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2005 – 2006, nummer 1 - Thauma

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COLLATERAL DAMAGE<br />

Alexandra Sattler<br />

Aus Anlass des Erscheinens<br />

eines ersten Bandes Nachtkritiken<br />

der Schriften von Theodor Lessing,<br />

herausgegeben von Dr. Rainer<br />

Marwedel.<br />

Relling: Eh’ ich’s vergesse, Herr Werle<br />

Junior, - gebrauchen Sie doch nicht das<br />

Fremdwort: Ideale. Wir haben ja das gute<br />

nationale Wort: Lügen.<br />

Gregers: Meinen Sie, die beiden Dinge<br />

sind mit einander verwandt?<br />

Relling: Ja, ungefähr wie Typhus und<br />

Faulfieber.<br />

- Ibsen, Die Wildente, Akt V<br />

Theodor Lessing war Arzt. So wie Relling<br />

aus der Wildente Arzt war. Beide wussten um die<br />

Zusammenhänge von Lügen und Idealen. Die<br />

Wildente ist ein Theaterstück von Henrik Ibsen.<br />

Der Band Nachtkritiken besteht zu Dreivierteln<br />

aus Theaterkritiken und anderen Texten, die<br />

Lessing in den Jahren 1906-1907 geschrieben hat.<br />

Dazu später mehr.<br />

Theodor Lessing ist ein deutscher<br />

Philosoph, der nicht mit Ephraim Gotthold<br />

Lessing zu verwechseln ist. Zwar hat auch<br />

Ephraim Gotthold Lessing sich mit dem Theater<br />

beschäftigt, Theodor Lessing aber hat viel später<br />

gelebt, und zwar von 1872-1933. Wegen der<br />

relativen Unbekanntheit Theodor Lessings folgt<br />

hier in stark verkürzter Form eine informative<br />

Darstellung seines äußerst vielfältigen Lebens<br />

und seiner wichtigsten Schriften, die nicht minder<br />

vielfältig sind und gerade in dieser Vielfältigkeit<br />

das ‚Einordnen’ Lessings erschwert haben.<br />

Abschließend wird etwas über Lessings Nachlass<br />

gesagt werden.<br />

Lessing wurde 1872 geboren in Hannover<br />

als ältester Sohn eines jüdischen großbürgerlichen<br />

Frauenarztes und seiner Frau, einer<br />

Bankierstochter. Seine Kindheit & Jugend lassen<br />

sich am einfachsten charakterisieren mit dem<br />

einen positiven Pol der lebensprägenden<br />

Freundschaft zu Ludwig Klages, die 1899<br />

zerbricht, und dem negativen Pol des<br />

Schulversagens und der Kindesmisshandlung.<br />

Eine Episode aus seiner Autobiographie Einmal<br />

und nie wieder, schildert das treffend; nachdem<br />

Lessing zufällig einem Lehrer, der ihn beim<br />

[7]<br />

THAUMA <strong>2005</strong>-<strong>2006</strong> NUMMER 1<br />

Übersetzen derart triezt, das Lateinbuch an den<br />

Kopf wirft, wird er der Schule verwiesen:<br />

„Ich stand neben dem verhungerten<br />

Schiller und wagte nicht nach Hause zu<br />

gehen.“ 1<br />

Die Schillersäule steht heute immer noch in<br />

Hannovers Fußgängerzone und man kann<br />

erkennen, dass Lessings lebenslanges und<br />

posthumes Außenseitertum und der Kern seiner<br />

Philosophie schon hier ihren Anfang 2 genommen<br />

haben, denn wenig später heißt es in Einmal und<br />

nie wieder <strong>–</strong> und das könnte man den Lessingschen<br />

Imperativ nennen <strong>–</strong>,<br />

„(...) der letzte Bescheid meiner Weisheit<br />

lautet: ‚Mindere die Not!’(...) Denn in meiner<br />

Jugend erkannte ich, daß die Not die Triebfeder<br />

des Lebens ist. In meinem Alter, daß es unsere<br />

Aufgabe ist, die Not aufzuheben.“ 3<br />

Später entwickelt Lessing daraus seine<br />

Konzeptionen von Philosophie als Tat und der<br />

Philosophie der Not, doch zunächst holt Lessing<br />

das Abitur nach auf einer speziellen Drillschule<br />

und beginnt nach dem Abitur auf Wunsch des<br />

Vaters Medizin zu studieren. Lessing beendet<br />

dieses Medizinstudium fast; er will über die<br />

Schilddrüse promovieren, aber aus<br />

wahrscheinlich gesundheitlichen Gründen<br />

kommt es nicht dazu. Das Medizinstudium ist<br />

jedoch soweit vollzogen, dass Lessing später im<br />

ersten Weltkrieg als Lazarettarzt arbeiten kann<br />

und auch während seiner Studienzeit schon<br />

ärztlich tätig ist. In seinen Studienjahren fallen<br />

auch Lessings erste Veröffentlichungen, die<br />

schon damals auffallen durch ihre Vielfältigkeit,<br />

welche es später so schwer macht, Lessing<br />

irgendwie ‚einzuordnen’. Geschrieben hatte er<br />

schon seit etwa 1881. 1895 befindet sich Lessing<br />

im München des Stefan George. Dort lernt er<br />

Franziska zu Reventlow kennen und macht<br />

Bekanntschaft mit der Münchener Boheme. 1895<br />

beginnt Lessing auch Psychologie bei Theodor<br />

Lipps zu studieren. Noch später studiert er<br />

Philosophie und er promoviert 1899 in Erlangen<br />

über den Logiker Afrikan Spir. Lessings<br />

Dissertation beginnt mit dem Satz: „Die russischen<br />

Steppen gleichen Einöden…“ Im Jahre 1899 fällt<br />

auch eine kleine Veröffentlichung über Marie<br />

Bashkirtseff, in der sich Beobachtungen über

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