Aufrufe
vor 2 Jahren

Radiata2013(2)

  • Text
  • Radiata
  • Testudo
  • Wehrenberg
  • Wasser
  • Turtle
  • Cuora
  • Tiere
  • Weibchen
  • Platemys
  • Strand

Stéphane Gagno Frühere

Stéphane Gagno Frühere Untersuchungen an Schildkröten Rosenberg (1978, 1980, 1983, 1986) beschreibt die Reaktionen auf Schwingungsreize, die direkt auf den Carapax einwirken. Die Untersuchungen wurden an Exemplaren von Testudo graeca und Testudo hermanni durchgeführt, denen zuvor das Gehirn entfernt worden war. Um die Nervenimpulse mit einer im Rückenmark implantierten Elektrode zu messen, wurde ein Lautsprecher direkt mit dem Carapax in Berührung gebracht. Dabei wurden verschiedene Tonhöhen getestet, und es zeigte sich, dass es Lücken in der Wahrnehmungsmöglichkeit gab. Zusammengefasst ergaben die Versuche, dass der Carapax der Schildkröten mit Sinnesorganen zur Wahrnehmung von Schwingungen versehen sein muss, und dass diese Sinnesorgane dicht unter der Oberfläche sitzen müssen. Dabei gab es Unterschiede in der Stärke der Reaktion, je nachdem, an welcher Stelle der Reiz gesetzt worden war. Schwingungen von 150 Hz oder mehr lösten gar keine Nervenimpulse im Rückenmark aus; die stärksten Reaktionen wurden zwischen 80 und 100 Hz erzielt. Für Rosenberg stand damit fest, dass eine komplett eingezogene Schildkröte vor allem die Bodenvibrationen und weniger den Luftschall wahrnehmen kann. Lenhardt (1981, 1982, 1983) testete Exemplare von Trachemys scripta und Terrapene carolina im Labyrinthversuch, bei dem der Ausgang des Labyrinths durch eine Schallquelle gekennzeichnet war. Seine Ergebnisse legen nahe, dass Schildkröten ihre Hörwahrnehmung durch die Weiterleitung über die Knochen des Panzers ergänzen und so die Schwingungen in der unmittelbaren Umgebung wahrnehmen und auch orten können. Diese Art der Wahrnehmung ist für die Schildkröten vor allem dann von Vorteil, wenn sie den Kopf mit den eigentlichen Hörorganen in den Panzer zurückziehen müssen, um ihn vor Angriffen von Beutegreifern zu schützen. Um diese Schlussfolgerung zu untermauern, applizierte Lenhardt, wie auch Rosenberg bei seinen Versuchen, Schwingungen direkt am Panzer und maß die Nervenimpulse am Stammhirn. Seiner Meinung nach erzeugt die Weiterleitung des Schalls im Knochen die Hörwahrnehmung. 1983 führte Lenhardt zusammen mit seiner Arbeitsgruppe ähnliche Versuche an Meeresschildkröten (Caretta caretta und Lepidochelys kempii) durch und fand dabei heraus, dass die Oberflächen von Schädel und Panzer die Sinnesorgane für die Wahrnehmung von Schall enthalten müssen. Diese Schildkröten sind somit in der Lage, die niedrigen Tonfrequenzen an dem Strand, an dem sie schlüpften, wahrzunehmen und diesen Strand dann später zu Nistzwecken wiederzufinden. Nun verursachen menschliche Aktivitäten am und im Meer aber sehr viel Lärm, und Messungen zeigten, dass der Lärm unter Wasser meist im Bereich von 80 bis 110 dB liegt. Die Spitzenwerte dieser Störungen fallen also mit der maximalen Geräuschempfindlichkeit der Meeresschildkröten zusammen. Es ist daher unbestreitbar, dass die Verlärmung ihres Lebensraumes nicht ohne Auswirkung auf ihr Verhalten bleibt und eine besondere Art der Umweltverschmutzung darstellt (Samuel et al. 2005). Es gibt sehr viele Untersuchungen über die Hörnerven von Schildkröten (Fettiplace & Crawford 1978, 1980, Crawford & Fettiplace 1981a, 1981b, Art et al. 1984, Drakontides & Browner 1986, Sneary 1988, Schnee & Ricci 2003, Severinsen et al. 2003, Christensen-Dalsgaard et al. 2012). Crawford & Fettiplace (1980) untersuchten die elektrischen Impulse in den Nerven und auch in den Sinneszellen der Hörschnecke von Trachemys scripta elegans. Bei Reizen im Frequenzbereich von 70 bis 670 Hz konnten Nervenimpulse gemessen werden. Am empfindlichsten reagierte das Ohr der Schildkröten bei einem Schalldruck von etwa 30 bis 40 dB. In diesem Frequenzbereich, mit Spitzenwerten zwischen 400 und 500 Hz, 6 RADIATA 22 (2), 2013

Der Hörsinn der Schildkröten maßen Christensen-Dalsgaard et al. (2012) auch die optimale Schwingung des Trommelfells von Trachemys scripta elegans. Diese Arbeitsgruppe stellte daher die Hypothese auf, dass die Resonanz des luftgefüllten Mittelohrs auch eine Rolle beim Hören unter Wasser spielt. Mit einer ähnlichen Technik konnten Ridgway et al. (1969) bei Chelonia mydas ein Empfindlichkeitsmaximum bei 300 bis 400 Hz nachweisen. Die obere Hörgrenze lag bei 2.000 Hz, wobei aber nur eine Frequenz von etwa 1.000 Hz noch sicher wahrgenommen wurde. Die Zilien tragenden Hörsinneszellen spielen eine wichtige Rolle bei der Verstärkung des Signals und bei der Unterscheidung der hörbaren Frequenzen. Ihre Reaktionszeit beträgt weniger als eine Millisekunde (Fettiplace et al. 2001). Farris et al. (2004) beschreiben ausführlich die molekularen Vorgänge in den Hörsinneszellen. Diese mechano-elektrischen Signalwandler haben Poren, durch die bestimmte Moleküle die Information hindurchtransportieren. Die Porenkanäle haben einen Durchmesser von 12,5 Å (1 Ångström = 10 -10 Meter) auf einer Länge von 31 Å. Zeng et al. (2007) beschreiben die Entwicklung der entsprechenden Bereiche der Hörorgane bei den Embryonen von Pelodiscus sinensis. Vasil’ev & Smirnov (1981) erwähnen elektrophysiologische Messungen an Chrysemys picta und Trachemys scripta, die bei geringer Lautstärke bis 500 Hz deutliche Impulse von Vorhoffenster, Bogengängen und Außenwand der Paukenhöhle zeigten. Oberhalb davon konnten noch bis etwa 3.000 Hz Impulse gefunden werden, die jedoch auf höheren Schalldruck, also eine Art „Überreizung“ mit der Gefahr der Schädigung des Hörsystems, zurückzuführen waren. Die beiden Forscher selbst leiteten die elektrischen Impulse im Hörkern des Gehirns von vier verschiedenen Schildkrötenarten ab. Dabei stellte sich heraus, dass Testudo graeca die unempfindlichste der untersuchten Arten war. Die Wissenschaftler maßen bei dieser Art Reaktionen ab 40 dB und einen Frequenzbereich der Reaktion bei etwa 100 bis 200 Hz. Für Mauremys caspica wurde ein hörbarer Frequenzbereich von 300 bis 600 Hz festgestellt, wobei diese Schildkröten bei 300 Hz am empfindlichsten waren. Im Gegensatz dazu waren Emys orbicularis und Testudo horsfieldii deutlich geräuschempfindlicher, sie reagierten bereits bei einer Lautstärke ab 30 dB und mit einem breiteren wahrnehmbaren Frequenzbereich, sodass sogar noch bei 1,5 KHz bzw. 3,5 KHz elektrische Impulse abgeleitet werden konnten. Die verfügbare Literatur über das Hörvermögen zeigt, dass Schildkröten fast nur tiefe Töne wahrnehmen können. Die bisher genannten Untersuchungen betrafen fast nur elektrophysiologische Ableitungen direkt an den Sinnesorganen bzw. den ableitenden Nerven. Es bleibt zu untersuchen, wie und mit welcher Auswirkung diese Signale im zentralen Nervensystem aufgenommen und weiterverarbeitet werden. Anders ausgedrückt: Es muss untersucht werden, ob und wie Schildkröten erkennbar auf Töne reagieren. Bereits 1982 hatte Lenhardt acht Schildkrötenarten aus drei verschiedenen Familien (Emydidae, Testudinidae und Chelydridae) mit Tönen bis 100 dB beschallt. Wenn die Töne von einem Lautsprecher abgegeben und nur über die Luft übertragen wurden, gab es keinerlei Reaktion im Verhalten der Schildkröten. Nur wenn die Töne direkt – am Rückenpanzer – auf die Schildkröten einwirkten, reagierten sie mit Kopfbewegungen. Die vorliegende Untersuchung prüft die Wirkung von Schallwellen, die nur durch die Luft übertragen werden, auf Testudo hermanni hermanni. Die Ergebnisse wurden anhand der direkt beobachteten Reaktion der untersuchten Tiere gemessen. Material und Methoden Vor Versuchsbeginn wurde jeweils eine Griechische Landschildkröte in einen schall- RADIATA 22 (2), 2013 7

Zeitschriften-Regal