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Radiata2017(3)

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Sergi Vila de Vicente,

Sergi Vila de Vicente, Mick Delahunt & Beate Pfau Weibchen der Albera-Schildkröten weniger Eier legen als gleich große und schwere Weibchen anderer Herkunft. Auch die Schlupfrate der Albera-Schildkröten ist geringer, und es kommt häufiger als bei den anderen Testudo hermanni hermanni-Lokalformen vor, dass die weit entwickelten Embryonen oder die frisch geschlüpften Jungtiere sterben. Die Ursache für diese hohe Verlustrate ist nicht bekannt, sie soll im Zuge dieses Projekts mit untersucht werden. Interessanterweise wurde bei den Albera-Schildkröten keine erhöhte Missbildungsrate festgestellt. Die frisch geschlüpften Jungschildkröten wiegen nur ungefähr halb so viel wie die Jungtiere der anderen Lokalformen. In Menschenobhut konnten auch die Wachstumsraten unter praktisch identischen Aufzuchtbedingungen beim gleichen Halter bzw. direkt im CRT verglichen werden, und es zeigte sich, dass die Jungtiere der Albera-Schildkröten auch deutlich langsamer wachsen. Außerdem sind die Albera-Schildkröten im Vergleich mit anderen Landschildkröten besonders Stressund Infektions-anfällig. Zuerst muss natürlich untersucht werden, ob die verminderte Vitalität der Albera-Schildkröten durch Inzucht, oder doch durch Infektionen mit Einzellern oder Viren, oder durch Umweltverschmutzung bzw. Gifte, oder durch sonstige unbekannte Erreger verursacht wird. Deshalb findet zu Beginn des Projekts eine gründliche veterinärmedizinische Untersuchung statt, und das Projekt wird auch von einem spezialisierten Tierarzt begleitet. Dafür werden zunächst die verschiedenen Gesundheits-Indikatoren aus Blutproben ermittelt und mit Referenzwerten abgeglichen. Für die westliche Unterart von Testudo hermanni wurden bereits Referenzwerte publiziert (Andreani et al., 2014, Fiorucci et al. 2013, Macrelli et al. 2013). Die Schildkröten, die für dieses Projekt untersucht bzw. überwacht werden (Albera-Schildkröten und Vergleichs-Schildkröten anderer Lokalformen), sollen unter möglichst identischen Bedingungen leben. Wenn die Gesundheits-Indikatoren aus den Blutuntersuchungen im normalen Bereich für gesunde Schildkröten liegen, wird sich wahrscheinlich noch eine genauere Untersuchung anschließen, die prüft, ob bei den Albera-Schildkröten vielleicht eine subklinische Erkrankung oder ein Mangel an Vitaminen oder Mineralstoffen vorliegt. Beim Vergleich von zwei Populationen der Unechten Karettschildkröte (Caretta caretta) konnte nämlich gezeigt werden, dass auch geringe Schwächungen schon einen Einfluss auf die Embryonensterblichkeit und die Schlupfrate haben können (Trocini 2013) und deshalb wollen wir das ggf. auch für die Albera-Schildkröte untersuchen. Erhöhung der genetischen Vielfalt der Albera-Schildkröten? Wenn wir die genetische Diversität der Albera-Schildkröten fördern wollen, müssen wir unbedingt zuerst herausfinden, ob die genetische Anreicherung (d.h. Einführung von Genen von einer möglichst nahe verwandten Lokalform) auch wirklich zu einer Verbesserung der Vitalität der Albera-Schildkröten führt, wobei die Besonderheiten und die an den Lebensraum angepassten Eigenschaften (Allele) der ursprünglichen Lokalform so gut wie möglich erhalten bleiben sollen (vgl. Weeks et al. 2011). Bedeutung der genetischen Diversität für Populationen Es gibt ziemlich viele Liebhaber- Publikationen, und auch wissenschaftliche Artikel, über die Bedeutung der genetischen Diversität für die Gesundheit von Populationen oder Arten, aber es gibt keine brauchbare statistische Methode, wie man gesündere mit weniger gesunden Populationen vergleichen kann, oder wie man die Abweichung von einem definierten Zielwert der genetischen Diversität ermittelt. Außerdem sind die normalerweise verwendeten Messparameter der Populationsgenetik (mitochondriale DNA, Zellkern-DNA, Proteine) irrelevant für die Ökologie der untersuchten Tiere. Viele andere Publikationen befassen sich mit den angenommenen Auswirkungen von Inzuchtdepression, oder auch dem Gegenteil, nämlich Auskreuzungsdepression (“outbreeding depression”) auf den allgemeinen Gesundheitszustand von Populationen, aber auch dafür gibt es keine 8 RADIATA 26 (3), 2017

Ein neues Projekt zur Erhaltung der Albera-Schildkröte wissenschaftlich anerkannte Ermittlungsmethode. Hinzu kommt, dass die Mehrzahl dieser Veröffentlichungen nicht auf Reptilienpopulationen im natürlichen Lebensraum anwendbar sind, sondern nur bestimmte Empfehlungen aus quantitativen Berechnungen der theoretischen Genetik herleiten (Frankham et al. 2014). Dennoch konnte für viele Tierarten (Wirbeltiere und Wirbellose) plausibel gemacht werden, dass eine verminderte genetische Diversität wahrscheinlich Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit, z.B. Stoffwechseleffektivität, Wachstumsrate, Fortpflanzung oder Krankheitsresistenz hat (Alacs et al. 2007, Keller & Waller 2002). Ursprüngliche Verbreitung von Testudo hermanni hermanni in Südwest-Europa Bei der Untersuchung von eiszeitlichen Schildkrötenfossilien aus Frankreich zeigte sich, dass die Landschildkröten im Süden Frankreichs bis zu den Pyrenäen hin weit verbreitet und wohl auch häufig waren (Cheylan 1981). Auf der spanischen Seite setze sich das Verbreitungsgebiet von Testudo hermanni von den Pyrenäen südwärts bis in die Gegend von Málaga, und westwärts bis nach Portugal hinein fort (Morales Pérez & Sanchis Serra 2009). Die Schildkröten Frankreichs und der iberischen Halbinsel gehörten wohl der gleichen Lokalform an (Bertolero et al. 2011). Danach teilte sich die Population jedoch in zwei getrennte Vorkommensgebiete in Südfrankreich und auf der iberischen Halbinsel. In der Nähe der Pyrenäen konnten auf französischer Seite ab etwa 1960 keine Landschildkröten mehr nachgewiesen werden (Cheylan 2001). Auch viele Populationen auf der iberischen Halbinsel gingen nach und nach verloren, meist durch den Einfluss des Menschen und den daraus folgenden Verlust geeigneter Lebensräume. Schließlich blieb nur noch die Population im Albera-Gebiet als natürliches Vorkommen erhalten (Fèlix et al. 2006). Die genetische Analyse der Population zeigte, dass es vor etwa 19.000 Jahren einen drastischen Rückgang der Schildkrötenpopulation, d.h. einen “genetischen Flaschenhals” gegeben haben muss. Dieser errechnete Zeitpunkt fällt ungefähr mit dem letzten glazialen Maximum der Eiszeit zusammen (Zenboudji et al. 2016). In geschichtlicher Zeit, vielleicht nur vor 100 bis 450 Jahren, brach aufgrund verstärkter landwirtschaftlicher Nutzung des Gebiets die Population der Schildkröten im Albera-Gebiet erneut ein, denn die damalige Landnutzung führte zum Verlust bzw. zu einer nachhaltigen Störung der Schildkröten-Lebensräume (Capalleras et al. 2013). Auf den Balearen-Inseln vor der Küste Kataloniens kommt Testudo hermanni erst seit etwa 3.000 Jahren vor, die Schildkröten wurden wahrscheinlich von Seefahrern als Frischfleisch-Vorrat mit- Abb. 7. Albera-Schildkröte der Zuchtgruppe im CRT. Foto: H.K. Pfau RADIATA 26 (3), 2017 9

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