<br />

Antrag und müssen erst einmal auf Geld<br />

warten, bevor sie loslegen können. Dann wird<br />

der nächste Antrag gestellt, und wieder heißt<br />

es warten. Wenn aber Geld und Ressourcen<br />

gebündelt werden, kann es sehr schnell gehen.<br />

Es ist also keineswegs in Stein gemeißelt,<br />

dass es zehn Jahre oder mehr dauern muss,<br />

bis ein Impfstoff da ist.<br />

Bei der Suche nach einem Corona-Impfstoff<br />

wurde länderübergreifend und vor allem<br />

parallel geforscht und erprobt, um ja keine<br />

Zeit zu verlieren.<br />

Genau. Angenommen, man hat drei Impfstoff-<br />

Kandidaten im Labor. Normalerweise würde<br />

man diese nacheinander über mehrere Wochen<br />

hinweg testen. Hat man das nötige Geld, können<br />

Wissenschaftler diese drei Kandidaten aber<br />

parallel erforschen. An zwei von drei hat man<br />

möglicherweise umsonst gearbeitet, denn oft<br />

erweist sich nur einer als wirksam. Aber man<br />

ist dann nach drei Wochen so schnell wie sonst<br />

vielleicht nach zwölf Wochen, weil bestimmte<br />

Arbeitsprozesse parallel abliefen. Das zeigt sich<br />

auch daran, dass der Corona-Impfstoff bereits<br />

in großen Mengen produziert wurde, bevor<br />

ihn die europäische Zulassungsbehörde EMA<br />

freigegeben hat – außerhalb einer Pandemie<br />

würde man erst mit dem Erhalt der Zulassung<br />

die Produktion hochfahren, und dann würde<br />

noch mal mindestens ein Jahr vergehen, bis der<br />

Impfstoff verabreicht werden kann.<br />

Und trotzdem wollen viele Menschen erst einmal<br />

abwarten oder sich gar nicht erst impfen<br />

lassen. Eine der größten Sorgen vieler Impfskeptiker<br />

ist, dass der neue mRNA-Impfstoff<br />

in das menschliche Erbgut eingreifen könnte.<br />

Das Besondere an diesen Impfstoffen ist<br />

eigentlich nicht das Stückchen mRNA, sondern<br />

vielmehr die winzig kleine Lipidhülle, also die<br />

Fetthülle, in die die mRNA eingebunden ist.<br />

Das gab es so noch nicht. Um sich zu vermehren,<br />

müssen Viren ihre Erbinformation in eine<br />

Die stacheliegen Spike-Proteine ragen aus der Oberfläche des Virus. Sie sorgen dafür, dass das Virus<br />

in Körperzellen eindringen kann – und sie können von Antikörpern blockiert werden<br />

Zelle, die sogenannte Wirtszelle, einschleusen.<br />

Die Lipidhülle ist der Transportbehälter, über<br />

den die mRNA im Zellinnern, dem Zytoplasma,<br />

abgeliefert wird. Bestimmte Enzyme beginnen<br />

dann, die Information, die auf der mRNA<br />

gespeichert ist, zu „lesen“. Die hier eingesetzte<br />

mRNA enthält den Bauplan für ein bestimmtes<br />

Oberflächenprotein von SARS-CoV-2, das<br />

berühmte Spike-Protein, welches typisch für<br />

das neuartige Coronavirus ist. Weil es nun<br />

in der Zelle entsteht, wird das Immunsystem<br />

angeregt, Abwehrstoffe (Antikörper und<br />

T-Zellen) gegen das Corona-Protein zu bilden.<br />

Wenn die geimpfte Person später in Kontakt mit<br />

dem SARS-CoV-2 kommt, wird dieses schnell<br />

durch das Immunsystem erkannt und gezielt<br />

bekämpft. Der gesamte Vorgang imitiert damit<br />

den natür lichen Prozess einer viralen Infektion<br />

und trainiert so das Immunsystem.<br />

Das eingeschleuste Virus-Erbmaterial<br />

in der mRNA kann sich also nicht mit der<br />

mensch lichen DNA vermischen?<br />

Nein. Die menschliche Zelle hat überhaupt<br />

nicht die Möglichkeit, ein mRNA-Stück in ein<br />

DNA-Stück umzuschreiben. Dafür fehlen die<br />

notwendigen Enzyme. Der biologische Prozess<br />

läuft gerichtet immer in die andere Richtung<br />

ab. In unseren Zellen haben wir die Zellkerne,<br />

darin ist die DNA. Diese wird umgeschrieben<br />

in mRNA, und die darin enthaltene Information<br />

wird dann in der Zelle in ein Protein<br />

übersetzt – ein ganz normaler Vorgang. DNA,<br />

mRNA, Protein – das ist die Reihenfolge. Der<br />

Prozess kann nicht in die andere Richtung,<br />

rückwärts, gehen. Die menschliche DNA wird<br />

nicht angetastet, geschweige denn umgeschrieben,<br />

wenn der Impfstoff im Körper ist.<br />

Aber es gibt Viren, die DNA ändern können.<br />

Ja, es gibt in der Natur Ausnahmen. Das HI-<br />

Virus zum Beispiel ist so eine. Es ist in der<br />

Lage, seine Boten-RNA in DNA umzuschreiben<br />

und diese dann in unsere DNA einzuschleusen.<br />

Die dafür notwendigen Werkzeuge,<br />

also bestimmte Enzyme, muss das Virus aber<br />

selbst mitbringen. Da weder die menschliche<br />

Zelle noch das SARS-CoV2-Virus über diese<br />

Enzyme verfügen, ist dieser Weg für den Impfstoff<br />

fest verschlossen.<br />

Wie sicher sind die Corona-Impfstoffe?<br />

Verglichen mit anderen Möglichkeiten, Vakzinen<br />

zu produzieren, sind die Impfstoffe von<br />

Biontech und Moderna erstaunlich einfach<br />

zusammengesetzt – das meine ich überhaupt<br />

nicht abwertend, denn genau in dieser Einfachheit<br />

liegt die Würze. Da ist gar nicht so viel<br />

drin, wogegen der Körper reagieren könnte.<br />

Einige Impfstoffe brauchen Adjuvanzien, das<br />

sind Hilfsstoffe, die eine starke Immunantwort<br />

auslösen. In anderen Impfstoffen finden sich Eiweiße<br />

in kleinsten Mengen, die aus der Produktion<br />

stammen. Beim Grippe-Impfstoff ist das<br />

etwa Hühnereiweiß, das allergische Reaktionen<br />

hervorrufen kann. In den Covid-19-Impfstoffen<br />

FOTO: MPI OF BIOPHYSICS/SÖREN VON BÜLOW, MATEUSZ SIKORA, GERHARD HUMMER, PRIVAT (2)<br />

24<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong>


sind kaum Substanzen enthalten, die eine allergische<br />

Reaktion auslösen könnten. Man kann<br />

sagen, dass andere Impfstoffe komplexer sind<br />

als die mRNA-Impfstoffe. Dennoch steckt eine<br />

aufwendige Technologie dahinter, die neu ist<br />

und bislang in der Klinik nicht breit angewendet<br />

wurde – daher kann ich eine gewisse Sorge<br />

in der Bevölkerung verstehen. Wir haben die<br />

Impfstoffe eben nicht schon seit zehn Jahren in<br />

der Anwendung, sondern erst wenige Wochen.<br />

Und deswegen kann man über mögliche langfristige<br />

Nebenwirkungen noch nichts sagen?<br />

Das stimmt nicht ganz. Man kann schon jetzt<br />

Schlüsse über mögliche Nebenwirkungen ziehen,<br />

weil man die Probanden aus den Impfstoff-Studien<br />

untersucht und auch weiterhin<br />

beobachtet. Man muss unterscheiden zwischen<br />

seltenen und verzögert auftretenden Nebenwirkungen.<br />

Bei Impfstoffen geht man davon aus,<br />

dass sich verzögert auftretende Nebenwirkungen<br />

spätestens nach acht Wochen zeigen – alles,<br />

was danach im Körper passiert, kann nicht<br />

mehr mit dem Impfstoff zusammenhängen,<br />

weil der Impfstoff längst abgebaut und nicht<br />

mehr im Körper vorhanden ist. Über diese Zeitspanne<br />

hinweg wurden die Probanden in den<br />

Studien immer beobachtet. Aber es bestehen<br />

noch Unsicherheiten in Bezug auf sehr seltene<br />

Nebenwirkungen. Hier müssen sehr viele<br />

Menschen mit dem Impfstoff behandelt werden,<br />

damit so eine Nebenwirkung überhaupt<br />

erstmals auftritt, beobachtet und dem Impfstoff<br />

zugeordnet werden kann. Es könnte also sein,<br />

dass etwas, das sehr selten geschieht, bis jetzt<br />

noch nicht passiert ist. Deshalb sind kontinuierliche<br />

Beobachtung und Aufmerksamkeit richtig<br />

und wichtig – genau dies geschieht auch.<br />

Warum ist eine zweite Dosis nach<br />

drei Wochen erforderlich?<br />

Das hängt mit der Faulheit unseres Immunsystems<br />

zusammen. Warum werden wir krank?<br />

Weil der Körper Energie braucht, um den viralen<br />

Eindringling zu bekämpfen. Energie ist für<br />

einen biologischen Organismus Mangelware.<br />

Also versucht der Körper, mit möglichst wenig<br />

Energieaufwand eine Infektion zu bekämpfen.<br />

Wenn es nur eine leichte Infektion ist und man<br />

sonst keine gravierenden Vorerkrankungen<br />

hat, bekämpft das Immunsystem das Virus<br />

problemlos. Danach wird der Eindringling aber<br />

auch wieder vergessen, weil es zu aufwendig<br />

ist, permanent Antikörper zu produzieren und<br />

viele Immunzellen ständig in Habachtstellung<br />

zu halten. Kommt das Virus aber kurz danach<br />

wieder, sagt sich das Immunsystem: „Hey, dieses<br />

Ding scheint ernsthaft nervig zu sein, damit<br />

muss ich mich nun näher auseinandersetzen.“<br />

Genau das macht das Immunsystem dann auch,<br />

und dazu ist die zweite Impfung nötig. Sie hilft<br />

dem Immunsystem dabei, die Abwehr beim<br />

zweiten Angriff aufrechtzuerhalten.<br />

Sollten sich auch Personen impfen lassen,<br />

die Covid-19 bereits durchgemacht haben?<br />

Perspektivisch gesehen, ja. Das weiß man inzwischen.<br />

Die Frage ist: Wann ist der richtige<br />

Zeitpunkt? Angenommen, man lag eine Woche<br />

lang krank im Bett, hatte noch diese berühmten<br />

Geschmacks- und Geruchsveränderungen,<br />

dann hat der Körper wahrscheinlich stark<br />

auf die Infektion reagiert. Das Immunsystem<br />

hat mit der Bildung von T-Zellen (Gedächtniszellen)<br />

geantwortet – die Impfung kann in<br />

diesem Fall die Immunkompetenz nicht weiter<br />

verstärken, sie hilft nicht zusätzlich. Hatte ich<br />

aber eine unerkannte Infektion oder einen milden<br />

Verlauf, dann hat der Körper nicht stark<br />

darauf reagiert, die Immunantwort ist wahrscheinlich<br />

eher schwach. Eine Impfung kann<br />

in dem Fall hilfreich sein. Da eine Re infektion<br />

mit dem Coronavirus innerhalb von 90 Tagen<br />

nach einer ersten Infektion ungewöhnlich<br />

ist, kann man nach jetzigem Wissensstand in<br />

solchen Fällen ungefähr ein Quartal lang mit<br />

der Impfung warten. Es ist zumindest kein<br />

Risiko, wenn sich Personen impfen lassen, die<br />

die Krankheit bereits durchgemacht haben.<br />

Wohnzimmerbegegnung: Interview unserer Autorin mit Apotheker Fenske unter Coronabedingungen<br />

Die EMA hat sechs statt fünf Dosen aus einer<br />

Ampulle erlaubt. Was bedeutet das konkret?<br />

Jedes Fläschchen – egal ob Haarshampoo oder<br />

Impfstoff – hat ein deklariertes Entnahmevolumen.<br />

Damit wird angegeben, was Sie mindestens<br />

herausbekommen. Daher ist in der Regel<br />

eher ein bisschen mehr abgefüllt. Die EMA<br />

hat uns nun die Erlaubnis erteilt, auch diese<br />

Überfüllung zu nutzen. Dabei geht es nicht darum,<br />

die Ampulle bis auf den letzten Tropfen<br />

auszuquetschen – die EMA hat übrigens auch<br />

richtigerweise verboten, Reste verschiedener<br />

Ampullen zusammenschütten. Wenn man<br />

sorgfältig ist und die richtigen Materialien hat,<br />

also besonders gute und genaue Spritzen mit<br />

geringem Totvolumen und geringem Verlust<br />

des Inhalts, ist es problemlos möglich, sechs<br />

Impfstoff-Dosen zu entnehmen. Aber Sie<br />

müssen die Situation auch aus der weltweiten<br />

Perspektive sehen. Denn es gibt viele Länder,<br />

die sich hochwertige Spritzen schlichtweg<br />

nicht leisten können und den Impfstoff nicht<br />

so genau entnehmen können. Die Impfstoff-<br />

Hersteller sind völlig korrekt vorgegangen. Sie<br />

haben jede Ampulle so befüllt, dass man,<br />

egal wo auf der Welt, immer sicher fünf Impf -<br />

dosen entnehmen kann. Das führt dann<br />

dazu, dass in den Ländern, die sich besonders<br />

gute und genaue Spritzen leisten können, eine<br />

sechste Dosis entnommen werden kann.<br />

»Die Impfstoffe von<br />

Biontech und Moderna<br />

sind erstaunlich einfach<br />

zusammengesetzt<br />

– das meine ich überhaupt<br />

nicht abwertend,<br />

denn genau darin liegt<br />

die Würze.«<br />

Und diese sechste Dosis ist völlig sicher! Da<br />

ist nichts verdünnt und nichts gestreckt. Ich<br />

begrüße die Entscheidung der EMA sehr – ich<br />

habe schon lange darauf gewartet.<br />

Und wann werden Sie sich impfen lassen?<br />

Laut Impfverordnung sind die Apotheker erst<br />

in der dritten Stufe dran – darüber bin ich<br />

schon ein bisschen unglücklich. Gerade in der<br />

Pandemie zeigt sich doch, dass die Apotheken<br />

Teil der kritischen Infrastruktur sind – zumindest<br />

sehe ich die von mir geleitete Krankenhausapotheke<br />

so und würde mir wünschen, in<br />

der zweiten Stufe dranzukommen. Aber erst<br />

kommen die Kollegen auf den Intensivstationen<br />

an die Reihe, und das ist auch richtig so.<br />

Einen Stichtag für mich und mein Team gibt es<br />

allerdings nicht. Ich kann mit gutem Gewissen<br />

für die Corona-Impfstoffe werben – das ist<br />

unsere beste Chance, aus dieser Pandemie herauszukommen.<br />

Wir alle sollten sie nutzen!<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong> 25


CORONA ∙ IMPFSTOFFE<br />

Die wichtigsten<br />

Impfstoffe<br />

Text: Verena Fischer<br />

Biontech, Moderna oder AstraZeneca? Verschiedene<br />

Impfstoffe werden nach und nach zugelassen. Wie<br />

unterscheiden sie sich, welche Vor- und Nachteile gibt es?<br />

Alle Infos zu den gefragtesten Kandidaten im Überblick


Die ersten zwei zugelassenen Impfstoffe<br />

von Biontech/Pfizer und Moderna<br />

ähneln sich stark – in beiden Fällen<br />

handelt es sich um neuartige mRNA-<br />

Impfstoffe. Von AstraZeneca ist jetzt der erste<br />

Vektor-Impfstoff auf den Markt – auch dies ein<br />

recht neues Verfahren zur Impfung (mehr über<br />

die Funktionsweisen auf Seite 38).<br />

Schrittweise werden weitere Hersteller folgen,<br />

deren Produkte das Impfangebot in Deutschland<br />

erweitern sollen. Die EU hat bei den meisten<br />

dieser Firmen Impfstoffe reserviert. Die<br />

aussichtsreichsten Kandidaten stellen wir hier<br />

im Steckbrief vor. Und dann gibt es die Exoten<br />

etwa aus Russland oder China, deren Zulassung<br />

in westlichen Ländern noch unklar ist – auch<br />

sie porträtieren wir kurz.<br />

Ab Seite 88 informieren wir Sie auch über<br />

das US-amerikanische Antikörper-Medikament<br />

REGN-COV2, das Gesundheitsminister Jens<br />

Spahn Ende Januar eingekauft hat. Es kann<br />

womöglich als Überbrückung bis zur Impfung<br />

für eine Immunisierung sorgen – wenn es eine<br />

Zulassung in Europa bekommt.<br />

BIONTECH/PFIZER<br />

COMIRNATY (BNT162B2)<br />

Das Mittel des Mainzer Unternehmens Biontech<br />

und seines US-Partners Pfizer ist im Dezember<br />

als erster Corona-Impfstoff in der EU zugelassen<br />

worden. Zuvor wurde es in einer Studie mit<br />

etwa 43 500 Teilnehmenden erprobt. Deutschland<br />

hat eine Vereinbarung über die Lieferung von 30 Millionen Einheiten getroffen.<br />

Die Bundesregierung hat die Entwicklung und Produktion des Impfstoffs mit bis<br />

zu 375 Millionen Euro gefördert. Bis Ende Januar wurden in Deutschland etwa zwei<br />

Millionen Menschen mit dem Mittel geimpft.<br />

ALLGEMEIN<br />

Name<br />

Typ<br />

Wirksamkeit<br />

Wirkweise<br />

Anzahl Dosen<br />

Impfschema<br />

Applikation<br />

Comirnaty (BNT162b2)<br />

mRNA-Impfstoff<br />

95-prozentiger Schutz vor der Infektion ab<br />

dem siebten Tag nach Erhalt der zweiten Dosis<br />

Der Impfstoff enthält den Bauplan (mRNA)<br />

für das Stachelprotein auf der Oberfläche des<br />

Covid-19-Virus. Dieses Protein wird dann vom<br />

geimpften Körper produziert. Darauf reagiert<br />

die Immunabwehr. Die mRNA ist in einer Hülle<br />

aus Fettpartikeln (Lipid-Nanopartikeln) verpackt<br />

zwei zu je 0,3 Milliliter<br />

21 Tage Abstand zwischen erster und<br />

zweiter Impfung<br />

Spritze in die Oberarmmuskulatur<br />

NEBENWIRKUNGEN<br />

häufigste Nebenwirkungen<br />

seltene Nebenwirkungen<br />

HALTBARKEIT/PREIS/FREIGABE<br />

Haltbarkeit<br />

Preis pro Dosis<br />

Altersfreigabe<br />

Stand des EU-<br />

Zulassungsverfahrens<br />

Schmerzen an der Injektionsstelle (< 80 %),<br />

Müdigkeit (< 60 %), Kopfschmerzen (< 50 %),<br />

Muskelschmerzen und Schüttelfrost (< 30 %),<br />

Gelenkschmerzen (< 20 %), Fieber (< 10 %) und<br />

Schwellung an der Injektionsstelle (< 10 %).<br />

Normalerweise sind Beschwerden von leichter<br />

oder mäßiger Intensität und klingen innerhalb<br />

weniger Tage nach der Impfung ab<br />

Lymphknotenschwellung über zehn Tage<br />

(0,3 %), bisher vier Fälle von akuter Gesichtsmuskellähmung,<br />

eine vorübergehende<br />

Beinlähmung, eine Herzrhythmusstörung,<br />

vier akute allergische Reaktionen<br />

sechs Monate bei minus 90 bis minus 60 Grad<br />

Celsius, zwei Stunden bei Raumtemperatur<br />

12 Euro<br />

ab 16 Jahren<br />

zugelassen in der EU seit 21. Dezember 2<strong>02</strong>0<br />

FOTO: STOCKSY, PR<br />

UNTERNEHMENSUMSATZ<br />

Umsatz<br />

Biontech: 108,6 Millionen Euro (2019)<br />

Pfizer: 42,5 Milliarden Euro (2019)<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong> 27


CORORNA ∙ IMPFSTOFFE<br />

MODERNA<br />

COVID-19-IMPFSTOFF (mRNA-1273)<br />

Der Impfstoff des US-amerikanischen Unternehmens<br />

ist der zweite, der in der EU zugelassen<br />

wurde. Ein Vorteil des Mittels ist, dass<br />

es sich bei Kühlschranktemperatur problemlos<br />

lagern lässt. In der Zulassungsstudie mit<br />

30 400 Teilnehmern sind Nebenwirkungen etwas häufiger als bei Biontech/Pfizer<br />

beobachtet worden. In diesem Jahr soll Deutschland 56 Millionen Impfdosen<br />

erhalten. Bis Mitte Januar wurden in Deutschland 2700 Menschen mit dem Mittel<br />

von Moderna geimpft.<br />

ALLGEMEIN<br />

Name<br />

Typ<br />

Wirksamkeit<br />

Wirkweise<br />

Anzahl Dosen<br />

Impfschema<br />

Applikation<br />

Covid-19-Impfstoff Moderna (mRNA-1273)<br />

mRNA-Impfstoff<br />

94,1-prozentiger Schutz vor der Infektion ab<br />

14 Tage nach Erhalt der zweiten Dosis<br />

Der Impfstoff basiert, genau wie die Vakzine<br />

von Biontech, auf der mRNA-Technologie und<br />

enthält ebenfalls den Bauplan für das Oberflächenprotein<br />

des Coronavirus, verpackt in<br />

Fettpartikeln (Lipid-Nanopartikeln)<br />

zwei zu je 0,5 Milliliter<br />

28 Tage Abstand zwischen erster und<br />

zweiter Impfung<br />

Spritze in die Oberarmmuskulatur<br />

NEBENWIRKUNGEN<br />

häufigste Nebenwirkungen<br />

Schmerzen an der Injektionsstelle (< 80 %),<br />

Müdig keit (< 60 %), Kopfschmerzen (< 55 %),<br />

Muskelschmerzen (60 %), Schüttelfrost (< 40 %),<br />

Gelenkschmerzen (< 40 %), Fieber (< 10 %) und<br />

Schwellung an der Injektionsstelle (< 10 %).<br />

Normalerweise waren Beschwerden von<br />

leichter oder mäßiger Intensität und klangen<br />

innerhalb weniger Tage nach der Impfung ab<br />

seltene Nebenwirkungen<br />

Lymphknotenschwellung über 7 Tage (2,5 %).<br />

Über seltene Nebenwirkungen ist bis jetzt<br />

wenig bekannt, in sehr seltenen Fällen ist es zu<br />

akuten allergischen Reaktionen gekommen<br />

HALTBARKEIT/PREIS/FREIGABE<br />

Haltbarkeit<br />

Preis pro Dosis<br />

Altersfreigabe<br />

Stand des EU-<br />

Zulassungsverfahrens<br />

bis zu 30 Tage bei Kühlschrank- und bis zu<br />

12 Stunden bei Zimmertemperatur<br />

15 Euro<br />

ab 18 Jahren<br />

zugelassen seit 6. Januar <strong>2<strong>02</strong>1</strong><br />

UNTERNEHMENSUMSATZ<br />

Umsatz 49,5 Milliarden Euro (2019)<br />

28<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong>


ASTRAZENECA / OXFORD UNIVERSITY<br />

AZD1222<br />

Der Impfstoff, entwickelt an der Universität<br />

Oxford, wird vom britisch-schwedischen<br />

Unternehmen AstraZeneca produziert. Das<br />

Mittel ist preiswert und praktisch, da es<br />

keine aufwendige Kühlung erfordert. Es handelt<br />

sich um einen Vektor-Impfstoff. Da die Zulassungsstudie vergleichsweise wenig<br />

ältere Menschen einschloss, hat zwar die EU-Behörde EMA die Vakzine ohne Altersbeschränkung<br />

zugelassen, in Deutschland sind aber vorerst Menschen ab 65 Jahren<br />

ausgenommen. Deutschland soll 56,2 Millionen Dosen von AstraZeneca erhalten.<br />

ALLGEMEIN<br />

Name<br />

Typ<br />

Wirksamkeit<br />

Wirkweise<br />

Anzahl Dosen<br />

Impfschema<br />

Applikation<br />

AZD1222<br />

Vektor-Impfstoff<br />

wird aktuell mit 70 Prozent nach der zweiten<br />

Dosis angegeben<br />

Enthalten sind veränderte Erkältungsviren<br />

von Schimpansen, die sich nicht vermehren und<br />

nicht krank machen können. In diese wurde<br />

der genetische Bauplan des Coronavirus-Oberflächenproteins<br />

auf einer DNA integriert. Die<br />

Viren übertragen die DNA in Körperzellen. Da<br />

die DNA nicht in den Zellkern gelangen kann,<br />

verändert sie unsere Gene nicht<br />

zwei zu je 0,5 Milliliter<br />

28 Tage Abstand zwischen erster und<br />

zweiter Impfung<br />

Spritze in die Oberarmmuskulatur<br />

NEBENWIRKUNGEN<br />

häufigste Nebenwirkungen<br />

seltene Nebenwirkungen<br />

Daten aus der Phase-3-Studie liegen noch<br />

nicht vor. Ergebnisse aus der zweiten Phase<br />

mit 1077 Teilnehmern: Müdigkeit (< 70 %),<br />

Kopfschmerzen (< 60 %), Muskelschmerzen<br />

(< 60 %), Schüttelfrost (< 50 %), Gelenkschmerzen<br />

(< 40 %), Fieber (< 15 %) innerhalb der ersten<br />

drei Tage nach der Impfung. Es wurden bisher<br />

keine schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse<br />

in Zusammenhang mit dem Impfstoff<br />

beobachtet<br />

Über seltene Nebenwirkungen ist bislang<br />

wenig bekannt<br />

HALTBARKEIT/PREIS/FREIGABE<br />

FOTO: GETTY IMAGES, PR (2)<br />

Haltbarkeit<br />

Preis pro Dosis<br />

Altersfreigabe<br />

Stand des EU-<br />

Zulassungsverfahrens<br />

UNTERNEHMENSUMSATZ<br />

bei Kühlschranktemperatur<br />

mindestens sechs Monate haltbar<br />

1,78 Euro<br />

ab 18 Jahren<br />

zugelassen seit 29. Januar <strong>2<strong>02</strong>1</strong><br />

Umsatz 20,0 Milliarden Euro (2019)<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong> 29


CORONA ∙ IMPFSTOFFE<br />

JANSSEN-CILAG INTERNATIONAL N. V.<br />

AD<strong>26</strong>.COV2.S<br />

Das Unternehmen gehört zum amerikanischen<br />

Pharmakonzern Johnson & Johnson und<br />

vertreibt einen Vektor-Impfstoff gegen die<br />

Infekt ions krankheit Ebola, der schon mehr als<br />

800 000-mal eingesetzt wurde. Das gleiche<br />

Prinzip kommt bei diesem Corona-Impfstoff zum Einsatz. Es wird davon ausgegangen,<br />

dass das Mittel bereits nach der ersten Dosis schützt. Dadurch könnten<br />

in kürzerer Zeit mehr Menschen geimpft werden. Die EU-Kommission hat bereits<br />

200 Millionen Dosen bestellt.<br />

ALLGEMEIN<br />

Name<br />

Typ<br />

Wirksamkeit<br />

Wirkweise<br />

Anzahl Dosen<br />

Impfschema<br />

Applikation<br />

NEBENWIRKUNGEN<br />

häufigste Nebenwirkungen<br />

seltene Nebenwirkungen<br />

HALTBARKEIT/PREIS/FREIGABE<br />

Haltbarkeit<br />

Preis pro Dosis<br />

Altersfreigabe<br />

Stand des EU-<br />

Zulassungsverfahrens<br />

UNTERNEHMENSUMSATZ<br />

Ad<strong>26</strong>.COV2.S<br />

Vektor-Impfstoff<br />

noch keine Angabe<br />

Enthalten sind veränderte menschliche<br />

Schnupfenviren, die sich nicht vermehren und<br />

nicht krank machen können. In diese wurde,<br />

wie beim Impfstoff von AstraZeneca, der genetische<br />

Bauplan des Coronavirus-Oberflächenproteins<br />

als DNA integriert<br />

eine zu 0,3 Milliliter<br />

eine Impfung<br />

Spritze in die Oberarmmuskulatur<br />

Daten aus der Phase-3-Studie lagen bei<br />

Redaktionsschluss noch nicht vor<br />

siehe oben<br />

bei Kühlschranktemperaturen mindestens drei<br />

Monate und bei minus 20 Grad zwei Jahre<br />

6,98 Euro<br />

ab 18 Jahren<br />

im Rolling Review seit 2. Dezember 2<strong>02</strong>0<br />

Umsatz Johnson & Johnson: 66,6 Milliarden Euro (2019)<br />

LÄNDER UND KONZERNE<br />

Weitere Impfstoffe<br />

im Überblick<br />

‸ Russland setzt auf Sputnik V<br />

Der Vektor-Impfstoff ähnelt dem von Astra-<br />

Zeneca und glänzt mit einer Wirksamkeit von<br />

91,6 Prozent, wie Zwischenergebnisse der<br />

Phase-3-Studie mit 20 000 Teilnehmern gezeigt<br />

haben. Experten vermuten, dass ein Wechsel der<br />

Vektorviren zwischen der ersten und der zweiten<br />

Dosis der Grund dafür ist. Bei Vektor-Impfstoffen<br />

kann es passieren, dass das Immunsystem auch<br />

Antikörper gegen das Vektorvirus ausbildet,<br />

sodass es dieses bei der zweiten Impfdosis gar<br />

nicht bis zu den Zellen schafft. Das haben die russischen<br />

Entwickler offenbar bedacht und setzen<br />

bei der zweiten Dosis auf einen anderen Vektor.<br />

Die frühe Einführung von Sputnik V wurde von<br />

manchen Experten hierzulande als voreilig<br />

bewertet. Er scheint sich nun aber zu bewähren.<br />

In mehr als 15 Ländern wird der Impfstoff mittlerweile<br />

eingesetzt, darunter Ungarn, Ägypten,<br />

Argentinien und Nepal. Die Zulassung bei der<br />

Europäischen Zulassungsbehörde EMA ist beantragt.<br />

Derzeit wird darüber nachgedacht, den<br />

Impfstoff auch in Deutschland zu produzieren.<br />

‸ Indien verschenkt Covishield<br />

Beim weltweit größten Impfstoff-Hersteller in<br />

Indien hat es Anfang des Jahres gebrannt. Offenbar<br />

war die Impfstoff-Produktion davon aber<br />

nicht betroffen. Dort wird der britische Impfstoff<br />

von AstraZeneca unter dem Namen Covishield<br />

erzeugt. Er wird vor allem für den Eigenbedarf<br />

eingesetzt, Brasilien hat aber auch bereits eine<br />

große Charge erhalten. Ärmere Nachbarländer<br />

wie Bhutan oder Nepal werden von Indien gratis<br />

mit Impfstoff ausgestattet. Nur der benachbarte<br />

Erzfeind Pakistan wird nicht beliefert.<br />

‸ China: drei Impfstoffe<br />

Die Vakzine des Staatskonzerns Sinopharm<br />

basiert, anders als die anderen Impfstoffe, auf<br />

abgetöteten Coronaviren. Noch vor der Zulassung<br />

wurden damit Angestellte staatlicher Unternehmen<br />

und des Gesundheitswesens geimpft.<br />

Die Wirksamkeit wird mit 79 Prozent angegeben.<br />

Serbien hat den Impfstoff als erstes europäisches<br />

Land bereits Mitte Januar zugelassen. Die chinesischen<br />

Hersteller Sinovac und CanSinoBIO sind<br />

ebenfalls mit Impfstoffen im Rennen: CoronaVac<br />

von Sinovac setzt auf inaktivierte Sars-CoV-2-<br />

Viren, CanSinoBIO schickt einen Adenovirus-<br />

Impfstoff auf den Markt, der den Bauplan für das<br />

Oberflächenprotein von Coronaviren enthält.<br />

Beide Impfstoffe werden derzeit in Phase-3-Studien<br />

getestet.<br />

30<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong>


FOTO: ADOBE STOCK, PR (3)<br />

SANOFI-GLAXOSMITHKLINE (GSK)<br />

NOCH KEIN NAME<br />

Impfstoff des französischen Herstellers Sanofi (in Kooperation mit<br />

GSK). Aufgrund bislang zu geringer Wirkung nun frühestens Ende<br />

<strong>2<strong>02</strong>1</strong> verfügbar. Die EU hat 300 Millionen Impfdosen bestellt. Sanofi<br />

unterstützt derzeit die Herstellung des Biontech/Pfizer-Impfstoffs.<br />

ALLGEMEIN<br />

Name<br />

Typ<br />

Wirksamkeit<br />

Wirkweise<br />

Anzahl Dosen<br />

Impfschema<br />

Applikation<br />

NEBENWIRKUNGEN<br />

häufigste Nebenwirkungen<br />

noch nicht bekannt<br />

Impfstoff auf Basis von Proteinen<br />

ungenügend – vor allem bei<br />

älteren Testpersonen<br />

Sanofi setzt auf das Impfprinzip<br />

der jährlichen Grippe-Impfstoffe.<br />

Die Vakzine enthält das<br />

Oberflächen-Spike-Protein<br />

des Covid-19-Virus. Das Protein<br />

wird im Labor erzeugt, die<br />

Körperzellen müssen es also nicht<br />

selbst produzieren<br />

zwei<br />

zwei Impfungen<br />

Spritze in die Oberarmmuskulatur<br />

bisher keine Angaben<br />

seltene Nebenwirkungen<br />

siehe oben<br />

HALTBARKEIT/PREIS/FREIGABE<br />

Haltbarkeit<br />

Preis pro Dosis<br />

Altersfreigabe<br />

Stand des EU-<br />

Zulassungsverfahrens<br />

UNTERNEHMENSUMSATZ<br />

Umsatz<br />

bei Kühlschranktemperatur<br />

unter 10 Euro<br />

keine Angaben<br />

Phase-2-Studie wird wiederholt<br />

Sanofi: 36,0 Milliarden Euro (2019)<br />

GSK: 39,8 Milliarden Euro (2019)<br />

CUREVAC<br />

CVNCOV<br />

Curevac ist ein Pharmaunternehmen aus Tübingen. Die Phase-3-<br />

Studie mit dem mRNA-Impfstoff läuft aktuell. Mit ersten Ergebnissen<br />

ist Ende März zu rechnen. Curevac ist gerade Kooperationen mit den<br />

Pharmaunternehmen Bayer und GSK eingegangen.<br />

ALLGEMEIN<br />

Name<br />

Typ<br />

Wirksamkeit<br />

Wirkweise<br />

Anzahl Dosen<br />

Impfschema<br />

Applikation<br />

NEBENWIRKUNGEN<br />

häufigste Nebenwirkungen<br />

seltene Nebenwirkungen<br />

CVnCoV<br />

mRNA-Impfstoff<br />

noch keine Angabe<br />

Es ist nur eine sehr geringe Menge<br />

CVnCoV nötig, was Nebenwirkungen<br />

reduzieren könnte. Die EU<br />

hat 405 Millionen Dosen bestellt.<br />

Gemeinsam mit GSK wird an einer<br />

Wirkung gearbeitet, die besser<br />

gegen die ansteckenderen Varianten<br />

schützt<br />

zwei zu je 0,3 Milliliter<br />

21 Tage zwischen beiden Dosen<br />

Spritze in die Oberarmmuskulatur<br />

Die Sicherheit wird gerade in der<br />

Phase-3-Studie getestet<br />

siehe oben<br />

HALTBARKEIT/PREIS/FREIGABE<br />

Lagerung und Transport:<br />

Haltbarkeit<br />

minus 70 Grad,<br />

bei plus 5 Grad drei Monate haltbar<br />

Preis pro Dosis<br />

10 Euro<br />

Altersfreigabe<br />

ab 18 Jahren<br />

Stand des EU-<br />

im Rolling Review seit<br />

Zulassungsverfahrens<br />

2. Dezember 2<strong>02</strong>0<br />

UNTERNEHMENSUMSATZ<br />

Umsatz 12,6 Millionen Euro (2018)<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong> 31


CORONA ∙ IMPFUNG<br />

Impfung<br />

mit Hindernissen<br />

Das Wichtigste zur Massenimpfung<br />

Ein Land auf dem beschwerlichen<br />

Weg zur Herdenimmunität:<br />

Anfang des Jahres haben in vielen<br />

Bundesländern die Massenimpfungen<br />

begonnen. Doch<br />

bei den Abläufen stockt es<br />

Text: Verena Fischer<br />

FOTO: DPA PICTURE-ALLIANCE (3), LAURA NENZ<br />

Sie sind in Messehallen, ehemaligen Asylaufnahmezentren,<br />

Flughäfen oder Sportstätten<br />

untergebracht: Mehr als 400 Impfzentren<br />

sind bundesweit entstanden. Und<br />

alle hatten in den ersten Wochen eines gemeinsam:<br />

Sie waren nahezu menschenleer. Impfungen<br />

wurden anfangs vor allem von mobilen Teams<br />

in Alten- und Pflege heimen durchgeführt. In den<br />

Zentren spielten sich derweil, öffentlich kaum bemerkt,<br />

menschliche Dramen ab. Denn der Impfstoff<br />

ist knapp, aber jeder will ihn. Schnell. Die<br />

Verantwortliche eines bayerischen Impf zentrums<br />

berichtet von bis zu 20000 Euro – geboten für<br />

nur eine Impfung. Und von täglichem Schreien,<br />

Heulen und Flehen um den begehr ten Stoff.<br />

Doch wie sieht es normalerweise aus?<br />

GRUPPE 1: Ü 80 UND BETREUER<br />

Solange der Impfstoff knapp ist, muss bei der<br />

Vergabe priorisiert werden. Dabei geht laut Festlegung<br />

der Ständigen Impfkommission (STIKO)<br />

das größte Risiko vor – auch wenn manche Experten<br />

eine andere Reihenfolge empfehlen. Zuerst<br />

sind Menschen, die über 80 Jahre alt sind, Pflegebedürftige<br />

und ihre Betreuer dran. Auch wird<br />

besonders gefährdetes medizinisches Perso nal<br />

geimpft, etwa von Intensivstationen. Dort wer den<br />

schließlich die Schwersterkrankten gepflegt.<br />

GRUPPE 2: Ü 70<br />

Erst dann können sich auch Perso nen ab 70,<br />

Demenzkranke, Menschen mit Trisomie 21 und<br />

Transplantationspatienten sowie Bewohner von<br />

Gähnende Leere im<br />

deutschlandweit größten<br />

Impfzentrum in den<br />

Hamburger Messehallen.<br />

Hier könnten laut Planung<br />

bis zu 7000 Menschen pro<br />

Tag geimpft werden<br />

1 2<br />

32<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong>


Sammelunterkünften und enge Kontaktpersonen<br />

von Pflegebedürftigen impfen lassen.<br />

GRUPPE 3: Ü 60, WICHTIGE BERUFE<br />

In der dritten Gruppe sind über 60-Jährige, chronisch<br />

Kranke, staatliche Angestellte in besonders<br />

wichtigen Positionen sowie Erzieher, Lehrer und<br />

Mitarbeiter im Einzelhandel an der Reihe.<br />

Danach dürfen sich schließlich Personen<br />

mit geringerem Risiko anmelden. Nicht geimpft<br />

werden sollen vorerst Kinder und Jugendliche<br />

unter 16 Jahren, Personen, die an einer<br />

akuten Erkrankung mit Fieber über 38,5 Grad<br />

leiden oder bei denen eine Unverträglichkeit<br />

gegenüber einem der Impfstoff-Bestandteile<br />

bekannt ist. Auch wird allen, die mit dem neuen<br />

Corona virus infiziert waren, sowie Schwangeren<br />

und Frauen in der Stillzeit (außer es gibt ein<br />

Risiko für einen schweren Verlauf) zunächst<br />

keine Impfung empfohlen.<br />

HERDENIMMUNITÄT – WANN?<br />

Die Bundesregierung hofft, dass bereits in diesem<br />

Herbst 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung geimpft<br />

sein werden. Das soll für eine Herdenim munität<br />

ausreichen. Allerdings könnten neue Virus-<br />

Varianten höhere Anteile erforderlich machen.<br />

Die nötigen Impfstoff-Mengen sind zwar bestellt,<br />

doch die Belieferung klappt bei Weitem nicht<br />

reibungslos. Wegen Lieferschwierigkeiten bei<br />

Biontech/Pfizer Mitte Januar mussten kurzfristig<br />

viele Bundesländer eine Zwangsimpfpause einlegen,<br />

auch AstraZeneca meldete Lieferengpässe<br />

für seinen Impfstoff.<br />

Die Impfungen starteten bisher also nur im<br />

Schneckentempo. Sobald weitere Lieferungen<br />

eintreffen, mehr Hersteller eine Zulassung<br />

bekommen und Impfungen mit leichter handhabbaren<br />

Impfstoffen auch in Hausarztpraxen<br />

durchgeführt werden, soll der Prozess aber<br />

deutlich an Tempo gewinnen. So die Hoffnung.<br />

Ob sich jeder impfwillige Deutsche, wie von der<br />

IMFPUNG IN IMPFZENTREN<br />

1 Eine Terminvereinbarung können Impfberechtigte<br />

telefonisch oder online vornehmen.<br />

Im Zentrum wird die Temperatur gemessen<br />

und ein Aufklärungsblatt ausgehändigt, das<br />

unterschrieben werden muss<br />

2 Bei der Registrierung werden Personaldaten<br />

abgeglichen, die Impfberechtigung geprüft und<br />

eventuell mitgebrachte Medikamentenlisten oder<br />

Diabetikerausweise kontrolliert<br />

3<br />

3 Nach dem Impfgespräch mit einem Arzt<br />

geht es weiter mit der Impfung. Dann<br />

erfolgt eine Eintragung in den Impfpass,<br />

wenn der mitgebracht wurde<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong> 33


CORONA ∙ IMPFUNG<br />

1 2<br />

Politik versprochen, bis Ende September immunisieren<br />

lassen kann, steht noch in den Sternen.<br />

DER IMPFABLAUF<br />

Das Hamburger Impfzentrum soll im Vollbetrieb<br />

an sieben Tagen pro Woche jeweils 14 Stunden<br />

lang geöffnet sein. Eine, die schon dort war:<br />

Seniorin Gisela Möller, 82 Jahre alt. Sie ließ sich<br />

bereits am 12. Januar in den Messe hallen der<br />

Stadt impfen. „Es war total entspannt“, berichtet<br />

sie. „Die riesigen Hallen waren so gut wie leer.<br />

Nach einer Minute im Warteraum ging es schon<br />

weiter zum Arzt.“ Auch der Ablauf vor Ort war<br />

unkompliziert und der Parkplatz direkt vor der<br />

Halle kostenfrei. Nach einer Personenkontrolle<br />

wurde die Einver ständniserklärung unterzeichnet,<br />

und damit waren die Formalitäten auch<br />

schon erledigt. Im Impfgespräch erkundigte sich<br />

der Mediziner nach laufenden Medikationen,<br />

bekannten Aller gien sowie Vorerkrankungen.<br />

Zwei DIN-A4-Blätter klären über mögliche<br />

Nebenwirkungen auf und müssen unterschrieben<br />

abgegeben werden. „Eine Impfung mit allen<br />

Schritten dauert in der Regel 60 bis 90 Minuten“,<br />

erklärt Professor Hans-Peter Scheidel, leitender<br />

Arzt im Messezentrum. „Darin enthalten sind<br />

etwa 15 Minuten zur Beobachtung im Anschluss,<br />

bei älteren Menschen oder solchen mit Vorerkrankung<br />

sogar 30 Minuten.“<br />

So war es auch bei Gisela Möller. „Danach<br />

habe ich mich abgemeldet und bin nach Hause<br />

gefahren“, erzählt sie. „Von der Impfung selbst<br />

habe ich gar nichts gemerkt. Keine Schmerzen,<br />

keine Rötung, keine Müdigkeit.“ Drei Wochen<br />

später steht der Termin für die zweite Dosis an.<br />

Die Anmeldung sei sehr kompliziert gewesen,<br />

erinnert sich die Seniorin. „Unter der bundesweiten<br />

Telefonnummer 116 117 dauert es ewig! Weil<br />

ich selber keinen Computer habe, hat mich meine<br />

Tochter online angemeldet. Aber selbst für sie ist<br />

es nicht einfach gewesen.“<br />

Immer wieder berichten Senioren von den<br />

Schwierigkeiten, einen Termin zu vereinbaren,<br />

und immer wieder sind es Kinder und Enkel,<br />

die sich der Herausforderung Onlineanmeldung<br />

stellen müssen. Für weitere Unzufriedenheit<br />

sorgt, dass Ehepartner, auch wenn beide über<br />

80 Jahre alt sind, oftmals keine gemeinsame Impfung<br />

vereinbaren können. Da müssen dann beide<br />

jeweils zu einem Termin erscheinen. Und nicht<br />

alle sind noch so fit wie Gisela Möller, die selbst<br />

mit dem Auto am Impfzentrum vorfuhr.<br />

FOTO: GETTY IMAGES<br />

SERVICE<br />

Anmeldeverfahren im Überblick<br />

Überregionale Rufnummer und Website<br />

Telefon: 116 117 (Mo bis So 8 bis 22 Uhr)<br />

Online: www.impfterminservice.de<br />

für Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen,<br />

Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt,<br />

Schleswig-Holstein<br />

Regionale Rufnummern<br />

Niedersachsen 0800 9988665<br />

Rheinland-Pfalz 0800 5758100<br />

Mecklenburg-Vorpommern 0385 20 27115<br />

Saarland 0800 9991599<br />

Sachsen 0800 0899089<br />

Schleswig-Holstein 0800 4556550<br />

Thüringen 03643 4950490<br />

Regionale Website-Buchungssysteme<br />

Bayern<br />

www.impfzentren.bayern<br />

Niedersachsen<br />

www.impfportal-niedersachsen.de<br />

Rheinland-Pfalz<br />

www.impftermin.rlp.de<br />

Saarland<br />

www.impfen-saarland.de<br />

Sachsen<br />

sachsen.impfterminvergabe.de<br />

Schleswig-Holstein<br />

www.impfen-sh.de<br />

Thüringen<br />

www.impfen-thüringen.de<br />

HERAUSFORDERUNG LOGISTIK<br />

Auch der Transport der Impfstoff-Dosen<br />

ist eine Herausforderung. Schließlich muss der<br />

Impfstoff von Biontech/Pfizer bei minus 70 Grad<br />

gelagert und transportiert werden. Dafür kooperieren<br />

Niedersachsen und Baden-Württemberg<br />

mit dem Logistiker DHL. Der beliefert die<br />

Impfzentren aus einem Zwischenlager in den<br />

Niederlanden. „Von einem Standort in Deutschland<br />

aus versorgen wir die Impfzentren mit weiterem<br />

Zubehör, auch Zentren in Hessen “, berichtet<br />

Thomas Ellmann, Vice President Life Sciences &<br />

Healthcare bei DHL. „Sie müssen sich vorstellen,<br />

dass pro Impfstoff-Karton etwa das 30-Fache an<br />

Volumen für das Impfzubehör nötig ist – Nadeln,<br />

Kanülen, Desinfektionsmaterial, physiologische<br />

Kochsalzlösung und Verbandmaterial.“<br />

In jedem Karton sind im Falle von Biontech/<br />

Pfizer etwa 5000 Impfstoff-Dosen enthalten, die<br />

gekühlt mit Trockeneis ihr Ziel erreichen. „Minus<br />

70 Grad und Trockeneistransporte sind nicht neu<br />

für die Pharmalogistik“, ergänzt Ellmann. „Aber<br />

in der Vergangenheit gab es das in sehr geringem<br />

Ausmaß bei klinischen Studien oder gewissen<br />

34<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong>


IMPFUNG IN ALTEN-<br />

UND PFLEGEHEIMEN<br />

1 Impfstoffe, bei denen extreme Minusgrade<br />

die Haltbarkeit sichern, werden in speziellen Kühlboxen<br />

mit Trockeneis transportiert<br />

2 Mobile Impfteams bestehen aus mindestens<br />

drei Personen: einem Arzt, einer medizinischen<br />

Fachkraft (etwa einem Rettungssanitäter) und einer<br />

Verwaltungskraft<br />

3<br />

3 Um Ausbrüche in Alten- und Pflegeheimen zu<br />

stoppen und Bewohner zu schützen, wird diesen in<br />

ganz Deutschland zuerst eine Impfung angeboten<br />

Tier-Impfstoffen, also insgesamt bei äußerst<br />

kleinen Mengen. Nun muss diese Ausnahmesituation<br />

von sehr vielen Leuten an sehr vielen Orten<br />

umgesetzt werden. Das ist die Herausforderung.“<br />

In diesem und im kommenden Jahr müssen<br />

weltweit etwa zehn Milliarden Impfstoff-Dosen<br />

verteilt werden, um eine Herdenimmunität<br />

für die Weltbevölkerung zu ermöglichen. „Die<br />

Vorbereitungen laufen seit Monaten. Dazu<br />

kooperieren wir mit Hilfsorganisationen in den<br />

Ländern Afrikas und Lateinamerika und mit<br />

Pharmaherstellern“, so der Logistikexperte.<br />

Weltweit hat Israel bei den Massenimpfungen<br />

die Nase vorn. Ein Deal mit dem Impfstoff-Hersteller<br />

Biontech/Pfizer hat dem Land eine Son-<br />

derlieferung verschafft. Dafür bezahlt Israel laut<br />

einem Bericht der Deutschen Presse-Agentur<br />

mehr für die Impfdosen und teilt zudem Daten<br />

seines Gesundheitssystems mit den Herstellern.<br />

Bis Ende März sollen dort alle Impfwilligen geimpft<br />

worden sein. Aktuell steckt das Land dennoch<br />

in einer dritten Corona welle, die Zahl der<br />

Neuinfektionen steigt weiter an. Es zeigen sich<br />

aber erste Impferfolge: Bei Geimpften fiel die<br />

Anzahl an Neuinfektionen bereits zwei Wochen<br />

nach der ersten Dosis um ein bis zwei Drittel<br />

geringer aus (je nach meldender Krankenkasse).<br />

Die Vereinigten Arabischen Emirate landen<br />

auf Platz zwei der Impfquoten und haben das<br />

Ziel, Ende März die Hälfte der zehn Millionen<br />

Einwohner zu immunisieren. In der Metropole<br />

Dubai kommt dafür der Impfstoff von Biontech/Pfizer<br />

zum Einsatz, in weiteren Teilen der<br />

Emirate die chinesische Sinopharm-Vakzine. Die<br />

Emirate waren das erste Land nach China, das<br />

dem Impfstoff zuließ. Pro Tag werden dort mehr<br />

als 100 000 Menschen geimpft. Auch das Königreich<br />

Bahrain glänzt mit einer hohen Impfquote,<br />

in Europa ist Großbritannien führend.<br />

Russland fällt auf, weil hier frühzeitig ein<br />

eigener Impfstoff entwickelt worden ist.<br />

Nach eigenen Angaben sind bisher mehr als<br />

1,5 Millio nen Menschen mit Sputnik V geimpft<br />

worden. Derzeit visiert der Hersteller auch eine<br />

Zulassung in Europa an.<br />

DAS WETTRENNEN DER CORONA-IMPFUNGEN<br />

Anzahl der verabreichten Einzel-Impfdosen je<br />

100 Einwohner in Ländern weltweit*<br />

Israel<br />

69<br />

62<br />

Gibraltar<br />

VAE<br />

47<br />

45<br />

Seychellen<br />

Kaiman-Inseln<br />

21<br />

20<br />

Großbritannien<br />

Israel impft im Schnelldurchlauf.<br />

Impfzentren schaffen<br />

bis zu 100 000 Impfungen pro<br />

Tag. Angefangen wurde<br />

auch dort mit den Alten, Ende<br />

Januar bekamen aber<br />

bereits Teenager den Impf -<br />

stoff von Biontech/Pfizer<br />

Isle of Man<br />

Bermuda<br />

USA<br />

...<br />

Deutschland<br />

4,4<br />

15<br />

15<br />

14<br />

Stand: 10. Februar <strong>2<strong>02</strong>1</strong><br />

* Gezählt wurde jede Impfdosis einzeln,<br />

oftmals sind jedoch zwei Impfungen<br />

nötig für den Schutz vor Covid-19.<br />

Quelle: RKI, OWID<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong> 35


CORONA ∙ IMPFPFLICHT<br />

Zwang durch<br />

die Hintertür<br />

Eine staatliche Pflicht zum Impfen ist eher unwahrscheinlich.<br />

Aber ist es rechtlich und moralisch vertretbar und gesellschaftlich<br />

sinnvoll, Geimpften Vorteile gegenüber Nichtgeimpften einzuräumen?<br />

Welche Argumente in der Debatte eine Rolle spielen<br />

FOTO: ADOBE STOCK, GETTY IMAGES (2), REINER ZENSEN<br />

Text: Verena Fischer<br />

Derzeit ist der Impfstoff knapp und<br />

die Anzahl Geimpfter entsprechend<br />

gering. Und doch werden bereits hitzige<br />

Debatten darüber geführt, ob Geimpfte<br />

Vorteile gegenüber Nichtgeimpften erhalten<br />

sollen. Können wir in Zukunft einen Impfausweis<br />

als Eintrittskarte zurück in die Normalität<br />

verlangen? „Ich glaube, wir können nicht nur,<br />

wir müssen teilweise sogar“, argumentiert Steffen<br />

Augsberg, Professor für Öffentliches Recht und<br />

Mitglied des Deutschen Ethikrats. Der Experte<br />

weist auf die prekäre Lage vieler Unternehmer<br />

hin, die seit Monaten keine Einnahmen haben:<br />

„Nehmen Sie die Situation kleiner Theater oder<br />

Restaurants. Für die macht es einen ganz erheblichen<br />

Unterschied, wenn alle, die da sitzen,<br />

geimpft und damit mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />

nicht infektiös sind. Dann müssen entsprechende<br />

Sicherheitsmaßnahmen auch nicht aufrechterhalten<br />

werden. Das kann für den Unternehmer<br />

ein großer Vorteil sein“, erklärt er.<br />

PROF. DR. STEFFEN AUGSBERG<br />

Professor für<br />

Öffentliches Recht<br />

Steffen Augsberg lehrt an der Justus­<br />

Liebig­Universität Gießen und<br />

ist Mitglied des Deutschen Ethikrats.<br />

Im akademischen Jahr 2019/20 war<br />

er Fellow am Alfried­Krupp­Wissenschaftskolleg<br />

in Greifswald.<br />

Für Augsberg stellt sich eher die Frage, in<br />

welchen Bereichen eine Differenzierung sinnvoll<br />

ist und in welchen nicht. „Im öffentlichen<br />

Nahverkehr ist es bestimmt besser, wenn alle<br />

eine Maske tragen“, sagt er. „Einfach weil es für<br />

Verunsicherung sorgt, wenn einige ungeschützt<br />

auftauchen.“ Aber die Möglichkeit, dass Geimpfte<br />

ansonsten gewisse Freiheiten genießen,<br />

also wieder bestimmte Freizeit- oder berufliche<br />

Aktivitäten aufnehmen können, ist für ihn<br />

kein No-Go: „Im Gegenteil, da müssen wir<br />

dann nach und nach Lockerungen vornehmen.“<br />

DROHT DIE IMPFKLASSENGESELLSCHAFT?<br />

Wenn Geimpfte Sonderrechte bekommen,<br />

gleiche das einer Impfpflicht durch die Hintertür,<br />

halten Kontrahenten dagegen. Sie befürchten,<br />

dass Ungleichbehandlungen aufgrund des<br />

Impfstatus Deutschland in eine Zweiklassengesellschaft<br />

verwandeln könnten. Ist eine solche<br />

Ungleichbehandlung fair? Und wie kann<br />

sie überwacht werden? Vor allem polizeiliche<br />

Kontrollen sind dabei sicher problematisch.<br />

36<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong>


»Wenn dieses<br />

Risiko nicht mehr<br />

gegeben ist,<br />

weil Hochrisikogruppen<br />

bereits geimpft<br />

sind, dann müssen<br />

Lockerungen<br />

für alle gelten.«<br />

Und eine Prozesslawine gegen Menschen, die<br />

ohne Impfnachweis in Bars und Discos erwischt<br />

werden, will sicher auch niemand.<br />

Rein rechtlich gibt es allerdings die Möglichkeit,<br />

eine Differenzierung nach Impfstatus<br />

vorzunehmen – denn Restaurants, Bars oder<br />

Privattheater gelten per se nicht als öffentliche<br />

Veranstaltungen, erklärt Augsberg: „Geschäftsführer<br />

können sich durchaus entscheiden,<br />

nur Geimpfte in ihr Restaurant zu lassen. Solange<br />

sie nicht gegen das Gleichbehandlungsgesetz<br />

verstoßen, also nach ethnischer Herkunft,<br />

Religion oder Behinderung differenzieren, ist<br />

das Ausdruck des Privatgrundrechts.“<br />

Wird Reisen bald den Geimpften vorbehalten sein? Möglich wäre es, denn Reiseunternehmen können<br />

frei entscheiden, wen sie mitnehmen – solange sie niemanden diskriminieren<br />

UNFAIRER GENERATIONSKONFLIKT<br />

Wenn Geimpfte viele der zuvor eingeschränkten<br />

Möglichkeiten zurückerhalten, bleiben<br />

im Umkehrschluss diejenigen am längsten eingeschränkt,<br />

die als Letzte geimpft werden –<br />

also Kinder und Jugendliche. Seit Beginn der<br />

Pandemie müssen sich Jüngere einschränken,<br />

um Ältere, Schwächere und somit auch das<br />

strapazierte Gesundheitssystem zu schützen –<br />

dabei sind sie selbst durch die Infektion wenig<br />

gefährdet. Und nun erhalten die Älteren die<br />

Privilegien zurück, und die Jüngeren müssen<br />

sich weiter einschränken – ist das vertretbar?<br />

„Solidarität bedeutet auch, solidarisch gegenüber<br />

Menschen zu sein, die eben aus ihrer<br />

individuellen Situation heraus nicht mehr beschränkt<br />

werden müssen“, entgegnet Augsberg.<br />

„Man gönnt denen dann eben auch mal was“,<br />

sagt er und meint damit primär die Menschen<br />

über 80, die seiner Meinung nach ganz besonders<br />

unter den Einschränkungen und der damit<br />

verbundenen Vereinsamung leiden. „Also,<br />

wenn es so weit ist, dass diese über 80-Jährigen<br />

ihre zweite Impfdosis bekommen, dadurch<br />

nicht mehr infektiös sind und wieder ins<br />

Thea ter gehen können, Kreuzfahrten machen<br />

können, sich wechselseitig besuchen – was ist<br />

mein Interesse daran zu sagen, das dürfen<br />

sie so lange nicht, bis ich auch geimpft bin?“<br />

Für Bewohner von Pflegeheimen fordert<br />

Augsberg eine noch schnellere Lösung:<br />

„Kontakt beschränkungen müssen sofort aufgehoben<br />

werden, wenn Bewohner ihre zweite<br />

Impfdosis erhalten“, sagt er. „Es gibt keine<br />

Begründung für die teilweise starke Isolierung<br />

alter Menschen mehr, wenn die Impfung<br />

nur das Erkrankungsrisiko reduziert. Das heißt,<br />

innerhalb eines Heims sollte die Frau Müller<br />

die Frau Schulz besuchen dürfen, wenn beide<br />

geimpft sind. Das könnte man jetzt schon<br />

angehen. Weil das Personen sind, die ganz besonders<br />

belastet sind durch die Pandemie,<br />

die in spezifischer Weise vereinsamen. Das<br />

wür de die Situation der Menschen in Pflegeheimen<br />

massiv verbessern.“<br />

GLEICHE GRUNDRECHTE FÜR ALLE<br />

Gegen eine Bevorzugung einzelner Bevölkerungsschichten<br />

argumentiert indes der Deutsche<br />

Ethikrat. Die Corona-Einschränkungen<br />

seien gravierende Eingriffe in die Grundrechte,<br />

heißt es in einer aktuellen Stellungnahme.<br />

Sie seien nur dadurch gerechtfertigt, dass eine<br />

Überlastung des Gesundheitssystems drohe.<br />

„Wenn dieses Risiko nicht mehr gegeben ist,<br />

weil Hochrisikogruppen bereits geimpft<br />

sind, dann müssen Lockerungen für alle gelten“,<br />

so der Ethikrat weiter.<br />

SCHNELLTESTS ALS LÖSUNG?<br />

Möglicher Ausweg aus dem Dilemma: Schnelltests.<br />

Sie könnten vor Konzerten verpflichtend<br />

eingesetzt werden, sodass jeder eingelassen<br />

wird, der nachweisen kann, dass er nicht akut<br />

mit Covid-19 infiziert ist. Nach heutigem<br />

Wissensstand trifft das auch Geimpfte, da bisher<br />

unklar ist, ob diese weiterhin ansteckend sein<br />

können. Unter solchen Sicherheitsmaßnahmen<br />

wären theoretisch etwa Großveranstaltungen<br />

für alle wieder denkbar.<br />

Für den Besuch<br />

von Konzertveranstaltungen<br />

benötigt man<br />

demnächst neben<br />

der Eintrittskarte<br />

vielleicht auch einen<br />

Impfausweis.<br />

Rechtlich ist das<br />

durchaus möglich<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong> 37


FORSCHUNG ∙ MEDIZIN<br />

FOTO: SHUTTERSTOCK<br />

Die aktuellen Corona-Impfstoffe<br />

bringen das Erbgutmolekül<br />

DNA mit seiner<br />

charakteristischen Doppelhelix-<br />

Struktur ins Gesrpäch<br />

38<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong>


Wie<br />

funktioniert<br />

Impfen?<br />

Alles redet seit Monaten über Impfstoffe. Doch was<br />

ist Impfen? Was passiert im Körper, sobald die Spritze<br />

die Flüssigkeit in unseren Muskel gedrückt hat? Und<br />

was unterscheidet die verschiedenen Impfstoff-Typen?<br />

Fragen, die wir hier klären<br />

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FORSCHUNG ∙ MEDIZIN<br />

Pocken, Polio, Masern – und aktuell<br />

Corona. Schon immer wurden Menschen<br />

von Killerviren heimgesucht und<br />

in großer Zahl dahingerafft. Gegen<br />

bestimmte Krankheitserreger war der Mensch<br />

in seiner Geschichte schlichtweg machtlos. Erst<br />

mit der Erfindung der modernen Impfung gegen<br />

Ende des 18. Jahrhunderts hielt Homo sapiens<br />

eine wirklich wirksame Waffe gegen Viren in der<br />

Hand. Schutzimpfungen gelten als eine der wirksamsten<br />

Behandlungsmethoden der Medizin<br />

und zählen heute zu den wichtigsten Vorsorgemaßnahmen<br />

im Gesundheitswesen. Es war<br />

nicht zuletzt das weltweite, beharrliche Impfen<br />

unter der Leitung der Weltgesundheitsorganisation<br />

(WHO), das 1980 die Pocken ausrottete.<br />

Auch Polio (Kinderlähmung) konnte nur mit<br />

Impfungen bekämpft werden. Und so ist Europa<br />

laut WHO seit 20<strong>02</strong> poliofreies Gebiet. In einigen<br />

Ländern gibt es aber nach wie vor Fälle von<br />

Kinderlähmung – das Virus ist also noch nicht<br />

ausgerottet. Daher bleibt die Schutzimpfung<br />

gegen Polio weiterhin wichtig.<br />

Doch wie funktionieren Impfungen eigentlich?<br />

Um das zu verstehen, muss man sich<br />

zunächst einmal die Funktionsweise des Immunsystems<br />

anschauen.<br />

FOTOS: ADOBE STOCK, BIONTECH SE<br />

Text: Iunia Mihu<br />

DAS GEDÄCHTNIS DES IMMUNSYSTEMS<br />

Tag für Tag werden wir angegriffen – nur<br />

merken wir das meist nicht. Denn die körpereigene<br />

Abwehr leistet ganze Arbeit, damit wir<br />

gesund bleiben. Sie bekämpft Bakterien, Viren,<br />

Parasiten oder Pilze, macht sie unschädlich und<br />

befördert sie aus dem Körper. Auch ist unser<br />

Immunsystem in der Lage, Schadstoffe aus der<br />

Umwelt zu erkennen und zu neutralisieren.<br />

Zudem erkennt es krankhafte Zellveränderungen<br />

(etwa Krebszellen) und bekämpft auch sie.<br />

Und wo genau sitzt das Immunsystem? Im<br />

Grunde im gesamten Körper. Man kann sich<br />

das angeborene Immunsystem wie einen unsicht -<br />

baren Superheldenanzug vorstellen, den wir<br />

rund um die Uhr tragen – ohne ihn zu spüren.<br />

Zum körpereigenen Abwehrsystem zählen<br />

unter anderem Gefäßsysteme wie Lymphbahnen<br />

und Blutadern, die für den Transport von Abwehrzellen<br />

und anderen Stoffen zuständig sind,<br />

aber auch verschiedene Organe. Sehr bedeutend<br />

ist der Thymus, eine Drüse, die hinter dem<br />

Brustbein und über dem Herzen liegt und nur<br />

bei Kindern voll ausgebildet ist. Vom Jugendalter<br />

an wird sie nach und nach in Fettgewebe<br />

umgewandelt. In der Thymusdrüse lernen bestimmte<br />

Abwehrzellen, die T-Lymphozyten oder<br />

T-Zellen, körpereigene von fremden Strukturen<br />

zu unterschieden – so können die Abwehrzellen<br />

Krankheitserreger angreifen und Infektionen<br />

abwehren. Der Thymus wird auch als „Schule<br />

der Körperpolizei“ bezeichnet. Im Erwachsenenalter<br />

ist die Ausbildung der Körperpolizei<br />

beendet – die Thymusdrüse verändert sich,<br />

das Immunsystem wird im Alter schwächer<br />

und bedarf größerer Unterstützung, etwa durch<br />

ausgewogene Ernährung.<br />

Zu den ersten Schutzbarrieren gegen Krankheitserreger,<br />

die von außen eindringen wollen,<br />

gehören die Haut und die Schleimhäute im<br />

Mund-Nasen-Raum. Natürlich vorkommende<br />

Mikroorganismen auf der Haut verhindern, dass<br />

sich krankheitserregende Bakterien und Pilze<br />

dort ansiedeln. Die Schleimhaut im Mund-<br />

Nasen-Raum wiederum ist so ausgestattet, dass<br />

sie die mehr als 10 000 Liter Luft, die ein Erwachsener<br />

im Durchschnitt am Tag einatmet,<br />

erst reinigt, sie also von Staub und Keimen<br />

Unsichtbarer Superheldenanzug:<br />

Haut und Schleimhäute<br />

schützen uns rund um<br />

die Uhr vor Bakterien,<br />

Viren, Parasiten und Pilzen<br />

befreit, bevor sie unsere Lunge erreichen – die<br />

Nase ist quasi die Luftwaschanlage des Körpers.<br />

Schaffen es Erreger dennoch ins Innere,<br />

reagiert das angeborene Immunsystem sofort<br />

und schickt eine Armee von Abwehrzellen (etwa<br />

T-Zellen) los, um die Eindringlinge zu stoppen.<br />

Der Vorteil ist, dass unser Immun system<br />

ein Gedächtnis hat. Das heißt, nach jedem<br />

Erstkontakt mit einem Erreger bildet der Körper<br />

Abwehrstoffe, die genau auf diesen Eindringling<br />

spezialisiert sind: die Antikörper. Das Immunsystem<br />

„antwortet“ also auf Eindringlinge – und<br />

vor allem merkt es sich die Reaktion. „Wiederholen<br />

sich Infektionen mit dem gleichen<br />

Erreger, ist der Körper darauf vorbereitet und<br />

40<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong>


kann sie schneller und effektiver bekämpfen“,<br />

sagt Dr. Ralf Suhr, Vorstandsvorsitzender der<br />

Stiftung Gesundheitswissen.<br />

IMMUNANTWORT ALS VORBILD<br />

Bei der Entwicklung von Impfstoffen haben<br />

Forscher sich genau diese überaus raffinierte<br />

Abwehrstrategie des Körpers zunutze gemacht.<br />

Die Schutzimpfung stellt eine Art Trainingslager<br />

für die Abwehrzellen dar. Das Immunsystem<br />

muss erst lernen, den Erreger zu bekämpfen. Suhr<br />

erklärt weiter: „Ein Impfstoff enthält einige<br />

Krankheitserreger oder deren Bestandteile zum<br />

Üben, damit das Immunsystem die passenden<br />

Antikörper bilden kann. Dringen später echte<br />

Mit dem <strong>Pieks</strong> erhält das<br />

Immunsystem die Anregung,<br />

Antikörper zu bilden<br />

Die Schutzimpfung ist eine Art<br />

Trainingslager für Abwehrzellen.<br />

Das Immunsystem muss erst<br />

lernen, einen Erreger richtig zu<br />

bekämpfen. Impfstoffe enthalten<br />

dafür eine Vorlage zum Üben.<br />

WISSEN<br />

Der Unterschied zwischen Viren und Bakterien<br />

Sowohl Viren als auch Bakterien können uns krank machen – das ist eine der wenigen Gemeinsamkeiten<br />

dieser unterschiedlichen Krankheitserreger. Die wichtigsten Unterschiede auf einen Blick<br />

Typ und Stoffwechsel Bakterien bestehen<br />

aus einer Zelle mit eigenem Stoffwechsel.<br />

Viele Bakterien werden durch eine Zellwand<br />

stabilisiert. Es gibt stäbchenförmige, runde,<br />

spiral- oder fadenförmige Bakterienarten.<br />

Viren hingegen haben keinen Stoffwechsel<br />

und sind somit auch keine Lebewesen; sie bestehen<br />

aus chemischen Verbindungen, einer<br />

Erbinformation und einer Eiweißhülle.<br />

Vermehrung Bakterien benötigen Nahrung<br />

und vermehren sich durch Zellteilung; Viren<br />

müssen eine fremde Zelle (Wirtszelle) befallen,<br />

um dieser ihre Erbinformationen weiterzugeben.<br />

Dadurch wird die befallene Zelle zur<br />

Reproduktion der Viren gezwungen.<br />

Krankheiten Bakterien verursachen zum<br />

Beispiel Lungen- oder Blasenentzündungen<br />

oder Lebensmittelvergiftungen. Wenn<br />

Bakterien die Blutbahn, die Hirnhäute<br />

oder das Herz befallen, können sich lebensbedrohliche<br />

Erkrankungen entwickeln.<br />

Viren verursachen beispielsweise Erkrankungen<br />

der Atemwege (Covid-19, Erkältung,<br />

Grippe). Aber auch Masern, Röteln und Mumps<br />

zählen zu den Viruserkrankungen. Einige<br />

Durchfallerkrankungen werden ebenfalls<br />

durch Viren ausgelöst. Wichtig: Antibiotika<br />

helfen nur gegen bakterielle Infektionen,<br />

aber nicht gegen Viren!<br />

Winzige Helfer Viren und Bakterien sind<br />

nicht nur gefährlich – unsere Gesundheit<br />

haben wir auch den Milliarden von Mikroorganismen<br />

zu verdanken, die uns besiedeln. Sie<br />

leben, wie andere winzig kleine Organismen,<br />

auf unserer Haut, im Mund und vor allem<br />

im Darm. Dort unterstützen sie uns bei der<br />

Verdauung und schützen uns sogar vor<br />

Krankheitserregern. Diese Lebensgemeinschaft<br />

nennen Experten das Mikrobiom.<br />

Erreger in den Körper ein, ist das Immunsystem<br />

bereits gut auf diese vorbereitet.“<br />

Als Lebend-Impfstoffe bezeichnen Mediziner<br />

Vakzinen, die abgeschwächte, aber lebende<br />

Krankheitserreger enthalten, sodass man in der<br />

Regel nicht erkrankt. Beispiele sind Impfstoffe<br />

gegen Masern, Mumps oder Windpocken.<br />

Tot-Impfstoffe dagegen enthalten inaktive Erreger<br />

oder sogar nur bestimmte Teile davon.<br />

Sie werden etwa gegen Keuchhusten, Kinderlähmung<br />

oder Grippe verwendet.<br />

Impfungen sind nur dann wirksam, wenn<br />

man sie vor einer potenziellen Erkrankung<br />

injiziert bekommt – nicht während man die<br />

Krankheit bereits durchmacht. Das liegt daran,<br />

dass es zwei Arten der Immunantwort gibt:<br />

die schon erwähnte angeborene (auch „unspezifische“<br />

genannt) und die erworbene („spezifische“)<br />

Immunantwort, wenn der Körper bereits<br />

auf einen Erreger trainiert ist.<br />

„Die unspezifische wirkt zwar sofort, ist aber<br />

nicht so präzise. Sie kann in vielen Fällen den<br />

Erreger abwehren, aber wenn er die Schutzbarriere<br />

durchbrochen hat, muss eine spezifische<br />

Immunantwort dafür sorgen, dass der Erreger<br />

bekämpft wird“, sagt Professor Ulf Dittmer,<br />

Chefvirologe am Uni kli nikum Essen. Die erworbene<br />

Immun antwort brauche beim Erstkontakt<br />

mit einem Erreger ein bis zwei Wochen, bis sie<br />

überhaupt gebildet werde. „Das erklärt, warum<br />

Impfstoffe in der Regel nicht therapeutisch eingesetzt<br />

werden können, sondern vorbeugend“,<br />

sagt der Virologe. Kommt der Erreger dann ein<br />

zweites Mal, reagiert das Immunsystem dank<br />

der erworbenen Immunantwort schneller.<br />

Einmal in den Oberarm injiziert, können<br />

Impfstoffe zwei verschiedene Arten von<br />

Immunantworten auslösen: Antikörper sowie<br />

T-Zellen. Dittmer erklärt: „Antikörper können<br />

Viren neutralisieren, indem sie sich an die<br />

Virus oberfläche binden und sie so daran hindern,<br />

zu funktionieren und die nächste Zelle zu<br />

infizieren. T-Zellen, auch Killer-T-Zellen genannt,<br />

erkennen virusinfizierte Zellen und töten<br />

diese ab. Dadurch wird verhindert, dass sich<br />

das Virus weiter vermehrt.“<br />

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FORSCHUNG ∙ MEDIZIN<br />

Nicht alle Viren sind<br />

»böse«. Es gibt auch<br />

Viren, die den Menschen<br />

nützlich sind, etwa<br />

in der Krebstherapie.<br />

Viren sind so alt wie das Leben selbst – viel<br />

älter als der Mensch. Sie sind allerdings keine<br />

Lebewesen, denn ihnen fehlt ein Stoffwechsel.<br />

Sie können nur überleben, wenn sie ihre Erbinformation<br />

in eine Wirtszelle einschleusen.<br />

„Viren bestehen aus chemischen Verbindungen<br />

und einer genetischen Information, also einer<br />

RNA oder einer DNA. Drum herum befindet<br />

sich eine Hülle aus Eiweißen – diese Zusammensetzung<br />

hat es schon gegeben, bevor das Leben<br />

entstanden ist“, sagt der Essener Virologe.<br />

Doch nicht alle Viren sind „böse“. Es gibt<br />

durchaus auch Viren, die Menschen sogar<br />

nützlich sind. Beispiel: Krebstherapie. Manche<br />

Viren greifen von Natur aus Tumorzellen<br />

an. Inzwischen kommen Viren zum Einsatz, die<br />

im Labor gentechnisch so verändert wurden,<br />

dass sie Tumorzellen infizieren und abtöten.<br />

„Krebszellen haben ja ein besonders starkes<br />

FOTOS: ADOBE STOCK, ORBON ALIJA/GETTY IMAGES<br />

HINTERGRUND<br />

Was sind RNA<br />

und DNA ?<br />

RNA (Ribonucleic Acid) und DNA (Deoxyribonucleic<br />

Acid) sind natürliche Nukleinsäuren.<br />

Beide Moleküle enthalten genetische<br />

Informationen und können diese weitergeben.<br />

Die DNA hat die Wendeltreppenform<br />

der berühmten Doppelhelix – in ihr<br />

wird das Erbgut gespeichert. RNA dagegen<br />

hat meistens nur einen Strang, ist also<br />

eine Einfachhelix. RNA kann verschiedene<br />

Funktionen haben, die zur Übertragung<br />

von Erbinformationen aus der DNA dienen.<br />

Als Boten-RNA übermittelt sie die in der<br />

DNA gespeicherten Baupläne für Proteine,<br />

sodass diese in den Zellen aus Aminosäuren<br />

zusammengesetzt werden können.<br />

42<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong>


60 bis 70 Prozent<br />

der Bevölkerung<br />

müssen geimpft<br />

sein, um eine<br />

Herdenimmunität<br />

zu erreichen<br />

Vermehrungsprogramm – genau das macht sie<br />

so gefährlich. Das mögen die Viren, denn dadurch<br />

können sie sich in dieser Umgebung auch<br />

schneller vermehren“, erklärt Dittmer weiter.<br />

GENTECHNIK BEI HARMLOSEN VIREN<br />

Einen ähnlichen Trick nutzt etwa der Corona-<br />

Impfstoff des Herstellers AstraZeneca. Er<br />

verwendet harmlose Adenoviren als Transportmittel.<br />

„Gentechnisch wird ein Stück des SARS-<br />

CoV-2- Virus in die Adenoviren eingebaut. Wir<br />

impfen also mit einem harmlosen Virus, das<br />

dann eine Immunantwort auslöst. Die richtet<br />

sich auch gegen das gefährliche Coronavirus,<br />

weil ja ein Stück davon im Virus eingebaut<br />

wurde“, erklärt der Virologe. Vektor-Impfstoff<br />

nennt sich diese Art Vakzine.<br />

Grundsätzlich wird Impfen vor allem gegen<br />

Viren eingesetzt. Das Prinzip wirkt aber auch<br />

gegen einige durch Bakterien verursachte<br />

Krankheiten, zum Beispiel Tetanus, Diphtherie<br />

oder Keuchhusten. Gegen die meisten Bakterien<br />

wird allerdings nicht präventiv, sondern<br />

WORT DES JAHRES?<br />

Herdenimmunität<br />

kann schützen<br />

Wir begegnen ständig Viren und Bakterien,<br />

die hoch ansteckende und teilweise<br />

lebensbedrohliche Krankheiten auslösen<br />

können. Gegen manche Erkrankungen<br />

kann man sich mittels einer Impfung<br />

schützen. Wenn nur wenige Menschen<br />

geschützt sind, haben hoch ansteckende<br />

Krankheiten (etwa Masern) leichtes<br />

Spiel. Sie können sich dann rasend schnell<br />

verbreiten. Je mehr Menschen geimpft<br />

oder durch eine überstandene Erkrankung<br />

immun sind, desto weniger können sich<br />

anstecken. Man spricht dann von Herdenimmunität.<br />

Dabei schützen Geimpfte<br />

nicht nur sich selbst, sondern auch andere<br />

Menschen, vor allem „schwächere“,<br />

etwa Babys oder Menschen, deren Immunsystem<br />

nicht gut funktioniert.<br />

Grippeschutzimpfungen<br />

sind jährlich<br />

notwendig, weil<br />

Influenza viren mutieren<br />

und der Impfstoff angepasst<br />

werden muss.<br />

bei einer akuten Erkrankung mithilfe von<br />

Antibiotika vorgegangen.<br />

Für den Aufbau eines langfristigen Impfschutzes,<br />

der Grundimmunisierung, sind<br />

in vielen Fällen mehrere Impfungen nötig. Bei<br />

einigen Impfungen hält der Schutz dann ein<br />

Leben lang (Beispiel: Humane Papillomviren,<br />

kurz HPV). Andere hingegen müssen in zeitlichen<br />

Abständen aufgefrischt werden. Dadurch<br />

wird sozusagen die Erinnerung an den Erreger<br />

im Immunsystem aufrechterhalten. Tetanus<br />

und Keuchhusten zum Beispiel müssen alle zehn<br />

Jahre aufgefrischt werden.<br />

Viel öfter ist dies bei der Grippeschutzimpfung<br />

notwendig. Sie muss jedes Jahr verabreicht<br />

werden. Der Grund: Die Influenzaviren<br />

mutieren ständig. Deswegen ist es nötig, den<br />

Impfstoff jedes Jahr neu an die Mutanten<br />

anzupassen – die körpereigene Abwehr muss<br />

eine neue Reaktion trainieren.<br />

Wie lange der Impfschutz gegen SARS-CoV-2<br />

anhalten wird, lässt sich derzeit noch nicht<br />

abschätzen. Mediziner vermuten aber, dass ein<br />

Covid-19-Impfstoff regelmäßig geimpft werden<br />

muss – ähnlich wie bei Grippe. Angesichts<br />

der bereits registrierten Coronavirus-Mutanten<br />

erscheint das durchaus plausibel.<br />

Neben den aktiven Impfungen gibt es die<br />

Möglichkeit einer passiven Immunisierung.<br />

Ziel ist dabei, einen sofortigen Schutz aufzubauen,<br />

und zwar dann, wenn der Patient<br />

akut erkrankt ist. Der Arzt spritzt Antikörper,<br />

sodass das Immunsystem nicht erst lernen<br />

muss, wie es diese selbst bildet. Die Antikörper<br />

stammen in der Regel von Menschen, die etwa<br />

durch eine Schutzimpfung gegen die Krankheit<br />

immun sind. „Eine passive Impfung wird<br />

verabreicht, wenn der Körper bereits durch<br />

einen gefährlichen Erreger infiziert ist, etwa bei<br />

Tollwut durch einen Hundebiss. Diese Impfung<br />

wirkt schnell, hält aber nicht lange an, da das<br />

Immunsystem kein Gedächtnis ausbildet und<br />

sich die gespritzten Antikörper im Blut wieder<br />

abbauen“, sagt Ralf Suhr.<br />

DIE NEUE METHODE MIT BOTEN-RNA<br />

Die seit Dezember (Biontech/Pfizer) beziehungsweise<br />

Anfang Januar (Moderna) in<br />

Deutschland zugelassenen Covid-19-Impfstoffe<br />

funktionieren nach einem anderen – und<br />

ganz neuen – Prinzip. Bei diesen mRNA-Impfstoffen<br />

werden keine abgeschwächten oder<br />

toten Krankheitserreger oder deren Bestandteile<br />

(Antigene) benötigt, um im Körper eine Immunreaktion<br />

hervorzurufen. Vielmehr werden<br />

den menschlichen Zellen Teile der Erbinformation<br />

des Virus geliefert, die als Boten-RNA<br />

gespeichert sind, auf Englisch Messenger-RNA,<br />

kurz mRNA. Solche mRNA-Baupläne werden<br />

in den körpereigenen Zellen benutzt, um Proteine<br />

zu bilden. Der Impfstoff bewirkt den Bau<br />

eines Coronavirus-Bestandteils, nämlich des<br />

stacheligen Spike-Proteins an dessen Oberfläche.<br />

Darauf reagiert das Immunsystem und<br />

erlernt eine Abwehrmethode: Kommt später das<br />

echte Virus in den Körper, blockieren Antikörper<br />

seine Oberfläche und damit seine Funktion.<br />

Ein großer Vorteil der mRNA-Impfstoffe: Sie<br />

lassen sich binnen weniger Wochen an Mutationen<br />

eines Virus anpassen; auch eine erneute<br />

Zulassung mit vollem Erprobungsprogramm<br />

ist dann nicht erforderlich. So hat sich das<br />

stachelförmige Spike-Protein an der Oberfläche<br />

des Coronavirus bereits bei Mutationen<br />

aus Großbritannien, Südafrika und Brasilien<br />

verändert und ist ansteckender geworden.<br />

Bislang funktionieren die Impfstoffe dennoch,<br />

aber wenn die Veränderung zu groß ist, könnte<br />

man das veränderte Virus-Erbgut relativ leicht<br />

in eine neue mRNA-Impfstoffvariante einbauen<br />

und so die Wirksamkeit sichern.<br />

Unter Medizinern ist die Hoffnung groß,<br />

dass die mRNA-Methode in naher Zukunft<br />

Basis für Impfstoffe sein kann, die weitere<br />

Krankheiten eindämmen. Ganz oben auf der<br />

Liste: Krebs.<br />

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FORSCHUNG ∙ ZULASSUNG<br />

Warum so schnell?<br />

Die Zulassung von Impfstoffen ist komplex und dauert oft 15 bis 20 Jahre. Bei Corona<br />

ging es viel schneller. Ein Blick auf Verfahren und Abläufe bei der Impfstoff-<br />

Entwicklung – und auf die Überholspuren, die Covid-19-Vakzinen nehmen konnten<br />

Text: Verena Fischer / Illustrationen: Thomas Kappes<br />

1<br />

Analyse des Virus<br />

Zunächst wird das Erbgut des Erregers untersucht und geprüft, auf welche Bestandteile des Virus das<br />

menschliche Immunsystem reagiert und einen Schutz (etwa Antikörper) aufbauen kann.<br />

COVID-ÜBERHOLSPUR Die Forschenden hatten Glück – Coronaviren sind hinreichend bekannt,<br />

und auch das SARS-CoV-2-Erbgut, in diesem Fall einzelsträngige RNA, wurde frühzeitig<br />

entschlüsselt. So konnten die ersten Forschungsprojekte bereits Anfang 2<strong>02</strong>0 starten.<br />

44<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong>


2<br />

Design des Impfstoffs<br />

Als Nächstes steht die Entwicklung des<br />

Impfstoff-Designs an. Hierbei geht es darum,<br />

eine geeignete Impfstoff-Plattform<br />

(zum Beispiel einen Vektor-Impfstoff) und<br />

passende Zusatzstoffe zu finden.<br />

COVID-ÜBERHOLSPUR Die<br />

mRNA-Technologie wurde erstmals<br />

vor 30 Jahren beschrieben<br />

und schon lange in der Krebsforschung<br />

erprobt. Diese Erkenntnisse kamen den<br />

Forschern nun zugute. Unternehmen wie<br />

Biontech, Moderna und Curevac waren<br />

bereits seit Jahren mit der Entwicklung<br />

von mRNA-Impftechnologien beschäftigt.<br />

Die Herstellung von mRNA-Impfstoffen<br />

geht im Vergleich zur Produktion herkömmlicher<br />

Impfstoffe viel schneller. Es<br />

müssen nicht erst Viren im Labor angezüchtet<br />

und anschließend abgeschwächt<br />

oder abgetötet werden.<br />

3<br />

Erprobung an Tieren<br />

Eine wichtige Voraussetzung für die Zulassung<br />

eines Impfstoffes sind nach wie<br />

vor Tierversuche. Sie sind international<br />

harmonisiert. In der Coronaforschung<br />

sind vor allem Nagetiere die Versuchsobjekte.<br />

Aber auch Affen müssen<br />

herhalten.<br />

COVID-ÜBERHOLSPUR Bei der<br />

Covid-Impfstoff-Entwicklung<br />

haben sich mehr als 20 internationale<br />

Regulierungsbehörden bereits<br />

im März 2<strong>02</strong>0 verständigt, welche<br />

Tierversuche dies sein sollten.<br />

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FORSCHUNG ∙ ZULASSUNG<br />

4<br />

Erprobung<br />

an Freiwilligen<br />

Klinische Studien werden eingeteilt in<br />

drei Phasen mit jeweils immer größeren<br />

Gruppen an Testpersonen. Normalerweise<br />

laufen diese Phasen nacheinander<br />

ab. Um Phase 3 erfolgreich abzuschließen,<br />

muss sich eine bestimmte Teilnehmerzahl<br />

in der Impf- und der Kontrollgruppe mit<br />

dem Krankheitserreger infiziert haben.<br />

COVID-ÜBERHOLSPUR Im Fall<br />

von Corona wurden Phasen<br />

kombiniert durchgeführt.<br />

Außerdem war es möglich, Phase 3 rasch<br />

abzuschließen, da sehr schnell die nötige<br />

Zahl an Infizierten zusammenkam – bei<br />

seltenen Krankheiten dauert das Jahre.<br />

5<br />

Großproduktion<br />

beginnt<br />

Auf neue Impfstoffe folgt meist<br />

eine Zeit der Finanzplanung und Marktevaluation,<br />

denn Hersteller wollen<br />

sichergehen, dass sich eine Produktion<br />

für sie auch finanziell lohnt.<br />

COVID-ÜBERHOLSPUR Um es<br />

Herstellern zu ermög lichen,<br />

Produktionsanlagen schon<br />

vor der Zulassung hochzufahren, haben<br />

die Staaten der Welt im großen Stil<br />

Vorbestellungen eingereicht und so<br />

hohe Summen für Investitionen bereit ­<br />

gestellt. Um weitere Zeit zu sparen,<br />

wurde die Packungsbeilage nur einsprachig<br />

auf Englisch produziert.<br />

46<br />

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Zulassungsverfahren<br />

Normalerweise kann eine Zulassung<br />

erst beantragt werden, wenn Ergebnisse<br />

aus allen drei klinischen Phasen<br />

der Erprobung an Probanden und<br />

Patienten vorliegen.<br />

6<br />

COVID-ÜBERHOLSPUR Die<br />

Europäische Arneimittel-<br />

Agentur EMA bietet ein<br />

beschleunigtes Zulassungsverfahren<br />

an, das Rolling Review. Dabei können<br />

Daten aus der nicht klinischen und<br />

der klinischen Entwicklung eines Impfstoff-Kandidaten<br />

bereits bewertet<br />

werden, bevor sämtliche erforderliche<br />

Daten für einen Zulassungsantrag vorliegen.<br />

Vier Unternehmen haben davon<br />

Gebrauch gemacht: Biontech/Pfizer,<br />

Moderna, AstraZeneca sowie Janssen.<br />

Und: Die EMA bearbeitet alle Zulassungsverfahren<br />

für Covid-19-Impfstoffe<br />

oder -Therapeutika bevorzugt.<br />

7<br />

Versorgung<br />

der Bevölkerung<br />

In Deutschland gibt die Ständige Impfkommission<br />

(STIKO) auf Basis medizinischer<br />

Kriterien Empfehlungen zur<br />

Durchführung von Schutzimpfungen.<br />

COVID-ÜBERHOLSPUR<br />

Die STIKO hat sich der Pandemiesituation<br />

angepasst<br />

und konnte schnellere Empfehlungen<br />

abgeben, weil sie bereits Vorüberlegungen<br />

für verschiedene Szenarien<br />

angestellt hatte.<br />

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ANGST ∙ HISTORIE<br />

Ängste vor dem <strong>Pieks</strong> sind vielfältig,<br />

Aufklärung und Gespräche helfen.<br />

Eine immer wieder diskutierte Impfpflicht<br />

bewirkt eher das Gegenteil<br />

Die Angst ist<br />

so alt wie das<br />

Impfen selbst<br />

Seit es Impfungen gibt, sind auch Ängste vor dem <strong>Pieks</strong> verbreitet.<br />

Welche Bedenken die Menschen seit Jahrhunderten bewegen und<br />

welche neuen Argumente für Skepsis sorgen: ein Blick auf 200 Jahre<br />

Impfgeschichte mit Medizinhistoriker Wolfgang Ulrich Eckart<br />

Text: Verena Fischer<br />

Am 14. Mai 1796 impfte der englische<br />

Landarzt Eduard Jenner erstmalig<br />

einen achtjährigen Jungen mit Kuhpockenviren<br />

aus der Pustel einer<br />

erkrankten Magd. Als Jenner den Jungen sechs<br />

Wochen später mit dem Eiter normaler Pocken<br />

infizierte, war er gegen die Erkrankung immun.<br />

Um die Wirksamkeit zu belegen, impfte<br />

Jenner im Anschluss weitere Kinder, darunter<br />

seinen elf Monate alten Sohn, und schloss aus<br />

den Erfolgen, dass sich auf diesem Weg eine<br />

lebenslange Immunität vor der Pockenerkrankung<br />

erreichen lässt. Gleichzeitig stand für<br />

den Arzt fest, dass eine gezielte Infektion mit<br />

Kuhpocken niemals tödlich endet, womit die<br />

Geschichte der Massenimpfungen begann.<br />

„Die Pockenimpfung wurde wenig später sehr<br />

publik, und es folgte alsbald eine staatliche<br />

Impfgesetzgebung. Seitdem existiert auch das<br />

Phänomen der Impfangst“, erklärt der Medizinhistoriker<br />

Wolfgang Ulrich Eckart.<br />

DER GROSSE POCKENAUSBRUCH<br />

In Bayern und Hessen wurde bereits 1807<br />

die staatliche Impfpflicht eingeführt. Andere<br />

Länder begannen damit erst nach dem großen<br />

Pockenausbruch im Jahr 1870, bei dem allein<br />

in Deutschland eine Viertelmillion Menschen<br />

starb. „Die aufkommenden Ängste waren<br />

verschieden. Darunter waren solche vor dem<br />

<strong>Pieks</strong> an sich, das ist heute nicht anders. Aber<br />

es wurden auch Ängste von Gruppen geschürt,<br />

die das Impfen für die schlimmste Ausgeburt<br />

einer Medizin hielten, die den menschlichen<br />

Körper angeblich mit Arzneimitteln vergiftet“,<br />

so Eckart.<br />

Heilung war damals nach Auffassung vieler<br />

Impfgegner eine Aufgabe der Natur – und die<br />

neue Methode daher mit großen Befürchtungen<br />

verbunden: „Man hatte Angst vor einer<br />

Vergiftung des Bluts durch eine Vermischung<br />

von Tier und Mensch in einer Weise, die<br />

man sich nach heutiger Kenntnis von Genetik<br />

kaum vorzustellen vermag. Es kamen Vergleiche<br />

mit der Sodomie auf, also der geschlechtlichen<br />

Verbindung von Tier und Mensch.“<br />

Die Pocken-Impfpflicht setzte sich im<br />

Verlauf des 19. Jahrhunderts in vielen europäischen<br />

Ländern durch. Parallel schlossen<br />

»Da verwundert es natürlich<br />

nicht, dass Menschen erst<br />

einmal vorsichtig sind und eine<br />

gewisse Skepsis hegen.«<br />

48<br />

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FOTO: DPA PICTURE-ALLIANCE, GETTY IMAGES, PRIVAT<br />

PROF. DR. MED.<br />

WOLFGANG ULRICH ECKART<br />

Professor für Geschichte der<br />

Medizin, Universität Heidelberg<br />

Eckart hat Medizin, Geschichte und<br />

Philosophie studiert. Nach seiner Approbation<br />

als Arzt wurde er Professor<br />

für Geschichte der Medizin sowie<br />

Institutsleiter seines Fachbereichs an<br />

der Universität in Heidelberg. Er ist<br />

Mitglied der Leopoldina – Nationale<br />

Akademie der Wissenschaften.<br />

Seit den 1970er-Jahren wird in Deutschland kein Impfstoff zugelassen, der zum Abschluss aller Prüfungen<br />

nicht auch noch vom Paul-Ehrlich-Institut auf Ungefährlichkeit untersucht worden ist<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong> 49


ANGST ∙ HISTORIE<br />

sich Impfgegner zu Anti-Impf-Vereinen<br />

zusammen – insbesondere im Kaiserreich, als<br />

dort 1874 das Impfgesetz erlassen wurde. „Diese<br />

Impfängste breiteten sich dramatisch aus. Sie<br />

waren im Grunde ganz ähnlich wie heute. Doch<br />

letztlich war der Impferfolg gegen die Pocken<br />

durchschlagend.“ Die Pocken konnten damals<br />

zwar noch nicht ausgerottet werden, aber das<br />

gelang schließlich in den 1970er-Jahren.<br />

DUNKLE SEITEN DER IMPFHISTORIE<br />

Dennoch kam es in der Geschichte des Impfens<br />

auch immer wieder zu Zwischenfällen,<br />

die der Impfangst Nahrung gaben. So war zum<br />

Beispiel 1930 bei einer Charge des sogenannten<br />

BTG-Impfstoffs gegen Tuberkulose der<br />

Erreger nicht im nötigen Maß abgeschwächt<br />

worden. Die damalige Vakzine war ein Lebendimpfstoff<br />

mit abgeschwächten, aber nicht<br />

abgetöteten Erregern. Geht hier während<br />

der Herstellung etwas schief, kann es zu massiven<br />

Infektionen kommen. Und das geschah<br />

beim sogenannten Lübecker Impfunglück:<br />

Schulkindern wurde der Impfstoff injiziert,<br />

Hunderte von ihnen erkrankten an Tuberkulose,<br />

77 starben innerhalb kürzester Zeit. Etwas<br />

Ähnliches passierte auch bei der Einführung<br />

eines Impfstoffs gegen Kinderlähmung (Polio)<br />

in den 1950ern.<br />

HEUTIGE PRÜFVERFAHREN<br />

„Das sind Gefahren, die bei einem neuen<br />

Impfstoff immer drohen, wenn man nicht die<br />

nötigen Sicherheits- und Kontrollmechanismen<br />

einrichtet. Diese Vorkehrungen haben wir heute.<br />

In Deutschland wird kein neuer Impfstoff<br />

zugelassen, dessen Chargen nach dem großen<br />

Prüfverfahren nicht zusätzlich auch noch<br />

vom Paul-Ehrlich-Institut auf Ungefährlichkeit<br />

untersucht worden sind“, versichert Eckart.<br />

Das Paul-Ehrlich-Institut ist die letzte Barriere<br />

zur Verhinderung fehlerhafter Chargen.<br />

Ebenso wichtig: Es überwacht auch, ob es im<br />

alltäglichen Einsatz der Impfstoffe Auffälligkeiten<br />

gibt. „Das ist ein gutes Instrument, das<br />

im Rahmen der Arzneimittelgesetzgebung<br />

der 1970er-Jahre eingeführt worden ist. Heute<br />

kann man sagen, dass es fast unmöglich ist,<br />

dass solche gefährlichen oder vergifteten Impfchargen<br />

auf den Markt kommen.“<br />

Werden wir mit den Erfahrungen aus der Covid-19-Impfung ein größeres Vertrauen in Impfstoffe<br />

entwickeln? Noch sind viele Menschen skeptisch, da es sich um eine neue Art von Impfstoffen handelt<br />

Und doch kam es zuletzt erst im Jahr 2009<br />

während der Schweinegrippe, die durch<br />

einen Influenza virusstamm ausgelöst wurde,<br />

zu schweren Zwischenfällen. Der Impfstoff<br />

Pandemrix, der von der EU im September 2009<br />

zugelassen worden war und mit dem rund<br />

30,8 Millionen Menschen in der Europäischen<br />

Union geimpft wurden, löste in seltenen Fällen<br />

eine Narkolepsie aus.<br />

Eine Narkolepsie ist eine seltene Schlaf-<br />

Wach-Störung, bei der Tagesschläfrigkeit und<br />

Kataplexie (plötzlicher Verlust des Muskeltonus)<br />

auftreten. Eine Studie aus dem Jahr 2015<br />

legt nahe, dass es sich bei dem Impfschaden<br />

um eine Autoimmunerkrankung handelt – also<br />

um eine Veränderung des Immunsystems,<br />

die durch die Impfung verursacht wurde. Bis<br />

Januar 2015 meldeten sich mehr als 1300 Betroffene<br />

mit Impfschäden: 81in Deutschland,<br />

die meisten in skandinavischen Ländern, in<br />

denen Massenimpfungen durchgeführt worden<br />

waren. Zwar sind 1300 Impfschäden bei mehr<br />

als 30 Millionen Geimpften eine geringe Anzahl:<br />

Das entspricht 0,004 Prozent, also wurde<br />

einer von 23 000 Geimpften krank. Das ist auch<br />

der Grund dafür, warum es eine Weile dauerte,<br />

bis das seltene Problem als Folge der Impfung<br />

erkannt werden konnte – auch wenn dieser<br />

sehr schwerwiegenden, unheilbaren Impfschaden<br />

relativ kurz nach der Impfung eintrat. Der<br />

Impfstoff wird in der EU nicht mehr eingesetzt.<br />

MACHEN IMPFSCHÄDEN ANGST?<br />

„Das Risiko, einen Impfstoff nicht zu vertragen,<br />

wird heutzutage im Bereich von deutlich<br />

unter 0,1 Prozent liegen“, sagt Eckart, der nicht<br />

FOTO: ADOBE STOCK, DPA PICTURE-ALLIANCE, GETTY IMAGES<br />

Deutsche Soldaten erhielten erstmals im Ersten Weltkrieg<br />

(1914–18) eine Tetanus-Schutzimpfung<br />

»Das Risiko, einen<br />

Impfstoff nicht<br />

zu vertragen, liegt heute im<br />

Bereich unter 0,1 Prozent.«<br />

50<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong>


Der Impfstoff Pandemrix, der<br />

von der EU im September 2009<br />

zugelassen wurde und mit dem<br />

rund 30,8 Millionen Menschen<br />

in der EU geimpft wurden, löste<br />

in 0,004 Prozent aller Fälle eine<br />

Narkolepsie aus.<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong> 51


ANGST ∙ HISTORIE<br />

FOTO: ADOBE STOCK, DPA PICTURE-ALLIANCE, PRIVAT<br />

Hinreichende Aufklärung über den Sinn und Nutzen einer Impfung hilft nicht nur aktuell dem Patienten gegen seine Angst, sie beugt auch Impfgegnerschaft vor<br />

daran glaubt, dass die Erfahrungen mit der<br />

Schweinegrippe in der aktuellen Debatte eine<br />

große Rolle spielen. „In einem kalkulierbaren<br />

Umfang kann es immer zu Zwischenfällen<br />

kommen, weil jeder Körper individuell auf einen<br />

Impfstoff reagiert. Aber da muss man den<br />

großen Nutzen abwägen gegen das minimale<br />

Restrisiko eines Impfzwischenfalls. Gänzlich<br />

ausschließen kann man ihn nicht.“<br />

Doch wie kommt es, dass einige Impfungen<br />

wie die gegen Masern mit großen Bedenken<br />

verbunden sind, während wir andere, beispielsweise<br />

die Tetanus-Schutzimpfung, alle zehn<br />

Jahre dankbar entgegennehmen? „Bei Tetanus<br />

mag es daran liegen, dass der Erfolg der Impfung<br />

eklatant ist“, erklärt Eckart.<br />

ERFOLGREICH GEGEN TETANUS<br />

Die Impfung kam erstmalig im Ersten Weltkrieg<br />

zum Einsatz. Damals erhielten an<br />

Tetanus erkrankte Soldaten eine lebensrettende<br />

Tetanus-Serumtherapie. Gleichzeitig wurden<br />

gesunde Soldaten mit dem Tetanus-Impfstoff<br />

vorbehandelt und waren damit immun. „Und<br />

ein Krieg trägt natürlich durch die Erfahrung<br />

der Überlebenden ganz massiv dazu bei, dass<br />

sich bestimmte medizinische Aspekte in der<br />

Bevölkerung schnell durchsetzen“, sagt Eckart.<br />

„Hätte es Impfpflicht bei Tetanus gegeben,<br />

wäre es wahrscheinlich ähnlich wie bei den<br />

Masern gegangen.“ Bei denen sorgte die Studie<br />

eines britischen Arztes dafür, dass der Masern-<br />

Röteln-Mumps-Impfstoff in den Ruf kam,<br />

Autismus zu verursachen. Jedoch traten bei der<br />

Studie derart viele Ungereimtheiten auf, dass<br />

sie zurückgezogen und dem Mediziner schließlich<br />

die Approbation entzogen wurde. Gleich<br />

mehrere Studien widerlegten den Vorwurf endgültig.<br />

Trotzdem halten sich die Bedenken<br />

hartnäckig, und um die 2<strong>02</strong>0 in Deutschland<br />

»In kalkulierbarem Umfang kann<br />

es zu Zwischenfällen kommen,<br />

weil jeder Körper individuell auf<br />

einen Impfstoff reagiert.«<br />

52<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong>


eingeführte Impfpflicht entflammte ein erbitterter<br />

Streit.<br />

Man könne die beiden Krankheiten indes<br />

schlecht vergleichen, so Eckart. „Nach einer<br />

Maserninfektion hatten nur wenige Kinder<br />

schwere Hirnschädigungen, davon wissen oft<br />

nur die Betroffenen und ihre Kinderärzte etwas.<br />

Die meisten Menschen bekamen das nicht mit<br />

und kalkulieren das Risiko nicht mit ein.“ Tatsächlich<br />

war es sogar eine Zeit lang üblich, dass<br />

Mütter ihre Kinder zu Masernpartys brachten,<br />

damit sie schnell mit der Infektion durch seien.<br />

Das Image einer Impfung sei immer stark<br />

vom Kontext abhängig, sagt Eckart. „Als Anfang<br />

des 20. Jahrhunderts die Pockenimpfung in<br />

deutschen Kolonien eingeführt wurde, waren<br />

Impfängste in der indigenen Bevölkerung stark<br />

verbreitet, weil die Menschen eine Riesenangst<br />

davor hatten, dass ihnen die fremden Weißen<br />

angeblich Giftstoffe injizieren.“<br />

UND HEUTE?<br />

Die heutigen Impfgegner knüpfen zum Teil<br />

noch an die alten Vorwürfe an. Impfung sei<br />

eine Vergiftung des Menschen. Etwas, das nicht<br />

der Natur entspreche – heilen, indem man<br />

krank macht. „Das ist ganz ähnlich wie damals<br />

und setzt sich sehr breit fort. Das andere ist<br />

natürlich, das Impfen als Eingriff in die individuelle<br />

Freiheit zu interpretieren. Und zu sagen,<br />

die Freiheit des Menschen werde dadurch<br />

beeinträchtigt, denn es gibt ja das Recht auf<br />

körperliche Unversehrtheit“, so Eckart.<br />

„Es ist stets ein relationales Problem. Ein<br />

Verhältnis zwischen Chancen und potenziellem<br />

Schaden. Impfgegnerschaft ist immer ein<br />

Indikator dafür, dass es noch keine hinreichende<br />

Aufklärung über den Sinn und Nutzen<br />

einer Impfung gibt oder gegeben hat. Da muss<br />

man ansetzen“, meint der Wissenschaftler.<br />

Und er weist darauf hin, dass bei Covid-19 die<br />

Befürchtung um die neuartige Impftechnologie<br />

hinzukomme.<br />

„Da wundert es einen natürlich nicht, dass<br />

Menschen erst einmal vorsichtig sind und<br />

eine gewisse Skepsis hegen.“ Was fehle, sei<br />

solidarisches Denken. „Wir sehen in der Regel<br />

leider nicht, dass sich die kleine individuelle<br />

Einschränkung lohnt, da es dem Großen und<br />

Ganzen, also der Gemeinschaft, nützt, indem<br />

wir eine Herdenimmunität erreichen.“<br />

AUFKLÄRUNG STATT PFLICHT<br />

Eine Impfpflicht hält der Medizinhistoriker<br />

aber nicht für sinnvoll, weil das die Entstehung<br />

von Impfängsten fördere. „Wenn man sich<br />

unausweichlich einer Impfung unterziehen<br />

muss, facht das den Widerstand an. Ich halte<br />

viel mehr von Aufklärung.“<br />

Die beste Motivation sei der Erfolg selbst,<br />

meint Eckart: „Ich glaube, dass wir aufgrund<br />

der Erfahrungen mit Covid-19 ein größeres<br />

Vertrauen in Impfstoffe haben werden.“<br />

UMGANG MIT GERÜCHTEN<br />

»Neu ist das Misstrauen<br />

gegenüber Big Pharma«<br />

Wie entstehen Impfmythen, warum halten sie sich oftmals so lange?<br />

Und in welchen Ländern leben die meisten Impfskeptiker? Was treibt sie an?<br />

Das erforscht die Anthropologin Heidi J. Larson<br />

Wie untersucht man Phänomene<br />

wie Mythen und Ängste? „Seit es<br />

soziale Medien gibt, beobachten<br />

wir gezielt Onlinenachrichten, weil wir<br />

global vergleichbare Informationsstränge<br />

erhalten wollen“, erklärt Heidi J. Larson.<br />

Facebook, Twitter und Youtube machten<br />

die Arbeit schwerer und leichter zugleich.<br />

Leichter, weil ebendiese vergleichbaren<br />

Informationsstränge international zur Verfügung<br />

stehen. „Schwerer, weil die sozialen<br />

Medien auf Gerüchte wie Teilchenbeschleuniger<br />

wirken. Was früher Wochen<br />

brauchte, breitet sich nun exponentiell aus.“<br />

Die aktuellste Entwicklung, die die<br />

Anthropologin beobachtet hat, ist das<br />

Misstrauen gegenüber Big Pharma, an dem<br />

die Pharmakonzerne zum Großteil selbst<br />

schuld seien. „Da waren die Menschenexperimente<br />

der Kolonial- und der<br />

Neuzeit. Und in Entwicklungsländern wird<br />

sehr genau beobachtet, dass an Tropenkrankheiten<br />

wie Malaria nicht so eifrig<br />

geforscht wird wie an Zivilisationsleiden.“<br />

In Europa führe Frankreich die Rangliste<br />

der Länder mit der größten Impfskepsis<br />

an. Auch in Russland, Ungarn und Polen<br />

sei das Vertrauen in den Covid-Impfstoff<br />

sehr gering. Überhaupt weise kein anderer<br />

Kontinent so große Vorbehalte auf wie<br />

Europa. Viel Vertrauen wurde durch den<br />

Skandal um HIV-verseuchte Blutkonserven<br />

in den Achtzigerjahren verspielt, ist Larson<br />

überzeugt. Der französische Gesundheitsminister<br />

etwa ließ ein Impfprogramm<br />

an Schulen unterbrechen, als Gerüchte<br />

aufkamen, die Impfstoffe würden Multiple<br />

Sklerose auslösen. „Und als die Regierung<br />

noch viel zu große Mengen Impfstoff gegen<br />

Schweinegrippe kaufte, war die Wut groß.<br />

Da kam ein Skandal nach dem anderen.“<br />

Staatliche Aufklärungskampagnen<br />

seien denn auch nicht das richtige Mittel,<br />

um die Impfbereitschaft zu steigern,<br />

sagt Larson. „Am ehesten können örtliche<br />

Politiker, Geistliche oder am besten die<br />

Nachbarn dazu beitragen, dass die Skepsis<br />

nachlässt.“<br />

PROF. DR. HEIDI J. LARSON<br />

Professorin der Anthropologie<br />

Bekannt geworden<br />

mit veganen<br />

Kochbüchern, tut<br />

sich Attila Hildmann<br />

nun als Lautsprecher<br />

der Verschwörungstheoretiker<br />

hervor<br />

Heidi J. Larson hat an der Schule für Hygiene und<br />

Tropenmedizin in London das Vaccine Confidence<br />

Project gegründet. Außerdem ist sie Professorin<br />

für Health Metrics Sciences in Seattle (Washington).<br />

Im vergangenen Sommer ist ihr Buch<br />

„Stuck: How Vaccine Rumors Start – and Why<br />

They Don’t Go Away“ erschienen.<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong> 53


ANGST ∙ FAKTENCHECK<br />

Viele Impfgegner haben<br />

Microsoft-Gründer<br />

Bill Gates zu ihrem Feind<br />

erklärt. Seine Stiftung<br />

forscht unter anderem<br />

an Verhütungsmethoden<br />

per Mikrochip<br />

54<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong>


Was Menschen<br />

Angst macht<br />

Laut ARD-Deutschlandtrend vom Februar wollen sich 21 Prozent<br />

der Deutschen wahrscheinlich nicht oder auf gar keinen Fall impfen<br />

lassen. Viele Fragen zu Impfungen nicht nur gegen Corona sind<br />

offen, verlässliche Informatio nen oft schwer zu finden. Wir gehen<br />

zehn häufig geäußerten Ängsten auf den Grund<br />

Text: Verena Fischer<br />

„ES BESTEHT DAS RISIKO,<br />

DURCH DIE IMPFUNG KRANK<br />

1 ZU WERDEN“<br />

In den bisherigen Studien finden<br />

sich für bleibende Schäden oder auftretende<br />

Krankheiten keine Anhaltspunkte. Wahrscheinlicher<br />

sind allerdings zeitnah auftretende Impfreaktionen<br />

wie Kopf schmerzen, Müdigkeit und<br />

Schmerzen an der Einstichstelle. Das kann viele<br />

Menschen betreffen, klingt jedoch nach wenigen<br />

Tagen folgenlos ab. Trotzdem: In sehr seltenen<br />

Fällen kann aber jede Impfung schwere Folgen<br />

für die Gesundheit haben. Prof. Dr. Christian<br />

Bogdan von der Ständigen Impfkommission<br />

(STIKO) erklärt dazu allerdings: „Weltweit sind<br />

jetzt mehr als vier Millionen Menschen geimpft<br />

worden. Es ist bisher nichts aufgetreten,<br />

was man nicht schon in den Zulassungsstudien<br />

gesehen hat.“<br />

Mehr zu Nutzen und Risiken einer Covid-19-<br />

Impfung lesen Sie ab Seite 58.<br />

Was es mit wirklichen Impfschäden auf sich<br />

hat und was Betroffene dazu sagen, finden Sie<br />

auf Seite 18.<br />

2<br />

„FÜR ALLERGIKER IST<br />

DIE IMPFUNG GEFÄHRLICH“<br />

Tatsächlich wurden in sehr seltenen<br />

Fällen nach der Impfung mit dem<br />

Impfstoff von Biontech/Pfizer schwere allergische<br />

Reaktionen beobachtet. In den USA kam es<br />

bei einer Anzahl von einer Million verabreichten<br />

Impfstoff-Dosen zu elf solcher Ereignisse, die<br />

überwiegend innerhalb der ersten 15 Minuten<br />

nach der Impfung auftraten. Betroffen waren<br />

Personen mit bekannter schwerer Allergie. Bei<br />

Menschen mit leichten Allergien ist laut Paul-<br />

Ehrlich-Institut mit keinen Komplikationen zu<br />

rechnen. Darunter fallen auch Allergien gegen<br />

Nahrungsmittel. Es wird vermutet, dass die<br />

Allergien nicht durch den eigentlichen Wirkstoff<br />

von Biontech/Pfizer verursacht werden, sondern<br />

durch die Substanz Polyethylen glykol (PEG),<br />

die auch in vielen Alltags-, Kos metik- und Medizinprodukten<br />

enthalten ist.<br />

„BIS SELTENE NEBEN­<br />

WIRKUNGEN BEKANNT SIND,<br />

3 DAUERT ES NOCH LANGE“<br />

Impffolgen zeigen sich in der<br />

Regel binnen Minuten oder innerhalb weniger<br />

Tage bis Monate nach der Impfung. Gehen<br />

Geimpfte mit Beschwerden zum Arzt, ist dieser<br />

verpflichtet, Verdachtsfälle von Impfkomplikationen<br />

sofort zu melden. Diese können<br />

Geimpfte und Angehörige zusätzlich selbst über<br />

nebenwirkungen.bund.de angeben. Die klini-<br />

FOTO: DPA PICTURE-ALLIANCE, GETTY IMAGES/TOBIAS SCHWARZ<br />

Unverständlich: Wenn Kritik<br />

in Gewalt umschlägt, haben meist<br />

beide Seiten zu wenig zugehört<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong> 55


ANGST ∙ FAKTENCHECK<br />

Impfstoff-Dosen für ärmere Länder beteiligt.<br />

Dr. Andreas Wulf von der Menschenrechtsorganisation<br />

Medico International spricht sich<br />

aber für ein anderes Vorgehen aus. „Von den<br />

durch COVAX bestellten Impfstoff-Dosen ist<br />

noch keine in den Entwicklungsländern angekommen,<br />

weil reiche Länder sich den Großteil<br />

der Produktion von 2<strong>02</strong>0 und <strong>2<strong>02</strong>1</strong> gesichert<br />

haben“, kritisiert der Arzt. „Erforderlich wäre,<br />

dass Hersteller die Patente für Impfstoffe sowie<br />

nötige Technologien an die Länder liefern,<br />

sodass diese selbst produzieren können. So ein<br />

Mechanismus wurde bei der WHO mit<br />

dem COVAX-Pool eingerichtet. Noch aber hat<br />

kein Unternehmen seine Lizenzen und sein<br />

Wissen eingespeist.“<br />

Für manch Demonstranten und manch Demonstrantin sind neben der Impfung auch die Corona-<br />

Einschränkungen ein Übel – was schon mal zu skurrilen Maskeraden führt<br />

sche Epidemiologin und Leiterin am Leibniz-<br />

Institut, Prof. Ulrike Haug, kritisiert aber,<br />

dass Covid-19-Impfungen, anders als üblich,<br />

nicht über Krankenkassenkarten regis triert<br />

werden: „Dadurch fehlt eine wichtige Datenquelle,<br />

um Nicht-Geimpfte und Geimpfte systematisch<br />

zu vergleichen. Denn geht es darum, zu<br />

prüfen, ob bestimmte medizinisches Ereignisse<br />

bei Geimpften tatsächlich häufiger auftreten<br />

als bei Nicht-Geimpften. Die Datenquelle wäre<br />

auch wichtig, um die verschiedenen Impfstoffe<br />

zu vergleichen und deren Langzeitwirksamkeit<br />

und –sicherheit zu untersuchen. Das wird<br />

nun nicht in absehbarer Zeit und nicht mit der<br />

Datenqualität möglich sein.“ Dass es bei manchen<br />

Impfstoffen Jahre gedauert hat, schlimme<br />

Schäden zu entdecken, lag eher daran, dass sie<br />

so selten auftreten und dann oft nicht gleich mit<br />

der Impfung in Verbindung gebracht werden.<br />

„ES IST NOCH NICHT KLAR,<br />

OB mRNA-IMPFSTOFFE<br />

4 VIELLEICHT DOCH DIE GENE<br />

VERÄNDERN“<br />

Richtig ist, dass die Impftechnologie neu ist<br />

und daher Langzeitbeobachtungen fehlen. Doch<br />

eine Übersetzung von mRNA in DNA ist in<br />

Zellen normalerweise unmöglich. Die mRNA<br />

gelangt auch nicht in den Zellkern, in dem sich<br />

die DNA befindet, sondern bleibt in der umgebenden<br />

Zellflüssigkeit. Außerdem ist mRNA<br />

sehr instabil – sie wird also schnell abgebaut<br />

und verbleibt nicht lange im Körper. Was nicht<br />

vergessen werden sollte: Coronaviren besitzen<br />

ebenfalls RNA. Wenn sie in Körperzellen gelangen,<br />

wird ihre RNA dort – genau wie die mRNA<br />

aus dem Impfserum – von der Zelle abgelesen<br />

und in Eiweiße übersetzt. „Dass der Körper aus<br />

der Impf-RNA das Virus-Oberflächenprotein<br />

baut, ist kein unnatürlicher Prozess. Es ist genau<br />

das Gleiche, was auch bei anderen Infektionen<br />

passiert“, bestätigt STIKO-Mitglied Bogdan.<br />

„ENTWICKLUNGSLÄNDERN<br />

FEHLT ES AN IMPFSTOFF – DAS<br />

5 VERLÄNGERT DIE PANDEMIE“<br />

Industrienationen haben sich über<br />

den internationalen COVAX-Mechanismus an<br />

der Finanzierung von bis jetzt zwei Milliarden<br />

„IMPFUNGEN KÖNNEN<br />

SCHWANGERSCHAFTEN<br />

6 VERHINDERN<br />

ODER GEFÄHRDEN“<br />

Es gibt derzeit keinen einzigen Hinweis,<br />

dass eine Covid-19-Impfung einen negativen<br />

Einfluss auf Fruchtbarkeit, Schwangerschaft<br />

oder über die Muttermilch auf Säuglinge hätte.<br />

Solange man keine ausreichenden Daten<br />

über die Sicherheit und Wirksamkeit der Impfung<br />

während Schwangerschaft und Stillzeit<br />

hat, wird es keine Empfehlung dafür geben.<br />

Wenn eine Frau erst nach der Impfung erfährt,<br />

dass sie schwanger ist, besteht aber kein<br />

Grund zur Sorge.<br />

7<br />

„UM BILL GATES UND DIE<br />

COVID-IMPFUNG<br />

RANKEN SICH VIELE MYTHEN.<br />

IST DA WAS DRAN?“<br />

Das Misstrauen gegenüber dem Unternehmer<br />

und seinen Impfstoff-Investitionen ist groß.<br />

„Seine Intention, die Krankheit zu besiegen,<br />

halte ich aber für sehr authentisch“, kommentiert<br />

Andreas Wulf von Medico. „Sein Engagement<br />

für Impfstoffe hat sicher viel mit seinem Vertrauen<br />

in technische Lösungen für komplexe<br />

Die Frage, ob man sich<br />

impfen lassen sollte,<br />

beschäftigt viele<br />

Menschen. Kaum einer<br />

davon ist Impfgegner<br />

oder gar radikal.<br />

Und Skepsis ist mehr<br />

als verständlich<br />

56<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong>


Was sind Ihre<br />

Impfängste?<br />

Schreiben Sie uns an<br />

redaktion@<br />

pieks-magazin.de<br />

FOTO: DPA PICTURE-ALLIANCE (2), GETTY IMAGES<br />

Enteignung? Die Menschenrechtsorganisation Medico International plädiert eher für die Lieferung von Patenten und Know-how an die Entwicklungsländer<br />

Gesundheitsfragen zu tun. Dass Bill Gates uns<br />

mit Impfungen Mikrochips einpflanzen will,<br />

gehört aber ins Reich gefährlicher Fake News.“<br />

Solche Bedenken seien eher der allzu menschlichen<br />

Reaktion geschuldet, die Unsicherheit<br />

der Welt mit dem Agieren geheimnisvoller<br />

Mächte erklären zu wollen.<br />

8<br />

„RNA-IMPFUNGEN WERDEN<br />

SEIT JAHREN ERFORSCHT UND<br />

ERPROBT, ERHIELTEN ABER<br />

NIE EINE ZULASSUNG. UND<br />

JETZT SO SCHNELL? WIE KOMMT DAS?“<br />

Tatsächlich werden RNA-Impfungen seit Jahren<br />

in klinischen Studien als Tumormedikamente<br />

erprobt. Ein enormer Vorteil für die Forscher.<br />

Denn von diesen Kenntnissen konnten Wissenschaftler<br />

nun profitieren. Dabei ging es jetzt<br />

deutlich schneller, weil der Einsatz in der Krebstherapie<br />

viel komplizierter ist. Bei Krebszellen<br />

handelt es sich um mutierte Körperzellen. Das<br />

bedeutet: Will man das Immunsystem mittels<br />

RNA-Impfstoffen dazu anregen, Krebszellen zu<br />

zerstören, muss man die Angriffsziele mit größter<br />

Vorsicht wählen, damit nicht auch gesunde<br />

Körperzellen angegriffen werden. Bei mRNA-<br />

Impfstoffen gegen das SARS-CoV-2- Virus<br />

bildet das Immunsystem hingegen Antikörper<br />

gegen ein Eiweiß des Virus, das sich von Körperzellen<br />

deutlich unterscheidet.<br />

9<br />

„EINE IMPFUNG IST KEINE<br />

GARANTIE DAFÜR, DASS ICH<br />

KEINE MASKE MEHR BRAUCHE“<br />

Das ist richtig. Es gibt bisher keine<br />

Daten dazu, ob Impfungen eine Übertragung<br />

des Virus auf andere minimieren oder verhindern<br />

können. Geimpfte können also selbst vor<br />

einer Erkrankung geschützt sein, theoretisch<br />

aber noch Viren weitergeben. „Damit haben<br />

wir die Wahrscheinlichkeit einer Erregerweitergabe<br />

dennoch deutlich reduziert“, so Christian<br />

Bogdan von der STIKO. „Denn wer nicht<br />

erkrankt, der hustet und niest auch nicht.“ Um<br />

festzustellen, ob Impfungen die Übertragung<br />

von Viren vollständig verhindern, werden<br />

Studien durchgeführt, die allerspätestens 2<strong>02</strong>2<br />

abgeschlossen sein sollten, schätzt Bogdan.<br />

10<br />

„ICH KANN TROTZ IMPFUNG<br />

AN COVID-19 ERKRANKEN“<br />

Das stimmt. Die Zulassungsstudien<br />

der mRNA-Impfstoffe<br />

belegen eine Wirksamkeit von 95 Prozent.<br />

Andersherum: Fünf von 100 Geimpften können<br />

trotzdem erkranken. In dem Fall schützt sie<br />

die Impfung aber vor einem schweren Verlauf.<br />

Im Vergleich: Die Wirksamkeit der Impfung<br />

gegen die saisonale Grippe wird vom Robert-<br />

Koch-Institut auf 62 Prozent geschätzt.<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong> 57


ANGST ∙ RISIKO<br />

Impfen oder<br />

nicht – das<br />

ist die Frage<br />

Impfen ist eine meist sehr persönliche Entscheidung, basierend<br />

auf der Abwägung zwischen dem Risiko, einen Impfschaden zu<br />

erleiden, und der Chance, die Folgen einer möglichen Erkrankung<br />

zu vermeiden. Da hilft ein Blick auf die Statistik<br />

Risiko eines schweren Verlaufs<br />

Von Covid-Erkrankten haben<br />

81 % einen milden Verlauf<br />

14 % einen schweren Verlauf<br />

5 % einen intensivpflichtigen Verlauf<br />

FOTO: ADOBE STOCK<br />

laut einer Analyse von 44 415 Covid-19-Patientinnen und -Patienten im<br />

chinesischen Wuhan; Quelle: Ständige Impfkommission<br />

58<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong>


Text: Verena Fischer<br />

Sie ist allgegenwärtig, diese eine Frage.<br />

Ständig wird sie gestellt, noch bevor es<br />

überhaupt konkret wird. Freunde rufen<br />

an, oder man wacht des Nachts auf, um<br />

sie sich selbst zu stellen: Soll ich, oder soll ich<br />

nicht – mich impfen lassen? Soll ich meinen<br />

Eltern dazu raten? Antwort: selbstverständlich.<br />

Oder doch nicht? Was ist mit Nebenwirkungen,<br />

Langzeitfolgen? Besser abwarten?<br />

Fest steht: Solange nicht bewiesen ist, dass<br />

Geimpfte niemanden mehr anstecken können,<br />

ist dies eher eine rein persönliche denn eine<br />

ethische Entscheidung. Erst in drei bis sechs<br />

Monaten werden Studien Gewissheit bringen,<br />

werden wir wissen, ob die Vakzine auch „sterilisiert“,<br />

wie Wissenschaftler das nennen.<br />

»Es ist eine ganz<br />

persönliche<br />

Entscheidung.«<br />

Das Risiko, an Covid-19 zu sterben,<br />

steigt mit dem Alter deutlich an<br />

Altersstruktur der an/mit Covid Verstorbenen in Deutschland<br />

87 %<br />

70 Jahre und älter<br />

< 0,3 %<br />

59 Jahre und jünger<br />

83 Jahre<br />

beträgt das durchschnittliche Alter der Verstorbenen<br />

Quelle: Ständige Impfkommission<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong> 59


ANGST ∙ RISIKO<br />

»Schlicht eine<br />

Risiko- Nutzen-<br />

Abwägung.«<br />

„Im Moment sind es vor allem die Senioren, die<br />

wir impfen müssen, denn sie sind am meisten<br />

gefährdet. Wenn wir das schaffen, sind die Probleme<br />

der Auslastung von Krankenhäusern<br />

und speziell Intensivstationen sowie der hohen<br />

Sterblichkeit erst mal gelöst“, erklärt Christian<br />

Bogdan, Mitglied der Ständigen Impfkom mission<br />

(STIKO) am Robert-Koch-Institut (RKI).<br />

GESELLSCHAFTLICHER NUTZEN<br />

Doch um die Pandemiesituation langfristig<br />

unter Kontrolle zu bekommen, bedarf es bei 60<br />

bis 70 Prozent der Bevölkerung einer Immunität<br />

gegen die Krankheit. „Sonst sind zu viele<br />

Menschen infizierbar, was zu einer fortbestehenden<br />

Zirkulation von SARS-CoV-2 führt.<br />

Risiko einer Überlastung<br />

des Gesundheitssystems<br />

Auf den Intensivstationen deutscher Krankenhäuser sind<br />

FOTO: ADOBE STOCK<br />

22 401 Betten belegt<br />

4573 Betten frei – etwa 20 Prozent<br />

Intensivregister des RKI (Stand: 11. Februar <strong>2<strong>02</strong>1</strong>)<br />

60<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong>


Häufigste<br />

Nebenwirkungen<br />

einer Impfung<br />

< 80 %<br />

Schmerzen an der<br />

Injektionsstelle<br />

< 60 %<br />

Müdigkeit<br />

< 30 %<br />

Muskelschmerzen<br />

und Schüttelfrost<br />

< 20 %<br />

Gelenkschmerzen<br />

< 10 %<br />

Fieber und Schwellung<br />

an der Injektionsstelle<br />

Bezogen auf den Impfstoff von<br />

Biontech/Pfizer. Informationen über andere<br />

Impfstoffe siehe Steckbriefe ab Seite <strong>26</strong><br />

Das wiederum birgt die Gefahr von Mutationen“,<br />

warnt Bogdan. „Dann könnte das Virus<br />

neue Stämme kreieren, die noch infektiöser<br />

und im ungünstigsten Fall nicht mehr mit der<br />

Impfung kompatibel sind, sodass man eine neue<br />

braucht“, ergänzt die österreichische Forscherin<br />

und Universitätsprofessorin Renée Schroeder.<br />

Derzeit sind drei Mutanten bekannt, die<br />

zumindest als stärker ansteckend gelten. Dass<br />

Viren sich im Lauf der Zeit verändern, ist ein<br />

natürlicher Prozess. „Bisher sind Impfstoffe<br />

auch gegen mutierte Virusversionen wirksam,<br />

außerdem können mRNA-Impfstoffe sehr<br />

schnell angepasst werden. Dennoch ist es das<br />

Ziel, möglichst schnell eine hohe Impfquote<br />

zu erreichen und so die Ausbreitung des Erregers<br />

im besten Fall komplett zu stoppen“,<br />

sagt die Biochemikerin.<br />

PERSÖNLICHE RISIKEN UND NUTZEN<br />

Eine Impfung schützt, je nach Impfstoff, mit<br />

einer Wirksamkeit von maximal 95 Prozent<br />

vor einer Covid-19-Erkrankung. Bricht die<br />

Erkrankung dennoch aus, senkt die Impfung<br />

auch bei weniger gut wirksamen Vakzinen<br />

aber zumindest das Risiko eines schweren Verlaufs.<br />

Ob darüber hinaus eine Ansteckung<br />

anderer unterbunden wird, ist derzeit ungewiss,<br />

WIE<br />

WAHRSCHEINLICH<br />

IST ES, DASS …<br />

… in meine Wohnung<br />

eingebrochen wird?<br />

1 : 487 (1)<br />

… ich an Covid-19 erkranke<br />

und daran sterbe?<br />

1 : 41 (2)<br />

… ich eine schwerwiegende<br />

Reaktion<br />

bei einer Covid-19-<br />

Impfung erleide?<br />

1 : 145 793 (3)<br />

… ich durch einen<br />

Blitzschlag sterbe?<br />

1 : 20 750 000 (4)<br />

… ich bei einem<br />

Flugzeugabsturz ums<br />

Leben komme?<br />

1 : 14 334 470 (5)<br />

(1) 2019 gab es laut BKA 87 145 Einbrüche und gemäß<br />

Bundesamt für Statistik 42,5 Millionen Wohnungen<br />

in Deutschland. (2) Die Fallsterblichkeit lag in<br />

Deutschland bisher laut RKI bei 2,43 Prozent. Sie ist<br />

aber stark altersabhängig (siehe Seite 59).<br />

(3) Laut Paul-Ehrlich-Institut von 27. Dezember 2<strong>02</strong>0<br />

bis 17. Januar <strong>2<strong>02</strong>1</strong>: 145 Fälle bei 1,14 Mio. Impfungen.<br />

(4) Vier von 83 Millionen Deutschen pro Jahr laut VDE.<br />

(5) 2019 weltweit 292 Flugunfalltote bei 4,2 Milliarden<br />

Flugpassagieren laut JACDEC.<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong> 61


ANGST ∙ RISIKO<br />

»Oft wird die<br />

Leistungsfähigkeit<br />

schlechter.«<br />

WIE<br />

WAHRSCHEINLICH<br />

IST ES, DASS …<br />

aus Sicht von Experten aber wahrscheinlich.<br />

Doch weist eine Impfung oft auch Neben wirkungen<br />

auf, normalerweise mit Beschwerden<br />

leichter oder mäßiger Intensität, die innerhalb<br />

weniger Tage abklingen. Nach der ersten Phase<br />

der Impfung von Risiko gruppen lassen sich<br />

seltene Nebenwirkungen gut ausschließen. Das<br />

wären solche, die bei weniger als einem von<br />

10 000 Geimpften auf treten. „Deshalb sehe ich<br />

keinen Anlass zu argumentieren: Na ja, ich lass<br />

mich noch nicht impfen, selbst wenn ich dran<br />

wäre, denn es können ja immer noch seltenere<br />

Nebenwirkungen auftreten“, so STIKO-Mitglied<br />

Bogdan. Über Langzeitfolgen der Impfung gibt<br />

es bisher keine wissenschaftlichen Daten.<br />

DAS RISIKO VON COVID-19-SPÄTFOLGEN<br />

Bekannt sind hingegen die Spätfolgen von<br />

Covid- 19-Erkrankungen. Ein Teil der Erkrankten<br />

leidet noch Wochen oder gar Monate nach<br />

der Infektion unter schweren Symptomen.<br />

Selbst dann, wenn es sich zuvor um leichte Verläufe<br />

ohne Klinikaufenthalt gehandelt hatte.<br />

Der Infektiologe Prof. Oliver Witzke betreut<br />

an der Uniklinik Essen die Post-Covid-Ambulanz.<br />

„Es sind viele jüngere Patienten dabei, die<br />

angeschlagen sind, Müdigkeits syndrome oder<br />

psychische Probleme ent wickeln“, berichtet er.<br />

„Oft wird die körperliche Leistungsfähigkeit<br />

schlechter, sei es durch eine Einschränkung der<br />

Lungenfunktion, ein Pro blem am Herzen oder<br />

durch nervliche Störungen. Selbst Herz muskelentzündungen<br />

kommen vor. Lungenfunktionsstörungen<br />

treffen eher schwer erkrankte Post-<br />

Covid-Patienten.“<br />

„Sich für oder gegen eine Impfung zu<br />

entscheiden basiert auf einer Risiko-Nutzen-<br />

Abwägung“, sagt Bodgan. Und da sollten<br />

die Krankheitsfolgen unbedingt ins<br />

Kalkül ein bezogen werden.<br />

… ein Kind, das mit dem<br />

Elterntaxi zur Schule gebracht<br />

wird, verletzt wird?<br />

1 : 893 (1)<br />

… ich beim Hausputz zu<br />

Tode komme?<br />

1 : 8<strong>26</strong>5 (2)<br />

PROF. DR. CHRISTIAN BOGDAN<br />

Professor für Mikrobiologie und<br />

Infektionsimmunologie<br />

Direktor des Mikrobiologischen<br />

Instituts der Universität Erlangen-<br />

Nürnberg. Seit 2011 Mitglied der<br />

Ständigen Impfkommission (STIKO)<br />

… ich durch einen Zeckenbiss<br />

an Borreliose erkranke?<br />

1 : 2439 (3)<br />

(1) 3247 Unfallverletzte bei 2,9 Millionen Schülern<br />

zwischen 6 und 9 Jahren im Jahr 2018 laut ADAC.<br />

(2) 2015 starben laut Generali-Versicherung<br />

9800 von 81 Millionen Deutschen beim Hausputz.<br />

(3) 41 Fälle pro 100 000 Zeckenbisse laut RKI.<br />

FOTO: ADOBE STOCK, PRIVAT (2)<br />

62<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong>


INTERVIEW<br />

»Die Vorteile sind<br />

still und unsichtbar,<br />

mögliche Schäden<br />

erschreckend laut«<br />

So banal es klingt: Nichts im Leben<br />

ist ohne Risiko. Und dennoch<br />

wünschen sich viele Menschen das<br />

Gegenteil: hundertprozentige Sicherheit.<br />

Hinzu kommt noch ein Problem:<br />

Menschen sind sehr schlecht darin,<br />

Risiken einzuordnen. Die britische<br />

Wissenschaftlerin Alexandra Freeman<br />

erklärt, wie das im Alltag besser<br />

gelingen kann<br />

WIR GEHEN IM ALLTAG STÄNDIG RISIKEN EIN.<br />

WIE KOMMT ES, DASS WIR BEI EINIGEN GE­<br />

LASSEN BLEIBEN, WÄHREND UNS ETWA MÖG­<br />

LICHE NEBENWIRKUNGEN EINER IMPFUNG IN<br />

ALARMBEREITSCHAFT VERSETZEN?<br />

Bei allem, was wir im Leben tun, geht es darum,<br />

die Vor- und Nachteile abzuwägen. Das läuft<br />

in den meisten Fällen unterbewusst ab. In der<br />

Regel wiegen dabei Risiken in ferner Zukunft<br />

leichter als solche, die unmittelbare Konsequenzen<br />

haben könnten. Die Freude, die ich<br />

habe, wenn ich in einen saftigen Cheeseburger<br />

beiße, lässt die möglichen Folgen für meine<br />

Gesundheit oder ökologische Bedenken in den<br />

Hintergrund rücken.<br />

WAS BEDEUTET DAS FÜR IMPFUNGEN?<br />

Eine Impfung ist Vertrauenssache. Sie erlauben<br />

jemandem, Ihnen eine Substanz zu injizieren.<br />

Sie müssen darauf vertrauen, dass die Beweise<br />

für den potenziellen Nutzen die Beweise<br />

für mögliche Schäden überwiegen. Dennoch<br />

werden Sie wahrscheinlich immer nur von<br />

den potenziellen Schäden hören und nie von<br />

Menschen, die die Impfung vor der Krankheit<br />

geschützt hat. Die Vorteile sind still und<br />

unsichtbar, die möglichen Schäden können<br />

erschreckend laut sein. Das macht es zu einer<br />

Frage des Vertrauens.<br />

IM MOMENT SIND WIR MIT VÖLLIG NEUEN<br />

RISIKEN KONFRONTIERT, DIE WIR<br />

SCHWER EINSCHÄTZEN KÖNNEN. WAS IST<br />

DER BESTE WEG, DAMIT UMZUGEHEN?<br />

Es gibt eine Menge Dinge, die wir jetzt über das<br />

Coronavirus wissen und verstehen. Aber ja, das<br />

DR. ALEXANDRA FREEMAN<br />

Kommunikations forscherin an der<br />

britischen Cambridge-Universität<br />

Alexandra Freeman hat Zoologie<br />

studiert und viele Jahre<br />

als Produzentin wissenschaftliche<br />

Serien für den britischen Fernsehsender<br />

BBC verantwortet.<br />

Seit 2016 ist sie Direktorin am<br />

Winton Centre für Risiko- und<br />

Evidenz kommunikation.<br />

vergangene Jahr hat uns gezeigt, wie wichtig<br />

es ist, mit Unsicherheit umgehen zu können.<br />

Unsicherheit erfordert Demut. Um vertrauenswürdig<br />

zu sein, müssen Sie offen für Ihre<br />

Unsicherheiten sein. Nur weil Politiker oder<br />

Forscher nicht alles wissen, heißt das nicht, dass<br />

sie nichts wissen.<br />

WIE KANN MAN ANGESICHTS SOLCHER<br />

UNSICHERHEITEN ENTSCHEIDUNGEN FÄLLEN?<br />

Wenn Sie angesichts der Unsicherheit gute<br />

Entscheidungen treffen wollen,<br />

versuchen Sie, ein vernünftiges<br />

Worst-Case-Szenario<br />

sowohl für den potenziellen<br />

Nutzen als<br />

auch für den möglichen<br />

Schaden<br />

abzuwägen.<br />

Und seien Sie bereit, Ihre<br />

Meinung zu ändern, wenn neue<br />

Beweise vorgelegt werden. Wir alle<br />

müssen flexibel und schnell sein,<br />

wenn sich die Beweislage ändert.<br />

Es ist keine Schande, die eigene<br />

Meinung oder Entscheidung zu<br />

ändern; es ist nur eine Schande,<br />

dies nicht zu tun.<br />

WIE WÜRDE EINE SOLCHE<br />

EINSCHÄTZUNG IM FALL<br />

EINER COVID­19­IMPFUNG<br />

AUSSEHEN?<br />

Hier gilt es für jeden, die bekannten<br />

Risiken einer Impfung und einer<br />

Covid-19-Infektion gegeneinander<br />

abzuwägen. Also: Was sind die schlimmsten<br />

Risiken einer Impfung – und was die<br />

schlimmsten Folgen einer Infektion mit<br />

Covid- 19? Und: Mit welcher Wahrscheinlichkeit<br />

treten die Risiken ein?<br />

Im Moment hat sich gezeigt, dass Impfstoffe<br />

Ihr Risiko verringern, an Covid-19 zu<br />

sterben. Das ist der Vorteil. Die mög lichen<br />

Schäden? Nun, wir wissen von einigen<br />

kurzfristigen Nebenwirkungen bei Hunderttausenden,<br />

die die Impfstoffe erhalten haben.<br />

Es gibt keine Hinweise auf Langzeitschäden,<br />

aber wir haben vielleicht noch nicht genug<br />

Daten dazu.<br />

Sollte sich herausstellen, dass der Impfstoff<br />

einen zusätzlichen Vorteil bringt, indem<br />

er verhindert, dass eine Person das Virus auf<br />

andere überträgt, wäre dies ein dritter Faktor,<br />

der abgewogen werden muss: ob der Nutzen,<br />

den Sie anderen und sich selbst bieten, den<br />

potenziellen Schaden für Sie selbst überwiegt.<br />

INWIEWEIT BEEINFLUSST DIE ART UND<br />

WEISE, WIE INFORMATIONEN KOM­<br />

MUNIZIERT WERDEN, UNSERE WAHR­<br />

NEHMUNG VON ANGST?<br />

Der Einfluss kann riesig sein. Wenn ich sage,<br />

dass sich ein bestimmtes Risiko verdoppelt<br />

hat, klingt das beängstigend. Hat es sich<br />

jedoch von 0,001 Prozent auf 0,0<strong>02</strong> Prozent<br />

verdoppelt, klingt das weit weniger angsteinflößend.<br />

Wenn ich sage, dass eine von zehn<br />

Personen bei einer Operation wahrscheinlich<br />

stirbt, dann ist das beunruhigend. Sage ich<br />

hingegen, dass 90 Prozent den Eingriff überleben,<br />

klingt das viel besser. Kommunikatoren<br />

haben große Macht über<br />

unsere Emotionen – und damit<br />

eine große Verantwortung.<br />

GIBT ES ETWAS,<br />

VOR DEM SIE<br />

PERSÖNLICH IN<br />

DER PANDEMIE ANGST HABEN?<br />

Angst ist nicht das richtige Wort.<br />

Natürlich ist Covid-19 eine Krankheit,<br />

die die Menschen schwächt und leider<br />

viele auch tötet. Wegen der neuen<br />

Virusvarianten, die sich schneller verbreiten,<br />

dürften die ersten Monate des<br />

Jahres <strong>2<strong>02</strong>1</strong> hier in Großbritannien<br />

weiterhin so schwierig sein, wie wir<br />

es in manchen Monaten des Jahres<br />

2<strong>02</strong>0 bereits erlebt haben. Und<br />

selbst nach dem Ende der akuten<br />

Krise wird es eine lange Erholungsphase<br />

geben – für viele Länder. All das<br />

beunruhigt mich, und es macht mich<br />

traurig für alle, die betroffen waren und<br />

noch sein werden.<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong> 63


KINDER ∙ IMPFEN<br />

Die Mehrheit der Mediziner ist<br />

sich völlig einig: Ungeimpft<br />

besteht für Kinder ein Risiko, das<br />

manche Eltern falsch einschätzen<br />

FOTO: GETTY IMAGES/PERIC, SEVI KOCH (2)<br />

Training fürs<br />

Immunsystem<br />

Auch Babys können tödliche Krankheiten besiegen – wenn ihre Abwehr<br />

vorher an Impfstoffen üben durfte. Welche Schutzimpfungen<br />

wann wichtig sind und wie Ihr Kind den <strong>Pieks</strong> schnell wieder vergisst<br />

64<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong>


Text: Sina Horsthemke<br />

Als Caroline Cornfine schwanger war,<br />

machte sich ihr Mann Kuno auf die<br />

Suche nach seinem Impfpass. „Zuletzt<br />

war ich 1990 bei der Bundeswehr geimpft<br />

worden. Von da an ging ich eher blauäugig<br />

durchs Leben, was Impfungen angeht“, berichtet<br />

Kuno Cornfine. „Als aber klar war, dass wir unser<br />

erstes Kind bekommen, wollte ich das Baby<br />

auf keinen Fall mit irgendetwas anstecken.“ Weil<br />

sein Impfpass unauffindbar war, ging der damals<br />

45-Jährige zum Arzt und ließ sich „alles noch<br />

mal nachimpfen“.<br />

Fünf Jahre ist das jetzt her, und inzwischen<br />

sind die Cornfines zu viert: Drei Jahre nach<br />

Sohn Matiu kam Tochter Clara auf die Welt,<br />

die mittlerweile anderthalb ist. Die Familie aus<br />

Bayern ist so etwas wie die lebendig gewordene<br />

Empfehlung der Ständigen Impfkommission<br />

(STIKO).<br />

„Unser Impfschutz ist komplett“, sagt<br />

Caroline Cornfine. „Als ich wusste, dass ich<br />

schwanger werden will, habe ich meine Rötelnimpfung<br />

machen lassen. Außerdem haben wir<br />

alle Menschen im Familienkreis gebeten, die<br />

Impfung gegen Keuchhusten nachzuholen, weil<br />

der für Neugeborene sehr gefährlich ist. Unsere<br />

Kinder haben zum empfohlenen Zeitpunkt<br />

alle Impfungen bekommen. Wir haben bei<br />

keiner gezögert und alles so früh wie möglich<br />

impfen lassen.“<br />

»Ich wollte unser<br />

erstes Kind auf keinen<br />

Fall mit irgendetwas<br />

anstecken!«<br />

Kuno und Caroline Cornfine mit Kind<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong> 65


KINDER ∙ IMPFEN<br />

Das machen nicht alle Eltern so. Bis zu 20 Prozent<br />

gelten als „impfzögerlich“, sind skeptisch<br />

und verunsichert. Sie halten Impfen für riskant<br />

oder unnötig, lassen ihre Kinder deshalb erst<br />

spät impfen und verzichten ganz auf einzelne<br />

Impfungen. Manche vergessen schlicht die<br />

Arzttermine. Die Weltgesundheitsorganisation<br />

(WHO) zählt diese Zögerlichkeit zu den „zehn<br />

größten Gesundheitsproblemen 2019“. Sie ist<br />

ein Grund dafür, weshalb die WHO etwa die<br />

Ausrottung der Masern verfehlt hat – eigentlich<br />

sollte die Kinderkrankheit in Europa seit 2010<br />

Geschichte sein.<br />

ZWEI PROZENT IMPFGEGNER<br />

Dass sich in Deutschland immer noch jedes<br />

Jahr Hunderte Kinder damit anstecken, liegt<br />

auch an rigorosen Impfgegnern, die ihre Kinder<br />

gar nicht impfen lassen. Das sind allerdings nur<br />

etwa zwei Prozent der Eltern. Den Eindruck,<br />

dass es heute mehr gibt als früher, kann Martin<br />

Terhardt, Kinder-und Jugendarzt sowie Mitglied<br />

der STIKO, nicht bestätigen: „In den vergangenen<br />

40 Jahren hat sich an der Einstellung<br />

der Eltern zum Impfen nichts Gravie rendes<br />

geändert. Einige Impfskeptiker und noch weniger<br />

Impfgegner gab es immer schon.“<br />

Hartnäckig hielten sich bis heute Mythen wie<br />

jene, dass die Masernimpfung Autismus oder<br />

Allergien verursache, berichtet Terhardt,<br />

obwohl das zigfach durch aufwendige wissenschaftliche<br />

Untersuchungen widerlegt sei: „Wer<br />

sich nicht bei offiziellen Quellen informiert,<br />

gerät im Internet schnell auf die falsche Bahn.“<br />

»In den vergangenen<br />

40 Jahren hat sich<br />

an der Einstellung<br />

der Eltern zum Impfen<br />

nichts Gravierendes<br />

geändert.«<br />

Dr. Martin Terhardt, Kinder- und Jugendarzt<br />

Allgemein sei die Impfquote in Deutschland<br />

aber gar nicht so schlecht, sagt der Mediziner.<br />

Je nach Impfung seien 85 bis 95 Prozent der<br />

Kinder bei der Einschulung geschützt.<br />

Und das ist gut so, denn Impfen funktioniert:<br />

Es zeigt der körpereigenen Abwehr, wer ihr<br />

Feind ist, und macht sie für Jahre fit für eine<br />

COVID-19<br />

Unterschiedliche Ausprägung<br />

von Symptomen<br />

Erwachsene<br />

Kinder bis ca. 14 Jahre<br />

Husten (trocken)<br />

FOTO: ADOBE STOCK, STATISTA/ROBERT KOCH INSTITUT, WDR/AUFMKOLK<br />

Fieber<br />

Schnupfen<br />

Geruchs- und<br />

Geschmacksverlust<br />

Kurzatmigkeit<br />

Bauchschmerzen<br />

Durchfall<br />

Quellen: RKI, NHS, Johns Hopkins University, Patel (2<strong>02</strong>0), Tian et al. (2<strong>02</strong>0)<br />

häufig<br />

manchmal<br />

selten<br />

Einzelfälle<br />

66<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong>


Begegnung mit dem Krankheitserreger. Ohne<br />

Impfung wäre das Immunsystem im Falle einer<br />

Infektion völlig unvorbereitet – und hätte oft<br />

keine Chance.<br />

Ob gegen Pocken, Tetanus, Masern oder<br />

Covid-19: Jede Impfung löst im Körper eine<br />

Immunantwort aus, die ihn nachhaltig vor<br />

der Krankheit schützt. Impfstoffe präsentieren<br />

der Abwehr den Feind in Form von abgeschwächten<br />

oder abgetöteten Erregern, ihren<br />

Bestandteilen oder einem Bauplan dafür (für<br />

eine genaue Beschreibung der Wirkung siehe<br />

Seite 38). Das bewirkt, dass der Körper Antikörper<br />

bildet und sich später Gedächtniszellen<br />

an den Eindringling erinnern, wenn es einmal<br />

ernst wird – um dann schnell zurückschlagen<br />

zu können.<br />

Seit es Impfungen gibt, kommen Infektionskrankheiten<br />

wie Diphtherie heute kaum mehr<br />

vor (siehe Grafik rechts). Während der „Würgeengel<br />

der Kinder“, wie die Erkrankung früher<br />

hieß, 1943 in Deutschland noch 245 000 Menschen<br />

heimsuchte, erkrankten 1964, kurz nach<br />

Einführung flächendeckender Impfungen,<br />

nur noch weniger als 1000. Die Masernimpfung<br />

hat die Kindersterblichkeit in ärmeren<br />

Ländern um bis zu 90 Prozent reduziert. Und<br />

Tetanus, der gefürchtete „Wundstarrkrampf “,<br />

der Betroffenen das „Teufelsgrinsen“ ins Gesicht<br />

treibt und ihnen durch Muskelkrämpfe sogar<br />

das Rückgrat brechen kann, ist zwar in Entwicklungsländern<br />

noch mitverantwortlich für<br />

hohe Säuglingssterblichkeit, sonst aber weitestgehend<br />

ausgemerzt.<br />

DER NESTSCHUTZ IST SCHNELL WEG<br />

Schon Babys zu impfen ist wichtig. Nur in ihren<br />

ersten Lebensmonaten verfügen sie über den<br />

sogenannten Nestschutz. Diese „Leihimmunität“<br />

von der Mutter bewahrt sie vor vielen Krankheitserregern,<br />

bis sich das kindliche Immunsystem<br />

entwickelt hat. Der Nestschutz geht jedoch<br />

nach und nach verloren. Deshalb empfiehlt die<br />

STIKO die erste Impfung – gegen Rotaviren –<br />

im Alter von sechs Wochen (siehe Seite 84).<br />

Weiter geht es in der neunten Lebenswoche mit<br />

einem Kombinationsimpfstoff gegen Diphtherie,<br />

Hepatitis B, Haemophilus influenzae, Keuchhusten,<br />

Kinderlähmung (Polio) und Tetanus.<br />

„Ziel ist, dass die Grundimmunisierung mit<br />

15 Monaten abgeschlossen ist“, erklärt Kinderund<br />

Jugendarzt Terhardt. Oft seien Kinder<br />

aber erst mit zwei bis sechs Jahren komplett geimpft,<br />

zum Beispiel weil sie zum Arzttermin<br />

Schnupfen hatten oder die Eltern den Zeitpunkt<br />

verpasst haben. „Zu oft sollte man die Termine<br />

nicht verschieben“, mahnt der Berliner Impfexperte.<br />

Jenen, die Sorge haben, ihre Kinder<br />

seien zu klein für eine Impfung, sagt Terhardt:<br />

„Das stimmt so nicht. Die Kinder sind viel eher<br />

zu klein für die Erkrankung.“<br />

Auch Judith Heinze machte sich große<br />

Sorgen, dass ihre Töchter mit ein paar Mona-<br />

DIPHTHERIE<br />

Anzahl der jährlich registrierten Fälle von Diphtherie<br />

in Deutschland nach Bundesländern im Jahr 2018<br />

Weil Polio, Tetanus, Diphtherie & Co. kaum vorkommen, verlieren sie ihren Schrecken: Wer nie ein Kind mit<br />

Diphtherie ersticken sah, dem erscheint das Impfrisiko mitunter größer als die Gefahr, sich anzustecken.<br />

Dabei ist die Gefahr einer Ansteckung auch in Deutschland immer noch real. Quelle: RKI/Statista <strong>2<strong>02</strong>1</strong><br />

ten noch zu klein zum Impfen seien. „Ich war<br />

immer schon total skeptisch und habe nur<br />

Medikamente genommen, wenn es unbedingt<br />

nötig war. Als unsere Tochter Paula auf der<br />

Welt war, hat uns der Kinderarzt erklärt, was<br />

wir unbedingt impfen müssen. Das haben wir<br />

dann gemacht – aber so spät wie möglich.“<br />

Während die zweifache Mutter eher vorsichtig<br />

ist, „hätte mein Mann wahrscheinlich alles<br />

sofort so impfen lassen, wie es die STIKO<br />

empfiehlt“.<br />

Er sei eher der statistische Typ, bestätigt<br />

Tobias Heinze, der Vater der mittlerweile elfjährigen<br />

Paula und ihrer kleinen Schwester Juna:<br />

„Klar gibt es Impfschäden, ganz schlimme sogar.<br />

Und wenn sie dein eigenes Kind betreffen,<br />

bist du mit Recht der größte Impfgegner. Aber<br />

trotzdem: Wenn von einer Million Kinder eines<br />

einen Impfschaden hat, dann sind 999 999 Kinder<br />

durch die Impfung ihr Leben lang gesund.“<br />

Als es bei der älteren Tochter Paula ans Impfen<br />

ging, wurde deutlich, dass die Eltern bei diesem<br />

Thema nicht immer einer Meinung sind.<br />

„Wir sind beide für das Impfen, aber unsere<br />

Herangehensweise ist unterschiedlich“, sagt der<br />

Vater, der Ingenieur ist und als Triathlontrainer<br />

arbeitet. „Weil ich selbst wenig Ahnung von<br />

Medizin habe, vertraue ich den Experten blind.<br />

Und wenn die sagen, diese Sechsfachimpfung<br />

für Babys sei gut, dann lasse ich die bei meinen<br />

Kindern machen.“<br />

SECHSFACHIMPFUNG ALS ROTES TUCH<br />

Die Sechsfachimpfung, die die jüngere Tochter<br />

Juna bekommen sollte, war für Mutter Judith<br />

Heinze dagegen ein rotes Tuch. „Für mein<br />

Gefühl war ja schon der Dreifachimpfstoff bei<br />

Paula damals zu viel. Ich dachte: Das machen<br />

wir auf gar keinen Fall!“ Die 40-Jährige fürchtete,<br />

dass Baby Juna noch nicht stark genug sei,<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong> 67


KINDER ∙ IMPFEN<br />

um gegen so eine Mehrfachimpfung anzukämpfen,<br />

und deshalb das Risiko für einen Impfschaden<br />

größer sei. Sie entschied gemeinsam mit<br />

dem Kinderarzt, nicht alles auf einmal, sondern<br />

einzeln nacheinander zu impfen. Ihr Mann<br />

ließ sie machen – ihm war vor allem wichtig,<br />

„dass die Kinder komplett geimpft sind, sobald<br />

sie in den Kindergarten kommen und dort<br />

auf andere Kinder treffen“.<br />

SKEPSIS, NICHT ABLEHNUNG<br />

Die Heinzes sind keine Impfgegner – von denen<br />

möchten sie sich klar distanzieren. Impfungen,<br />

die sie nicht für unbedingt nötig hielt, wollte<br />

Judith Heinze ihren Töchtern dennoch ersparen:<br />

„Über Hepatitis haben wir lange diskutiert und<br />

dann entschieden, die Impfung erst mal wegzulassen“,<br />

berichtet die zweifache Mutter. „Erst vor<br />

einer Auslandsreise haben wir sie nachgeholt.“<br />

Später als üblich erhielt die jüngere Tochter<br />

auch ihre Masernimpfung: „Paula haben wir<br />

recht früh impfen lassen, und sie bekam danach<br />

einen schlimmen Husten“, erzählt Judith Heinze.<br />

„Viele meiner Freunde meinten dann, das sei<br />

ein Impfschaden. Bei Juna hatte ich daher<br />

richtig Angst vor der Impfung und hätte sie fast<br />

weggelassen.“ Erst als ein Besuch bei Freunden<br />

in Berlin anstand und dort kurz vorher die<br />

Masern ausbrachen, holten die Heinzes die<br />

Impfung nach. „Denn plötzlich war die Gefahr<br />

ganz nah. Meine Freundin, die wir besuchen<br />

wollten, ist Ärztin. Sie sagte: Wenn dein Kind<br />

nicht gegen Masern geimpft ist, kannst du nicht<br />

nach Berlin kommen, das ist total gefährlich.“<br />

Für Vater Tobias Heinze war die Situation eine<br />

Bestätigung dafür, wie wichtig das Impfen ist:<br />

„Wir hatten die Masern doch fast ausgerottet.<br />

Und plötzlich brechen sie wieder aus, weil Leute<br />

ihre Kinder nicht impfen lassen? Da frage ich<br />

mich: Wie blöd ist das eigentlich?“<br />

Die Töchter der Heinzes, heute sieben und<br />

elf, haben mittlerweile alle Impfungen, die<br />

die STIKO empfiehlt – obwohl die Sorge vor<br />

Nebenwirkungen groß war. „Ich hatte jedes Mal<br />

Zweifel“, gibt ihre Mutter zu. „Doch ich habe<br />

mich auch jedes Mal gefragt: Will ich mein<br />

Leben lang schuld daran sein, wenn mein Kind<br />

krank wird und vielleicht sogar stirbt, weil ich<br />

es nicht habe impfen lassen? Auf keinen Fall.“<br />

Den Kontakt zu Impfgegnern im Bekanntenkreis<br />

habe die Familie abgebrochen, berichtet<br />

Vater Tobias Heinze: „Die stellten teilweise<br />

wirre Verschwörungstheorien auf und ließen<br />

gar keine andere Meinung zu.“<br />

Auch Caroline Cornfine, die Mutter von<br />

Matiu und Clara, hat eine klare Meinung zu<br />

Impfgegnern: „Es macht mich wütend, und ich<br />

kann das einfach nicht nachvollziehen: Man<br />

will doch seine eigenen Kinder schützen!“<br />

Wären die Schäden durch Impfungen größer als<br />

der Nutzen, davon ist die 37-Jährige überzeugt,<br />

„gäbe es das Konzept Impfen doch gar nicht“.<br />

Cornfine gibt zu, dass ihr eine Schluckimpfung<br />

lieber wäre: „Ich bin kein Spritzenfan. Aber<br />

es gibt eben keine Alternative, und die Kinder<br />

werden den <strong>Pieks</strong> schon vergessen.“ Auf die<br />

Mehrfachimpfung hätten beide stärker reagiert<br />

als auf andere, erinnert sie sich: „Matiu war<br />

müde und unruhig, und Clara bekam richtig<br />

Fieber. Mir ist eine einzige Impfung dennoch<br />

lieber als sechs einzelne.“<br />

Dass das Immunsystem eines Babys mit<br />

einem Sechsfachimpfstoff nicht überfordert ist,<br />

könne er versichern, sagt Kinder- und Jugendarzt<br />

Terhardt. „Es stimmt, dass die Infektionsabwehr<br />

in dem Alter noch nicht ausgereift ist.<br />

Aber wenn sie durch Impfen Bekanntschaft<br />

mit Krankheitserregern macht, ist das wie ein<br />

Training. Außerdem: Über das Essen und die<br />

Atemluft nimmt ein Kind täglich viel mehr<br />

Antigene auf, als in einer einzigen Sechsfachimpfung<br />

stecken.“<br />

ALLE FRAGEN IN RUHE BEANTWORTEN<br />

Terhardt ist es wichtig, verunsicherte Eltern<br />

ernst zu nehmen und auf ihre Sorgen einzugehen:<br />

„Gerade für junge Eltern mit dem ersten<br />

Kind ist das alles neu. Sie haben viele Fragen,<br />

die ihnen der Kinderarzt in Ruhe beantworten<br />

sollte.“ Stellen sich Eltern als Impfgegner<br />

heraus, verweist Terhardt sie nicht der Praxis –<br />

wie es tatsächlich manche seiner Kollegen tun:<br />

„Wenn ich sie rauswerfe, landen sie womöglich<br />

noch bei einem impfskeptischen Arzt, der<br />

solche Leute um sich schart. Das wäre mir<br />

auch nicht recht.“<br />

Terhardt sagt, er habe Mitleid mit den Kindern<br />

der Impfgegner, weil die Eltern an Mythen<br />

und Falschinformationen glaubten. „Ich erkläre<br />

ihnen, dass ihr Kind ein Recht hat, geschützt<br />

zu werden. Und dass sie ein Risiko in Kauf<br />

nehmen, das sie falsch einschätzen.“<br />

Konsequente Impfverweigerer lässt der Arzt<br />

sogar ein Formular unterschreiben, auf dem<br />

steht, dass ihnen die Risiken und die Verant-<br />

Kinder, die in den Kindergarten<br />

oder in die Schule gehen,<br />

müssen seit März 2<strong>02</strong>0 in Deutschland<br />

gegen Masern geimpft sein<br />

»Meine Freundin<br />

sagte: Wenn dein Kind<br />

nicht gegen Masern<br />

geimpft ist, kannst du<br />

nicht nach Berlin.«<br />

Judith Heinze mit Familie<br />

68<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong>


wortung bewusst sind, auch die für andere<br />

Kinder. Das bei Weitem größte Risiko gehe<br />

nämlich nach wie vor von der Erkrankung<br />

selbst aus. Doch weil sie kaum noch vorkommen,<br />

haben Polio, Tetanus, Diphtherie & Co.<br />

ihren Schrecken verloren: Wer nie ein Kind mit<br />

Diphtherie ersticken sah, dem erscheint das<br />

Impfrisiko mitunter größer als die Gefahr, sich<br />

anzustecken.<br />

Dabei sind die Nebenwirkungen einer Impfung<br />

überschaubar: „Rötungen und Schwellungen<br />

an der Einstichstelle sowie Allgemeinsymptome<br />

wie Kopfschmerzen und Müdigkeit für zwei,<br />

drei Tage gehören dazu“, sagt Terhardt. „All das<br />

ist ein Zeichen dafür, dass das Immunsystem<br />

arbeitet.“<br />

Impfkomplikationen seien selten, und oft<br />

könne der Zusammenhang zur Impfung gar<br />

nicht endgültig hergestellt werden. Das Paul-<br />

Ehrlich-Institut registriert bei über 40 Millionen<br />

Impfungen jedes Jahr in Deutschland etwa 3000<br />

bis 4000 Verdachtsfälle auf Impfkomplikationen.<br />

Das ist ohnehin schon ein geringer Anteil.<br />

Die allermeisten Fälle bestätigen sich zudem<br />

am Ende nicht. „Noch seltener sind Impfschäden,<br />

also bleibende Impfkomplikationen“, sagt<br />

Terhardt und verspricht besorgten Eltern: „Es<br />

FOTO: GETTY IMAGES/OLGA PANKOVA, PRIVAT<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong> 69


KINDER ∙ IMPFEN<br />

Auch wenn es so aussieht: Corona-<br />

Impfungen wird es für Kinder vorerst<br />

nicht geben. Die Impfstoffe sind<br />

bisher ab einem Alter von 16 oder<br />

18 Jahren getestet und zugelassen<br />

gibt kein Medikament, das nach der Zulassung<br />

so eng überwacht wird wie ein Impfstoff.“<br />

IMPFZWANG MUSS NICHT SEIN<br />

Eine Impfpflicht, wie sie in Italien, Lettland,<br />

Kroatien oder Ungarn gilt und zumindest für<br />

Masern seit März 2<strong>02</strong>0 auch in Deutschland, sei<br />

dennoch keine gute Lösung, um die Impfquote<br />

zu steigern, findet STIKO-Mitglied Terhardt:<br />

„Wer zur Masernimpfung verpflichtet wird<br />

und das als Zwang empfindet, lässt dafür eher<br />

andere Impfungen weg, was ein großer Nachteil<br />

wäre.“ Eine Impfpflicht schüre Zweifel an der<br />

Impfung und schaffe kein Vertrauen. „Vertrauen<br />

gehört aber zum Impfen dazu.“<br />

ANGST VORM IMPFEN<br />

Stress- und schmerzarmes Impfen – so geht’s<br />

‸ Babys, die noch gestillt werden, können<br />

vor oder während der Impfung an die Brust<br />

gelegt werden (außer bei der Impfung<br />

gegen Rotaviren). Alternativ beruhigt ein<br />

Schnuller.<br />

‸ Kindern unter zwei Jahren geben Eltern ein<br />

bis zwei Minuten vor der Impfung eine süße<br />

Flüssigkeit, empfiehlt das RKI.<br />

Grundsätzlich sollten Eltern, Arzt und Praxisangestellte Ruhe ausstrahlen. Sätze wie<br />

„Es tut gar nicht weh“ sind zu vermeiden. Bei ausgeprägter Impfangst kann ein Schmerzpflaster<br />

helfen, das vorher 30 bis 60 Minuten einwirken sollte, oder Kühlspray.<br />

Quellen: RKI, Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung<br />

‸ Kleinkinder unter drei Jahren werden beim<br />

Impfen am besten auf dem Arm gehalten.<br />

‸ Kinder ab drei Jahren sollten beim Impfen sitzen,<br />

etwa auf dem Schoß. Die Eltern können<br />

ihnen vorher erklären, wie der Arzt impft.<br />

‸ Kinder bis sechs Jahre lassen sich gut<br />

ablenken – von Luftballons, einem Spielzeug<br />

oder Musik.<br />

70<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong>


FERIENRATGEBER<br />

Reiseimpfungen<br />

bei Kindern<br />

Gerade auf Reisen ist ein vollständiger<br />

Impfschutz bei Kindern wichtig – viele<br />

Krankheiten kommen im Ausland<br />

noch häufiger vor, zudem drohen je nach<br />

Reiseziel Infektionen mit tropischen<br />

Erkrankungen. Neben den von der STIKO<br />

empfohlenen Impfungen müssen also<br />

gegebenenfalls weitere hinzukommen.<br />

Welche, das weiß der Kinderarzt,<br />

aber auch beim Tropeninstitut finden<br />

Eltern Rat.<br />

Mindestalter für Reiseimpfungen<br />

‸ Cholera: 2 Jahre<br />

‸ Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME):<br />

1 Jahr<br />

‸ Gelbfieber: 9 Monate<br />

‸ Hepatitis A: 1 Jahr<br />

‸ Influenza: 6 bzw. 24 Monate<br />

(Totimpfstoff/Lebendimpfstoff)<br />

‸ Japanische Enzephalitis: 2 Monate<br />

‸ Typhus: 2 bzw. 5 Jahre (parenteral/oral)<br />

Quelle: „Flugmedizin, Tropenmedizin, Reisemedizin 2“,<br />

Georg Thieme Verlag, 27. Jahrgang, April 2<strong>02</strong>0<br />

FOTO: ADOBE STOCK (2), GETTY IMAGES<br />

Vertrauen in die Impfstoffforschung hat gerade<br />

im Kampf gegen die Coronapandemie eine<br />

größere Bedeutung denn je. Viele Eltern fragen<br />

sich denn auch, ob ihre Kinder gegen Covid-19<br />

geimpft werden sollen und wann das der Fall<br />

sein könnte. „Bevor Studien an Kindern starten<br />

dürfen, muss die Sicherheit der Impfstoffe bei<br />

Erwachsenen endgültig nachgewiesen sein“, erklärt<br />

Terhardt. „Die Kinderimpfung ist sinnvoll<br />

und wird kommen, das wird aber noch eine<br />

Weile dauern.“ Gerade bei den mRNA-Impfstoffen<br />

müsse man „sehr genau hinschauen, da<br />

es sie noch nie gab“.<br />

Der in Deutschland entwickelte mRNA-Impfstoff<br />

(siehe Seite 22) war zum Redaktionsschluss<br />

dieser Zeitschrift ab 16 Jahren zugelassen, alle<br />

anderen Corona-Impfstoffe ab 18. Das liegt<br />

daran, dass in die bisherigen Studien nur Erwachsene<br />

und Jugendliche ab 16 eingeschlossen<br />

waren. An Kindern werden neue Medikamente<br />

immer zuallerletzt getestet, falls dort die Risiken<br />

höher sein sollten. Wie sie die Covid-19-Impfstoffe<br />

vertragen, ist also noch unbekannt.<br />

Die Jüngsten durch eine Impfung vor der<br />

Krankheit zu schützen ist ohnehin nicht allzu<br />

dringend: Anders als bei älteren Menschen sind<br />

schwere Krankheitsverläufe bei ihnen selten.<br />

Sinnvoll würde eine Impfung vor allem dann,<br />

wenn sich die Erwartung bestätigte, dass die<br />

Immunisierung auch die Weitergabe des Virus<br />

an andere verhindert. Dann würde der <strong>Pieks</strong><br />

dafür sorgen, dass Kinder die Krankheit nicht<br />

weiterverbreiten.<br />

Impfen ist ein emotionales Thema, gerade<br />

für Eltern. Bei aller Diskussion darf jedoch eines<br />

nicht vergessen werden: dass jeder Geimpfte<br />

zum Schutz der Gesellschaft beiträgt, indem<br />

er die „Herdenimmunität“ sichert. Jeder Ungeimpfte<br />

dagegen bringt jene in Gefahr, die sich<br />

nicht impfen lassen können: Neugeborene und<br />

Schwangere, Menschen mit Krebserkrankungen<br />

oder nach Organtransplantationen. Sie sind<br />

nur vor Infektionskrankheiten geschützt, wenn<br />

alle in ihrer Umgebung gesund bleiben – weil<br />

sie sich haben impfen lassen.<br />

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GESCHICHTE ∙ SEUCHEN<br />

Der Schwarze Tod: Schätzungen gehen<br />

davon aus, dass der Pest im<br />

14. Jahr hundert bis zu 20 Prozent der<br />

Weltbevölkerung zum Opfer fielen<br />

STÄNDIGE BEGLEITER<br />

Die Seuchen<br />

der Menschheit<br />

Die Geschichte der Menschheit ist auch eine<br />

Geschichte von Epidemien und Pandemien. Und immer<br />

beeinflussen sich Seuchen und gesellschaftliche<br />

Entwicklungen gegenseitig. Ein historischer Streifzug<br />

von der Attischen Seuche bis zu Corona<br />

FOTO: GEMEINFREI (3), STATISTA<br />

Text: Arnd Petry<br />

Die Druckerschwärze war kaum getrocknet,<br />

als diese Warnung Realität wurde:<br />

„Die Welt ist akut bedroht von einer<br />

verheerenden regionalen oder globalen<br />

Epidemie oder Pandemie, die nicht nur zu Todesfällen<br />

führen, sondern auch die Wirtschaft<br />

auf den Kopf stellen und soziales Chaos verursachen<br />

wird.“ So steht es in einem Bericht der<br />

Weltgesundheitsorganisation (WHO), veröffentlicht<br />

im September 2019. Sie hatte recht.<br />

Vor allem mit dieser Einschätzung: „Die Welt<br />

ist nicht vorbereitet auf eine Pandemie mit einem<br />

sich schnell verbreitenden, ansteckenden,<br />

die Atmung betreffenden Krankheitserreger.“<br />

Aber wird es bei der nächsten Pandemie<br />

besser laufen? Professor Dr. Heiner Fangerau<br />

ist da eher skeptisch. „Warum sollten wir besser<br />

sein als die Generationen vor uns?“, sagt der<br />

Arzt und Medizinhistoriker von der Universität<br />

Düsseldorf. Er muss es wissen, ist er doch<br />

Mitautor des 2<strong>02</strong>0 erschienenen Buchs „Pest<br />

und Corona – Pandemien in Geschichte,<br />

Gegenwart und Zukunft“.<br />

Die Geschichte der Seuchen offenbart Fangerau<br />

zufolge häufig ähnliche Verhaltensmuster.<br />

„Zunächst wurde – aus mitteleuropäischer<br />

Sicht – gesagt: Das ist weit weg.“ Danach<br />

habe man abgewiegelt: Es gebe wenige Fälle,<br />

die nicht die Masse beträfen. „In Phase drei<br />

setzt Aktionismus ein: Wir müssen was<br />

tun! Schließlich werden Schuldige gesucht.<br />

Attische Seuche: Begann mit ihr das Ende der klassischen Kultur Griechenlands?<br />

Da sind wir, glaube ich, auch schon dabei.“ Im<br />

Grunde müsse bei Pandemien immer die<br />

gleiche Abwägung getroffen werden, so der Historiker:<br />

„Wie viel Verkehr und soziales Leben<br />

schränkt man ein, wie viel lässt man zu?“ Dafür<br />

gebe es stets mehr als eine Handlungsoption.<br />

72<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong>


ATHEN MACHT DEN ANFANG:<br />

ATTISCHE SEUCHE<br />

Infektionskrankheiten und die von ihnen<br />

ausgelösten Seuchen haben die Entwicklung der<br />

menschlichen Zivilisation schon immer begleitet.<br />

Einige waren einschneidende Ereignisse, die<br />

den Lauf der Geschichte verändert haben. Andere<br />

sind im kulturellen Gedächtnis geblieben,<br />

weil sie von den Zeitgenossen als besonders<br />

katastrophal wahrgenommen wurden.<br />

Die erste Epidemie, die in der Geschichtsschreibung<br />

erwähnt wird, ist die Attische<br />

Seuche (430–4<strong>26</strong> v. Chr.). Während des Peloponnesischen<br />

Krieges kämpften Sparta und<br />

Athen um die Herrschaft in Griechenland. Als<br />

die Spartaner anrückten, zogen sich die Athener<br />

hinter ihre Stadtmauern zurück. Ein Fehler!<br />

Denn ein Krankheitserreger hatte nun leichtes<br />

Spiel mit der in der Stadt zusammengepferchten<br />

Bevölkerung. Etwa ein Drittel der Einwohner<br />

Athens starb.<br />

Die Seuche und die Niederlage der Athener<br />

haben wahrscheinlich das Ende der klassischen<br />

Kultur Griechenlands eingeläutet.<br />

Zwar findet man für diese Seuche auch die<br />

Bezeichnung Attische Pest, ein Hinweis auf<br />

den Erreger ist das aber nicht. Denn bis heute<br />

werden viele Seuchen der Antike und des Mittelalters<br />

als Pest bezeichnet (lateinisch: pestis)<br />

– ein Begriff für ansteckende, todbringende<br />

Krankheiten. Wahrscheinlich war eine Typhusepidemie<br />

(auch Fleckfieber genannt) für die<br />

Attische Seuche verantwortlich. Der Erreger der<br />

echten Pest wurde im Jahr 1894 entdeckt.<br />

Weltweite Todesfälle durch Epidemien<br />

12 Millionen<br />

5 Millionen<br />

3 Millionen<br />

SINNBILD FÜR SEUCHEN:<br />

DER SCHWARZE TOD<br />

Die Pestpandemie der Jahre 1346 bis 1353 ist<br />

laut Fangerau die „ikonische Seuche in der<br />

Geschichte Europas – das Synonym für das<br />

unausweichlich massenhafte Sterben vieler<br />

Menschen in kürzester Zeit“.<br />

Angefangen hatte die Pandemie in den<br />

Steppen Asiens – bis heute ein Reservoir des<br />

bakteriellen Erregers. Über die damaligen<br />

Handelswege, das Schwarze Meer und das<br />

Mittelmeer erreichte sie schließlich die Hafenstädte<br />

Frankreichs und Italiens. Von dort<br />

56 Millionen<br />

45 Millionen<br />

40 Millionen<br />

39 Millionen<br />

200 Millionen<br />

Aus diversen Quellen hat Statista die tödlichsten Pandemien der Menschheitsgeschichte zusammengetragen.<br />

Je länger die Ereignisse zurückliegen, desto ungenauer sind die Zahlen. Bei der Antoninischen Pest<br />

handelte es sich wohl um die Pocken. Die Coronapandemie läge mit bislang 2,3 Millionen Toten auf Platz 9<br />

aus eroberte die Pest unaufhaltsam den<br />

gesamten Kontinent mit der damaligen Reisegeschwindigkeit:<br />

rund 30 Kilometer pro Tag.<br />

Wie viele Menschen in Europa starben, lässt<br />

sich nur sehr grob schätzen. 25 Millionen? 50?<br />

Oder sogar 80 Millionen, und das bei damals<br />

circa 400 Millionen Menschen weltweit? Doch<br />

während der Pesterreger in manchen Städten<br />

bis zu 80 Prozent der Einwohner tötete, kamen<br />

einige Landstriche in der ersten Pestwelle<br />

ungeschoren davon. Sicher ist: Die Pest löschte<br />

mancherorts Generationen aus. Danach<br />

musste dort das gesamte Alltagsleben – Land-<br />

Grippe, Pest und andere Pandemien: Seuchen, die Geschichte machten<br />

um 3500 v. Chr.<br />

Die erste Pandemie der Menschheitsgeschichte?<br />

In Asien und Europa, nachgewiesen<br />

anhand von Knochen- und Zahnfunden.<br />

Erreger: Pestbakterien<br />

165–180<br />

Antoninische Pest im Römischen Reich.<br />

Römische Truppen schleppen die Krankheit<br />

aus Mesopotamien (heute Irak) ein.<br />

Erreger: wahrscheinlich Pocken- oder<br />

Masernviren<br />

541–770<br />

Justinianische Pest<br />

Der erste geschichtlich erwähnte „echte“<br />

Pestausbruch in Europa. Betroffen ist<br />

vor allem das Oströmische Reich. Ursprung:<br />

vermutlich Indien oder Afrika<br />

430–4<strong>26</strong> v. Chr.<br />

Attische Seuche im belagerten<br />

Athen. Erste geschichtliche<br />

Erwähnung einer Seuche.<br />

Erreger: vermutlich Typhusbakterien<br />

(Fleckfieber)<br />

250–271<br />

Cyprianische Pest Die Epidemie verbreitet sich<br />

von Afrika (Äthiopien, Ägypten) aus im Römischen<br />

Reich. Erreger: wahrscheinlich Pockenviren<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong> 73


GESCHICHTE ∙ SEUCHEN<br />

wirtschaft, Handel, Handwerk – neu organisiert<br />

werden.<br />

Letztlich habe die Seuche die Glaubens- und<br />

Lebenswelt des Mittelalters erschüttert und den<br />

Boden für die Renaissance bereitet, so Fangerau.<br />

Wer Schuld an dem Desaster hatte, war<br />

nach Ansicht der Überlebenden klar: Die Juden<br />

mussten als Sündenbock herhalten. In vielen<br />

Städten Mitteleuropas wurden sie verfolgt.<br />

Hunderte wurden bei gewaltsamen Ausschreitungen<br />

– den Pestpogromen – ermordet.<br />

FOTO: DPA PICTURE-ALLIANCE (2), GEMEINFREI (3)<br />

TRANSATLANTISCHER „HANDEL“:<br />

POCKEN GEGEN SYPHILIS<br />

Im Fall der Pockenviren ist die wirkliche<br />

Schuldfrage schnell zu beantworten: Der Tod<br />

kam mit den Spaniern übers Meer. Denn als<br />

der spanische Eroberer Hernán Cortés 1519<br />

mit seinen Söldnern das 25-Millionen-Volk der<br />

Azteken im heutigen Mexiko angriff, hatte er –<br />

ohne es zu wissen – eine wirksame „Biowaffe“<br />

im Gepäck: die Pocken. Sie und die anderen von<br />

den Spaniern eingeschleppten Krankheitserreger<br />

wie Masern, Mumps, Influenza, Typhus oder<br />

Tuberkulose, die in der Neuen Welt zuvor<br />

unbekannt gewesen waren, töteten in den Jahren<br />

zwischen 1520 und 1580 wahrscheinlich<br />

etwa 80 Prozent der Menschen Mittelamerikas.<br />

Allein in Mexiko ging die Bevölkerung in jener<br />

Zeit von 25 Millionen auf 2,5 Millionen zurück.<br />

Allerdings kehrten die Spanier auch bei<br />

den Krankheitserregern nicht mit leeren Händen<br />

zurück. Zur Fracht der spanischen Galeonen<br />

gehörte neben dem Raubgold eine echte Geißel<br />

für die Alte Welt: Treponema pallidum, der<br />

bakterielle Erreger der Syphilis.<br />

Doch was sollte uns dieses Kapitel der Seuchengeschichte<br />

lehren? Heiner Fangerau gibt<br />

Spanische-Grippe-Patienten 1918 in einem Notfallkrankenhaus der Militärbasis Fort Riley in Kansas, USA.<br />

An dieser Influenzapandemie starben bis 1920 einigen Schätzungen zufolge bis zu 100 Millionen Menschen<br />

die Antwort in seinem Buch: „Seuchen und ihre<br />

Verbreitung sind in ein soziales und kulturelles<br />

Umfeld sowie in das menschliche Handeln<br />

eingebunden und können nur in dieser breiten<br />

Sicht verstanden werden.“<br />

PANDEMIE PAR EXELLENCE:<br />

SPANISCHE GRIPPE<br />

Die Spanische Grippe wütete von 1918 bis 1920.<br />

Das Influenzavirus vom Subtyp A/H1N1 tötete<br />

wahrscheinlich 35 bis 50 Millionen Menschen<br />

weltweit, manche Schätzungen liegen sogar bei<br />

100 Millionen. Unzweifelhaft ist jedenfalls,<br />

dass die Pandemie mehr Opfer forderte als der<br />

Erste Weltkrieg, der 1918 endete. Die Schuld an<br />

der tödlichen Pandemie wurde in Europa<br />

dem jeweiligen Kriegsgegner in die Schuhe<br />

geschoben.<br />

Nach Ansicht der Franzosen waren Bio waffen<br />

der Deutschen die Auslöser der Katastrophe.<br />

Für die Deutschen war klar: Amerikaner und<br />

Franzosen waren schuld. Aufseiten der deutschen<br />

Heeresleitung wurde die Krankheit nicht<br />

ernst genommen. Grippekranke Soldaten<br />

galten als Simulanten.<br />

Im Deutschen Reich forderten bereits zu<br />

der Zeit viele Ärzte, Theater zu schließen und<br />

Veranstaltungen abzusagen. Und das ist nicht<br />

1346–1353<br />

Der Schwarze Tod Die Pest<br />

breitet sich von Asien über<br />

fast ganz Europa aus. Ein<br />

Drittel der Bewohner Europas<br />

stirbt (vor allem in Städten).<br />

Ursprung: vermutlich um 1330<br />

in Zentralasien/China<br />

1520–1580<br />

Kolumbus-Effekt<br />

In Mittel- und Südamerika töten<br />

„europäische Erreger“ wie die<br />

Pocken Millionen Ureinwohner. Im<br />

Gegenzug gelangt die Syphilis<br />

nach Europa<br />

1889–1895<br />

Russische Grippe Die bis dahin<br />

schlimmste Influenzapandemie. Eine<br />

Grippewelle aus dem zentralasiatischen<br />

Teil Russlands breitet sich über<br />

Europa und dann weltweit aus. Eine<br />

Million Menschen sterben<br />

1485–1551<br />

Englischer Schweiß<br />

Fünf Seuchenwellen,<br />

hauptsächlich in England.<br />

Erreger unbekannt<br />

1708–1714<br />

Die Große Pest Während des Großen Nordischen Kriegs<br />

in Nord- und Osteuropa, vor allem im Ostseeraum.<br />

Aufgrund der Pestgefahr wird in Berlin 1710 die Charité<br />

gegründet. Ursprung: Zentralasien<br />

74<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong>


Grippekranke Soldaten galten als Simulanten, eine Zeichnung aus der Zeit gibt dies wieder. Major: „Etwas<br />

Besonderes?“ Wärter: „Nein, Herr Major! Bloß von den Grippe-Simulanten sind wieder zwei gestorben.“<br />

die einzige Parallele zur aktuellen Coronapandemie:<br />

„Die Spanische Grippe traf auf eine<br />

Medizin in der Hochphase“, erklärt Heiner<br />

Fangerau. „Die Bakteriologie war zwar eine<br />

relativ junge Disziplin, die aber schon zu vielen<br />

Erfolgen im Kampf gegen Infektionskrankheiten<br />

geführt hatte. Man dachte, man habe<br />

alle Instru mente in der Hand, um so einer<br />

Pandemie begegnen zu können. Und dann fand<br />

man den Erreger nicht.“ Schließlich habe<br />

diese „selbstbewusste Medizin“ im Unwissen<br />

agieren und auf traditionelle Maßnahmen<br />

wie Händewaschen und Maskentragen zurückgreifen<br />

müssen. Die therapeutischen Bemühun-<br />

gen waren wirkungslos, Konjunktur hatten Tees<br />

und Hausmittel wie Alkohol und Hühnersuppe.<br />

ZUKUNFT MIT ZOONOSEN:<br />

NEUARTIGE ERREGER<br />

Seit der Spanischen Grippe hat wohl kein<br />

Krankheitserreger die Welt derart fest im Griff<br />

gehabt wie jetzt SARS-CoV-2. Bis zu der<br />

nächsten großen Pandemie wird es aber wahrscheinlich<br />

nicht wieder 100 Jahre dauern: Epidemien<br />

mit „neuartigen Krankheitserregern“<br />

bleiben eine dauerhafte Gefahr. Infektionskrankheiten<br />

wie SARS, MERS, Ebola oder Zika,<br />

die in den vergangenen zehn Jahren regelmäßig<br />

die Nachrichten bestimmten, sind dem<br />

erwähnten WHO-Report zufolge die „Vorläufer<br />

einer neuen Ära von sich potenziell schnell<br />

ausbreitenden High-Impact-Ausbrüchen, die<br />

immer häufiger registriert werden und zunehmend<br />

schwierig zu managen sind“. Allein<br />

zwischen 2011 und 2018 zählte die WHO<br />

1483 epidemische Ereignisse in 172 Ländern.<br />

Angefeuert werden solche Krankheitsausbrüche<br />

durch ökologische, ökonomische, politische<br />

und soziale Entwicklungen, die heute – anders<br />

als zu früheren Zeiten – kritische Grenzen<br />

erreichen: Zu Jesu Zeiten gab es 300 Millionen<br />

Menschen auf der Welt, im Jahr 1800 eine<br />

Mil liar de, heute leben 7,8 Milliarden potenzielle<br />

Virusüberträger auf dem Globus – in dicht<br />

bebauten Millionenstädten, vernetzt durch Tourismus<br />

und eine Weltwirtschaft mit Lieferketten<br />

bis in die hintersten Winkel der Erde.<br />

Angesichts solcher Zukunftsaussichten sollten<br />

sich Staaten und internationale Organisationen<br />

besser auf globale Gesundheitsnotstände<br />

vorbereiten, mahnen die WHO-Experten.<br />

Im Bericht heißt es: „Viel zu lange haben wir bei<br />

Pandemien einen Zyklus zwischen Panik und<br />

Vernachlässigung zugelassen: Wir fahren bei einer<br />

ernsten Bedrohung unsere Anstrengungen<br />

hoch – wenn die Gefahr abklingt, vergessen wir<br />

sie schnell. Es ist höchste Zeit zu handeln.“<br />

AUFKLÄREN ODER WEGSPERREN?<br />

AIDS IN DEN ACHTZIGERN<br />

Beispielhaft für dieses Pingpong zwischen politischen<br />

Panikreaktionen und gesellschaftlicher<br />

Gleichgültigkeit steht der Umgang mit dem<br />

Immunschwächesyndrom Aids (Acquired Immune<br />

Deficiency Syndrome). Anfangs galt Aids<br />

als „Schwulenseuche“, als Randgruppenkrank-<br />

1890–1911<br />

Pestpandemie Der letzte große Seuchenzug der<br />

Pest. Weltweit 15 Millionen Tote. Europa bleibt<br />

weitgehend verschont (dank besserer Medizin<br />

und Quarantänemaßnahmen). Ursprung: China<br />

1957–1959<br />

Asiatische Grippe Schlimmste<br />

Influenzapandemie seit der<br />

Spanischen Grippe. Weltweit<br />

etwa zwei Millionen Tote.<br />

Erreger: Influenzavirus<br />

1968–1970<br />

Hongkong-Grippe Weltweit circa eine Million Tote.<br />

Erreger: Influenzavirus, Subtyp A/H3N3<br />

1918–1920<br />

Spanische Grippe Die verlustreichste<br />

Pandemie der Geschichte.<br />

35 bis 50 Millionen Tote. Erreger:<br />

Influenzavirus, Subtyp A/H1N1<br />

seit 1961<br />

Siebte Cholerapandemie Die längste und immer<br />

noch andauernde Pandemie. Ausbrüche weltweit.<br />

Ursprung: Indonesien<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong> 75


GESCHICHTE ∙ SEUCHEN<br />

heit. Als klar wurde, dass das Humane Immundefizienz-Virus<br />

(HI-Virus, HIV) das Zeug zur<br />

Pandemie hat, war, so Heiner Fangerau, die<br />

Aufregung groß: „Noch heute prominente CSU-<br />

Politiker schlugen vor, Infizierte kasernieren zu<br />

lassen, und forderten zwangsweise Testungen<br />

etwa von Prostituierten. Die Bundesregierung<br />

diskutierte, ob man auf scharfe Maßnahmen –<br />

Isolation der Infizierten – oder auf Aufklärung<br />

setzen sollte.“<br />

Dank der damaligen Gesundheitsministerin<br />

Rita Süssmuth (CDU) habe man es zunächst<br />

mit ärztlicher Aufklärung und Beratung versucht<br />

(Slogan der Kampagne: „Gib Aids keine<br />

Chance – Kondome schützen“). Erfolgreich,<br />

wie man heute weiß – auch dank des gut kontrollierbaren<br />

Übertragungswegs: Sex und<br />

Blutkontakt, kein Risiko im Alltagsleben. „Das<br />

ist der große Unterschied zu SARS-CoV-2.<br />

Die Pandemie hat sich anders entwickelt und ist<br />

schließlich in den Normalbestand der Krankheiten<br />

zurück geführt worden.“<br />

Und heute? Aids ist nicht verschwunden.<br />

Laut WHO tragen gegenwärtig weltweit mehr<br />

als 38 Millionen Menschen das HI-Virus in<br />

sich. Die meisten in Afrika, in dessen Regenwäldern<br />

der Theorie nach die Vorgänger des<br />

Aids-Erregers vor etwa 100 Jahren erstmals den<br />

Sprung vom Affen auf den Menschen schafften.<br />

Insgesamt sind seit der Entdeckung von HIV<br />

Anfang der Achtzigerjahre weltweit nach der<br />

höchsten Schätzung 39 Millionen Menschen<br />

gestorben. Einen Impfstoff gibt es nicht. Immerhin<br />

kennen acht von zehn Betroffenen heute<br />

ihren HIV-Status; zwei von drei Infizierten<br />

bekommen antiretrovirale Medikamente, die<br />

bei dauerhafter Einnahme eine fast normale<br />

Lebenserwartung möglich machen.<br />

BUCHTIPP<br />

Pest und Corona: Pandemien<br />

in Geschichte, Gegenwart<br />

und Zukunft<br />

Heiner Fangerau,<br />

Alfons Labisch<br />

Herder Verlag 2<strong>02</strong>0<br />

191 Seiten, 18 Euro<br />

ISBN 978-3-451-38879-8<br />

AUS DER KRISE GELERNT:<br />

POLIOEPIDEMIE 1952<br />

Dass eine Krise wie die aktuelle Coronapandemie<br />

den Anstoß zu Entwicklungen geben<br />

kann, von denen Patienten bei zukünftigen<br />

Krankheitsausbrüchen profitieren, zeigt ein<br />

Blick auf den Ausbruch der Kinderlähmung in<br />

Kopenhagen. Die Hauptstadt Dänemarks<br />

war im Sommer 1952 „das Epizentrum einer<br />

der schlimmsten Polioepidemien, die die Welt<br />

je gesehen hat“, so die Intensivmedizinerin<br />

Hannah Wunsch von der University of Toronto<br />

in einem Artikel im Wissenschaftsmagazin<br />

„Nature“. Doch in Kopenhagen gab es nur eine<br />

einzige Eiserne Lunge, mit der die am stärksten<br />

von der Kinderlähmung betroffenen Patienten<br />

beatmet werden konnten. In den ersten Wochen<br />

starben daher 87 Prozent aller Patienten, bei<br />

denen das Virus das Atemzentrum angegriffen<br />

hatte.<br />

Der junge Anästhesist Björn Ibsen hatte<br />

angesichts der fatalen Lage eine „radikale Idee“,<br />

so Hannah Wunsch, „sie änderte den Kurs der<br />

modernen Medizin“. Ibsen schlug vor, mithilfe<br />

eines Luftröhrenschnitts über einen Schlauch<br />

Eine Eiserne Lunge.<br />

Weil es 1952 nur<br />

eine in Kopenhagen<br />

gab, erfand ein<br />

junger Arzt den<br />

Luftröhrenschnitt<br />

zur aktiven<br />

Beatmung<br />

seit 1980<br />

Aids Immunschwächesyndrom,<br />

ausgelöst durch das Humane Immundefizienz-Virus<br />

(HIV). Weltweit bis heute<br />

bis zu 39 Millionen Tote. Ursprung:<br />

Zentralafrika (zwischen 19<strong>02</strong> und 1921)<br />

2012<br />

MERS-Epidemie Arabische<br />

Halbinsel. Das MERS-Coronavirus<br />

wird von Fledermäusen<br />

über Kamele auf Menschen<br />

übertragen. Circa 2500 Tote<br />

2014–2016<br />

Ebolaepidemie in Westafrika.<br />

Erreger: Ebolavirus, erstmals<br />

entdeckt 1976 am Fluss<br />

Ebola (Kongo)<br />

20<strong>02</strong>/03<br />

SARS-Pandemie Erste Pandemie des 21. Jahrhunderts.<br />

Erstes Auftreten eines SARS-Coronavirus (SARS-CoV).<br />

Hauptsächlich betroffen: China, Hongkong, Taiwan,<br />

Singapur und Kanada. Etwa 8000 Tote<br />

seit 2013<br />

Chikungunya-Fieber in der Karibik<br />

und in Zentral- und Südamerika.<br />

Erreger: Chikungunyavirus<br />

76<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong>


FOTO: DPA PICTURE-ALLIANCE, GETTY IMAGES, GEMEINFREI (3), PR<br />

„Gib Aids keine Chance“:<br />

Bis heute starben weltweit bis zu<br />

39 Millionen Menschen an<br />

der Immunschwächepandemie<br />

IMPRESSUM<br />

GESCHÄFTSFÜHRUNG<br />

Alexandra Jahr<br />

REDAKTION<br />

CHEFREDAKTEUR: Thomas Borchert (v.i.S.d.P.)<br />

REDAKTIONSLEITUNG: Stefan Glowa<br />

BILDREDAKTION: Laura Nenz<br />

SCHLUSSREDAKTION: Sebastian Schulin<br />

AUTOREN UND MITARBEITER<br />

Verena Fischer, Heinz-Jürgen Köhler, Hopp<br />

und Frenz, Sina Horsthemke, Iunia Mihu, Arnd<br />

Petry, Tom Rademacher, Beate Wagner<br />

INTERNET<br />

www.pieks-magazin.de<br />

ANZEIGENLEITUNG<br />

Thomas Quast, Tel: 040 38906-473<br />

E-Mail: thomas.quast@jahr-media.de<br />

ANZEIGENPREISLISTE:<br />

Nr. 1 vom 1. Januar <strong>2<strong>02</strong>1</strong><br />

Luft direkt in die Lungen der Patienten zu<br />

leiten. Das war in dieser Form bis dahin nur<br />

kurzzeitig bei OPs praktiziert worden.<br />

Für die Langzeitbeatmung von Patienten<br />

gab es Eiserne Lungen: monströse röhrenartige<br />

Beatmungsmaschinen, in denen die Patienten<br />

lagen. Nur der Kopf guckte raus. Die Maschinen<br />

erzeugten um den Rumpf der Patienten ein<br />

Vakuum, sodass Luft von außen in die Lungen<br />

gesogen wurde. Dank der Idee von Björn Ibsen<br />

konnten 1952 in Kopenhagen 120 Patienten<br />

gerettet werden. Weil es Beatmungsgeräte, wie<br />

wir sie heute kennen, noch nicht gab, wechselten<br />

sich Studenten in Vierstundenschichten ab<br />

und beatmeten die Patienten manuell mit Beatmungsbeuteln<br />

– rund um die Uhr, wochenlang.<br />

Nach der Epidemie zogen die dänischen<br />

Gesundheitsmanager Konsequenzen. Sie<br />

hatten gelernt, dass es möglich ist, Menschen<br />

über Wochen mittels Überdruckbeatmung<br />

am Leben zu halten. Und auch, dass es sinnvoll<br />

ist, alle zu beatmenden Patienten an einem Ort<br />

zusammenzubringen, wo Ärzte und Pflegekräfte<br />

Erfahrung mit dieser Art der Behandlung<br />

haben. Ein Jahr nach der Epidemie entstand<br />

in Kopenhagen die weltweit erste Intensivstation.<br />

Dort wurden die ersten Geräte für Langzeitbeatmung<br />

entwickelt.<br />

Ihre Nachfolger versorgen heute auf den Intensivstationen<br />

dieser Welt schwer an Covid-19<br />

erkrankte Menschen mit lebensnotwendiger<br />

Atemluft.<br />

MARKETING/KOOPERATION<br />

Elena Drossidis, Tel: 040 38906-278<br />

E-Mail: elena.drossidis@jahr-media.de<br />

PRODUKTION<br />

PRODUKTIONSMANAGEMENT:<br />

Hauke Rieffel (Ltg.), Sybille Hagen<br />

GRAFIK: Philip Refeld, digitaldeck.de<br />

LITHOGRAPHIE: Alphabeta GmbH, Hamburg<br />

DRUCK: NEEF+STUMME premium<br />

printing GmbH & Co. KG, Schillerstr. 2,<br />

29378 Wittingen<br />

VERTRIEB<br />

EINZELVERKAUF<br />

DMV Der Medienvertrieb GmbH & Co. KG,<br />

Meßberg 1, 20086 Hamburg,<br />

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DPV Deutscher Pressevertrieb GmbH,<br />

Postfach 57 04 <strong>02</strong>, 22773 Hamburg,<br />

www.dpv.de<br />

VERKAUFSPREIS EINZELHEFT: 7,90 €<br />

seit 2016<br />

Choleraepidemie im Jemen. Größter<br />

Choleraausbruch der Geschichte.<br />

Etwa 1,7 Millionen Tote. Teil der siebten<br />

Cholerapandemie<br />

seit 2018<br />

Masernausbrüche<br />

in Madagaskar,<br />

Samoa und der DR Kongo<br />

BANKVERBINDUNGEN<br />

Hamburger Sparkasse BIC HASPDEHHXXX<br />

Konto für Vertrieb:<br />

IBAN DE24 2005 0550 10<strong>02</strong> 1279 40<br />

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RECHTE<br />

© pieks, soweit nicht anders angegeben.<br />

Keine Haftung für unverlangt eingesandte<br />

Manuskripte, Bilder, Dateien und Datenträger.<br />

Kürzung und Bearbeitung von Beiträgen und<br />

Leserbriefen bleiben vorbehalten. Zuschriften<br />

und Bilder können ohne ausdrücklichen<br />

Vorbehalt veröffentlicht werden.<br />

2018–2<strong>02</strong>0<br />

Ebolaepidemie in Uganda und<br />

der DR Kongo. Die Epidemie<br />

kann mithilfe eines neuartigen<br />

Impfstoffs gestoppt werden<br />

seit 2019<br />

Coronapandemie<br />

Erreger: SARS-Coronavirus-2<br />

(SARS-CoV-2).<br />

Ursprung: China<br />

LESERSERVICE:<br />

040 - 389 06-880<br />

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Fragen an die Redaktion<br />

Redaktion pieks,<br />

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Jürgen-Töpfer-Straße 48,<br />

22763 Hamburg


GESCHICHTE ∙ KLASSIKER<br />

Coronavirus<br />

Rhinovirus<br />

Parainfluenzavirus<br />

Hepatitis-B-Virus<br />

Mumpsvirus<br />

Masernvirus<br />

FOTO: SHUTTERSTOCK<br />

Pockenvirus<br />

Humanes Papillom virus<br />

(HPV)<br />

Humanes Immun defizienz-<br />

Virus (HIV)<br />

78<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong>


Norovirus<br />

Herpesvirus<br />

Rotavirus<br />

Eine kurze<br />

Geschichte des<br />

Impfens<br />

Impfen gilt als Erfolgsgeschichte der Medizin. Bei näherer Betrachtung<br />

entdeckt man neben Erfolgen aber auch<br />

fragwürdige Versuche, Ignoranz, Unglücke und Widerstände<br />

Text: Arnd Petry<br />

Am 8. Dezember des vergangenen<br />

Jahres war es so weit: William Shakespeare<br />

wurde in Coventry (England)<br />

gegen das neuartige Coronavirus<br />

SARS-CoV-2 geimpft. Der 81-jährige Rentner<br />

mit dem berühmten Namen war damit nach<br />

offizieller Lesart der erste Mann in Westeuropa,<br />

der im Rahmen einer staatlichen Impfkampagne<br />

mit einem zugelassenen Covid-19-Impfstoff<br />

versorgt wurde. Kurz vor ihm war schon<br />

die 91-jährige Margaret Keenan dran gewesen.<br />

Eine erstaunliche Leistung der modernen<br />

Medizin, wenn man bedenkt, dass das Virus<br />

SARS-CoV-2 erst ein Jahr zuvor entdeckt<br />

worden war.<br />

„Die Geschichte des Impfens ist in großen<br />

Teilen eine Erfolgsgeschichte“, erklärt der Medizinhistoriker<br />

Professor Dr. Robert Jütte, der von<br />

1990 bis 2<strong>02</strong>0 das Institut für Geschichte der<br />

Medizin der Robert-Bosch-Stiftung in Stuttgart<br />

leitete. Die Pocken etwa – einer der großen Killer<br />

in der Menschheitsgeschichte – seien Anfang<br />

der 1980er-Jahre definitiv durch konsequente<br />

Massenimpfungen weltweit ausgerottet worden.<br />

„Und man kann sich heute gegen zahlreiche<br />

Infektionskrankheiten, inzwischen auch gegen<br />

Ebola, impfen lassen. Das ist ein großer Erfolg“,<br />

so der Medizinhistoriker. „Für viele andere<br />

Infektions krankheiten gilt das aber nicht. Gegen<br />

Malaria oder Borreliose etwa haben wir noch<br />

keine Impfstoffe.“<br />

ERSTE SCHUTZIMPFUNG 1796 –<br />

RISKANTE VERSUCHE<br />

Die Geschichte der modernen Schutzimpfungen<br />

begann 1796 mit einem, ja, Menschenversuch<br />

des englischen Landarzts Edward<br />

Jenner. Dass Kuhpocken beim Menschen nur<br />

lokale, meist von selbst ausheilende Infektionen<br />

verursachen, aber dennoch Immunität gegen<br />

die gefährlichen Menschenpocken verleihen<br />

können, war in der bäuerlichen Bevölkerung<br />

im 18. Jahrhundert durchaus bekannt. Jenner<br />

widmete sich gezielt diesem Effekt: „Der<br />

entscheidende Versuch fand am 14. Mai 1796<br />

statt“, erzählt Jütte. Damals impfte Jenner den<br />

achtjährigen James Phipps mit Sekret aus<br />

einer Kuhpockenpustel, die sich auf dem Arm<br />

einer Magd gebildet hatte. Bei dem Jungen<br />

ent wickelte sich ein leichtes Fieber, das bald<br />

abklang. „Sechs Wochen später wagte es Jenner,<br />

James künstlich mit Menschenpocken zu infizieren.<br />

Das riskante Experiment glückte – der<br />

Junge erkrankte nicht.“<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong> 79


GESCHICHTE ∙ KLASSIKER<br />

Der Rest ist Geschichte: Jenner veröffentlichte<br />

sein Experiment in einer Zeitschrift, wurde<br />

berühmt, und fachsprachlich heißt „Impfstoff “<br />

heute noch „Vakzine“, abgeleitet vom lateinischen<br />

Wort für Kuh. „Medizinischer Fortschritt<br />

wurde früher oft mit riskanten Versuchen<br />

erkauft“, erklärt Medizinhistoriker Jütte.<br />

In der Anfangsphase der modernen Medizin<br />

sei ohne Skrupel experimentiert worden –<br />

Ethikkommissionen gab es noch nicht. „Viele<br />

Ärzte haben heroische Selbstversuche gemacht<br />

und dabei zum Teil ihre Gesundheit ruiniert.<br />

Edward Jenner gehörte nicht dazu.“<br />

1895 vier Impfstoffe: gegen Geflügelcholera,<br />

Milzbrand (Anthrax), die seltene menschliche<br />

Hautkrankheit Schweinerotlauf und Tollwut.<br />

Als Meilenstein der Impfgeschichte gilt<br />

Pasteurs Behandlung des neunjährigen Joseph<br />

Meister im Jahr 1895. Der Junge war von einem<br />

tollwütigen Hund gebissen worden. Pasteur,<br />

der bereits mit dem Tollwuterreger experimentiert<br />

hatte, verabreichte dem Kind zunächst eine<br />

Injektion mit der getrockneten Hirnmasse eines<br />

infizierten Kaninchens und schließlich über einen<br />

Zeitraum von zehn Tagen zwölf Injektionen<br />

mit immer frischerem, also auch zunehmend<br />

Skepsis auch Ängste hervorrufen, hat sicher<br />

historische Gründe: „Bereits in den Anfängen<br />

der Pockenschutzimpfung wurde behauptet,<br />

dass die verwendete Kuhpocken-Lymphe den<br />

Menschen vertieren, also in gewisser Weise<br />

zum Tier machen würde“, so Robert Jütte. Es<br />

gibt Karikaturen, die zeigen, wie den Geimpften<br />

Hörner wachsen.<br />

„Damals wie heute kommt in der Impfgegnerschaft<br />

das Unbehagen an der Modernität zum<br />

Ausdruck, ebenso ein Protest gegen die Enteignung<br />

des Körpers durch die Wissenschaft“,<br />

erklärt der Medizinhistoriker.<br />

Schüler freuen sich im Januar 1970 über die verlängerten Ferien. Andere leiden: In jenem Winter erkranken<br />

mehr als 20 Millionen Menschen in Westdeutschland an der Hongkong-Grippe, circa 50 000 sterben<br />

Gewinner im Kampf gegen die Tuberkulose:<br />

der französische Arzt Albert Calmette (1863–1933)<br />

Verschiedene Skandale der Impfgeschichte –<br />

zum Beispiel das „Lübecker Impfunglück“ von<br />

1930, bei dem 77 Kinder aufgrund eines verseuchten<br />

Tuberkulose-Impfstoffs starben –<br />

führten schließlich dazu, dass Regularien eingeführt<br />

wurden. „Heute sind etwa Tier versuche<br />

vorgeschrieben, bevor man mit gefährlichen<br />

Stoffen am Menschen experimentiert.“<br />

virulentem – das heißt ansteckendem – Material.<br />

Joseph überlebte die Kaninchenhirn-<br />

Behandlung. Damit war die Tollwutimpfung<br />

erfunden.<br />

Mit derart abenteuerlichen Impfstoff-Gemischen<br />

haben die heutigen mRNA-Impfstoffe<br />

gegen Covid-19 zwar nichts mehr gemein. Dass<br />

sie bei vielen Menschen neben begründbarer<br />

EUROPÄISCHE IGNORANZ<br />

Das Grundprinzip einer Schutzimpfung – das<br />

gezielte Infizieren eines Gesunden mit krankheitserregendem<br />

Material, um diesen vor einer<br />

schweren Krankheit zu schützen – war der<br />

Menschheit lange vor Edward Jenners Pockenbehandlung<br />

bekannt. Diese sogenannte Inokulation<br />

wurde schon Jahrhunderte zuvor in Indien und<br />

NEUARTIGE IMPFSTOFFE – ALTE REFLEXE<br />

Seit Jenners Kuhpockenimpfung sind viele<br />

Impfstoffe entwickelt worden. Vor allem die<br />

ersten fünf Jahrzehnte der Bakteriologie ab den<br />

1870er-Jahren, als viele bakterielle Krankheitserreger<br />

das erste Mal beschrieben wurden,<br />

waren eine Hochzeit der Impfstoff-Forschung.<br />

Die Protagonisten jener Zeit heißen Robert<br />

Koch, Emil von Behring oder Wilhelm Kolle.<br />

Ein Ehrenplatz unter den Impfstoff-Pionieren<br />

gebührt dem französischen Chemiker Louis<br />

Pasteur. Er entwickelte zwischen 1879 und<br />

»Viele Ärzte haben heroische<br />

Selbstversuche gemacht<br />

und dabei zum Teil ihre Gesundheit<br />

ruiniert.«<br />

80<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong>


China praktiziert. In einem Gesundheitsratgeber<br />

in Versform von 1275 aus Salerno im heutigen<br />

Italien hieß es: „Damit die Pocken nicht zum<br />

Tod der Kinder führen / bringe den Gesunden<br />

Pockenmaterie in die Adern.“<br />

Doch offensichtlich geriet dieses Wissen in<br />

Europa in Vergessenheit. Verantwortlich dafür,<br />

dass sich die Technik auf dem Kontinent doch<br />

noch durchsetzte, war schließlich Lady Mary<br />

Wortley Montagu. Die Frau des englischen Botschafters<br />

in Konstantinopel ließ dort 1718 ihren<br />

Sohn auf diese Weise gegen Pocken impfen.<br />

Danach war die Inokulation – bis zur Vakzination<br />

von Edward Jenner – zumindest für fast<br />

100 Jahre bei der Oberschicht en vogue.<br />

IMPFPFLICHT IN DEUTSCHLAND<br />

In Deutschland begann mit der Verfügbarkeit<br />

eines wirksamen Pocken-Impfstoffs eine<br />

politische Diskussion, die auch heute wieder<br />

aktuell ist: Impfzwang ja oder nein? Bei Pocken<br />

gewann der Zwang. Als erster deutscher Staat<br />

führte Bayern 1807 die Impfpflicht ein. Bis zur<br />

Ausrufung des Deutschen Reichs 1871 hatten<br />

lediglich Sachsen, Hamburg und Preußen kein<br />

Impfgesetz. In Preußen verlangte man aber von<br />

Schülern und Lehrlingen einen Impfschein.<br />

Pasteur-Institut in<br />

Paris 1938: Teamarbeit<br />

im Tetanuslabor<br />

bei der Suche nach dem<br />

passenden Impfstoff<br />

Nach der Pockenepidemie der Jahre 1870/71<br />

hatte die Impffreiheit auch in Sachsen und<br />

Hamburg ein Ende, und ab 1874 bestand im<br />

gesamten Reich für Kinder eine Impfpflicht<br />

gegen Pocken.<br />

Aufgehoben wurde sie erst mehr als ein<br />

Jahrhundert später: im Jahr 1983, also drei<br />

VIREN<br />

Was die einzelnen Viren besonders macht<br />

Grippe/Influenza: wandelbare Viren<br />

Influenza – die „echte Grippe“ – ist eine durch Influenzaviren ausgelöste<br />

Infektionskrankheit. Menschen ab 60 Jahren und chronisch Kranken wird<br />

hierzulande jährlich eine Influenza-Impfung empfohlen, jeweils im Herbst<br />

vor Beginn der winterlichen Grippesaison. Grund: Der Impfstoff muss<br />

aufgrund der großen Wandlungsfähigkeit der Influenzaviren jedes Jahr<br />

neu entwickelt werden. Mutationen führen dazu, dass die Viren stetig ihre<br />

Eigenschaften verändern. Vor allem die Zusammensetzung der Oberflächenproteine,<br />

mit deren Hilfe das Virus in Körperzellen eindringt, ist sehr<br />

variabel. Um abschätzen zu können, welche Virusvarianten in der nächsten<br />

Saison gefährlich werden können, überwachen Labors weltweit die zirkulierenden<br />

Viren. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gibt auf Basis<br />

dieser Daten jeweils im Februar eine Empfehlung für die Zusammensetzung<br />

des Impfstoffs ab. Neue Forschungsansätze verfolgen die Entwicklung<br />

eines „Universal-Impfstoffs“, der nur selten angepasst werden müsste.<br />

Pocken: ausgerottet, eigentlich …<br />

Der 8. Mai 1980 war ein bedeutsamer<br />

Tag: Die WHO verkündete das weltweite<br />

Ende der Pocken. Damit war es erstmals<br />

gelungen, durch globale Massenimpfungen<br />

eine hochgradig ansteckende und<br />

oft tödliche Infektionskrankheit auszurotten.<br />

Fast 200 Jahre nach den ersten<br />

Impfstoff-Experimenten von Edward<br />

Jenner waren Impfungen gegen Pockenviren<br />

tatsächlich überflüssig geworden.<br />

Ob das immer so sein wird, bleibt abzuwarten:<br />

In zwei Labors in den USA<br />

und Russland lagern Restbestände des<br />

tödlichen Erregers, zu Forschungszwecken.<br />

Übrigens: Viele Menschen über 40 tragen<br />

noch eine Erinnerung an ihre Pockenimpfung am Oberarm – eine<br />

Pocken gelten seit 1980 als<br />

besiegt. Zwei Länder bewahren<br />

die Viren aber auf<br />

runde, centgroße Narbe von der Impfpistole, mit der damals der Impfstoff<br />

in die Haut geritzt wurde.<br />

Polio: süße Impfung im Kalten Krieg<br />

„Schluckimpfung ist süß – Kinderlähmung<br />

ist grausam“: Mit diesem Slogan wurde<br />

in Westdeutschland für die 1962 begonnene<br />

Impfkampagne gegen die Kinderlähmung<br />

(Poliomyelitis, kurz Polio) geworben.<br />

Mit Erfolg! Dank eines auf einen<br />

Zuckerwürfel oder in Sirup geträufelten<br />

Lebend- Impfstoffs gelang es, die Zahl<br />

der gemeldeten Poliofälle merklich zu<br />

senken. Das hätte man allerdings schon<br />

früher haben können. Denn die DDR setzte<br />

bereits seit 1960 einen sowjetischen<br />

Impfstoff ein und bot ihn dem Klassenfeind<br />

während einer Polioepidemie mit<br />

An Polio (Kinderlähmung)<br />

erkranktes Kind 1947 in<br />

London<br />

mehr als 4000 gemeldeten Fällen und 300 Toten in den Jahren 1960<br />

und 1961 an. Die Bundesregierung unter Kanzler Konrad Adenauer<br />

lehnte dieses Angebot ab.<br />

Masern: Politikum mit Impfpflicht<br />

Die Masernimpfung ist in Deutschland zum Politikum geworden.<br />

Masern zählen zu den ansteckendsten Infektionskrankheiten. Schwere<br />

Krankheitsverläufe können dauerhaft das Gehirn schädigen oder zum<br />

Tod führen. Um die Viruserkrankung auszurotten und auch diejenigen<br />

zu schützen, die nicht geimpft werden können (Säuglinge und Menschen<br />

mit Immunschwäche), müssten 95 von 100 Menschen gegen Masern<br />

geimpft sein. Deshalb beschloss die Bundesregierung im Jahr 2019 eine<br />

Impfpflicht. Sie gilt seit März 2<strong>02</strong>0 für alle Kita- und Schulkinder, für<br />

Erzieher, Lehrer, Tagesmütter und Beschäftigte in Krankenhäusern und<br />

Arztpraxen. Impfverweigerern droht ein Bußgeld von bis zu 2500 Euro.<br />

Die Impfpflicht widerspreche dem Recht auf körperliche Unversehrtheit,<br />

argumentieren Kritiker. Die Gegenseite verweist auf das Recht der<br />

Mitmenschen auf körperliche Unversehrtheit. Weil das Gesundheitsrisiko<br />

einer Masernimpfung wesentlich kleiner ist als das Risiko einer<br />

Masernerkrankung, bleibt die Impfpflicht weiterhin in Kraft.<br />

FOTO: DPA PICTURE-ALLIANCE (2), GETTY IMAGES (3)<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong> 81


GESCHICHTE ∙ KLASSIKER<br />

Jahre nachdem die Weltgesundheitsorganisation<br />

die Ausrottung der Pocken bekannt<br />

gegeben hatte.<br />

HIV: WO BLEIBT DER IMPFSTOFF?<br />

Zu der Zeit beherrschte bereits eine neue<br />

globale Seuche die Schlagzeilen: Aids. Ein erfolgreiches<br />

Kapitel der Impfstoff-Geschichte wurde<br />

mit der Erforschung dieser Krankheit aber nicht<br />

aufgeschlagen. Auch mehr als 40 Jahre nach der<br />

Entdeckung des HI-Virus gibt es noch keinen<br />

Impfstoff. Aber immerhin haben HIV-Patienten<br />

dank der seit Mitte der 1990er-Jahre verfügbaren<br />

antiviralen Medikamente eine mit Gesunden<br />

vergleichbare Lebenserwartung. „Das ist sicher<br />

Auch mehr als 40 Jahre nach<br />

der Entdeckung des HI-Virus gibt<br />

es noch keinen Impfstoff.<br />

FOTO: ADOBE STOCK, DPA PICTURE-ALLIANCE (2), HANS R. GELDERBLOM/FREYA KAULBARS , TOBIAS HOFFMANN/ROBERT KOCH-INSTITUT<br />

Pfizer-Labor 1963: Beim heute mächtigen Partner von Corona-Impfstoff-Entwickler Biontech lagert<br />

damals ein Laborarbeiter Zellgewebe für einen Lebend-Impfstoff gegen Masern ein<br />

Masern: Schwere Verläufe sind eine Qual – und<br />

können Gehirnentzündung verursachen<br />

Seit 2<strong>02</strong>0 durch die Impfpflicht auch in Deutschland<br />

bekämpft: Masernviren (Paramyxoviren)<br />

82<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong>


Meilensteine der<br />

Impfstoff-Entwicklung<br />

1796<br />

erste Schutzimpfung gegen<br />

Pocken: Edward Jenner impft<br />

Jungen mit Kuhpockenpustel<br />

1885 Tollwut-Impfstoff<br />

(entwickelt von Louis Pasteur)<br />

1890<br />

1894<br />

Tetanus-Impfstoff gegen<br />

Wundstarrkrampf<br />

(passive Immunisierung;<br />

Emil von Behring)<br />

erste Immunisierung gegen<br />

Diphtherie (Emil von Behring<br />

und Erich Wernicke)<br />

1896 Cholera-Impfstoff<br />

(Wilhelm Kolle)<br />

1896 Typhus-Impfstoff<br />

(Almroth Edward Wright)<br />

Diphtherie, der „Würgeengel der Kinder“: Symptomatisch sind bellender Husten, Heiserkeit und Stimmlosigkeit.<br />

Erkrankten fällt das Einatmen schwer, das zudem mit Pfeifgeräuschen verbunden ist<br />

1907<br />

1921<br />

1936<br />

erste Pestimpfung von<br />

Menschen (mit abgeschwächten<br />

Erregern)<br />

Tuberkulose-Impfstoff<br />

„Bacille Calmette-Guérin“<br />

(BCG; Albert Calmette und<br />

Camille Guérin)<br />

Grippe(Influenza)-Impfstoff<br />

(A. A. Smorodinzew)<br />

1954 Polio-Impfstoff<br />

(Jonas Salk)<br />

1961<br />

Masern-Impfstoff<br />

(John Franklin Enders und<br />

Thomas Chalmers Peebles)<br />

1969<br />

Hepatitis-B-Impfstoff (Baruch<br />

Blumberg und Irving Millman),<br />

gleichzeitig auch erster vorbeugender<br />

(prophylaktischer)<br />

Krebs-Impfstoff<br />

1974 Meningokokken-Impfstoff<br />

(Maurice Hilleman)<br />

1980<br />

1981<br />

2006<br />

Ausrottung der Pocken<br />

Hepatitis-A-Impfstoff<br />

(Maurice Hilleman)<br />

HPV-Impfstoff (gegen Humane<br />

Papillomviren) zum Schutz vor<br />

Gebärmutterhalskrebs<br />

2019 Ebola-Impfstoff<br />

2<strong>02</strong>0<br />

Entwicklung von<br />

Covid-19- Impfstoffen innerhalb<br />

eines Jahres<br />

SARS-CoV-2 unter dem Mikroskop: Medikamente existieren noch nicht, doch sind Impfstoffe viel<br />

schneller verfügbar als je zuvor<br />

auch ein Grund, warum man nicht mit ganzer<br />

Kraft in die Impfstoff-Forschung investiert“,<br />

meint Robert Jütte. „Ich glaube, wenn wir jetzt<br />

ein wirksames Therapeutikum gegen Covid-19<br />

hätten, würde man nicht so viel Geld in die<br />

Impfstoff-Forschung stecken.“<br />

LANGES LEBEN: IMPFEN UND MEHR …<br />

Impfen ist im Kampf gegen Infektionskrankheiten<br />

ein wichtiger, aber nicht der einzige<br />

Baustein. Dass sich die durchschnittliche Lebenserwartung<br />

in den vergangenen 180 Jahren<br />

fast verdoppelt hat, liegt neben wirkungsvollen<br />

Impfstoffen auch an einer besseren Hygiene.<br />

Und an der Entdeckung der Antibiotika, die gegen<br />

lebensbedrohliche Bakterien wirken – derzeit<br />

aber gegen immer mehr resistente Erreger<br />

ihre Wirkung verlieren. Zudem sind sauberes<br />

Trinkwasser, eine zuverlässige und ausgewogene<br />

Nahrungsmittelversorgung, eine leistungsfähige<br />

Notfallmedizin und Chirurgie sowie in<br />

manchen Fällen auch weniger Stress weitere<br />

Faktoren, die uns länger leben lassen.<br />

Ein neugeborener Junge in Deutschland darf<br />

sich heute auf durchschnittlich 78,6 Jahre, ein<br />

Mädchen auf 83,4 Jahre freuen. Bei guter Lebensführung<br />

ist auch mehr drin – und er wird<br />

vielleicht mit 81 noch so berühmt wie William<br />

Shakespeare und sie mit 91 so berühmt wie<br />

Margaret Keenan.<br />

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WISSEN ∙ IMPFPLAN<br />

So viel <strong>Pieks</strong><br />

soll’s sein<br />

Masern, Mumps, Röteln, Grippe, Tetanus oder HPV:<br />

wann welche Impfungen empfohlen sind – und worauf<br />

bei der Reiseplanung unbedingt zu achten ist<br />

Text: Arnd Petry<br />

Zeit für eine Spritze?<br />

Zumindest in den ersten<br />

15 Lebensmonaten für<br />

Babys gefühlt ständig<br />

Wenige Wochen nachdem sie das<br />

Licht der Welt erblickt haben,<br />

erfahren Säuglinge bereits, dass<br />

die Erde ein gefährlicher Ort<br />

sein kann. Denn dann wird gepiekst: Babys<br />

werden gegen klassische „Kinderkrankheiten“<br />

wie Keuchhusten und Kinderlähmung, Masern,<br />

Mumps oder Röteln geimpft. Dabei liegt die<br />

Gefahr weniger in der Impfspritze als in den<br />

Krankheiten, die diese zu verhindern hilft. Die<br />

erste dieser Standardimpfungen sollte bereits<br />

sechs Wochen nach der Geburt erfolgen (Rotaviren).<br />

Die weiteren Impfungen stehen ab dem<br />

zweiten und elften Monat an. Machen sich die<br />

Kleinen dann mit 15 Monaten auf, die Welt auf<br />

eigenen Füßen zu entdecken, haben sie bereits<br />

diverse Nadelstiche hinter sich.<br />

Das Gute: Sie können ihrer Neugier folgen,<br />

ohne dass die Eltern sich Sorgen um die vielen<br />

gefährlichen Infektionskrankheiten machen<br />

müssen. Und die Zahl der Spritzen konnte in<br />

den letzten Jahren auch deutlich reduziert werden:<br />

mit einem Sechsfach-Kombinationsimpfstoff,<br />

der gleichzeitig gegen Tetanus, Diphtherie,<br />

Keuchhusten, Kinderlähmung (Polio), Haemophilus<br />

influenzae Typ b und Hepatitis B schützt,<br />

sowie einer gleichzeitigen Impfung gegen<br />

Masern, Mumps und Röteln (MMR-Impfstoff).<br />

Bei der Impfung gegen Rotaviren ist gar keine<br />

Spritze nötig: Es ist eine Schluckimpfung.<br />

BEI SCHULKINDERN AUFFRISCHEN<br />

In den folgenden Jahren stehen für Kinder<br />

Impfauffrischungen auf dem Plan. Tetanus,<br />

Diphtherie und Keuchhusten sollten im<br />

Alter von fünf oder sechs Jahren aufgefrischt<br />

werden. „Vergessene“ Impfungen können<br />

übrigens jederzeit nachgeholt werden. Das gilt<br />

auch für die Auffrischungsimpfungen. Die<br />

drei genannten stehen zum Ende der Kindheit<br />

nochmals an, ebenso sollte dann die Polio-<br />

Impfung erneuert werden.<br />

JUGENDLICHE: IMPFEN VOR DEM SEX<br />

Mit Beginn der Pubertät wird die Impfung gegen<br />

Humane Papillomviren (HPV) ein Thema.<br />

SÄUGLINGE<br />

Empfohlene Erstimpfungen<br />

in den ersten 15 Monaten<br />

JUGENDLICHE<br />

Empfohlene Erstimpfungen<br />

ab dem 9. Lebensjahr<br />

ERWACHSENE<br />

Empfohlene Erstimpfungen<br />

ab dem 60. Lebensjahr<br />

FOTO: ADOBE STOCK (2), GETTY IMAGES<br />

‸ Diphtherie<br />

‸ Hepatitis B<br />

‸ Hib/Haemophilus influenzae Typ b<br />

‸ Keuchhusten (Pertussis)<br />

‸ Kinderlähmung (Poliomyelitis/Polio)<br />

‸ Masern<br />

‸ Meningokokken C<br />

‸ Mumps<br />

‸ Pneumokokken<br />

‸ Rotaviren<br />

‸ Röteln<br />

‸ Tetanus<br />

‸ Windpocken (Varizellen)<br />

‸ Humane Papillomviren (HPV)<br />

‸ Varizella-Zoster-Viren (VZV)/<br />

Herpes Zoster<br />

‸ Grippe/Influenza (jährlich neu)<br />

84<br />

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OFFIZIELLER NACHWEIS<br />

Impfpass<br />

Der Impfpass soll ein lebenslanger Begleiter<br />

sein und über den Impfschutz seines Inhabers<br />

informieren. Wichtig wird er als Nachweisdokument<br />

im Urlaub, wenn das Reiseland eine<br />

Immunisierung gegen bestimmte Infektionskrankheiten<br />

vorschreibt, etwa Gelbfieber<br />

oder Tollwut. Meist stellt ihn der Kinderarzt<br />

mit der ersten Impfung nach der Geburt<br />

aus. Fort an begleitet er seinen Besitzer ein<br />

Leben lang. Alle Grundimmunisierungen und<br />

Auffrischungen müssen darin dokumentiert<br />

werden. Der Aufbau des mehrsprachigen gel-<br />

ben Heftchens ist standardisiert – so sieht es<br />

das Infektionsschutzgesetz gemäß Vorgaben<br />

der Weltgesundheitsorganisation (WHO)<br />

vor. Jede Impfdokumentation muss demnach<br />

folgende Angaben enthalten: das Datum der<br />

Schutzimpfung, die Bezeichnung und<br />

Chargenbezeichnung des<br />

Impfstoffs,<br />

den Namen der Krankheit, gegen die geimpft<br />

wurde, und den Namen und die Anschrift der<br />

für die Impfung verantwortlichen Person.<br />

IMPFPASS VERLOREN?<br />

Sollte der Impfpass einmal verloren gegangen<br />

sein, stellt der Hausarzt meist problemlos<br />

einen neuen aus. Hilfreich ist es in dem Fall,<br />

anhand bisheriger ärztlicher Unterlagen oder<br />

mithilfe der Krankenkasse die Impfungen der<br />

vergangenen Jahre zu rekonstruieren.<br />

Gelingt das nicht, sollten alle empfohlenen<br />

Impfungen erneuert werden.<br />

DIE DEUTSCHEN IMPFENTSCHEIDER<br />

STIKO<br />

Die Ständige Impfkommission (STIKO) hat gemäß Infektionsschutzgesetz<br />

den Auftrag, Empfehlungen zur Durchführung von<br />

Schutzimpfungen in Deutschland zu geben. Ihre Empfehlungen<br />

werden automatisch Teil des Leistungskatalogs der Krankenkassen,<br />

Versicherte müssen diese Impfungen also nicht extra<br />

bezahlen. Die Kommission hat derzeit 18 Mitglieder und tagt<br />

zweimal im Jahr am Robert-Koch-Institut (RKI), um die Impfempfehlungen<br />

an aktuelle Entwicklungen, also neue Impfstoffe<br />

und neue Erkenntnisse aus der Forschung, anzupassen. Ihren<br />

eigenen Angaben zufolge orientiert sich die STIKO dabei an den<br />

Kriterien der evidenzbasierten Medizin. Das heißt, die Entscheidungen<br />

basieren auf objektiven Studien und medizinischen Kriterien.<br />

Die haben die Mitglieder zuvor in Einzelarbeit gesichtet.<br />

Lange Zeit wurde der 1972 gegründeten Kommission mangelnde<br />

Transparenz vorgeworfen. Die Entscheidungen würden von<br />

wirtschaftlichen Interessen der Impfhersteller beeinflusst,<br />

hieß es. Seit mehr als zehn Jahren müssen die Mitglieder ihre<br />

Beziehungen zur Industrie nun offenlegen. An Beschlüssen,<br />

die derartige Beziehungen betreffen könnten, dürfen die entsprechenden<br />

Mitglieder nicht mitwirken. Zudem werden<br />

alle Sitzungsprotokolle veröffentlicht. Trotzdem: „Über den<br />

Entscheidungen der STIKO liegt immer ein Schatten“, kritisiert<br />

Prof. Dr. Gerd Antes. Der Mathematiker war von 2008 bis<br />

2011 selbst Mitglied der STIKO. „Eine Gesellschaft, die die Arzneimittelforschung<br />

privatisiert, kann nicht erwarten, dass sie<br />

Experten hat, die clean sind.“ Er kenne aber einige Mitglieder<br />

und wisse, dass „die aktuelle Arbeit der STIKO sicher keine<br />

Konzentration von Übel ist“.


WISSEN ∙ IMPFPLAN<br />

SERVICE<br />

Impfkalender des RKI<br />

Der Impfkalender des Robert-Koch-Instituts<br />

(RKI) zeigt anschaulich alle empfohlenen<br />

Standardimpfungen für Säuglinge, Kinder,<br />

Jugendliche und<br />

Erwachsene. Die aktuelle<br />

Fassung ist auf<br />

der Website des RKI<br />

zum Herunterladen<br />

bereitgestellt.<br />

www.rki.de<br />

Empfohlen wird die erste Injektion allen Mädchen<br />

und Jungen im Alter von 9 bis 14 Jahren.<br />

Die zweite Impfdosis sollte frühestens fünf<br />

Monate danach erfolgen. Bei späteren Nachholimpfungen<br />

oder einem zu kurzen Impfabstand<br />

zwischen der ersten und der zweiten Dosis<br />

ist eventuell eine dritte Impfung notwendig.<br />

Grundsätzlich sollte eine HPV-Impfung<br />

vor dem ersten Geschlechtsverkehr erfolgen. Sie<br />

schützt vor vielen (aber nicht allen) gefährlichen<br />

Varianten des Humanen Papillomvirus,<br />

das etwa Gebärmutterhalskrebs, aber auch<br />

Penis-, Anal- oder Kehlkopfkrebs auslösen kann.<br />

Frauen sollten trotz einer HPV-Impfung die<br />

regelmäßigen Früherkennungsuntersuchungen<br />

für Gebärmutterhalskrebs wahrnehmen.<br />

ERWACHSENE: GRIPPESCHUTZ AB 60<br />

Für einen derart gut geschützten gesunden<br />

Erwachsenen werden in Deutschland erst mal<br />

keine weiteren Impfungen empfohlen. Ausnahmen:<br />

Auffrischimpfungen, Impfungen aufgrund<br />

einer Reise in ein Risikogebiet, beruflich<br />

bedingte Impfungen (um sich oder andere zu<br />

schützen) oder weil man wegen einer Krankheit<br />

zu einer Risikogruppe gehört, die sich besonders<br />

schützen sollte. In der Blüte des Lebens<br />

kommt ein gesundes Immunsystem mit vielen<br />

Krankheitserregern gut zurecht. Das ändert sich<br />

mit dem Älterwerden: Frauen und Männern<br />

ab 60 empfiehlt die STIKO daher, sich jährlich<br />

mit dem aktuellen Impfstoff gegen Influenza<br />

(Virusgrippe) zu schützen. Ab 60 ist zudem eine<br />

Impfung gegen Varizella-Zoster-Viren (VZV)<br />

sinnvoll, die eine Gürtelrose (Herpes Zoster)<br />

hervorrufen können.<br />

VORM TRAUMURLAUB: REISEIMPFUNG<br />

Ob nun Kenia, Rio, Tokio, Bangkok, Bali,<br />

Borneo oder der Schwarzwald: Wenn Sie reisen<br />

wollen, reicht der normale Impfschutz oft<br />

nicht aus. Vor allem in tropischen Paradiesen<br />

mit ihrer artenreichen Tier- und Pflanzenwelt<br />

gibt es viele Viren, Bakterien und Parasiten,<br />

die lebensgefährliche Krankheiten auslösen<br />

können. Doch gegen einige dieser Bedrohungen<br />

helfen inzwischen wirksame Impfstoffe. Welche<br />

zusätzlichen Impfungen tatsächlich sinnvoll<br />

sind, hängt vom persönlichen Impfstatus, der<br />

Reiseregion und der Art und Dauer der Reise<br />

ab. Aber auch die Reisezeit – Sommer oder<br />

Winter, Regen- oder Trockenzeit –, geplante<br />

Aktivitäten und möglicherweise bestehende<br />

Grunderkrankungen müssen berücksichtigt<br />

werden. Grundsätzlich sollte vor einer Fernreise<br />

das Thema Impfungen mit dem Hausarzt oder<br />

einem Experten für Tropenmedizin besprochen<br />

werden. Bei einer Reise im eigenen Land darf<br />

das Risiko einer FSME-Ansteckung (siehe<br />

unten) nicht vergessen werden.<br />

Hinzu kommt: Manche Länder schreiben für<br />

die Einreise Impfungen vor, in vielen Ländern<br />

etwa gegen Gelbfieber. Zu den von der STIKO<br />

empfohlenen Reiseimpfungen gehören aktuell<br />

solche gegen Cholera, FSME, Gelbfieber, Hepatitis<br />

A und B, Influenza, Japanische Enzephalitis,<br />

Meningokokken, Polio, Tollwut und Typhus.<br />

REGION UND IMPFUNGEN<br />

‸ Cholera: Schlucken zum Schutz<br />

In Deutschland und Europa ist Cholera heute<br />

kein Thema mehr: Der letzte große Ausbruch<br />

war die Epidemie in Hamburg im Jahr 1892.<br />

Cholera ist eine lebensbedrohliche Durchfallerkrankung,<br />

die durch das Bakterium Vibrio<br />

cholerae verursacht und vor allem über<br />

verunreinigtes Trinkwasser und die Nahrung<br />

übertragen wird. Cholera kommt aber weltweit<br />

noch vor. Seit 2000 ereigneten sich Choleraepidemien<br />

in Afrika, der Karibik (Kuba, Haiti),<br />

in Mexiko und im Jemen. Schutz bietet eine<br />

Schluckimpfung mit abgetöteten Choleraerregern.<br />

‸ FSME: Reiseimpfung für Deutschlandurlauber<br />

Wenn ein Urlaub in den südlichen Teilen<br />

Deutschlands geplant ist, kann eine zusätzliche<br />

Impfung angezeigt sein: Bayern und Baden-<br />

Württemberg (hier insbesondere der Schwarzwald)<br />

sind Risikogebiete für eine Frühsommer-<br />

Meningoenzephalitis (FSME), die von Zecken<br />

übertragen wird. Auch in Thüringen, Hessen,<br />

Sachsen, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und<br />

sogar in Niedersachsen gibt es Regionen, in<br />

denen das FSME-Virus vorkommt. Typische<br />

Symptome: Nach grippeähnlichem Fieber, Gliederschmerzen,<br />

Übelkeit und Erbrechen können<br />

sich nach etwa einer Woche neurologische<br />

FOTO: ADOBE STOCK<br />

Wer eine Reise plant, sollte<br />

sich vorab informieren, ob<br />

für die Zielregion Impfungen<br />

empfohlen werden<br />

RISIKEN IM REISELAND<br />

Auswärtiges Amt hilft<br />

Über die in einem Land bestehenden Gesundheitsrisiken<br />

und die Einreisebestimmungen<br />

(welche Impfungen sind vorgeschrieben?)<br />

informiert das Auswärtige Amt auf seiner<br />

Website und in seiner Reise-App. Die Angaben<br />

dort werden regelmäßig aktualisiert<br />

und schließen auch Covid-Regeln ein.<br />

www.auswaertiges-amt.de<br />

86<br />

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Ausprägungen der Krankheit entwickeln, etwa<br />

Gehirn- oder Hirnhautentzündung. Gut zu<br />

wissen: Der Impfstoff schützt nicht nur vor den<br />

in Deutschland, Österreich, Skandinavien und<br />

Osteuropa verbreiteten Virustypen, sondern<br />

auch vor den Virusvarianten im fernen Sibirien.<br />

‸ Gelbfieber: Spritzen nur von Spezialisten<br />

Die früher auch als „Dschungelfieber“ oder<br />

„Schwarzes Erbrechen“ bekannte Erkrankung<br />

wird durch behüllte RNA-Viren ausgelöst, die<br />

von Stechmücken auf den Menschen übertragen<br />

werden. Verbreitet ist Gelbfieber vor allem in<br />

den tropischen und subtropischen Bereichen<br />

Afrikas und Südamerikas. Bei schweren Verläufen<br />

kann Gelbfieber tödlich sein – unter anderem<br />

durch Leberentzündung mit Gelbsucht,<br />

Organschädigungen und Blutungen. Neben dem<br />

Vermeiden von Mückenstichen bietet die seit<br />

1937 verfügbare Impfung den besten Schutz.<br />

Der abgeschwächte Lebend-Impfstoff wird auch<br />

heute noch verwendet. Impfen dürfen aber<br />

nur speziell geschulte Ärztinnen und Ärzte<br />

(Gelbfieber-Impfstellen).<br />

‸ Hepatitis: Impfung gegen A und B möglich<br />

Hepatitis (Gelbsucht) ist eine durch verschiedene<br />

Viren verursachte weltweit vorkommende<br />

Leberentzündung. Chronisch verlaufende<br />

Formen können zu einer Leberzirrhose oder<br />

Leberkrebs führen. Gegen die Virustypen A<br />

und B existieren Impfstoffe.<br />

Das Hepatitis-A-Virus wird mit dem Stuhl<br />

ausgeschieden und durch direkten Kontakt,<br />

verunreinigtes Trinkwasser oder verunreinigte<br />

Nahrungsmittel übertragen. Ein erhöhtes Ansteckungsrisiko<br />

besteht daher in Ländern mit<br />

niedrigen Hygienestandards. Hepatitis-B-Viren<br />

werden überwiegend durch Sex und Kontakt<br />

mit kontaminierten Körperflüssigkeiten (etwa<br />

Blut, auch in Krankenhäusern) übertragen.<br />

Gegen die weitverbreitete Hepatitis C gibt es<br />

bisher keinen Impfstoff, seit einigen Jahren aber<br />

antivirale Medikamente.<br />

‸ Japanische Enzephalitis: für Asienurlauber<br />

In Japan und weiten Teilen (Süd)asiens – China,<br />

Indien, Sri Lanka, Nepal, Vietnam, Philippinen,<br />

Thailand – ist die Japanische Enzephalitis<br />

verbreitet, die von Flaviviren ausgelöst wird.<br />

Überträger sind Stechmücken. Meist verläuft die<br />

Infektion mild oder symptomlos. Bei seltenen<br />

schweren Verläufen kann es zu einer Gehirnentzündung<br />

(Enzephalitis) kommen.<br />

‸ Meningokokken: gefährliche „Mitesser“ im Mund<br />

Meningokokken sind Bakterien (Neisseria<br />

meningitidis), die beim Menschen den Nasenrachenraum<br />

besiedeln. Sie können durch<br />

Tröpfchen übertragen werden und eine<br />

tödliche Hirnhautentzündung (Meningitis)<br />

sowie Blutvergiftung (Sepsis) auslösen. Müssen<br />

sie aber nicht: Viele tragen die Bakterien ohne<br />

Krankheitszeichen im Nasenrachenraum –<br />

und geben sie unbewusst weiter. Aufgrund<br />

der Zusammensetzung ihrer Kapselbausteine<br />

unterscheidet man bei Meningokokken zwölf<br />

Serogruppen. Empfohlen wird eine Impfung<br />

gegen die Serogruppen A, C, W und Y.<br />

‸ Poliomyelitis: fast ausgerottet<br />

Polioviren waren ursprünglich weltweit anzutreffen,<br />

die Polargebiete ausgenommen. Trotz<br />

globaler Impfkampagnen kommt die lebensbe-<br />

drohliche Kinderlähmung heute noch vor, vor<br />

allem in Afghanistan und Pakistan. Polioviren<br />

sind unbehüllte RNA-Viren, die durch Tröpfchen-<br />

oder Schmierinfektionen (Urin, Kot)<br />

übertragen werden können. Folge der Infektion<br />

können Lähmungen sein, etwa in den Beinen<br />

oder der Atemmuskulatur.<br />

‸ Tollwut: tödliche Tierkontakte<br />

Tollwut (Rabies) ist eine fast immer tödlich<br />

verlaufende Infektionskrankheit, die durch<br />

das Rabiesvirus ausgelöst wird und das Gehirn<br />

befällt. Übertragen wird das Virus in der Regel<br />

durch den Biss eines tollwutkranken Tiers.<br />

Tollwut kommt weltweit vor, in Europa ist sie<br />

inzwischen selten. Deutschland gilt als tollwutfrei.<br />

Die meisten Fälle werden heute in Indien<br />

und China gezählt. Überträger sind dort häufig<br />

streunende Hunde. Aber auch Affen können<br />

das Virus durch Kratzen übertragen. Auf Bali<br />

(Indonesien) gibt es seit etwa zehn Jahren<br />

immer wieder Fälle. Doch kann Tollwut auch<br />

noch nach einer Infektion durch eine Impfung<br />

verhindert werden – wenn die typischen<br />

Symptome, etwa Lähmungen, Krämpfe oder<br />

Lichtscheue, noch nicht aufgetreten sind.<br />

KRANKENVERSICHERUNG<br />

Wer zahlt<br />

die Reise impfung?<br />

Reiseimpfungen gehören nicht zum<br />

Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen.<br />

Ausnahmen sind berufliche<br />

Auslandsaufenthalte – oder für Studenten<br />

die Auslandssemester. Einige Krankenkassen<br />

übernehmen unter Umständen dennoch<br />

die Kosten. Wichtig: Die Kostenfrage unbedingt<br />

vor der Impfung klären. Üblicherweise<br />

muss in Vorkasse gegangen werden, die<br />

Rechnung für die Impfstoffe und die Impfung<br />

wird dann bei der Krankenkasse eingereicht.<br />

Auch Affen übertragen<br />

das Tollwutvirus, zum<br />

Beispiel durch einen<br />

harmlosen Kratzer<br />

‸ Typhus: Hygiene hilft<br />

Typhus ist eine durch Bakterien ausgelöste<br />

Infektionskrankheit. Typisches Symptom ist<br />

hohes Fieber. Unbehandelt kann Typhus tödlich<br />

sein. Typhus kommt heute vor allem in Entwicklungsländern<br />

mit schlechten hygienischen<br />

Bedingungen vor (Mittel- und Südamerika,<br />

Karibik, Afrika, Südasien). Das Typhus bakterium<br />

wird durch verunreinigte Nahrungsmittel<br />

oder verschmutztes Wasser übertragen. Der<br />

beste Schutz – neben einer Impfung – ist daher<br />

häufiges Händewaschen und beim Essen das<br />

Beherzigen des alten Reisemottos „Cook it, peel<br />

it or forget it!“, zu Deutsch: „Koch es, schäl es<br />

oder vergiss es!“<br />

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WISSEN ∙ MEDIKAMENTE<br />

SARS-CoV-2 in 3-D: Noch gibt es keine<br />

Medikamente zur Behandlung einer<br />

Erkrankung mit dem Virus, an dessen<br />

Oberfläche das Spike-Protein die<br />

charakteristischen Stacheln bildet<br />

Die<br />

Behandlung<br />

Die Welt ist infiziert, die Forschung läuft auf Hochtouren, noch<br />

nie hat die Pharmaindustrie so schnell mehrere Impfstoffe<br />

gegen einen Erreger auf den Markt gebracht. Doch was ist mit<br />

Medikamenten für diejenigen, für die eine Impfung zu spät<br />

kommt, weil sie bereits am Virus erkrankt sind? Eine erfolgreiche<br />

Behandlung könnte Millionen Menschen vor dem Tod bewahren<br />

Text: Beate Wagner<br />

Die Erkrankung, die durch das Coronavirus<br />

SARS-CoV-2 ausgelöst wird,<br />

heißt Covid-19. Das Gute: Es gibt<br />

inzwischen Impfstoffe, die uns vor einer<br />

An steckung schützen. Das Problem: Bisher gibt<br />

es keine zugelassene Therapie, keine Tablette, die<br />

uns hilft, wenn wir uns angesteckt haben. Einfach<br />

gesagt, gegen Covid-19 existiert kein Mittel<br />

wie Aspirin, das uns die Kopfschmerzen nimmt,<br />

wenn wir morgens damit aufwachen.<br />

Mit welchen Alternativen behelfen sich die<br />

Experten? Welche Wirkstoffe sind in der<br />

Entwicklung, welche sind in experimentellen<br />

Stu dien die Hoffnungsträger? Die Gründe,<br />

warum die Fachwelt die Behandlung der Virus-<br />

erkrankung nicht schneller in den Griff bekommt,<br />

liegen – wie so oft – im Detail. Genauer<br />

gesagt, im Erbmaterial, in den Bausteinen des<br />

Lebens. Um das zu verstehen, braucht es ein paar<br />

Fakten aus dem Biologieunterricht.<br />

Letztlich geht es um Mikroben. Sie sind winzig<br />

und mit bloßem Auge nicht sehen. Sie sind<br />

Es gibt Impfstoffe, die<br />

uns schützen – aber<br />

wo ist das Medikament,<br />

das hilft, wenn wir an<br />

Covid-19 erkranken?<br />

88<br />

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FOTO: ADOBE STOCK, STOCKSY/MARC TRAN


WISSEN ∙ MEDIKAMENTE<br />

viele, und sie sind überall: Mikroben bevölkern<br />

die Erde, die Luft, das Wasser, Pflanzen und<br />

uns Menschen. 100 Billionen der Mini lebewesen<br />

besiedeln allein unseren Körper. Manche<br />

Mikroorganismen stärken unsere Gesundheit,<br />

andere machen krank. Robert Koch entdeckte<br />

im 19. Jahrhundert, dass Mikroben die Ursache<br />

für Infektionskrankheiten sind.<br />

Häufige Vertreter der Mikroben sind<br />

Bak te rien oder Viren. Bakterien sind uralt, viele<br />

leisten gute Dienste: im Darm, im Mund, auf<br />

der Haut. Nur etwa ein Prozent aller Bakterien<br />

verursachen, wenn sie in den Körper eindringen,<br />

Krankheiten wie Durchfall, Abszesse,<br />

Lungenentzündung, Scharlach, Tuberkulose<br />

oder Harnwegsinfekte. Bakterielle Infektionskrankheiten<br />

lassen sich wirksam mit Antibiotika<br />

behandeln. Sie zerstören die Zellwand der<br />

Bakterien oder deren Zellstoffwechsel. Die Keime<br />

sterben ab, das Problem ist gelöst. Aber eben<br />

nur bei Bakterien. Und nur, solange die nicht<br />

resistent gegen die Antibiotika geworden sind.<br />

VIREN – KLEIN UND ÜBERALL<br />

Viel komplizierter ist das bei Viren. Sie sind<br />

noch viel kleiner als Bakterien. Auch sie sind<br />

viele und nahezu überall. Bisher galten die<br />

meisten Viren vor allem als Auslöser von Erkältungen.<br />

Einige Viren verursachen aber auch<br />

schwere, teilweise lebensbedrohliche Krankheiten<br />

wie Hepatitis, Masern, Aids oder Gebärmutterhalskrebs.<br />

Hinzu kamen in den jüngsten<br />

100 Jahren einige Krankheiten, die durch Viren<br />

verursacht werden, welche eigentlich aus der<br />

Tierwelt stammen.<br />

Dass diese Erreger nun auch unser Leben<br />

empfindlich stören, haben wir mitverschuldet.<br />

Mit der Globalisierung, dem Klimawandel<br />

und der intensiven Bewirtschaftung dringt der<br />

Mensch in fremde Lebensräume ein – Viren<br />

können so vermehrt von einem tierischen Wirt<br />

auf den Menschen übertreten. Das war bei Aids,<br />

Ebola, SARS, MERS und Zika so. Und nun bei<br />

SARS-CoV-2. Das Virus stammt vermutlich<br />

aus asiatischen Fledermäusen und wurde auf<br />

einem chine sischen Markt auf den Menschen<br />

übertragen. Die genaue Ursache des Ausbruchs<br />

und die Abläufe danach versuchen Experten der<br />

WHO zu ermitteln.<br />

Unsere Waffen gegen Viren, also antivirale<br />

Arzneien, sind Mangelware. Denn Viren sind<br />

schwer zu fassen. Sie haben keine eigene Zellwand,<br />

keinen eigenen Stoffwechsel. Sie haben<br />

nur ihr Erbmaterial. Um sich zu vermehren,<br />

dringen sie in Wirtszellen ein, platzieren dort<br />

ihren genetischen Bauplan und sorgen so dafür,<br />

dass die Wirtszelle haufenweise neue Viren<br />

erzeugt – was die Wirtszelle letztlich tötet.<br />

Viren ändern ihr Erbgut oft, sie mutieren.<br />

Antivirale Präparate bekämpfen dann vielleicht<br />

eine Virusvariante effektiv, die nächste aber<br />

schon nicht mehr. „Das ist der Grund, warum es<br />

jedes Jahr einen neuen Impfstoff gegen die echte<br />

Grippe gibt“, erklärt Dr. Martin Bachmann,<br />

Chefarzt der lungenfachärztlichen Intensivmedizin<br />

des Asklepios-Klinikums Hamburg-<br />

Harburg. „Influenzaviren verändern ihr<br />

Äußeres saisonal, der Impfstoff aus dem letzten<br />

Winter taugt im nächsten nichts mehr.“<br />

Impfungen sind eine Möglichkeit, Viren<br />

schon vor einer Erkrankung zu bekämpfen:<br />

Sie trainieren das körpereigene Immunsystem<br />

vor einer Infektion, sodass es bereits weiß, wie<br />

es die Antikörper bildet, mit denen sich ein<br />

Virus bekämpfen lässt (siehe Seite 38). Doch<br />

wenn ein Mensch erst an einem Virus erkrankt<br />

ist, wird die Behandlung schwieriger. „Gegen<br />

die meisten Viruserkrankungen existiert<br />

kein Medikament, das die Erreger direkt<br />

zerstört“, sagt der Experte aus Hamburg. „Hat<br />

SARS-CoV-2 einmal im Körper eine Infektion<br />

ausgelöst, kann es nur durch die körpereigene<br />

Abwehr erfolgreich bekämpft werden.“<br />

Covid-19 lässt sich daher derzeit lediglich<br />

symptomatisch behandeln.<br />

Die meisten Viren wehrt der gesunde Körper<br />

selbst ab: Das Immunsystem erkennt die Erreger<br />

als bedrohlich und produziert Antikörper,<br />

um die Eindringlinge unschädlich zu machen.<br />

Manchmal reicht das aber nicht – die Viren<br />

vermehren sich im Körper und richten spezifische<br />

Schäden an. Prinzipiell gibt es nur einige<br />

wenige sogenannte Virostatika, die diese Pro-<br />

90<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong>


Bei gut 80 Prozent der mit dem Virus<br />

Infizierten funktioniert das Immunsystem<br />

gut. Sie entwickeln keine oder nur leichte<br />

Beschwerden wie Fieber, Husten,<br />

Gliederschmerzen oder Geruchsstörungen<br />

CORONAVIREN<br />

Warum reagieren<br />

Menschen so<br />

unterschiedlich<br />

auf SARS-CoV-2?<br />

Viele Infizierte haben keine Beschwerden,<br />

andere erkranken schwer. Grund könnte<br />

die sogenannte Kreuzreaktivität sein. Bekanntlich<br />

gibt es neben SARS-CoV-2 noch<br />

weitere Coronaviren. Diese Viren sind weltweit<br />

verbreitet und für etwa 15 Prozent<br />

aller Erkältungen verantwortlich. Jeder<br />

Dritte, der vor der Pandemie eine solche<br />

harmlose Erkältung durchgemacht hat,<br />

verfügt wahrscheinlich über sogenannte<br />

T-Zellen im Blut, die Bestandteile des<br />

Corona virus SARS-CoV-2 erkennen. Das haben<br />

Wissenschaftler in mehreren Stu dien<br />

herausgefunden. T-Zellen sind entscheidend,<br />

um ein immunologisches Gedächtnis<br />

aufzubauen. Menschen, die SARS-CoV-2<br />

problemlos überstehen, könnte also diese<br />

sogenannte Kreuzreaktivität schützen. Ihr<br />

Immunsystem hat ein „Gedächtnis“ entwickelt.<br />

Ihre Abwehr erinnert sich sozusagen<br />

an die altbekannten Coronaviren – und<br />

bekämpft SARS-CoV-2 effektiv.<br />

Etwa 14 Prozent der<br />

an Covid-19 erkrankten<br />

Patienten werden in<br />

einer Klinik behandelt<br />

»Circa zehn Tage nach der Ansteckung<br />

ist ein kritischer Punkt erreicht, da<br />

entscheidet sich, ob jemand mild oder<br />

schwer erkrankt.«<br />

zesse eindämmen können. Dazu zählen etwa<br />

Mittel gegen HIV, Herpes oder Hepatitis B. Eine<br />

innovative, aber extrem teure Therapie gegen<br />

Hepatitis C kann die Viren sogar vollständig<br />

vernichten.<br />

Auch bei Covid-19 hängt viel davon ab, wie<br />

das Immunsystem dem Virus begegnet. „Erkrankte<br />

durchlaufen zwei wesentliche Phasen“,<br />

erklärt Intensivmediziner Bachmann. Nach<br />

der Ansteckung zeigten sich grippeähnliche<br />

Symptome. „Nach etwa zehn Tagen ist dann ein<br />

kritischer Punkt erreicht, da entscheidet sich,<br />

ob jemand mild oder schwer erkrankt.“ Das<br />

hängt vor allem davon ab, ob das Immunsystem<br />

die Eindringlinge schnell abwehren kann.<br />

Die gute Nachricht: Aktuelle Daten zeigen,<br />

dass das Immunsystem bei etwa 80 Prozent der<br />

Infizierten funktioniert, die Betroffenen entwickeln<br />

keine oder nur leichte Beschwerden.<br />

Dazu zählen Fieber, Husten, Gliederschmerzen<br />

sowie Geschmacks- und Riechstörungen.<br />

„Am besten kuriert man diese Beschwerden<br />

zu Hause mit Ruhe, viel Flüssigkeit sowie<br />

entzündungshemmenden und fiebersenkenden<br />

Medikamenten aus“, sagt Bachmann.<br />

Etwa 14 Prozent der Menschen mit SARS-<br />

CoV-2 entwickeln jedoch eine überschießende<br />

Reaktion des Immunsystems. Die Folgen<br />

sind Störungen der Atemwege, der Haut, des<br />

Herz-Kreislauf-Systems, Nierenversagen,<br />

FOTO: ADOBE STOCK<br />

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WISSEN ∙ MEDIKAMENTE<br />

Wer sich mit SARS-CoV-2 angesteckt hat<br />

und einen schweren Verlauf erleidet, dem<br />

wäre mit einem wirksamen Medikament<br />

am besten geholfen. Einige Forschungsergebnisse<br />

lassen jetzt hoffen<br />

FOTO: ADOBE STOCK, STOCKSY/MARC TRAN<br />

gefährliche Blutgerinnsel oder gar ein Schlaganfall.<br />

Diese schwer erkrankten Patienten<br />

müssen in der Klinik behandelt werden.<br />

„Die meisten dieser Betroffenen sind älter als<br />

50 Jahre und haben oft gleich mehrere Risikofaktoren<br />

für Herz-Kreislauf-Erkrankungen“, erklärt<br />

Intensivmediziner Bachmann. „Sie sind<br />

oft übergewichtig, zuckerkrank, leiden<br />

an Gefäßverkalkungen oder Bluthochdruck.“<br />

Fünf von 100 Infizierten erkranken schnell<br />

lebensbedrohlich. Manche sterben, obwohl<br />

intensivmedizinisch behandelt und beatmet, oft<br />

innerhalb weniger Tage an einem Multiorganversagen.<br />

Die Behandlung schwer an Covid-19<br />

Erkrankter ist äußerst komplex. Sie besteht<br />

vor allem darin, entgleiste Vorerkrankungen<br />

und Komplikationen in Schach zu halten.<br />

KORTISON, HEPARIN, REMDESIVIR & CO.<br />

Auf den Intensivstationen setzen Ärzte dabei<br />

heute flächendeckend Kortison ein. Auch<br />

Chefarzt Bachmann aus Harburg nutzt die bekannte<br />

„Allzweckwaffe“ schon seit Beginn der<br />

Pandemie – also noch bevor es wissenschaftliche<br />

Publikationen zu Kortison bei Covid-19<br />

gab. „Hat der Körper bereits Antikörper gegen<br />

SARS-CoV-2 gebildet und somit die Akutphase<br />

der eigentlichen Virusinfektion überwunden,<br />

mildert Kortison die Immunreaktion deutlich<br />

ab“, so seine Erfahrung. Zahlreiche Studien<br />

belegen mittlerweile, dass schwer Erkrankte weniger<br />

oft sterben, wenn sie Kortison bekommen.<br />

Mitunter behandeln Ärzte ihre Patienten<br />

auch mit Wirkstoffen, die bereits gegen andere<br />

virale Erkrankungen eingesetzt wurden,<br />

etwa mit Remdesivir. Das Präparat wirkt gegen<br />

viele andere Viren, indem es sozusagen die<br />

Kopier maschine in den menschlichen Zellen<br />

unterdrückt, mit der sich die Erreger rasant<br />

vermehren. Remdesivir wurde zuletzt in Afrika<br />

eingesetzt, um Patienten in der Ebola-Epidemie<br />

zu behandeln – ohne großen Erfolg. Seit<br />

Kurzem ist es in der Europäischen Union für<br />

die frühe Covid-19-Therapie zugelassen, wenn<br />

schwer Erkrankte sauerstoffpflichtig sind, aber<br />

noch nicht beatmet werden.<br />

Mangels effektiver Medikamente behelfen<br />

sich Ärzte zudem mit der altbekannten Methode<br />

der sogenannten Serumtherapie, einst von<br />

Emil von Behring entwickelt. Sie setzte man<br />

schon in den 1920er-Jahren gegen die Spanische<br />

Grippe ein. Im März 2<strong>02</strong>0 erlebte das Verfahren<br />

ein Revival in China. Trotz fehlender Wirkungsbelege<br />

wurde die Serumtherapie auch in<br />

den USA populär: Nachdem die FDA die Heilversuche<br />

erlaubt hatte, wurden dort innerhalb<br />

von zwei Monaten 20 000 Patienten behandelt.<br />

Bei der Serumtherapie wird Menschen, die<br />

bereits eine Infektion mit SARS-CoV-2 durchgemacht<br />

haben, Blut abgenommen. Das Plasma,<br />

also der flüssige Anteil des Bluts, enthält Antikörper<br />

gegen das Virus, die konzentriert und<br />

dann verabreicht werden. „Auch wir erforschen<br />

die Wirkung des sogenannten Rekonvaleszenz-<br />

GRENZKONTROLLEN<br />

Diese Abwehrstrategien<br />

hat der Organismus<br />

‸ Plasmaproteine in der Blutbahn<br />

‸ Flimmerhärchen in den Atemwegen<br />

‸ Haut- und Schleimhäute als erste Barriere<br />

‸ Antikörper produzierende Zellen im Darm<br />

‸ Rachenmandeln im Schlund<br />

‸ Salzsäure im Magensaft<br />

‸ Urinfluss in Harntrakt<br />

‸ Enzyme in der Tränenflüssigkeit<br />

»Die meisten schwer<br />

Betroffenen sind älter<br />

als 50 Jahre, haben oft<br />

gleich mehrere Risikofaktoren<br />

für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.«<br />

92<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong>


Plasmas bei Covid-19“, sagt Winfried Kern,<br />

Professor für Innere Medizin am Universitätsklinikum<br />

Freiburg. „Studien weisen darauf hin,<br />

dass die Gabe dieses therapeutischen Plasmas<br />

das Abwehrsystem von Erkrankten darin unterstützt,<br />

das Coronavirus zu bekämpfen.“<br />

Dem Ärztlichen Leiter der Abteilung Infektiologie<br />

zufolge ist die Serumtherapie jedoch<br />

weder eine flächendeckende Behandlung noch<br />

eine Lösung des Problems fehlender Wirkstoffe.<br />

„Es kann in Einzelfällen bei schwer kranken<br />

Covid-19-Patienten sowie bei Erkrankten mit<br />

einer Immunschwäche ein Therapiebaustein<br />

in einer komplexen Behandlung sein“, sagt Kern.<br />

„Wir diskutieren den Einsatz allerdings bei<br />

jedem einzelnen Patienten und verwenden<br />

nur das Blut individuell ausgesuchter Spender,<br />

das ist sehr aufwendig.“ Die Serumtherapie<br />

ist dem Infektiologen zufolge maximal eine<br />

Interims lösung. „Qualitätsgeprüfte, synthetisch<br />

hergestellte Antikörper, wie sie derzeit erforscht<br />

und hoffentlich bald verfügbar sein werden,<br />

sind natürlich um Längen besser.“<br />

Tatsächlich verlangt die rasante Dynamik<br />

der Pandemie mehr denn je nach neuen Strategien<br />

im Kampf gegen Covid-19. Neben Impfstoffen<br />

prüfen Wissenschaftler und Hersteller<br />

unter Hochdruck mehrere vielversprechende<br />

Ansätze. So werden Wirkstoffe mit Namen wie<br />

Aprotinin, Tocilizumab oder Molnupiravir in<br />

Studien getestet.<br />

DER TRUMP-STOFF: REGN-COV2<br />

Zu den größten Hoffnungsträger gehören – wie<br />

auch Experte Kern aus Freiburg sagt – neutralisierende,<br />

monoklonale Antikörper, die synthetisch<br />

hergestellt werden. Es gibt mehrere Kandidaten,<br />

der Wettlauf um den besten Mix für<br />

diese Passivimpfung hat längst begonnen. Am<br />

weitesten vorn liegt die Firma Regeneron mit<br />

ihrem Antikörper-Cocktail: Im November hat<br />

die US-Arzneimittelbehörde FDA dem Produkt<br />

eine Notfallzulassung erteilt. REGN-COV2,<br />

das auch der damalige US-Präsident Donald<br />

Trump erhielt, kann bereits für die frühe<br />

Therapie von Hochrisikopatienten bei schweren<br />

Covid-19-Symptomen eingesetzt werden.<br />

Ende Januar wurde bekannt, dass auch Deutschland<br />

200 000 Dosen davon eingekauft hat,<br />

obwohl der Wirkstoff keinerlei Zulassung hat.<br />

Neutralisierende Antikörper sind seit Mitte<br />

der 1970er-Jahre bekannt, 1984 gab es für<br />

ihre Erforschung den Medizinnobelpreis. Mittlerweile<br />

werden diese teuren Biologika gegen<br />

viele Krankheiten eingesetzt. Bei einer sogenannten<br />

Passivimpfung erhält der menschliche<br />

Körper fertige Antikörper gegen das Virus, er<br />

muss sie nicht mehr selbst erzeugen. Im Gegensatz<br />

dazu steht die aktive Impfung, die den<br />

Körper anregt, selbst Antikörper zu bilden.<br />

Eine Passivimpfung ist aus mehreren Gründen<br />

kein Ersatz für den selbst aufgebauten<br />

Immunschutz. „Da die Antikörper im Körper<br />

ABWEHRTRAINING<br />

So stärken Sie Ihr<br />

Immunsystem<br />

‸ Regelmäßig bewegen Ausdauersport<br />

wie Schwimmen, Radfahren, Laufen,<br />

Inlineskaten und Nordic Walking erhöht<br />

die Anzahl an weißen Blutkörperchen.<br />

‸ Gesund essen Vitamine, Mineralien,<br />

Spuren­elemente­stärken­die­Darmfloraund<br />

wehren Keime aus der Nahrung ab.<br />

‸ Stress abbauen reguliert den Kortisolspiegel<br />

und reduziert Entzündungen.<br />

‸ Ausreichend schlafen fördert die Funktion<br />

der T-Immunzellen.<br />

‸ Regelmäßig saunen hält das Herz-<br />

Kreislauf-System­fit­und­steigert­die­<br />

Abwehrkräfte.<br />

‸ Viel spazieren gehen im Tageslicht fördert<br />

die körpereigene Vitamin-D-Produktion.<br />

‸ Zigaretten meiden Sie schwächen<br />

die Abwehr von Krankheitskeimen in den<br />

Atemwegen.<br />

‸ Auf Alkohol verzichten Das Zellgift mindert<br />

die Immunabwehr in allen Organen.<br />

nach und nach abgebaut werden, besteht nur<br />

für etwa vier bis zwölf Wochen eine Immunität“,<br />

sagt Harald Prüß, Forschungsgruppenleiter<br />

am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative<br />

Erkrankungen (DZNE). Nach einer<br />

aktiven Immunisierung bleibt der menschliche<br />

Organismus im besten Fall ein Leben lang<br />

immun. Die Passivvakzine ist zudem in der<br />

Herstellung deutlich teurer.<br />

Während eine Aktivimpfung möglichst viele<br />

Gesunde vor einer Coronainfektion schützt,<br />

ist eine schnell wirksame Passivimpfung vor<br />

allem für die Behandlung von Risikopatienten<br />

vorgesehen, die sich mutmaßlich frisch infiziert<br />

haben. Oder für immungeschwächte Kranke<br />

mit Krebs oder Autoimmunerkrankungen. „Es<br />

wäre ideal, wenn es beide Impfungen gäbe,<br />

dann könnten wir auf jede Situation flexibel<br />

reagieren“, sagt Prüß, der zudem Oberarzt an<br />

der Klinik für Neurologie mit Experimenteller<br />

Neurologie an der Charité Berlin ist.<br />

Zusammen mit seinem Team vom DZNE<br />

und der Charité-Universitätsmedizin veröffentlichte<br />

Prüß jüngst vielversprechende Ergebnisse<br />

für eine Passivimpfung. Aus dem Blut von<br />

Menschen, die eine Covid-19-Erkrankung überstanden<br />

hatten, isolierten die Forscher zunächst<br />

fast 600 verschiedene Antikörper. Durch<br />

Labortests konnten sie diese Zahl auf einige<br />

hochwirksame Exemplare eingrenzen und<br />

diese dann mittels Zellkulturen – quasi in der<br />

Petrischale – künstlich nachbilden. „Drei der<br />

600 identifizierten Antikörper sind für eine<br />

klinische Entwicklung besonders vielversprechend“,<br />

sagt Prüß. „Mittels Strukturanalysen<br />

haben wir gezeigt, dass diese Antikörper an<br />

das Virus binden und so verhindern, dass es in<br />

Zellen eindringen und sich vermehren kann.“<br />

Die Antikörper neutralisieren das Virus sehr<br />

effektiv, das Immunsystem beseitigt die Erreger.<br />

Untersuchungen an Hamstern – sie sind ähnlich<br />

wie Menschen anfällig für eine Infektion<br />

durch SARS-CoV-2 – belegen die hohe Wirksamkeit<br />

der ausgewählten Antikörper.<br />

VIELVERSPRECHENDE HOFFNUNG<br />

Die Chance auf sichere und nebenwirkungsfreie<br />

Vakzinen ist dem Neurologen zufolge sehr<br />

hoch. „Denn wir haben die Antikörper nicht<br />

wie bei der Serumtherapie aus Plasma von<br />

corona infizierten Spendern gewonnen, sondern<br />

aus Antikörper produzierenden B-Immunzellen,<br />

die im Blut schwimmen“, sagt Prüß.<br />

Durch Ablesen deren genetischen Bauplans<br />

konnten sie im Labor rekombinante Antikörper<br />

nachbauen. „So lassen sich die maßgeschneiderten<br />

Antikörper in industriellem Maßstab in<br />

gleichbleibend hoher Qualität und theoretisch<br />

beliebiger Menge produzieren, und der Körper<br />

stößt die identischen, humanen Antikörper<br />

nicht als fremd ab“, sagt der Oberarzt.<br />

Derzeit arbeitet der Industriepartner Miltenyi<br />

Biotec daran, die Antikörper effektiv und den<br />

strengen Zulassungskriterien entsprechend in<br />

großen Mengen herzustellen. Mit einem Wirkstoff,<br />

der in Phase-I- und -II-Studien getestet<br />

wird, rechnen die Wissenschaftler im Frühjahr.<br />

„Die Konkurrenten Regeneron und Eli Lilly<br />

sind unserer Entwicklung klar voraus“, sagt<br />

Prüß. „Aber es wird sicher genügend Raum für<br />

eine Vielzahl therapeutischer Antikörper geben,<br />

da die Produktion aufwendig ist und doch für<br />

viele Patienten potenziell infrage kommt.“<br />

Bis all die Fragen einer effektiven Therapie<br />

gegen Covid-19 geklärt sein werden, ist also<br />

Geduld gefragt. Zwischendrin gibt es aber<br />

immer wieder auch Grund für Zuversicht. So<br />

zeigten jüngst zwei Studien unabhängig voneinander:<br />

Das Risiko, dass sich Menschen nach<br />

einer überstandenen SARS-CoV-2-Infektion<br />

erneut anstecken, ist sehr gering.<br />

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WISSEN ∙ ZUKUNFT<br />

Text: Tom Rademacher<br />

Ende Mai 2<strong>02</strong>0 wurde Maureen Sweeney<br />

für einen Moment weltberühmt. Von<br />

Panama bis Indien berichteten Medien<br />

von der „Einhorn-Oma“ aus New Jersey.<br />

Die Coronapandemie hatte die USA schon fest<br />

im Griff. Maskenpflicht und Abstandsregeln<br />

waren Alltag – gerade um ältere Menschen wie<br />

Maureen zu schützen. Ihre beiden Enkel hatte<br />

sie seit Monaten nicht in den Arm nehmen<br />

können. Als sie es nicht mehr aushielt, schlüpfte<br />

sie in ein quietschpinkes Einhornkostüm. Wie<br />

in einem dieser aufgeblasenen Schutzanzüge, die<br />

man aus Katastrophenfilmen kennt, watschelte<br />

Maureen rüber zum Haus der Enkel. Das Video,<br />

in dem die beiden der sicher verpackten Oma<br />

selig in die Arme fallen, ging um die Welt. Es<br />

traf einen Nerv.<br />

In aller Welt sehnen Menschen sich nach<br />

Normalität und ihrem Leben ohne Corona<br />

zurück. Die Pandemie hat global den Alltag<br />

auf den Kopf gestellt wie kaum ein Ereignis je<br />

zuvor. Ob Kindergarten oder Altersheim, ob<br />

Pilgerfahrt oder Fußballspiel, ob U-Bahn oder<br />

Kreuzfahrtschiff – wo Menschen zusammenkommen,<br />

droht Gefahr. Ausgelassenes Feiern,<br />

Händeschütteln und Umarmen erscheinen<br />

fast schon als skurrile und vom Aussterben<br />

bedrohte Eigenarten.<br />

Der große<br />

Verstärker<br />

Die Coronapandemie hat unseren Alltag aus den<br />

Angeln gehoben. Wann kommen wir wieder<br />

zurück zu einer Normalität? Und wie sieht die aus?<br />

VORSICHTIGE HOFFNUNG<br />

Seitdem nun gleich mehrere Impfstoffe gegen<br />

das Virus verfügbar sind, keimt Hoffnung.<br />

Ein Ende der Pandemie erscheint absehbar.<br />

Experten warnen jedoch, dass es noch dauern<br />

wird. Vor dem Sommer werde Deutschland<br />

kaum genügend Impfstoff für alle Bürger<br />

haben, gestand Bundeskanzlerin Angel Merkel<br />

kürzlich ein. Erst ab dem dritten Quartal sei<br />

der Bedarf gedeckt. Christian Drosten von der<br />

Charité Berlin dämpft die Hoffnung auf eine<br />

baldige Rückkehr zur Normalität weiter. Im<br />

Sommer seien vielleicht die Impfwilligen mit<br />

hohem Risiko geimpft, sagte Deutschlands<br />

bekanntester Virologe im Januar. Daraufhin<br />

FOTO: GETTY IMAGES<br />

Ausgelassenes Feiern,<br />

Händeschütteln und<br />

Umarmen erscheinen<br />

fast schon als skurrile<br />

und vom Aussterben<br />

bedrohte Eigenarten.<br />

aber die Vorsichtsmaßnahmen zurückzufahren<br />

sei brandgefährlich: „Dann werden wir auf den<br />

Intensivstationen in Deutschland eine andere<br />

Art von Intensivpatient sehen: nämlich diejenigen,<br />

die aus voller Gesundheit vollkommen<br />

überraschend einen schweren Verlauf bekommen<br />

haben. Die wird es dann in großen Zahlen<br />

geben“, so Drosten.<br />

Deshalb rechnet auch das Robert-Koch-<br />

Institut noch bis Ende <strong>2<strong>02</strong>1</strong> mit Maskenpflicht,<br />

Abstandsregeln und regionalen Lockdowns.<br />

Vor 2<strong>02</strong>2 wird demnach kaum mit „Normalität“<br />

zu rechnen sein. Aber wie soll diese Normalität<br />

überhaupt aussehen? „Im Moment hört<br />

man oft zwei Extrempositionen“, sagt Michael<br />

Schetsche. „Entweder wird alles anders, oder<br />

alles wird, wie es vorher war. Beides ist falsch.“<br />

Schetsche ist Soziologe, Zukunftsforscher<br />

und lehrt als Professor an der Uni Freiburg. Vor<br />

Corona beschäftigte er sich etwa damit, wie<br />

die Gesellschaft sich verändern könnte, wenn<br />

wir Kontakt zu Außerirdischen aufnähmen.<br />

Die Coronapandemie nennen er und die Zunft<br />

der Zukunftsforscher ein Störereignis: „Das<br />

sind Ereignisse, die starke akute Auswirkungen<br />

haben können, aber langfristig nicht unbedingt<br />

Grundlegendes dauerhaft verändern“, erklärt<br />

Schetsche. Die Coronapandemie beschleunige<br />

vor allem Trends und Tendenzen, die vorher<br />

schon da gewesen seien.<br />

94<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong>


DIE NEUE ARBEITSWELT<br />

Nirgends macht sich das so deutlich bemerkbar<br />

wie in der Arbeitswelt. Laut IT-Branchenverband<br />

Bitkom arbeitete 2<strong>02</strong>0 zwischenzeitlich<br />

fast jeder zweite deutsche Arbeitnehmer<br />

ganz oder teilweise im Homeoffice. Ein Jahr<br />

zuvor war es etwa jeder achte. Binnen Wochen<br />

wurde möglich, worüber zuvor jahrelang<br />

diskutiert worden war. Zum Glück. Auch so<br />

ist die Weltwirtschaft 2<strong>02</strong>0 schon um mehr<br />

als fünf Prozent geschrumpft. Das hat es seit<br />

dem Zweiten Weltkrieg nicht gegeben. Wie<br />

es ohne die Möglichkeiten digitaler Heimarbeit<br />

ausgesehen hätte? Gastwirte und Friseure<br />

dürften eine dunkle Ahnung davon haben.<br />

„Dass so viele von uns den Arbeitsort frei<br />

wählen können, ist womöglich die wichtigste<br />

gesellschaftliche Erkenntnis dieser Pan demie“,<br />

sagt Zukunftsforscher Schetsche. Sie dürfte<br />

nachwirken. Umfragen zeigen, dass ein Großteil<br />

der Arbeitnehmer hierzulande zwar nicht<br />

ausschließlich zu Hause arbeiten will. Die Möglichkeit,<br />

es zumindest tageweise zu tun, will<br />

die Mehrheit aber beibehalten – zur Not per<br />

Gesetzanspruch. Auf Unternehmerseite Die Welt sehnt tut sich sich<br />

auch etwas. Das Beratungsunternehmen<br />

nach Normalität und einem<br />

KPMG hat Hunderte Leben Firmenchefs ohne Corona in aller zurück. Welt<br />

befragt: 69 Prozent planen Besonders im Zug der vermisst: Digitalisierung<br />

ab <strong>2<strong>02</strong>1</strong> den Abbau eine einfache von Büroflächen.<br />

Umarmung<br />

Die Büros selbst könnten bald anders aus-<br />

sehen. Der Trend zum offenen Großraumbüro<br />

hatte zuletzt schon einen Knick bekommen –<br />

zu laut, zu störend. Seit der Pandemie werden<br />

solche Raumkonzepte noch kritischer hinterfragt.<br />

Genauso die Zahl von Meetings oder<br />

Dienstreisen.<br />

VERÄNDERTE STÄDTE<br />

Wer seltener zur Arbeit pendelt, entlastet zudem<br />

den Verkehr und die Umwelt. Womöglich<br />

verändert er langfristig sogar den Wohnungsmarkt.<br />

Laut einer Bitkom-Umfrage würde jeder<br />

fünfte Berufstätige in Deutschland umziehen,<br />

wenn er in Zukunft größtenteils im Home office<br />

arbeiten könnte. Ein Arbeitszimmer steht<br />

oben auf der Wunschliste, aber auch günstigere<br />

Mieten oder ein attraktiveres Wohnumfeld.<br />

Was macht das mit der Stadt?<br />

Jürgen Oßenbrügge glaubt, dass die Stadtplanung<br />

sich verändern wird. Oßenbrügge ist<br />

Wirtschaftsgeograf und Professor für Stadtund<br />

Regionalforschung an der Uni Hamburg.<br />

„Jahrzehntelang haben Städte das Problem<br />

des fehlenden Wohnraums mit einer Nachverdichtung<br />

zu lösen versucht“, sagt er. Vermeintlich<br />

gute Vorbilder wie Wien hätten so mehr<br />

sozialen Wohnungsbau auch zentrumsnah<br />

geschaffen. „Die Pandemie hat aber gezeigt,<br />

wie die kleine Wohnung ohne Garten oder<br />

Balkon plötzlich zum erweiterten Gefängnis<br />

werden kann.“ Wichtiger werde daher künftig,<br />

was Stadtplaner die „blau-grüne Infrastruktur“<br />

nennen: Balkone, Gärten, Parks und Gewässer.<br />

„Außerdem zählen die Quartierstruktur und<br />

die lokale Versorgung“, so Oßenbrügge. Ganz<br />

neu sei das nicht, aber die Pandemie beschleunige<br />

das Umdenken.<br />

So will etwa Giuseppe Sala, der Bürgermeister<br />

von Mailand, seine von Corona<br />

gebeutelte Stadt für die Zukunft entsprechend<br />

umbauen. Er plädiert immer wieder öffentlich<br />

für die „15-Minuten-Stadt“: „Die Erfahrung<br />

des Lockdowns hat uns gezeigt, dass wir eine<br />

gut aufgestellte lokale Ausstattung brauchen,<br />

wo alle ihren täglichen Bedarf zu Fuß oder per<br />

Fahrrad decken“, so Sala.<br />

KONSUM VON DER COUCH AUS<br />

Doch gerade diese örtliche Versorgung hat<br />

derweil mit einem Gegentrend zu kämpfen.<br />

Laut dem Beratungsunternehmen McKinsey<br />

wuchs der Bereich E-Commerce im Jahr 2<strong>02</strong>0<br />

weltweit in drei Monaten so stark wie in den<br />

vorangegangenen zehn Jahren zusammen. Dem<br />

von Corona befeuerten Boom beim Onlinehandel<br />

steht eine tiefgreifende Krise beim<br />

stationären Handel gegenüber. Viele Geschäfte<br />

dürften sie nicht überleben. Der Rest macht<br />

sich Gedanken.<br />

So prognostiziert ein US-amerikanischer<br />

Branchenverband, dass Verkaufsflächen künftig<br />

kleiner werden könnten, um Raum für Lager<br />

und paralleles Onlinegeschäft zu schaffen.<br />

01/<strong>2<strong>02</strong>1</strong> 95


WISSEN ∙ ZUKUNFT<br />

FOTO: GETTY IMAGES<br />

Kaufhäuser, die bislang mit psychologischen<br />

Tricks die Kundschaft zum Verweilen und Stöbern<br />

animierten, prüfen demnach, wie sie die<br />

kontakt- und bargeldlose Expressabwicklung<br />

voranbringen. Laut Europäischer Zentralbank<br />

haben 40 Prozent der Bürger im Euroraum 2<strong>02</strong>0<br />

deutlich weniger Bargeld verwendet als 2019.<br />

Nach der Pandemie wollen das 90 Prozent von<br />

ihnen beibehalten.<br />

Das Kinosterben dürfte Corona ebenfalls<br />

beschleunigen. Volle 32 Milliarden US-Dollar<br />

hat die Branche 2<strong>02</strong>0 verloren – ein Umsatzeinbruch<br />

von 71,5 Prozent gegenüber 2019.<br />

Auch die letzten Hollywoodstudios haben deshalb<br />

das Streaming für sich entdeckt. Warner<br />

Bros. will alle Produktionen für <strong>2<strong>02</strong>1</strong> sofort per<br />

Streaming verfügbar machen, statt sie zunächst<br />

exklusiv im Kino zu spielen.<br />

Digitalisierung und Pandemie wälzen auch<br />

unsere Essgewohnheiten um. Nicht nur der<br />

selbst gemachte Sauerteig gehörte 2<strong>02</strong>0 zu den<br />

Gewinnern. Liefer-Apps boomen heute noch<br />

stärker als schon vor Corona – genauso wie<br />

„Ghost Kitchens“. So nennt man reine Lieferdienste,<br />

die sich das Restaurant gleich ganz<br />

sparen und in anonymen Lagerhallen kochen.<br />

KULTUR AM WENDEPUNKT<br />

Künstler, Theater, Konzertveranstalter und<br />

Messen haben 2<strong>02</strong>0 ebenfalls notgedrungen im<br />

Internet experimentiert. Ein würdiger Ersatz<br />

war das selten – schon gar nicht wirtschaftlich.<br />

Beim deutschen Verband der Konzert- und<br />

Veranstaltungswirtschaft heißt es, die Hälfte<br />

der Unternehmen werde die Pandemie nicht<br />

überleben. Tontechniker und Beleuchter<br />

schulten längst um. Stirbt damit die Kultur?<br />

Unwahrscheinlich. Viele Konzerthallen sind<br />

für <strong>2<strong>02</strong>1</strong> allein schon mit Nachholterminen<br />

ausgebucht. Der Nachholbedarf beim Publikum<br />

ist womöglich noch viel größer.<br />

„Nach großen Pandemien wie der Pest<br />

in Europa sehen wir, wie das öffentliche Leben<br />

im regelrechten Überschwang aufblüht“, sagt<br />

Bernd Schneidmüller. Er ist Professor für Mittelalterliche<br />

Geschichte an der Uni Heidelberg.<br />

„Wir können das nachlesen bei den Kirchenmännern,<br />

die wortreich über die Ausschweifungen<br />

und eine neue Lasterhaftigkeit klagen. Aber<br />

wir sehen es auch in der Mode und der Kunst,<br />

die freizügiger und freigeistiger werden.“<br />

Wie viele andere zieht Schneidmüller Parallelen<br />

zu den 1920ern – den Roaring Twenties<br />

oder den „verrückten Jahren“ (années folles),<br />

wie sie in Frankreich heißen. Nach dem Ersten<br />

Weltkrieg und der Spanischen Grippe gaben<br />

sich die Menschen dem Rausch hin. Musik, Tanz,<br />

Kultur und Gesellschaft erfanden sich neu.<br />

„Man feierte das Leben und das Über leben“,<br />

sagt Schneidmüller.<br />

Auch für die Städte hat der Historiker gute<br />

Nachrichten. Wer es sich leisten konnte, verließ<br />

zu Pestzeiten zwar die Stadt. „Später wuchsen<br />

die Zentren dagegen umso schneller. Eher dünn<br />

besiedelte Landstriche erholten sich zum<br />

Teil nie mehr“, so Schneidmüller. Auch Stadtplaner<br />

Oßenbrügge glaubt nicht, dass lang fristig<br />

eine Stadtflucht droht: „Städte bleiben die<br />

kreativen Zentren. Daran ändert auch Homeoffice<br />

nichts.“<br />

SORGE UM „GENERATION CORONA“<br />

Was die langfristigen Folgen für Familien und<br />

die „Generation Corona“ angeht, war Sabina<br />

Pauen zu Beginn der Pandemie noch optimistisch.<br />

„Kinder sind sehr anpassungsfähig. Aber<br />

je länger Schulschließungen und Kontaktbeschränkungen<br />

anhalten, desto deutlicher wirken<br />

sie auf die Entwicklung und die Psyche“, sagt die<br />

Professorin für Entwicklungspsychologie von<br />

der Uni Heidelberg. Gerade in frühen Jahren, in<br />

denen Grundlagen des Sozialverhaltens erlernt<br />

werden, könne der fehlende Kontakt lange<br />

nachwirken. Auch Teenager verpassten 2<strong>02</strong>0<br />

wichtige Meilensteine. Nach Corona sieht<br />

Pauen daher Nachholbedarf, „sowohl beim<br />

Unterrichtsstoff als auch beim Sozialen“.<br />

Ein coronagetriebener Digitalisierungsschub<br />

täte den Schulen gut. „Die neuen Möglichkeiten<br />

sind erst einmal begrüßenswert“, sagt Pauen.<br />

Trotz Rotznase von zu Hause aus am Unterricht<br />

teilnehmen zu können und überhaupt digitale<br />

Lernmedien zu nutzen, das sei nicht nur<br />

in einer Pandemie von Nutzen. Ein Ersatz für<br />

Präsenzunterricht sei es aber nicht. Dazu sei<br />

die Situation in den Familien zu unterschiedlich.<br />

„Die Pandemie wirkt wie ein Brennglas,<br />

das Ungleichheiten bei den Bildungschancen<br />

verstärkt“, sagt Pauen. „Der Abstand wächst<br />

und ist nur schwer aufzuholen.“ Kämen Krisen<br />

hinzu wie ein Jobverlust der Eltern, konfliktreiche<br />

Enge zu Hause oder gar häusliche Gewalt,<br />

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Ob sich die Büros je wieder<br />

füllen? Städte bleiben die<br />

kreativen Zentren. Daran<br />

ändert auch das Homeoffice<br />

nichts, meinen Experten<br />

Ein Historiker sieht Parallelen zu<br />

den 1920ern – den »verrückten<br />

Jahren«, in denen man das Leben<br />

und das Überleben feierte.<br />

Partys, Freunde, Open Air:<br />

für den Sommer <strong>2<strong>02</strong>1</strong><br />

noch mit einem großen<br />

Fragezeichen versehen<br />

DAS ALLZEITGERÜCHT<br />

Bringt Corona einen<br />

Babyboom?<br />

Der Mythos hält sich hartnäckig: Angeblich<br />

führen Stromausfälle, Schneestürme<br />

und dergleichen zu einem Anstieg der<br />

Geburten neun Monate später. Statistisch<br />

erwiesen hat sich das nie. Kein Wunder:<br />

Langeweile mag zu Sex führen, aber<br />

nicht zum Eisprung. Die Pandemie könnte<br />

dennoch Auswirkungen zeigen. Ungeplante<br />

Schwangerschaften könnten steigen,<br />

wo Verhütungsmittel schwerer verfügbar<br />

waren. Da Corona aber mit erheblichen<br />

Zukunftsängsten verbunden ist, dürften<br />

Paare ihren Kinderwunsch eher aufgeschoben<br />

haben. Die Überlastungen im<br />

Gesundheitsbereich erschweren auch<br />

den Zugang zu künstlicher Befruchtung.<br />

Möglich also, dass sich Paare nach der<br />

Pandemie vermehrt ihren Kinderwunsch<br />

zu erfüllen versuchen.<br />

könnten Kinder langfristig traumatisiert bleiben.<br />

„Von einer verlorenen Generation zu reden<br />

wäre sicher übertrieben“, sagt Pauen. „Aber wir<br />

müssen nach der Pandemie deutlich mehr für<br />

diese Kinder und Jugendlichen tun als vorher.“<br />

POLITIK UND WERTE IN BEWEGUNG<br />

Möglich ist, dass Corona politischen Schwung<br />

bringt. „Nach großen Epidemien gibt es eine<br />

regelrechte Regelungsflut“, sagt Historiker<br />

Schneidmüller. In ganz Europa seien nach der<br />

Endlich wieder shoppen<br />

gehen. Doch der stationäre<br />

Handel steckt in einer tiefen<br />

Krise. Viele Geschäfte<br />

dürften sie nicht überleben<br />

Pest Verfassungen, Verträge und Edikte gesprossen.<br />

„Es gab die Tendenz, mehr zu regeln.“<br />

Ob das gute Nachrichten für Bildungspolitik,<br />

Klimaschutz oder internationale Zusammenarbeit<br />

sind? Schneidmüller will es nicht<br />

ausschließen. „Wir erleben gerade eine Renaissance<br />

des Nationalstaats. Menschen erwarten<br />

mehr und sind auch zu mehr Zugeständnissen<br />

bereit.“ Das deckt sich mit der Prognose von<br />

Zukunftsforscher Schetsche: „Die Menschen<br />

wollen, dass Behörden schnell handeln. Die<br />

Exekutive gewinnt an Gewicht. Das bringt ein<br />

Demokratiedefizit, das wir kritisch hinterfragen<br />

sollten.“ Die 1920er ließen schließlich nicht<br />

nur Jazz, Kino und Tanz erblühen. Sie bildeten<br />

auch den Nährboden für den Faschismus.<br />

Die Rollenverteilung zu Hause muss nach<br />

Corona ebenfalls neu verhandelt werden. Laut<br />

einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung haben<br />

Frauen zuletzt für Homeschooling und Kinderbetreuung<br />

hierzulande beruflich deutlich<br />

stärker zurückgesteckt als Männer. Klassische<br />

Geschlechterrollen verfestigen sich wieder.<br />

Franziska Deutsch untersucht derzeit, ob sich<br />

durch die Pandemie auch Werte und politische<br />

Einstellungen verändern. Die Politologin und<br />

ihr Team von der Jacobs-Universität Bremen<br />

wollen Befra gun gen zu Anfang, während<br />

und nach der Pan demie vergleichen. Solche<br />

Studien laufen derzeit in zwölf Ländern – von<br />

Deutschland bis Südkorea. „Wir vermuten, dass<br />

sich Wertvorstellungen in zwei gegensätzliche<br />

Richtungen entwickeln werden“, so Deutsch.<br />

Manche würden durch bedrohliche Ereignisse<br />

sicherheitsorientierter: „Das haben wir etwa<br />

nach den Attentaten vom 11. September 2001<br />

in den USA gesehen“, so Deutsch. Weil Corona<br />

jedoch kein Feind von außen ist, sei auch der<br />

Gegentrend denkbar. „Dann eint uns die Bedrohung<br />

durch das Virus und macht Menschen<br />

eher offener.“ Für besonders wahrscheinlich<br />

hält Deutsch, dass Corona auch hier vor allem<br />

wieder als der große Verstärker für bestehende<br />

Tendenzen wirkt: Konservative werden konservativer,<br />

Progressive progressiver.<br />

Das dürfte tatsächlich auch beeinflussen, wie<br />

jeder Einzelne nach der Pandemie zurück zu<br />

alten Gewohnheiten findet. Menschen werden<br />

neu austarieren, wen sie umarmen und wann.<br />

Aussterben werden Umarmungen und selbst<br />

der Händedruck nicht, glaubt Zukunfts forscher<br />

Schetsche: „Das sind sehr alte und stabile Verhaltensmuster.“<br />

Wenn Corona eins gezeigt hat,<br />

dann ist es, wie sehr wir uns nach menschlichen<br />

Kontakten und Berührungen sehnen. Zur Not<br />

holen wir sie uns halt im Einhornkostüm.<br />

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REAKTIONEN<br />

»Machen Sie sich keine Gedanken<br />

über die schäbigen Kommentare.<br />

Ich lasse mich impfen. Die gehen<br />

alle noch impfen. Auf Facebook<br />

große Klappe.« Imad M.<br />

Den Nerv getroffen!<br />

Unser neues Heft war noch nicht mal gedruckt, da prasselten bereits<br />

heftige Reaktionen herein – auf eine Ankündigung des Hefttitels<br />

per E-Mail-Newsletter, auf Facebook und Instagram. Das reichte aus.<br />

Es bestätigt uns darin, das Richtige getan zu haben: ein Heft auf<br />

den Markt zu bringen über das meistdiskutierte Thema dieser Tage.<br />

Hier ein paar Meinungen zum Heft – bevor es überhaupt<br />

gelesen werden konnte<br />

»pieks Magazin – geht’s<br />

eigentlich noch infantiler,<br />

um die Impfpropaganda<br />

unters Volk zu bringen?«<br />

Thomas M.<br />

»Es ist einfach ekelhaft,<br />

diese Propaganda für eine<br />

RNA. Es ist keine Impfung,<br />

mittlerweile müssten das<br />

alle wissen.« Rosa Maria<br />

»Da wird<br />

eine wirklich<br />

folgenschwere<br />

Entscheidung<br />

verniedlicht.<br />

Schämt Ihr<br />

Euch nicht?«<br />

Peter S.<br />

»Ich vertraue<br />

den Wissenschaftlern,<br />

und<br />

ich vertraue<br />

keinen dummen<br />

Gerüchten.«<br />

Manfred K.<br />

»Der Impfstoff soll mich<br />

selbst und andere schützen.<br />

Nach der Impfung fühle ich<br />

mich sicherer.« Rauheya A.<br />

»Ich bin heute geimpft<br />

worden. Und muss<br />

sagen, ich bin so froh.«<br />

Melanie P.<br />

»Das, was jetzt ist, ist die Neue Normalität. Gewöhnt<br />

Euch endlich dran und hört zu jaulen auf.<br />

Wer jault, hat schlicht und einfach nur das falsche<br />

Mindset. Man liebt tunlichst das, was ist.« O. I.<br />

IMPFEN<br />

Wir freuen uns auf Ihre Meinung, Kritik und Themenideen für weitere Ausgaben<br />

E-Mail: redaktion@pieks-magazin.de<br />

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