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JOHANNES OE GARLANOIA: OE MENSURABILI MUSICA

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16 Quellenuntersuchungen zur Verfasserfrage<br />

dem Marienlied Aula vernat virginalis, die A. Machabey dem Dichter zuschreibPoS,<br />

noch der Conductus-Text Alto gradu glorie tollitur Tholosa, den der<br />

Grammatiker im Dictionarius als sein Werk erwähnt 106, als Argumente zugunsten<br />

der Identitätsthese herangezogen werden.<br />

Für die Identität der beiden Autoren könnte somit einzig und allein Waites<br />

überlegung sprechen, es sei unwahrscheinlich, daß sich zwei gleichzeitig in<br />

Paris lehrende Magister namens Johannes nach ihrer Wirkungsstätte, dem<br />

elos de Garlande 107 , benannten 108. Dies Argument ist allerdings nicht zutreffend,<br />

da in den Quellen zur Pariser Universitätsgeschichte nach 1250 Bezeichnungen<br />

wie scolares Garlandie, bachalarii in Garlandia u. ä. nachgewiesen sind, die erkennen<br />

lassen, daß die alte Flurbezeichnung Garlandia, zumindest seit der<br />

zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, allgemein als Bezeichnung der Artistenfakultät<br />

gebräuchlich war 109 • Somit ist nicht auszuschließen, daß im neuen,<br />

nach 1213 entstandenen Universitätsbezirk der Artistenfakultät auf dem linken<br />

Seine-Ufer 110 zur gleichen Zeit zwei Magistri namens J ohannes de Garlandia<br />

lehrten.<br />

Die seit Coussemaker in der musikwissenschaftlichen Forschung übliche<br />

Identifizierung des Musiktheoretikers J ohannes de Garlandia mit dem aus England<br />

stammenden gleichnamigen Dichter und Grammatiker ist also nicht länger<br />

aufrechtzuerhalten, da - wie die Quellenuntersuchungen gezeigt haben - der<br />

von Hieronymus de Moravia überlieferte Beiname Gallicus auf den Autor der<br />

10' A. MACHABEY, Jean de Garlande, Compositeur, La Revue Musicale Nr. 221,<br />

1953, 20-22, bezieht sich auf die Brügger Fassung des Commentarius (Brugge,<br />

Stadsbibliotheek, 546, fol. 77v-83v). Cantus und Text sind ebenfalls in der Handschrift<br />

Oxford, Bodl. Digby 65, fol. 164v, 13. Jh., überliefert; vgl. G. VECCHI, Modi<br />

d'Arte Poetica in Giovanni di Garlandia e il Ritmo Aula vernat virginalis, Quadrivium<br />

I, 1956, 263f.; Edition des neunstrophigen Textes in Analeeta Hymnica, Bd.<br />

XXXII, 20f.: "Diese Hs. enthält die Gedichte Godefridi, prioris ecclesiae S. Swithuni<br />

Wintoniensis. Unmittelbar auf dieselben folgt von derselben Hand geschrieben<br />

und mit roten Noten obiges Lied, das höchstwahrscheinlich von demselben Verfasser<br />

herrührt. Die Melodie ist trotz der Verschiedenheit des Versmaßes nur eine<br />

für alle Strophen".<br />

106 PAETOW, a.a.O. 139; vgl. auch J. HANDSCHIN, Conductus-Spicilegien, AfMw<br />

IX, 1952, 115.<br />

107 Es handelt sich um einen Bezirk am Fuße des Mont St. Gcnevieve in der Nähe<br />

des Petit Pont, an den noch heute dic zwischen den Kirchen St. Julien-Ie-Pauvre<br />

und St. Severin verlaufende Rue Galande erinnert; vgl. PAETOW a.a.O. 87f. und<br />

H. DENIFLE, Die Entstehung der Universitäten des Mittelalters bis 1400, Berlin 1885,<br />

667, Anm. 47: "Terra Garlandia oder vicus (clos) Garlandiae ist die alte Bezeichnung<br />

... Der Ort, wo eine Abtheilung der artistischen Schulen war, trägt im 13. Jh.<br />

fast ausschliesslich diese Benennung."<br />

108 "It would be a striking coincidence if there were two such men, taking their<br />

name from the clos de Garlande, who were active in the university life of Paris at<br />

the same time" (WAlTE, a.a.O. 184).<br />

10. Vgl. PAETOW a.a.O. 88. Für die Popularität dieser Bezeichnung sprechen die<br />

Redensarten "fuimus simul in Garlandia" und "hoc triturn est in Garlandia", PAE­<br />

TOW, ebenda Anm. 29. In zwei der von H. DENIFLE, Chartularium Universitatis<br />

Parisiensis, Bd. I, Paris 1889, 597ff., mitgeteilten Taxationes von 1282/83 findet<br />

sich die Ortsangabe "in Guellandia".<br />

110 DENIFLE, Die Entstehung, 666f.<br />

Quellenuntersuchungen zur Verfasserfrage 17<br />

Musiktraktate bezogen werden muß und zwischen den Werken beider Autoren<br />

keine inhaltlichen Beziehungen festzustellen sind. Weder lassen sich in den<br />

Musiktraktaten Termini der Poetik und Grammatik oder Einflüsse der englischen<br />

Musikpraxis nachweisen, noch finden sich in den poetischen und grammatischen<br />

Schriften Hinweise auf die rhythmisch gemessene Musik. Im Pariser<br />

clos de Garlande müssen demnach gleichzeitig ein Magister Johannes de Garlandia<br />

Gallicus (dictus Primarius?) und ein Magister Johannes de Garlandia<br />

Anglicu8 gewirkt haben 111.<br />

111 Der Kuriosität wegen sei auf eine von DENIFLE, Chartularium, 198, mitgeteilte<br />

Charta donationis von 1247 hingewiesen, in der ein ANSELLUS DE GALLANDIA<br />

seine Söhne ANSELLINUS und J OHANNES erwähnt. - Eine nach Abschluß der vorliegenden<br />

Arbeit erschienene Studie über <strong>JOHANNES</strong> DE GARLANDIA von R. A.<br />

RASCH (Iohannes de Garlandia en de ontwikkeling van de voor-Franconische notatie,<br />

Musicological Studies XX, New York 1969; vgl. dazu auch unten S. 29, Anm. 9<br />

und Teil II, S. 66f., Exkurs) bestätigt weitgehend die vorstehenden Untersuchungsergebnisse.<br />

Dies gilt insbesondere für die Nachweise zur tJberlieferung der Plana<br />

musica (RASCH, a.a. 0.43-50), die kritische Beurteilung der Introductio und der auf<br />

ihr basierenden Lehrtradition (a. a. O. 57-82) sowie für die Ablehnung einer Identifizierung<br />

des Musiktheoretikers mit dem gleichnamigen Dichter und Grammatiker<br />

(a. a. O. 88-129). über RASCHS Untersuchungen hinausgehend ergeben sich im vorstehenden<br />

Kapitel aufgrund der erstmalig herangezogenen GARLANDIA-Zitate bei<br />

FRATER GUIDO und der Hinweise bei <strong>JOHANNES</strong> DE GROCHEO und ROGERIUS CA­<br />

PERONII Kriterien für die Bewertung der überlieferten Plana musica-Fassungen und<br />

zusätzliche Argumente für deren Zuschreibung an GARLANDIA. Bei der Darstellung<br />

des Identifikationsproblems läßt RASCH die von HIERONYMUS überlieferte Bezeichnung<br />

GARLANDIAS als Johannes Gallicus unberücksichtigt (vgl. oben S. 4 u. 13f.).<br />

Im Unterschied zu der oben (8. 11f.) im Anschluß an REESE und REANEY vertretenen<br />

Auffassung, die GARLANDIA-Zitate bei HANDLO und HANBOYS seien apokryph,<br />

glaubt RASCH (51-56), diese Belegstellen weiterhin einem um 1320 in England<br />

wirkenden <strong>JOHANNES</strong> DE GARLANDIA II zuschreiben zu können.

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