SCHWER PUNKT 20 Rot. Ulrike Landfester • Prof. Dr. phil. • Professorin für deutsche Sprache und Literatur • Geb. 23.<strong>06</strong>.1962 • Wohnsitz in St. Gallen • RC St. Gallen seit 30.5.2005 • Klassifikation deutsche Sprache und Literatur Ordinaria • Universität St. Gallen, Kulturwissenschaftliche Abteilung ROTARY SUISSE LIECHTENSTEIN JUNI <strong>2013</strong>
21 Im Gespräch mit Rot. Ulrike Landfester «Wer analytisch klar denkt, kann nicht umhin, moralisch zu handeln» Auch die nächste Generation wird komplexe Literatur lesen, wenn auch nicht zwingend zwischen Buchdeckeln, so in der digitalen Welt. Doch grosse Dichter und Denker wie Thomas Mann, Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt werden es immer schwer haben, von der breiten Masse verstanden zu werden. Die in Deutschland geborene Rot. Ulrike Landfester unterrichtet Deutsch und Literatur an der Universität St. Gallen und ist Prorektorin für Internationalität und regionale Verankerung. Sie spricht über die Geschichte von Thomas Mann, die Bedeutung der Literatur und die Rolle <strong>Rotary</strong>s. Frau Landfester, Thomas Mann warnte vor dem Nationalsozialismus. Hörte niemand zu? Mit dem Hintergrund seines eigenen, nach Goethe geschulten Humanismus sagte Thomas Mann in seiner Rede von 1935 «Achtung, Europa!», das hätte es immer schon gegeben, dass Perioden der rationalen analytischen Klarheit gefolgt werden von Perioden, wo sich der Geist gegen sich selber wendet und ins ganz andere umschwenkt wie damals zwischen Klassik und Romantik. Und die Romantik meinte, die Aufklärung ist doch lebensfeindlich, fantasiefeindlich, viel zu pragmatisch, man muss doch diese Welt wieder verzaubern. Mann hatte in seiner Rede gezeigt, dass, was da passierte in Deutschland, das der Aufstand der Romantiker gegen die Aufklärung sei. Und das Problem mit so einer Deutung ist natürlich, dass man sie an eine breite Masse gar nicht vermitteln kann. Und heute, können Dichter und Denker etwas in der Politik bewirken? Das ist eine richtig gute Frage. Stellen Sie sie einmal Dürrenmatt oder Max Frisch. Warum hört die Politik nicht auf Schriftsteller? Vielleicht hat es damit zu tun, dass Politik klare Alternativen bietet und die Literatur sagt, klare Antworten gibt es nicht, es gibt immer eine Vielzahl von Komplexitäten und Schattierungen. Passt komplexe Literatur noch in die heutige Zeit, und wird sie auch in Zukunft noch konsumiert? Ich bin inzwischen weniger kulturpessimistisch als auch schon. Denn auch in der Digitalkultur gibt es sehr komplexe ästhetische Prozesse. Die sind jetzt nicht mehr zwischen Buchdeckeln, aber die können durchaus enormes kreatives Potenzial entwickeln. Es ist sicher so, dass die junge schen immer noch das Feindbild Nazi an? Ich bin mir nicht sicher, ob der Nationalsozialismus von aussen her als Stigma an sie herangeführt wird und sich die Deutschen nicht ständig wieder in diesem Stigma verstärken. Ein völlig entkrampfter Umgang mit diesem Thema ist jedenfalls nicht Generation eher zu schnellem Konsum möglich. Zumindest nicht in neigt, aber es gibt sie noch, die Leseratten. Die Digitalkultur bedeutet nicht das Ende des Lesens, und das ist das Entscheidende. Komplexe Texte werden immer noch geschrieben Deutschland. Man spürt ja heute noch, wenn man einen Deutschen beschimpfen möchte, wird in null Komma nichts die Nazikeule herausgeholt. und werden nach wie vor ihren Platz haben, davon bin ich überzeugt. Die Geschichte sollte uns lehren, sie nicht zu wiederholen. Sind wir nun nicht moralisch dazu verpflichtet, genauer hinzusehen? Ihr RC St. Gallen war Kontaktclub des RC München. Dort gab es nach Recherchen von Erwin Bischof auch Sympathien für den Nationalsozialismus. Ein Einzelfall? Die beschriebene Gratulation von PDG (1928/29) Henry Tschudy vom RC St. Gallen zur Meiner Ansicht nach gehört es mit zu den Aufgaben von <strong>Rotary</strong> International, dafür zu sorgen, dass solche Rahmenbedingungen eines totalitären Systems nicht entstehen können. Mit unseren Aufnahme eines nationalsozialisti- daraus lernen vier Fragen sollten wir im Sinne schen Schriftstellers im RC München von Thomas Manns Humanismus finde ich in sich nicht aussagekräftig. aktiv darauf hinwirken. Das können Man ging höflich miteinander um. Clubs nicht alleine, das ist etwas, das Für mich ist das nicht so verdammend, wie es im Kontext scheint. wirken könnte. Das Programm der aus allen Clubs in die Gesellschaft Aber es ist schon so, und das hat ja Aufklärung lautet: Mensch denke, auch Max Frisch ganz klar gesagt, es denn Gott hat dir dein Gehirn zum gab massive Sympathien, auch von Denken gegeben, und weil Gott dir Schweizern für den Nationalsozialismus. Das wird gerne unter den hat und die Vernunft, ist der Ge- das Gehirn zum Denken gegeben Teppich gekehrt. brauch der Vernunft a priori moralisch. Wer also analytisch klar denkt, Die Machtergreifung Hitlers liegt 80 Jahre zurück, mehrere Generationen liegen deln. kann nicht umhin, moralisch zu han- dazwischen und doch haftet den Deut- Interview: Rot. Oliver Schaffner ROTARY SUISSE LIECHTENSTEIN JUNI <strong>2013</strong>