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Filmanalyse - Gabriele Jutz

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en, während der Film selbst als verschollen galt. Diese Photogramme<br />

waren >richtigrichtigere< erscheint, eine Modernisierung der Originalversion<br />

nach 1910 war, als sich bereits die Parallel- (oder besser: alternierende)<br />

Montage durchgesetzt hatte; derartige Bearbeitungen waren<br />

ganz normal, Porter selbst wußte aus seiner Tätigkeit als Filmvorführer,<br />

daß die Filme so, wie sie dem Publikum gezeigt wurden,<br />

erst unmittelbar vor der Projektion zusammengestellt wurden - das<br />

heißt aber auch, daß der Vorführer (oder Porter mit der entsprechenden<br />

Erfahrung) genau wußte, was er seinem Publikum >zumuten<<br />

konnte.<br />

Daß das cross-cutting in der alternierenden oder Parallelmontage<br />

auch vor Porters »The Life of an American Fireman« bekannt war,<br />

22<br />

zeigt ein Film, den der Engländer James Williamson bereits 1901<br />

gedreht hatte und den Porter sicherlich kannte, zumal auch hier<br />

wieder das beliebte Thema der Rettungsarbeit der Feuerwehr dargestellt<br />

wurde. Der Film »Fire!« besteht aus 5 Einstellungen:<br />

1. Ein Polizist sieht auf seinem Rundgang Feuer, er erkennt, daß er alleine<br />

nichts ausrichten kann und läuft los, um die Feuerwehr zu alarmieren.<br />

2. Der Polizist kommt bei der Feuerwache an, alarmiert die Feuerwehrleute,<br />

die in kürzester Zeit ausrücken.<br />

3. Die Feuerwehr kommt in vollem Galopp an der Kamera vorbei.<br />

4. Ein Schlafzimmer ist voller Rauch. Einem Mann ist der Fluchtweg nach<br />

allen Seiten abgeschnitten. Von außen, durch das Fenster, dringt ein Feuerwehrmann<br />

ein, erstickt das Feuer und trägt den auf dem Bett zusammengebrochenen<br />

Mann zum Fenster.<br />

5. Vor dem Haus. Der Feuerwehrmann trägt den geretteten Mann die Leiter<br />

nach unten. Aus anderen Fenstern wird Bettzeug und Kleidung nach unten<br />

geworfen. Ein anderer Feuerwehrmann erscheint mit einem Baby auf<br />

dem Arm. Ein Bewohner wird gerettet, indem ein Sprungtuch installiert<br />

wird, in das er springt, und anschließend wird der so Gerettete weggetragen<br />

(Sopocy, 1978, S. 11).<br />

Sicherlich hat sich Porter vom Thema dieses Films und einzelnen<br />

Szenen inspirieren lassen, die narrative Struktur hat er nicht übernommen.<br />

Eine mögliche Erklärung für die ungleichzeitige Entwicklung<br />

europäischer und amerikanischer narrativer Strukturen<br />

des Films bis 1908, dem Jahr, in dem D. W. Griffith entscheidende<br />

Änderungen einführt, könnte darin liegen, daß der Film in den<br />

USA länger als in Europa fester Bestandteil des (Vaudeville-) Theaters<br />

gewesen ist und daher auch länger dessen Darstellungsweisen<br />

beibehalten hat, während in Europa der Film schon viel früher auf<br />

den Jahrmärkten relativ selbständig vorgeführt wurde und in den<br />

ersten Ladenkinos um die Jahrhundertwende bereits erste Schritte<br />

zur Institutionalisierung als Kino unternahm. Auch in den USA<br />

galt der europäische Film als der fortgeschrittenere, ästhetisch und<br />

technisch vollkommnere, was sich jedoch sehr schnell ändern<br />

sollte. Während des Ersten Weltkriegs übernahm die amerikanische<br />

Filmindustrie, die gerade das sonnige Hollywood für sich entdeckt<br />

hatte, endgültig die Führung.<br />

Für eine Geschichte der Beziehungen zwischen Literatur und<br />

Film ist es nicht unwesentlich festzustellen, daß der Film das Erzählen<br />

keineswegs unter der >Anleitung< der Literatur oder der traditionellen<br />

Künste >gelernt< hat, eine Tatsache, von der Andre Bazin<br />

eingeräumt hat, daß sie<br />

»uns beim Film irritiert, [. . .] daß im Gegensatz zum allgemeinen Ablauf<br />

eines künstlerischen Entwicklungsprozesses die Adaption, die Anleihe, die<br />

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