Filmanalyse - Gabriele Jutz
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METEOR / EARLY CINEMA<br />
dazu, jedenfalls nicht im heutigen Verständnis. Im Gegenteil, es lassen sich Gemein<br />
samkeiten zwischen diesen beiden erkennen, so man das Kino weniger als eine Form<br />
deseschichtenerzählens betrachtet, denn als die Präsentation einer Serie von An<br />
sichten, deren Faszination für die Zuschauer in ihrer Exotik und illusionistischen<br />
Kraft liegt: ob es nun die realistische Illusion der Bewegung war, die Lumiere den<br />
ersten Kinozuschauern bot, oder die von M é l i è s zusammengebraute magische Illusi<br />
on. Mit anderen Worten: Ich glaube, daß die Beziehung zum Zuschauer, die Lumiere-<br />
und Méliès-Filme (und viele andere Produktionen vor 1906) herstellten, eine ge<br />
meinsame Basis besaß — und zwar eine, die sich von dem primär am Zuschauer ori<br />
entierten Verhältnis im narrativen Film nach 1906 deutlich unterscheidet. Ich möch<br />
te dieses frühere filmische Konzept als „Kino der Attraktionen" bezeichnen. In mei<br />
nen Augen dominierte dieser Ansatz den Film bis ungefähr 1906/1907. Wenn er<br />
sich auch von der Begeisterung am Geschichtenerzählen unterscheidet, die das Kino<br />
seit den Zeiten eines D.W. Griffith kennzeichnete, so schließt das eine das andere<br />
nicht notwendigerweise aus. Tatsächlich verschwindet das Kino der Attraktionen ja<br />
auch nicht mit der Dominanz des Narrativen - eher geht es in den Untergrund: findet<br />
sich einerseits in bestimmten Avantgarde-Formen wieder, andererseits als Kompo<br />
nente des narrativen Films, die sich in einigen Genres (zum Beispiel im Musical)<br />
deutlicher zeigt als in anderen.<br />
Was genau nun ist das Kino der Attraktionen? Zunächst einmal ein Kino, das sich auf<br />
die von Leger beschriebene Eigenschaft beruft: die Fähigkeit, etwas zu zeigen. Im Ge<br />
gensatz zum voyeuristischen Aspekt des narrativen Kinos, wie er von Christian Metz<br />
analysiert wurde, ist es ein exhibitionistisches Kino. 5 ) Ein Aspekt des frühen Films,<br />
den Ich schon in anderen Artikeln beschrieben habe, ist charakteristisch für das ganz<br />
andere Verhältnis, das das Kino der Attraktionen zum Zuschauer herstellt: Die Schau<br />
spieler blicken immer wieder direkt in die Kamera. Dieses Mittel, das später als der<br />
Realismus-Illusion abträglich gelten sollte, wird hier noch mit großer Emphase einge<br />
setzt und dient der Kontaktaufnahme mit dem Publikum. Von den Komikern, die für<br />
die Kamera Grimassen schneiden, zum ständigen Verbeugen und Gestikulieren der<br />
Magier in Zaubererfilmen ist dies ein Kino, das seine Sichtbarkeit zur Schau stellt und<br />
gerne bereit ist, eine in sich geschlossene fiktive Welt aufzubrechen, wenn ihm dies<br />
die Chance eröffnet, die Aufmerksamkeit des Zuschauers zu beanspruchen.<br />
Ganz wörtlich zu nehmen ist der Exhibitionismus in einer Reihe erotischer Filme, die<br />
eine wichtige Rolle in der frühen Filmproduktion spielten (so warb man in ein und<br />
5) Vgl. Christian Metz; The Imaginary Signifier: Psychoanalysis and the Cinema. Bloomington 1982,<br />
v.a. S. 58-80 u. 91-97.<br />
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