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Radiata2017(3)

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Sergi Vila de Vicente,

Sergi Vila de Vicente, Mick Delahunt & Beate Pfau thode im Albera-Gebiet an, denn dort gibt es doch sehr viele Beutegreifer, die gerne ganz kleine Schildkröten verzehren würden (Abb. 13). Das Auswildern von solchen bereits herangewachsenen Jungtieren hat sich für verschiedene Wasserschildkröten-Arten bewährt, ist aber für Landschildkröten nicht die bevorzugte Methode, denn die Landschildkröten gewöhnen sich während der Aufzucht an die Bedingungen in Menschenobhut und verlieren teilweise ihre Flucht- und Schutzreaktionen. Manchmal erscheint es so, als ob sie, weil sie an den Menschen gewöhnt sind, auch ihre instinktiven schützenden Verhaltensweisen gegenüber Beutegreifern abgelegt hätten. Sie ziehen in der Regel ihre Gliedmaßen nicht oder nicht so schnell unter den Panzer ein wie wirklich „wilde“ Schildkröten, und könnten daher leichter angegriffen, verletzt oder gar getötet werden. Frisch geschlüpfte Schildkröten sind natürlich eine sehr leichte Beute für jedes räuberische Tier, wenn sie im offenen Gelände herumlaufen. In früheren Landschildkröten-Auswilderungsprojekten mit ganz jungen Schildkröten wurden diese im Frühjahr ausgesetzt, wenn sie gleich reichlich Nahrung finden würden. Die Schildkröten wirkten in der neuen Umgebung aber verunsichert und sie liefen oft weite Strecken, vielleicht um wieder zu der bekannten Umgebung zurückzufinden. Deshalb waren sie viel stärker ihren Fressfeinden ausgesetzt als es wirklich wilde Schildkröten gewesen wären. Für das Albera-Schildkröten-Projekt schlagen wir deshalb vor, die jungen Schildkröten direkt nach dem Schlupf, also noch im Herbst, auszuwildern. Dann nehmen sie sowieso kaum mehr Nahrung auf und suchen stattdessen gleich einen Versteckplatz. Wenn sie dann aus der Winterstarre erwachen, kommt ihnen die Umgebung bereits bekannt vor und sie hatten auch keine Gelegenheit gehabt, in Menschenobhut ihre Schutz-Instinkte zu „verlernen“. Diese übergangslose, „harte“ Auswilderungsmethode für frisch geschlüpfte Jungtiere bedeutet natürlich, dass keine erwachsenen Albera-Schildkröten beim Auswildern im Cap de Creus-Gebiet verloren gehen können, denn wie bereits erwähnt sind diese Schildkröten für die Bestandserhaltung so wertvoll, dass wir dieses Risiko nicht eingehen dürfen. Stattdessen werden wir einige Jahre lang die Jungtiere für die Auswilderung künstlich erbrüten. Diese frisch geschlüpften Schildkröten sind von Natur aus scheu und leben sehr versteckt, so dass es in den ersten Jahren des Auswilderungsversuchs kaum möglich sein wird, sie regelmäßig wiederzufinden. Erst wenn sie nach mehreren Jahren so groß geworden sind, dass sie leichter gesehen werden können, lässt sich der Bestand einigermaßen sicher erfassen und erst dann kann der Erfolg dieses Feldversuchs beurteilt werden. Mögliche Langzeiteffekte der genetischen Hilfestellung Wenn im Verlauf des Projekts Schildkröten in den Auswilderungsgebieten gefunden und sowieso in die Hand genommen werden müssen, soll eine Untersuchung, analog der vorbeugenden Untersuchung vor Auswilderungen, stattfinden. Damit können Daten über die Fitness der Schildkröten unseres Projekts gewonnen werden (Martínez-Silvestre et al. 2013). Es ist gut möglich, dass die Kreuzungs-Schildkröten besonders robust und wüchsig sind und deutlich kräftiger erscheinen als die eigentlichen Albera-Schildkröten. Dieser so genannte Heterosis-Effekt tritt bei bestimmten Kreuzungen auf und wird in der Landwirtschaft genutzt. Er tritt aber nur in der ersten Nachzucht-Generation auf und könnte negative Effekte bei unseren Einkreuzungs-Versuchen verschleiern. Der Erfolg von Maßnahmen zur „genetischen Hilfestellung“ für Arten bzw. Populationen mit hohem Aussterberisiko durch Inzucht wurde theoretisch berechnet (Frankham, 2015, Frankham 2016), aber noch nie wirklich nachvollziehbar in natürlicher Umgebung untersucht – und schon gar nicht an Landschildkröten. Andererseits ist es durchaus möglich, dass die zweite, oder sogar die erste, Nachzuchtgeneration der Kreuzungs-Tiere eine eingeschränkte Vitalität zeigt, weil die Gen-Kombinationen nicht wirklich „passen“. Man nennt das Auskreuzungs-Depression (outbreeding depression). Diese drei Aspekte müssen daher in unserem Projekt langfristig überprüft werden, d.h. es sind mindestens 18 RADIATA 26 (3), 2017

Ein neues Projekt zur Erhaltung der Albera-Schildkröte Abb. 14. Altes “wildes” Schildkröten-Weibchen aus einem Schildkrötenvorkommen in der Nähe von Garriguella. Foto: B. Pfau zwei Schildkröten-Generationen im neuen Lebensraum zu überwachen, um den Erfolg oder Misserfolg unserer genetischen Hilfsmaßnahmen auch wirklich einschätzen zu können (vgl. Edmands 2007). Zusammenfassung Das Hauptziel unseres Projekts zur Erhaltung der Albera-Schildkröte ist der Aufbau mindestens einer Population von möglichst gesunden Landschildkröten im natürlichen Lebensraum, die nicht nur vom Aussehen her, sondern auch genetisch, so weit wie irgend möglich den Albera-Schildkröten gleichen (Abb. 14). Diese Population sollte sich ohne weitere Hilfsmaßnahmen von Menschen selbst erhalten und eine Dichte von etwa 3 bis 10 Schildkröten pro Hektar erreichen. Dann kann in Zukunft entschieden werden, ob Schildkröten, die auch “M”-Gene tragen, zur Verstärkung für natürliche Schildkrötenpopulationen im Albera-Gebiet verwendet werden sollen, um langfristig die Albera-Schildkröten zu erhalten und trotzdem ganz vorsichtig ihre genetische Vielfalt zu erhöhen. Danksagung Unser besonderer Dank gilt Xavier Capalleras, der das ursprüngliche Treffen organisiert hat und der das Projekt vorantreibt, und der mit seinem enormen Wissen über die Schildkröten ein sehr kompetenter Diskussionspartner ist. Pritpal Soorae (Chief Program Officer, IUCN/SSC Re-Introduction Specialist Group) hat uns wertvolle Hinweise für die Klarstellung der Projektziele und für die korrekte Verwendung entsprechenden Fachbegriffe gegeben. Literatur Alacs, E.A., F.J. Janzen & K.T. Scribner (2007): Genetic issues in Freshwater Turtle and Tortoise Conservation. In: Shaffer, H.B., N.N. FitzSimmons, A. Georges & A.G.J. Rhodin (Eds.): Defining Turtle Diversity: Proceedings of a Workshop on Genetics, Ethics, and Taxonomy of Freshwater Turtles and Tortoises. – Chel. Res. Monogr., Lunenburg, 4, 107-123. Andreani, G., E. Carpenè, A. Cannavacciuolo, N. Di Girolamo, E. Ferlizza & G. Isani (2014): Reference values for hematology and plasma biochemistry variables, and protein electrophoresis of healthy Hermann’s tortoises (Testudo hermanni ssp.) . – Vet. Clin. Pathol., Oxford, 43 (4): 573-583. Averill-Murray, R.C. & B. Hagerty (2014): Translocation Relative to Spatial Genetic Structure of the Mojave Desert Tortoise, Gopherus agassizii. – Chel. Cons. Biol., Lunenburg, 13 (1): 35-41. Bertolero, A., D. Oro & A. Besnard (2007): Assessing the efficacy of reintroduction programmes by modelling adult survival: the example of Hermann’s tortoise. – Anim. Cons., Cambridge, 10 (3): 360-368. RADIATA 26 (3), 2017 19

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