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Radiata2013(2)

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Stéphane Gagno In

Stéphane Gagno In unserer Untersuchung reagierten die Schildkröten durch Kopfanheben auf andere Frequenzen als in der Untersuchung von Lenhardt (1982). Er hatte seine Versuche mit Frequenzen von über 250 Hz durchgeführt, die für die Griechische Landschildkröte bereits deutlich oberhalb der Wahrnehmungsgrenze liegen. Unsere Versuchsergebnisse zeigen, dass diese Schildkröten Töne nur in einem recht begrenzten Bereich wahrnehmen können. Sie sind darauf spezialisiert, tiefe Töne und sogar den für den Menschen gar nicht mehr direkt wahrnehmbaren Infraschall zu hören. In diesem Tieftonbereich können die Töne durch die spezialisierte Knochenstruktur erspürt werden, die besondere Sensoren für die Wahrnehmung von Außenreizen enthält. Viele Tiere können hohe oder sogar sehr hohe Frequenzen wahrnehmen; so können Hunde bis etwa 35 KHz, Katzen bis etwa 25 KHz Abb. 9. Frequenzspektren verschiedener Musikinstrumente. 10 RADIATA 22 (2), 2013

Der Hörsinn der Schildkröten und Fledermäuse sogar bis 80 KHz hören. Demgegenüber können andere, meist sehr große Tiere wie Elefanten auch Infraschall nutzen. Sie können damit über mehrere Kilometer Entfernung hinweg miteinander kommunizieren. Wir können annehmen, dass die Wahrnehmungsfähigkeit für den tiefen Bodenschall es den Schildkröten ermöglicht, die Annäherung eines Feindes schon aus großer Entfernung zu bemerken. Immer wieder berichten Liebhaber, dass ihre Schildkröten aus dem Garten angelaufen kamen, wenn sie Klavier spielten. Wenn man die Zusammenstellung der Frequenzen in Abb. 9 betrachtet, sieht man, dass das Klavier eines jener Musikinstrumente ist, die auch sehr tiefe Töne erzeugen können. Außerdem kann man so erklären, dass Schildkröten eher auf tiefere Männer- als auf höhere Frauenstimmen reagieren. Im Rahmen der Untersuchungen des Hörvermögens zeigte sich, dass Schildkröten vor allem tiefe Töne wahrnehmen können. Die Möglichkeiten der Schildkröten zur Wahrnehmung von Tönen sind an spezifische Strukturen des gesamten Hörapparates gebunden. So sind zum Beispiel die Zilien tragenden Zellen entsprechend ihrer Empfindlichkeit für die Unterscheidung der unterschiedlichen Töne zuständig. Die Struktur des sichtbaren Trommelfells bedingt ebenfalls nur eine begrenzte Möglichkeit zur Schallübertragung. Wenn man es aus rein mechanischer Sicht betrachtet, handelt es sich um eine spezialisierte runde Membran, die von unelastischem Knochen umgeben ist. Der Schwingungspegel verschiedener Membranen mit gleicher Fläche ist bei runden Membranen am geringsten. Die Schwingungsfrequenzen solcher runder Membranen sind niedrig, sie berechnen sich nach der folgenden Formel: Für eine runde Membran mit festem Rand ist α = 5,9. Die möglichen Schwingungsfrequenzen hängen von verschiedenen Faktoren ab, so von der Dichte (Q) des schwingenden Materials, dem Elastizitätskoeffizienten nach Young (E) und der Dehnungszahl (ν). Man kann annehmen, dass diese Parameter für alle Schildkrötenarten in etwa gleich sind. Demgegenüber spielen aber zwei weitere, variable Parameter ebenfalls eine Rolle, nämlich die Dicke des Trommelfells (h) und sein Durchmesser (a), die bei den verschiedenen Schildkrötenarten unterschiedlich sind. Diese beiden Parameter können beispielsweise die unterschiedlichen Messergebnisse in der Arbeit von Vasil’ev & Smirnov (1981) erklären, denn bei Testudo horsfieldii und Emys orbicularis ist das Trommelfell etwa viermal so dick wie bei Testudo graeca. Dieser Parameter steht in der oben dargestellten Formel im Zähler, sodass es absolut logisch ist, dass für sie der Bereich der wahrnehmbaren Frequenzen und auch die Empfindlichkeit deutlich größer sind als für die Maurische Landschildkröte. Schildkröten haben also durchaus einen gut entwickelten Hörsinn, der durch Sinnesorgane für Schall im Panzer ergänzt wird, die auf einen großen Teil der Frequenzen ansprechen, auf die die Schildkröte überhaupt Reaktionen zeigt. So können sicherlich sich nähernde Fressfeinde früh wahrgenommen werden, aber die Ergebnisse anderer Untersuchungen machen es wahrscheinlich, dass der Hörsinn auch bei der Fortpflanzung eine Rolle spielt. Die Publikation von Galeotti et al. (2005a) legt nahe, dass jene Laute, die männliche Testudo hermanni bei der Paarung ausstoßen, von den Weibchen zur Wahl des Geschlechtspartners ausgewertet werden können. Möglicherweise werden diese Laute auch zur Kommunikation zwischen den Männchen genutzt (zum Fernhalten von Rivalen und Störenfrieden). Außerdem sind diese Laute artspezifisch und können so dazu führen, dass ein Weibchen ein artfremdes Männchen abweist (Ballasina 1995, zitiert in Galeotti et al. 2005a). Die RADIATA 22 (2), 2013 11

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